Energie der Stürme

Auf einer App schaue ich mir die Stürme über den Weltmeeren an. Wenn sie auf Land treffen, verlieren sie sofort Energie. Ich stelle mir ihr Toben über den aufgewühlten Wasserflächen vor und nehme sie als Inspiration für meine Verwischungen innerhalb der Buchmalereien.

Mit den Malereien habe ich mich am Morgen schwer getan. Auch jetzt existiert keine rechte Bindung zu ihnen. Sie kosteten Kraft bei der Herstellung und nun auch beim Anschauen. Ich finde keine Zusammenhänge, keine Geschichten in ihnen. Sie verweigern ihre Zugehörigkeit zu mir.

Stattdessen zeichne ich lieber mit Rohrfeder und Tusche auf Rolle 9, wie ich es in den letzten Tagen gemacht hatte – glückliche Stunden. Dort fließt die Kraft hinein, die ich während der Arbeit mit dem Text von Sina aufstaut habe. Es sind nun noch 5 Zeilen übrig, die ich in den nächsten Tagen in das Papier gravieren werde. Nun kommt es darauf an, dass die Energie noch bis auf die Oberfläche des Reliefs reicht.

Zeitschlucker

Ein Handkantenabdruck zeigt in 2 rechts, die Hautlinien im unteren Bereich hell und dann nach oben hin dunkel. Spannend ist der Übergang, die Stelle, wo die Qualität umspringt. Mit einem Scan versuchte ich ganz nah heranzukommen. Wichtig sind mir die Grenze und der Moment des Übertritts.

Die grünen Gravitationsschwünge neben der energetischen Textschichtengravur, bilden das Prinzip, das das Chaos ordnen will. Ein braunes Meer schäumt heran, das die Worte mit der anschwellenden Flut fast ganz verschluckt.

Auf 3 zeigt sich die abstrakte Komposition, die zwar auf keinen Gegenstand aus ist, aber zu klärenden Linien tendiert. Das Meer hat sich aufgelöst. Es zuckt ein kleiner Rest von Schrift und zeigt mit seinen Zacken nach unten. Die Handlung löst sich auf, die Gewalttätigkeit gerät in Vergessenheit. Der Butt ist der Zeitschlucker!

Wurzeln

Aus den Collagen vom 18.01. übertrug ich die Umrisse von 2 Buchmalereien auf Rolle 9. Ich füllte sie mit den Linien der Kraftfeldfrottage vom 22.12. 2021 und den Binnenstrukturen aus den vorausgegangenen Umrissfüllungen. Diese Motive, oder Teile davon, möchte ich nun auf die Reliefteile übertragen, die während der Kraftfeldrekonstruktion entstehen. Anders als beim Väterprojekt, will ich sie eher in die vorhandene Linienstruktur einfügen, als sie mit einer neuen Schicht zu überlagern.

Wieder versuchte ich in 2 tiefer zu wurzeln, als senkte die Demenz im Text den Grunderrinnerungspegel. Sogar der Tisch schlägt Wurzeln aus seinen Eichenfüßen. Neben Sinas Textzeilen: „…Demenz rückt die frühe Erinnerung an den Tisch heran, dass sie die Brust auf der Platte ablegen…“, setzte ich den stilisierten Verlauf meiner Handlinien in das Zentrum der Kompositionen, besonders in 3. Aus den Dopplungen, Abdrücken und Gravuren ergaben sich wieder Figuren. Auch wenn keine Klappkulissen da sind, finden Szenen zwischen ihnen statt.

Für die Kooperationsarbeiten versuche ich die 3-d Programme mit zu nutzen. Es entstanden schon Objekte, die ich verschicken kann. Die Skulpturen können von den Mitstreiterinnen mit 3-d-Betrachtern angeschaut werden.

Leberwurstbrot I Unterbühne

Wie zersplittertes Gebälk ragt Schrift aus dem Schlachtengetümmel in 1. Die Gravuren, von den Schraffuren hervorgehoben, werden den hellen Handlinien aus den Abdrücken ähnlicher, lesbar für die Zukunftsforschung. Handhaltungen verraten die nächsten Sekunden – gestützt auf eine Rüststange, ein Leberwurstbrot haltend oder mit einem Reise- Reisigbündel. Feuer anderswo. In 2 wächst das Handlinien – Wurzelgeflecht in die Unterbühne. Aus einem Filmschnipsel erscheint raschelnd Irene Kugler neben der biomechanischen Versenkungsmaschinerie und spricht einen vergessenen Satz. 2 ratlose Frauen schauen von links auf die geschmolzenen Worte: …im Alter aus NRW in den Schwabensüden…“. Bühnennebel von Trockeneis verstärkt die Erinnerungslücken.

Dynamik erscheint in 3, wo sich eine Szene aus 3 Figuren bildet. Eine geflügelte drängt von links einer bauschenden entgegen. Ihre Bewegung aufeinander zu deutet auf kein freudiges Wiedersehen. Die dritte Figur rechts wartet ab, leicht nach vorne gebeugt, wie ein Diener. Die sich auflösende Landschaft bietet kaum Halt.

Claudias Schnittbögen, die Maya, Kompositionen probierend, an die Wände ihres Malortes gehängt und mir Fotos davon zugesandt hatte, verarbeitete ich in einem 3d-Programm zu einem skulpturalen Arbeitsschritt. Dadurch erhoffe ich mir ein substanzielles Weiterkommen in der Kooperation und einen neuen Zugriff auf die analogen Arbeiten von Maya.

Sedimente I Skulptur

Um mehr Worte fressen zu können, verteilte ich die Schriftgravuren auf 1 und 2. Berlin, Pullover, Fanartikel, Lagerort. Dazwischen Schichten von Fürwörtern, überspült von Schraffuren und anschließend verweht. In 3 findet die Auferstehung aus den Sedimenten statt, die Loslösung vom Text. Keine Schrift mehr, nur eine graue Übermutter – eine Mantelmadonna, die die neuen Strukturen schützt. Koordinaten ergeben sich aus den klappbaren Kulissenwänden.

Mit Vinzenz kam ich gestern auf die virtuellen Kunstwerke, die gerade modern sind. Er zeigte mit fotografische Arbeiten von sich, die er in diesem Kontext sieht. Seit einiger Zeit denke ich darüber nach, die Experimente mit den Skulpturen wieder aufzunehmen, die ich in den letzten Jahrzehnten mit verschiedenen Programmen begonnen hatte. Für mich steht dabei zunächst die Verbindung von Buchmalereien und skulpturalen Erfindungen im Zentrum meines Interesses.

Eine Pappe von Franz Konter, die er mit einer Tuschzeichnung versah und in mein Atelier trug, versuchte ich gestern feucht in meine Form zu pressen. Das gelang leider nur ein wenig. Das Material ist zu fest, zu dick, und es macht sehr, sehr viel Arbeit. Also werde ich Reliefteile aufkleben.

2 Hoffnungsschimmer

Die Linien der Buchstaben bilden mit ihrer Rhythmik von Bögen, Anstrichen und Punkten eine weitere fließende Schicht. Mit einer gewissen Vorfreude setze ich den ersten Bogen von einem großen „S“ an. Die Schwünge setzten zwei Mikroglücksempfindungen frei, wie auf einer weit schwingenden Pass-Straße. Das große „W“ führt, trotz seiner Zacken, in den Himmel. Ich bin froh, wenn ich es hinter mir habe. So ließe sich Wort für Wort eine Wegbeschreibung anfertigen. Aber die Zeilen von Sina sind gestern und heute fast vollständig von wichtigtuerischen Farbwolken aufgegessen worden. Kein Wort mehr!

Ich bin nicht ganz bei der Sache, sehne mich nach anderen Umgebungen, anderen Prioritäten. Müdigkeit kommt in all der Kontinuität auf, Abschweifen, andere Gegenstände werden wichtig und verändern die Wahrnehmung. Die zwei dunkel leuchtenden, in der Collage bereits nicht mehr vorhandenen, senkrechten Karminlinien in 2, die die olivgrüne Wolke zerschneiden, sind zwei Hoffnungsschimmer.

Auf einem Spaziergang im Hintertaunus sahen wir gestern zwei eng beieinander stehende Eichen, deren Kronen sich nicht durchdrangen. Kein Ast ragte hinüber zur Nachbarin, als wollten sie diese Nähe meiden. In einem Redefluss trabten Reiterinnen auf zottigen Islandpferden vorüber. Einen Teil des Grundes, auf dem wir gingen, bestand aus Pferdeäppeln in unterschiedlichen Verwitterungszuständen.

Keine Überlagerung

Zwischen den Krakelwolken, in denen sich Schrift tarnt, bilden sich Linien, die zu etwas Konkretem hinwollen. Aber meistens werden sie daran gehindert und Getöse schiebt sich in die oberste Bildschicht. Dabei ist die Ausgangslage klar: „…sie steht auf und verlässt das Haus mit zwei Kindern…“. Vom Ende aber her, von 3, schiebt sich die biografische Miniatur einer Gletscherwanderung dagegen. Die Abdrücke der Gravuren beider Textschichtungen aus 1 und 3 konfrontierte ich in 2 – keine Überlagerung.

Immerhin bilden sich wieder unbekannte Zeichen aus 1 gegenüber einem unangenehmen Grün aus 3. Die Gravuren zucken im Rhythmus der Nervenbahnen unter der Haut. Eine Operation hat sie freigelegt, die Haut ist zur Seite geklappt, um die Zeichen lesen zu können. Das kostet Kraft, weil nicht klar ist, ob der Prophezeiung geglaubt wird.

Ich bin allein damit. Die Kälte steigt die Beine hoch. Es grünt in den Gletscherspalten, vom Ende her schiebt sich rückwärts der Wald zwischen die Abbruchpfeiler. Angst vor dem Sturm, dem Whiteout.

Kein Gipfel

In 1 ist es mir heute gelungen, die Schriftgravur positiv und negativ in Erscheinung treten zu lassen. „ … geholt, die zwei Jahre Hungern, die sich dann aber fängt…“ Die Alten fallen in den weißen Raum, in dem für Sekunden Erinnerungsprojektionen aufscheinen, oder an den Tisch heranrücken. Es sind, im Zusammenhang mit Sinas Text über die Großmutter, bereits 30 Buchmalereien entstanden. Wenn ich dranbleibe und die Schriftgravuren aus ihren Worten an den Anfang oder einen anderen Ort der täglichen Bildentwicklungen setze, könnten es noch einmal so viele werden.

Im Gegensatz zu gestern, ging ich heute vorsichtig heran. Anhaltspunkte für Linien fand ich erst spät. Zunächst in den Strukturen von 3. Ich schickte das Bild der Autorin. Sie reagierte und ich erinnerte mich an das Gewitter an der Roten Wand im Antholztal. Kein Gipfel, Abstieg und Schutz vor Hagel und Blitz auf Zwergrhododendren unter einer Steinplatte. Eis in den Schuhen und Jackentaschen…

In 2 gibt es einen Baum mit einer Fingerabdruckkrone. Daneben Richtantennen für Funksignale. Die Kundschafter melden Drohkulissen. Dann, innerhalb verdrahteter Kommunikation, wachsen sie über den Wald hinaus und lösen lauten Streit aus. Szenarien einer Schlacht klingen herauf. Überlagerte Chiffren bilden immer neue und fremde Zeichen.

Ohne Scheu

Mit schnellen Gesten probierte ich die verschiedenen Handkantenabdrücke – positiv und negativ. Letzteres gelang mir erst ganz am Ende in 1. Am Anfang standen zwei Zeilen des Textes von Sina. Ich denke an innen und außen, an die Adern unter der Haut. Schnell richten sich die Figuren auf, fast beiläufig, ohne Scheu. „… Nadel und Restfaden werfe ich anschließend auf einen Gla(s)tisch…“ –die zwei Zeilen von heute.

Die Malereien ergossen sich etwas mehr in die Fläche, als wollten sie den Text zurückdrängen. Etwas hält mich davor zurück, in ihre Zwischenräume zu gehen, um mich in die Geschichten, die dort stattfinden zu begeben. Es ist die Furcht vor dem Auserzählen der Malereien, worauf sie ihre Geheimnisse verlieren.

Stattdessen denke ich wieder daran, markante Figurationen auf Rolle 9 zu übertragen, um sie später auf die Reliefrekonstruktion zu schichten. Der Adaption der Buchmalereitechnik für die Reliefs möchte ich Zeit beim Experimentieren einräumen.

Kokon

„…und den Wind von den Schultern lässt…“ Die Umrisse, die um Abdrücke und andere Strukturen entstehen, sind wie ein Kokon. Die eingesponnenen Wesen sind alle lebendig, schlafen, zappeln oder sind dabei, die Hülle in eine Haut ihrer schreitenden Körper zu verwandeln. Dann können die Gewebe aber auch aufreißen, wie in 3, und stellen dann das Material für die Architekturen, die die Körper stützen und Sockel bilden. Sie können zu kleinen Gebirgen wachsen oder auch Fortsetzungen der Körper sein, die nicht vom Fleck kommen.

Das Hautliniengesträuch des Handabdrucks, ist ein innerer Rhythmus, der sich auf die Bewegungen der Schraffuren, Linienbündel und Krakelgesten auswirkt. Nehme ich diese Annahme als Richtschnur, so muss ich nur den Mustern folgen, um mit dem Entschlüsseln des Sinns meiner Bewegungen beginnen zu können. Diesen Linien mit einem spitzen Stift zu folgen, erzeugt eine geschlossene Meditationsschleife. Wenn ich die eingefärbte Handkante immer wieder mit einem feuchten Schwamm abwische, bleibt nur noch die Farbe in den vertieften Linien übrig. Auch sie kann ich auf das Papier drucken – eine Negativ der vorausgegangenen Handkantenübertragungen. Unten in 3 habe ich sie nachgezogen.

Am Vormittag war ich bei Maya in ihrem Malort. Ich wollte mehr vom Ansatz ihrer Arbeit kennen lernen. Das soll die Voraussetzungen für unsere Kooperation bereichern.

Spekulationen

„…schläft eine Nacht traumlos…“ Die Träume zuvor und danach versammeln sich als Gewisper zwischen den Kulissen. Die geschichtete Schriftgravur muss für die Spekulationen der Deutung herhalten. Nebulös bleiben auch die Abdrücke, so dass ich die Worte in 2 noch einmal übereinander schreibe und mit dunklem Indigo schraffiere. Figuren die anderswo auftreten bestimmen am ehesten die Szenerie.

Das gehörnte Wesen in 2 erscheint etwas geschmäcklerisch, was die Figur rechts davon wettmacht. In der Mitte verströmt eine Schmarotzerpflanze ihren Duft. Das verschmolzene Paar in 1 sucht innig nach dem, was ihre Verbindung ausmacht. Es manifestiert sich figürlich zwischen ihnen.

In 3 erwachen die gedoppelten Formen und beginnen ihr Eigenleben. Die Lärche rechts, die in das Morgenlicht steigt, streiche ich im Text. Weil sie immerhin einen unregelmäßigen Umriss besitzt, lasse ich sie im Bild gelten. Auch der Schatten über dem Kopf des gehörnten Wesens in 2, rettet seine Existenz. Das sind die Bilder unter dem Dach der Freundin, die über die Textzeile hinausgreifen.

Kriegsschlamm

„…Kriege während zwei Kriegen…“ Das ist die Zeile der heute geschichteten Schriftgravur. Sie ist unter den Verwischungen völlig verschwunden. Auch in 2, im Abdruck, taucht nichts mehr davon auf. Die Leerstelle füllt sich schnell, als wäre sie ein Makel des Vergessens, der die drei Buchmalereien entwerten könnte.

Aber rechts in 2 entsteht ein schickes Alienbaby. Das kommt leicht gegen den Wind von der anderen Seite an. Er wächst zwischen den senkrechten Metallstäben im Säurenebel. Sie teilen die Szene, die sich mit einem geschlossenen Umriss fortsetzt. Es ist die Aufsicht auf eine ausgegrabene Siedlung, deren Umfriedung mit zwei Ausstülpungen Quellen umschließt. – Die Quelle neben dem Haus meiner Kindheit, nannten die Mönche „Paradiesbrunnen“. Der Name hielt sich bis zum Mauerbau. – Links ist auf einer Lanze ein Schwamm aufgespießt, voll vergorenem Most.

Leicht auszumachen ist, dass die Figur zwischen den Kriegswolken in 1 aus 3 kommt. Dort balanciert sie auf einem Kästchen, das auf einem Stab steckt und spricht dynamisch durch ein Megafon. Das kleine Gesicht des Satyrs gegenüber, schaut etwas erschrocken. Er sträubt sich gegen die Lautstärke. Die Pigmentkrümel des aufgewirbelten Kriegsschlammes hinter ihm, schabe ich mit einem Messer von der Papierfläche, blase den Staub auf meinen Atelierboden.

Artikulieren!

Ich lasse schnell los. Die Bildverdichtungsverkrampfung löst sich innen und mit ihr ein ganzes Figurenensemble aus dem Nebel. Von Sinas Textzeile: „…sitzt mit gesenktem Kopf vor dem letzten Mann…“ ausgehend, schichte ich die Worte in drei Papiergravuren übereinander. Die letzte Schicht – Mann – , dann sepiagraue Schraffuren in 1 und die Umrisse der Handkantenabdrücke in 2. Die führen mich zu einer lockeren Abfolge von Szenen. In 1 rumort der verwischte, verschluckte Text und stülpt einen Kasten mit geschwungener Kante aus der verwehten Sprechergruppe nach vorn. Aufgenommen wird die Kontur vom Rücken eines aufrechten Fischleibes oder einer Seejungfrauenrobbe, die schwache Kraftschwünge aussendet und damit eine weitere Person auf die Szene ruft. Aber über ihr lastet schreiend und zappelnd der Indigomann in seiner „gewaltigen“ Art. Er brüllt Sturm gegen die Textverschlucker: Artikulieren!

In 2 finden sich noch ein paar blasse Schreibschriftzeichen, umhüllt von weiteren Handkantenlinien, die wieder in Figurenumrisse geraten. Sie treiben Wurzelansätze nach unten in den leeren Raum. Am rechten Rand greift eine Karminklaue ins Vakuum. Zwischen ihr und dem Instrument am gegenüberliegenden Rand bauschen sich wehende Kleider und eine dicke Figur, die sich ebenfalls in 1 und 3 abbildet.

In 3 trägt ein Gnu-Gott noch etwas von der Schreibschrift auf seinem Fell. Sein Blick fällt auf ein Zentrum des Bildes, eine Doppelkreuzmarkierung. Sie betrifft den Kopf der kobaltgrünen Figur mit dem finsteren Seelenleben…

Wortpaar

Zerfurcht – geädert, die beiden Seiten einer geformten Fläche, wie sie Sina sieht. Das Wortpaar in 1, als übereinander geschriebene Papiergravur, tritt auf der anderen Seite geädert hervor. Zwischen den Worten des Vortages, wölben sich die Linien nach außen oder zurück. Die Schraffuren bilden eine Herde von geflügelten Menschenschweinen, die sich auf einen Energienebel hinbewegt, um sich von ihm zu ernähren. Aber gefährliche Oberflächenschwimmer verstecken sich darin.

Eine gehörnte Mutter in 2, wippt Drillinge. All das, was in ihren Rücken rumort, wird abgeschirmt. Der ganze Verlauf und dessen Rückkopplung, das Schlagzeugsolo von gestern wabern, bereit zu übernehmen.

In einer langsam wachsenden neuen Umgebung für die Rekonstruktion des Kraftfeldes, beginne ich die Reliefteile vorsichtiger zu bearbeiten. Durch die Kooperationen treten zwischen den Linien neue Strukturen auf. Ein Gewebe aus Fäden, Farben, Begegnungen und Worten bildet Impulse für eine deutliche Innenperspektive, im Gegensatz zu den 10 Jahre alten Ansätzen. Das Architekturelement in 3 erinnert noch einmal an die Möglichkeit der Dramatisierung der Vorgänge zwischen den sichtbaren Objekten auf einer Bühne.

Pressluft

Zunächst gravierte ich die Textzeile: …der Fadenrest zuckt in der Heizungsluft…“, aus Sinas Schreibmaschinenblatt mit der Holznadel auf die linke Seite von 1 und schraffierte sofort Sepia über die geschichteten Worte. Die Gravur zitiert den Kohlepapierbogen, mit dem Sina ihre Schreibmaschinenblätter macht. Einen Abdruck davon versandte ich nach 2, worauf sich zwei Figuren nach Rechts abwendeten. Die Textwolke wird noch von einem Stab gehalten. Ich zog die Silbe –luft- mit einem Bleistift (7B) nach.

Hautlinien in 3. Adern bilden sich leider nicht ab – so weit rolle ich die Handkante nicht in Richtung der Oberseite, wenn ich Abdrücke mache. Die Energielinien, die die Textwolke in 2 nach Rechts aussendet, durchströmen die beiden angewandten Figuren. Mein Gespräch mit diesen Gesellinnen spiegelt reale Vorgänge wieder.

Eine Maschine, eine Erdverdichtungsramme, nimmt hüpfend die Kraft der vorausgegangenen Kompositionen auf, wie ein Schlagzeugsolo, das abseits des Normaldienstes, hämmert. Das gemeinsame Thema, die Textüberlagerung, wird von der Pressluft zerstäubt und neu geglättet.

Umgeben und durchdrungen

An eine Stange, ein dünnes Holz, klemmte ich ein Relieffragment. Es fliegt wie ein Vogel vor der großen leeren Leinwand. Sie wäre ein Ort für die Inszenierung verschiedener Objekte. Sie könnten auf Stangen davor stehen und an Schnüren herabhängen. Eine flächige Inszenierung.

Sina brachte ich noch ein paar Reliefteile, damit wir zu einer Erweiterung unserer Kooperation kommen. Sie gab mir einen neuen schönen Text als Reaktion auf ein Objekt von mir. In einem Webmeeting von „YOU&EYE“ versuchte ich von unseren Treffen und Zusammenarbeiten, auch mit Claudia und Maya, zu sprechen, um damit die anderen zu animieren, ähnliches zu tun. Es beginnt sich etwas aufeinander zu zu bewegen.

Abgespeckter und konsequenter sind die heutigen Buchmalereien, die etwas unter Zeitdruck entstanden. Umrisse und Verwischungen griffen ineinander und erzeugten neue Gebilde. Links in 3 schmiegt sich ein Paar aneinander, das noch von anderen Umrissen, wie von einer Familie umgeben und durchdrungen ist.

Neu geordnet

Ich las „Originale, Übersetzung 10“ und „VI“ quer. Ich sah Kara Walkers illustratives Archiv. Am Morgen krakelte ich mit der Holzhaarnadel aus dem Gelenk in 1 und setzte farbige Lasuren darüber. Keine großen Kontraste. Wiederholte später noch einmal Gravuren, diesmal auf hellem Ocker mit einer grauen Schraffur. Dazu ein paar Gravitationsschwünge mit senkrechten, die Schnittpunkte durchtrennenden, Geraden – so komme ich langsam vorwärts.

In 2 fliegen die Informationen auseinander. Unten schaut eine gebogene Unterschenkelprothese heraus. Da steht ein langbeiniger Sprinter still und schaut zurück. Es lassen sich eventuell noch Schädeldecken, Architekturgebälk, Weichteile und eine Dreieckskonstruktion erkennen. Die Geschichte, die die Einzelteile zusammenhielt, ist explodiert. Die Stücke, die im Raum schweben, können mit einem roten Faden aufgefädelt und dann durch ein Gewebe neu geordnet werden.

Das beginnt in 3 mit Umrissen. Der Abdruck des Dreiecksgitters sitzt auf einem aufrechten Körper, dessen eine Hälfte von einer Stange gestützt wird. Weitere solcher senkrechten Achsen bilden eine steife Figur. Es geht nicht gerade tänzerisch zu. Aus dem zentralen Nebel steigen vage Linien vom Rückbau des Palastes der Republik. Meine Erinnerung streift die massiven Stahlträger. In schwindelnder Höhe konnte man auf ihren, ohne jegliche Sicherung, Abkürzungen auf der Baustelle gehen. 5 Bauarbeiter sind umgekommen. Sie beginnen sich in 3 wieder zusammen zu setzen.

Ausufernd

„Originale“, „Übersetzung 8/VI“ kreuz und quer gelesen. Dabei begegne ich dem Raum zwischen Senkrecht und Waagerecht, gestern und heute – dann Papiergravuren und ein paar Gravitationsschwünge, die, nachdem ich sie mit den Geraden durchkreuzt habe, kollabieren und nur Staub hinterlassen.

Dann tauchen viele Figuren auf, die unterschiedliche Seinszustände des einen wandelbaren Gegenübers verkörpern. Diese Körperräume ufern aus, weil ich sie nicht klar begrenze. Mein Interesse gilt den Möglichkeiten, die sich im Entgrenzten aufhalten. Sie wabern in Sternennebeln und proben immer neue Konstellationen, bis es Klick macht und eine entscheidende Reaktion alle Wollmäuse vereinigt, die dann in die Gravitationsfalle fallen. Ich möchte die weichen Formen mit dünnen, schmerzenden Linien durchschneiden, die die Körper öffnen. An den Schnittflächen extrudieren sich die neuen Volumina.

Warum erschienen heute so viele Figuren in den Buchmalereien? Nachdem ich zu Fuß das Schneetreiben durchquerte, um zum Atelier zu gelangen – Jacke und Mütze weiß – ging ich beherzter vor. Ohne Konturen entstehen nur schwer Geschichten. Manchmal möchte ich sie erzählen, manchmal vermeiden. Es geht hin und her, läuft ganz selbstverständlich, ohne dass ich ein Ziel ausmachen kann. Struktur steht im Vordergrund. All das tendiert nach einer erneuten Orientierung auf Rolle 9, wie in der zweiten Phase des Väterprojektes, den 4 Scherbengerichten.

Kulissenobjekte

Am Morgen las ich in „Originale“ von Sina Ahlers „Übersetzung 5“, dann „V“ quer und begann mit den Papiergravuren in der ersten Buchmalerei – 1 – von heute. Dann setzte ich indigofarbene Pigmentabdrücke und Verwischungen darüber. Die hellen Linien, die dadurch entstanden, transportierte ich nach 3, wo sie sich durch den Handkantenabdruck mit meinen Hautlinien vermischten. Später setzte ich noch eine Papiergravur mit schwarzer Schraffur daneben, weil ich dort einen zentralen Akzent brauchte, der ein Gegengewicht zu den linken Energielinien bilden sollte. Keine Geschichte dahinter. Bis jetzt nur olivgrüne, stabilisierende Stangen. Keine konkreten Konturen. Auch nicht in 2. Linienschwünge, Faltungen und Schraffuren bauen Millisekunden-Filmschnipsel. Erst bei längerem Hinsehen führen ihre Verdichtungen zu zusammenhängenden Zeitabfolgen. So finde ich im Nachhinein die Reaktion auf den Text.

Leichter sind die Zusammenhänge im Trio der Buchmalereien auszumachen. In dem Hin und Her des Motivtransportes kooperieren sie und ergänzen einander. Aus der vagen Struktur wachsen jeweils neue Konturen. In 1 konkurrieren Figurenumrisse, die das Geschehen einrahmen, mit den Gesträuchen und Bauten im Zentrum.

Für Sina fertigte ich an den vergangenen Nachmittagen ein paar kleine Relieffragmente an, die ich ihr zur Weiterverarbeitung vorbeibringe. Außerdem grundierte und bemalte ich die Streifen, die ich senkrecht und waagerecht abformte. Weitere Kulissenobjekte entstehen nun aus dieser Arbeit, die für die weiteren Kooperationen zur Verfügung stehen.

Schlaf , Schrift

Das beste Versteck ist der Tod, aber auch lebendig gezeichnete Figuren müssen, können sich nicht zu erkennen geben. Nur halbe Umrisse oder kurze gegenüberliegende Bögen vermitteln eine Ahnung.

Eine Schreibschriftgravur in 1 – mehrere Schichten übereinander. Die Schraffuren und Verwischungen sind schwere Bettdecken, die müde machen. Mein Schlaf ist leicht. Er hebt sein Gewicht auf, für den Morgen. Dann wird die Schreibschrift schwer. Mit den Verwischungen der offenen Konturen ließen sich neue Zeichenreihen erfinden. Jedes Wischen hinterlässt an seinem Ende einen Farbsee oder eine ausgefranste Bahn parallel verlaufender Striche. Das lässt sich wieder mit einer Linie fassen und erneut verwischen. Es bleiben verschobene Ähnlichkeiten. Die eckigen Konstruktionen in 2 bleiben ein Rätsel. Die in ihnen versteckte Geschichte lässt sich nur aus der Reaktion der Umgebung ablesen.

In 3 geht es eilig zu. Die hurtige Schräglage geht nach links. Sie laufen zurück, flüchten vor dem, was auf sie zukommt. Der Umriss auf der anderen Seite weiß noch nichts von der Bedrohung. Vielleicht müssen sie keine Angst haben vor den Führern in der Zukunft, sondern vor denen, die sie wählen.

Kulissenskulpturen

Die Fotografien aus der Kindheit nahm ich unter der Glasscheibe meines Zeichentisches fort. Ich wende die Schreibmaschinentexte von Sina über den Scherben des Väterportraits. Die Musik schaltete ich ab. Sie ließ nicht locker. Bei den Buchmalereien sollte es ernst zugehen. Aber gerade entstand ein Elefant, der seinen Rüssel verliert.

Am Morgen dachte ich an eine neue Arbeitsvariante, die durch die Kooperationen entsteht. Ich warte auf die Arbeit von Maya, die Schnittbögen von Claudia weiter verarbeitete. Meine Reliefs grundiere ich mit dem Ziel, sie weiter zu geben. Die Rekonstruktion des Kraftfeldes mündet zunächst in eine weitere Dekonstruktion. Aus den Fragmenten entsteht dann etwas wie ein Raummodell oder eine Puppenbühne. Die Objekte in diesem Kasten, sind die Ergebnisse der Zusammenarbeit der „Künstlerbrigade“.

Die Texte aus dem Off werden von den Objekten übernommen. Sie spielen sie, wie Puppen. Die Bühnenmarkierungen, die in den Buchmalereien auftauchen, stützen die Kulissenskulpturen aus den gefalteten Relieffragmenten, weil sie mit ihren offenen Konturen zu instabil sind. Ihre Instabilität ist der Motor für das Zusammenwirken.

Unvollständige Umrisse

Unvollständige Umrisse bestimmen alle 3 Buchmalereien von heute. Durch die Fehlstellen finden sich Möglichkeiten der Vervielfältigung von Fortführungen der Geschichten. Ich denke etwas nicht zu Ende. Offen bleibt, wohin mich der Gang meiner Innensprache gebracht hätte. Kein Reiseziel, nur mit dem GPS fremde Linien zeichnen, die irgendwann entziffert werden können.

Am Morgen sank ich noch einmal in den Schlaf, staunte dann über das sanfte Atelierlicht und trank Leitungswasser. Die rechte Handkante ist von dunkler Sepia eingefärbt. Ich übertrage ihr Muster auf ein Relieffragment des Kraftfeldes. Magischer Vorgang: das Ritual, bevor die Jagd auf die Geschichten zwischen den Buchseiten beginnt.

Dort verliebt sich eine Soulsängerin in einen Kentauer. Sie singt nur für ihn. Endlich nicht mehr allein. Er stampft den Rhythmus mit seinen Vorderhufen und gestikuliert tänzerisch mit seinen Armen und Händen. Oder er singt und tanzt nur für seine Angebetete, die im Pelzmantel im Regen steht und sich auf seinen tierischen Gesang einlässt, einstimmt und eine Gegenlinie findet, den unvollständigen Beistrich.