Rasterung

Die Figurensequenzen auf den Transparentpapierrollen entstehen dadurch, dass Motive, die beim Zusammenrollen des Papiers durchscheinen, übereinander gezeichnet werden. Je größer der Durchmesser der Rolle ist, desto größer sind die Abstände der Wiederholungen. Der aufgewickelte Teil mit den schon gezeichneten Sequenzen der Vergangenheit, befindet sich derzeit auf dem großen Durchmesser der Rolle 8. Der kleinere besteht aus dem Papier, das noch bearbeitet werden wird. Ich kann also auch diese Seite, die kleine, rechte, Zurückrollen und dabei Figuren durchzeichnen. Der Abstand der so entstehenden Wiederholungen ist kleiner. Mache ich diese Hin- und Herbewegung mit unterschiedlichen Szenen, überlagern sie sich in unterschiedlichen Rhythmen, vergleichbar mit den Technobeats, die übereinander gelegt, auseinanderdriften und dann wieder zusammenfinden.

Wenn das per Bemalung auf das Relief übertragbar ist, wogegen nichts spricht, addiert sich eine neue Rasterung über die 4×4 Reliefteile. Auch das ließe sich noch weitertreiben.

Wegen der belastenden Abrissarbeiten in der direkten Nachbarschaft, bin ich gestern Nachmittag in den Wald geflohen. Ich fand alte, überwucherte Fischteiche an einem Bachlauf und an den Stämmen der alten, riesigen Buchen, Baumperlen.

Ostamsel

Jetzt fällt die große Backsteinfassade südwestlich des Ateliers den Abrissbaggern zum Opfer. Im Winter reichte ihr Schatten über die gesamte Betonfläche des Platzes. Der Westwind wurde durch die lange Nordwestfassade des, nun fast nicht mehr vorhandenen, Gebäudes gebündelt und zwischen unsere Häuser gedrückt. Die mikroklimatischen Verhältnisse werden sich nun verändern, wodurch das Gärtchen, in den kalten Jahreszeiten, mehr Sonne bekommt.

Die Amsel, die in den letzten Wochen darin hauste und die Erde zerwühlte, baut sich nun in der Mitte der Baumkrone der Robinie ein Nest. Ich lasse sie in Ruhe und werde, bis sie dort ihre Eier hineingelegt hat, die Äste nicht beschneiden. Schon einmal, in meinem vorigen Atelier, das ich selber gebaut hatte, nistete eine Amsel auf dem Querstück meines Ofenrohres, das nach draußen ragte. Als ich aber heizen wollte, nahm ich das Nest, mitsamt den Eiern und dem Vogel darauf, herunter, legte zwei Backsteine zur Isolation auf das Rohr und setzte sie wieder auf die Steine. Währenddessen blieb die Amsel die ganze Zeit heroisch auf ihren Eiern hocken. Eine Ostamsel!

In die Reliefformfrottage auf Rolle 8, fügte ich Tanzfiguren ein, wie bei einer normalen Überlagerungssequenz. Das ist noch zu mechanisch. Da muss noch was kommen!

Übertragung

Relief Nummer 6 goss ich gestern etwas stabiler ab. Das heißt, dass ich zum Pappmache mehr Kleister hinzufügte und eine dickere Schicht in die Form gab. Beim Hängen des ersten Portraits merkte ich, dass die Tafeln bei der weiteren Verarbeitung etwas mehr Festigkeit benötigen.

Vorher fertigte ich von den oberen zwei Dritteln der Form eine Frottage an, übertrug die Kantenlinien der Splitter und Scherben also auf Rolle 8. Die Tanzfiguren möchte ich nun gezielter in die Struktur einfügen, sie einerseits wieder mehr stilisieren und andererseits versuchen, die Arbeitsweisen der überlagernden Wiederholungen und Verdichtungen von den Transparentpapapierrollen auf die Reliefs zu übertragen.

Die Abrissmaschinen entwickeln Zementstaubwolken, die mich an die Kalima-Wetterlage in Fuerteventura erinnern. Im Rachen habe ich ein trockenes Gefühl, die Augen brennen und die Atemwege sind allgemein belastet. Das Stadtbild wird immer unwirklicher: vernebelte Luft und vermummte Leute in ihrer allgemeinen Ausweichchoreografie.

Getier

Der große Abrissgreifer kommt herangefahren, wie eine Belagerungsmaschine aus dem Mittelalter. Die Konstruktion der Zangen ornamentiert den Zerstörungsvorgang. Zementstaub legt sich über das Gelände, wie schon in der vergangenen Woche. Atemmasken erfüllen nun mehrere Zwecke.

Unbeeindruckt davon gehen die Tiere meines „Waldes“ ihren Lebensstrategien nach. Die Echsen wechseln von der Efeuinsel an der Atelierwand hinüber zu meinem Stapel aus Totholz, Erde und wachsenden Kräutern. Große Mengen von Kleinstlebewesen sind dort unterwegs. Verschiedenes Getier schwimmt auch in der Seerosenwanne. Das Eidechsenwäldchen besteht aus Ebereschen, Weiden, Eichen, Ahorn, Haselnuss, Birken, einem Walnussbaum und aus einer Robinie, die ich sehr im Zaum halten muss. Es gibt auch noch Gehölze deren Namen mir nicht bekannt sind. Sie bilden gemeinsam die schattigen Räume der Revierkämpfe, der Jagden und der Fortpflanzung. Außerhalb liegen die sonnigen Steine, deren Menge stetig zunimmt, weil ich einen Steinhaufen am Bahndamm, auf meinem Weg hierher, Brocken für Brocken abbaue und an den Rand des Gärtchens lege.

Über das Wochenende stand das bemalte Relief auf der Staffelei unter Beobachtung. Heute will ich das nächste Exemplar des Reliefs Nummer 6 herstellen. Dann male ich Nummer 11 fertig.

Und doch zieht es mich immer wieder hinaus, das Grausige zu schauen.

Auf der Reliefmalerei stellte sich mit der Tanzfigur von 2003, eine weitere ein. Nach einigem Probieren hat sich nun also eine Methode entwickelt, das Tanzthema mit dem großen Doppelportrait der Väter zu verbinden. Mit diesem Schritt, nimmt die Arbeit nun Fahrt auf. Mit leichterem Gang, kann der Kopf nun wieder gehoben werden und viel Neues erscheint im Blickfeld.

Die gestrigen zeichnerischen Vorgänge erinnern mich an meine Malerei in den Neunzigerjahren, als ich viel im Ballettsaal gezeichnet und mit dem des Tanzensemble des Heidelberger Theaters zusammengearbeitet habe. Diese Auseinandersetzung mit Bewegung, hat mir viel Material in die Hand gegeben, aus dessen Fundus, seien es die Zeichnungen, Erinnerungen und bildnerische Herangehensweisen, ich nun schöpfen kann. Indem mir das bewusst wird, blättere ich nun in den alten Zeichnungen, verbinde sie mit den Wandmalereien in Alchi oder Tabo und fahre auf den Reliefs mit Tusche und Schellack fort.

Kammermusik von Schostakowitsch begleitet die Abrissarbeiten in der Nachbarschaft. Noch sind die schönen Ornamente der Geländer an den großen Fenstern aus den optimistischen Sechzigerjahren zwischen dem steigenden Schutt sichtbar. Brutal springt der Greifer in die Fensterhöhlungen und auf der Folie dahinter erscheint das angstvolle Portrait des Komponisten aus den Dreißigern, dessen Musik mein Atelier anfüllt. Staub legt sich auf meine Atemwege. Ich schließe alle Tore meines Raumes und doch zieht es mich immer wieder hinaus, das Grausige zu schauen.

Arbeitsschritte

Die Überlagerungen auf Rolle 8, also die Verdopplung des gefundenen Figurenensembles und Verflechtung mit den Splitterkanten der Scherben 20, 34 und 35 im dritten Scherbengericht, kosteten gestern mehr Konzentration, als ich mir das für die Umsetzung dieser klaren Idee von gestern vorstellte. Die zusätzlichen Bruchkanten und die Oberflächenbeschaffung, veränderten bei der Übertragung von Rolle 8 auf Relief 11, die Figuren noch einmal, sodass eine Szene mit einer anderen Ausstrahlung entstand und sich weiter dorthin entwickeln wird, wenn ich sie fertig male. Bisher gibt es nur die gezeichneten Linien der beiden Varianten nebeneinander, getrennt von einer Tanzfigur aus 2003. Alle Tuschzeichnungen habe ich mit Schellack abgesperrt, wodurch die nächsten Arbeitschritte fließender werden. Die Tuschelasuren können lange stehen, trocknen und lassen sich besser verarbeiten.

In den Collagen für die Website klären sich manche Zusammenhänge und Klänge auf andere Weise. Ich kann die Motive aus anderen Perspektiven überprüfen, die Weiterarbeit entwickeln. Manchmal „teile“ ich die Buchmalereien mit meinem Enkel, der auch kreisende Linien malt.

Nach den Amseln, Meisen, Spatzen, Rotkehlchen, Eichelhähern und Rotschwänzchen, kommen nun auch die Ringeltauben und die gefährlichen Elstern zum Trinken in mein Gärtchen. Obwohl ich in einem Schlagloch auf dem Beton eine Wasserstelle betreibe, ziehen sie die Seerosenwanne und meinen Bottich zwischen den Weiden vor.

Forsythe-Training

Zunächst begann ich gestern auf Rolle 8, in die Frottage des Reliefareals, das ich als nächstes bemalen wollte, in die Splitter der Scherben 16, 18 und 33, des dritten Scherbengerichtes, ein Figurenensemble einzuarbeiten. Die Vorlage übertrug ich dann, mit Änderungen, die durch die Einbeziehung der Oberflächenstruktur der modellierten Splitter entstanden, auf die entsprechenden Scherben des Reliefs.

Nun aber kann ich, mit der lange praktizierten Technik des Durchzeichnens, währen ich das Transparentpapier aufrolle, die Figurengruppe erneut in die Splitter rechts davon einfügen und gleichzeitig durch Überlagerungen verdichten. In der Wiederholung der Motive ergäben sich neue Zersplitterungen. Eine weitere Übertragung der Ergebnisse auf das Relief, würde wieder mit den Veränderungen durch die Oberflächenstruktur begleitet. Diese Vorgehensweise würde auf allen Reliefs dieses Portraitexemplares durchhaltbar sein.

Die Figuren, die gestern entstanden, sind etwas steif und wenig tänzerisch. Die Bruchkanten der Splitter überschneiden sich mit den Gelenken, in denen die Glieder einzeln verdreht werden, wie beim Forsythe-Training.

Rokoko-Apfelmännchen-Prinzip

Die Produktion stockte gestern etwas. Ich saß vor dem Wind im offenen Rolltor am Tisch und arbeitete an der Reliefmalerei weiter. Fehler, die ich machte lenkten mich auf andere Wege. Ich dachte, diesen Arbeitsschritt doch mit Frottagen auf Rolle 8 zu begleiten. So könnte ich mit dem entsprechenden Areal des Reliefs, per Formfrottage, schon vorher Inhalte und Strukturen auf Transparentpapier probieren.

Die gebogenen Weidenruten im Gärtchen, entwickeln nun Äste an den Peripherien, die von den Bögen aus nach außen wachsen. Wenn die genügend verholzt sind, lassen sie sich in gleicher Weise biegen. Ein Rokoko-Apfelmännchen-Prinzip. Mittendrin, die erste Libelle des Jahres. All das lehnt sich gegen das allgemeine Herunterfahren aller Bewegung im Zusammenspiel mit der windigen Trockenheit und den Bedrohungen, die daraus erwachsen, auf.

In diesen Monaten des Rückzuges denke ich über die Kraft nach, die es noch brauchen wird, die begonnene Reliefmalerei auf allen 16 Tafeln, in dieser abwechslungsreichen Dichte, durchzuhalten. Schon die erste Tafel, mit der Nummer 11, ganz oben rechts, ist anspruchsvoll und fordert mich ganz.

Unruhige Komposition

Während der Buchmalereien am Morgen dachte ich an Jasper Jones, an seine farbigen Linienmuster, mit denen er sich lange beschäftigte. Innerhalb der Gravitationsschwünge, auf den daraus entstehenden Flächen, fertigte ich ähnliche Linienansammlungen an. Relevant wurde dieses Vorgehen für mich aber erst, als ich im zweiten und dritten Format des Tages, die Flächen und ihre Muster langsam auflöste.

Ich zeigte gestern meine neue Reliefmalerei B., um mir die Unsicherheit, die sich mit ihnen verbindet, zu nehmen. Das 11. Relief, mit dem ich die Tuschmalerei begann steht nun auf dem Mahagonigrafikschrank, meinem Gesellenstück, im scharfen Seitenlicht. Ich kann es mit dem vergleichen, das ich für das erste große Väter-Doppel-Portrait bemalt habe. Aus der Ferne vermischen sich Gegenständlichkeiten, gezeichnete Muster und Scherbenstrukturen zu einer unruhigen Komposition. Erst aus der Nähe können die Einzelheiten erkannt werden. Gestern Abend sah ich mit noch einmal die Wandmalereien von Alchi an, deren Detailfreude mich anspornt.

Im Gärtchen blühen die schönen weißen Dolden der Ebereschen und ziehen die Insekten an. Später, dann wenn die roten Beeren wachsen, kommen die Meisen, die Amseln und manchmal auch ein Eichelhäher. Am Wochenende habe ich die Pflanzenregale rausgestellt, die ich mit ein paar Sukkulenten füllen will. Alles andere, was rundherum wächst wird vom Ostwind weiter ausgetrocknet. Ich wässere meine Pflanzen regelmäßig, auch die der Nachbarn, die nicht da sind. Wenn ich meine Totholzstapel rücke, kommen mir viele kleine Lebewesen unter die Finger, die sich da wohl fühlen, aber auch von den Mauereidechsen gejagt werden.

Geschwindigkeiten

Die Feder meines Füllers zwingt mich langsamer und kleiner zu schreiben. Dadurch entsteht etwas mehr handschriftlicher Text, und ich beschäftige mich länger mit meinem Erinnern, Hinschauen und Tasten.

Weniger ernsthaft malte ich gestern weiter an meinem Relief. Die Angst vor Banalität weicht dem Spielerischen. Allzu konkrete Anspielungen kann ich mit einem Schellack-Tusche-Gemisch zurücknehmen oder ganz verschwinden lassen.

Die Buchillustrationen meiner Kindheit erscheinen manchmal auf der Projektionsleinwand hinter meinen Augen. Die süßlichen Wunschländereien der Erwachsenen. Auf derselben Leinwand überfallen mich aber auch morgens beim Aufwachen, sehr schnell laufende Diashows. Was da inhaltlich abläuft ist schwer zuzuordnen. Aber ich glaube, dass es sich um zusammenhangslose Bildfolgen handelt, die aus abstrakten Strukturen und gegenständlichen Szenen bestehen. Meist versuche ich dieses schmerzliche Bombardement schnell zu beenden, indem ich die Augen öffne. Aber das ist in meiner derzeitigen Arbeitssituation vielleicht nicht richtig, denn das was ich jetzt male, ist genau so etwas in anderer Geschwindigkeit.

Figuren-Raum-Erinnerungen

Die derzeitige Tuschmalerei, die abstrakte Elemente auf das Relief Nummer 11 bringt, löst die gegenständlichen Erinnerungen aus, Figuren-Raum-Erinnerungen. Ähnlich bin ich bei der Wandmalerei in der Kaschemme vorgegangen und habe mich damit drei Monate wohl gefühlt. Es ist auch jetzt so, dass diese Arbeitsweise einen Schub auslöst, der aus der Neugier kommt, was in dieser Weise noch alles entstehen wird. Weil mich das ganz und gar beschäftigt, sehe ich bei der Bearbeitung von Rolle 8 einer Pause entgegen.

Das Relief steht zur Beobachtung auf der Staffelei und ist ein Magnet für mich, der mich in Gravitationsschwüngen darum herum kreisen lässt. Die Wege führen um den Zeichentisch, durch das offene Rolltor und das Gärtchen, in dem sich die Eidechsen aufwärmen. Amseln graben meine Blumenbeete um, baden im Seerosenbottich und lassen mich nahe an sich heran.

Parallel zu der Lektüre von Aleida Assmanns Intervention zur Erinnerungskultur, denke ich über die Folgen der medialen Aufarbeitung der Nazigeschichte im Fernsehen der DDR nach. Sie hat bei mir tiefe Spuren hinterlassen. Die Abzählreime der Kindheit verflochten sich mit den Appellen von KZ Insassen, bei denen abgezählt wurde, um jeden 3. zu erschießen. Aufgaben, denen ich als Kind nicht gewachsen war, waren in meiner rückwärtigen Erwartung immer mit dem Tod bedroht. Die zeitliche und strukturelle Nähe meiner gesellschaftlichen Umgebung zum Naziregime ahnte ich offensichtlich. Der Jugendwerkhof als Konzentrationspunkt für Erinnerung.

Neu zusammengesetzt

Mit der Tuschmalerei erinnere ich mich. Die abstrakten Muster, mit denen ich die Splitter der Reliefs fülle, rufen vergessene Gegenstände auf und bilden untereinander, durch das Sichtbarmachen, neue Zusammenhänge. Teilweise verfließt die Tusche im Wasser, franst aus und bildet Wolken. Dort hinein schneiden dünne Linien, die ich mit der Rohrfeder ziehe. Schellackschichten festigen das zarte Geschehen, machen es unangreifbarer, sorgen aber auch dafür, dass Tuschewolken ganze Areale abdecken können, ohne sie gänzlich verschwinden zu lassen. In dieser Weise begab ich mich gestern in die Malerei am zweiten Väterportrait. Aus Bewegungen, die eher langsam und feinmotorisch bestimmt sind, folgte bisher nur manchmal eine größere Geste. Mit fortschreitender Arbeit wird sich das ändern.

Frau Kanamüller vom Stadtplanungsamt schickte mir eine dicke Broschüre über unsere gemeinsame Arbeit an der Sozialen Stadt. Aus dieser Tätigkeit wuchs, nachdem ich das Gelände zunächst alleine besetzt hatte, unser Teves als ein „Leuchtturmprojekt“. Alle Werkgruppen, die bisher hier entstanden sind, verbinden sich mit dieser Arbeit und entwickeln sie vor allem weiter.

Aleida Assmann beschreibt in ihrem Buch „Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur“, eine Hinwendung zur Geschichte, wie ich sie in diversen Arbeiten, ausgehend von den Wanderungsspuren unternahm. In den Zersplitterungen des Väterprojektes bilden sich auch die Fundstücke der Ausgrabungen ab, die ich zum Zwangsarbeitergedenken machte. Die zersplitterten Erzählungen des Ortes, an dem ich arbeite, werden auch neu zusammengesetzt und ergeben so die Sinngebung der hiesigen, erzählenden Arbeit.

Arbeitsleben

Die Abrissmaschinen donnern und endlich beginnt das Arbeitsleben wieder. Die Sonne kommt seitlich durch das Glas, heizt das Atelier schnell auf und fällt als Streiflicht über das Relief mit der Nummer 11, das ich nun bemalen möchte. Im Liniengeflecht hält es Figuren bereit, die ich sichtbar machen und wieder verschwinden lassen kann. Sie gehen eine Beziehung mit den Umrissen der Tanzzeichnungen auf Rolle 8 ein.

In der Nähe von Schlossborn, hinter dem Feldberg, haben wir einen Weg entdeckt, der an einem Bach und Fischteichen vorübergeht, zwischen Waldrand und hügeligen Wiesen. Nahe unter der Wasseroberfläche stehen sonnenbeschienene Rotfedern in den Teichen, am Rand ein Graureiher. Wenige Menschen sind dort unterwegs, manche zu Pferd. Aus den Hängen tritt an vielen Stellen Wasser. Sumpfdotterblumen, Schilf und Weiden wachsen in teilweise naturbelassenen Auen.

Während der Feiertage räumte ich den Großteil meiner Pflanzen, die ich zum Überwintern in Regalen vor den Fenstern stehen hatte, nach draußen. Dort stehen sie auf dem Beton und erweitern das Gärtchen. Nachdem die Temperatur gefallen ist, sind die Eidechsen wieder verschwunden. Nur manchmal stecken sie ihre Köpfe aus dem Lochziegel unter der Acrylkuppel in die Sonne.

Getier

Im offenen Rolltor steht auch in diesem Sommer ein Zeichentisch direkt vor dem Ateliergarten. Dahinter, in den Weiden und Holzstapeln, gestalte ich Biotope für Schwebfliegen und Eidechsen . Sie ernähren sich von den Pilzen, Milben, Asseln in den Löchern in den Steine und Hölzer. In den Wasserbottichen baden die Vögel und bringen ihrerseits Getier und Samen mit. Schnecken, Regenwürmer und Spinnen kommen aus den Überwinterungsquartieren, gleiten und huschen zwischen den allgegenwärtigen Eidechsen.

Am Bahndamm habe ich 5 Weiden gepflanzt, die Rohstofflieferanten für weitere Objekte werden sollen. Deswegen gieße ich sie täglich, wie auch den Garten.

In den Buchmalereien bildete sich heute eine gewisse Strenge und Zurückhaltung, wenig Spiel… Auf Rolle 8 verdichtete ich die Figurensequenz mit drei Paaren weiter. Zwischen den dunklen Tuschefeldern, bleiben durchscheinende Linien stehen. Sie schaffen eine Formenvielfalt und etwas Unruhe. Was sich daraus entwickeln wird, weiß ich nicht. Deshalb zeichne ich es.

Wann ist Schluss?

Wann ist Schluss? Das ist die entscheidende Frage während der Buchmalerei, während der Lasurmalerei, der Tuschzeichnungen auf Rolle 8. Die Überlagerungssequenzen verdichten sich oder werden Schritt für Schritt ausgedünnt. Immer soll sich daraus eine Spannung oder Intensität steigern, bei der ich das Gefühl habe, weitergekommen zu sein.

Am Abend grundierte ich das Relief mit der Nummer 11, das ich vor einiger Zeit mit Pappmache abgeformt habe. Leider ist es übernacht etwas wellig getrocknet, weswegen ich es noch mal anfeuchten will, um es zwischen zwei Brettern zu trocknen. Dann wird es mit der neuen Tuschmalerei ernst. Die Mischung abstrakter Formen mit Figurenmaterial aus der Vergangenheit, auch wenn es aktuell aus meinem Kopf entspringt, kommt es von daher, trägt schon in sich Reibungsenergie. Auch die Muster von Kleidern haben das, meine Figurensequenzen auf den Transparentpapierrollen und die Malerei, die ich nun vor mir habe, ebenfalls.

In einem Briefumschlag kam gestern eine Zeichnung meines Enkels. Man könnte nun eine Mailartaktion beginnen, hin und her.

Tanzmasken

Mit Tusche zeichnete ich gestern auf die Relieffläche des dritten Objektes zwei Figuren. Sie erstrecken sich über vier Scherben, nähern sich an Kopf und Schultern einander, sind aber im engeren Sinne keine Tanzfiguren. Aber das wird ein Weg, mit dem zweiten großen Doppelportrait der Väter zu verfahren. Auch auf Rolle 8 entstanden neue Figuren einer fokussierten Suche nach dem nächsten Schritt.

Mir ging noch einmal die Popularchoreografie durch den Kopf, die die Menschen draußen oder in den Supermärkten in ein anderes Bewegungsmuster drängt. Gleichzeitig beginnen sie mit Masken, Teile ihrer Identität zu verbergen. Weiße Masken auf schwarzen Gesichtern und umgekehrt. Theaterleute demonstrieren gegen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und verteilen Grundgesetztexte, werden von der Polizei zerstreut oder verhaftet.

Bei meinen Tanzfiguren gibt es mehrere schwarz maskierte Gesichter, denn

„DER TOD IST DIE MASKE DER REVOLUTION

DIE REVOLUTION IST DIE MASKE DES TODES“;

wie wir von Heiner Müller erfahren haben. Im Atelier hängen viele Tiermasken mit Menschenportraits bemalt.

Popularchoreografie

Die Bewegungen, die vom Wind in Gang gehalten werden, lassen die Gestalt des Ateliergärtchens flirren. Tibetische Gebetsfahnen, Birkenblätter, Wasserflächen und deren Reflektionen. Dazu kommen die Schwebfliegen, die Blaumeisen und natürlich die Mauereidechsen.

Es entstanden am Wochenende Zeichnungen auf Rolle 8 und natürlich Buchmalereien, die in letzter Zeit ohne Frottagen entstehen. Nur aus den Bogenlinien, Spiralen und kreisenden Bewegungen wachsen die Weichen Verwischungen, harten Geraden und Figuren. Wenn ich diese aber mit den Tanzfiguren collagiere, entsteht sofort etwas wie eine Bewegungsaufzeichnung im Raum.

Ein Telefonat am Morgen hat meine Arbeitslust noch mehr angeschoben. Ich erzählte ein wenig, was ich mache, schaute mich währenddessen im Atelier und im dazugehörigen Gärtchen um. Auf dem Beton fand ich ein Stück Gips. Mit dem zeichnete ich zwei Schwünge und eine Spirale auf den Boden. Dabei fiel mir ein, dass die derzeitigen Abstandregeln im öffentlichen Raum eine Art Popularchoreografie schaffen. Sie ähnelt einem Raum von Bill Forsythe im Museum für Moderne Kunst, in den man sich mit vielen Menschen gemeinsam so bewegen sollte, dass zwischen ihnen immer mindestens ein Abstand von einem Meter bleibt.

Weiter Raum um mich

Die Transparentpapierrolle habe ich etwa einen Meter aufgerollt und hingestellt, damit das Licht einer Architektenlampe, die ich sonst zum Zeichnen benutze, von hinten hindurch fällt. Die so beleuchtete Tanzsequenz bekommt dadurch einen tiefen Raum, der den Abstand der Figuren noch mehr betont. Ich fügte gestern zwei weitere Figuren hinzu, die aus den Kulissen heraustreten, den Kontakt zueinander verlieren und vereinzelt einer weiteren Überlagerungssequenz entgegensehen.

Mit den Buchmalereien hörte ich heute vorzeitig auf. Ich wollte den Beginn, in seiner knappen Form erhalten, weil ich glaube, dass auch davon eine Verdichtung ausgeht.

Seit ein paar Tagen fühle ich einen weiten Raum um mich, der sich mit viel Arbeit füllt. Das scheint eine Folge der Kontaktsperre zu sein, die uns durch den neuen Virus auferlegt ist. Es wächst die Empfindung, dass die Leichtigkeit der Produktion zunimmt. Und so gelingt auch viel. Beispielsweise erscheinen mir die Bemalungen der neuen Objekte, die ich gestern fortführte, sehr folgerichtig und spannungsvoll. Im Garten setzte ich die Weidenbiegungen fort, pflanzte am Bahndamm ein weiteres Baumexemplar und fädelte Meeresschneckenhäuser auf, die ich in die gebogenen Schlaufen hängte. So wird das Gärtchen zu einem kompakten Landartobjekt.

Außen | Innen

Nach einem normalen Vormittag mit meiner Arbeit an den Buchmalereien, Texten und Collagen, verbrachte ich noch etwas Zeit im Gärtchen und auf dem Gelände, kümmerte mich um die Weiden und die Objekte, die mit ihnen und den aufgefädelten Steinen zusammen entstehen.

Am Nachmittag war ich im Taunus. Im Schatten des hohen Waldes war es kalt. In seinen dunklen Ecken lag noch Schnee. Auf den Sonnenflecken aber war der Boden trocken und warm. Dort räumten Ameisen, Hummeln brummten und suchten nach Nahrung. Auf dem Gipfelplateau des Altkönigs versammelten sich all die Leute, die den Stillstand nutzten, um dort oben zu lagern und Abstand zur allgemeinen Aufregung zu finden. Nur der Wald bietet noch wenig eingeschränkte Bewegungsfreiheit.

Zurück im Atelier sah ich auf die Erscheinungsbilder des aufblühenden Frühlings, habe meine warmen Sitzplätze, von denen aus Beobachtungen des Himmels über den Abrissruinen möglich sind. Dort finden sich die zurückgekehrten Vögel, kaum Wolken und die Luftkämpfe der Greifvögel mit Krähen und Scharen von großen Möven. Innen arbeitete ich am 2. Objekt weiter, versah es mit einer Schellackschicht, die verhindert, dass das Wasser, das die Tuschewolken fließen lassen soll, nicht zu schnell aufgesogen wird. Das Spiel zwischen spröden trockenen Linien und den weichen Verläufen, ist ein spannendes Element bei der Bemalung der Reliefs, die nun neu ansteht.

Weiden

Für die Buchmalereien nahm ich mir einen löchrigen Basaltstein mit einer geraden Schnittfläche zur Hand, um mit Wasser und Aquarellfarben Abdrücke herzustellen. Diese Vorgehensweise übte ich schon vor ein paar Wochen, als man noch auf die Kanareninseln fahren konnte. Die Kombination mit den Gravitationsschwüngen und unterschiedlichen Figuren, die ich aus ihnen entwickelte, führt mich fort von den Frottagen, die ich von den Reliefformen abgenommen hatte. Ohne die Frottagen fühle ich mich nun bei der Gestaltung der täglichen Malereien freier.

Die Arbeit an den Sequenzen von Rolle 8 geht mit der Bemalung der Weidenruten-Relief-Objekte einher. Und die Objekte verbinden sich mit den gebogenen Schwüngen, die ich an den Weiden im Gärtchen vermehre. In dem halten sich nun sehr viele Mauereidechsen auf. Auch an der Kräuterspirale, auf der Wiese, zählte ich gestern alleine 9 Exemplare. Das kommt vom Sonnenschein und der relativen Kälte im Schatten.

Am Bahndamm setzte ich die Weidenzweige, die ich den Winter über ins Wasser gestellt hatte, damit sie Wurzeln ziehen, in die Erde und gieße sie nun täglich. Sie sollen mir Material zum Bau von Objekten zur Verfügung stellen, die sich weiterhin mit dem Väterprojekt verbinden lassen.