Materialität

Eine Blättersammlung im Romantikmuseum rührte mich besonders an. Es sind die Aufzeichnungen der Visionen der Anna Katharina Emmerick von Clemens Brentano. Die Materialität des Pergaments, der Tusche in der winzigen Schrift, der Zeichnungen und Collagen dieser protokollierten Jahre, hat etwas mit meiner Arbeitshaltung im Atelieralltag zutun.

Die Bleistiftdurchzeichnungen der Umrisse der Buchmalereien auf Transparentpapier, die ich dann für Rolle 9 benutze, liegen auf einem Stapel. Die durchscheinenden Linien verschlingen sich zu einem raumgreifenden Gesträuch. Das ist eine Herausforderung.

In der 1. Buchmalerei von heute drängen sich drei Figuren, die aus einem Handkantenabdruck entstanden sind, aneinander. In einer befindet sich eine Dreiecksgitterkonstruktion. Ein grünes Land verbindet sie mit einer weiteren Figur, die ebenfalls ein Dreiecksgitter führt. Die Gewänder bauschen weit in ihren kleinen angedeuteten Drehungen. Erst später entdeckte ich die zwei Figurenumrisse in der 2. Malerei und umrandete sie dann noch einmal mit Tinte. Sie haben eine direkte Beziehung zueinander. Die rechte verneigt sich höflich. Die andere, kleine blaue, spendet Beifall. Auf 3 geht es ziemlich durcheinander. Eine zerrissene Komposition, in der gleich etwas geschieht, das alles anders aussehen lässt.

Zwischenräume

Die Zwischenräume, die wieder umrissene Flächen bilden, sind ein Potential der stetigen Erfindung von Formen, die wieder Zwischenräume bilden. Windstille zwischen den Wirbeln oder Gravitationslöcher, in denen alle Anziehungskraft aufgehoben ist, bilden Aufenthaltsorte für Segelschiffe und Weltraumteleskope.

Zwischen den Umrissen der Farblachen treten Gebilde auf, die aus meinem Blick wachsen. Auf sie traf ich auch gestern im Romantikmuseum. In den Siebzigerjahren malte und zeichnete auch ich vor der Natur. Dafür wanderte ich mit den Malutensilien, bis ich die geeigneten Motive gefunden hatte, an denen ich mich ausprobieren wollte. Im Atelier hängt eine Zeichnung aus der Sächsischen Schweiz aus dem Jahr 1978. Da ging es mit einem unstet kreisenden Strich schon rasanter zu.

Noch von diesen Erfahrungen zehren die Linien, die heute in den Buchmalereien entstehen. Verdichtungen zeigen die Stellen besonderen Interesses, die dann aber auch verwischt werden können. Durch die Handkantenabdrücke werden die Linien und Formen weicher, Räume entstehen, in denen sich Szenen abspielen können.

Wunschbilder

Die „Rivere“, die Widersacher des Kristallwaldes, „kummen ab“. Die Giraffen wanken wegen des Regens zum Brandberg. Wunschbilder der Buch- und Felsenmalereien, auf die nächsten Tage ausgerichtet, auf die nächsten Schritte im Aleenstaub, Schokoeis vielleicht?

Gleichmaß auf Rolle 9 – ein dramaturgischer Blindflug, fadenscheinige Farbigkeit in den Buchmalereien, verwischt und verwaschen. Konstruktionen fehlen, aber nachträgliche Stützgitter habe ich nicht im Programm. Höchstens innerhalb der Collagen, später. Erstmal Finsternis, die ich verflüssigen kann, damit Schwere stabilisiert. Zwischen dem bewegten Lärm hat es die geneigte Aufmerksamkeit schwer. Aber sie verschwindet nicht!

Im Traum lag M. zusammengerollt in einem runden Kinderwagen und schlief. Ich träufelte warme Suppe auf seinen Kopf, damit der ruhig weiterschlafen kann. Das klappte nicht. Er wachte auf – mit mir.

Das Vorher und Nachher

Die eingefrorenen Szenen der Buchmalereien verweisen auf ein Vorher, bevor du die wirbelnde Bewegung begannst, in denen sich die Indigoverdichtungen verflüssigten. Unter Hinzufügung von flüssigem Sauerstoff kam es zur Kristallisation. Zähe Zwischenstadien bilden Flecken gewonnenen Territoriums. Es geht hin und her – fließen und gefrieren.

Entstehende Figuren verweisen auf Orientierungsräume. Ihre Existenz trägt zur Bildung von Erklärungsmustern bei. Je nach der Umgebung, in der sie ihre Umrisse wiederholen, sorgen sie für ein individuelles Vorher und Nachher. Verbindungslinien zwischen ihnen sind flexibel wie Spinnweben. Es sind Magnetlinien. Sie beeinflussen meine Entscheidungen, dem Zufall mehr Raum zu geben, oder die Gestalten, die durch den Filter meiner Erinnerung Kontur gewinnen, die Handlung vorantreiben zu lassen. Es geht hin und her Zufall und willentliches Bilden.

Die Echoschleifen des Umgebungssounds, seine Rhythmik, dumpfe Schläge, Explosionen und dazwischen Rufe, wie Orientierungsschallwellen. Ihre Übertragung in die Buchmalereien bindet das Vorher und Nachher an die szenografische Idee. Musik schafft eine eingegrenzte Sphäre. Die kristallisierten Wälder wachsen dabei weiter.

Nächster Level

Die Vergegenständlichung der Umrisse rührt scheinbar öfter von romantischen Märchenillustrationen her, wie bei Ludwig Richter etwa. Auf Rolle 9 schließen sie sich zu surrealen Gebilden zusammen, die neue Geschichten erzählen. Dabei genieße ich die Handwerklichkeit von Feder und Tusche und treibe dieses Tun soweit, bis der nächste Level erreicht ist.

In den Collagen suche ich nach dem produktiven Zusammenspiel von Buchmalerei und Federzeichnung. Durch den Abstand dieser Techniken, entsteht viel Unruhe. Ich brauche mehr Ordnung, opake Flächen, die den Blick in die Vergangenheit öfter versperren. Das Erzählerische, was durch die Schichtungen entsteht, befindet sich auch in den Friesen von Rolle 9. Zum einen durch die Aneinanderreihung von Motiven, aber auch durch die Schichten, mit denen die Umrisse gefüllt werden. Man kann beim Vorübergehen an einer Stelle stehen bleiben und mit dem Blick in die Tiefe gehen.

Das Zusammenspiel von älteren Zeichnungen und den Umrissen der gegenwärtigen Buchmalereien steigert sich auf Rolle 9 zu einer verwobenen Gestaltungstechnik. In ihr verbinden sich Szenen aus fernen Erinnerungsregionen, fragmentierten Gegenständen und Figurenumrissgesträuchen, schichten und verflechten sich.

Stille

Mit Kuben verschränkte Tanzfiguren platzierte ich in die fortlaufende Erzählung auf Rolle 9. Zu ihnen werden sich die Figurenumrisse gesellen, die ich heute, zusammen mit der Kartierung von Landverlusten, gefunden habe. All das mag kein Widerschein des Schreckens sein, der über Smartphonevideos aus den Kellern der belagerten Städte dringt. Aber er wohnt in der Zeichnungen und Träumen.

Es ist wegen eines Bombenfundes ganz still auf der Nachbarbaustelle. Ganze Wohnviertel sind leer wegen der Entschärfung. Man kann die Frühlingsgesänge der Vögel hören. In einer Aufwallung etwas sichtbar Sinnvolles zu tun, habe ich auf der Wiese und einem großen Teil der Freifläche, Papier, Plastik und Zigarettenkippen aufgelesen. Lautsprecherwagen fordern die Bevölkerung auf, sich aus den Gefährdungszonen zu begeben. Unser Gelände ist ausgenommen.

Der Fußweg am Mittag führte mich am Atelier von Franz vorbei. Wie redeten über unsere gegenwärtigen Themen und kamen auf unser gemeinsames Interesse an der Romantik zu sprechen. Ein Substanzverlust innerhalb länger anhaltender, technologisch kontinuierlicher Arbeitsphasen, kam zur Sprache. Für mich ist kein Technikwechsel notwendig, um auf etwas überraschend Neues zu stoßen. Mit den Kindern grundiere ich gleich die Kleiderschnittreliefs, die wie am vergangenen Donnerstag ausgeformt haben. Dann beginnen wir im alten Holzlager eine Installation einzurichten.

Zugehörigkeit

In den Umrissen der Buchmalereien finden sich die Landgewinne und –verluste in stetiger Verdichtung mit älteren Motiven. Automatisch führe ich das immer weiter. Ich will es unterbrechen und muss mich dazu zwingen.

Auch das Aufrufen der Vergangenheit, der Tradition meiner Arbeit, verschafft mir nicht genügend Abstand. Als fiele ich auf meine eigene Propaganda herein, finde ich die unaufhörlichen Überlagerungen weiterführend. Material, das ich schon 2020 recycelte, rufe ich wieder als Umrisse auf und fülle sie mit neuem Gesträuch.

Bei der Beschäftigung mit der Malerei der Romantik, begegnet mir meine Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Es gibt den Kreis um Friedrich und den der Nazarener. Die Kooperationen sind eine Reaktion auf dieses Gefühl. Die vielen Schichten der Zeichnungen, bereiten den Boden für die Aufnahme anderer Arbeitsweisen. Der Kleiderschnitt als Kraftfeldrelief…

Medea I Zeithorizont I Aggregatzustände

Wenn ich im Fluss meiner Arbeit aus dem Tritt gerate, innehalten muss, um keinen Schaden anzurichten, richtet sicht der ausruhende Blick auf die Suche nach dem Horizont. Gestern schaute ich dabei in die Zeit, in der ich mich mit dem Medeathema beschäftigt habe. Jeweils über 60 Zeichnungen zu „Medea Stimmen“ in der Inszenierung von Wolfgang Engel in Leipzig und zu „Medea“ von Euripides, in der Inszenierung von Uli Becker in Stuttgart. Außerdem arbeitete ich an „Medeatlantica“ in Salvador da Bahia und in Heidelberg an „Medeamaterial Verkommenes Ufer Landschaft mit Argonauten“ von Heiner Müller. Ein Bühnenbild zur Oper „Medee“ folgte später auch in Heidelberg. All das prüfe ich auf seine Eignung für die Weiterarbeit auf Rolle 9.

Wasser als Kreislaufelement gibt es fluid, kristallin und gasförmig. Wie sehen die Übergänge zu den verschiedenen Zuständen aus? Diese Frage warf sich innerhalb der Beschäftigung mit den Gitterstrukturen des „Trixel Planet“ auf.

Zwar zeichnete ich die Verdichtungen auf Rolle 9 weiter, stockte aber angesichts dieser Blicke in die Vergangenheit. Deren Horizont verläuft von hinten und links seitlich von mir bis in die Zukunft nach vorne und rechts wieder zurück – eine Kreisbewegung.

Romantik I Suche nach dem Horizont

Schon im Januar hatte ich das Gefühl, mich näher mit der deutschen Romantik beschäftigen zu müssen. Gestern Abend bekam das noch einmal einen Schub. Ein Freund ordnete uns Johann Gottlieb Fichtes Werk, mit dem er sich beschäftigt, in seine zeitliche Umgebung ein.

Ich merke, dass ich mich, durch die Arbeitsweise mit den Transparentpapierrollen, mit den Phänomenen, die um mich herum existieren, in Beziehung setzen kann. Auch das Wandern durch die Zeit öffnet viele Türen, hinter denen Versuchsanordnungen stehen, die Stoffe aus verschiedenen Zeiten vermischen. Die Reaktionen führen zu Überraschungen.

Verdichtungen, Fragmentierungen und Energieimpulse daraus, lenken meine zeichnende Hand. Später erst kann ich erkennen, was mit den Linien neu entstanden ist. 1997 war für mich ein Vogelmensch neu, dessen Binnenstruktur von kreisenden Konzentrationen in kristalline Trixelstrukturen überging. In der vergangenen Woche füllte ich seinen Umriss mit Linien aus der „Suche nach dem Horizont“, zu der auch 1997 drei Zeichnungen entstanden. Mit diesem Vorgang bin ich noch nicht fertig, weil ich nun das Transparentpapier von hinten her zusammenrolle, um die gefundenen Figurationen in die der Tage zuvor, zu transportieren. Was dort als Neubildungen entsteht, tritt dann, bei umgekehrter Roll- und Arbeitsrichtung, den Weg in die Gegenwart an. Es ist nur vage vorstellbar, was daraus wird.

Kooperation I Besuch I Reliefring

Mit den Schülern kümmerte ich mich gestern um das Kooperationsprojekt. Von dem Schnittmusterbogen für ein Kleid von Claudia, weiterbearbeitet von Maya, übertrugen wir die Umrisse auf Pappe. Dann schnitten wir sie aus, durchweichten die Formate mit Leimwasser und drückten sie in die Kraftfeldreliefform. Vorher wurden die tiefer liegenden Linien von zwei größeren Reliefs mit Tusche eingefärbt. Die entstandenen Bilder haben Energie, eine kraftvolle Ausstrahlung. In der kommenden Woche werden wir die Schnittmusterreliefs bemalen und das ganze Material im alten Holzlager aufhängen.

Besuch von Frau Kanamüller aus dem Planungsamt und Frau Hübener, der Quartiersmanagerin vom Ben-Gurion-Ring, in meinem Atelier. Sie stellten die Frage, warum ich nicht ausstelle. Ich werde ihnen den Link zu meinem Arbeitstagebuch schicken. Das ist meine Präsenz im öffentlichen Raum.

Auch Alexander schickte ich den Link zum gestrigen Kreislauf-Text. Um an diesem Thema weiter zu arbeiten, möchte ich gerne etwas weiter in die Anfänge von „Trixel Planet“ schauen. Gezeichnetes Dreiecksgittermaterial von damals, fügte ich in die heutigen Collagen ein. Außerdem stieß ich auf den Entwurf eines Reliefringes, der auf Stelzen steht und den man umrunden kann.

Kreislauf

Im Kreislauf der Transparentpapierrolle bereichern weitere Figuren von 1997/98 das Geschehen. Den Abstand von 25 Jahren zu überwinden, versuchte ich mit dem Kontrast von Überlagerungsprozess und eingefügten Reduktionen. Außerdem übertrete ich mit den durchgezeichneten Linien von den Vortagen manchmal die Figurenumrisse. Mit dieser Variation überwinde ich die Strenge des Zeichenvorgangs auf Rolle 9, der lediglich das Ausfüllen der Umrisse vorsah. So tauchen Kentauren, Giraffen und gebogene Figuren auf, die tänzerisch-blind den Raum ertasten.

Ein Gitterwerk, das diese Motive aufnimmt und miteinander verschränkt, kann auch als ein geschlossener Kreis aufgestellt werden. Somit greifen die Motive in unendlicher Folge ineinander. Aus dem „Kraftfeld“ sind dreieckige Motive entstanden, deren Anschlussfähigkeit an allen 3 Seiten gegeben war. So wuchsen die Linien zu einer flächig-ornamentalen Komposition zusammen.

Mich berühren die alten Zeichnungen, die mir manchmal wahrhaftiger vorkommen, als das was dann in den Folgejahren bis 2005 entstand. Öfter denke ich an ein Projekt, das mir erlaubt, all dieses Material der letzten 50 Jahre, zu ordnen. Wenn das in ein neues gestalterisches Vorhaben münden könnte, würde mir das leichter fallen.

1997 und 2022

Die gezeichneten Figuren von 1997 begann ich auf Rolle 9 zu übertragen. Die Zusammenführung und Schichtung mit dem gegenwärtigen Material, war etwas abrupt und gewaltsam. Das ist wie ein Zusammentreffen sehr verschiedener Welten, deren Gemeinsamkeiten und ihr Potential im Zusammenwirken erkundet werden soll. Die Begegnung der klaren, linearen Figuren mit den chaotischen Verflechtungen der Umrisskartierungen, Verdichtungsmuster, Wiederholungen, Rückverweisen und Fragmentierungen, sind mit einer Ahnung vergeblicher Anstrengungen verbunden. Also weiter, weiter, nicht anhalten, damit sich dieser Gedanke nicht noch mehr Platz verschafft.

Eine kentaurische Figur hat sich gedreht, läuft nun zurück und schaut gleichzeitig nach vorne. Was sie sieht, treibt sie in die Vergangenheit.

In der Folge der Vorgänge auf Rolle 9, tauchen in den Buchmalereien erneut Figuren auf. Auf dem Transparentpapier suche ich nach der Überbrückung der 25 Jahre. Das soll aus dem aufkeimenden Gefühl der Vergeblichkeit heraus führen. Dieser Motor darf nicht ins Stocken kommen.

Alte Zeichnungen

Eine Reihe von Figuren, die ich am 14.2. 1997 zum Thema „Auf der Suche nach dem Horizont“ zeichnete, begleiteten mich durch die Nacht. Beim Durchblättern der alten Tagebücher aus dieser Zeit, entdecke ich noch mehr Zeichnungen, die sich für eine Struktur eignen würden, die ich mit Alexander für ein gemeinsames Projekt besprochen habe. All das stapelt sich zu vielen Gestaltungsmöglichkeiten eines geschweißten Gitters an einer großen Wand, das sich auch plastisch ausstülpen kann. Eine Auswahl könnte ich auf Rolle 9, während der Überlagerung der alten Motive aus der Anfangszeit des „Trixel Planet“ erarbeiten.

Das hat nun plötzlich nichts mehr mit den Umrissüberschneidungen zutun, an denen ich innerhalb der Buchmalereien bin. Sie wurden in den letzten Tagen ungestümer, von einer Ungeduld angetrieben. Fahrige Gesten, fließende Farben und malträtiertes Papier.

Eine Ausstellung mit Künstlerinterviews und Fotografien von ihnen, wird Übermorgen eröffnet. Auch, wenn ich dort, unter vielen anderen, gezeigt werde, gehe ich nicht zu einer Eröffnung. Ich habe zu viele andere Dinge zutun. Auch Franz hat angerufen, der ebenfalls porträtiert wurde.

Schlechtes Gewissen

Die Sackgasse in Sicht, bin ich, während der Buchmalerei, 2 x links abgebogen. Zunächst traf ich auf Magnetfeldlinien, dann auf Probebühnenarchitektur, und aus einem Spiralnebel formte sich eine Gestalt. Das war das Ergebnis meiner Fluchtbewegung.

Noch augenfälliger wird die Stagnation auf Rolle 9. Dort gehen die unruhigen Umrisse aus den „Morgenminiaturen“ auf langer Strecke ineinander über. Die Füllmuster übertreffen sich von Abschnitt zu Abschnitt. Aber diese Geschäftigkeit bekommt etwas Eintöniges. Das möchte ich heute, am Freitag, unterbrechen. Den ersten Schritt dahin, habe ich am Morgen getan.

Eine Fliege, die im Atelier überwintert hatte, flog durch die offene Tür in die kalte Wintersonne. Ein fast ortsfestes Hoch drückt Polarluft, zwischen dem 20. und 40. östlichen Breitengrad, nach Süden. Bei uns kommt der Wind aus südlichen Richtungen. Das ist ungerecht! Wildbienen patrullieren vor den Lochziegeln, die ich an die Atelierwand gehängt habe. Die ersten Mauereidechsen sonnen sich unter der Acrylglaskuppel. Im Gärtchen schnitt ich Ahornbäume, um einer Feige, die ich von meinem Nachbarn Gerhard geschenkt bekommen habe, mehr Licht zu verschaffen. Heute habe ich noch keine Nachrichten gehört und fühle ein schlechtes Gewissen.

Wie Stille

An dem zerlöcherten Arbeitstag gestern, zeichnete ich weiter auf Rolle 9. Diese Umrisse, die sich dort in einer langen Reihe überlagern, erscheinen mir nun überall: auf den Landkarten der Kriege, in den Auflösungserscheinungen des Betonbodens vor dem Atelier und im Wachstum meines Gärtchens. In die Ritzen der, vor langer Zeit gegossenen, Betonplatten treiben meine Weiden ihre Wurzeln. Irgendwann sprengen sie hoffentlich die Schollen auf und verwandeln die Betonlandschaft in ein romantisches Eisgeschiebe.

Bohrfahrzeuge treiben auf der Nachbarbaustelle Löcher mit einem Durchmesser von etwa einem Meter und einer Tiefe von vielleicht 20 Metern in die Landschaft um die Baugrube. Kein Sandkorn des alten Schwemmlandes blieb auf dem anderen. Der Höllenlärm, der dabei entsteht, macht kurze Pausen, in denen mir das Stadtgeräusch wie Stille vorkommt.

Das kontinuierlich fließende Linienmaterial aus den Umrissen der Buchmalereien, reiht sich seit dem 5.3. in ein geschlossenes Band. Ich verfolge das weiter bis in die Sackgasse, deren Ende schon langsam in Sicht kommt. Im Traum der vergangenen Nacht konnte ich mit einem kleinen Strahlaggregat fliegen.

Konturen

Die Umrisse der Handkantenabdrücke bilden langsam eine neue, eigenständige Qualität innerhalb der Buchmalereien, der Collagen und auf Rolle 9. Sie sind Aufmarschzonen, Fluchtkorridore, Geländegewinne und das fragmentierte Land. Mittlerweile denke ich daran, diese Konturen, gemeinsam mit Farblasuren, die sie ausfüllen, auf die Reliefs zu übertragen.

Propagandaornamente monarchischer Macht zum Frauentag: Im Zentrum der Zar, beidseitig angehimmelt von Models. Unverschämte Rhetorik in bunter Symmetrie.

Arbeitswut schlägt sich auf Rolle 9 nieder. Als müsse ich für mich eine Gegengewalt etablieren. Ich kenne solche Arbeitsphasen, weiß, wie sie sich ankündigen und beschleunigen. Früher ließ ich das laufen. Heute bin ich vorsichtiger.

Zyklen

Auf Rolle 9 überschneiden sich schnell neue Umrisse. Sie stammen nicht mehr von den Collagen, sondern direkt aus den Buchmalereien. Dabei entwickle ich die Reduktion der Überlagerungen weiter. Ich suche noch nach einem Vorgang dafür, der direkt aus der Arbeitsweise des Zusammenrollens des Transparentpapiers und dem Durchzeichnen der vorausgegangenen Strukturen erwächst.

Dieses Vorgehen kann mit dem Grundgedanken des Kreislaufs, den Alexander für unser nächstes Projekt gefunden hat, verbunden werden. Sich wiederholende Motive verändern sich bei jeder Umdrehung. Zyklen des Wachstums und der langsamen Weiterentwicklung ließen sich reduziert verbildlichen. Damit würde der Gedanke an eine Dreiecksgitterfigur in den Hintergrund treten.

Durch das Spiel mit den Tuschezeichnungen und den Buchmalereien, kommt es bei den Collagen ebenfalls zu Reduktionen. Diese Arbeit mit den abstrakten Umrissen, die am ehesten Ländergrenzen ähneln, lässt die Entwicklung der Reliefs stocken. Ich dachte an lasierend flächige Farbigkeiten. Diese Dimension würde die Dominanz der Liniengestaltung verringern.

Schnittmengen

Schnittmengen umrandeter Handkantenabdrücke sind wie die Landkarten aus der Kriegsberichterstattung. Die unterschiedlichen Füllungen entsprechen den Überzeugungen der Kämpfer oder ihrer Verunsicherung durch die um sich greifenden Lügen. Heldentum, das hoch im Kurs steht, geht mit der Verhältnismäßigkeit von Tod und Gerechtigkeit einher.

Seit ein paar Tagen steht ein Projekt im Raum, in dessen Zusammenhang ich über eine Dreiecksgitterfigur nachdenke, die ein zu begrünendes Gerüst bildet. Da die Figur im Freien stünde, wäre im Winter die Gitterkonstruktion zu sehen. Im Sommer wäre sie in Pflanzen gekleidet. Weil es auch um Fassadenbegrünung geht, stelle ich mir das Ganze als ein Relief vor, aus dem diese Figur tritt oder schwebt. Sie würde aus der Wand wachsen. Die Initiative kommt von Alexander. Wir wollen das noch in dieser Woche besprechen.

Einen Umriss der 2. Malerei vom 4. März, zeichnete ich am Sonnabend auf Rolle 9. Er befindet sich in den heutigen Collagen. Beim weiteren ausfüllen möchte ich die Linien, mit denen ich die Figuren fülle, reduzieren, wie ich mir es in den vergangenen Tagen schon vorgenommen hatte.

Grenzen

Aus der groben Schraffur in 1, der ersten heutigen Buchmalerei, entwickelten sich, durch die Übertragungen der Struktur mit der nassen Handkante in 2 und 3, Figuren. Die Linien der Papiergravuren verbinden sich mit denen meiner Haut.

Der Umriss, den ich gestern aus der 2. Collage zunächst auf ein Einzelblatt übertrug, Ist spannender als die überlagerte Variante auf Rolle 9. Dort stoße ich mit den Schichtungen auf Grenzen und will mich weiter auf die Reduktion der entstehenden komplexen Szenen bemühen, um klarer zu sehen.

Mit meinen Schülern presste ich Pappmache in die Form. Es entstanden 3 große und 3 kleinere Reliefs. Wenn man diese Arbeit anderthalb Stunden macht, wird es wirklich anstrengend. Ich bekam den erhofften Impuls, mich nun um die weitere Bemalung der Reliefs zu kümmern. Dabei denke ich zumeist an die Kooperationen. Ein Relief mit dem Umriss des Kleiderschnittes von Claudia ist dass nächste Vorhaben. Ich denke dabei an eine Installation mit Drahtkleiderbügeln, Reliefs und Transparentpapieren in einer Kulissenarchitektur.

Reduktion

Etwas störrisch gerieten heute die Buchmalereien. Akzente eines Tuschepinsels, in der sonst zurückhaltenden Umgebung, forderten etwas kräftigere Gegenbewegungen.

Die Kulissenarchitektur der 3. Malerei, samt ihres Personals, übernahm ich gestern in die dritte Collage und übertrug dann Umrisse daraus auf Rolle 9. Indem ich einen Bogen weißes, undurchsichtiges Papier mit einrolle, verhindere ich den Durchblick auf zu viele Ebenen. So konnte ich den Umriss lediglich mit den Linienstrukturen des Vortages füllen. In dieser reduzierten Überlagerung wird der Vorgang deutlicher, die kontinuierlicher Bezüge zum Vortag sichtbarer. Diese Klärung kann der Weiterverarbeitung auf den Reliefs dienlich sein. Ich zögere diese Arbeit etwas heraus, bin noch mehr mit der Transparentpapierrolle beschäftigt. Oder ich beschäftige mich mit ihr, weil die Zeit für die Reliefs noch nicht reif ist. Vielleicht geben mir meine Schüler heute einen Impuls.

Die Konzentration inmitten der allgegenwärtigen Kriegsnachrichtenmaschinerie beizubehalten, ist ein nicht unwichtiger Teil der gegenwärtigen Arbeit. Über die Pandemie spricht niemand mehr. Ist sie vorbei?

Mehrfaches Durchzeichnen

Am Morgen bezog ich die Buchmalereien auf Glenn Goulds „Goldbergvariationen“ von 1981. Ich hörte sie während ich malte.

Umrisse aus der 2. Collage von gestern zeichnete ich auf Rolle 9 und begann sie mit den Strukturen, die ich zuvor am 4.2. auf dieser Transparentpapierrolle herstellte, zu füllen. Nun meine ich in diesen Linien sehen zu können, wie es mit der Beschichtung der Relieffelder weitergehen kann. Durch das mehrfache Durchzeichnen, was immer mit leichten Korrekturen der Größenverhältnisse einhergeht, entstehen spannungsgeladene Kompositionen. Diese würde ich gerne, auf den glatten Feldern der Reliefs, frei nachempfinden. Genügend grundierte Reliefs sind vorhanden, auf denen ich das probieren kann.

Morgen kommen neue Schüler in mein Atelier. Mit ihnen möchte ich nun ausschließlich an der Kooperation mit den anderen Gruppen arbeiten. Die Rekonstruktionsreliefs des Kraftfeldes sollen Träger der Gestaltungen werden, die in den anderen Ateliers entstehen.

Genügend Licht

Es braucht kein elektrisches Licht. Die Sonne steht südöstlich und füllt den Raum. Der Lichtvorrat, den ich in den letzten Wochen aufnehmen konnte, wird auch eine Zeit vorhalten. Etwas vorsichtig und langsam steige ich wieder in die Arbeit ein. Das tut seht gut!

Als wir gestern mit dem Taxi vom Flughafen in die Stadt kamen, hatte ich Lust sie neu zu entdecken – etwas in ihr zu schlendern. Sina fragte mich, was ich einer Spezies nach unserer, in einer Zeitkapsel hinterlassen wollte. Ich stelle mir vor, dass sie mit einem Bleistift und einem leeren Buch wenig anfangen könnten. Aber ich habe mal einen schwarzen Stein gefunden, auf dem lauter Lichtpunkte saßen, die wie unser sichtbares Universum aussahen. Man konnte ihn auf einer glatten Tischplatte lange kreiseln lassen.

Mit Blick auf die Produktion, die vor 4 Wochen zum Stillstand kam, scheint der Neubeginn darin deutlich auf. Die Tuschzeichnungen auf Rolle 9 greifen auf die Buchmalereien zurück und bilden Material für die Oberflächen der Reliefs, die für die Rekonstruktion vom Kraftfeld entstehen.