Ruhe wegen des Lärms

Wegen des Lärms ruht fast die ganze Arbeit im Atelier. Ich wundere mich über mich selbst, wie gut ich das kann. Unter der Unterbrechung des Väterprojektes leide ich kaum. Ich freue mich über meine Fähigkeit, abzuschalten, auf Abstand zu gehen und die Arbeit nicht so wichtig zu nehmen. Eigentlich macht das alles leichter.


Von meinem aktuellen Arbeitsplatz aus, kann ich die Aktivitäten der Sozialarbeiter auf der Quäkerwiese sehen. Es erinnert mich an meine Stadtteilarbeit vor 20 Jahren. Davon habe ich mich, zugunsten meiner Arbeit, entfernt. Es gibt Kontakte zur Schule, wegen des Projektes „YOU&EYE“, Schüler und Kunstinteressenten finden sich manchmal bei mir ein. Ansonsten aber, bleibe ich bei mir.


Immer mal greife ich im Atelier zur Gitarre, drehe den Verstärker weiter auf sonst, um den Baggern entgegen etwas setzen. Am Morgen, hier zu Hause, hörte ich ein neues Album von Bob Dylan, dessen Tournee wir in diesem Jahr vermissen. Dass er aber nach vielen Jahren wieder eigene Songs aufgenommen hat, tröstet etwas.

Handabdrücke und Reliefs

Als ich mich gestern ins Bett legte, erwartet ich wieder ein Traum, kann mich aber an keinen erinnern. Stattdessen aber kamen Ideen, die Väterreliefs mit den gewanderten Handprints von Frankfurt und Wien zu verbinden, die Strukturen zu schichten.

Gerade habe ich vor dem Atelier einen jungen Pianisten und Komponisten kennen gelernt. Ich sprach mit ihm über die Möglichkeiten, Musik zu visualisieren. Er schaltete gleich auf das Musikverstehen von tauben Menschen um, was natürlich nahe liegend ist, aber war ich noch nicht bedacht hatte. Wir hatten sofort einen lebendigen Austausch und verabredeten über die Visuals noch mal zu sprechen.

Während der Lektüre zur Konstruktion und Bedeutung von tibetischen Mandalas, stellt ich fest, dass meine 16 Teile des Väterreliefs dort gut einfügen. Ansonsten ist das Thema weitläufig und nicht unkompliziert. Das liegt aber auch an der unvollständigen Quellenlage, denn die Praxis der Meditation, die Mandalas unterstützen, ist nur im engen Kreis mündlich überliefert.

Ein Traum

Den Leuten, die von rechts nach links, vor meinem Balkon auf der Frankenallee gehen, bläst heute ein kräftiger Wind entgegen. Die Baumkronen werden gekämmt, und das Rauschen erfüllt den ganzen Luftraum. Ich bin froh, dass ich hinter der Scheibe sitze, wo  mein Haarschopf ruhig auf meinem Kopf liegen kann.

Ich stelle mir vor, wie jetzt der Staub aus Sand, Erde und Zement in meinem Gärtchen geweht wird, wie er gemeinsam mit dem Maschinenlärm in der Gebäude eindringt. Wie gut, meinen Ausweicharbeitsplatz hier in meinem Zimmer zu haben.

In der Nacht träumte ich von einer hügeligen Landschaft, in der einer sektenartigen Produktionsgenossenschaft. Ihr Zweck ist mir nicht klar. Mit meiner Voraussagepflock, den ich zwei Meter in der Erde trieb, um aus den geologischen Schichten die Zukunft zu lesen, sagte ich ihnen ein infernalisches Musikfestival voraus. Dann riefen sie den Chef herbei, der mit einem frisierten Soundauto und zwei Beißhunden kam, die er auf mich hetzte. In der Hocke aber war ich mit den Hunden auf Augenhöhe, wodurch sie mit den Schwänzen wedelten und mir das Gesicht ableckten. Zum Schluss sprudelte eine Quelle aus der Stelle, in die ich am Hang den Pflock getrieben hatte.

Vom Lärm vertrieben

Seit einigen Tagen beginne ich die Arbeitstage wieder zu Hause, wie ich das vor einigen Jahren auch tat. Gegen den Abrisslärm in der direkten Nachbarschaft komme ich auf die Dauer nicht an. Deswegen stellte ich mir einen Tisch vor die schöne zweiflüglige Balkontür meines Zimmers in der Frankenalleewohnung. Dort fertige ich als erstes am Morgen die Buchmalereien an, um dann im Schreiben am täglichen Überdenken meiner Arbeitssituation festzuhalten.

Die Buchmalereien werden in dieser Umgebung zurückhaltender, weniger zweckgebunden und somit freier. Mir gingen neue Wanderungsprojekte durch den Kopf. Jetzt jedoch, in diesem Sommer will ich mich etwas zurücklehnen. Die anhaltende Pandemie trägt die Möglichkeit in sich, gründlich nachzudenken.

Dass ich mich etwas vom Väterprojekt entfernt habe, zumindest von seiner täglich fortschreitenden Vervollständigung, kommt mir ganz vernünftig vor. In diesem Abstand entstehen Ideen zu neuen Projekten und der Blick auf die aktuelle Arbeit an den Reliefs schärft sich wieder.

Gefällige Gefilde

Gestern begann ich ein Objekt zu bemalen. Ich mache das für jemanden, es hat also einen Adressaten. Gleich hat sich die Arbeit in gefälligere Gefilde entwickelt – schrecklich! Es geht nicht um die Suche nach neuen Wegen zur gestalterischen Spannung. Bewährtes kommt zum Zuge… Das lässt sich aber, weil es erkannt ist, noch ändern.

Gegen den eisern dröhnenden, steinbrechenden Abrisslärm, habe ich wieder meine Ohren verstopft. Gestern hatte ich das Gefühl, dass durch diese Maßnahme, mehr Konzentration möglich würde, auch wenn die Maschinen schweigen. Gegen die Hitze öffnete ich zum hochgezogenen Rolltor noch die Seitentür, damit es ein wenig Luftbewegung gibt.

Zum Abend erwarte ich Besuch im Atelier. Ich möchte ihm meine Väterarbeit zeigen. Sie hat ja im jetzigen Stadium schon viele Facetten, angefangen bei den Scherbengerichten, den Transparentpapierrollen, bis hin zu den Verbindungen von buddhistischen Wandmalereimotiven mit meinen Tanzzeichnungen.

Gehörschutz

Vom Altkönig aus sah ich mir die Stadt gestern mit dem Fernglas an. Ich floh vom Lärm der Abrissmaschinen. Der Giebel der Friedenskirche, der dunkle Klotz in der Frankenallee, sah aus der Entfernung aus, wie der einer holsteinischen Scheune. Aber immer wieder suchte ich nach dem Haus in dem wir wohnen, oder nach seiner nächsten Umgebung.

Mit Gehörschutz schirme ich mich nun vom Maschinenlärm ab. Die Steinmühle, 5 Bagger und der Überkopfkipper sind akustisch völlig ausgeblendet und geben nun den inneren Geräuschen den Vortritt. Jeder Schritt, den ich gehe, erzeugt ein Echo in meinem Knochengerüst. Die Wendungen des Kopfes machen die Halswirbelsäule und ihre Bänder hörbar, auch das Geräusch des pulsierenden Blutes rauscht durch den Kopf. Das Körperempfinden wird deutlicher und der Tinnitus erhält die Oberhand.

Eine barocke Figur tauchte heute in der ersten Buchmalerei auf. Es könnte auch ein Rockstar aus den Siebzigerjahren sein. Mitten im abstrakten Geschehen zieht es mich zu diesen konkreten gegenständlichen Manifestationen. Sie erscheinen wie in Träumen.

Choreografien

36 Scans der Buchmalereien, die ich in der letzten Zeit gemacht habe, führten mich wieder zurück in die Situationen ihrer Entstehung. Ich erinnere mich an die Abwägungen der Farben und die Entscheidungen, wann Schluss ist. Und immer wieder tun sich Lösungen, die ich während ihrer Entstehung oder kurz danach als unbefriedigend empfand, als hilfreiche Entscheidungen auf. Sie treten aus dem ästhetischen Trott heraus und Zetteln dann etwas Neues an.

Draußen sehe ich eine Choreografie von 5 Baggern, einem Überkopfkipper und einer Steinmühle. Sie tanzen zu einem infernalischen Sound, der nur noch von meiner Musikanlage im geschlossenen Atelier übertönt wird. Franz, mit dem ich mich bald zu gemeinsamer Arbeit verabreden möchte, hört auch während der Arbeit laute Musik.

So lange diese Abrissarbeiten noch wenige Meter vom Atelier entfernt andauern, überlege ich, einen Teil meiner Tagebucharbeit in mein Zimmer in der Frankenallee zu verlegen. Die Malereien greifen jetzt manchmal auf alte Strukturen zurück, die ich jahrelang mit Holzhaarnadeln in das Papier gedrückt habe und die dann durch Schraffuren sichtbar wurden. Zu Hause kommen dann bestimmt wieder Arbeitsweisen hervor, die aus der Zeit stammen, in der ich dort Tagebuch schrieb.

Zweifel an der Produktionskontinuität

Nach einer zehntägigen Auszeit kann ich nur langsam wieder in die Arbeitsprozesse hineingehen. Allein an den Seen der Holsteinischen Schweiz, habe ich all das hier, in meinem Atelier befindliche, fast ganz vergessen. Somit besteht jetzt noch der nötige Abstand, um meine Produktionskontinuität kritisch zu bedenken. Dabei kommen Zweifel auf, ob wirkliche Erneuerungen auf diesem Weg möglich sind. Es geht immer nur langsam voran, es gibt keine Brüche, Wendungen und kaum kreative Pausen.

Mit Vandad sprach ich über die Möglichkeiten der Arbeit am Projekt „YOU&EYE“ unter den Bedingungen der Pandemie. Es entstehen bei mir Überlegungen zur digitalen Zusammenarbeit, die in dieser besonderen Situation möglich wird. Einerseits denke ich an die Erstellung einer gemeinsamen digitalen Skulptur, die dann ausgedruckt werden kann, andererseits können Räume entstehen, in denen man sich mit den anderen Projekten treffen kann. Skulptur, Tanz und Musik….

Vier Bagger drehen sich, in der direkten Nachbarschaft, um die eigene Achse und vollführen eine Choreografie, um die Steinmühle, in der das Abrissmaterial zerkleinert und sortiert wird, zu bestücken. Manchmal verfallen sie in einen Rammrhythmus, mit dem sie sehr große Betonbrocken zerkleinern oder Kellerwände zerstören. Auf der Terrasse des Restaurants sitzen die Köche, in diesem Geräusch der Hölle, bei ihrem Morgenkaffee und unterhalten sich!

Keine Kehrtwende

Der gestrige Tag brachte nur Kontinuität. Die Väterarbeit ist über weite Strecken ein Durchhalteprojekt. Pausen werden wichtiger, um Abstand und Überblick zu gewinnen. Dieses stetige Weiterarbeiten, um nicht ins Stocken zu kommen, wird mir verdächtig. Das war für die Zeit, in der ich es tat, vielleicht richtig und wichtig. Nun wird es Zeit, das zu hinterfragen, auch wenn mir mulmig wird dabei. Was wird, wenn mein Garant der Produktivität unbedeutender wird? Kommt der Motor ins Stocken?

Ein neues Herangehen, würde Fragen wie Regelmäßigkeit von Zeitrhythmen, Arbeitsmoral und tägliche Produktionsrituale infrage stellen. Diese Überlegungen sollte ich weicher handhaben, nicht so rigoros, sonst stünde mein Arbeitsleben bald auf dem Kopf. Und für eine Kehrtwende ist es zu spät.

Am wichtigsten erschienen mir heute Vormittag die Collagen. Sie bedienen sich der Arbeitsschritte, die ich gestern mit der Reliefmalerei unternahm. Eine Tanzzeichnung von 2003 bettete ich zeichnerisch in Ornamentstrukturen ein, die später noch mit einer weiteren Schicht zusammengezogen und eingedunkelt werden.

Wegschauen müssen

Montags sind die Scans der Buchmalereien des Wochenendes nachzuholen. Mit den tagaktuellen zusammen, sind es immer 9. Bis zum Mittag ist dann die gesamte Tagebucharbeit erledigt und ich beginne mich meistens mit den Reliefs zu beschäftigen.

Die abstrakten Linien, mit denen ich derzeit die modellierte Oberflächenstruktur nachzeichne, ergeben manchmal kreatürliche Anklänge. Das sind gebogene Figuren, Augenpaare oder Karikaturen von Gesichtern. Bis dahin ist das alles nicht so spannend. Die Schellackschicht, die die Tusche wieder anlösen kann, fokussiert notwendigerweise noch einmal zum Abschluss.

Wichtiger und ergebnisreicher erscheinen mir derzeit die Buchmalereien. In ihrer unspektakulären Form, verbergen sie das Potential, das sie für mich besitzen. Dieses mehrschichtige Herangehen an sie, würde sich innerhalb der Reliefbemalungen positiv auf die Intensität des Gesamten auswirken. Man sollte das Gefühl bekommen, wegschauen zu müssen!

Allein mit den Tieren

Der Morgen verging schnell, weil ich mir vorgenommen hat, alles langsam zu machen. An den vergangenen Vormittagen war ich hier auf Teves West mit den Tieren allein. Aus einer großen stehenden Papprolle rettete ich eine Taube, die sich dort hinein verflogen hat und nicht mehr raus kam. Dabei verletzte ich die linke Hand leicht. Die Taube flog, nachdem ich sie aus der Rolle scheuchen musste, ohne Dank davon. Später kehrte sie zu einem der Wasserstellen am Gärtchen zurück und bekam noch ein paar Körner von mir dazu.

Nun ist das Restaurant wieder geöffnet, mein Nachbar ist da, Stimmen, Geklapper und dahinter der Schaufelbagger, Schuttschredder und Kipper, die Abrisshalden sortieren. Das Laufen laufen die Notstromaggregate der Netzknotenbetreiber mit sehr tiefer frequenz und auf dem Bahndamm sind die Streckenbauer mit Kränen und Maschinen unterwegs. Nur der Fluglärm fehlt heute, weil die Windrichtung und damit die Abflugrute gewechselt.

Die Buchmalereien verändern sich. Sie bieten nun eher Material, das ich in der Reliefbemalung könnte. So wiederholt sich bei mir im Kleinen ein Vorgang, bei den mittelalterlichen Buchmalereien persisch-pakistanischen Ursprungs, in Tibet an den Wänden der Klöster wanderten. Auf meiner Arbeit der Gegenwart.