Autobiografisches Material




Ein Raubvogel schlug gestern, am Vormittag, eine Ringeltaube in meinem Gärtchen. Als ich zufällig hinzukam, flog er auf und ließ das schwer verletzte Tier liegen. Es sah mich mit seinen großen Augen an und rutschte, vor mir flüchtend, zwischen die großen Tontöpfe mit den alten Sukkulenten. Ich schüttete ihr eine handvoll Körner hin und ging in meine Mittagspause. Als ich gegen 14:30 Uhr wiederkam, waren alle Körner aufgefressen und die Taube war auf und davon.


Das getrocknete Relief grundierte ich und probierte mit den Umrisszeichnungen herum, die ich für seine Bemalung nutzen will. Die Tanzzeichnungen, die ich für das vorausgegangene Relief nahm, erscheinen mir zu sehr reduziert, wodurch sie statisch werden. Weiß nicht, was ich davon halten soll. Mit dem aktuellen Exemplar soll das anders werden.

Häufig schaue ich in der derzeitigen Arbeitsphase die Transparentpapierrollen 2 und 3 durch. In diesem autobiografischen Material finden sich die Stahlträgerstrukturen, die beim Abriss des Palastes der Republik hervorkamen, und die ich als Bausoldat bei seinem Entstehen auch gesehen hatte, auf ihnen herumlief und zusah, wie sie mit Asbest beschichtet wurden. Innerhalb einer Radiosendung zum Thema Denkmal, schlug die Autorin vor, das Berliner Schloss nach seiner Fertigstellung abzureißen, um den Palast wieder detailgetreu aufzubauen, um ihn dann auch wieder abzureißen, damit man das Schloss wieder aufbauen kann, um es abreißen zu können und so weiter. Auf diese Idee war ich auch schon gekommen. Sie scheint naheliegend zu sein.

Gleichgewicht

Sonniger Morgen – es ist warm im Atelier. Ich schaue auf ein kleines Transparentpapierformat, das ich gestern aus mehreren Schichten anfertigte. Es besteht aus 3 ovalen Samen einer mir fremden Pflanze, Schellack und Tusche. Gerade bin ich dabei, noch eine Figurenzeichnung als weitere Schicht hinzu zu nehmen. Zwischen zwei Passepartouts soll es so eingepasst werden, dass es Licht von hinten bekommt. Im oberen Drittel befindet sich eine horizontale Doppelfaltung, die entstand, um die Höhe des Formats zu verringern, damit es besser im Rahmen sitzt. Auf diesem zusätzlichen Gestaltungselement kann ich nun das Datum und die Signatur unterbringen.

Langsam und vorsichtig verdichtete ich die Figurensequenz auf Rolle 8 weiter. Ich achte genau darauf, das ich den richtigen Zeitpunkt für das Ende der Arbeit finde. Das kommt, wenn sich das Gleichgewicht zwischen der zeichnerischen Verdunklung und der leuchtenden Erzählung aus zusammengefügten Fragmenten einstellt.

Vinzenz Reinecke schickte mir mehrere Fotos von einer Aktion, während der, nun schon zum zweiten Mal, auf einen schönen glatten Marmorblock geschossen wurde. Dazu benutzte er auf einem polnischen Schießplatz eine großkalibrige Waffe, mit der ansonsten Hubschrauber abgeschossen werden. Der zerborstene Block erzählt viel von Unschuld und Gewalt.

Sich Entfernen






Die Morgensonne scheint tief stehend durch einen Regenschleier auf den aufgespannten Streifen der Rolle 8, auf dem sich die Figurensequenz gestern weiter verdichtete. Innerhalb der Figurenumrisse entstehen neue Gestalten, die vorher noch nicht sichtbar waren.


Ich höre ein Konzert von John Coltrane, vom 25. Oktober 1963 in Kopenhagen. Ich bin damals in Thüringen angekommen. Umzug, neue Schule und eine Form der Fremdenfeindlichkeit bei meinen Mitschülern und Lehrern, die mir zu schaffen machte. Meine Diktate waren so schlecht, dass mir das Heft um die Ohren gehauen wurde. Nun empfinde ich die Musik, die gleichzeitig in Kopenhagen gespielt wurde, als eine Art späte Befreiung. Die Erinnerung wird in diesen Sound eingepackt und von ihm gelindert.

Manchmal habe ich Lust, den Mehltau, der auf den Videokonferenzen liegt, wegzuspülen. Die digitale Entfernung fügt sich zur allgemeinen Vermummung hinzu. Es ist nicht so leicht, die Situation locker als Herausforderung zu nehmen. Dafür muss man schon ein gehöriges Stück entfernen. Mir hilft das Zeichnen dabei.

Reise



Ein Dokumentarfilm über eine Landemission auf dem Jupitermond Europa zeigte mit gestern deutlich die Schönheit der Gravitationsschwünge, die die Weltraumfahrzeuge beschreiben, wenn sie auf ihren langen Reisen an massereichen Objekten vorbeigeschickt werden, um die Fahrt aufzunehmen, die sie benötigen, um diese großen Entfernungen zurückzulegen. Unvorhergesehene Schwierigkeiten werden oft mit dem Reparaturkoffer der Phantasie behoben.



Auf Rolle 8 zeichnete ich gestern die Verdichtungsüberlagerung der Figurensequenz aus der Vergangenheit. Die Rückgriffe auf älteres Material bekommen während der Arbeit am Väterprojekt mehr Bedeutung. Also bewegt sich die Arbeit hin zum Autobiografischen.

Die Gesprächsrunden zu „YOU&EYE“, ob mit dem Anna Freud Institut oder mit Vandad zeigen immer mehr, dass es sehr darauf ankommt, flexibel mit der Pandemiesituation umzugehen. Die Reduktion der Arbeitsmöglichkeiten mit Schülern fördert digitale Ausweichmanöver. So kommen wir zu GPS-Wanderungen, die zu Skulpturen verarbeitet werden…

Figurenreihen


Eine Reihe von 23 Figurenumrissen übertrug ich von Rolle 2 auf 90 cm der Rolle 8. Dabei erfuhren sie eine Stilisierung und somit eine Verdichtung. Es handelt sich um Umrisse aus den Buchmalereien von 2005. In einem nächsten Schritt kann ich nun die umzeichneten Flächen mit Überlagerungen füllen, die durch das Zusammenrollen des Transparentpapiers durchscheinen. Am Wochenende dachte ich, einzelne Relieftafeln mit jeweils nur einer Figurengruppe formatfüllend bemalen zu können.


Franz eröffnete gestern eine Schaufensterausstellung. Es war zu viel Trubel, um sich die Bilder in Ruhe anzuschauen. Jedenfalls hat er sich nun wieder von der Symmetrie entfernt, mit der ich gehadert hatte. Ich brachte ihm das Relieffragment mit, das ich extra für ihn hergestellt hatte. Nun kann er es weiter verarbeiten. Das ist der Startschuss für unsere Zusammenarbeit.

Auf einer Streuobstwiese zwischen Schlossborn und Glashütten sah ich gestern einen Apfelbaum mit einem völlig ausgehöhlten Stamm. Dennoch trug er wohlschmeckende Äpfel. Ich sammelte einige aus dem Gras auf und nahm sie mit nach Hause. Durch die schönen Ausblicke während des Spaziergangs weiten sich auch die inneren Verfassungsstrukturen. Ich trat aus der Enge des täglichen Stadtslaloms.

Fortsetzung der Reliefmalerei

Ich bin froh, dass ich von der „Zwangsfigürlichkeit“ der gegenwärtigen Buchmalerei befreit habe. So kann ich sie zwang- und zwecklos weiterentwickeln.

Das ist ja der Sinn meiner zurückgezogenen Arbeitsweise. Letztlich haben Skrupel und Befremdung dazu geführt, dass meine Bilder eher im Verborgenen gedeihen können. Das ist mir zu wichtig, als dass ich es durch den Kunstbetrieb beschädigen lasse.

Die Umrisszeichnungen, mit denen ich gestern auf Rolle 8 arbeitete, sind den Tanzzeichnungen etwas ähnlich. Zunächst begann ich mit der Überlagerungssequenz einer längeren Figurenreihe. Mit einem solchen Arbeitsschritt, bei dem ich die Motive zunächst von der alten auf die aktuelle Transparentpapierrolle durchzeichne, stilisiere ich die Umrisse, was ich als Verdichtung empfinde. Der zweite, etwas simplere Konzentrationsvorgang, ist die Überlagerung dieser reduzierten Linien, im versetzten Rhythmus, der aus dem Radius der Rolle, bei ihrem Zusammenrollen und dem, parallel dazu stattfindenden Durchzeichnen entsteht. So nähere ich mich dem Figurenmaterial und versuche mich, für die Fortsetzung der Reliefmalerei vorzubereiten.

Altes und neues Material

Bei der Besichtigung des Materials, das ich um den Jahreswechsel 2006 / 2007 entwickelt habe, fielen mir hunderte von Ausdrucken der Buchmalereien in den Hände. Sie sind vergrößert auf A5 und scheinen die Vorlagen für die Weiterverarbeitung auf der Transparentpapierrolle Nr. 2 (?) aus ebendieser Zeit zu sein. Beim Blättern erinnerte ich mich an die Empfindung, die das Fragmentarische der Motive auslöste. Es war der adäquate Ausdruck dessen, mit dem ich beim Arbeiten am meisten anfangen konnte. Der Übergang von den konkreten Figuren zu den abstrakten Strukturen schafft einen Grenzbereich. Vergrößert man diesen und vertieft sich in diesen Fluss, beginnt eine flirrende Bilderreise.

So sollte es nun auch innerhalb der bemalten Reliefs zugehen. Die Grenzsituation zwischen Skulpturalem und Tuschmalerei, zwischen modellierten Splittern und weichen malerischen Übergängen und zwischen Tanzfiguren und Ornamenten, bietet ja genügend Anhaltspunkte.

Die Ausformung des nächsten Reliefs beendete ich noch am Vormittag. Nun trocknet es ein paar Tage. Gleichzeitig fertigte ich ein fragmentiertes Exemplar des beispielhaften Exemplars für Franz an, damit auch er sich malerisch mit diesem bewegten Grund beschäftigen kann. Vielleicht erzeugt den einen Impuls für eine weitere Zusammenarbeit.

Neues Relief

Mit der Herstellung von Pappmache bereitete ich gestern die Ausformung des nächsten Reliefs vor. Außerdem wachste ich die entsprechende Form. Nichts Besonderes also. Aufschlussreicher dagegen ist die Besichtigung der Umrisszeichnungen der Buchmalereien von 2007. Diese größeren Kompositionen in die Reliefmalerei einzubeziehen, würde bedeuten, einen nächsten Schritt der Verdichtung zu unternehmen. Nur, wenn das gelänge, wäre es eine weitere Begründung, diese Arbeit wieder zu verwenden. Es tut außerdem gut, mich von der Weiterbearbeitung der derzeitigen Buchmalereien zu lösen, weil ich dann bei ihnen freier bin.

Zäh vergeht die Zeit. Es bleibt nichts, als uns ganz und gar in unsere Arbeit zu vertiefen, gründlich, ausdauernd und selbstmotivierend. Wie viel Selbstbeschränkung bei allen anderen Unternehmungen eintritt, ist wechselnden Einschätzungen unterlegen. Mich beschleicht manchmal das Gefühl, zu viel zu lassen.

Das städtische Projekt „YOU&EYE“ rückt wieder näher. Auch hier überlege ich mir Veränderungen, damit man ungefährdeter arbeiten kann. Draußen könnte man beginnen, am Müttermantel zu arbeiten. Das wäre das richtige für starke Jungs, die ihre Kraft dafür aufwenden wollen, einen Stamm auszuhöhlen. Außerdem könnte ich GPS – Gänge unternehmen, um mit ihnen Grundflächen für Extrusionen zu schaffen…

Komprimierte Schale

Was interessiert mich an den alten Buchmalereien? Ende 2006 bestehen sie in der Hauptsache aus Figuren innerhalb abstrakter Linienstrukturen. Gut verfolgen lässt sich ihre Weiterbearbeitung auf der, damals aktuellen, Transparentpapierrolle. In den Umrisszeichnungen, die darauf entstanden sind, erscheint alles reduzierter und gleichzeitig in dichteren Kompositionen. Das ist spannender als das Ausgangsmaterial und eignet sich am ehesten für die Bemalung des nächsten Reliefs.

Ich habe das Gefühl, dass ich meine äußere Schale komprimiert. Ermahnungen, sich vorsichtig zu verhalten, um sich nicht mit dem pandemischen Virus anzustecken, treffen als äußerer Druck auf den inneren, der im sich sich Wehren besteht. Ich halte mit meiner Produktion dagegen. Die kommt von einem kreativen Innendruck. Die dadurch zusammengepresste Schale schränkt meine Beweglichkeit ein. Ich sitze und zeichne.

Der Rückzug verbindet sich mit fehlender Planbarkeit von Reisen, Projekten und Begegnungen. So lebe ich von einem Tag auf den anderen. Das versuche ich als Entlastung zu sehen, versuche die Konzentration beizubehalten.

Taunus | Licht | alte Buchmalereien

Ein Taunusspaziergang gestern. Leuchtende Äpfel in alten Bäumen. Die Luft war weißlich und feucht und die Farben der Wälder wechseln, zunächst nur fleckenweise. Die Temperatur war angenehm zum Laufen in den Waldrandarealen an den Bächen und Teichen entlang.

Jetzt trinke ich Leitungswasser, die Sonne kommt heraus und leuchtet das Atelier mit kaltem Licht aus. Es fällt auf die vielen Gläser mit Tusche, Wasser Schellack, weißer Wandfarbe, Bindemittel und Pinselsträußen. Ich sehne mich manchmal nach leeren Tischen und nach einem leeren Hirn, in dem keine wilderen Affe tobt.

Ich schaue mir Buchmalereien an, die 15 – 20 Jahre alt sind, um sie auf ihre Eignung für die Übertragung auf das nächste Relief zu überprüfen. Dabei lese ich auch, was mich in dieser Zeit beschäftigt hat. Oft sind das Dinge, die mit der Stadtpolitik und meiner Arbeit in diesem Zusammenhang zutun hatten. Ich bin froh, dass ich mich davon etwas entfernen konnte. Am Nachmittag möchte ich mit der Bemalung des aktuellen Reliefs fortfahren.

Zeit nehmen

Für die Buchmalereien nahm ich mir am Morgen viel Zeit. Es finden Versuche statt, die Handballenabdrücke weiter in den Vordergrund zu rücken. Mit Hans Zitko sprach ich, im Zusammenhang mit dem Väterprojekt, über Chuck Close. Bisher hat das große Doppelportrait nur eine oberflächliche Verbindung mit seinen Bildern. Es gibt aber Malereien, die er mit den Fingern gemacht hat. In dieser Weise kann ich mir vorstellen, meine Handballen für die Einfärbung des Splitters zu benutzen.

Wenn ich diese Arbeitsweisen innerhalb der Buchmalereien entwickle, rückt die aktuelle Bearbeitung der Reliefs schnell im Hintergrund. Sie braucht zwar viel Zeit, ist aber nicht so anspruchsvoll. Wenn ich aber die Tuschelinien, mit denen ich die Oberfläche fülle, auf dem Bildschirm stark vergrößere, haben sie immer noch Kraft genug, ihre Spannung zu halten.

Für die Collagen, die ich mit einem sehr simplen Bildbearbeitungsprogramm mache, nehme ich mir auch zunehmend mehr Zeit. Schaue ich mir die Reihe von mehreren tausend dieser Arbeiten an, finde ich, dass das verstärkte Augenmerk darauf, bestätigt wird.

Vergrößerung | Verdichtung | Implosion

Den ganzen Nachmittag konnte ich gestern konzentriert, bis in den Abend, an der Tuschmalerei arbeiten, mit der ich die Figurengruppen auf dem Relief umgebe. Daran will ich heute und morgen weiter arbeiten, um diese Woche wieder ein sichtbares Vorankommen zu ernten.

Seit gestern zog ich mich, innerhalb der Buchmalereien, auf einem vorsichtigen Gestus zurück. Heute nahm ich einen harten Bleistift, um mit ihm Linien in das weiche Papier zu gravieren. Durch eine gründliche Farbschraffur treten sie dann in den Vordergrund. Transportiere ich dann diese Liniengebilde mit meinen feuchten Handballen per Druck, in ein anderes helles Papierareal, so erscheinen die gravierten Linien neu und hell. Das geschieht in Bereichen von wenigen Zentimetern, lässt sich aber per Scan gut vergrößern und auf Transparentpapier weiter verarbeiten: verdichten, wieder vergrößern und verdichten bis zur Implosion durch zu viel Masse.

Solche Strukturen würde ich gerne per Handballenabdruck auf die Splitter übertragen. Die Mischung der Handlinien und der Papiergravuren ergeben die Kartierung einer gebirgigen Landschaft aus meinem Rückzug. Unscharfe Erinnerungsfotos gewinnen an konkreten Details und verbinden sich zu einem Panorama. Jedes Detail weist auf den Mikrokosmos hin, der unter den Vergrößerungen neue Panoramen der Erinnerung zur Verfügung stellt.

Wurf

In einem Wurf übertrug ich gestern alle Tanzzeichnungen, die ich ausgesucht hatte, auf das Relief. Es handelt sich um 9 Motive, von denen ich eins geteilt und die zwei Fragmente an zwei verschiedene Stellen untergebracht habe. Jetzt erst, wenn ich einzeln beginne, die Splitter mit Tuschezeichnungen zu füllen, wird sich herausstellen, wie sich die geschichtete Komposition aus Rasterpunkten, Scherben, Splittern und Zeichnungslinien, bewährt.

Auf Rolle 8 habe ich das Zusammenspiel der bisherigen Elemente getestet. Die Kompositionen lassen sich gut einrichten, weil ich die Zeichnungen hinter dem Transparentpapier, auf dem schon die Formfrottagen vorhanden sind, verschieben und so Abstände und Gewichtungen probieren kann.

In einem Podcast des Deutschlandfunks hörte ich Interviews, Berichte und Tonbeispiele zur Entwicklung des VEB Schallplatte der DDR. In einer Aufnahme war Ernst Busch zu hören, wie er korrigierend in eine laufende Gesangsprobe hinein sang, dass einem das Blut in den Adern stockte. Die Büros dieses Musikverlages waren im ehemaligen Reichspräsidentenpalais, das sich direkt hinter dem Reichstag und somit hinter der Mauer befand. Die Stimme von Busch verfolgte mich bis in die Nacht, weil ich glaubte, den Tonfall aus meiner Kindheit zu kennen.

Schwankend

A4-Blätter mit Tanzzeichnungen liegen auf der Hobelbank. Manchmal teile ich ihre Motive und übertrage sie in entfernte Areale des Reliefs. Ich bin gerade nicht mehr sicher, ob ich die Zeichnungen aus dem Ballettsaal mit den Umrisslinien der Buchmalereien zusammenbringen soll. Ist es besser, sie auf unterschiedlichen Formaten unterzubringen? Das ist etwas, über das ich nachdenke, aber noch nicht weiß, zu welchem Ergebnis ich komme.

Die Übertragung des Motivs auf die Reliefs, ist ein ziemlich steifer Vorgang. Ich will den Zeichenstil dieser Zeit aber beibehalten, obwohl ich das heute anders machen würde. Gestern ließ ich die Collagen des vergangenen Jahres als Diashow laufen. Das hat mich froh gemacht.

Ich lese immer wieder in den Interviews der DDR-Bürger. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich das runterzieht. Mein kreatives Hochgefühl der letzten Woche, wurde von den Erinnerungen an das hoffnungslose Grau, gedämpft. Die Atelierheizung ist allerdings repariert, das macht schon mal die Muskeln weicher. Vielleicht kommt auch das Nachdenken über die Holzskulpturen mit Gips, Pappmache, Transparentpapier, Tusche und Schellack wieder in Gang.

Tierwelt | Figürliche Ahnung

Mitten in den Buchmalereien unterbreche ich die Arbeit, gehe hinaus ins Gärtchen und auf die Wiese. Dort schaue ich auf die Tierwelt, die reicher zu werden scheint. Ich kann nicht alles, war ich genau sehe. Ein Paar Grünspechte kann ich identifizieren, den Roten Admiral und die Singvögel. Aber schon bei den Grashüpfern werde ich unsicher, auch bei Käfern, Schnecken und Kleininsekten.

Die Heizung des Ateliertraktes hat sich selbst und ich bin auf die Wärme der Glühlampe über dem Zeichentisch angewiesen. Manchmal kommt kurz die Sonne raus. Dann steigt die Temperatur um ein Zehntelgrad.

Die Miniaturen in meinem Tagebuch entledigen sich überflüssiger Gesten zugunsten klarerer Linien. Ich hantiere mit Figuren und versuche sie gleichzeitig auflösen, damit nur eine figürliche Ahnung bleibt. Wenn ich Umrisslinien diese Erscheinungen auf Transparentpapier bringe und sie dann bei der Bemalung des aktuellen Reliefs benutze, bleiben sie für diesen Zweck formbar.

Asketisches Grau

ch lese manchmal Interviews, die DDR-Bürger aus Anlass des 40. Jahrestages ihres Landes, gegeben haben. Dabei tritt die unglaubliche Tristesse, in Form eines fast greifbaren Graus hervor. Dieses unbunte, strenge und enttäuschte Resümee, geht mir heute noch nahe. Ich suche nach Bestandteilen dieser Äußerungsform in meinem Sprechen.

In wesentlichen Teilen findet meine Rede ja im Bild statt. Das Grau, als Mischung vieler Farben, ist ein konzentriertes, verdichtetes Medium. Im Licht des asketischen Rückzugs, leuchtet es und wird Träger einer Grundlagenforschung. Das führt, laut meiner Prägung, zum Wesen der Kunst.

Gestern zeichnete ich den Entwurf, den ich auf Rolle 8 gemacht habe, auf das neue Relief, das ich in der vergangenen Woche abgeformt habe. Ein weiteres Tanzzeichnungsmotiv, fügte ich dann, wieder entwurfsweise auf Rolle 8, in die untere rechte Ecke des Formates ein. Noch habe ich keine Buchmalerei zum Einfügen ausgesucht. Das ist der nächste Schritt.

Übergänge

Auf Rolle 8 habe ich eine Teilfrottage von der Reliefform mit zwei Tanzzeichnungen zusammengesetzt. Das breite Querformat mit Kulissenwänden sitzt ziemlich mittig im Relief. Auch in den Buchmalereien finden sich heute Kulissenarchitekturen und Figuren.

Zu der fließenden Schellackschicht, mit der ich die letzte Überlagerungssequenz anlösen und teilweise vom Kristallinen ins Flüssige verwandeln wollte, bin ich leider noch nicht gekommen. Im Zusammenhang mit der Vergabe des Physik-Nobelpreises, wurde viel vom Zusammenbruch der physikalischen Gesetze berichtet. Der Übergang von Materie in einen anderen Zustand durch Verdichtung, bildet sich am Rande der Schwarzen Löcher ab. Das inspiriert mich, mit den Vorgängen auf Rolle 8, noch einmal genauer und gründlicher umzugehen.

Beim Betreten des Ateliers am Morgen, erschien mir die Materialität vom Gips, Schellack, Tusche, Pappmache und Graphit, besonders wertvoll. Immer mal schon erschien mir die Vermischung dieser Materialien und ihre Nutzung für skulpturale Projekte, als sehr reizvoll. Jetzt kommt mir in den Sinn, solche Arbeitsschritte auch mit der Behandlung von Holzskulpturen zu verbinden und damit einen Schritt in Richtung „Mütterprojekt“ zu gehen. Der „Müttermantel“, den ich aus dem trocknenden Pappelstamm herausarbeiten möchte, könnte dann eine Oberflächenbehandlung bekommen, die aus diesen Stoffen gebildet wird, mit denen ich nun schon eine Weile arbeite.

Lichtwechsel | Motivvorbereitung | Probebühnen

Der rhythmische Lärm der Abrissmaschinen wird von einem frischen Wind nach Osten getragen. Die Schienenschläge der S-Bahn kommen wattiert, von den schnellen Lichtwechseln, die durch die vorübereilenden zerfetzten Wolken verursacht werden, begleitet, bei mir an. Alles überlagert sich mit dem Grundrauschen der windigen Stadt.

Auf Rolle 8 verdichtete ich doch noch einmal, mehr der Seelenpflege wegen, die Buchmalereien-Sequenz. Das vollständig glatt getrocknete Relief grundierte ich langsam und gründlich, ordnete währenddessen die Wege zur Vorbereitung der Motive, die für die Malerei bestimmt sind. Auf der Transparentpapierrolle werde ich Umrisszeichnungen von meinen Buchmalereien und Ballettsaalzeichnungen ausprobieren. Ich will sie mit Frottagen von Teilen der Reliefform kombinieren. Diese Einzelmotive setze ich dann auf dem Relief zusammen.

Die Architektur der heutigen Buchmalereien orientiert sich an den Zeichnungen, die ich auf den Probebühnen der Theater gemacht habe. Die Probenwände schufen rohe Kulissen, vor denen die Figurenszenen abliefen, immer wieder neu, von vorne. In ihrer Unvollständigkeit boten sie Durchblicke in die hinteren, dunklen Winkel dieser Räume, wo Schauspieler auf ihren Auftritt warteten. In den Collagen erlaubt ihre Durchlässigkeit Blicke auf Teile der Buchmalereien-Sequenz dahinter.

Gleichgewicht der Ebenen

Gestern, am Sonntag, zeichnete ich weiter an den „Gebirgen“ der Buchmalereisequenz auf Rolle 8. Ich meine, dass ich nun mit den Verdichtungen fertig bin und bereite den nächsten Schritt vor. Mit dieser Schicht aus Schellack kommt es, durch das Anlösen der Tuschestruktur, zur Erosion der „Landschaft“. Irgendwann ist beim Fortfahren das Gleichgewicht der Ebene vorhanden. Durch die Gravitation sind Senken und Anhöhen verschwunden. Die Einfärbung der Transparentpapierfläche hätte somit einen gleichmäßigen Farbton.

Während einer Essenseinladung sprachen wir gestern Abend über ein Projekt mit Liedern von John Cage, die sich durch ein Zufallsprinzip verschieden überlagern. Mich interessiert das wegen der Verwandtschaft zu meinen zeichnerischen Überlagerungen. Die aber folgen gleichmäßigen Rhythmen, wodurch überraschende Lücken oder plötzlich verdichtete Höhepunkte nicht entstehen. Alles folgt dem gleichmäßigen Fluss meiner eigenen Handschrift auf der Transparentpapierrolle, die sich langsam füllt und immer weiter zusammengerollt wird.

Das Relief, das ich in der vergangenen Woche ausgeformt habe, kann ich vielleicht noch heute aus der Form lösen und dann gleich grundieren. Womit ich die Malerei nun inhaltlich angehe, habe ich noch nicht gewichtet, bin mir nicht klar, ob ich die tibetischen Motive weiter mit einbringen soll, oder nun wieder ganz auf meine eigenen Buchmalereien und Tanzzeichnungen setzen soll.

Tuschegebirge | Synaptische Kartierungen | Zeitstruktur

Mit anhaltendem Vergnügen verdichtete ich die Überlagerungssequenz aus den Umrisslinien zweier Buchmalereien auf Rolle 8, die ich mit Feder und Tusche auf das Transparentpapier übertrug. Die dichten Linien trocknen erhaben auf, bilden Landschaften, die ich mit den Fingerkuppen ertasten kann. Es sind Gebirge positiver Kraft, die ich mir errichte. Sie ersetzen die inneren Stadtlandschaften aus Gebäuden, in denen Leere wohnt, die sich mit Hass paart und Destruktion gebiert.

Wenn ich mit den Verdichtungen dieser geschichteten Figur fertig bin, soll ein weiteres Gestaltungsmittel hinzukommen. Mit Schellack will ich die dunklen Areale etwas anlösen und dann durch druckvolles enges Zusammenrollen, eine fließende Fläche hinzufügen, die im starken Gegensatz zu den kristallinen Figurationen steht, sie leicht verschwimmen lässt, und die ich mal „Synaptische Kartierungen“ nannte. Damals sind so hunderte Blätter entstanden. Auch mit Schülern praktizierte ich diese Arbeitsweise ausführlich.

Manchmal leiste ich es mir nun, in die Tage etwas hinein zu vagabundisieren. Das hat aber zur Folge, dass ich mich nach der Organisation von Zeit sehne. So überlege ich nun, ob ich mir wieder Aufgabenlisten schreiben soll, mit denen ich meine Arbeit und meine „Freizeit“ strukturieren und die ich Zeile für Zeile abhaken kann.

Trockenwiese | Rolle 8 | Zöglingsportraits

Am Morgen ist die Trockenwiese nass vom Tau. Nach den Buchmalereien pflege ich sie ein wenig, indem ich die großen Stauden, die keine Samenstände mehr haben, entferne. In der Kräuterspirale lebt versteckt ein Wespenvolk, das noch nicht entdeckt und ausgeräuchert worden ist. Wenn sie fort sind, interessiere ich mich für ihre papierene Stadt.

Weil das Relief noch trocknet, arbeitete ich weiter auf Rolle 8. Die Umrisse von Buchmalereien sollen nun ernsthaft zu einer Überlagerungssequenz verdichtet werden. Das Ziel ist nicht, dies in die Bemalung der Reliefs mit einzubeziehen. Es geht nur um mein Wohlbefinden, während dieser Meditation. Allerdings sind die Zeichnungen auf den Splittern auch mit dem Vergnügen an dieser Arbeit eng verbunden. Die ornamentalen Motive unterscheiden sich zwar von denen auf Rolle 8, fließen aber auch kontinuierlich in steter Konzentration aus der Zeichenfeder. Impulse zur Linienführung kommen von den modellierten Oberflächenstrukturen der Splitter. Der Erfolg zeigt sich im anhaltenden spannungsvollen Wohlbefinden.

Auf allen Kanälen geht es um das Wiedervereinigungsjubiläum, das am 3. 10. begangen wird. Die Veränderung meiner Erinnerungen an die DDR durch meine Gegenwartserfahrungen, schlagen sich selten deutlich in meiner Arbeit nieder. Lediglich in den Zöglingsportraits auf Transparentpapier, findet sich eine direkte Äußerung des Erinnerns an diese Zeit.