Express

Am vergangenen Wochenende, während ich Ornette Coleman mit Aufnahmen von 1958 hörte, geriet ich innerhalb der Buchmalereien in eine expressive Bewegung. Das schaukelte sich etwas hoch, und ich fühlte mich ziemlich wohl dabei. Was da aufleuchtete, gab es bei mir schon vor 35 Jahren, in den gegenständlichen Zeichnungen aus Schauspielproben in Dresden und Heidelberg.

Jetzt fühle ich mich in dem Spannungsfeld zwischen den gestischen Liniengeflechten aus Gravitationsschwüngen, groben Beistrichen aus der Frottagenstruktur und den wolkigen Aufweichungen, sehr wohl. Die letzteren sind auch von feinen Handlinien durchsetzt, die mit ihrer Zartheit einen weiteren Kontrast zu den kräftigen Linien bilden.

Die Grauschattierungen, die durch die rhythmischen Berührungen des Handballens, den ich zuvor auf einem Schwamm angefeuchtet habe, verschwimmen, setzen sich aus vielfarbigen Schraffuren zusammen, die das Grundmaterial der Farbwolken bilden. Die häufigen Wiederholungen dieser Bewegungen, bekommen manchmal einen hämmernden Charakter. Und dann kommt es vor, dass in dieses getupfte Weichfeld noch mal eine harte trockene Linie schneidet.

Transparentpapier und Pappmache

Die Entwicklung des Bildmaterials, bzw. die Arbeitsschritte zu seiner Herstellung, läuft auf Rolle 8 geradezu planmäßig. Zwei angefüllte und verdichtete Tanzfigurenumrisse, habe ich wieder mit einer Frottage überlagert, deren Graphitlinien mit Tusche nachgezogen worden sind.

Der Haken dabei ist, dass die entwickelten Strukturen, alle auf dem Material basieren, das mich zu dieser Arbeitsweise alleinig in die Lage versetzt, Transparentpapier nämlich. Die Frage, wie ich die Figurationen auf Pappmache übertragen kann, bleibt bestehen.

Ich könnte sie einfach zeichnerisch übertragen. Das wäre die einfachste und vielleicht beste Variante. Wenn mir das aber nicht genügte, müsste ich eine andere Möglichkeit finden, die mit der Struktur und der Materialität der Reliefs direkt zutun hat. Es ist nicht sehr hilfreich, darüber noch weiter nachzudenken. Ich muss es einfach probieren.

Schutzgebiete

Das Weiterzeichnen auf Rolle 8 erzeugt immer neue Muster durch die Verdichtung im Wechsel mit Fragmentierung und Vereinzelung der Formen. Dadurch entstehen Zwischenräume, Freiräume, die manchmal nicht gefüllt werden dürfen. Sie sind wie Schutzgebiete, in denen nichts Zeichnerisches entstehen darf.

Ich dachte über das kontinuierliche Arbeiten mit alten Bildgestaltungsprogrammen nach. Ich benutze ein Fotoretuschierprogramm ja immer gegen seine eigentlichen Intensionen. Lange Zeit hantiere ich damit sehr eingeschränkt, nutzt die Vielfalt keinesfalls aus, sondern beschränke mich in den Mitteln. Das aber kann zu Neuerungen an anderer Stelle führen.

Das Zusammenfügen der Tuschezeichnungen mit den Buchmalereien, ist immer mit Verlusten auf beiden Seiten verbunden. Die unterschiedlichen Techniken passen oft auch nicht recht zueinander, behindern sich gegenseitig und stellen, wenn ich nicht aufpasse, kein rechtes Vorwärtskommen dar. Manchmal dauert es eine ganze Weile, bis eine Zusammenstellung, wie oben, fertig ist.

Jojo Rabbit

Die Tanzzeichnungen von 2003 bestehen oft nur aus einer oder zwei Linien, die Figuren umschreiben und sich mehrfach kreuzen. Daraus entstehen geschlossene Flächen, die auf die Transparentpapierrolle übertragen, mit den Liniengeflechten gefüllt werden können, die auf dem Papierstreifen zuvor entstanden sind. Deren Inhalt war, in den letzten Tagen, die Vereinzelung von fragmentierten Splitterflächen.

Nun ist es folgerichtig, wieder Splitterfrottagen der Stückformen des Väterportraits hinzuzufügen. Alles trifft in den Collagen aufeinander, von denen ich nun täglich 3 anfertige, was das Material für die nächsten Reliefbemalungen entscheidend vermehrt und verdichtet.

In einem schönen, kleinen Kino, das in mehrere Bars eingebettet, eine gepflegte und gemütliche Atmosphäre bietet, sahen wir auf Empfehlung von unserem Freund Michi „Jojo Rabbit“. Er hat das hervorragende Syncronbuch zu dieser Komödie geschrieben, in der ein Hitlerjunge hin und her gerissen ist zwischen seinem Freund, dem Führer und einem versteckten jüdischen Mädchen. Sehr gelungene Sequenzen, über die wir schallend lachen konnten. Bei manchen Wendungen hatte ich deswegen ein etwas schlechtes Gewissen.

Ähnliche Vorgänge | Wellenbewegung

Das Weiterführen von Vereinzelung und Neuordnung der Gestaltungspartikel, die aus der Begegnung von Frottagen der Formen des Väterdoppelportraits und den Tanzzeichnungen von 2003 entstehen, war Thema der gestrigen Arbeit auf Rolle 8. Es bildet sich eine Wellenbewegung aus Überlagerungen und Fragmentierungen. Dabei werden die laufend neu entstehenden Varianten der Umrisse auf ihre Eignung untersucht, als alleiniges Objekt zu stehen, oder in Verbund der neuen Splitter zu funktionieren. Eine weitere Überlagerungssequenz aus diesen Teilen, wäre ebenfalls denkbar.

Mit ganz anderen Mitteln bilden sich innerhalb der Buchmalereien ähnliche Vorgänge ab. Weil ich auf beiden Arbeitsebenen, der Transparentpapierrolle und den Miniaturaquarellen, derzeit auf die Vorgaben der 10. Reliefform zurückgreife, kommt es zu Ähnlichkeiten bei den Umrissen der Frottagen, Tuschzeichnungen und Farblinien. Manchmal treffen sie im rechten Winkel aufeinander.

Vormittags besuchte ich die Ausstellung mit Bildern von Vinzent van Gogh im Städelmuseum. Daraus ging eine freudig–kreative Stimmung hervor, eine Gemeinsamkeit aus der Liebe zu den Gärten und ihrem lebendigen Formenpotential.

Neue Zersplitterungen

Aus der Dynamik der Lücken in der Überlagerungssequenz auf Rolle 8, sind erneute Zersplitterungen entstanden. Sie führen zu neuen Figuren, mit denen ich weitere, abstrakte Geschichten erzählen kann.

Das Zusammenspiel der Buchmalereien mit den Formen des Väterreliefs über die Frottagen und die Weiterentwicklung der Transparentpapierrollenarbeit, führen zu Überlegungen, mich über kleinere plastische Arbeiten dem nächsten Väterportrait zu nähern. Weil die Frottagen, die sich mit den Tanzfiguren zusammenfügen, von Bereichen der Formen stammen, die ich auch fragmentarisch mit Pappmache abformen kann, ist es möglich zeichnerisch und plastisch mit dem vorhandenen Material in kleinerem Maßstab zu experimentieren.

Weitere Biegungen der nach außen strebenden Äste der Weide des Gärtchens leiten die Kraft nun nach innen um. Die Wirkung dieser kompositorischen Tat hat eine emotionale Komponente. Einerseits wird das natürliche Wachstum umgelenkt und begibt sich, bei anhaltender Biegung, durch die Schnur gehalten, fest in diese Form. Andererseits wirkt die Gesamtform des Baumes fast tänzerisch. Den Teilnehmern von YOU&EYE macht das Arbeiten mit den lebenden Naturmaterialien Freude. Steine und Muscheln zwischen den Schwüngen schaffen bildliche Massepunkte für die Gravitation.

Fehlstellen

Während der Arbeit auf Rolle 8 kam es gestern zu einer Begegnung einer Frottage von Splittern des 3. Scherbengerichts, von der Form Nummer 10, mit einer Tanzzeichnung aus dem Ballettsaal in der Oper, der nun bald Rückgebaut werden soll.

Innerhalb der Sequenz, die durch das Zeichnen der durchscheinenden Linien beim Zusammenrollen des Transparentpapiers entstand, ließ ich Lücken, um manche Überlagerungen erst in der nächsten oder übernächsten Umdrehung abzubilden. Dadurch entstand eine Komposition, mit einer rätselhaften Dynamik, die auf einer Länge von etwa einem Meter, eine große Spannung auslöst.

Diese Zeichnung berührt mich ähnlich tief, wie die vom 20.12. 2019, in der sich das Rückbauornament des Palastes der Republik mit einer Splitterfrottage und einer Tanzfigur verbinden. Woher diese Tiefe der Wirkung kommt, kann ich mir nicht erklären. Allerdings tat ich mich gestern eine ganze Weile schwer mit dem regelmäßigen Durchzeichnen der zunehmenden Verdichtungen und zwang mich zu den oben beschriebenen Fehlstellen.

Energie | Verdichtung | Konzentration

Das Steigen zwischen den hohen, kahlen Stämmen, die Lichtschattenlicht auf den beschneiten Waldboden des Altkönighanges zeichnen, wärmt. Der Atem geht ruhig. Eis zwischen den Steinen der Keltenringe, und kurz unter dem Gipfelplateau, südwestlich, ist es warm. Über den Schnee schnurrt eine Hummel.

Im Totholz des Gärtchens sonnte sich eine Mauereidechse. Dort und in den kleinen Erdhöhlen auf dem Beton überwintern sie. Sie folgten mir in mein Naturrefugium und ich fühle mich nun verantwortlich für sie. Dankbar bin ich, dass das von offiziellen Stellen unterstützt wird, auch von meinen Nachbarn und den Leuten, mit denen ich im Viertel zusammenarbeite. Manchmal ist das wichtig.

Die Gravitationsschwünge besitzen eine außergewöhnliche Energie. Die nach innen, in Richtung des Hauptstammes gebogenen Weidenruten, schaffen eine Verdichtung der Kraft. Im laufenden Jahr sprießen aus den Bögen wieder Triebe nach außen, die dann wieder gebogen werden können. Es ist spannend, wie sich der Baum in dieser Konzentration verhält.

Verwandlungen

Die Fortführung der Arbeit auf Rolle 8 begann mit einer relativ abstrakten Tanzzeichnung vom Februar 2003. Die Überlagerungen wandeln sich zu Kolonnen von gleichgeschalteten Linien, wie die von einer klassischen Tanzkompanie, die an der Rampe, im perfekten Gleichklang, die Glieder heben und senken, in einer Revue verdrehen und kreuzen. Das hat nur parodistisch mit der Forsythecompany zutun. Ein Rückblick auf Material, aus dem die neue Tanzsprache entstand.

Innerhalb der Buchmalereien geht es ganz anders zur Sache. Diagonalen sprengen dort den Gleichklang und die Wiederholungen ein und desselben Motivs, sind eher schmerzhaft erzwungen, wollen aufgelöst werden und als Dopplung verschwinden. Das alles löst aber jede Tendenz zur Starrheit.

In einer Buchkritik über den neuen Roman von Thomas Brussig, ging es gestern um die Verwandlung von zwei Jugendlichen in Waschbären. Eigentlich war die Kritik ein ziemlicher Verriss, inspirierte mich aber dazu, solche Verwandlungen, in meiner direkten Umgebung zu entdecken. Auslöser dafür können nebensächliche Begebenheiten sein. Ob dann aber immer Waschbären herauskommen, ist nicht gewiss.

Verlässlichkeit

Seit Freitag war das Atelier ohne Heizung, insgesamt also 4 Tage. Die Tore des Geländes stehen seit Monaten offen, weil die zerstörten Schlösser nicht repariert werden. Fallrohre und Dachrinnen funktionieren nicht, Sperrmüll wird abgeladen, Dämmstoffe fallen von den Wänden und überhöhte Nebenkostenrechnungen für die Reinigung der Flächen werden versendet. Der Zustand des schützenswerten Geländes, auf dem das Projekt „Soziale Stadt Gallus“, inmitten der Abrisslandschaften stattfindet, ist beklagenswert. Das drückt auf die Stimmung aller Mieter. Wir kümmern uns um das Viertel, bemühen uns um Zusammenhalt, entwickeln daraus ein Kraft, die das alles möglich macht. Und dafür benötigen wir eine verlässliche Unterstützung.

Gestern Abend kümmerte ich mich gemeinsam mit einem Mitarbeiter des Vermieters, um die Befüllung der Heizanlage, legte einen Schlauch aus meiner Küche hinaus zum Anschluss. Nun ist es warm, also konzentriere ich mich wieder auf meine Arbeit.

Das Licht sickert von oben in den Raum, kurze Sonnenaufgangssequenz am Morgen. Die Wirkungen auf die Farbigkeit der Buchmalereien und ihre Rückstrahlung auf mich, fiel mir am Morgen beim Scannen der 12 Malereien der letzten 4 Tage auf. Es handelt sich dabei um meine Hauptarbeit, die ich überall machen kann, ob ich unterwegs oder in einer beengten Situation bin.