Halbwildes Pferd

Die Arbeitschritte zu den Buch-Morgen-Malereien bleiben ähnlich. Aber je mehr ich von der Beschleunigung erfasst werde, umso wilder fliegen der Strukturen im Kreis oder hin und her. Am Ende muss das Geschehen das sich verselbstständigend meiner Kontrolle entzieht, wieder eingefangen werden, wie ein halbwildes Pferd vor Finisterre. Diese Bändigung gelingt durch ein kleines Innehalten und durch klärende Mal- und Zeichenvorgänge: Architekturen, Umrisse und klare Linien. Auch Andeutungen von menschlichen Figuren und Mischwesen gehören dazu.

Gestern entfernte ich fast das gesamte Pappmache aus der Kraftfeldform. Das ist ein mühsamer Vorgang. Nun aber kann ich mit meinen Schülern und einem Mädchen Frottagen der Abgeformten Linien machen, sie miteinander vermischen, um dann neue Figuren zu finden. Für sie suchen wir dann nach deutschen Bezeichnungen, die wir dazuschreiben.

Gleich im Anschluss an die Tagebucharbeit will ich Material einkaufen gehen: Transparentpapier, Graphitstifte, Trennmittel und so weiter. Zu einer intensiven Arbeit mit Vinzenz reicht meine Konzentration derzeit nicht. Zu viel ist noch in unserer vollständig sanierten Wohnung zu tun.

Arbeitsvorgänge

Nach langer Zeit sitze ich wieder am Zeichentisch im Atelier und habe Freude an der Buchmalerei. Sie wird sich nun durch den Einfluss des Materials, das sich im ganzen Raum während der Jahrzehnte angesammelt hat, wieder verändern. Schon heute meine ich einen kraftvolleren Zugriff gespürt zu haben, durch den allerdings keine gegenständlichen Umrisse entstanden sind.

In „1“ habe ich mit Gravitationsschwüngen begonnen. Dorthinein gravierte ich mit der Holznadel ebenfalls kreisende Linien, die ich mit einer Schraffur hell sichtbar werden ließ. Diesen Vorgang wiederholte ich mehrmals mit komplementärfarbenen Schraffurschichten. Mit Handballenabdrücken stellte ich neue Farbfelder her, die die Vorgaben für die nächsten Umrisse waren. Markanten Ecken der Flächen von „2“ verband ich mit venezianisch roten, flatternden Verbindungslinien, die ich teilweise zwischen den Verwischungen immer wieder erneuerte. So treten sie aus dem Raum mehr in den Vordergrund.

Die Kulissenwand auf „3“ bekam eine Binnenstruktur aus Holznadelgravuren und Farbschraffuren. Von der linken Seite transportierte ich sie per Handballenabdruck auf die rechte Seite von „1“. Das Arbeitstempo nahm dann zu. Es ging mit dem Abdrucken von Umrissen und Flächen schnell hin und her. Von trüben Zwischenergebnissen geht dabei die Energie aus, die bis zu einem akzeptablen Ende reichen sollte.

Die Kontinuität der Collagen

Die Kontinuität der Collagen unterbrach ich gestern, zugunsten der Buchmalereien, nach 10 Jahren. Es steht die Frage im Raum, ob ich das nun eine Weile beibehalte. So kann sich der Text, der ausschließlich das Werden der Malereien behandelt, mit den drei Abbildungen leichter verbinden. Über diese Experimente sollte ich mich langsam und ernsthafter diesem Zusammenspiel widmen. Letztlich gab Vinzenz den Anstoß mit seinem Ansinnen dazu, die Malerei zu dokumentieren und mit den gesprochenen Texten zu unterlegen. Seit längerem beschreibe ich diese Vorgänge, aber nicht so konsequent und ausschließlich, wie gestern.

Beim Betrachten der Bilder von heute, meine ich feststellen zu können, dass der Gedanke an die Arbeitsschritte des Collagierens mit Arbeitsergebnissen von Rolle 9 oder den Schichten der Vortage, schon aus den Hinterkopf verschwunden ist. Das führt zu einem reichhaltigerem Motivvokabular, das zu einer längeren und intensiveren Auseinandersetzung zwingt.

Aus Gravitationsschwüngen mit 3 Geraden, die durch ihre Schnittpunkte laufen, sich selbst an einem Punkt schneiden, wuchsen in der Folge verschiedene Konstruktionen: angedeutete Architektur, ornamentale Ausflüge, die letztlich durch Pigmentnebel verworfen worden sind, Figurenumrisse, die sich in Varianten wiederholen und Punktwolken, die mit der rechten Zeigefingerkuppe verteilt wurden. Die angedeuteten Gewandfiguren stammen aus dem Arsenal von Zeichnungen der suchenden Maler aller Zeiten. Als ich mir am Ende die erste Malerei anschaute, erschien sie mir, im Gegensatz zu den anderen beiden, etwas unfertig. Deshalb verband ich ihre Punkte mit zwei Dreiecksgittern, die die wolkigen Figuren in einem Raum versammeln.

Minotaurus

Beim Vertiefen in die Buchmalereien, ging mir das anschließende Schreiben durch den Kopf. Es liegt allein an mir, ob sich daraus eine wirkliche weitere Dimension entwickeln lässt.

Zunächst fällt mir die unbeholfen wirkende Figur auf der linken Seite von 3 auf. Im Nachhinein, nachdem ich den vorigen Satz geschrieben hatte, setzte ich drei senkrechte Linien zur Stabilisierung ein. Ein Dreiecksgitter schließt die Punktwolke, die von den Pigmentkörnern an meiner linken Zeigefingerkuppe herrühren, mit der ich hüpfend über kleine Areale des Papiers taste, zu einem Objekt zusammen. Es bleibt auf der rechten Seite von 3 zweidimensional. Das Objekt auf der linken Seite von 1 täuscht mit zusätzlichen, übergreifenden Linien, eine Dreidimensionalität vor.

Am Anfang standen die Krakelgravuren, die ich mit einer afrikanischen Holzhaarnadel in 1 grub. Darüber legte ich Gravitationsschwünge, die ich mit Indigo nachzog und per Handballenabdruck auf die anderen beiden verteilte. Dabei blieb bei 3 eine Stelle auf der Haut trocken, sodass das Zentrum des Motivs nicht übertragen wurde. Dann kann ich die entsprechende Stelle auf der Hand mit einem Wasserpinsel anfeuchten und noch einmal daneben abdrucken. So entstand ein venezianisch rotes Zeichen, das ich auf 1 übertrug. Dort verlängerte ich zwei der Linien, damit es zu schweben beginnt. Aus 3 setzte ich eine olivgrüne Wolke darunter, sodass etwas Wetter entsteht, das die Nähe eines Planeten anzeigt. Etwas unentschlossen bleibt das zentrale Motiv in 2. Dort entstand aus dem Abdruck der Gravitationsschwünge und der Verbindung der Schnittpunkte durch gerade Linien zu einem weiteren Dreiecksgitter, ein Mischwesen. Das ist ein Minotaurus in dem sich Fluid und Kristallin zusammenfügt.

Nach außen

Am Morgen blieben die Buchmalereien in einer zeichenhaften Stille stehen. Die Kraft reichte nicht für die Spannung, die normalerweise den Elan für den ganzen Tag begründet. Kein Wortgesträuch, das aufgelöst werden muss, der Zugriff auf Motive, Strukturen und Farben ist zaghaft. Zu sehr bin ich verteilt auf die verschiedenen Orte, zwischen denen mein Dasein derzeit strukturiert wird. Das Atelier ist weit von unserer Interimswohnung entfernt, worunter der normale Arbeitsrhythmus leidet. Außerdem werden wir in den kommenden Wochen viel Arbeit mit der Reinigung und Einrichtung unserer sanierten Wohnung zu tun haben.

Vinzenz stellte die Idee einer filmischen Dokumentation der Buchmalereien in den Raum. Dabei sollen auch die Tagebuchtexte eine Rolle spielen, die das Vorgehen beschreiben aus dem die Bilder entstehen. Wenn die sichtbare Tätigkeit durch die Worte nur gedoppelt wird, ist das zu wenig. Bei diesem Zusammenschneiden von Film und gesprochenem Text sollte eine weiterer Raum entstehen. Das muss man probieren, ob es gelingt. Gleichzeitig wird sich das Schreiben mit einem solchen Ziel verändern.

Die Worte „nach innen“, waren die, mit denen ich mich gestern in die Malerei begab. Sie sind wie der Aufruf, das Gegenteil zu machen, nach außen zu gehen, die Worte auf Rolle 9 zu tragen, wo sie das Fliegen lernen können. Einen Auszug von da habe ich auch in die Kooperation mit Claudia und Maya eingefügt. Ich überlege, wie ich diese Form der Zusammenarbeit, meinen Schülern näher bringen kann. Begonnen haben sie ja schon, indem sie ihre Blätter untereinander austauschten, um ein Figurengesträuch zu entwickeln, um darin eigene Motive zu finden.

Kooperationen

Anstatt die Erweiterung des Raumes auf Rolle 9 zu beginnen, hatte ich mich um die Reliefform zu kümmern. Das Pappmache hatte ich mit einem falschen, stark klebenden Leim versetzt. Somit bekam ich das getrocknete Material nicht heraus, ohne dabei die Form stark zu beschädigen. Das Trennmittel konnte der Klebekraft nichts entgegensetzen. Entsprechend langwierig ist es nun, das Material mit Wasser herauszulösen. Ein frustrierender Vorgang.

Die Schüler haben die Umrisszeichnungen, die ich für sie gezeichnet habe, alle nach und nach übereinander gelegt und mit viel Mühe durchgezeichnet. Dann sollten sie im entstandenen Gesträuch eigene Figuren finden und ihre Umrisse zeichnen. Das will ich ernst nehmen und auch selber was draus machen. So begebe ich mich mit ihnen auf Augenhöhe.

Am heutigen Vormittag traf ich mich mit Claudia und Maya in der Modedesignerwerkstatt von Stitch by Stitch. Wir besprachen den Fortgang unserer Kooperation und waren von den ersten Ergebnissen sehr angetan. Wir haben etwas Spannendes begonnen, das noch viel Potential zu haben scheint.

Vinzenz beobachtet meine Arbeit mit seiner Kamera. Ich konnte mir den Zusammenschnitt von Videos anschauen, die eine ruhige Ausstrahlung haben, dem Gang meiner Tätigkeit entsprechend.

Schrift, Schall und Raum

Atem, Schall und Raum sind die Worte, die sich aus dem gestrigen Schreiben herausgefiltert haben. Ich denke diese Elemente dreidimensional. Zunächst aber nimmt sie das Echo mit in die Buchmalereien. Drei mal werden die, aus den konzentrierten und dann verwischten Worten entstandenen, Umrisszeichnungen hin und her geworfen. Dabei entstehen neue Gebilde, welche immer wieder aufgelöst werden, bis mir mein Gefühl sagt: „Jetzt ist Schluss!“.

Für die Schüler, die heute Mittag kommen, zeichnete ich gestern 6 der Figuren des Kraftfeldes auf einzelne Transparentpapierbögen. Diese sollen sie dann durchzeichnen und mehrfach übereinander gruppieren. Außerdem können wir die Motive, oder was von ihren übrig geblieben ist, auf den Resten der zerstörten Reliefs suchen.

Vinzenz war gestern wieder zu Besuch in meinem Atelier. Er filmte und fotografierte mich bei der Arbeit. Ein paar Fotos schickte er mir schon. Das unterstützt meine Rekonstruktionsarbeit. Die Dimension der Dokumentation blieb bei meiner Arbeit immer etwas unterrepräsentiert.

Durch die Beschäftigung mit den herausgefilterten Worten, stellte sich am Morgen wieder eine Empfindung der Enge ein. Die Verdichtung durch das Übereianderschreiben der Worte im Rückgriff auf den Vortag, konzentriert die Arbeit auf den Raum des Tagebuchs. Aus diesem Muster will ich einen Ausweg finden, der mich aus den enger werdenden Wänden rettet. Am einfachsten ist das auf Rolle 9. Dort kann ich den Vorgang mit Tusche wiederholen, das Wortgesträuch mit Schellack anlösen und im Zusammenrollen verwischen. Diese „Synaptische Kartierung“ bereitet den Raum vor. Es gibt Arbeiten, die ich mit den alten 3 D Programmen anfertigte, innerhalb derer diese Arbeitsstrukturen dreidimensional auftreten. Schrift und Schall im Raum. Aus ihm wird das Echo hinausgetragen.

Enger werdender Raum

Wenn ich weniger im Atelier bin, verlagert sich meine Arbeit mehr nach innen. Am Tisch in der Kaulbachstraße finden sich neue Impulse. Mit Franz sprach ich gestern, bei einem Besuch in seinem Atelier, über die Zusammenhänge von Sprache, Raum und Atem. Uns ging es um den Einfluss dieser Dinge auf die Malerei. Die Zwischenräume zwischen Wachsein und Traum und die Umsetzung ihres Spannungsverhältnisses in unserer Arbeit, scheint in meinen Buchmalereien auf.

Die Transparentpapierrollen, die ich bei ihm abholte, lagen lange Zeit in seinem Schaufenster. Dort rollte er immer neue Stellen auf der 2,5 Meter langen Strecke zur Ansicht auf. Wegen des regen Interesses der Passanten meinte Franz, dass es schade sei, sie nicht öfter ausgestellt zu finden. Ich besuchte auch Ruth kurz in ihrem Atelier und genoss die Schichtungen ihrer Malereien.

Indem ich am Morgen die Worte „Instabilität der Diagonalen“ in Erinnerung an die gestrige Auseinandersetzung mit den Tagebuchbildern, als Impuls für die Malerei in Silben übereinander auf das Papier schrieb, beschlich mich das Gefühl eines enger werdenden Raumes. Dieser Zusammenhang zwischen den geschriebenen Wörtern und dem Abbild ihres Verklingens, bezieht mein Schreiben jetzt auf die Bilder vom nächsten Tag. Dort gelangt ihr „Farbschall“ in den Raum und ändert ihren Sinn. Absichtlich kann ich jetzt kein Wort für diesen morgigen Vorgang finden. Es wird sich in 24 Stunden herausfiltern.

„X“

Suchexpeditionen, Trixel Planet und Experimentalaufbau, sind die 3 Begriffe, die ich zu Beginn der heutigen Buchmalereien, in Silben übereinander verdichtet, auf die leeren Seiten schrieb. Zunächst fällt mir das „x“ auf, das in allen dreien eine Rolle spielt. Vielleicht kulminiert es in der zweiten Malerei, in den sich schneidenden Diagonalen, die aus einer Formation von Gravitationsschwüngen hervorgegangen sind. Ihre destabilisierende Kraft irritierte mich, so dass ich sie mit Papiergravuren und Indigoschraffuren in den Hintergrund versetzte. Das ist die stärkste Konfrontation in den heutigen Buchmalereien. Die Handschrift, von der ich ausgegangen war, ist fast verschwunden. Dafür übernahmen die Handballenabdrücke, Farbwolken und die aus ihnen resultierenden Umrisse eine Hauptrolle. Die durchsichtige Kulissenarchitektur in 1 bildet eine Klammer zwischen auseinanderstrebenden Bildteilen und fügt sie gleichzeitig in einem Raum zusammen. So gleicht die Arbeit einem Frage- und Antwortspiel oder einer Diskussion, woraus Geschichten entstehen, die dann erzählt werden.

Im Atelier beschäftigte ich mich gestern mit der Entstehung des Kraftfeldes 2010. Weil ich damals dafür Projektgelder beantragt hatte, ist die Arbeit gut dokumentiert. Auch die Transparentpapierrollen geben geben ausführlichen Aufschluss über die sich verbindenden Ideen und Figuren. Das Kraftfeld 2 beschäftigte sich dann mit der Dreiecksstruktur. Eigentlich sollten aus den Reliefs, mit dem Format gleichseitiger Dreiecke, Skulpturen entstehen. Das habe ich nicht verwirklicht. Anstatt dessen sind Wandbildmodule entstanden.

Das Pappmaché der Ausformung des Kraftfeldreliefs trocknet nur langsam. Ich werde übermorgen mit den Schülern nicht daran weiterarbeiten können. Stattdessen werden sie die Umrissmotive der Entwurfszeichnungen auf Transparentpapiere übertragen. Dann können sie die verschiedenen Formate übereinander legen und eigene Umrisskombinationen entwickeln. So verstehen sie den Entwurfsvorgang für das Relief, an dem wir arbeiten.

Schriftgesträuche

Noch fast im Schlaf ging mir das alte Schottische Volkslied „Auld Lang Syne“ durch den Kopf. Ich las gerade auch eine schöne Übersetzung ins Deutsche. Nun nahm ich den Originaltext, um ihn in verschiedenen Konstellationen übereinander zu schreiben und damit die Buchmalereien dieser Woche zu beginnen. Dieses Textgesträuch verwischte ich dann, um in die entstandenen hellen, nebligen Streifen wieder dunkle, scharfe Schriftlinien einzufügen. Das wiederholte ich mehrfach gemeinsam mit den wandernden Handballenabdrücken. Nachher im Atelier will ich versuchen, diese aufgelösten Schriftstreifen mit der Entwicklungssequenz von „Kraftfeld“ aus 2010 zu kombinieren.

Diese, auf Schrift basierenden, Buchmalereien sind nun auf ihr Potential zu untersuchen, das sich für weitere Such- und Experimentalsituationen eignet. Dabei schwebt mit kein Ergebnis vor, sondern die Möglichkeit, die Tagebuchtexte selbst zu Voraussetzungen der Bilder zu machen. Die Hoffnung dabei sollte sein, dass sich die Texte über den Bildumweg verändern, sie eine andere Bedeutung und Produktivität erhalten.

Immer wieder kreisen unsere Gespräche um die diesjährige Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und die verschiedenen Ansätze der Teilhabediskussionen. Ich finde, dass es immer strikt um Qualität gehen sollte, ob in der bildenden-, der darstellenden Kunst oder der Literatur und nicht um Migrationsgeschichten und Hautfarben. Was mir bei diesen Diskussionen wichtig erscheint, ist die Verarbeitung der Kolonialgeschichte. All das aber bearbeite ich seit 1997 in meinen Wanderungsspuren – Projekten. Diese Erfahrungen lassen sich nun in der Rekonstruktion des Kraftfeldes, der neuesten Ausprägung von „Trixel Planet“, verdichten.

1, 2, und 3 I Ausformung des Kraftfeldes

Noch bevor ich am Morgen mit den Buchmalereien begann, war mir klar, dass ich den farbigen Pigmentwolken nicht mehr so viel Raum zugestehen wollte. Deshalb begann ich mit einer mehrfarbigen Krakelstruktur, die ich gleich mit Wasser auflöste, um einen Schritt weiter zu gehen als gestern. Mit dieser dunkel gefärbten Wasserwolke von 1 setzte ich mit dem rechten Handballen Zeichen per Abdruck in 2 und 3. Dann entschied ich mich doch für Pigmentpartikel, die ich aber mit der Fingerkuppe zu einem dunklen Nebel in einen Energiestrahl setzte, der aus der Mitte einer Figur in 3 nach Rechts austrat.

Wieder treten in allen 3 Bildern menschlich-figürliche Erscheinungen auf. Aber nur in der 1. Malerei umrandete ich eine kniende Figur, aus deren Kopf Energie himmelwärts austritt, mit farbigen Linien. Aus den Pigmentpunkten entstand im selben Format ein Gitternetz. Vor eine Gravitationswolke in 3 setzte ich eine durchscheinende Kulissenwand. Den Abdrücken ein größeres Gewicht zu verleihen oder sie sogar zu den Hauptgestaltungselementen zu machen, das klingt in der mittleren, der 2. Malerei an.

Erstmalig kam gestern meine neue Schülergruppe ins Atelier. Auf der Transparentpapierrolle von 2010 zeigte ich ihnen die Überlagerungssequenz, mit der ich das Linienmuster vom Kraftfeld entwickelt habe. Ich musste sie lange suchen und dabei weite Strecken der 50 Meter langen Rollen sichten. Dabei empfinde ich Genugtuung. Auch das zerstörte Relief zeigte ich ihnen auf dem Holzlagerboden und machte klar, dass es nun unsere Aufgabe ist, es gemeinsam zu rekonstruieren. Das begann dann sofort mit Pappmacheproduktion. Die Form hatte ich mit Wachs abgesperrt, so dass wir mit der Ausformung gleich beginnen konnten. In einer guten Stunde schafften wir zusammen etwa ein Drittel der Fläche. Ein weiteres Drittel füllte ich dann alleine bis zum Abend.

Die alte Sprache

Aus einer Indigoschraffur am Anfang der 1. Buchmalerei heute, entstand eine Art Totholzfigur. Sie kam, wie die Kritzelgesten auf 1 und 3, aus dem Handgelenk. In die Wasserverläufe zeichnete ich eine Schwere. Dabei füllte ich den zuvor festgelegten Umriss mit dunklen Wellenschwüngen, die sich an der Umrissgestalt orientierten. Von Links drängen sich an zwei Stellen Figuren herein, die vom Rest des abstrakten Geschehens nicht akzeptiert wurden. Aus dem Totholz sprossen dann aber doch noch ein paar lebende Ranken hervor.

Mit Vinzenz wuchtete ich gestern die große Kraftfeldform aus der Ecke auf den Zeichentisch. Sie beherrscht nun das Atelier. Vinz hat mich beim Absperren der Form fotografiert und schickte mir gestern noch ein paar schöne „Schwarzweißabzüge“. Leichthändig hob er Pflanztöpfe, die für mich allein zu schwer sind, auf die Tische vor den Rolltoren. Über die Zöglingsportraits, einer Reihe von Transparentpappierblättern, sind wir auf meine alte Sprache gekommen, die in Teilen aus der frühen DDR-Zeit kommt. Ich behaupte sie als einen Teil meiner Geschichte. Auch wenn ich mich mit der Sinnhaftigkeit von gegenwärtigen Sprechverboten beschäftige, hebe ich Worte und Konstruktionen auf, die nicht mehr benutzt werden sollen.

Am Vormittag möchte ich mich noch einmal mit der Entstehung des Kraftfeldes befassen. Dazu gibt es eine Sequenz auf einer Transparentpapierrolle von 2010, in der ich die Umrisse verschiedener kultureller Zeichen der Zuwanderungsgesellschaften übereinander geschichtet habe. Diese stelle muss ich nun suchen, um den Schülerinnen und Schülern erklären zu können, was wir in der nächsten Zeit tun werden.

Rot geladene Teilchen

Die roten Pigmentkörner waren die ersten Spuren, aus denen die heutigen Buchmalereien entstanden. Ich fing ganz links an, verteilte sie mit der rechten Zeigefingerkuppe, dem Handballen und Wasser und übertrug ein paar Partikel auf die anderen zwei Bildstellen. Dann begann ich die „rot geladenen“ Teilchen mit Energielinien tastend mit hellem Kobaltblau und kühlem Grau zu umkreisen. Als ich dann die erste Punktwolke mit einem Figurenumriss einhegte, wäre ich normalerweise dazu übergegangen, in dem zwei anderen begonnenen Bildern, nach Figuren zu schauen und sie, zumindest fragmentarisch anzudeuten. Das habe ich heute gelassen, um den Gravitationsvorgängen rund um die Pigmentwolken, nicht ihre Präsenz zu nehmen.

Die Entwicklung dieser kleinen Form über die Jahrzehnte hinweg, schuf einen Mikrokosmos, aus dem sich dann die größeren Arbeiten zusammensetzen. Wie sich das auf die Rekonstruktion des Kraftfeldes auswirken wird, zeigt sich in den kommenden Wochen. Als nächstes aber muss ich die Schüler davon überzeugen, mir dabei zu helfen. Heute möchte ich mit Vinzenz die Kraftfeldform aus ihrer Ecke herausholen, damit ich morgen beginnen kann, sie mit den Schülern auszufüllen.

Fragmente der Abgüsse würden sich eignen, sie in Kooperationsobjekte zu verwandeln. Vandad sprach auf der gestrigen Webkonferenz zu YOU&EYE über die Möglichkeit von Kooperationen und dass dafür auch Räume zur Verfügung gestellt werden könnten. Für die Zusammenarbeit mit Claudia und Maya eignet sich aber die „Postalische Methode“ besser. Wenn ich selber der Bote bin, kann noch mehr Austausch entstehen.

Konkretion

Mit vorsichtigen Linien aus gebranntem Ocker begann ich am Morgen meine Buchmalereien. Zunächst entstanden Umrisse von aufrechten Gebilden, die entfernt an innere Organe oder menschliche Figuren erinnern. Sie gehen dann Verbindungen mit Möbelfragmenten und Pflanzenarchitekturen ein. Fremdartige Geschöpfe tauchten in der 3. Malerei, wie aus der Tiefsee, auf. Durch das Aufschreiben dieser Vorgänge erfahren sie eine Konkretion, die sie aus dem Unbewussten in eine rational nachvollziehbare Reihenfolge überführt.

Morgen Nachmittag wird mich Vinzenz im Atelier besuchen. Ich hatte auch Laila eingeladen, die aber leider keine Zeit hat. Ich erhoffe mir durch die jungen Menschen Denkanstöße, die meine Arbeit beeinflussen. Es wäre schön, wenn sich etwas Gemeinsames entwickeln könnte, das einer Kooperationsstruktur folgt, ähnlich wie mit Claudia und Maya. Sind solche Kooperationen ein Schlüssel für die Erneuerung der Arbeit?

Gestern räumte ich die Relieftafeln des 2. Väterdoppelportraits aus dem alten Holzlager ins Atelier und weitere frostempfindliche Pflanzen gruppieren sich vor den Fenstern. Ich gebe auf die Arrangements acht, auf ein ästhetisches Bild. Alle Gewächse, die ich nach innen trage, bekommen etwas Pflege, manche topfe ich um oder beschneide sie. Mit ihnen kommen Schmetterlinge und Eidechsen herein, die sich draußen für den Winter eingerichtet hatten. Sie erwachen dann und streunen durch das Atelier.

Heimweh I Halt I Hagel

Die Bäume vor unseren Fenstern in der Frankenallee, der tägliche Arbeitsweg mehrfach durch ihre Reihen, die jahreszeitlichen Veränderungen der Ausblicke und vieles, dass ich eher einengend empfunden habe, vermisse ich während dieser Zeit in der Kaulbachstraße in Sachsenhausen. Das ist wie Heimweh.

Die vagen Farbwolken der Buchmalereien suchen nach Halt. Ihre Partikel folgen den Wirbeln, bewegen sich zwischen den Andeutungen von Architektur. Ein plötzlicher starker Hagelschauer traf mich auf dem Rückweg vom 87. Geburtstag meiner Mutter. Ich meinte, die Frontscheibe müsse zerbersten. Laute Schläge auf das Blechdach – das alles in wenigen Sekunden, mitten im dichten Verkehr in die nächste Arbeitswoche von Ost nach West.

Durch die ernste Verschärfung der Pandemie durch Ungeimpfte kommt es zu einer konfrontativen Situation. Menschen, die längst zwei Impfungen hinter sich haben und sich nach einer Normalisierung ihres Alltags sehnen, stehen Impfgegnern gegenüber. Ich stelle mir eine Verstärkung des Aggressionspotentials vor, das mit der pandemischen Lage einhergeht. Die geistige Welt der Verschwörungsszenarien erzeugen in mir das Bild eines finsteren Mittelalters. Nun ist es wieder möglich, dass Hexen und Bücher verbrannt werden, Leute, die eine Brille tragen erschlagen, und Fenster, hinter denen Impfstoff angeboten wird, eingeschlagen werden.

Schattenspiel

Das Schattenspiel mit transparenten Stabpuppen aus Tierhaut kenne ich aus Thailand. Zwischen großen Glühlampen und von ihnen beleuchteten Leinwänden, führten die Puppenspieler Stücke auf, die manchmal von kleinen Gamelanorchestern begleitet wurden. Seit dem tauchen Zeichen für solche Figuren in meinem Zeichnungen und Buchmalereien auf. Der Umriss einer Büste wurde heute mit einem Stab versehen und weiter verarbeitet. Am Ende schaut ein Kopf auf einen flatternden Wimpel.

Im Atelier bekam ich Besuch von Oliver Tüchsen, der einen der beiden Pappelstammstücken prüfen wollte, ob sie sich für sein Schülerprojekt eignen. Wir sprachen dann noch eine Weile und ich erzählte im von unseren Kooperationsversuchen. Zuvor richtete ich meinen Wintergarten weiter ein. Ein Rotkehlchen beobachtet mich seit einiger Zeit dabei. Es weiß, dass ich andauernd Pflanztöpfe aufhebe, unter denen sich im Schlamm Regenwürmer, kleine Schnecken und Asseln befinden, Nahrung für den kleinen zutraulichen Singvogel.

Den Platz, der durch das Aufräumen entsteht, schaffe ich nicht nur für die Zusammenarbeit mit den Schülern. Wenn ich heute die Hobelbank abräume, kann ich mit dem Bau eines Rahmens für das Doppelportrait beginnen. Diese rein handwerkliche Unternehmung sollte mich nicht noch einmal in die Schichten der Väterproblematik ziehen und mir leichter von der Hand gehen.

Energie I Platz schaffen I Schriftzeichen

Am Morgen besprach ich den Start der Arbeit mit den Schülerinnen. Sie sind Kinder geflüchteter Familien und sprechen voraussichtlich kaum Deutsch. In der kommenden Woche werde ich dann versuchen, sie in das Kraftfeld einzubinden. Obwohl ich mittlerweile weit entfernt bin von dem Gedanken, dass die Kunst eine Wirkung erzielen sollte, schleicht sich der Gedanke ein, dass diese Beschäftigung für sie ein Quell von Energie sein könnte. Die Ruhe, die nun in meinem Arbeitsalltag eingekehrt ist, macht es möglich, dass ich mich nun ganz und gar auf dieses Vorhaben konzentrieren kann.

Die Einrichtung des diesjährigen Wintergartens gehört auch mit zu den Vorbereitungen der Rekonstruktion des großen Relieffrieses. Es wird Platz geschaffen. Ich gebe mir bei der Einrichtung der Pflanzenarrangements mehr Mühe. Neben der funktionalen Praxis soll mehr wohnliche Qualität entstehen. Beim Abräumen der Tische begann ich Dinge wegzuwerfen. So befreie ich mich nun auch Stück für Stück von den Arbeitsvorgängen des Väterprojektes.

Wenn ich auf der linken Seite des Tagebuches mit der Buchmalerei beginne, dann scheinen da die handgeschriebenen Zeilen des Vortages durch. Diese Struktur habe ich aufgenommen und sie zunächst mit den Handballenabdrücken weiterentwickelt. Daraus ließen sich Figuren lesen, die ein wenig wie Worte dünnen auf Beinen dahergelaufen kommen. Innerhalb dieser Körperhaftigkeit entstanden neue Zeichen – Schriftzeichen. Hier schließt sich der Kreis zur Zusammenarbeit mit den Schülern. Im Liniengeflecht des Kraftfeldes lassen sich neue Gegenstände finden, die wir in deutscher Sprache bezeichnen. So prägen sich die Vokabeln besser ein.

Das Paar I Collagen I Kraftfeldfragmente

Das Paar, das ich gestern aus den vagen Linien der Papiergravuren gelesen hatte, entstand heute, wie prognostiziert, aus den durchgedrückten Linien vom Vortag. Daneben werden andere Formen von Enge durchgespielt, wie ich sie nun im alltäglichen öffentlichen Verkehr und im Zeichen der Pandemie bedrängend und intensiv erleben muss. Die zwei Figuren tauchen in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf und stehen immer in Verbindung zu dem beunruhigenden Geschehen in den nebulösen Atmosphären.

Die werktäglichen Collagen möchte ich gerne etwas intensiver und weniger streng gestalten. Bisher habe ich die Größenverhältnisse der Scans selten verändert. Der Ursprung dieser Beschränkung scheint aus einem entfernten bildnerischen Regelwerk zu stammen, das die analoge Arbeit betraf. Die traditionelle Collagenform konnte sich des Vergrößerns und Verkleinerns nur über Umwege bedienen. Das habe ich bisher in ihrer digitalen Form beibehalten.

Leitern und Tische türmen sich im Atelier zu einer Konstruktion, die den Wintergarten ermöglichen soll. Gleichzeitig muss genügend Platz für die Arbeit mit den Schülern bleiben. Deswegen wandern die kleineren Pflanztöpfe nun auf die oberen Gesimse vor den Fenstern. Dafür räumte ich einen Tisch frei, auf dem ich die Fragmente des zerstörten Kraftfeldes ausgebreitet hatte. Die Arbeit mit ihnen ist noch nicht so richtig in Schwung gekommen. Das entspricht aber meinem Vorhaben, an die nächsten selbst gestellten Aufgaben etwas langsamer zu gehen.

Am Rande des gewohnten Aufenthalts

Derzeit bin ich nur am Nachmittag im Atelier. Den Vormittag verbringe ich mit den Tagebüchern in der Kaulbachstraße. Neben den handschriftlichen Texten im Buch, schreibe ich auch die für die Website und stelle sie von dort aus ins Netz. Die Collagen aus den Buchmalereien, die nun in Sachsenhausen entstehen, mache ich dann im Atelier mit den Programmen, an die ich gewöhnt bin.

Auf den Buchseiten, die für den entsprechenden Tag reserviert sind, finden sich oft Spuren der Malereien des Vortages. Manchmal wird das Papier von Wasserfarben und dem Druck der Stifte oder des Handballens durchtränkt. So bilden sich farbige Echos aus Flecken, Linien und Papiergravuren, die ich dann aufnehme und in den Bildern des nächsten Tages fortführe. Vielleicht entsteht aus de Linien, die ich mit einer Holznadel auf der linken Seite des heutigen 2. Bildes eingegraben habe, morgen ein sich umschlingendes Paar. Im Zentrum des 3. Bildes von heute, steht eine Figur, die in einer Grenzsituation, am Rande ihres gewohnten Aufenthalts, verformt wird. Links daneben schwebt das Embryo eines kleinen Tieres und Rechts eine Hashtagfigur, die Schnell im Nebel verschwinden kann.

Im Atelier begann ich gestern aufzuräumen. Gleichzeitig holte ich die ersten Sukkulenten in ihr Winterquartier. Für den Rest der Woche will ich das in Ruhe fortführen, um auch im Kopf wieder Platz für neue Bilderfindungen zu schaffen. Platz benötige ich aber auch für die Schüler, die mir helfen sollen „KRAFTFELD“ zu rekonstruieren. Ich möchte ihnen die Entstehung dieser Arbeit zeigen. Es wäre schön, wenn die Erlebnisse ihrer Wanderung hierher mit einfließen könnten.

Seelen im Wartestand

Die Figuren, die heute in das Arsenal der Seelen im Wartestand wandern, traten aus den Schichten der Stille hervor. Gesichter sind zur Unkenntlichkeit durchgestrichen, weil sie sowieso immer austauschbarer werden. Der Auftritt vom Christus am Kreuz aus den Nebeln, gleicht dem Auftauchen der Maschinen in der dreispurigen Einflugschneise unter der Wolkendecke, die für das Grundgeräusch hinter oder vor der Stille sorgen, je nach dem wo man sich aufhält.

In den Buchmalereien tauchen auch immer wieder Konstruktionen auf. Entweder lösen sie sich durch Tornados, Rückbau oder Unterspülungen auf oder sind Teil der Bauwut, der Konzentration von Heimbürokratie, Gamingblasen und Überwachungselektronik. Raum für Industrien entsteht, die nichts mehr produzieren. Die Produktion wird den Usern übertragen. Die Lücken in denen noch Wildwuchs vor sich hin kümmert, werden bis in den alten Schwemmsand der Urstromtäler ausgeschachtet. Grundwasser wird abgesenkt. Betonwaben füllen die Gruben und wachsen, Schattenfelder werfend, um mich herum. Den allgemeinen Rhythmus, in dem das alles passiert, geben die Signale der elektronischen Kalender mit den codierten Informationen vor.

Mit Laila und Vinzenz sind wir gestern zum Fuchstanz gewandert. Eigentlich wollten wir den Weg über meinen gestalteten Waldpfad nehmen, um nach 7 Jahren nachzuschauen, was übrig geblieben ist. Aber dort ist jetzt ein Kahlschlag. Alle Bäume sind großflächig gefällt. Nichts mehr da!