Befragung

Am Morgen befragte ich die Buchmalereien. Es ging um die Wendungen der Linien, die Kurvenschwünge, Spitzkehren oder Umkehrpunkte sein können, die sich vom Gravitationsgeschehen scheinbar entfernen. Das ganze Geschehen kann von den schwebenden Kulissenwänden eingefangen werden in ein dreidimensionales Koordinatensystem.

Manchmal stelle ich mir die Buchmalereien in 3 D – Animationen vor. Der erste Schritt dahin, sind die werktäglichen Collagen. Diese ließen sich auch mit dreidimensionalen Programmen erweitern. Der Kunstmarkt hat gerade eine Akzeptanz solcher Arbeit im Zusammenhang mit strengen Limitierungen entwickelt. Meine eigene digitale Arbeit ist dem sehr fern.

Gestern formte ich das 13. Relief des aktuellen Väterportraits ab. So kann nun die Arbeit an ihm in der nächsten Woche beginnen. Auf Rolle 9 werde ich mich mit Umrisszeichnungen der neu entstandenen Collagen beschäftigen, sie zusammenbringen mit Figuren älterer Produktion.

Schleier I Schichten I Abwechslung

So wenig inspiriert die Buchmalereien am Morgen entstanden, so passend ließen sie sich in die Collagen einfügen. Dort spielte lediglich das Geschehen der vorigen Tage noch eine zusätzliche Rolle, ein paar Fragmente der Ornament-Figuren-Schicht des Reliefs, ein paar Schleier der vorausgegangenen Malereien – Zeitschichten.

Heute werde ich das nächste Relief abformen. Es soll sehr langsam und vorsichtig trocknen, dabei muss ich auf eine gleichmäßig starke Schicht achten, damit sich die Fläche nicht verzieht und wellig wird. Es ist etwas anderes, als das anstrengende Ornamentzeichnen, was sich dann, nach dem Trocknen und der Grundierung, anschließen wird.

Etwas Abwechslung würde mir gut tun. Dennoch will ich nicht zulassen, mich mit anderen, Projekten vom Finale der letzten 4 Formate ablenken zu lassen. Bin mir nicht sicher, wie sich eine wirkliche Pause auswirken würde. Also bleibe ich lieber dran, auch wenn es schwer fällt und zusätzlich Kraft kostet.

Gedreht?

Manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass die Beschreibung der Kontinuität und Konzentration bei meiner Arbeit nur ein, ins Positive gedrehter, Zustand der Eintönigkeit ist. Das trifft die täglichen Buchmalereien, die Collagen und die täglichen Eintragungen in das Werktagebuch. Der stetige Beginn mit den Gravitationsschwüngen am Morgen, setzt eine Maschinerie in Gang, die bis zum Abend rotiert, um am nächsten Tag wieder neu zu beginnen.

Gestern stellte ich das aktuelle Relief fertig. Darauf sind über den Scherben einige Figuren und eine Bühnenlandschaft, umgeben vom mäandernden Ornamentteppich der Erinnerungswege zu sehen. Die Splitterbruchkanten, innerhalb der Figuren, habe ich hell gelassen, auch wenn dadurch eine Apsarafigur stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Im Rest der Woche kann ich mich nun um die Vorbereitungen der Arbeit am nächsten Exemplar widmen.

In den trockenen Tagen, wird mein Gärtchen zur Oase für das Kleingetier der Umgebung. Manchmal wimmelt es von Insekten, Eidechsen und Vögeln. Die Mäuse fange ich weg und setze sie am Gustavsburgplatz wieder aus. Sie stören mich, weil sie auch mein Atelier als Aufenthaltsort nicht verschmähen.

Lärm

Der allgemeine Lärm in der Nachbarschaft steigerte sich gestern. Abgesehen von dem Baumaschinengetöse, wurde die Restaurantterrasse tagelang mit einem Hochdruckwasserstrahl gereinigt. Heute wird das Holz still mit einer Schutzlasur gestrichen. Lasuren gibt es auch in den heutigen Buchmalereien. Meist werden Farbwolken durch das Vertreiben mit dem feuchten Handballen übereinander geschichtet.

In der anderen Nachbarschaft versammelten sich gestern Familienangehörige mit großem Mitteilungsbedürfnis und entsprechen lauten Sprachorganen. Meine Arbeit braucht viel Konzentration. Ich kann den Lärm nicht immer mit Musik in meinem Ohr abdecken. Manchmal ist relative Stille nötig. Außerdem ist solches Verhalten auch ein soziales Ärgernis.

Entsprechend meines Arbeitsplanes, fülle ich die Figuren zwischen dem Ornamentteppich nun mit schwarzen Tuschescherben. Bislang können die Schnittkanten sich hell absetzen und die Splitter umgrenzen, ohne dass die Erkennbarkeit der Figuren leidet. Wenn es dazu kommen sollte, werde ich auch die hellen Kanten eindunkeln.

Kleinraumgreifend

Die Ornamentschicht des aktuellen Reliefs habe ich am Freitag fertig gezeichnet. In der Folge stellte ich mir die Arbeit an Objekten vor, die aus Holz, Gips, Draht und Pappmache bestehen. Sie sind bemalt mit Tusche und Schellack. Der Umgang mit den Materialien spendet dabei den entscheidenden Impuls. Mal sehen, wie stark der ist und ob es tatsächlich zu solchen kleinraum-greifenden Skulpturen kommt.

Vorgestern sind innerhalb der Buchmalereien menschliche Figurenumrisse entstanden. Eher sind es Farbflecken, die man für solche halten kann. Von meinen Sinnen wird das begrüßt und hat Auswirkungen auf die Suche nach Motiven, die im nächsten Relief von Ornamenten umgeben werden. Ihre Entwicklung auf Rolle 9 steht an und damit eine vergnügliche Arbeit.

Gestern wurde eine Ausstellung eröffnet, in der ich mit Franz zusammen Objekte zeige, die wir innerhalb unseres Kooperationsprojektes „HINUNDHER“ angefertigt haben. Ich saß eine Zeit im Korbsessel in der Sonne vor dem Atelier von Franz, in dessen Schaufenstern die Arbeiten gezeigt werden. Ein gewisses Interesse war zu spüren. Dann aber gingen wir in die Hintertaunuslandschaften, um uns mit Weitblicken zu füllen.

Gift TON

Die Bohrarbeiten auf dem Gelände widmen sich der Umweltbelastung der Bodenschichten. Sie haben Bohrkerne mit Ton gefördert, von dem ich etwas, mit Erlaubnis der Arbeiter, in das Gärtchen tragen konnte. Die Stränge sind von einer sehr festen Konsistenz, grau und etwas sandig, garantiert belastet von den Chemikalien, die das Teveswerk Jahrzehnte lang in den Boden entsorgt hatte. Also werde ich vorsichtig damit umgehen.

Als mir am Morgen der Kaffee in meinem Espressokännchen übergekocht ist, bekam ich Lust, die Buchmalereien in eine Arbeitsweise zu überführen, die größere Formate erlaubt. Die Freiheit, die ich mittlerweile in den Büchern entwickeln konnte, auf Leinwand zu übertragen, wäre eine nette Pausenbeschäftigung, wenn ich mit dem zweiten Exemplar des Väterprojektes fertig bin.

Gestern umschloss ich die dritte Tanzfigur mit dem wuchernden Ornamentgesträuch. Und gleich drängt sich der latent in Hintergrund ausharrende Zeitplan nach vorne. In diesem Monat möchte ich dieses Relief fertig stellen und parallel dazu, schon mit dem nächsten beginnen. Die üblichen Arbeitsschritte, diesmal als „Tanz in den Mai“.

Zeitflächen

Geschichtete Zeitflächen, skulptural verdreht, gestreckt, geknüllt und verblasen als Faltenwurf in einem vorkosmischen Wind, entsprechen der Bühnenbildidee, in der ich die Materialien, auf ihnen liegend, mit meinem, sich zusammenziehenden Körper verforme. Diese Materialien können auch aus meinen Ornamentgeflechten bestehen, das die Scherben der Reliefs überspannt.

Nach der Apsara im linken Reliefhimmel, umgab ich die zwei Georg-Reischl-Figuren mit den Ornamentflächen auf 4 Scherben. Die Richtung der Gravitationsschwünge wechselt innerhalb der Buchmalereien aus dem Uhrzeigersinn in sein Gegenteil. Auf der Fläche der Buchseiten gibt es nur diese beiden Möglichkeiten. Nach drei Richtungswechseln, findet die Linie zumeist wieder zu ihrem Beginn zurück.

Die Abwesenheit von Produktion in der Nachbarschaft, führt bei mir zu einer wachsenden Aktivität, als müsse ich die entstehende Lücke, die Nische, füllen. Die gefalteten Diapositive hinter den Tuschelinienteppichen wachsen zu solchen Füllfiguren. Den Köpfen der Personen entspringen Strukturen ihres architektonischen Erlebens. Wieder entstehen Formen aus Zeitflächen.

Suchornamente

Die Apsara im linken Himmel des 2. Teils des 1. Scherbengerichtes dieses großen 2. Doppelportaits, habe ich nun vollständig mit den Suchornamenten umgeben. Gestern schon spielte dieser Vorgang in den Collagen eine Rolle. Dort widerstrebte mir das süßlich-schöne Gesicht der Himmelsgöttin, das ich mit digitalen Mitteln abmilderte.

Zwischen den Linien des Suchornamentteppichs schwingen die langen Halme der Wasserpflanzen im Quellbach des Klosters Gerode hin und her. Die Bisamratte huscht durch das Wasser an der Uferböschung. Holzplanken verschließen das Wehr des Fischteiches. Über dem sumpfig-moorigen Gelände schwebt der Drachen, den mein Vater mir gebaut hatte. Mir steigt Holunderblütenduft in die Nase…

225 Collagen sollten nun als Diashow in einem der Schaufenster von Franz, wo wir gestern unsere gemeinsame Arbeit zur Ausstellung einrichteten, flimmern. Ich gehen gleich noch mal hin, um das Gerät wieder einzuschalten, weil Franz ihm den Stecker gezogen hatte…

HINUNDHER

Im Atelier von Franz, in dessen Schaufenstern, haben wir die Exponate unseres HINUNDHER ausgelegt, stellten ein handgeschriebenes Schild dazu, dass es sich um Arbeiten aus einer Kooperation von Frank Reinecke und Franz Konter handelt. Zuvor hatte ich an einige Formate noch mal Hand angelegt, um die Kompositionen zurechtzurücken.

Man kann ja die ganze Zeit mit dem Stift oder Feder vor sich hin wurschteln. Beim Zeichnen allerdings ist eine folgerichtige Anordnung der Elemente die Voraussetzung für eine, wie immer auch geartete Lesbarkeit des Bildes. Spannung und Verdichtung sollte sich dadurch aufbauen, weniger durch Provokation.

Am Nachmittag konnte ich weiter in Ruhe an dem Ornamentteppich weben, der nun schon über ein Drittel des aktuellen Reliefformates bedeckt. Eigentlich wollte ich schon weiter sein. Mäandernd versuche ich auf die Verzweigungen meiner Erinnerungen zurückzugreifen. Dabei handelt es sich zunächst um Linienkonstellationen. Sofern sie sich mit räumlich-haptischen Situationen verbinden, treten die schemenhaften Erinnerungen hervor, nach denen ich auf der Suche bin. Sie sind die Voraussetzung für die Entschlüsselung der Codes, die zur Sichtbarmachung der verschwundenen Figur Oscar Fitzner nötig sind.

Kanalarbeiter – Kommentar

Das Inspektionssfahrzeug der Unterweltforscher steht wieder vibrierend vor dem Atelier. Die Abwasserröhren werden von innen beleuchtet und mit Kameras begutachtet. Mit viel Trinkwasser werden die weit verzweigten Leitungen durchgespült. Die in die Jahre gekommene Ausrüstung lärmt mit ihren Pumpen, Lagern und Generatoren. Die Stimmen sind gesättigt von der Bedeutung des Tuns ihrer Träger, den Kanalarbeitern.

Gestern wurde auch ich von einer gewissen Grobheit erfasst. Als ich meine misshandelten Reliefmedallions kommentierte, tauchte ich den Pinsel tief in das Tuscheglas und stapelte weitere Relieffragmente auf das Format, klebte sie mit viel Farbenbinder fest, so dass er über die Räder hinaus quoll. Die unschuldig warmgrau wirkende Pappe wurde mit kantigem Schwarz malträtiert.

Die Buchmalereien gehen mir am Morgen zwar schnell von der Hand, aber nicht leicht. Der stete Fluss der Entscheidungen wird manchmal reißend. Wie in einem Kajak versuche ich die Stromschnellen so zu nehmen, dass mein Kopf über der Wasserlinie bleibt.

Überraschung

Der überraschende Schwung, der heute in die Buchmalereien fuhr, kam von einer winzigen öligen Spur auf dem Papier, im Bereich des 3. Formates. Von dort aus machte ich einen Handballenabdruck auf Nummer 2, wo die Struktur der sich abstoßenden Flüssigkeiten erst richtig sichtbar wurde. Dann ging ich mit den Abdrücken wieder zurück nach 3 und auf den Anfang 1. Der Vorgang war dann abgeschlossen, nicht noch einmal zu wiederholen.

Parallel arbeitete ich gestern am aktuellen Relief und an einem Relieffragment, das ich gemeinsam mit Franz bearbeite. In der Kooperation mit ihm lösen sich die dichten Ornamentstrukturen auf und zeigen dadurch mehr von ihrer Energie, die in den Zeichnungsteppichen des Väterprojektes erst auf den zweiten Blick erscheint und die weiteren Schichten dahinter preisgibt.

In unserer Zusammenarbeit geht es von meiner Seite aus oft um Gegenreaktionen. Indem ich ein Motiv von Franz aufnehme, wird es von meiner Handschrift verändert und bekommt somit eine weitere Ebene. Dabei beharre ich möglichst auf der Verschiedenheit unserer Herangehensweisen, aus denen sich eine Energie etablieren kann.

Angestaute Energie

In den Unterdruck, der aus den entgegengesetzten Sogbewegungen des Zeichnens und des Schauens herrührt, fällt meine überraschende Impfung gegen Covid 19. Die angestaute Energie kann nun, wie Formschaum aufgehen und die leere Nische füllen.

Das funktioniert derzeit mit den Schellackschichten und Ornamenten, die ich gegen die Bildgesten von Franz auf die gemeinsamen Formate setze. Das geschieht, wie nebenher, aber trotzdem konzentriert. Gut gefallen mir bisher die Relieffragmente, die in unseren unterschiedlichen Weisen bemalt sind. Ihre unregelmäßigen Umrisse, die sich nach den modellierten Scherben richten, umfassen die eigenartige Mischung aus verschiedenen künstlerischen Gesten.

Wenn ich heute die Augen schließe, treten kräftige Farben auf. Auf diese Weise ahne ich Farbklänge, bevor ich sie auf das Papier bringe. Dann geht der Blick auf die Aquarellstiftesammlung, die auf dem Tisch liegt, ich suche die entsprechenden heraus und beginne entweder einen Umriss, Schwünge oder Schraffuren zu zeichnen. Das Malerische entsteht durch den feuchten Handballen, mit dem ich die Farben einerseits verschwimmen lasse und Motive per Abdruck in die anderen Formate übertrage.

Gegenmittel

Zwischen den Gravitationsschwüngen suche ich nach Lückenfüllern für das Vakuum, das dort entsteht. Auf der Nachbarbaustelle sind große Muschelkalkblöcke gefunden worden. Diese Schichten komprimierter Jahrmillionen werden nun zu einem Kinderspielplatz zurechtgeschlagen.

MY PANDA SHALL FLY, ein Musikstück von Hainbach, Sonnenschein am Morgen, Fastfood-Müll habe ich am Eingang des Geländes aufgesammelt, ein paar Flugzeuge streifen diagonal über das Atelier. Raumstruktur neben und über den Wolkenfransen.

Der lockere Malgestus von Franz reizt mich innerhalb unserer Kooperation, zu einer akribischen Gegenreaktion. Sie entsteht aus dem Ornamentteppichsog der Reliefs. Auf beiden Seiten dauert es manchmal eine Weile, bis das jeweilige Gegenmittel gefunden ist. Musik hilft uns beiden dabei.

Vakuum

Die Inspizienten der Unterwelt haben ihre lärmende Kopie des Minotaurus direkt vor mein Gärtchen gestellt. Die Dieselabgase dringen in mein Atelier ein und bedrängen jeden Gedanken an die Splitterreliefs. Er wird in die Schichten unter den Abwasserleitungen gespült.

Während ich gestern Abend in Ruhe ornamentierte, versuchte ich den Raum zwischen dem Sog, der beim Zeichnen entsteht und dem, der sich bestenfalls beim Schauen einstellt, zu definieren. Es scheint, als würde dazwischen ein temperaturloses Vakuum entstehen. Nur ein, aus dem Nichts generierter, Gegenstand in dieser Nische, kann eine Temperatur annehmen.

Aus den Pflanzkästen des Restaurants ist ein Apfelbäumchen gestohlen worden, wie Sukkulententöpfe aus meinem Gärtchen in den vergangenen Sommern auch. Die sonstigen Gehölze bei mir scheinen kaum von Interesse zu sein. Sie bekommen nun neue Erde, die ich auf dem Gelände zusammenkratze, dazu Asche von meinem Gartenfeuer als Dünger.

Beschleunigungen

Es ist Montag, und ich möchte die Woche ruhig beginnen – hatte überlegt auf der Wiese ein paar Mohnblumenflecken zu säen, ein wenig Erde dorthin werfen, wo der Schotter noch hervorschaut. Dann aus den Mohnkapseln die schwarzen Krümelchen herausschütteln, darauf streuen, etwas einarbeiten und Wasser drauf…

Gestern füllte ich die Scherbe des Reliefs, die ich am Freitag begonnen hatte mit dem Ornamentverlauf zu versehen, der sie eindunkelt und die Partie innerhalb des großen Doppelportraits der Väter als Schatten im Gesicht definiert, fertig. Beim Zeichnen mit Feder und Tusche entsteht eine Rhythmik, die eine Beschleunigung nach sich zieht. Sie rührt von dem Reiz her, die Linien so zueinander zu ordnen, dass zwischen ihnen spannungsvolle Flächen entstehen, scharfe Spitzen sich mit sanften Rundungen begegnen, sich abwechseln in unregelmäßigen Abständen und so einen Sog erzeugen, der in das Universum hinter den Linien führt.

Ähnliche Vorgänge stellen sich während der Arbeit an den Buchmalereien ein. Die Wanderungen der gezeichneten Formen, durch die Handballenabdrücke von einem zum andren Format, erhöhen ebenfalls das Arbeitstempo, bis ich den Vorgang unterbreche, im Garten etwas räume oder Kaffee koche. So komme ich wieder zur Besinnung und beginne von neuem das Spiel.

Kreisliniensegmente

Die Amsel, die gestern auf einem Zaun ihre abwechslungsreichen Tonfolgen pfiff, wurde am Morgen vom Videountersuchungsfahrzeug der Kanalerbeiter vertrieben. Die Aufzeichnungen aus der Unterwelt verfolgen den Weg unserer Abwässer. In der Baugrube der Nachbarschaft bildete sich seit einigen Wochen ein grüner See.

In die Brüche zwischen den Splittern des Reliefs, ergoss sich gestern Tusche. Die Flächen begann ich mit einer neuen Zeichnfeder ornamental einzudunkeln. Das ist jetzt wieder eine Phase der Meditation und des Erinnerns. Eingeprägte Ereignisse erlebe ich mit den Erfahrungen der dazwischen liegenden Jahre noch einmal anders. Der veränderte Blickwinkel zeigt die Szenen mitunter genauer. Schwarzweißfotos werden zu dreidimensionalen Begebenheiten, die ich durchstreifen kann, um sie mir von allen Seiten anzuschauen.

Bei der Übertragung von geraden Linien mit dem Handballen, von der einen zur anderen Buchmalerei, werden Verzerrungen deutlich, die durch den Druck auf die flexible Haut entstehen. Geraden werden zu Kreisliniensegmenten verbogen, die die großen Gravitationsschwünge erahnen lassen.

Ohne große Gesten

Unter den zwei Apsaras, die von rechts und links in die Szene des aktuellen Reliefs schweben, hat nun ein abstraktes Motiv, aus einem Collagenquerformat, seinen Platz gefunden. Ich wollte mir dafür etwas mehr Zeit nehmen, aber die Suche nach dem geeigneten Umriss war dann schnell entschieden.

Auf dem Tevesgelände befinden sich Kanalarbeiter auf einer Erkundung nach der Entwässerung des Stadtgebietes rund um die große Baustelle in der Nachbarschaft. Sie kommen mir verwandt mit den Untergrundfiguren meines Theatertraumes, aus einer der letzten Nächte vor. Als seien sie aus dem gotischen Kellergewölbe emporgestiegen, verwickelte ich sie neugierig in ein freundliches Gespräch, um sie zu bändigen.

Auf dem Platz vor dem Atelier lernen Flüchtlingsfrauen ihr Gleichgewicht auf Tretrollern mit großen Speichenrädern kennen. Sie erscheinen mir wie Käfigbewohnerinnen, die unter einem Überwurf gewachsen sind und nun andere Dimensionen kennen lernen. Das geschieht still und ohne große Gesten.

Übersetzungen

Drei größere Tanzfiguren übertrug ich gestern in das untere Drittel des Reliefs. Bis ich sie in dieser Weise zu Einsatz gebracht hatte, dauerte es eine Zeit. Vor genau zwölf Jahren begann ich mich mit der Ballettaufzeichnung „One Flat Thing, Reproduced“, aus der die aktuellen Figuren stammen, und mit der dazugehörigen Website zu beschäftigen. Nun passe ich, bevor ich den ersten Tuschestrich auf die raue Oberfläche mache, die Größe an und suche eine Stelle auf den Splittern, wo alles möglichst gut zusammenklingt und wahrnehmbar bleibt.

Außerdem begab ich mich auf die Suche nach der zweiten Apsara, die wie ein Posaunenengel, von der linken Seite her, einschweben soll. Gefunden habe ich sie wieder in den Wandmalereien des Klosters in Alchi. Nun beginnt die Übersetzung in die richtige Größe und Stilisierung, damit sie auf der unruhigen Splitterfläche Bestand hat, sich seitenverkehrt einfügt. Zunächst probierte ich das in den heutigen Collagen.

Das abstrakte Motiv, das im Zentrum stehen soll, ist noch nicht gefunden. Aber sicher entsteht es aus den Buchmalereien der letzten Wochen. Möglicherweise werden es auch mehrere. Diesen Entwicklungen möchte ich nun mehr Aufmerksamkeit widmen.

Luftwurzeln

Ich krame erst einmal herum, öle das Ateliertürschoss, sprühe Wassernebel auf die Luftwurzeln der Ableger der Goethepflanzen, die an den Rändern ihrer fleischigen Blätter wachsen, sich zu Gewirren verflechten und üppig rosafarben blühen. Sie ähneln den heutigen Buchmalereien. Während der Arbeit an ihnen, dachte ich an die Gesträuche, in die ich mich schon hineingesehen und sie gezeichnet habe.

Ein Motiv, an dem ich derzeit in Kooperation mit Franz beschäftigt bin, in die Reliefarbeit einzuflechten, habe ich verworfen. Eine eigene abstrakte Umrisszeichnung von Collagen der letzten Zeit, erscheint mir sinnvoller und für das sehr persönlich Thema geeigneter.

Mit dem Ende der Ostertage kehrt wieder die normale Regelmäßigkeit ein, die so wichtig ist für das Überstehen der Zeit, in der die Pandemie anhält. Gestern schnitt ich mutig die Bäume zurück, die im Laufe der letzten Jahre im Gärtchen gewachsen sind. Sie sind nun so kräftig, dass ich sie durch das Ausästen in klar abgegrenzte Räume und Etagen einteilen kann. So bekommen sie mehr Licht und Gestalt. Aus einer dünnen Humusschicht, die sich auf dem Beton jenseits meines Gartens gebildet hat, wachsen hunderte von kleinen Buschwindröschen. Das sieht fast bedrohlich aus. Ich will abwarten und schauen, was daraus wird…

Schwebungssummer

Innerhalb von Autobahnbaustellen, in denen man auch den Seitenstreifen mit befahren soll, erinnere ich mich, wegen der rhythmischen Querschläge, an die DDR-Autobahnen. Und „Schwebungssummer“ heißt ein Stück von Hainbach, das ich gerne, im Rückblick auf diese Fahrten, mit meinem Effektgerät und der Gitarre, nachempfinden würde.

Ein freier Tag im Atelier. Zeit zum driften in umbesetzte Räume. Auf einem kleinen Bildschirm lasse ich die Collagen dieses Jahres laufen. Meine produktive Zeit ist mit diesen Strukturen und Farben verflochten.

Aus ihnen tauchte in der Nacht, in einem Traum, die Theaterwelt auf. Ich hatte den Auftrag, für die Stückentwicklung einer Oper, ein Bühnenbild zu entwerfen. Dafür durchstöberte ich die Werkstätten und den Fundus nach geeignetem Material. In den Regalen und auf den Tischen lagen Folien, Papier, Stoffe und Mischformen davon. Ich formte diese Lagen, indem ich mich darauf ausstreckte, um mich dann zusammenzuziehen. Der so entstehende Faltenwurf blieb stabil und konnte zum Gebirge des Kanchenjunga montiert werden. Außerdem wurden auch Kostüme für den Chor, das Tanzensemble und das solistische Personal, aus diesem geformten Stoff hergestellt. Sie konnten auf diese Weise, im Gebirge getarnt, unsichtbar werden. Bei der weiteren Suche gelangte ich in ein gotisches Labyrinth, das tief in die Erde führte. Aus dem warmen Dunst stieg mir der feindliche Intendant mit seinem Gefolge entgegen, dem ich – größenwahnsinnig, wie oft im Traum – die Stirn bieten zu können glaubte.

Umgekrachtes Holz

Wieder treten Zitate von den Tempelwänden der himalayischen Klöster innerhalb des Väterprojektes auf. Die Apsara, die ich gestern mit den Splittern des aktuellen Reliefs verband, hat direkten Blickkontakt mit den Tanzfiguren, die ich vorgestern zeichnete. Diesen möchte ich mit einem abstrakten Motiv unterbrechen. Mir erscheint es richtiger, eine Umrisszeichnung der gegenwärtigen Buchmalereien ins Zentrum dieses Formates dazwischen zu setzen. Das basiert auf dem Gefühl, Zeiträume nachzuzeichnen oder zu entwickeln.

Einen Chatverlauf, der sich kürzlich zwischen zwei Personen auf meinem Telefon ereignete, habe ich, in meiner Phantasie, am Morgen mit Kreuzstichen zusammengenäht. Wenn ich die Naht auftrenne, erscheint das Gesicht von Oscar Fizner, dem leiblichen Vater meines Vaters dahinter. Er dreht sich weg und die entstandene Lücke füllt sich mit den Herzschwächen und dem Misstrauen der folgenden Generationen.

Gestern stieg ich wieder, tief atmend, auf meinen Berg. Ab und zu standen im Wald pünktlich prächtige Osterglocken. Der Gipfel des Altkönigs wird immer beliebter. Die eingegrenzten Möglichkeiten der Stadtbewohner tragen dazu bei. Weite Waldareale am Südhang sind geschädigt und abgeholzt. In den Reservaten verrottet das umgekrachte Holz.