Unfertiges

Das dritte Motiv auf dem Relief ist wieder eine Tanzzeichnung mit mehreren Figuren. Nach der Übertragung auf die unruhige Oberfläche, benötige ich noch 2 Elemente, die ich in die Komposition einfügen will. Die Hoffnung liegt dabei in den Buchmalereien. Deren tägliche Entwicklung schafft Sicherheit zwischen den Buchdeckeln. Oft genug treibt mich die Unzufriedenheit mit ihnen an. Dann besteht die Tendenz, zu viel zu machen. Der klare Schusspunkt, wenn er auch ein Bekenntnis zum Unfertigen beinhaltet, rundet den Vorgang ab.

Manchmal stelle ich sie mir schon während der Malerei, in den Werktagscollagen vor. Das sollte nicht sein, es ist aber manchmal schwer von der weiteren Verwendung beim Malen abzusehen. Die Herausforderung bei den Collagen besteht insbesondere darin, dass sie sich nicht zu ähnlich sehen sollen, denn oft treten wesentliche Elemente in allen dreien gleichzeitig auf.

Von meinem Schreibplatz im geöffneten Rolltor zum Gärtchen hin, sehe ich eine Ringeltaube auf dem Rand des Seerosenzubers sitzen. Sie wartet lange, um zu trinken, schaut sich immer wieder um und starrt dann auf die Wasseroberfläche. Vielleicht will sie auch von den Schlingpflanzen essen, die wohlschmeckend sein sollen, wie mir die vietnamesische Küchenhilfe vom Restaurant gegenüber versicherte. Dann schlägt sie den Kopf auf die Wasseroberfläche, als wolle sie zwischen den schwimmenden Seerosenblättern Platz zum Trinken schaffen. Das geht dann schnell und sie fliegt raschelnd auf.

Übung für das Irrenhaus

Ich denke über das Arbeitsangebot von F., dass mir Gelegenheit gibt, mal aus meinem Hamsterrad herauszukommen. Vielleicht ergeben sich auch thematisch andere Perspektiven, als die des Väterprojektes, mit dem ich mich seit Jahren beschäftige. Ich möchte vorher nicht so viel konzipieren, eher abwarten, was entstehen wird. Der einzige Rahmen wäre die erste gemeinsame Zeichnung, auf die wir uns immer wieder beziehen und die Rhythmik der Bewegungen aufeinander zu und voneinander weg.

Das Tanzmotiv, das in der heutigen Collage eine Hauptrolle bekommen hat und die Figur aus Tabo, zeichnete ich gestern auf das Relief, das ich aktuell bearbeite. Auf der Suche nach Figurationen, die sich in Spannung hinzugesellen können, entstand in den heutigen Buchmalereien ein Paar, das einer gefalteten Blüte zu entspringen scheint.

Nun lerne ich mit den täglichen Verwüstungen der Amseln in meinem Gärtchen umzugehen. Es ist eine Übung für das Irrenhaus, das ich täglich 4-mal zwischen Wohnung und Atelier durchquere. Ich bewarb mich mit meinem, in knapp 20 Jahren gewachsenen, Garten für eine Ausstellung im Architekturmuseum, bei der es um die versteckte Stadtbegrünung geht. In dem kurzen Bericht, den man online abgeben sollte, beschrieb ich, wie Laub zwischen die Blumentöpfe geweht wurde, und damit alles anfing.

Gemeinsame Arbeit

F. mich besuchte gestern. Auf meinen Vorschlag vor einiger Zeit hin, eine gemeinsame Arbeit zu versuchen, regte er nun ein Projekt an. Über gemeinsam gestaltete Blätter, wie mir das vorschwebte, hinaus, würden wir mehr entwickeln. Im Zentrum könnte eine gemeinsame Zeichnung stehen, von der ausgehend, andere Dinge erzeugt werden. Aber immer wieder soll der Blick zurück auf den Anfang gehen, auf dessen Entwicklungsmaterial wir uns beziehen. Spontan schlug ich vor, dass ich, irgendwann im Verlauf der Arbeit, Objekte baue, die er bemalen kann.

Die Schmerzensfigur aus Tabo, die von drei Vögeln attackiert wird, übertrug ich gestern im Zentrum des neuen Reliefs. Dazu kommt nun eine Tanzzeichnung, und dann werde ich sehen, ob ich mich in der weiteren Arbeit auf die Buchmalereien beziehen kann. Sie verblassen gerade etwas um Nebel, suchen unentschlossen, ein weiter neuer Schritt zu gehen.

Am Vormittag bin ich mit den Wässern der Gärten, dem alten Ahorn, der Wiese und des Ateliergärtchens. Das lenkt mich etwas ab. Der Blick zum Himmel oder in den Wettervorhersagen, sieht unsere Region eher trocken bleiben. Mich.

Formen in den Räumen

Am Morgen wässerte ich, gleich nach dem Frühstück, den alten Ahornbaum, der den Blick durch die Fenster auf der Alleeseite dominiert. Manche seiner Blätter bekommen, trotz meiner Pflege, schon braune Spitzen. Dieser fehlende Regen macht mich nervös. Nach dem Supermarkteinkauf langte ich im lärmumtosten Atelier an. Abriss, Zerkleinerung der Betonbrocken, Sortierung in Stein, Metall und Holz, Gleisbau auf dem Bahndamm und Grundrauschen von der Autobahn.

Ich grundierte gestern die Reliefs und versuche nun die Konzentration zu finden, um erneut in die Malerei einzusteigen. In den Buchmalereien suche ich nach neuem Material. Kulissen, Figuren, ein Fisch, Schwünge, Dreiecksgitter und Farbwolken. Es geht nur langsam voran. Ich sollte mal pausieren und zu den Objekten wechseln, zu Rolle 8 oder gar zur Holzbildhauerei im Zusammenhang mit geschweißten Gitterkonstruktionen … Oder einfach Pause machen, weg von der Priorität der Produktion.

Die Mauersegler sind abgereist. Der letzte Teil des Sommers beginnt. Die Flugkurven kreisen noch nach, sind noch wahrzunehmen, wenn ich mich anstrenge. Formen, die in den Räumen bleiben, obwohl sie schon fort sind. Ich biege die Weiden den Flugschwüngen nach, baue ein wenig Sommer in die Objekte des Herbstes ein.

Reliefs | Theater | Landart

Wie geplant, sind die Reliefs, die ich am Ende der vergangenen Woche mit Pappmaché abgeformt habe, nun trocken. Das heißt, dass ich sie heute grundieren und mit der ersten Schellackschicht versehen kann. Dann bereite ich die herausgesuchten Zeichnungsmotive so vor, dass ich sie auf die zersplitterte Fläche übertragen kann.

Am Wochenende sichtete ich alte Zeichnungen. Manchmal rührt sich in mir die Stimmung, in der sie entstanden sind. Vieles kommt aus Theaterzusammenhängen, von Schauspielproben, in denen ich gezeichnet habe, aus den Ballettsälen, von eigenen Bühnenbildern und aus Stücktexten. Somit habe ich dem Theater viel zu verdanken. Dennoch entfernte ich mich zugunsten eigener, theaterferner Projekte von der Bühne. Aber ich schöpfe immer wieder aus den Arbeiten, die in dieser Zeit entstanden sind und aus dem was ich dort über Dramaturgie und Raum gelernt habe.

Mein Gärtchen ist eigentlich wie ein Bild, das ich gemacht habe. Ich betrachte es als Landart. Es wird ja täglich weiter gestaltet. Viel fremdes Material wird eingefügt und das Wachstum wird gelenkt. Vorgestern schnitt ich erneut die Robinie, damit die Ebereschen besser wachsen können. Im Herbst benötige ich wieder eine Fuhre Erde. Vielleicht taucht ja Vanessa, die Gärtnerin wieder auf, die mir wertvolle Ratschläge erteilt.

Wendefigur

Das Architekturmuseum hat einen Wettbewerb ausgeschrieben, in dem es um Ideen der Architektur- und Stadtbegrünung geht. Ich überlege nun, ob ich mit meinem Gärtchen daran teilnehme. Dabei geht es mir in erster Linie um einen Anlass, mich mit seiner Geschichte zu beschäftigen, die Stationen, die zufällig auf Bildern festgehalten sind, zusammen zu tragen und einen Text darüber zu verfassen. Mich interessiert, wie sich das Grün parallel zu meiner Arbeit entwickelt hat, bis es Teil von ihr geworden ist.

Wenn ich auf einem Stuhl gegenüber sitze, sehe ich das Konglomerat aus Totholz, Bruchsteinen, wild gewachsenen Gräsern und Blumen, Lochsteinen und Bäumen, als ein entstehendes Bild. Mit den Weidenbiegungen, Muschelketten und Materialschichtungen, griff ich dann in das natürliche Wachstum ein, fing an zu gestalten. Die Tiere, die sich eingefunden haben, die klimatisierende Wirkung und die Nachbarschaftsgespräche dort, gehören dazu.

Noch einmal erinnerte ich mich heute an die Wendefigur, mit der ich eine Animation zu der Oper „Die Ehen zwischen den Zonen 3, 4 und 5“ in Heidelberg gemacht habe. Doris Lessing saß auf der Wäschetruhe in meinem Malsaal und gab Interviews zu ihrem Libretto. Philipp Glass spielte ein Klavierkonzert. Ich saß neben ihm in der Proszeniumsloge und zeichnete eine lange Reihe von musikalischen Blättern. Vielleicht wäre diese Figur, die den Grenzübergang Bornholmer Straße, im November 1989, als eine der ersten übertrat, in Verbindung mit den musikalischen Blättern ein weiterer Arbeitsschritt im Väterprojekt.

Neue Nachbarschaft

Mit der Schreckensfigur der gequälten Kreatur, aus den Wandmalereien in Tabo, arbeitete ich gestern auf Rolle 8. Ich platzierte sie in eine Frottage von der Form des nächsten Reliefs, das ich bemalen will. Hinzu fügte ich eine sehr sparsame Tanzzeichnung, die schon mehrfach Auftritte in verschiedenen Umgebungen hatte. Ihre Form hat eine Offenheit, die geradezu nach immer neuer Nachbarschaft ruft.

Die Buchmalereien sind heute etwas wild ausgefallen. Ich probierte, mit den Fasern einer gespaltenen Vogelfeder, die ich am hinteren Ende so zurechtgeschnitten habe, dass zwei Pinselspitzen entstehen, und mit Aquarellfarben, drehende Bewegungen zu malen. Das verwischte ich dann wieder und zeichnete Figuren hinzu, die wie Sternenbilder aussehen.

Mit den Krähen, die sich rund um den sprühenden Rasensprenger versammelten, versuchte ich ins Gespräch zu kommen. Sie sind sehr scheu und beobachten aus den Bäumen jede meiner Bewegungen. In meiner hochgereckten Hand zeigte ich ihnen das Futter, das ich dann neben die Vogeltränke im Schlagloch des Betons legte. Dort weichen sie manchmal Brot ein, das sie gefunden haben. Sie kommen dann und holen sich die Körner. Allerdings kommen auch die Tauben und kleine gelbe Vögel, die durch ihren schnellen Flug helle Striche in der Luft hinterlassen.

Reliefs 5 | 6 | Bewässerung

Die zusammenliche Figur, von der ich schon schrieb, ging mir noch mal in der Nacht durch die Kopfgerollte. Auf Rolle 8 könnte ich mit einem Sequenzentwickeln, die auf die Weiterarbeit am Relief. Im 6. Relief dieses Exemplars würde ich mit ihr, den Vögeln, die weiteren ihre Augen auspicken und Tanzzeichnungen ähnlich verfahren, wie auf dem vorigen.

Relief Nummer 5 bemalte ich gestern fertig. Die gegenständlichen Anklänge auf den Splittern, die die die die Hauptfiguren umgeben, habe ich mit einem Schellacklasur zurückgenommen. Denn das ist alles zu vage, um es höher zu hängen. Die Bemalung pausiert nun erst mal.

Am Morgen war ich mit dem Bewässern der Pflanzen meiner Umgebung beschäftigt. Zuerst bekam der, etwa hundert Jahre alt, Ahorn vor meinem Balkon in der Frankenallee, ungefähr 70 Liter Wasser, die ich bei Trockenheit täglich über die Straße trage. Hier auf Teves stellt ich den Rasensprenger auf die Wiese, wo er immer mal gerückt muss, dann aber auch die Kräuterspirale mit anfeuchtet. Am Schluss kommt mein Gärtchen dran.

Mehr Figuren

Im Kloster Tabo, in Ladakh, gibt es eine Wandmalerei über die Unterweisung einer Figur, mit dem Namen Sudhana, in die buddhistische Lehre. In dieser Bildererzählung gibt es Personifizierungen unterschiedlicher Schrecken. In einem Bild sieht man einen Mann, der zusammengerollt von einem Hund und von Vögeln angegriffen wird. Das erinnert an tibetische Bestattungspraktiken, in denen die zusammengeschnürten Leichen den wilden Tieren dargeboten werden, ähnlich wie die Parsen auf den Totentürmen verfuhren.

Mir geht eine Skulptur durch den Kopf, die aus einem Dreiecksgitternetz aus Rundstahl besteht, in dem Figuren gefangen sind, wie in einer fremden Struktur, die außerhalb ihrer Wahrnehmung besteht. Die Stangen durchbohren die Körper der Holzskulpturen und halten sie fest. Eine dieser, könnte die sein, die ich im oberen Abschnitt beschrieben habe. Sie tauchte auch abgewandelt in den heutigen Buchmalereien auf.

Mittlerweile etablieren sich solche Figurationen immer öfter auf den Tagebuchseiten. Ihre Gliedmaßen tauschen sich dabei immer etwas aus, wachsen neu zusammen, nach einem immer verschiedenen Bauplan. Um ein solches skulpturales Projekt zu verwirklichen, müsste ich die Arbeit am Väterprojekt ernsthaft unterbrechen.

Figuren | Insekten | Objekte

Außer den Tanzfiguren, der Felsgravur und den Malereien aus Lhalung, gab es auf dem Relief noch keine Figuren. In den Buchmalereien wachsen sie aus den Dreiecksgittern. Das soll sich auf die Bemalung der Splitter übertragen. Erzwingen kann ich es nicht. Aber wenn das in meinem Kopf ist, erscheint es auch irgendwann von alleine.

Zu den vielen Insekten im Gärtchen haben sich nun auch einige Wespen gesellt. Wenn man sie auf der Hand lässt und nicht verscheucht, fangen sie sofort an einen zu zwicken. Mit ihren Beißwerkzeugen versuchen sie die Haut zu durchtrennen. Mich würde schon interessieren, ob sie das schaffen, kann aber dem Impuls, sie abzuschütteln, nicht entsagen.

Es ist schade, dass die Arbeit an den Objekten zum Erliegen gekommen ist. Das war eine schöne Ergänzung zu der strengen Konzentration auf die Reliefs. Ich bin aber ganz eingetaucht in diese Kontinuität. Weniges kann mich da heraus holen.

Figuratives | Gesträuch | Wiese

In den Buchmalereien nimmt das Figurative zu. Köpfe und Gliedmaßen wachsen aus den konstruktiven Strukturen und Gravitationsschwüngen. Ziel ist es, diesen Schritt auf die Reliefs zu übertragen. Heute ist das 144. Tagebuch voll geworden. Morgen nehme ich ein neues aus dem Karton. Dann geht es weiter.

Die Federzeichnungen, die die Splitter des Reliefs noch einmal in unregelmäßige Flächen unterteilen, verändern sich. Sie bekommen einen wuchernden Charakter, als würde sich ein Gesträuch verdichten. Ähnliches passiert auf den Transparentpapierrollen. Dort sind es aber Überlagerungen mit den vorangegangenen Motiven, die beim Zusammenrollen durchscheinen und additiv durchgezeichnet werden.

Wenn die Schafgarbe abgeblüht ist, bildet sie am oberen Ende korbartige Gefäße, wie Nester. In ihnen fotografierte ich rote Blattwanzen, die an ihren Unterseiten schwarze Punkte und an den oberen Flügelabdeckungen rote Längsstreifen haben. Still und senkrecht saß eine Hummel unter einer Distelblüte, um sich vor dem Regen zu schützen. Die Wiese ist ein Trockenbiotop. Jede Feuchtigkeit sickert unter die Schotterschicht. Nur vom Moos wird sie etwas gehalten. Weil trotzdem eine große Menge von Blühpflanzen wächst, hat in diesem Jahr die Insektenaktivität stark zugenommen. Ich könnte eine Sammlung von Tierfotografien aus dem Gärtchen und von der Wiese zusammenstellen.

Bön Frauen

Die Figur aus dem Kloster Lhalung, die mir gestern in den Blick kam, setzte ich gleich, zusammen mit den erwähnten Elementen, in die Malerei des Reliefs ein. Es gibt an den Innenwänden mehrere Frauenfiguren, die auf Hirschen reiten, Mäntel aus Pfauenfedern tragen, Männerleichen durch die Luft wirbeln, deren Köpfe abgetrennt in den Händen halten und mancherlei magische Handlungen vollziehen. Sie entstammen der vorbuddhistischen Bönreligion, die matriachale Elemente aufwies. Noch im vergangenen Jahr spürten wir diese andere Haltung der einheimischen Frauen dort im Himalaja, die gut ohne ihre Männer auskamen, von denen sie oft mehrere haben. In den Wandmalereien sind sie einer Wächterfigur zugeordnet, die die bösen Berggeister von den mannigfaltigen Vertretern der buddhistischen Lehre fernhalten soll.

Diese Frauen dachte ich am Morgen zusammen mit den Brandenburgischen Konzerten. Vielleicht verbindet beide das tänzerische Element.

Rund um die Figur mit den Gravitationsschwüngen, dem stählernen Fachwerkfragment vom Palast der Republik und der Felsgravur einer Oryxantilope, begann ich dann die Splitter des ersten Scherbengerichtes, die die Motivgruppe umgeben, mit Strukturen zu versehen, die von ihrer Oberflächengestalt herrühren und sie verstärken.

Labyrinthe

Ich zeichnete die nächsten Tanzfiguren auf das Relief. Zusätzlich nahm ich eine Figur aus den Wandmalereien des Klosters Lhalung in den Blick. Auf Rolle 8 fasste ich sie mit Gravitationsschwüngen, einem Stahlkonstruktionsfragment von Palast der Republik und der Felsgravur einer Oryxantilope aus Twyfelfontein zusammen. Das geografische Dreieck, das diese Komposition mit ihren weit entfernten Eckpunkten einschließt, erscheint nicht als Zeichnung, sondern nur im Subtext.

Mit Schellacklasuren löste ich die Tuschestrukturen der Splitter an und dunkelte sie in dieser Weise vorsichtig und warm ein. Ich kann in dieser Arbeitsweise eine Nuancenvielfalt etablieren, die mit differenzierten Schattierungen die strengen, kontrastreichen, schwarzweißen Figuren umgibt.

Am Morgen versorgte ich meinen Ahornbaum auf der Frankenallee mit etwa 60 Litern Wasser. Ich trage sie ihm mit zwei großen Gießkannen, vom Garten hinter dem Haus durch das Treppenhaus, über die Straße hinweg an den Stamm, wo ich die Erde aufgelockert hatte. Seitdem ich das mache, schaue ich meinen Freund aus anderen Perspektiven genauer an, vertiefe mich in die Labyrinthe seines Geästs.

Das Paradiesische

Manchmal habe ich Zeitfenster vor Augen, in denen ich es schaffen möchte, ein Relief zu bemalen, oder ein ganzes sechzehnteiliges Exemplar fertig zu stellen. Wenn ich spüre, dass bei der kleinteiligen Arbeit mit Feder und Tusche, die Konzentration nachlässt, gehe ich ins Gärtchen, um dort Nisthöhlen für Insekten zu bauen, zu gießen oder nur, um zu schauen. Aus diesem Schauen entstehen manchmal Textabschnitte im handschriftlichen Tagebuch, die sich etwas am Nature Writing orientieren.

Im Glücksfall, treffen diese Momente mit einem starken Empfinden der vielteiligen Situation statt. Dann schweben Apsaras in der Form von Wolken vor dem blauen Himmel vorbei, das Licht, das durch den Efeu vor dem Fenster fällt, erfüllt dann den Raum mit weichem Licht und die Arbeit auf den Tischen ordnet sich in dieses Geschehen ein, das zu einem intensiven Moment verschmilzt, in dem ich erkenne, dass dies das Paradies ist.

Aber dann entdecke ich die Maus, die von draußen herein gelaufen kam und sehe, dass das Amselpaar meine Mischung aus Laub, Gartenschnitt und Erde wieder einmal völlig auseinander genommen und verteilt hat. Dann bekommt der Nachbar laut tönenden Besuch, wodurch sich das Paradiesische sofort auflöst. Und die Weiden, die ich an Bahndamm pflanzte, haben meine fünftägige Abwesenheit nur knapp überlebt, sind fast ganz eingetrocknet…

Keine Disziplin!

Die verinnerlichte Regelmäßigkeit des Arbeitslebens erlaubt mir kaum Übertretungen des selbst gesteckten Rahmens. Heute bin ich beispielsweise aus verschiedenen, nicht zwingenden Gründen, erst gegen 10 Uhr ins Atelier gekommen. Schon steigt etwas wie ein schlechtes Gewissen in mir auf. Am Abend habe ich mit Gerd Bier getrunken und heute Vormittag höre ich Rockmusik aus den Neunzigerjahren, „Voodoo Lounge“ von den Rolling Stones aus der Zeit, als ich sie auf dem Hockenheimring kennen gelernt habe. Weiß nicht, was mit mir los ist!

Die Tuschmalerei auf dem Relief geht nur langsam voran. Jeder einzelne Splitter bekommt seine Aufmerksamkeit, sie werden wie kleine Objekte behandelt oder wie Teile einer großen Landschaft. Hilfreich sind dabei die Unebenheiten, die vom Modellieren mit der Hand herrühren. In den Senken und auf den Graten dieser Gegenden folge ich Höhenlinien und ausgetrockneten Flusstälern. Die Scherben verwandeln sich in driftende Kontinentalplatten, auf denen Expeditionen stattfinden, um sie auszumessen, zu kartieren und zu gestalten.

Gerd will mich besuchen, um das Effektgerät der Gitarre anzuschauen. Wir wollen nach Möglichkeiten der Visualisierungen der Musik suchen, die mir weiter helfen können. Bei unserem Gespräch auf der Frankenallee kam ich darauf, diese „Malerei“ mit der Gitarre ohne das Effektgerät zu machen. So steht nicht so viel zwischen den entstehenden Strukturen und mir.

Heraustreten aus der Nacht

Im Wintergarten einer Freundin habe ich von meinem Vorhaben erzählt, die Gitarre als Generator für Bilder zu benutzen. Die Idee, die Visuals aus den Soundeffekten dieses Instrumentes anderweitig zu nutzen, bleibt in meinem Kopf. Die entstehenden Strukturen stelle ich mir als dreidimensionale Dreiecksgitterlandschaften vor. Ob und wie das mit den Väterportraits zusammengehen kann, ist noch fraglich.

Vielleicht stößt die Arbeitsweise, alles mit allem zu verbinden, auch bald an ihre Grenzen. Jenseits davon beginnt das Land der Stilisierung, des Weglassens und den neuen Denkens. Manchmal begegnet mir das schon in den Buchmalereien. Sie sind das geeignete Medium, einen solchen Vorgang zu entwickeln.

Ich malte weiter am Relief. Die Splitter füllen sich mit Mustern, die spontan aus der Feder in der rechten Hand fließen. In der zunehmenden Dunkelheit ihrer Umgebung, versuche ich die Figurengruppen immer noch sichtbar zu halten. Ihre Wiederholungen möchte ich nun im Binnenbereich wieder heller gestalten, damit sie heraustreten können aus der Nacht. So kann man sie mit den versteckteren vergleichen und sie neu entziffern.

Landschaften

In der Nachbarschaft fördert eine Kernbohrmaschine Sedimente aus 30 Metern Tiefe an die Oberfläche. Den Jahrtausende abgelagerten Sand, der nun ausgebaggert wird, für die Wohnblocks der neuen Nachbarschaft, füllen die Arbeiter in längliche Kästen, für die Geologen.

Schüler der Hindemithschule besichtigten gestern mein Gärtchen auf dem Beton: Wildnis in der Stadt. Sie sahen Insekten, Eidechsen und Vögel und fingen sich dann doch an, für meine Arbeit zu interessieren. Sie fragten mir Löcher in den Bauch. Wenig später kam noch eine Ehepaar aus Darmstadt, die meine Website gesehen hatten.

In der verbleibenden Zeit füllte ich die Splitter neben den Figuren auf dem Relief. Auf der Schellackschicht steht das Wasser, das ich mit dem Pinsel aufgetragen habe, lange, so dass ich mit der Feder ausblühende Tuschpunkte hineinsetzen kann. In die weiche Struktur werden, nach ihrer Trocknung, harte Linien hineingezeichnet, wodurch Verbindungen entstehen, die aus dem Abstrakten heraus Landschaftliches bilden.

Relief 5 vom zweiten Portrait der Väter

Gestern begann ich mit der Fortsetzung der Tuschmalerei auf dem Relief Nummer 5 des zweiten Exemplars der Doppelportraits. Noch einmal übertrug ich eine Tanzszene, mit mehreren sitzenden und einer stehenden Figur im Kulissenraum. Auf Rolle 8 verknüpfte ich sie zuvor mit einem Zöglingsportrait aus dem Jugendwerkhof Gerode. Das erschien mir jetzt in der Überlagerung auf dem Relief zu viel. So arbeitete ich die Figuren nur in die plastischen Splitter ein.

Die weiteren Gestaltungsschichten hatte ich gestern gedanklich mit Visualisierungen von übereinander gelegten Loops aus Gitarrenriffs erweitert. Dabei kam mir der Gedanke, ohne die Musik zu hören, mit der Gitarre zu zeichnen. Es wäre die Fortentwicklung der Overheadmalereien, wie wir sie vor vierzig Jahren begonnen hatten.

Natürlich steht die Frage danach im Raum, ob dies sinnvoll zu einer Verdichtung des Materials führen kann. Es bedeutet einen ziemlichen Aufwand für mich, das ins Werk zu setzen. Schon der Gedanke daran ermüdet mich etwas. Aber die Arbeitsschritte, von denen ich überhaupt nicht wissen konnte, wohin sie führten, zogen immer Erfahrungen nach sich, die dann, zumindest anderweitig, nutzbar waren.

Trio-Strukturen

Im Haus Karolina, auf dem Leiningerhof, in der Pfalz, änderten sich die Buchmalereien zu ruhigeren, reduzierten Kompositionen. Die weiten Blicke während unserer Wanderungen, hatten sicherlich einen Einfluss darauf, genau wie die Ruhe die uns umgab.

Hier im Atelier gibt es jetzt die schöne Herausforderung, nun mit den Reliefmalereien weiter zu machen. Gleichzeitig aber steht die Gitarre mit dem Effektgerät bereit, um das Triogeschehen, das sich in den Buchmalereien, den Collagen und nun auch teilweise auf Rolle 8 manifestiert, mit dreiteiligen Loops zu inspirieren. Ich sollte das alles in Ruhe genießen.

Die musikalischen Strukturen würde ich dabei gerne mit grafischen Darstellungen eines entsprechenden Programms bildlich aufnehmen um sie in die Arbeit auf Rolle 8 einfügen zu können. Dafür bin ich allerdings technisch noch nicht fit genug und müsste mir manche Arbeitsweisen, zwischen Instrument und Rechner, selber beibringen.