Einen Gang runter

Nach den Malereien am Morgen, sage ich mir: kleine Pause. Dann gehe ich ins Gärtchen zu meinen Mitbewohnern, den Kräutern, den Bäumen und den Steinen. Ich schneide ein wenig, rücke an den Trockenmauerstapeln und biege Weidenruten. Warum kommen mir jetzt die Hunde in den Sinn, die wild an Laufleinen, an der deutsch-deutschen Grenze, eingesetzt waren?

Die Priorität der Bündnistreue der Adenauerregierung zementierte die deutsche Teilung. Ist das ein Trauma der Ostdeutschen? Wurden sie von ihrer Bezugsregion abgetrennt und verlassen, wie ein Kind von seiner Mutter? Es neigt später zu Überempfindlichkeiten, gepaart mit Aggression. Auf diese Gedanken kam ich, als ich gestern den Krimimalfilm „Walpurgisnacht“ sah. Eine deutsch-deutsche, serienmörderische Zuspitzung im Harz, kurz vor der Wende.

Mit Pappmache formte ich gestern das nächste Relief des zweiten Exemplars des Väterdoppelportraits ab. In den vergangenen Zeiten der „Produktion“ machte ich das schon eine Weile bevor ich mit der Malerei auf dem vorigen Format fertig war. So konnte die Arbeit gleich weitergehen. Ich musste nicht wie jetzt, warten bis die Trocknung beendet sein wird. Nun habe ich einen Gang runtergeschaltet. Die Masse trocknet sehr langsam.

Vage optimistisch

Die Relieftafel 6, die ich in den letzten Wochen bearbeitet hat, ist nun fertig. Ein Auszug habe ich in den heutigen Werktagscollagen. Die Bemalung glich ich der vorigen an, benutzte aber aber eine Mischung aus Wandmalereien aus Tabo, Ballettzeichnungen von 2003 und Umrisszeichnungen der neuen Buchmalereien.

Das nächste in der Reihe, mit der Nummer 7 ist schon abgeformt, aber mit einem paar wenigen ausfransten Stellen. Ich werde es noch einmal neu abformen. Die Bemalung der Reliefs hat sich während des Arbeitszeitraums, den ich für dieses zweite Exemplar des Doppelportraits benötigte, langsam verändert. Diese Entwicklung sichtbar zu halten, ist in meinem Sinne.

Ich beobachte meine Buchmalereien, besonders die linearen Kompositionen. Sie sind entscheidend für ihre Eignung als Material zur Unterstützung der weiteren Reliefmalerei, denn ihre Farbigkeit spielt bei der Nutzung der Umrisslinien keine Rolle. Ob die langsame Veränderung der Buchmalereien eine Vorwärtsentwicklung darstellt, oder mehr Stagnation in sich trägt, kann ich derzeit kaum beurteilen. Wenn man aber die langen Zeiträume überblickt, in denen ich kontinuierlich versuche, sie weiter zu entwickeln, stimmt mich das vage optimistisch.

Erz

Noch einmal vor dem Herbst, wärmen ein paar Sonnenstrahlen mein Atelier und lassen die späten Blüten Im Gärtchen aufgehen. Meine Stimmung ist auch, nach einem langen dunklen Tiefschlaf letzte Nacht, erhellt.

Am Wochenende besichtigten wir mit Kind und Kegel die frühindustriell geformte Landschaft rund um Clausthal-Zellerfeld. Wir liefen einen Rundweg durch die „Wasserregale“. Das ist ein Bewässerungssystem aus Stauseen und Kanälen, für die Energiegewinnung zum Betreiben der vielen Schächte in der Gegend. Ein Museum in einem alten Bergwerk erzählte von der finsteren Industriekultur, die sich zum Abbau von Erz entwickelt hat. Mich erinnerte das an das kleine Museum, das die Bauern im alten Niederhof im Martelltal eingerichtet haben. Heinrich Heines „Die Harzreise“ ist ein romantischer Text, mit dem man sich durch ein anderes Licht an unsere Reise erinnern kann.

Jetzt aber habe ich erst einmal meinen Terminkalender zu aktualisieren. „YOU&EYE“ wird wieder aufgenommen und die Wirtschaftsförderung vergibt den Gründerpreis, für den sie meine Skulptur erneut ausgedruckt haben wollen. Mit Alexander sollte ich mich treffen, um die Zusammenarbeit mit der Hindemithschule weiterzuführen. Somit ist, neben dem Väterprojekt, ein wenig Beschäftigung und Abwechslung in Sicht.

Themenwechsel?

Ganz alltägliche und normale Weiterarbeit gestern. Ich zeichnete die Ornamente auf die Splitter außerhalb der Figurengruppen auf der Relieftafel. Innerhalb ihrer Umrisse färbte sie schwarz ein, ließ aber die Bruchkanten weiß. In der kommenden Woche werde ich mich dann um die malerische Schellackschicht kümmern.

Manchmal kommt die Frage auf, ob es keine wichtigere Arbeit als die an den Reliefs für mich gäbe. Es ist als hielte ich mich an ihnen fest, ähnlich wie an den Buchmalereien. Die Objekte aus Weidenruten und Reliefscherben, verlassen den Themenumkreis nur vorsichtig und zögerlich.

Wie oft, wenn wir aus den Bergen kommen, habe ich Lust mit anderen Materialien zu arbeiten, beispielsweise mit Holz. Das dicke Stück Pappelstamm ist jetzt soweit getrocknet, dass es leichter geworden ist und einfacher vor das Atelier gestellt werden kann. Ich weiß nicht, wie meine rechte Hand, insbesondere ihr Daumen eine solche lange schwere Arbeit aushält. Er ist von den längeren und schweren Bildhauerarbeiten gezeichnet. Aber ich kann einfach nicht mit einer Kettensäge an eine solches Stück Holz gehen, sondern will die Figur langsam herausbilden.

Zeichnung | Malerei | Instrumentenbau

Gestern ging die Arbeit am Relief weiter. Sie ist ein Zwischending zwischen Zeichnung und Malerei. Wenn die Federzeichnung der Figuren und Ornamente dann mit einer Schicht Schellack versehen wird, sich Konturen auflösen und große dunkle, durchscheinende Flächen entstehen, bekommt die Malerei die Oberhand. Die Vorgänge der Buchmalerei sind dem ähnlich. Das Gleichgewicht zwischen den Elementen wird oft genug nicht eingehalten. Dann sind mir lineare Figuren zu wichtig, als dass ich sie hinter Farbwolken verschwinden lasse. Bei dekorativen Farbigkeiten greife ich öfter zu einem gewalttätigen Gestus wütend kreisender Schwarzbewegung.

Das gemeinsame malerische Vorhaben mit Franz, würde ich am ehesten als ein Gespräch über Farben, Formen und Gesten bezeichnen. Die Mittel, mit denen wir das machen, sind gleichzeitig Gesprächsgegenstand. Man könnte es auch mit einer Klettertour vergleichen, bei der nicht der Gipfel das Ziel ist, sondern die Kletterei.

Vier Gegenstände, von denen ich drei auf der Straße gefunden habe, fügte ich zu einem Musikinstrument zusammen. Hauptbestandteil ist eine Stahlzunge von einer rotierenden Kehrmaschinenbürste, von denen ich viele auf den Gehwegen finde. Sie bekam einen hölzernen Griff und eine Kastanie als Schwinggewicht am entgegengesetzten Ende. Dazu eine kleine gebogene, weiße Feder, die mit der Stahlzunge in der Kastanie steckt. Wenn man es an die Tischkante legt, festhält und die Kastanie mit der überstehenden Zunge in Schwingung versetzt, beginnt der Tisch zu singen. Modulation ist durch die Verkürzung oder Verlängerung des schwingenden Strangs möglich. Ein Geschenk für meinen Enkel.

Gemeinsame Malerei | Zwangsarbeiter | Umrißsequenz

Besuch bei Franz, während dem wir über unser Vorhaben sprachen, gemeinsam etwas zu malen. Franz macht so was öfter mit befreundeten Künstlern. Bei mir ist es etwas in Vergessenheit geraten und sehr lange her. Für uns beide also ein „Fexibilitätstest“. Ich dachte zuletzt daran, grundierte Reliefs zur Verfügung zu stellen. Ein Scherbengericht ergäbe 4 zusammenhängende Formate. Eine Struktur, die zur Arbeit von ihm passt, auch in den Dimensionen.

Eine Anfrage vom Denkmalamt bezieht sich auf meine Arbeit zum Zwangsarbeiterthema. Ich schickte verschiedene, etwas vage Informationen über meine Ausgrabungen, GPS-Wanderungen und die Werkstattausstellung zu diesem Komplex, die es damals in meinem Atelier gegeben hat. Seiner Zeit entstand auf Rolle 6 eine Überlagerungssequenz mit meinen Wanderungslinien im Grundriss des ehemaligen Lagers vor Ort, die mir heute als stärkster Teil der Arbeit vor Augen ist.

Auf Rolle 8 zeichnete ich gestern an der Umrissliniensequenz der Buchmalerei weiter. Dabei kommt mir eine weitere Verdichtung, der Fortführung der Reliefmalereien nicht dienlich vor. Zunächst einmal sind die dichten Strukturen kaum zu übertragen. Außerdem kommen mir die wenigen, klaren Linien im Kontext der Splitterstruktur, überschaubarer vor.

Scans | Messner Mountain Museum | Unterbrechungen

Noch kam ich nicht richtig zum Arbeiten. Zunächst waren die etwa 40 Scans der Buchmalereien zu machen, die ich in den Bergen gemalt habe. Um mein Arbeitstagebuch ins Netz zu stellen, benötigte ich einen Rechner, der aber aus unerfindlichen Gründen nicht hochfuhr. Diese Unterbrechung der normalen Arbeitsvorgänge, die werktäglich ablaufen, lässt den Motor nicht recht anspringen.

Demnächst sind wir wieder kurz auf Reisen, was die Zeit mehr zerpflückt, als es meiner Konzentration zuträglich wäre. Also noch mal abwarten, die Buchmalereien beobachten, wie sie sich in die Bemalung der Reliefs einfügen. Alles andere kann warten.

Ich denke noch mal an die Messner Mountain Museen, die wir in den vergangenen Wochen besuchten. Ich habe das Gefühl, dass der Bergsteiger mit seinen Sammelsurien zu viel wollte. Er ordnete sie in seinem Sinne, was nicht selten zu Verwirrung führt. Die exquisiten Exponate werden oft nicht beschrieben. Sie stehen häufig einfach da und sollen auf uns wirken. So kann man sich die Inszenierung von Museen leicht machen. Mehr durchdachte Struktur wäre nicht schlecht gewesen. Dennoch waren sie eine Erlebnis, aber eher wie das eines Naturereignisses.

Von den Buchseiten an die Wand

Den Sonntag verbrachte ich ganztägig am Rande des „European Short Film Festival“ auf Teves West, im Atelier. Interessierten Gästen zeigte ich meine Väterarbeit und beantwortete ihre Fragen dazu.

Auf Rolle 8 überlagerte ich die Umrisslinien einer Buchmalerei, die die Nummerierung 07_31_2020_001 besitzt. Natürlich überlege ich bei der Erstellung einer solchen Sequenz, wie ich sie in de Bemalung der Reliefs einbinden kann. Die Hinwendung zu den Malereien an den Innenwänden der Klöster in Ladakh, die auch eher einem Buchmalereigestus entsprangen, findet sich hier zusammen mit dem Augenmerk auf die eigenen kleinen Malereien in den Büchern. Ich kann den Vorgang der Wanderung von den Buchseiten an die Wand in dieser Weise nachvollziehen.

Im Gärtchen biege ich die Weidenruten weiterhin nach innen, also zum Baum hin. Mittlerweile entdecke ich aber, dass nicht jede gebogene und geflochtene Figur dem Wachstum der Weiden gut tut. Zeigen die Enden der Ruten beispielsweise nach unten, so vertrocknen manchmal ihre Spitzen.

Aufbrechen

Der Höllenlärm am Atelier hat etwas nachgelassen. Beteiligt sind nicht mehr 5 Bagger, ein Überkopfkipper und die große Steinmühle, sondern nur noch insgesamt 3 Maschinen. Deswegen ist es hier nun wieder möglich, eher einen klaren Gedanken zu fassen.

Aus der Knochenpflasterfläche hinter meiner Wiese, wächst seit etwa 3 Jahren eine Pappel. Sie ist mittlerweile etwa 3 Meter hoch und wird von einem Fuß gehalten, der lediglich die Stärke der Fugen zwischen den Steinen haben kann. Auf dieser unsicheren Basis muss er den Stürmen trotzen die aus Westen heranrollen, bis seine Kraft durch das Wurzelwerk so angewachsen ist, dass er die Pflasterschicht sprengen und in die Breite wachsen kann. Um ihn dabei zu unterstützen, setzte ich mich gestern Abend auf einen Gartenhocker, nahm meinen Fäustel und einen großen Meißel, um einen der ihn bedrängenden Steine, heraus zu brechen. Nach einer Stunde hatte ich den Grund der Betonschicht erreicht und damit die Erde. Stück für Stück werde ich die Fläche nun aufbrechen, um dem Baum das Wachstum zu erleichtern.

Wenn ich mir die Muster meines Nomadenteppichs in meinem Zimmer anschaue, den ich mir im vergangenen Jahr in Ladakh gekauft habe, dann entdecke ich subtile Unregelmäßigkeiten, hinter denen ein Code oder eine Formel zu stecken scheint. Erst mal kann ich nur zählen und vergleichen, um die geheimnisvollen Beziehungen aufzuspüren. Ersichtlich wird zunächst, dass er zumindest von zwei Personen gewebt worden sein muss.

Die Enge | Das Figürliche | Die Insektensammlung

Die Buchmalereien bekommen zu Hause einen anderen Charakter. Sie sind zurückhaltend ruhiger, konzentrierter und emotionsloser. Die Enge des Raums, der andere Ausblick und das Fehlen des anderen Arbeitsmaterials, sind der Grund dafür. Aber sie haben dennoch ihren Reiz und führen mich irgendwohin, wo ich noch nicht war.

Nun bin ich wieder ins Atelier gegangen. Ich probiere, wie es möglich ist, unter den Bedingungen des Abrisslärms zu arbeiten. Nach der herbstlich kühlen Nacht, wird der Raum schnell von der Morgensonne aufgeheizt. Im Gärtchen sonnen sich die jungen Eidechsen, nicht länger als 5 Zentimeter, zwischen meinen Stein- und Muschelketten, Holzstapeln, Lochziegeln und ausgehöhlten Ästen. Wenn sie schlau sind, überwintern sie in meinem Atelier. Dort hat sich eine von ihnen über meine Insektensammlung hergemacht!

Meine Hinwendung zum Figürlichen, innerhalb der Gravitationsschwünge in den Büchern, zielt immer noch auf eine natürlich wachsende Einbindung von Figuren bei der Bemalung der Reliefs, die derzeit eine Pause erlebt. Es stehen zu viele Unterbrechungen an, als dass ich eine längere geschlossene Zeit der Konzentration dafür finden kann.

Das reicht mir

Die Inversion der Aura

Vom Schicksal der charismatischen Autorität im sozialen System der Kunst“,

heißt ein Text von Hans Zitko, den ich gestern Abend gelesen habe. Darin werden Systeme und Verhaltensweisen beschrieben, die mir durchaus bekannt sind. Mein Rückzug aus der Öffentlichkeit des Kunstbetriebes, beruht auf meiner fundamentalen Skepsis ihm gegenüber. Er würde mich bei der Suche nach Bildlösungen und der Konzentration, die dafür notwendig ist, behindern. Durch Markttechniken etablierte Strömungen interessieren mich nicht. Und was ich davon mitbekomme, erfüllt mich mit Unbehagen.

Das führt zu einer asketischen Situation. Sie flirtet mit der Armut und ist gleichzeitig elitär durch die Behauptung von Freiheit. Für mich ist das folgerichtig, solange die Produktion nicht stockt und mein persönliches Glück mit ihr verbunden ist. Es entsteht einerseits durch die Rückschau, beispielsweise auf Transparentpapierrollen und Buchmalereien, andererseits gewinnt die gegenwärtige Arbeit aus ihr, ihre Dimension.

Bestätigung kommt aus Kreisen, die mit dem Kunstmarkt nicht direkt zutun haben, von offiziellen Kulturinstitutionen, Experten und zufälligen Atelierbesuchern. Das reicht mir.