Verdichten

Von den Gravitationsschwüngen gehen die Suchbewegungen der Buchmalereien in die Frottagen über oder umgekehrt. Das Buch liegt mit der Schrift seiner letzten beschriebenen Seite auf der Gipsform des 5. Reliefs. Die kreisenden Bewegungen mit einem Aquarellstift, bringen die spitz zulaufenden Flächen zwischen den Stegen der Splitterformen auf dem weißen Blatt hervor, bevor sie in drei Kreisbewegungen den Schwung des Rohrgeflechtes eines Teppichausklopfers nachzeichnen. Schon bin ich wieder bei den Erinnerungen an den Kindheitsalltag in der ostdeutschen Provinz.

Die Beeinflussungen meiner Arbeit, die aus dieser Zeit stammen – sollten sie mich nun interessieren? Ist die Arbeit selbst nicht Forschung genug?

Ich bin um die Gedankenlosigkeit während der Buchmalereien am Morgen froh. Dennoch denke ich an das Buch „Kindheitsmuster“ und an die Aussage von Christa Wolf, dass sie es nach den Jahren ihren späteren Erfahrungen, noch einmal schreiben müsste.

Wir haben damals miteinander über die Wirkung von Kunst gesprochen! Von heute aus gesehen, ist das wirklich naiv gewesen, wie manche Blickperspektiven aus dem Osten es auch waren. Jetzt muss man verdichten, rücksichtslos.

Auswege

Gestern fand im Filmmuseum die vorerst letzte Veranstaltung zum 90. Geburtstag von Christa Wolf statt. Gezeigt wurde ein Film, der im Wesentlichen aus drei längeren Interviews, Filmausschnitten und Dokumentarmaterial zusammengefügt worden ist. Teileweise war ich emotional sehr berührt und fragte mich, was da in mir emporsteigt. Die ganzen Erinnerungen an die Siebzigerjahre in der DDR, an dieses Gefühl, bis zum Rentenalter in einem Korridor eingesperrt zu sein, der die Aneinanderreihung der sozialistischen Bruderländer umfasste, war eine Selbstverständlichkeit. Wie dieses Bewusstsein mich und meine Umgebung geprägt hat, welche Gefühle meine Jugend bestimmten, habe ich noch nicht zielgerichtet erforscht. Jetzt beginnt das mit dem Väterprojekt.

Das derzeitige Unterwegssein mit meinen Eltern, in den Landschaften unseres Familienlebens, fördert bedrückende Stimmungen an die Oberfläche.

Wir haben diese Landschaften damals langsam durchquert, mit der Waldbahn, zu Fuß oder im Bus. Das Zuhausesein und Unterwegssein waren keine sehr gegensätzlichen Prozesse. Es fehlten einfach Geschwindigkeit und Ausdehnung für Bewegung. Die statische Kontinuität förderte versteckte Fähigkeiten und sorgte für innere Gegensätze: Wut, Resignation, Aufbruch, Abschottung und Rückzug. Das alles unter einem bleiernen Deckel der staatlichen Allmacht. Meine Auswege waren die Kunst und die risikoreiche Ausreise in den Westen.

Schweigen

Gestern malte ich am 16. Relief und führe einen Farbklang über die Splitter. Ich weiß nun, vom Zusammenlegen der 8 Tafeln des ersten bemalten Doppelportraits, dass die Wirkung dieser intensiven Arbeit auch eine Intensität der Ausstrahlung hervorbringt. Diese Gewissheit ist wichtig für eine Weiterentwicklung dieser Zusammenklänge. Die Dissonanzen innerhalb der Buchmalereien orientieren aber auf eine kritische Auseinandersetzung mit diesen ersten Ergebnissen. Sie soll über diese tägliche Vergewisserung in den Büchern hinausgehen.

Im Atelier befinden sich Werkzeuge, die mich in andere mediale Richtungen führen können. Ich fühle mich aber in den skulpturalen und malerischen Regionen sicherer, traue mir da eine andere Tiefe zu. Vielleicht mache ich nebenher, zur Unterfütterung, digitale Ausflüge mit den 3d Drucker.

Heute steht eine Zusammenarbeit mit Schülern an einem Transparentpapierstreifen auf dem Programm. Dafür soll in den Räumen zwischen den alten, wilhelminischen Mauern eine Werkstattatmosphäre entstehen, in die die Kinder eintauchen können. Das habe ich nun schon öfter gemacht, bin aber bei weitem nicht routiniert genug, um es nebenher abzuhandeln. In solchen Situationen soll manchmal eine Gegenwelt entstehen, die Gefühlen im Zusammenhang mit Materialität, einen Entfaltungsraum schafft.

Und eigentlich will ich während dieser Arbeit nicht sprechen!

Abläufe | Sukkulenten | Orientierung

Die Buchmalereien funktionieren zunehmend ohne Nachdenken. Impulse für Linien, Farben, Frottagen, Übergänge und Kontraste erwachsen aus dem Unterbewussten. Die Bewegungen der Hände, die Abläufe handwerklicher Gesten, gehen den Erkenntnissen voraus. Der lenkende Faktor des Zufalls beschleunigt neue Herangehensweisen und zieht Erkenntnisse nach sich.

Wegen einer herannahenden Kaltfront trug ich gestern viele meiner kleineren Sukkulenten ins Atelier. Sie fanden auf dem hohen Gesims über dem rechten Rolltor Platz. Weil man die Töpfe dort nur unter Schwierigkeiten mit einer normalen Gießkanne wässern kann, musste ich eine Spezialanfertigung mit einer 60 cm langen Ausgießtülle konstruieren. Von einer Leiter aus kann man das Wasser nun zielgenau fließen lassen.

Gestern Abend beschäftigte ich mich mit den Raumstrukturen buddhistischer Klöster und ihrer Schreine. Die schwierigen Meditationsvorgänge, deren Ziel universeller Wahrnehmung in einer Leere, benötigen Orientierungskonstruktionen, deren Grundlage Mandalas sind. Wenn man sich als Besucher solcher Kulträume über die Grundlagen der Raumbedingungen klar ist, kann man die Malereien und Figuren weitergehend deuten. Für meine Arbeitspraxis kann das eine Bedeutung erlangen.

Ich stelle mir einen quadratischen Raum vor, in dem sich vier Väterdoppelportraits in der Mitte gegenüber hängen. Aus dieser Konstellation ergäben sich weitere Abfolgen von Bildpräsentationen des vorangegangenen Materials an den Wänden dahinter.

Vorstellbar

Die 16 Relieftafeln, aus denen das Väterdoppelportrait besteht, sind auf vier Scherbengerichte gegründet. Alle vier sind durch ein und dieselbe Figur von ineinander kreisenden Gravitationsschwüngen in Scherben zersprungen. Die so zerteilten Rasterpunkte und geschlossenen schwarzen Flächen, können also ebenfalls untereinander kombiniert werden, dass die Linienschwünge auch ineinander greifen, wenn die erste Tafel des ersten Scherbengerichtes mit der zweiten Tafel des dritten oder vierten nebeneinander gelegt werden. Die so entstehenden Kombinationsmöglichkeiten sind für einen weiteren, späteren Arbeitsschritt relevant. Denn dann können zusätzlich auch Tafeln der verschiedenen Exemplare ganzer, in einem bestimmten Stil gemalter Portraits zueinander finden und eine weitere Dimension eröffnen.

All das ist nur vorstellbar, wenn es in die Praxis umgesetzt wird. Das System hat jedenfalls das Potential zu einer weiterführenden, größeren räumlichen Arbeit, die sich auch mit den Raumsystemen eines Mandalas verbinden kann. Oder ist das eine Drehung zuviel?

Die Schellackschicht des 16. Reliefs, dieses ersten Exemplars, habe ich gestern, am Abend fertig gestellt. Heute beginne ich die Farbigkeit, wie auf den anderen Tafeln fortzuführen. Gleichzeitig möchte ich nun die Reliefs 1-8 vorbereiten. Das heißt, dass ich schauen muss, welche schon abgegossen sind, welche noch fehlen und somit hergestellt werden müssen.

Erscheinungsgewalt

Gestern grundierte ich das 16, Relief und legte die ersten Schichten auf ihm an. Das preußischblau der Gravitationslinien und die Graphitschicht auf allen Splittern bilden den ersten Arbeitsgang. Dann begann ich jede der erhabenen Flächen mit einem spitzen Pinsel und Schellack zu bearbeiten. Das führe ich, als dritten Schritt, in den nächsten Tagen fort.

Wenn ich nun die ersten 8 Malereien zusammenlege, zeigt sich ihre Entwicklung, die ich nicht zugunsten eines Zusammenklangs angleichen will. Gemeinsam entwickeln sie eine Art von Erscheinungsgewalt, wie es ein einzelnes der Formate bisher nicht erzeugen kann.

In die Collage oben habe ich, neben einem Fenster auf die „Manjurishree-Sequenz“ und einem Stück der zweiten Buchmalerei von heute, ein Fragment der Malerei, auf dem 15. Relief, dominant eingefügt.

Der Arbeitsvormittag war lang und ruhig. Die Malerei beginnt allgemein mit einer erneuten Konzentration zu funktionieren, einer anderen, als beim Modellieren der Reliefs. Die Herausforderung ist eine ganz neue. Die Entscheidungen die ständig zu treffen sind, schließen mannigfaltigere Möglichkeiten ein.

Abstand

Ein Gefühl, das vierzig Jahre geschlafen hatte, holte mich gestern wieder ein, als ich im Filmmuseum saß und den DEFA-Streifen „Till Eulenspiegel“ sah. Über die etwas naiven Botschaften, die sich kritisch mit der DDR-Gegenwart auseinandersetzten, konnte ich zwar nicht mehr so herzlich lachen, erinnerte mich aber an die Zeit, die ich mir Christa und Gerhard Wolf verbrachte.

Der Regisseur des Filmes, der auch das Script, nach einer größeren Vorlage der Wolfs geschrieben hatte, war zugegen und erzählte Geschichten aus der Kulturpolitik der DDR. Ich kam mir vor, wie ein Fossil.

Abends lese ich in einer Romanübersetzung von B., die zu großen Teilen in Shimla spielt. Von dort aus fuhren wir hinauf in die Dörfer und zu den Klöstern unter den ragenden weißen Berggipfeln.

Als ich zu den Texten von Christa Wolf arbeitete, konnte ich mir nicht vorstellen, in diese Gegenden des Himalaja zu gelangen, wusste nichts von den buddhistischen Tempeln, vom Klima und von den Menschen dort. Hätte ich es jetzt wieder mit diesem Material, wie „Kassandra“ oder „Medea“ zutun, wäre genügend Abstand da, um weiter zu blicken.

Die „Väterarbeit“ soll etwas davon leisten.

Weitere Zersplitterung

Würde ich in die gegenwärtige Arbeit eine Mandalastruktur einfügen, könnte dies ein Farbraumprogramm etablieren. Unter diesem Aspekt muss ich mir das Kloster Tabo noch einmal ansehen.

Farbkonstellationen entstehen aber auch ganz einfach, indem ich scheinbar konzeptionslos weiter arbeite. Die kleinräumlichen Beziehungen der Splitter untereinander, werden durch das Fließen der Farbauswahl entscheidend beeinflusst. Habe ich hierbei die Mandalastruktur im Hinterkopf und male dann einfach drauflos, wird sich hoffentlich etwas ergeben, das den Dekorationscharakter überspringt. Außerdem spielen jetzt schon die Collagen, die über den Texten stehen, eine weiterführende Rolle.

Dieses derzeitige Exemplar des Doppelportraits will ich aber in dem Stil zu Ende malen, in dem ich es begonnen habe. Dann aber muss etwas geschehen!

Mir ging die weitere Zerkleinerung der Splitter durch den Kopf. Dies wäre ein logischer und natürlicher Schritt. Das würde ich dann nur mit den drei Schichten: Graphit, Schellack und Tuschelinien machen, ganz ohne andere Farben.

Raumkonstellationen

Weil ich vor vielen Jahren für ein Bühnenbild, zu den „Ratten“ von Gerhard Hauptmann, eine alte abgewetzte Stahltür auf Sperrholz gemalt habe, die Momme Röhrbein und ich „Hey Joe“ tauften, war mein Zugriff auf die Inszenierung, die wir am Sonnabend im Frankfurter Schauspiel sahen, ein spezieller. Die Debatte, welche Geschichten auf deutschen Bühnen erzählt werden, die Einfärbung des Textes auf die gegenwärtigen Kulturdiskussionen, ging an mir vorbei. Entscheidend für mich ist nicht, dass man kulturell fremde Geschichten erzählt, sondern der künstlerische Zugriff, mit dem das getan wird.

Und außerdem ist es so, dass Kunst dort beginnt, wo sie wehtut.

Der Blues im deutschen Drama wird vom Aikidotrainer aus Offenbach gesungen.

Die Vertiefung in das Väterprojekt schafft gleichzeitig den Abstand zur eigenen Biografie, der notwendig ist, um sie nutzbar zu machen.

Mein Abstand zu den Malereien in den westtibetischen Klöstern muss sich hingegen zunächst verringern, damit sich ein Überblick etablieren kann, der eine Auswirkung auf meine eigene Arbeit ermöglicht. Dabei geht es nicht um die Motivik, sondern um Raumkonstellationen, die aus der Mandalageometrie erwachsen.

Landartmethode

Mit der Manjurishree – Sequenz auf Rolle 8 wird es nun langsam ernst. Die Überlagerungen der Figur aus dem Vairochana Schrein schließen sich mit den Eindrücken bei der Umrundung der Figurengruppe im anderen Gebäude des Klosters Alchi kurz. Deswegen heißt die Arbeit Manjurishree – Sequenz, auch wenn sie aus einer Figur zusammengesetzt ist, die aus einem benachbarten Gebäude stammt.

Die Schellackschicht auf dem Relief Nummer 15 ist nun fertig. Nun werden die Gravitationsschwünge Preußischblau eingefärbt. Dann wird die Malerei so fortgeführt, wie ich sie auf dem 12. Relief, das sich direkt oben an das 15. anschließt, begonnen habe.

An der Außenseite des Ateliergärtchens, flechte ich die langen Weidenzweige nach innen. Die so eingebogenen Ruten bilden skulpturale Formen, die ich im kommenden Jahr weiter gestalten kann. Das Wachstum und das Flechten ergänzen sich so zu einer Landartmethode. Außerdem haben die Geflechte viel mit den sich überlagernden Zeichnungen auf den Transparentpapierrollen zutun.

Ströme

Den geglätteten und grundierten Abguss des 15. Reliefs, des ersten Exemplars des Väterdoppelportraits, versah ich gestern Vormittag mit der ersten Malereischicht, der Graphitschraffur, die die Oberflächenstrukturen der Splitter noch einmal besonders hervorhebt, wie das Morgenlicht, das die Flächen streift, nur negativ. Dann folgte die Schellackschicht, durch die jeder einzelne Teil einen warmen Grundton und die Versiegelung des Graphits abbekam.

Nach dem Essen stieg ich auf den Altkönig, der sich, wie aus der Ferne zu sehen war, in Wolken hüllte. Bei meinem wärmenden Gang den steilen Hang hinauf, begann es zu regnen. Zunächst waren das eher Nebelnässen, doch schon bald verdichtete sich das herab rinnende Wasser zu dem stetigen Strom, der mich, trotz Regenkleidung, langsam durchtränkte. Es war wie beim Schwimmen, dessen Bewegungen ich und die Leichtigkeit meines Körpers genoss.

Wasserrinnsale, wie aus aufgedrehten Absperrhähnen, flossen die Baumstämme hinab. Ich versuchte diese Ströme zusammenzuzählen, um die Menge des sich sammelnden Wassers abzuschätzen, das sich nun in den Bächen sammeln würde…

Am Abend weitere Splitterabdeckungen mit Schellack.

Die Toten bleiben Jung | Manjurishree – Sequenz

Ein helles blaugelbes Licht leuchtet jetzt am Morgen auf meine Reliefplatten. Mit der weißen Grundierung, deren Feuchtigkeit die getrockneten Flächen leicht durchdringt, konnte ich das in sich verzogene Exemplar wieder glätten. So, wie das Licht jetzt jede Unebenheit gebirgig aufwirft, sollte dann auch die Graphitschraffur wirken.

Auf Rolle 8 arbeitete ich an der Überlagerungssequenz aus dem Manjurishree – Schrein in Alchi weiter. Ich nenne sie jetzt „Manjurishree – Sequenz“. Das unaufgeregte, kontinuierliche Vorgehen führt zu spannungsvollen Ergebnissen oder Zwischenschritten, die mir Spaß machen.

Gestern Abend hörte ich Carola, im Filmmuseum, bei ihren interessanten Ausführungen zu den beiden Dichterinnen Christa Wolf und Anna Seghers zu. Ich wusste, dass die ältere von der jüngeren verehrt wurde. Diese Zuwendung wirkte sich auch auf das Drehbuch zum Film „Die Toten bleiben jung“ aus, das nah am Romantext blieb. Und Carolas Focus auf die Frauenfiguren fügte dem Abend noch eine weitere Dimension hinzu.

Auch für mein Väterprojekt fügten sich Szenen aus dem gezeigten Film zusammen, die die Darsteller der preußischen Militärs noch aus eigener Anschauung kannten und umsetzen konnten. Harte, sadistische und zynische Erziehungsmethoden sollten später auch sozialistische Persönlichkeiten hervorbringen.

Symmetrien und Ungleichgewichte

Auf Rolle 8 zeichnete ich an der Sequenz weiter, die von einer Zeichnung herrührt, die ich im Kloster Alchi gemacht habe. Eine, auf einer Fabelgestalt reitende, Figur steht sich hier mehrfach antithetisch gegenüber und überlagert ihre Umrisslinien in der sich aufeinander zu laufenden, fortschreitenden Bewegung. So kommt es zu Symmetrien, die sich mit Ungleichgewichten vermischen.

Vor einem Chorkonzert in der schlichten Heilig Geist Kirche gestern Abend, probierte der Organist die Begleitpartitur, die alleine ohne Chor, wie von Olivier Messiaen klang. Jetzt höre ich ein Klavierkonzert von ihm, das sich mit der Alchi – Sequenz auf Rolle 8 verbindet. Das passt zusammen.

Auch die Buchmalereien verbinden sich eher mit Klängen des vorigen Jahrhunderts. Die Sehnsucht nach einer Struktur jenseits der digitalen Gestaltungsmöglichkeiten wächst.

Am Abend moderiert Carola einen Abend im Filmmuseum an, an dem es um das Drehbuch der DEFA – Produktion „Die Toten bleiben Jung“ nach Anna Seghers geht. An ihm arbeitete Christa Wolf mit, und aus Anlass ihres 90. Geburtstages wird eine Reihe mit Filmen gezeigt, an denen sie auf die eine oder andere Weise beteiligt war. Meine Rückschau innerhalb des Väterprojektes könnte davon profitieren. Also gehe ich hin.

Trolle

Auf dem Gipfelplateau des Altkönigs herrschte dichter Nebel. In dieser Wolke erschien plötzlich ein Troll in leichtem Laufschritt, mit spitzen Ellbogen an den angewinkelten Armen, klarer Stimme und roten Locken, glaube ich. „Ich laufe gern über dieses wellige Gelände“, sagte er, bei weitem nicht außer Atem und strahlend. So schnell. Wie sie da war, verschwand sie wieder bergab im dichten Grau.

Im Schauspiel sahen wir „Brand“, ein selten gespieltes Stück von Ibsen. In der weiblichen Hauptrolle war Jana Schulz zu sehen, eher ein zerbrechlicher Junge, als eine Braut. Es ging um Alles oder Nichts in diesem düsteren Abend im Nebel, der die Kälte des Tales illustrierte, in das nie ein Sonnenstrahl fällt. Und wieder tauchte ein Troll aus dem Gewaber auf, mit schriller Stimme diesmal und wieder sehr beweglich, wie am Altkönig auch.

Die Abgüsse der Reliefs, die ich in der letzten Woche angefertigt habe, trocknen sehr langsam. Einen habe ich nun in die Sonne gestellt, obwohl dann die Gefahr besteht, dass er sich etwas verzieht – meine Ungeduld! Aber ich möchte nun bald wieder weitermalen.

Innerhalb der ganzen Diskussionen um Digitalisierung, kulturelle Aneignung und diverse Identitäten, kommt mir die Arbeit am Väterprojekt immer anachronistischer vor, aber richtig.

Wirkung eines faunistischen Gutachtens

Für das Väterprojekt fertigte ich gestern einen weiteren Reliefabguss an. Die Trocknungszeiten nehmen viel Zeit in Anspruch, weswegen immer mehrere Exemplare in Arbeit sein sollten.

Heute am Altkönig im Taunus, werde ich an den Literatur-Nobelpreisträger dieses Jahres denken, dessen Liebe zu diesem Berg ihn mit meiner verbindet. Je länger ich ihn regelmäßig besteige, umso intensiver erlebe ich seine Besonderheiten, vor allem im oberen geschützten Teil.

Entgegen der Behauptung, dass unseren Teves – Mauereidechsen die „Scheißwiese“ mit ihren Bruthügeln aus Schotter „scheißegal“ ist, sonnten sich gestern drei Winzlinge der Brut dieses Sommers auf einem der kleinen, dunklen Steinhügel. Diese jungen Exemplare befanden sich etwas entfernt von ihren gefährlich kannibalischen Eltern, die die goldenen Oktoberstunden am gestrigen Nachmittag auf dem Kalkstein der Kräuterspirale verbrachten.

Somit haben die Schutzmaßnahmen, die das faunistische Gutachten von Andreas Malten, vom Senckenberg Forschungsinstitut, nach sich zog, eine anhaltend positive Wirkung. Dieser Erfolg wirkt sich nicht nur auf die Teveswiese aus, sondern auch auf den Schutz der anderen Refugien, die das Gutachten nachwies.

Orangerie

Gestern Nachmittag stellte ich Pappmache für einen Reliefabguss her. Dafür habe ich Rollen von grauer Abdeckpappe für Malerarbeiten aus recyceltem Material. Ich nahm mir die Form Nummer 15 vor, die sich in der Reihenfolge an die 5 Reliefs anschließt, die ich schon bemalt habe. Ich strebe an, dass die Arbeitsgänge des Abformens und der Malerei Hand in Hand gehen, damit keine Wartezeiten entstehen.

Das Licht wechselt. Ich habe das Gefühl, dass es wochenlang geregnet hat. Das wirkt sich auf das Wachstum der Wiese aus. Abertausend kleine Pflänzchen sprießen auf der wenigen durchtränkten Erde, die ich nicht identifizieren kann. Aber gerne gehe ich durch die nassen Halme und Blätter, die meine Schuhe benetzen. Ich sammle auch wieder Schottersteine für die Fluchtburgen der jungen Eidechsen, die im kommenden Juni schlüpfen werden.

Nun werde ich, wie in jedem Herbst, bald damit beginnen, die frostempfindlichen Succulenten, Palmen und Pelargonien hereinzuholen. Der fensternahe Bereich des Ateliers verwandelt sich dann in eine Orangerie. In diesem Jahr freue ich mich auf diese Arbeit.

Heilsamer Fehler

Nach dem langen Regen, der meiner Wiese sehr gut getan hat und dem damit verbundenen Grau, sind an diesem Morgen wieder Lichtwellen unterwegs, die fast waagerecht in mein Atelier branden. Sie lassen die Temperatur am Zeichentisch steigen und die Farben aufleuchten.

Mit der Malerei am 12. Relief, des ersten Exemplars des großen Väterdoppelportraits, bin ich gestern fast fertig geworden. Eine lebendige Farbigkeit stellte sich auch in den Buchmalereien ein.

Mir ging die GPS-Wanderung am Potsdamer Platz als Gestaltungsschicht auf den Reliefs durch den Kopf. Weil die Möglichkeiten solcher Schichtungen mannigfaltig sind, muss ich mich disziplinieren. Die Bezüge haben einen wesentlichen Einfluss auf die Dichte. Das Zwingende der Zusammenstellung muss aus den untersten Lagen der durchscheinenden Malerei hindurch scheinen. Es geht nicht um Schlüssigkeit, sondern um Spannung.

Auf Rolle 8 trainiere ich das nur mit Tusche, Graphit und Schellack. Gestern kippte ich aus Versehen ein Glas Tusche um. Etwas von der schwarzen Flüssigkeit erreichte die Lagen der Transparentpapierrolle. Sich wiederholende dunkle Wolken über der sich mehrfach schichtenden Reiterfigur, waren die Folge. Nun muss ich daraus etwas machen. Es fordert mich dazu heraus. Fehler sind heilsam.

Neben mir

Selten trete ich neben mich, wenn ich allein bin mit meinen Büchern, um mir beim Zeichnen, Malen, Wischen und Schreiben zuzuschauen. Mit der Malerei geht eine Unruhe einher, die ich, wenn ich mit den drei Formaten des Tages fertig bin, mit einer kleinen Pause besänftige. Ich stehe auf, gehe hinaus ins Gärtchen oder schaue, was auf der Wiese neu, ohne mein Zutun, von alleine wächst, sehe den polternden Güterwaggons zu, die mit ihren wilden Zeichen einer speziellen freien Malerei vorüber rollen.

Manchmal kehre ich dann, nach einem Gespräch mit einem Nachbarn, zurück und fülle die leeren Papierflächen zwischen den Buchmalereien mit den Worten, die meine inneren Bilder umkreisen.

Die Reliefmalerei beginnt mich nun ganz einzufangen. Ich genieße es, mich in den Farbspannungen verlieren zu können. Gestern habe ich sehr vorsichtig versucht, mit einer Rohrfeder und feinen Tuschelinien, den Figuren zu folgen, die neu auf den Splittern entstanden sind. Dann legte ich Öllasuren darüber, die auch noch eine weitere Schellackschicht vertragen. Eine Fortführung der Scherbengerichte.

Holzschnitte | Reliefmalereien

Im Städel sahen wir gestern die Holzschnitte von den drei „Bücke“ – Künstlern Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff. Insbesondere zu den Arbeiten von Ernst Heckel hatte ich in meiner Jugendzeit eine innige Beziehung. Die ganze Holzschnittreihe zu „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz, die ich 1977 angefertigt habe, lehnte sich daran an. Mit dieser Arbeit begann ich auch meine Herangehensweisen schriftlich in Tagebüchern zu reflektieren. Das Buch „Expressionistische Buchillustration“ von Lothar Lang besaß ich damals schon, und es inspirierte mich zu weiteren Holzschnittreihen, die dann später unter dem Eindruck von Grieshaber auch farbig wurden. Riesenformate entstanden. Diese sehr produktive Zeit wurde durch die Übersiedlung in den Westen zunächst unterbrochen.

In die täglichen Buchmalereien spielen nun, neben den Gravitationsschwüngen, wieder Frottagen von den Gipsformen des Väterprojektes eine Rolle. Wie in den Reliefmalereien, spiegelt sich nun auch hier die Farbigkeit, die aus den Malereien in den Klöstern zwischen den Himalajagipfeln und von den Schmucksteinen, die ich von dort mitbrachte, wieder.

Gestern zeichnete ich eine Reiterfigur auf einem Fabeltier, deren Skulptur ich in einem der Klöster sah und in mein Skizzenbuch übertrug, zweimal antithetisch auf die Transparentpapierrolle 8. Von da aus kann ich nun Überlagerungen anfertigen, die sich von den beiden Seiten, die etwa sechzig Zentimeter voneinander entfernt sind, aufeinander zu bewegen können.

Gäste | Gebetsfahnen | Schmuckfragmente

Draußen warteten Leute in der Kälte, damit ihnen jemand einen Raum aufschließt, um einen Deutschunterricht für Migranten abhalten zu können. Ich habe sie zu mir hereingelassen, weil sie froren, und ich unterhielt mich etwas mit ihnen. Viele Iranerinnen darunter, die wissbegierig und offen viele Fragen zu meinen Projekten stellten. Im Laufe der Zeit wurde das Atelier immer voller und ich fing an, Vorträge zu halten.

Draußen im Gärtchen hing ich eine Schnur mit tibetischen Gebetsfahnen auf. Gleich entsteht ein besseres Gefühl, Gelassenheit und Heiterkeit. Ich habe noch weitere solcher Schnüre im Hochland bei Tachi gekauft und werde sie sicherlich auch noch hier aufhängen.

Meine Gäste fühlten sich wohl bei mir. Als sie hereinkamen, ging ihnen das Herz auf, wie sie sagten. Diese Menschen und die Gebetsfahnen haben mir also einen guten Start in den Tag geschenkt.

Die Malereien orientieren sich im Detail nun stark an der Sammlung von den tibetischen Schmuckfragmenten. Die habe ich in Metall, Glas, Korallen, Topaz und Türkis sortiert. Die Farben gehen nun andere Beziehungen miteinander ein, bilden Zentren die Kräfte aussenden. Das soll sich auf die Malerei übertragen.

Arbeit und Raum

Zur Malerei legte ich mir gestern die Steine, Perlen und Knochenschmuck-Fragmente auf den Tisch, die ich aus Westtibet mitgebracht habe. Sie helfen mit beim Farbenfinden, lösen Situationen aus, auf die ich dann malerisch reagieren kann. Die Dynamik dieses Geschehens soll sich möglichst auf den Reliefs abbilden.

Das Erlebnis der alten Klostermalereien erzeugt in mir ein differenzierteres Bewusstsein von Arbeit und Raum. Ich setze eine feine Linie, mit einem Haar gezeichnet in Beziehung zu den Bergketten hinter den Mauern, auf die sie gezeichnet ist. Das wirkt sich auf mein Herangehen hier aus.

Dabei denke ich an die Gespräche mit Tashi, der in der tibetischen Landschaft aufgewachsen ist und ihre Schätze kennt. Die Form der Versenkung in lange Arbeitsvorgänge, wie ich sie in den Miniaturen auf den Klosterwänden zu sehen glaubte, begegnete mir selber innerhalb der Scherbengerichte, die in der Anfangsphase des Väterprojektes stattfanden. Aber auch das Modellieren und die jetzige Malerei, in den Büchern und auf den Reliefs, tragen Züge dieser Arbeitsweisen.

Tausend Jahre Abstand

Gestern führte ich am Abend die Bemalung der Reliefs fort. Das war mit keiner großen Anstrengung verbunden, es folgte nur einem Entschluss. Die Farben führten mich in eine schöne Ruhe und grenzten mich etwas von der Zersiedelung der Reisenachwirkungen ab. Dabei geht es noch nicht so sehr um das große Väterthema, sondern mehr um kleinteiligere Farbwirkungen innerhalb der Komposition.

Das Ende des Septembers läutet einen gewissen Stillstand ein. Noch blühen Sommerblumen auf meinen Beeten. Ich denke aber schon wieder daran, die frostempfindlichen Pflanzen, in nicht allzu ferner Zeit, in die Regale zu räumen, die ich dafür hinter die Fensterflächen des Ateliers stellen werde. Die Rolltore müssen, wie in jedem Herbst, abgedichtet werden, damit es nicht zu viel Wärmeverlust gibt.

Für Rolle 8 habe ich mir die nächste Zeichnung aus Alchi aufgeschlagen, die ich im Vairochana – Schrein gemacht habe. Eine Horn blasende Figur auf einem Fabelwesen mit Löwenklauen, Rüssel und langem, geschwungenen Schwanz. Sie passt eigentlich mehr zum Manjurischi – Schrein, in dessen Figurengruppe es von solchen bunten Figuren nur so wimmelt. Sie sind aus geflochtenen Strohkernen und Lehmüberzügen geformt, wie die neuen Figuren für den temporären Tempel in Delhi, vor dem Hotelfenster, nur tausend Jahre älter.