Mauern | Pflanzen | Vögel

Ich lese, wie das vergangene Jahr endete. Mit dem Nachdenken über die Väter anhand der aktuellen Begebenheiten an den Familientischen, versuchte ich Stoff für meine Arbeit zu extrahieren.

Dann in der Pfalz, begannen die Mauern der alten Höfe Geschichten zu erzählen. Wenn der Rückzug in die Stille gelingt, meint man die Stimmen aus den Steinen zu hören, wie sie vor hundert, zweihundert Jahren sprachen, sangen, weinten und lachten.

In diesem Jahr habe ich mich schon ein ganzes Stück von der Arbeit entfernt.

In meinem Seerosenteich wächst eine Wasserpflanze, die sich dort im Verlauf des letzten Jahres, ohne mein Zutun entwickelte. Schon im Sommer transportierte ich einen Teil davon in ein anderes Wasserbecken hier auf dem Gelände. Nun aber ist sie wieder so groß wie vorher, und ich wiederholte den Vorgang.

Auch jetzt im Winter ist das Gärtchen, mit seinen Gehölzen, ein beliebter Aufenthaltsort standorttreuer Singvögel. Aber auch große Greifvögel sind hier und lauern aufgeplustert auf Kleingetier.

Heraklesfigur

Außerhalb des Ateliers verändert sich die Arbeit an den Buchmalereien. Aus der Umgebung fehlen am wesentlichsten die Reliefformen, mit denen ich die Frottagen mache, von denen das zeichnerische Gerüst der kleinen Formate bestimmt wird. Dann kommen aber auch das spezielle Licht, die Pflanzen und die Musik hinzu, die einen Einfluss auf das Fließen, Kreisen und auf die anderen Gesten haben.

So bin ich also froh, wieder hier zu sein, um mich auf meine gewohnte Produktivität einlassen zu können.

Im Zusammenhang mit der Tanzfigur, deren Oberkörper in die Architektur- und Scherbengesträuche wächst, fällt mir der Heraklestext (Herakles II oder die Hydra) von Heiner Müller ein. Und da denke ich insbesondere an die Schlacht und die versehentlichen Schläge gegen die Eigensubstanz, die ihm während der Beschleunigung unterlaufen. So hätte ich erstmals eine Figur, die ich in die Szene einsetzen kann, und einen Text, der mir beim Väterthema helfen wird.

Gerade habe ich die Collage mit der Nummer 200 in diesem Jahr gemacht. Das ist weniger als in anderen Jahren.

Verstrickung

Das Zusammenfügen der Tanzfiguren mit den Scherbenstrukturen der Väterarbeit und den Architekturfragmenten des Berlin Loops, erzeugt eine angenehme Unruhe in mir, eine gewisse Hochstimmung. Ohne genau zu wissen, woher das kommt, spüre ich doch, dass mich dieser Vorgang sehr interessiert. Die gezeichneten Strukturen innerhalb der Buchmalereien, die von den Frottagen der Reliefformen ausgehen und sich in Malerei verwandeln, haben auch damit zutun. So stelle ich mir nun ein Reliefexemplar des großen Doppelportraits vor, das sich genau mit diesem Thema beschäftigt. Das lässt sich ganz gut auf Rolle 8 entwickeln und dann in die Malerei übertragen, glaube ich zumindest.

Die Zersplitterung des Doppelportraits, der Aufbau und die die Fragmentierung der Architektur des Palastes der Republik in der Mitte von Berlin und die Loslösung eines Tanzensemblemitgliedes aus dem Zusammenhang der agierenden Company, das sind die Schichten, aus denen immer neue Bilder hervorgebracht werden sollen. Wenn die Oberkörper in die Gesträuche hineinwachsen, fallen die Interaktionen mit den anderen Tänzern weg und die Figur wendet sich nach innen. Die Liniengebilde sind dann die Mandala-Architektur, auf die sie sich meditierend einlässt. Diese Entfernung von der Truppe und das gleichzeitige eindringen in die eigene Verstrickung, ist der Vorgang, dem ich nachspüren will.

Krähenraum

Auf Rolle 8 überlagerten sich gestern eine Figur aus der Forsythe Company Zeichnung mit der ich schon ein paar Tage arbeite, mit einer Struktur aus dem „Berlin Loop“ und einer Zeichnung, die ich aus der 2. Malerei vom 17.12. übertrug. Oben habe ich das in die Collage eingefügt.

Die Aufzeichnungen, die ich vor sechs Jahren machte, sind in kleiner Handschrift verfasst. Sie beschäftigen sich mit dem Alten Ägypten und mit globaler Beschleunigung:

Zeit ist Geld, aber Geld ist kein Raum.

Ich schrieb damals in meinem Arbeitszimmer in der Frankenallee, mit blick auf den alten Ahornbaum und seinen Bewohnern, den blinzelnden Krähen. Die tägliche Bildproduktion war im Atelier, also nicht direkt sichtbar. Auch die Buchmalereien waren davon abgekoppelt. Schöne Farbverläufe in verwischten Arealen.

Viele Bildideen aus den Texten sind, aus Mangel an Zeit, nicht umgesetzt worden.

Sonnenaufgang zwischen den Abrissruinen

Auf einer Fahrt nach Thüringen sah ich gestern Nebellandschaften, wie aus einem Klischeetraum. Darüber stand eine weiße Sonne, ein nur schwach leuchtender Planet in all dem hellen Grau. Nachmittags gegen 3 steht sie schon wieder tief.

Sonnenaufgang auf dem Weg ins Atelier, zwischen den Abrissruinen. Ich blieb stehen und ließ das Licht, durch die Augen, in mich hinein. Die Frau, die in der Restaurantspülküche arbeitet, überholte mich grußlos, blicklos, als wolle sie von der BILDFLÄCHE verschwinden.

Auch auf meinen Buchmalereien befinden sich Nebelbänke und verschlucken die Zeichen, die ich teilweise mit den Stiften wieder in den Vordergrund rücke. Diese Vorgänge folgen meinen Emotionen.

Im Familienkreis sitzt meine Väterarbeit als Figur auf einem der Stühle zwischen den angereisten Personen. Sie schaut mit mir herum und sucht nach den Ähnlichkeiten mit der verschollenen Großvaterfigur. Manches Lachen klingt, wie aus der entfernten Vergangenheit, am Tisch.

Tempo

Für die Buchmalereien ist es mitunter von Vorteil, wenn die Zeit etwas knapp ist. Ich komme schneller auf den Punkt, zum Wesentlichen. Ballast fällt weg, und leichter schwebt es sich besser. Manchmal denke ich während der Arbeit schon an ihre Weiterverwendung, als Scan für die tägliche Collage, die sich mit den Schichten der vergangenen Tage verbindet, eine perforierte Schicht hinzufügt. Ich stelle mir den Stapel von 2200 Collagen vor.

Anrufe reißen mich aus der Konzentration. Dann muss ich erstmal raus zum Luftschnappen, – Wieso eigentlich „schnappen“? – um mich wieder zu regenerieren.

Besuch von Carlo, dem Politkünstler. Wenn man betrachtet, was in der gegenwärtigen Politik an Entertainment geboten wird, war er vor Jahren schon weiter – ein Visionär! Auch er spricht neben mir, während ich arbeite, drauflos…

Die Abrissarbeiten in der Nachbarschaft schaffen mit großer Schnelligkeit Raum. Vorübergehend wird der Himmelsausschnitt, der das Wettertheater bietet, weiter. Über dem Staub, der aus dem Zivilisationsabraum emporsteigt, bilden sich die gefiederten Konstellationen für die Auguren. Manchmal halte ich inne und betrachte den Vogelflug. Für mich leiten sich allerdings keine Vorhersagen daraus ab.

Decollagen

Im Bottich schlingern die schwarzen Wellen von den einzeln in größeren Abständen fallenden Tropfen aus der durchhängenden Dachrinne, die voll ist mit Moos und anderem wucherndem Grün. Die Lichtwellen der Sonne treffen auf die staubigen Fenster und dann auf die schwebenden Abrissformen in den Buchmalereien.

Die architektonischen Decollagen fressen sich draußen mit gewaltvollem Schall in das Material industrieller und handwerklicher Zurichtung. Das Wort „Rücksicht“ bleibt still, versinkt im lehmig aufgeworfenen Grund. Dort schlummern dann seine Samen.

Die Scherbenmalerei bedient sich nun nicht mehr der fröhlich – effektvollen Lasurtechnik, sonder bewegt sich in einen zurückhaltenderen Gestus. Die Palette verknappt sich, wirkt erdener. Das tut wohl.

Farbnebelbänke

Manchmal entstehen innerhalb der Buchmalereien schwebende Objekte. Sie bestehen aus harten Linien vor Farbnebelbänken, die ich mit dem nassen Handballen hergestellt habe. Oft lasse ich die festen Linien verschwimmen, um dann wieder eine weitere weiche Schicht darüber zu legen und die übrig gebliebenen Striche wieder zu verfestigen. Das Spiel geht so lange, wie es das Papier aushält.

Manchmal entstehen dabei Zeichen einer abstrakten Schrift.

Aus einer der Formen habe ich die Skulptur, die ich aus einem kleinen Geäst und Pappmache hergestellt und mit einem Stück Relief verbunden hatte, entfernt. Dieses baumartige Gebilde trägt nun ein Schild, das aus Scherben besteht. Ich denke, es werden noch mindestens zwei solche Schilder hinzukommen, damit das Gebilde etwas ausgeglichener erscheint. Jetzt wohnt in ihm noch keine Folgerichtigkeit.

Der Regen der letzten Wochen gefällt mir so, dass ich ihn am liebsten einatmen würde. Regenwasser fange ich in Bottichen auf.

Die Abrisszangen durchtrennen mühelos mittlere T-Träger. Der erschreckende Klang, wenn sie auf den Betonboden auftreffen, gibt den Rhythmus der letzten Tage vor.

Vergessen

Noch einmal habe ich die Verbindung von einer Tuschzeichnung auf Transparentpapier mit einem Scherbenrelief aus Pappmache probiert. Ich beschichtete das Relief mit reichlich Schellack und legte die Zeichnung auf die flüssige Oberfläche. Sie zeigt den Kopf einer Tänzerfigur zusammen mit einer Struktur des Abrisses des Palastes der Republik. Die thematischen Verbindungen kläre ich nun handwerklich, indem ich diese Scherbe weiter bemale.

Auch die Buchmalereien helfen dabei. Die zeichnerischen Schichten sind auf die Reliefmalerei übertragbarer geworden, ihre Verbindung wird langsam enger. Es ist gut, mich manchmal auf die Bemalung einzelner Scherben zurückzuziehen. Das macht Experimente leichter.

Während ich an die Sonntage vor vierzig Jahren dachte, an denen es zum Frühstück Bohnenkaffee gab, stellte ich die Espressomaschine ohne Kaffee auf die Herdplatte.

Ich hatte ihn vergessen.

Abriss

Die Abrissarbeiten rund um das Tevesgelände haben eine scheinbar überspringend erodierende Wirkung. In die einfallenden Baracken auf unserem Gelände ziehen obdachlose Migranten ein. In die Räume des Internationalen Bundes wurde wieder eingebrochen. Die Tore, die auf das Gelände führen, sind alle nicht mehr abschließbar.

Gestern arbeitete ich an der Bemalung von einzelnen Scherben und will heute versuchen, Transparentpapierzeichnungen auf die Splitter zu collagieren. Schon einmal ist mir das Misslungen.

Es gelingt mir, nun etwas Abstand zur laufenden Produktion herzustellen. Dieser Vorgang schafft neue Ausblicke.

Ich stehe manchmal an den Bauzäunen der Nachbargelände im Osten und Westen und schaue den Greifern zu, die Raum schaffen für die neuen Architekturen. Ich sehe die Werte, die zerstört werden, die handwerklich hergestellten Häuser mit all ihren Sprossen, Beschlägen und Holzrahmen. Ein Jammer…

Sichtbeziehungen

Tanz und Architektur etabliert sich als Thema. Am Rande einer YOU&EYE -Begegnung im Dezernat sprach ich mit einer Choreografin über Tanz und Skulptur. Mein lang gehegter Wunsch, diese zwei Sprachen miteinander zu entwickeln.

Heut stand ich länger vor einem Schaufenster, in dem die Transparentpapierzeichnung architektonischer Studien über dem historischen Foto eines Bunkers lag. Innerhalb eines Grundrisses gab es viele Diagonallinien, die wie Sichtbeziehungen aussahen.

In den Formen trocknen die abgegossenen Reliefs, warten dann darauf, weiß grundiert zu werden. Aber mit der Malerei geht es erst im nächsten Jahr weiter. Vielleicht bemale ich jetzt noch ein paar Einzelscherben, als Ausstieg aus der Arbeit für dieses Jahr.

Wenn die kleine Baumskulptur mit den Scherbenflächen getrocknet ist, wäre das auch noch ein Objekt der Beschäftigung mit ein wenig Malerei. Das ist aber alles nicht so ernst.

Reigen mit Humboldtmaske

Statt mich etwas zurück zu ziehen, um  Abstand zu bekommen, entwickelte ich die Verquickungen der Tanzfiguren mit der Rückbauarchitektur weiter. Aus dem vagen Bühnenraum treten die Mitglieder der Forsythe Company in das Stahlgebälk des Palastes der Republik, wie oben in der Collage sichtbar. Der Reigen könnte mit der Wiedererrichtung des Hohenzollernschlosses fortgesetzt werden, alles verdeckt von der wandernden Humboldtmaske.

Am späten Nachmittag goss ich noch die Reliefs 1 und 2 ab. Mit dem Rest des Materials komplettierte ich die Skulptur aus Zweigen und Pappmache mit einer Fläche aus Scherben des 5. Reliefs. Ich stelle mir das Objekt auf einem Sockel vor, halb stehend, halb liegend, bemalt und von allen Seiten sichtbar.

Die heutigen Buchmalereien setzten das Auseinanderfliegen der Formen fort. Wie von einem Windstoß werden die Scherben verwirbelt.

Die Sonne veredelt die Transparentpapierzeichnungen. Eine fotografierte ich und verschickte sie.

Soundflächen

Die splittergefüllten Umrisse der Tanzfiguren und die Architekturfragmente des Berlin – Loop, fügen sich auf Rolle 8 zu einem Klang. Es ist als rauschten zwei Soundflächen aus weit auseinander liegenden Zeiträumen aufeinander zu, um sich in einer Kollision zu vermischen und dann neu zu ordnen. Bei diesen Tuschezeichnungen mit Rohrfeder, denke ich an Malereien von Jasper Jones, in denen er farbige Linienbündel nebeneinander setzte und in geometrische Muster goss.

Am Wochenende sahen wir zwei sehr unterschiedliche Abende in Schauspiel Frankfurt.

Zunächst, am Freitag in den Kammerspielen, eine Stückentwicklung mit dem Titel „1994 – FUTURO AL DENTE“. Meine Skepsis gegenüber dieser Teamarbeit hat sich wieder bestätigt. Trotz mancher temporeicher Blödelpassagen, über die ich wirklich lachen konnte, sackte der Spannungsbogen öfter in den Keller.

Ganz anders hingegen „Geschlossene Gesellschaft“ von Jean-Paul Sartre am Sonnabend auf der großen Bühne. Die Rückschau einer dreiköpfigen Besetzung aus der Hölle auf das Leben. Jede Figur findet nur sehr zögerlich zum Kern ihrer Geschichte. Die Mäander der verdrängenden Gedankenschleifen straffen sich in drei Monologen, die erst nach intensiver Nachfrage den Grund für den Höllenaufenthalt preisgeben.

Das Donnern der Abrissarbeiten brandet an die Atelierfenster. Eine finstere Resonanz aus den Metallcontainern.

3 Arbeitsstränge

Die letzten Frottagen für die Buchmalereien, habe ich mit einem Graphitblock angefertigt. Die Abbildung ist schärfer und gleichzeitig neutraler.

Während der Pausen zwischen der langsameren Arbeit, baut sich eine Spannung auf, vielleicht auch etwas Nervosität. Kaffekochen – Pflanzengießen – Wassergläser fallen um.

Der Weg ins Atelier, auf dem mir der Wind Tränen in die Augen treibt, ist kaum noch spürbar, vergeht schnell auch, wenn ich langsamer gehe. Die Zeit fühlt sich nebensächlicher an, und weil sie mit der Arbeitsleistung ein Paar bildet, verliert auch diese an Bedeutung.

Eine weitere, verdichtetere Dreiergruppe von Tanzfiguren entstand gestern, mit einer zusätzlichen Schellackschicht, nachmittags auf Rolle 8. Die Regelmäßigkeit mit der ich bei den drei Arbeitssträngen Buchmalereien Zeichnen auf der Transparentpapierrolle und Reliefmalereien bleibe, verleiht dem Tag Stabilität.

Berlinloop Tanzsequenz

Relief Nummer 8 ist fertig bemalt.

Auf Rolle 8 zeichnete ich an der Berlinloop – Tanz – Sequenz weiter. Etwas davon befindet sich in der Collage oben.

Ich möchte nicht aufgeben, das Material, das in den Überlagerungen auf Transparentpapier entsteht, direkt in die Malerei einzufügen. Gestern dachte ich dann an große preußischblaue Projektionen über die Rasterpunktscherben hinweg, die Gestalt des Doppelportraits beiseite lassend.

Wellen im Nebel, der Sound der Abrissgreifer, Überkopfkipper und der krachende Aufschlag der Innenausbauteile der Achtzigerjahre, die aus den, noch vorhandenen, Fenstern geworfen werden. Halden bilden sich am Fuß der sterbenden Gebäude. Verdichteter Zivilisationsabraum, in grüne Metallwannen, so groß wie Einfamilienhäuser, gepresst – Abtransport. Bald wird die Erde aufgerissen für die Fundamente, Abwasserrohre, Tiefgaragen. In die Baugruben wird das giftige Grundwasser unseres Geländes fließen. Der kontaminierte Sand, in den Schwemmlandzeiten langsam geschichtet und verfrachtet, wird so lange mit dem geschreddertem Abrissmaterial verschnitten, bis die Giftkonzentration den gesetzlichen Werten entspricht. Dann wird damit gebaut.

Erzählmethoden

Milchiges Winterlicht sickert von oben in den Raum und beginnt die Schatten der Pflanzen, die vor den Fenstern stehen, auf die große gespannte Leinwand zu werfen.

Um mich wieder auf die Malerei zu konzentrieren, habe ich Rolle 8, nach einer weiteren Umdrehung und einer erneut hinzugefügten Verdichtung, beiseite gelegt.

Poetische Methoden, die sich für gegenständliche Erzählmethoden eignen, sind beispielsweise in den gezeichneten Romanen zu finden, die sich so großer Beliebtheit erfreuen. An dieser Stelle hat sich ja offensichtlich in der gestalterischen Vielfalt viel getan. Inwiefern sich Teile davon auf die Reliefmalerei anwenden lassen, ohne sie zu verengen, will ich herausbekommen. Eine der abgeformten Scherben habe ich bereits mit Einzelmotiven auf ihren Splittern versehen. Wenn sie immer wieder ins Dunkel abtauchen, den Erinnerungen ähnlich werden, die sich dann aus sich selbst vervollständigen, habe ich eine Möglichkeit der Erzählung gefunden, wie sie mir mit den Vermischungen der Figuren vorschwebt. Ähnlich funktioniert das gerade auf Rolle 8 mit den Tanzfigurenumrissen.

Dann gibt es noch den Stil, den ich auf der großen Wandzeichnung im Rebstockimbiss ausprobierte, der sich mit den Splittern der Väterarbeit verbinden kann.

Nummer 8 | Nummer 8

Erst in ihrer Verarbeitung auf der Transparentpapierrolle mit der Nummer 8 kommen die reduzierten Ballettzeichnungen von 2003 zu einer größeren Entfaltung. Die Liniengeflechte, mit denen die Umrissfiguren angefüllt sind, stammen aus dem „Berlin-Loop“ und den, auf der Rolle vorausgegangenen, Tanzfiguren. So entsteht eine Prozession, wie an den ägyptischen Grabkammerwänden. Die kann nun immer weiterlaufen, sich verdichten und Personal hinzunehmen.

Im Zusammenhang mit dem „Handprint Wien“ entstanden, 2007 in der Freundgasse, Transparentpapierzeichnungen, in denen Grabmalereien eine Rolle spielen. Auch die Buchmalereien dieser Zeit sind sehr figürlich, teils mit feinen Tuschelinien gezeichnet.

Für heute aber legte ich mir das Relief, das auch die Nummer 8 trägt, auf den Tisch. Darauf existieren bereits die preußischblauen Gravitationsschwünge, die Graphitschraffur und die Schellackschicht auf den Scherben. Am Nachmittag nehme ich mir die Palette der vorausgegangenen Malereien zur Hand und male weiter.

In dem Buch „Dylan in Amerika“ von Sean Wilentz las ich über die Aufnahmesessions des Albums „Blonde on Blonde“ 1965 in Nashville. Eine Dokumentation von Teilen besitzen wir in einer schön editierten Bootlegausgabe. So konnte ich mich der Situation nähern und die Inspirationssituation betrachten.

Berliner Loop

Von hoher Warte aus einem Hotelzimmer, schaute ich auf Sicherheitsanlagen, Straßensperren, Wachleute und weiteres schweres Gerät von Zeltplanen überspannt, während im Wandbildschirm eine Kaminfeuerschleife lief. Hinter den Wänden und Absperrungen, der Berliner Weihnachtsmarkt.

Auf der Fahrt durch die finsteren Ostprovinzen, zeigten mir spärliche Lampen, Geländebewegungen des Zuges und schnell flackernde Leuchtspuren an, wo ich mich befand. Zwischen Eisenach und Erfurt, das Jugendland. Dom und Siveri, Gesträuche an den Gleisen Barockdächer, Backsteinwände der alten Reichsbahn.

Der Süden Berlins erwacht auch als Lichtererinnerung. Nur die langsamen Schienenstöße, die mit ihrem Rhythmus eine Ballettmusik für die Lampenfelder der großen Güterbahnhöfe spielten, klingen nicht mehr.

Andere Soundtracks außerhalb des Ateliers. Abrissmaschinen klingen wie Dinosaurier, dazwischen Dieselaggregate, Güterwaggons – Material für eine Komposition des Komprimierens.

Die Zeichnungen vom Freitag auf Rolle 8, erzählen meine Biografie im Spiegel des Ballettsaales der Forsythecompany. Baustrukturen des „Berliner Loops“ (Aufbau und Abriss des Palastes der Republik), Angstköpfe der antifaschistischen Revolutionsfilme und Tanzfiguren, die das alles in sich aufnehmen und verdichten.

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