Eingefroren

Vom Nachfahren der Linien der Tanzzeichnungen, mit Tusche auf das Transparentpapier der Rolle 8, lösen sich Erinnerungsblitze aus. Mit der Feder gehe ich durch die Bühnenräume und habe die Bewegungen des Ensembles vor meinen Augen. Wenn Ausschnitte dieses Geschehens auf meinem Papier angelangt sind und heute 17 Jahre später in andere gestalterische Zusammenhänge gelangen, kommt es mir vor, als seien sie der Augenblickhaftigkeit entrissen. Nun existieren die Bewegungen aus diesen Räumen weiter auf Transparentpapier oder im Pappmache der Scherben.

Aber erst in den Collagen treten sie zunächst in Verbindung zu den Splittern der Reliefs, die aus den Frottagen der Buchmalereien hervortreten, aus den Reliefformen in die Verläufe der Suchbewegungen, die zum nächsten Exemplar der Väterreliefs führen sollen.

Mir fällt die Verwandtschaft von Arbeitsweisen auf, deren Ergebnisse ich in den Tempeln im Himalaja sah. Dieselben Figuren werden in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Gesten dargestellt. Oft sitzen sie in einer Vierergruppe mit dem Rücken zueinander und bieten dem Besucher, der sie im Uhrzeigersinn umrundet, ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen dar. An den Wänden sind sie von weiteren sitzend Meditierenden, die in den Raum schauen, umgeben. Die Anordnung folgt einem Mandala, das hier seine dreidimensionale Entsprechung findet und Orientierung für die Meditation bieten soll.

Arbeitsweise

Die bewegliche, tanzende Kamera, inmitten einer getanzten Vorstellung, war ein Werkzeug von Thomas Jacoby in Heidelberg. Wir hatten ab und zu Kontakt und arbeiteten auch gelegentlich zusammen. Ich erinnere mich, wie er im Bockenheimer Depot Zeichnungen von mir von einem Kopienstapel nahm und mich anhand dieser erkannte. Im Netz sah ich eine Todesanzeige mit seinem Namen.

Die Zeichnungen von 2003 nehme ich mir nun vor, um sie auf weitere Verwendungsmöglichkeiten zu untersuchen. Gestern entdeckte ich eine, die aus einer einzigen, sich überschneidenden Linie besteht, und mehrere Figuren in einem Raum umschreibt. Diese Binnenflächen, die bei dieser Art zu zeichnen entstehen, bieten sich für eine weitere Verarbeitung an, rufen geradezu nach Vervollständigung, nach Füllung. So leben sie auf Rolle 8 wieder auf. Ich könnte mir auch Animationen mit diesem Material vorstellen. Tanzzeichnungen beginnen zu tanzen.

Im oberen Raum des Ateliers hängt die Skulptur aus Zweigen, mit Pappmache ummantelt, und Relieffragmenten. Leicht erkenne ich in ihrem Umriss eine Figur, die auf einem Gefährt steht. Es könnte ein Boot sein oder ein Luftschiffchen mit Segel. Immer, wenn ich erneut hinschaue, entdecke ich andere Konstellationen. Dieser Blick etabliert sich nun als Arbeitsweise für das nächste Reliefexemplar.

Kind of Blue, schnell ziehende Wolken und trockenes, elektrisches Licht.

Das Tanz – Abspaltungs – Thema entwickelt sich weiter auf Rolle 8. Tuschezeichnungen der letzten Tage fügte ich in die Collagen des heutigen Trios ein. In den Buchmalereien verzichtete ich auf dieses Thema und konnte ganz frei bei den Gravitationsschwüngen und der Frottage, von einem kleinen Teil der 5. Form, bleiben. Es fühlte sich zunächst gut an, die Themen auf diese Weise getrennt zu behandeln, um sie dann später zusammenzufügen.

Um diese Arbeitsweise auf die Reliefs zu übertragen, eignet sich zunächst wieder die Bearbeitung einzelner Scherben. Ich denke an roh belassenes Pappmache, nur teilweise weiß grundiert, an Tuschezeichnungen mit Feder und Pinsel und an Absperrungen und Verwischungen mir Schellack. Klare Formen, Zersplitterungen, die sich manchmal in Wolken auflösen. Es wird eine Zeit dauern, bis ich an das erste Format herangehe.

Die unterschiedlichen Arbeitsweisen auf der Transparentpapierrolle, in den Buchmalereien und auf den Reliefs, tragen schon die Spannung einer Spaltung in sich. Das Zusammenfügen ist schwer: Kind of Blue, schnell ziehende Wolken und trockenes elektrisches Licht.

Vorgeformtes Material

Auf dem Zeichentisch liegt ein Reclam-Band aus dem Jahr 1983. Es handelt sich dabei um eine hochdeutsche Fassung des Nibelungenliedes von Uwe Johnson und Manfred Bierwisch. Ab und zu greife ich zu diesem Stoff und denke dabei an meine Arbeit am Schauspiel Dresden. Von damals, etwa der gleichen Zeit, in der diese 8. Auflage erschienen ist, stammen Bühnenzeichnungen, Aquarelle und Collagen. Durs Grünbein war Regieassistent von Wolfgang Engel.

Die Bühnenzeichnungen sind den Tanzzeichnungen ähnlich. Diese Arbeit ist eine Beschäftigung mit künstlerisch mehrfach vorgeformtem Material. Die Neuinterpretation von Raumkonstellationen mit Figuren.

Mit einer Frottage von der Reliefform Nummer 5 und einer Ballettzeichnung aus dem Jahr 2003, fertigte ich eine Überlagerungssequenz an, mit der ich die zwei Figurenumrisse füllte. Die Weiterarbeit daran, soll mich der Arbeitsweise näher bringen, mit der ich mein Tanzthema der Abspaltung der Söhne von den Vätern in die Reliefmalerei einfügen kann. Die Grenzen der Scherben werden von den Gravitationsschwüngen beschrieben, die Brüche der Splitter, von den Überlagerungssequenzen der 4 Scherbengerichte, die ich auf der vorigen Transparentpapierrolle gezeichnet habe. Dieses Grundmaterial soll mich nun in weitere Aufsplitterungen führen.

Tanz | Abspaltung

Die ersten Versuche, innerhalb des Väterprojektes, mit dem Tanzthema umzugehen, fanden auf Rolle 8 und nun auch innerhalb der Buchmalereien statt. Die Gliedmaßen tauchen aus dem Nebel auf. Genau so kann das Thema langsam beginnen zu wachsen.

Außerdem gewann, innerhalb dieser Beschäftigung, ein Vorgang der Abspaltung der Söhne von den Vätern, in meinem Nachdenken an Bedeutung. Natürlich lassen sich diese Entwicklungen innerhalb der Familiengeschichten verfolgen und klar lassen sich Erfahrungen damit in der Literatur begutachten. Vielleicht gibt es das sogar auch in den Choreografien von Bill Forsythe. Ich denke aber die Splitterstruktur mit den Spaltfiguren zusammen: „Der Riss ist die Passage“.

Als Hintergrund für ein Interview mit Kayo im Rebstockimbiss, sah ich gestern mein Wandbild, immer im Verhältnis zu seinem klaren, persönlichen Migrationsbericht. Er ist ein guter Darsteller und Erzähler! Da fiel mir auf, dass der Ansatz der Gegenständlichkeit, wie er in diesem Wandbild verfolgt wurde und sich mit seiner Erzählung im Film verband, auch etwas mit dem nächsten Väterportraitexemplar zutun haben wird, aber von den Scherben strukturiert.

Kinesphärischer Garten

Ausweichend kümmere ich mich um die Pflanzen, koche Kaffee und beobachte die aktuellen Rückbauarbeiten. Heute wird das Tor abgerissen, durch das ich 20 Jahre lang das Gelände betrat, das schon einmal gebrannt hatte und seit dem als Ruine vor dem Gelände stand. Die Landschaft verändert sich. Die Sonne geht woanders auf.

Gestern legte ich alle fertig bemalten Tafeln auf den Boden, dass sie das Gesamtbild ergaben. Ich versuchte das Ganze zu fotografieren, was mir nicht so gut, nicht scharf genug gelang. Nun werde ich die Tafeln einzeln auf die Staffelei stellen, fotografieren und dann im Rechner zum großen Doppelportrait zusammenstellen.

Die Choreografinnen redeten im Anna – Freud – Institut von Tanzspiralen und kinesphärischen Experimenten. Lineare Entsprechungen dessen, ließen sich auf verschiedene Weise auf Papier herstellen und in die „Gartenkunst“ übersetzen, oder in Energieräume aus Weidenruten, Steinen, Erde, Wasser und Totholz. Die Flugbahnen der einfallenden Meisen werden in kurzen Strecken von gespannten Schnüren nachgeschrieben. Irgendwann kommen die Mauersegler wieder und lehren uns, für kurze Zeit, das Leben in Schwüngen.

Weiden und Tanz

Mit der Bemalung des ersten Exemplars des Väterreliefs bin ich gestern fertig geworden. Es folgt nun die Vorbereitung des nächsten. Das beginnt mit der Ausformung der nächsten Reliefrohlinge und deren Grundierung. Was dann aber folgen wird, weiß ich jetzt noch nicht. Die nächsten Arbeitsschritte werde ich erst gehen können, wenn ich das Tanzthema mit Materialproben und weiteren Überlegungen auf Rolle 8 vorbereitet habe.

Am Vormittag stellte ich während eines Supervisionstreffens im Anna –Freud –Institut die Rolle des Ateliergartens für das Projekt in den Mittelpunkt. Ich beschrieb die Arbeitsweisen, die die Gravitationsschwünge auf dem Papier und den Weidenrutenbiegungen an den Bäumen verbinden. Dabei kommen die Kinder den Prozessen des Wachstums vor dem Atelier näher und entdecken Natur als schützenswerten Partner, dessen Zerstörung sich rächt.

Ich kann mir vorstellen, dass sich die Spiralbewegungen des Tanzkurses mit den Gravitationsschwüngen und den Weidenbiegungen verbinden können. Ich muss das selber in die Hand nehmen und bei den Choreografinnen vorbeischauen. Das ginge zusammen mit meiner aktuellen Ausprägung des Väterthemas und dessen Weiterentwicklung auf Rolle 8.

Verlorene Substanz

Zeitiger als sonst geht mein Blick, nach der klaren, kalten Nacht, auf einen apricotfarbenen Horizont. Die Farbe tritt auf, als wäre sie aus den Reliefmalereien in den Himmel gesprungen.

Gestern hat man begonnen, das knapp hundert Jahre alte schöne Backsteingebäude abzureißen, das den Blick vom Gelände nach Südosten bestimmte und bisher unerschütterlich stand, auf seinem Grund. Über ihm ging in letzter Zeit die Sonne auf. Der Greifer krallte sich in die erste Hausecke, um sie zum Einsturz zu bringen und frisst sich seit dem in die alte handwerkliche Baustruktur. Der verlorenen Substanz werden Wohngebäude folgen, die nicht halb so lange stehen.

Die vorletzte und die letzte Relieftafel des ersten Exemplars des Väterportraits, bemalte ich gestern. Noch etwa zwei Stunden Arbeit, dann werde ich damit fertig sein.

2 Frottagen | 3 Gravitationsschwünge

Am Morgen wandert wieder dieses Licht von oben hinab auf die Tische. Charlie Parker – kein Trio – große Besetzung, aufgewühlt und ohne entspannte Ruhe. Die aufgekratzte Nervosität wirkt sich auf die Bewegungen der Linien und der Handballenverwischungen aus. Über Krähenfüße stolziert die Trompete am Schlagzeug vorbei, vorbei am Rauschen der Becken und den harten Schlägen auf den Rand der Trommel.

Ich ging von zwei rudimentären Frottagen von der 5. Reliefform aus und entwickelte die drei Buchmalereien zunächst durch drei Gravitationsschwünge in den Zwischenräumen. Sie überlagerten sich mit den konstruktiven Linien der Form. Die Übertragung der Strukturen unter den drei Malereien, schafft immer neue Konstellationen und Wiederholungen, die wie ein Fehler in der Matrix wirken, eine Wahrnehmung von Vermehrung und Variation der Formen.

In einem Schwung wurde das Relief mit der Nummer 1 farbig fertig. Ich wischte viel, beeilte mich, nun das Ende vor Augen. Dabei griff ich auf die Vorgänge der Buchmalereien zurück, konnte die Arbeitsweise in gewisser Weise übertragen Noch zwei Formate, dann kann ich mich um die Aufhängung des ersten Exemplars des Väterportraits kümmern, vielleicht noch ein paar Korrekturen machen und Schluss.

Am Morgen dachte ich über das nächste Exemplar nach, das sich auf ganz grafische Weise mit dem Tanzarchitekturthema befasst. Keine Malerei, nur die Verstärkung oder Abschwächung der Reliefstruktur mit Tusche, Schellack und Graphit. Da drinnen bilden die Tanzfiguren einen Erzählungsreigen.

Sehr langsame Veränderung

Von zwei Frottagen gehen zwei leichte Gravitationsschwünge jeweils nach Rechts. Die Arbeitsweise verändert sich sehr langsam. Schaue ich auf die letzten zwanzig Jahre der täglichen Buchmalerei zurück, hat sie sich dennoch stark verändert, allerdings in ihrer eigenen langsamen, vorsichtigen Kontinuität.

Zu den Themen Tanz, Wanderung und durchmessener Raum, kam nun der längst überfällige Triogedanke, der ja der Arbeitsweise der Buchmalereien innewohnt. Aus den unterschiedlichen Musiken, die sich diesem Dreiklang widmen, steht mir am ehesten der Jazz aus meiner Kinderzeit nahe.

Große Helligkeit sickert von oben in den Raum. Sie wird in einer Stunde die Arbeitstische erreicht haben, auf denen die Reliefformen, deren bemalte Abgüsse und die ganzen Materialien liegen, die ich benötige. Es geht nun um Ölmalerei mit ihrem Duft aus meiner Jugend.

Auf den Zeichentisch stehen Gläser mit Zeichenfedern, Stiften, Messern, Holzstäben, Pinseln und all den anderen Dingen für die Buchmalerei. Sie führt mich.

Wege

Das Relief Nummer 4 des ersten Doppelportraitexemplares, in der Zählung vom ersten bis zum 4. Scherbengericht, die jeweils aus vier Tafeln bestehen, habe ich gestern fertig bemalt. Das ist ein vergnügliches Arbeiten, das mich nicht gerade sehr fordert. Ich stelle diesen Teil der Arbeit zu den anderen zwölf Teilen, die bis jetzt fertig sind und werde morgen und in der nächsten Woche mit der Bemalung der letzten drei Reliefs beginnen.

Die Gänge auf den Altkönig wirken sich auf meine Beweglichkeit im Alltag aus. Mir fehlt die Arbeit mit den gewanderten Linien. Nach der Malerei am ersten Väterportrait, ergäbe sich die Möglichkeit, im Zusammenhang mit der Vorbereitung des nächsten, die BE WEG UNG im Raum der Stadt, mit in die Arbeit an den Tanzfiguren einzubeziehen, die eine entscheidende Rolle im nächsten Väterportrait spielen sollen.

Einen Gang in der Stadt Frankfurt kann ich außerdem nach Mumbai verschieben, ihn dort mit seinen notwendigen Veränderungen, die durch den anderen Grundriss der Stadt entstehen, gehen, um dieses Ergebnis dann in das Spiti Tal im Himalaja zu verschieben, und die Figur dort erneut durch eine Wanderung zu verändern. In Mussoori, der Hillstation am Fuß der Berge, bin ich ja schon einmal mehrere Hände gelaufen.

Wappentier

Die intensivere Arbeit mit den Buchmalereien, mit denen ich nun täglich 3 Collagen anfertige, führt mich auf Wege, die noch mehr mit den Sechzigerjahren zutun haben. Das kommt von der Beschäftigung mit den Jazztrios dieser Zeit. Und wenn ich diese Welt mit der meiner Kindheit verbinde, ergeben sich überraschende Überlagerungen. Aber das ist ein neuer Kosmos, dem ich mich langsam mit einer Sonde nähern will. Ausgangspunkt ist die Reihe von Jungpionierportraits, die ich vor einiger Zeit auf Transparentpapier zeichnete.

Gestern fotografierte ich eine Mauereidechse, die sich in meinem Gärtchen sonnte. Die S-Form der Körper dieser Reptilien, wäre ein schönes Wappentier für das Gelände von Teves West, ein Zeichen des Artenschutzes mitten in der Verdichtungswut.

Ich war im Netz auf der Suche nach den Wollfadengeflechten und damit kombinierten Figuren aus Widderschädeln zur Geisterabwehr im Himalaja. Ich fotografierte einige im Spitital und in Ladakh und würde diese Formensprache gerne in die S-Form der Tevesreptilien oder in die der Gravitationsschwünge der Weiden verwandeln. Diese skulpturale Vorgehensweise mit Geflechten aus Naturmaterial interessiert mich schon eine Weile. Ich begegne ihr ganz einfach durch meinen Blick auf die Umgebung. Das führt im Wald und vor meinem Atelier zunächst zu Landart

Auf den Berg!

Es ist ein sonniger Morgen. Ich habe mir vorgenommen, am Nachmittag den Altkönig zu besteigen. Ich sehne mich nach der Stille des Waldes, nach seiner Luft und den Bildern, die mich dort umgeben. Das Steigen ruft ein besonders angenehmes Körpergefühl hervor – tiefer Atem, Wärme und ein geschlossener Bewegungsablauf mit klarem Ziel.

Mit Preußischblau malte ich gestern die Gravitationsschwünge der letzten vier Reliefs und begann am Abend die Farbigkeit der Splitter anzulegen. Dieser Arbeitsgang lässt sich nun nicht mehr von den Buchmalereien trennen. Um aber das Großformat im geschlossenen Stil zu Ende zu bringen, fahre ich die Malerei mit angezogener Handbremse. Dennoch verfalle ich in eine nachlässigere Malweise und lasse sie gewähren.

Die täglichen drei Formate begleiten die Songs von Chet Baker, mit denen er sein melancholisches Trompetenspiel ergänzt. Inwiefern die Zeichnung oder die Farben davon beeinflusst werden, würde ich gern deutlicher erkennen.

An Rolle 8 mit einer neuen Tanzfigur, bin ich noch nicht rangekommen. Die Malerei hält mich zu sehr in Atem. Dennoch drängt es mich zu dieser Arbeit.

Kinästhetischer Baum

Auf Rolle 8 werde ich nun mit weiteren Tanzfiguren und Reliefstrukturen arbeiten, um das Thema für das nächste große Väterportrait vorzubereiten. Wenn ich dann, wie beim ersten Exemplar, wieder die Möglichkeiten der Malerei in Verbindung mit Tanzfiguren, direkt auf den Einzelreliefs probiere, ergeben sich im Fortschreiten der Arbeit sicherlich verschiedene Ansätze, deren Suchcharakter, der eigentlich in Entwurfsskizzen seinen Platz hat, dann als Malerei erhalten bleibt.

Gestern begann ich auf dem letzten Relief des ersten Portraitexemplares, die Schellackschicht über die Graphitstruktur zu legen. Damit werde ich heute fertig. Dann kommen die Gravitationsschwünge in Preußischblau, mit denen die richtige Malerei beginnt.

Die Skulptur, die aus einem Geäst besteht, das ich mit Pappmache umgeformt und mit Relieffragmenten versehen habe, klemmt nun in einer geschweißten Dreiecksgitterstruktur im Raum. Sie ist so etwas wie ein schwebendes Regal, in dem ich die verschiedenen Dinge, die ich beobachten will, unterbringen kann.

Im Gärtchen begann ich, die Äste der großen Weide in der kinästhetischen Weise zu verbiegen, die die Radien meiner Hände und Unterarme umfasst. Der tänzerische Ansatz führt zu einem choreografierten Baum.

Windmarimba, Trixelgrab und Gravitationsspannung

Weiter mit dem Triojazz in den Buchmalereien. Innerhalb der drei Collagen, die ich nun täglich anzufertigen begonnen habe, bekommt er zunächst eine Erweiterung, durch das Einbeziehen der Arbeit des Vortages. Die Konzentration, auf die es mir ankommt, kann sich erste in Zukunft herstellen, wenn ich diese Arbeitsweise eine Weile gepflegt habe.

In der Schirn sahen wir gestern die Malerei von Lee Krassner. Manchmal kamen mir die Malereien etwas ausgebremst und deswegen tendenziell dekorativ vor. Die Rigorosität ihres Mannes erreichte sie nicht, aber vielleicht eine größere Intensität in den Veränderungen ihrer Malweise. Und die war mir in vielerlei Hinsicht nahe.

Die Sehnen zwischen den markierten Kreuzungspunkten der Gravitationsschwünge brachten mich auf die Idee eine ähnliche Verfahrensweise mit meinen Schüler innerhalb von „You&Eye“ draußen im Gärtchen an den Weiden zu probieren. Mit Bindedraht oder Kokosschnüren können die Äste in derselben Weise gebogen werden. Die kinetische Energie, die in diesem Vorgang gebunden wird, verwandelt sich mit der Zeit, durch den Umbau der gewachsenen Struktur, in Form. Daraus wachsen in den Folgejahren neue Verzweigungen, die dann in wieder gebogen werden können.

Das Gesträuch des Gärtchens wird so zu einem Landartwerk, mit verschiedenen Themen: Windmarimba, Trixelgrab und Gravitationsspannung.

Trio

Ein Jazztrio spielt sich die Bälle zu. Das Solo des Bassisten wird zurückhaltend vom Klavier und Schlagzeug begleitet. So eröffnen sich alle drei Musiker im Verlauf des Stückes, das sie spielen Räume, nehmen sich selbst zurück, um die klaren Linien einer Improvisation des anderen Musikers zu unterstützen und herauszuheben. Dann kehren sie wieder gemeinsam zur Melodielinie, zur Voraussetzung ihres Zusammenspiels, zurück.

Bei den Buchmalereien ist die Frottage das Thema, das dreimal aufgenommen wird.


Das Verschmelzen und Verschwinden

Auf die Graphitschichten begann ich gestern Schellack, in der Form der Portraitsplitter, aufzutragen. Dabei kann ich die Strukturen, die durch die Schraffur, ähnlich, wie bei den Frottagen entstehen, etwas in den Hintergrund treten lassen. Das geschieht, wenn ich mit dem Pinsel und dem spiritushaltigen Material länger über den betreffenden Arealen kreise. Somit kann ich Nebelspaziergänge unternehmen, wie innerhalb der Buchmalereien.

Im Blick habe ich dabei die Ballettsaalzeichnungen, die sich nicht einfach mit den Splittern des Väterportraits verbinden lassen. Das ist wie mit den Dingen, die nicht zusammengehören. Weil in meiner Arbeitsbiografie aber die Beschäftigung mit Tanz eine wesentliche Rolle spielt, bin ich nun herausgefordert, diese sehr unterschiedlichen Strukturen miteinander zu verbinden.

Ich frage mich, ob ich das auch innerhalb der Buchmalereien vorbereiten kann. Überlegungen, mit denen ich innerhalb der Arbeit von Bill Forsythe konfrontiert war, würden hilfreich dabei sein können. Das Thema „Abwesenheit“ beispielsweise. Die Gravitationsschwünge der tanzenden Körper lassen die Splitter erst verschmelzen und dann verschwinden!

Wintergehölz

Aus den heutigen Buchmalereien ist ein Gegenstand gewachsen, der mir wie ein direktes Zeichen einer gegenwärtigen Anforderung erscheint. Ein orangefarbenes Pflänzchen leuchtet neben dunklem Nebel. Manches Holz von winterlichen Gesträuchen besitzt ja solche rötlichen Töne, die zwischen dem sonstigen Grau eine besondere Strahlkraft entwickeln.

Das gilt auch für die Gehölze, die auf dem grauen Beton des Tevesgeländes Fuß gefasst haben.

Ich bin zum Rückbau meines Gärtchens aufgefordert worden. Auf meine freundlichen Kompromissvorschläge will die Verwaltung des Tevesgeländes nicht eingehen. Anstatt dessen stellt sie ein Ultimatum.

Rundherum schwillt das Getöse der Abbrucharbeiten an. Die Donner der großen Metallteile, die in große, hohle Container fallen, klingen wie etwas entfernte Sommergewitter. Ansonsten aber greift das Destruktive um sich. Dachrinnen werden nicht repariert, die Tore zum Gelände sind nicht mehr abschließbar, Obdachlose ziehen in die Baracken ein, deren Dach noch intakt ist und die zerfledderten Reste des Blendfestivals zieren den Giebel der verfallenden Baracken.

Anderer Aggregatzustand

Gestern begann ich, die Graphitschraffur auf die ersten zwei der letzten 4 Reliefabgüsse für das erste Doppelportrait, anzulegen. Das strengte meinen rechten Arm, das Handgelenk und die Muskelstränge auf eine Weise an, dass mich in der Nacht, im Arm, Kontraktionen bewegten, die wie von kleinen Stromstößen auszugehen schienen.

Diese körperliche Wirkung auf mich, erweitert mein Interesse über meinen Lebenslauf, der mit den Vorvätern verwoben ist, hinaus. Anhand des Doppelportraits, kann ich diesem Interesse im Spannungsfeld abstrakter und szenisch-konkreter Suche, nachgehen.

Die Buchmalereien sind nun wieder bei der Schnelligkeit und Leichtigkeit angelangt, wie ich sie anstrebe.

Gestern schrieb ich das Stichwort „galaktischer Kannibalismus“ im Bezug auf meine Gravitationsschwünge auf. Diese mikrokosmische Verdichtung von farbigen Linien in Farbflächen, die vom Wasser in eine neue Konsistenz und Qualität überführt werden, ist wie die Wandlung in einen anderen Aggregatzustand.

Kein Nebelspaziergang

Das Schreiben erlebte ich gestern als eine Wohltat und gleichzeitig als Unternehmung. Ich spürte die Unebenheiten des Papiers, seine Struktur, die sich über die Feder des Füllers in meine Hand überträgt.

Die Malereien hingegen, machten mir eher zu schaffen. Ich wollte mit der Leichtigkeit eines Spaziergangs durch eine Nebellandschaft wenig Konkretes andeuten und gelangte doch immer wieder in einen architektonischen Rhythmus, in Fachwerk, Scherben und starre Gravitationsschwünge.

Heute ging es schon besser. In die Collage habe ich die dritte Malerei eingefügt und einigen Felder, für den Durchblick auf vergangene Strukturen, ausgeschnitten.

Nach der schönen Zeichnung vom 20.12. 2019, habe ich die Arbeit auf Rolle 8 unterbrochen. Es ist, als würde ich sie durch die Konfrontation mit anderen Strukturen beschädigen.

Die Pappmacheskulptur, die ich mit einem weiteren Relieffragment versehen habe, ist nun in der Form getrocknet, sodass ich sie herausnehmen kann. Die Weiterarbeit wird spontan und weniger ernst bleiben.

Spaziergänge

Die Buchmalereien, die unterwegs oder an anderen Orten außerhalb des Ateliers entstehen, entwickeln einen Charakter, der unabhängig von den Frottagen der Formen des Väterprojektes ist. Es entstehen andere „Erzählungen“, die sich nur aus den Schwüngen der Rohrgeflechte, die ich zitiere, entwickeln. Es sind Konkretionen, die öfter mit Kreissegmenten zutun haben, die in Nebeln verschwinden oder konkret aus ihnen hervortreten.

Das erinnert mich an die Spaziergänge, die wir in den letzten Tagen des vergangenen Jahres im Nebel unternahmen. Der Wald kam uns mir der Geschwindigkeit unserer Schritte aus dem Nebel entgegen, die Aststrukturen konkretisierten sich und bildeten hinter sich Räume mit enormer Tiefe.

Genau das versuche ich in den Buchmalereien, die sich nun wieder den Reliefstrukturen zuwenden.

Die nächsten Arbeitsschritte meines Projektes liegen klar vor mir. Heute beginne ich die letzten vier Formate des ersten Portraitexemplares zu grundieren.