Selbstgespräche

Die glatten Schnittflächen der Lavasteine versah ich mit Pigmentkörnern und Wasser, um sie auf die leeren Buchseiten zu pressen und so die Buchmalereien zu beginnen. Durch minimale Bewegungen entstehen Richtungen, die durch drehen oder ziehen anders ausgerichtet oder unterstrichen werden können. Abhängig von der Herstellung einer Spannung zwischen Ruhe und Aktion, zwischen wolkiger Ferne und scharfkantigem Vordergrund oder reiner Abstraktheit und Menschenfiguren, verlaufen die Arbeitsgänge. Nach dem aufreibenden, dichten und schnellen Tun, benötige ich eine Pause.

Sind die Buchmalereien schon Selbstgespräche, so schließen sich dann die Wortreihen als ebensolche an. Das Ende der Malerei wird meist durch ein gesprochenes Wort begleitet, das bestätigt, dass es richtig ist, jetzt aufzuhören. Aber was kann schon Falsches passieren bei den vagen Andeutungen von Wind, Fluss, Schwebe, Sturz, Auflösung und Materialisierung.

Vor und nach einem Besuch von Franz, der dem Ende der Väterarbeit galt, zeichnete ich an Rolle 9 weiter. Die Arbeit mit Feder und Tusche ähnelt oft dem Schreiben. Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich die Linien ohne absetzen durchgehend miteinander verschlingen kann. Dann dringt Ruhe in mich ein und es ist als hätte ich damit eine Therapieform gefunden.

Gitter

Mit der Beendigung des Väterprojektes (oder seiner Unterbrechung?) sucht der Blick wieder den sich weitenden Horizont, dessen Ausdehnung der des Alls folgt. Und Folgerichtig wende ich mich den Räumen der Apsaras zu und finde in ihnen den Gleichklang zwischen den sich gegenüberstehenden Bewegungen von Expansion und Verdichtung. Dazwischen fächert sich zunehmende Abwesenheit auf.

Ich habe das Blatt gefunden, dessen Gravitationsschwünge die 4 Scherbengerichte nach sich zogen. Die Schwünge der Apsaras folgen einem neuen Kraftfeld. Teile davon erscheinen mir hinter meinen Augen. Plastische Erhebungen tragen aber noch die Muster des letzten Väterportraits. Sie stellen sich wie schmiedeeiserne Gitter vor die weite Landschaft.

Ich zeigte einem, immer wieder wegdriftenden, alten Menschen ein Spiel mit 2 Knöpfen an den langen Fransen meines Schals. Wenn ich die Fäden mit Schwung einander entgegen führe, umkreisen sich die Knöpfe und bilden eine Verschlingung, die unter Zug von beiden Seiten hält. Löse ich die Spannung, dröseln sich die zwei Stränge mit den Knopfgewichten an ihrem Ende wieder auseinander. Das wiederholte ich immer wieder, bis die Augen sich wieder schlossen.

Fertig

Die letzten Tuschelinien am Väterportrait versetzten mich gestern in eine feierliche Stimmung, in eine gewisse Euphorie. Nun bin ich vom Starren auf dieses Projekt befreit. In den Tagebüchern reise ich kurz zurück in den Frühsommer 2016, in dem ich mich mit den Scherbengerichten, einem der Ausgangspunkte der Arbeit, befasste. Daniel Libeskind war damals im Boxcamp und Konzerte fanden auf den Abstellgleisen der U-Bahn statt.

Carola kam gestern, um ihr kompliziertes Set zur filmischen Aufnahme der Komposition für zwei Stimmen, die sie alleine singen wird, im alten Holzlager einzurichten. Wir wollen den Gesang mit den beiden Väterportraits konfrontieren. Sie unterbrach die letzten feierlichen Minuten meines Zeichnens, dessen Ende sich dadurch noch einmal kurz herauszögerte.

Und gleich zeichnete ich auf Rolle 9 weiter mit der Linienverdichtung im Gravitationsraum der Apsaras. Ab diesem Moment begann die Rekonstruktion und Ausweitung des Kraftfeldes.

Im Zwischenraum

In Gesprächen mit den Passanten, die vor dem Schaufenster von Franz stehen blieben, um meine Transparentpapierrollen anzusehen, ging es oft darum, dass nur ein Bruchteil dieser Arbeit sichtbar ist. Man wollte mich überhaupt dauernd verpflichten, das, was ich zeichne auch zu zeigen. Ich entgegnete, dass es sich lediglich um Entwicklungsablagerungen meines Werkes handelt, die eigentlich nur für mich als Therapie und Steinbruch da sind.

Zwei größere abstrakte Apsaras zeichnete ich gestern auf Rolle 9. Indem ich ihre Gravitationsräume mit den Liniengeflechten der vorausgegangenen Zeichnungen fülle, begebe ich mich in den Zwischenraum von Väterportraits und Kraftfeldrekonstruktion. Es erscheint mit logisch und stimmig, damit in das Kraftfeld einzusteigen.

Die Figuren sind in den heutigen Buchmalereien von deren Atmosphären verschluckt worden. Die scheinen nur als Schemen auf. Eher geht es um Musik, um die 8 Präludien von Olivier Messiaen. Manchmal, wenn die Vögel in meinem Gärtchen verstummen, verraten nur Geraschel und Gewisper ihre Anwesenheit. So kann ich ihre stille Musik malen und die Sonne wirft das Flackern der Weidenblätter hinzu.

Verflogen

Im Wind, der durch die Buchmalereien streicht, verlieren die Figuren Teile ihrer Kontur. Das kann auch in starkem Licht oder im Strom einer Schallkanone passieren. Aber irgendwo materialisiert sich das Verlorengeglaubte wieder zu etwas Neuem: einem Lavasteinabdruck mit verflüssigtem Pigment, abstrakten Apsaras oder zu einer zerfließenden knienden Figur. Dazwischen wehen die Sonnensturmgesänge.

Nur an den Tagebüchern arbeitete ich gestern. Und nun führe ich Tagebuch über mein Tagebuchführen, beschreibe das gleichmäßige, schwarze Fließen der Tinte aus der Feder in meine schütterer werdende Schrift.

An den Klang des Glöckchens, das in einem überdimensionierten Glockenstuhl inmitten eines hüfthohen Steinrondells, das mit Kapuzinerkresse bepflanzt war, hing, erinnere ich mich nicht. Nach etwa 50 Jahren, als ich die schöne Zimmermannsarbeit wieder sah, war die Glocke fort. Vielleicht hat sie sich durch ihren eigenen Klang aufgelöst und ist mit den, mir unbekannten, Schallwellen verflogen.

Fixateur externe

Als wäre der Fixateur externe noch an meinem gebrochenen Unterschenkel befestigt, wie vor über 30 Jahren, taucht er immer wieder in Zeichnungen und Buchmalereien auf. Ganze Figurenoberkörper finden äußeren Halt an diesem, mit Streben an ihnen befestigten Metall, weil die Stützkraft ihrer inneren Konstruktion vorübergehend abhanden kam. Der Rhythmus der Tagebücher festigt mich auch von außen und verbindet mich mit dem Innen.

Mit Spannung sehe ich die Dokumentarfilme, die von den Träumen der Astronauten erzählen. Sie werden von Wissenschaftlern in die ihnen feindliche Ferne geschickt, um Stoff für die weiteren Geschichten von Herkunft und unvermeidlicher Beendigung einer erdbedrohlichen Existenz zu sammeln. Wenn das Barbarische dann aufgehoben ist, kehrt sich die Stille um in die Sonnenstürme.

Die Lavasteine aus Fuerte Ventura auf meinem Zeichentisch verbinden mich mit dem Bergrücken, über den wir in La Palma gewandert sind und der sich nun geöffnet hat. Die Verflüssigung des Pigments in den Steinporen auf den Schnittflächen, ein Vorgang den ich mir bei den Buchmalereien zunutze mache, ist das Zeichen meiner Verbundenheit mit den fließend glühenden Hängen.

Langsam fahren

In Schleifen durchziehen sich die Alltagsvorgänge. Der Zylinder der weißen Papierrolle, die ich im Schaufenster des Ateliers von Franz unter die Transparentpapierrollen legen will, wartet im Kofferraum unter der Klappe, während ich daneben auf einer, am Betonboden festgeschraubten, Bank mit meinen Nachbarn und dem Geländeverwalter sitze. Er redet von Gräben, die in den nächsten Jahren ausgehoben werden, um die Leitungen für die Wohnbebauung in der Nachbarschaft zu verlegen. Lärm und Staub von Exkrementen werden sich in den nächsten Sommerferien vermählen.

Beim Zeichnen der Ornamente in die Splitterumrisse, wurde es mir gestern schlecht vor Konzentration und Müdigkeit. Das Viele, das ineinander verschlungen ist, erreicht ein kritisches Maß.

Der Vorgang wiederholt sich in den Buchmalereien und den daraus entstehenden Collagen. Um der Illustration der Schleifen der Vorgänge und deren Potenzierung zu entgehen, müsste ich auf Reduktion setzen. Sie kann dann wieder Modelle entwickeln, die sich in den Alltag überführen lassen. Die Methode dafür ist: langsam fahren.

Das Handwerkliche

Gestern brachte ich meine Rollen 7 und 8 für eine Ausstellung in das Atelier von Franz. Es ist ungewohnt, dass sie mir nun nicht für die tägliche Arbeit, Rückschau und Weiterentwicklung zur Verfügung stehen, und es fühlt sich nicht richtig an. Entscheiden ist aber, was nun daraus entsteht. Auch die Pappen mit den aufgeklebten Relieffragmenten des Kraftfeldes, brachte ich ihm mit. Es hat lange gedauert bis ich einen Zugang gefunden hatte. Franz aber wollte gleich gestern spontan daran weiterarbeiten.

Vor- und nachmittags ornamentierte ich die Splitter der letzten Väterrelieftafel. Ich genieße die letzten Züge dieser Arbeit und den Übergang zur nächsten. Der Anschluss ist nun lange vorbereitet. Genügend inhaltliches Material steht bereit, um die Rekonstruktion und Überarbeitung des Kraftfeldes zu beginnen, um das Projekt zu erweitern.

Eine Kooperationsstruktur zwischen den unterschiedlichen Künsten und Gewerken, zu deren Entwurf ich in mein Atelier eingeladen habe, stelle ich mir sehr offen vor. Es muss genügend Raum bleiben, damit weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer andocken können. Jetzt schwebt mir ein Raum vor, der verschiedene Objekte in sich birgt, die auf handwerkliche Weise aufeinander bezogen sind. Die Inhalte sind nachgeordnet und ergeben sich aus dem Handwerklichen.

Väterdoppel(mord)portrait

Die zerfallenden Reliefs wollen, über ihr Haltbarkeitsdatum hinaus, nicht zusammenhalten. Sie fliehen in neue Konstellationen, fliegen auseinander und ballen sich in anderen Gravitationsfeldern neu zusammen. Das Bild bleibt aber eine Fläche, auf der sich zeigt, wie sich Zusammenhänge herstellen.

In der ersten Reihe des Schauspiels, in der Mitte (!) sahen wir die Premiere einer Dramatisierung von Kleists „Michael Kohlhaas“. Der Text floss mit großer Geschwindigkeit über die Rampe auf meine kalten Knie. Videokaskaden und Wortfeuern direkt ausgesetzt, ermüdete mich das Geschehen. Ich sehnte mich nach einer stillen Pause und bekam sie nicht. Das erhellte die Aktualität des Textes und der Inszenierung. Ich spürte die Atemlosigkeit der Informationsmaschinerie und ihre Auswirkungen in meinem Körper. Es war die erste Premiere nach 2 Jahren. Eine Schauspielerin hatte während des Applausausbruchs des Publikums Tränen in den Augen.

Ich arbeitete auch am Wochenende an meinem „Väterdoppel(mord)portrait“. Noch in diesem Monat werde ich damit fertig. Ich bin gespannt, wie ich mich dann fühle. Im Gärtchen schnitt ich die Birke und den Efeu zurück. Auf einer Holzleiter zwängte ich mich durch das Geäst, die Erinnerung an den schweren Leitersturz vor vielen Jahren in meinem Körper. Aber die Gartenarbeit im Sonntagslicht hat mit wohl getan.

Von Hand zu Hand

Eine leichte Unruhe begleitet mich in den Wechsel zur Arbeit am KRAFTFELD. Die Arbeit mit den Resten des zerstörten Reliefs führt mich in diesen neuen Themenraum. Gestern zeichnete ich noch dunkle Splitter auf das Väterrelief in die Gravitationsfelder der Apsaras, aber mit den Gedanken bin ich schon weiter.

Dafür räume ich bereits herum, frage mich, wie ich die große und schwere Form aus der Ecke herausrücken kann, in die ich sie vor 10 Jahren geschoben habe. Aus dem alten Holzlager holte ich weitere geformte und bemalte Relieffragmente, um mit ihnen Collagen anzufertigen. Passend dazu rief mich Franz gestern an, dem ich von meiner Arbeit zu unserem Kooperationsprojekt „hin und her“, die ich mit diesem Material mache, erzählte. Außerdem stelle ich bei ihm Rolle 7 und Rolle 8 aus. Es fällt mir schwer, sie auszuleihen!

Zwei Künstlerinnen von YOU&EYE lud ich zu einem Meinungsaustausch über Kooperationen in mein Atelier ein. Unser gemeinsames Projekt könnte dadurch etwas Schub bekommen. Dabei bewegen wir uns zunächst zwischen Psychologie, Modedesign und Malerei. Später können weitere Künstler hinzukommen. Es ist nahe liegend, dabei an Objekte zu denken, die von Hand zu Hand gehen und immer weiter verarbeitet werden.

Übergang zum Kraftfeld

Die Arbeit an den Buchmalereien habe ich heute zeitig abgebrochen. Ich hoffte auf diese Weise, das Wesentliche erscheinen zu lassen. Ob das gelang, wird sich erst im weiteren Verlauf der Betrachtung und der Nutzung der Bilder, beispielsweise bei der Weiterentwicklung des Kraftfeldes, erweisen.

Fragmente des zerstörten Werks schob ich gestern auf den Formaten hin und her, die mir Franz mit seinen Linienkompositionen ins Atelier gebracht hat. Als ich glaubte, die richtige Konstellation gefunden zu haben, klebte ich die Reliefstücken auf. Die Verbindungslinien, die ich zwischen die Inseln zeichnete, überzeugen mich noch nicht. Deswegen lasse ich sie bei den nächsten Exemplaren weg.

Gestern zeichnete ich die letzten abstrakten Apsaras auf Transparentpapier und übertrug sie dann auf das 16. Relief des zweiten Väterportraits. Die nun folgenden Arbeitsschritte sind klar vorgezeichnet. Nur der Übergang zum Kraftfeld verspricht noch Überraschungen. Innerhalb der Kooperation mit Franz habe ich aber bereits mit dieser Arbeit begonnen.

Richtungsänderungen

In einem Dokumentarfilm über die Erforschung von Asteroiden begegnete mir gestern erstmals der Bergriff „Mikrogravitation“. Er bezeichnet die geringe Anziehungskraft von kleinen Objekten im All. Schon von der Sonnenstrahlung kann ein Gegenstand aus einer Umlaufbahn geworfen werden. Manchmal haben Bleistiftlinien von mir diesen vagen Verlauf.

Gestern hatte ich ein Gespräch über die Kunst als ein sekundär korrigierendes Element. Stark gerasterte Gesellschaften scheinen das Sperrige und Unterminierende der Künste zu benötigen, um zu funktionieren. In diesem Sinne arbeite ich mit Schülern. Ihre Erfahrungen, die sie in meinem Atelier machen, können in entscheidenden Lebensmomenten aufblitzen und einen Impuls geben, der eine Richtungsänderung auslöst. Diese kann aus den vorgegebenen überraschend Bahnen heraustreten. Durch direkte Erfahrungen mit haptischen und geistigen Kunstproduktionsvorgängen können Vorgänge der Infragestellung von gesellschaftlichen Erwartungen in Gang gesetzt werden. Das soll ein Ergebnis meiner Arbeit bei „YOU&EYE“ sein. Gern würde ich Kooperationen mit anderen Künstlern mit diesem Ziel eingehen.

Eine der Pappen von Franz nahm ich mir gestern vor und probierte mit den Fragmentteilen des Kraftfeldes Kompositionen, die sich auf seine Linienvorgaben beziehen. Das möchte ich dann noch zeichnerisch mit Verbindungen zwischen den Reliefbruchstücken weiter führen.

Schwebe I Kontrast I Härtetest

Mit zwei abstrakten Apsaras arbeitete ich gestern am Relief weiter. Sie strahlen von oben auf die Figurengruppe, nehmen sie auf ihre Leitstrahlen und versuchen sie in der Schwebe zu halten. Von unten müssen noch mindestens 3 dagegenhalten, damit das ganz gelingen kann.

Seit ein paar Wochen benutze ich die Pigmentkrümel, die beim Spitzen der Aquarellstifte anfallen, für die Buchmalereien. Die Punktwolken strukturiere ich mit den glatten Schnittflächen der Lavasteine, die ich anfeuchte und über die gestreuten Punkte bewege. Dadurch entstehen parallele Linien, die den Schwüngen, Zickzacklinien oder Geraden folgen, die von der Bewegung der Steine gezeichnet werden. Sie bilden einen Kontrast zu der Strenge der Gravitationsschwünge und Kulissenarchitekturen, die die Buchmalereien bestimmen.

Jeden Morgen, wenn ich im Sessel sitze, um meinen Kaffee auszutrinken, fällt mein Blick nun auf ein Bild, das wir von Oliver Tüchsen erworben haben. Das ist ein Härtetest für seine Arbeit!

Abschied

Mit der ersten, schwarz eingefärbten, Figurengruppe auf dem 16. und letzten Teilrelief des 2. Exemplars der Väterportraits, beginnt ein Abschied. Die dichte Tiefe der Dunkelheit entspricht diesem Gefühl. Mich interessiert, ob es sich mit der Bewegung zum Abschluss hin, steigert.

Außerdem interessiert mich die Interaktion mit den anderen Künsten innerhalb des Projektes „YOU&EYE“. Die Korrektur des Künstlerbildes vom Einzelgenie zum Teamplayer, der in ein Produktionssystem mehrerer Mitstreiter eingebunden ist, könnte der Entwicklung der Arbeit mit Schülern einen neuen Schub verleihen. Aber die romantische Vorstellung vom „freien Künstler“ sitzt tief und ist bei manchem die entscheidende Kraft für das bildnerische Tun. Die Öffnung dieser Vorstellungen für neue gemeinschaftliche Experimentalfelder, kann auch den einzelnen Mitwirkenden Impulse verleihen, die ihre Arbeit verändert. „Künstlerkollektiv“ ist wohl ein passender Terminus.

Kürzlich schaute ich auf die ersten Einträge meiner Website aus dem Jahr 2011. Damals waren die Collagen klar gegliedert, die Themen waren voneinander abgesetzt und vermischten sich nicht so stark, wie heute. Das war natürlich informativer, was den Gang meiner Arbeit angeht. Aber darum geht es mir heute, besonders bei den Collagen, nicht mehr. Sie haben eine atmosphärischere Ausrichtung angenommen und an Klarheit eingebüßt.

Entdeckungen

Auf meinen Wasserwegen geriet ich gestern in einen Altarm der Nidda. Weil er durch umgestürzte Bäume, Rankenwerk und daraus entstehenden Engstellen und Unterwasserhindernissen, etwas aufmerksamer befahren werden musste, und nicht ganz klar war, ob ich an einem Punkt umdrehen musste, kam ich mir wie auf einer Entdeckungsfahrt vor. Es beschlich mich wegen der Dschungelhaftigkeit der Umgebung ein leicht mulmiges Gefühl, das durch meine Neugier besiegt werden wollte. Irgendwann tauchte am Ufer, mitten in der Wildnis, eine grummelnde rätselhafte Fabrik auf.

Dann sah ich in einiger Entfernung, wie ein roter Bootskörper zu Wasser gelassen wurde. Als ich näher kam, sah ich eine Frau, die mit einer bemalten Leinwand in das Boot stieg. Nach einem kurzen Gruß stellten wir einander vor und begannen einen kleinen Kunstdialog. Sie malt vom Boot aus. Ihre Arbeiten fand ich im Netz und auch die Mailadresse, sodass ich ihr auch einen Link zu meinem Arbeitstagebuch schicken konnte. Mich interessieren zunächst besonders ihre Kleiderobjekte.

So bekam ich selber Lust, einmal aus dem Boot heraus zu zeichnen: Strukturen der Bäume und Schlingpflanzen, die Brechungen und Aufsplitterungen in den Wasserspieglungen, Wasserpflanzen in der Strömung… – Die Väterarbeit ruht seit Jahren erstmalig während meiner Anwesenheit im Atelier. Ich fühle mich befreit, auch wenn die Fertigstellung des letzten Reliefs noch aussteht.

Schwarze Energie

Die schwarze Energie erkennen die Astrophysiker nur an den Auswirkungen ihrer Gravitation, die Licht lenkt. Das entspräche unsichtbaren Apsaras, die visuell abwesend, dennoch da sind, hinter den Verwischungen oder als Denkfiguren, die die Bildelemente zueinander fügen. Die Kompositionen und die Entstehung meiner Bilder folgen letztlich dieser schwarzen Energie, diesem Konstrukt, das nur durch seine Auswirkungen sichtbar und erklärbar wird.

Auf der Nidda flog mir gestern ein Eisvogel voraus. Er zeigte mir ein paar Uferstationen, an denen er sich niederließ und bog dann links ab in ein wildes Gelände, das mit dem Boot nicht erreichbar war. Zu beiden Seiten des Ufers waren viele Radfahrer unterwegs. Manche winken mir zu…

Dem Höllenlärm der Erdverdichtungsmaschine und ihren Erschütterungen weiche ich aufs Wasser aus. Das hat zur Folge, dass die Arbeit an der letzten Relieftafel stagniert. Das ist mir jetzt aber nicht so wichtig, lieber schone ich meine Nerven und entdecke auf diese Weise nach und nach die Flussabschnitte und andere Gewässer, die schnell und einfach von hier aus erreichbar sind.

Akustische Gewalt

Am Morgen dachte ich daran, die Pappen, die mir Franz mit seinen Zeichnungen ins Atelier gebracht hat, mit Fragmenten der zerstörten Reliefs zu bekleben, um dann an seinen Zeichnungen mit Tusche weiter zu arbeiten. Diese Tafeln auszustellen würde mir leichter fallen, als die Transparentpapierrollen, die für mich sehr wertvoll sind.

Auf Rolle 9 füllte ich den zweiten Figurenfriesumriss mit den vorausgegangenen Strukturen. Auf das fertig beschichtete Relief übertrug ich dann die Linien der zwei Figurengruppen. Es kostet viel Kraft, sich gegen die akustischen Gewaltakte der Höllenmaschine auf der Nachbarbaustelle, abzugrenzen. Die Vibration zerrüttet das ganze Gelände. Die Leute stehen fassungslos auf dem Platz. Auch wenn ich die lärmschluckenden Kopfhörer auf habe, geht das Brüllen durch meinen Körper, spüre ich das Rütteln auf dem Tisch.

In einer kleinen Pfütze, die ich in einem Betonschlagloch immer wieder mit Wasser auffülle, sah ich gleichzeitig 4 Meisen, die gemeinsam badeten. Und die zweite Brut der Mauereidechsen ist geschlüpft. Die Körper sind vielleicht 4 Zentimeter lang. Die Raumausstatter bestaunen sie.

Fäden aufnehmen

Die Fäden aufnehmen, von gestern oder vom 07.09. 2010. Vor 11 Jahren stand ich kurz vor der Ausstellungseröffnung vom „Frankfurter Kraftfeld“, das nun zerstört oben im alten Holzlager liegt. Ein Gedanke von gestern war, Einzelteile der Reste des Kraftfeldes zu Objekten zu verarbeiten, die sie zusammen mit gebogenen Weidenruten bilden. Diese sind ineinander verkettet und bilden größere Gruppen.

Abend sah ich mir noch einmal einen Dokumentarfilm zur Rosetta-Forschungsmission an. Es ging dabei um die Landung auf einem Kometen. Besonders interessierte mich die Swingnavigation, die bei der Beschleunigung des Objektes durch die Gravitation beim Vorbeiflug an Planeten erreicht wird. Würde ich mich mit dieser Praxis näher auseinandersetzen, käme das der Kraft meiner abstrakten Apsaras zugute.

Die Höllenmaschinen der Nachbarbaustelle lassen den Boden vibrieren und das Geschirr in den Küchenschränken klappern. Dabei fangen auch die Linien der Buchmalereien an zu wackeln, denn sie machen auch seismografische Aufnahmen. Immer mal wollte ich die Bauarbeiter fragen, was sie da eigentlich machen, wenn sie ein 10 Meter langes Rohr mit einem Durchmesser von einem guten Meter in den Boden rammen und dann Sand hinein füllen. Aber in dem Lärm ist kein Gespräch möglich. Ich setze meine Kopfhörer auf, mit denen ich auch die Außengeräusche vermindern kann, und höre Musik.

Ruppig und schnell

Die Buchmalereien der letzten Tage sind ruppig und schnell entstanden. Es war nicht so viel Zeit am Wochenende, was der Qualität der kleinen Bilder nicht schadete. Es schieben sich Gesten in den Vordergrund, was die Atmosphäre luftiger und bewegter macht. Manchmal zeichne ich später konkrete Linien mit dem Füller dazu, die die Konturen noch einmal umreißen.

Mehrfach war ich in den letzten Tagen mit meinem Kajak auf dem Wasser. Wichtig ist die Vorbereitung einer Paddelfahrt, vor allem das Kartenstudium und das Recherchieren von Einsatzstellen, wo man das Boot einfach ins Wasser heben kann. Denn eine langwierige Suche nach solchen Stellen kann nerven. Auf der Nidda dachte ich, dass man seine Stadt aus dieser Perspektive neu entdecken kann.

Nun ist alles bereit dafür, das letzte Relief fertig zu machen. Heute will ich die Schellackschicht aufstreichen. Dann kommt der Zug von Figuren, der mir am Morgen wieder auf Rolle 9 begegnete auf die Scherben und Splitter und wird danach von abstrakten Apsaras in der Schwebe ihrer Gravitationen gehalten.

Laila und Vinzenz

Zwei Umrisse von Figurengruppen vom 31.08. 2021 zeichnete ich gestern auf Transparentpapier. Einen davon übertrug ich bereits auf Rolle 9, um ihn dort in der bewährten Art mit den Schichten der vorausgegangenen Geflechte anzufüllen. Und in die Collagen habe ich beide, auch kombiniert, hineingesetzt.

Außerdem grundierte ich die Rückseite des letzten Reliefs, als es noch fest mit der Form verbunden war. So wird die Pappmachefläche weniger wellig. Nach Trocknung und dem Herauslösen, beschichtete ich dann die Vorderseite. Nun kann ich die Transparentpapiere mit dem Umrissen auf dem weißen Relief herum schieben, um zu schauen, wo ich sie am besten platzieren kann.

Laila und Vinzenz, die wir am Abend im La Strada trafen, erzählten, dass Laila, nachdem die nun promovierte Medizinerin ist, am Städel beginnen wird, Kunst zu studieren. Gelinde gesagt, war das eine Überraschung! Wir gingen dann ins Atelier, wo wir über unsere Arbeit sprachen. Die Ideen für Konzeptkunstwerke von Laila sind bemerkenswert. Ich würde gerne dafür den altmodischen Begriff humanistisch verwenden. Vinzenz schreibt.

Fließender Übergang

Durch eine Luke im oberen Bereich der Glaswand, die ich im Sommer offen lasse, ist ein Rotschwänzchen zu Besuch gekommen. Nun findet es nicht mehr hinaus. Das Hin- und Herhüpfen lenkt mich ab, weswegen ich die Tür öffne und den Lärm der Baustelle hereinlassen muss, damit der Vogel hinaus findet.

Die Figuren, die in den letzten 9 Buchmalereien vorgekommen sind, möchte ich auf Rolle 9 übernehmen, um sie dort auf ihre Eignung zu prüfen, sie auf die letzte Relieftafel zu übertragen. Diese ist in ihrer Form getrocknet und wird nun grundiert. In Gedanken bereite ich den Übergang mit diesen Figuren zum Kraftfeld vor. Er wird fließend gestaltet und soll wie von selbst passieren.

Mit Andreas war ich gestern im bayrischen Odenwald unterwegs. Auf unserer Wanderung sprachen wir über unsere Kindheit, Jugend und über die Ereignisse der letzten Zeit. Ein langes Gespräch im Gehen. Außerdem ist Vinzenz in Frankfurt. Wir versuchen uns zu verabreden. Gern würde ich ihm das zerstörte Kraftfeld zeigen, an dem er ja damals vor 11 Jahren mitgearbeitet hat.

Kooperationen

In der gestrigen Videokonferenz mit den Künstlerinnen und Künstlern, die beim „YOU&EYE“ – Projekt beteiligt sind, favorisierte ich noch einmal die Zusammenarbeit der verschiedenen Gattungen. Ich könnte mir ein gemeinsames Projekt mit dem Modeinstitut „Stitch by Stitch“, dem Malort, Oliver Tüchsen und den Choreografinnen vorstellen. Letztendlich läuft so etwas immer auf eine theatralisch-performative Inszenierung heraus, auf ein Gesamtkunstwerk Im Idealfall würden alle mitmachen.

Am frühen Abend war ich bei Franz. Wir besprachen die nächste Ausstellung und ich schaute mir seine Zeichnungen der letzten Zeit an. Im Zusammenhang mit unseren Bestrebungen zur Kooperation, fallen mir insbesondere unsere Gegensätze auf. Ich könnte auf den Pappen, die er mit Zeichnungen versehen und in mein Atelier gebracht hat, seinem fahrigen Strich mit konstruktiver Strenge begegnen.

Das abgegossene Relief ist trocken. In den Buchmalereien treten wieder Figuren auf. Jetzt ist der Zeitpunkt da, um das letzte der 16 Reliefs des 2. Väterportraits anzugehen. Aber heute besuche ich meinen Freund Andreas im Odenwald, Vinzenz ist in der Stadt, für den ich gerne auch etwas Zeit hätte und für den Freitag habe ich mir eine Kajakfahrt vorgenommen. Nächste Woche also…