Start

Das Sonnenlicht, das durch die Atelierglasfront fällt, auf seinem Weg Schatten der Bäume auf den staubigen Scheiben hinterlässt, zieht mich in meinen Garten. Ich möchte schneiden, stapeln, graben, pflanzen und säen. Am Freitag, der halb schon ein Wochenendtag ist, sollte Zeit dafür sein.

Auf Rolle 10 habe ich gestern begonnen, die Zeichnungen zum Thema „Palast der Republik zu sammeln und sie mit dem gegenwärtigen, sehr persönlichen Material zu konfrontieren und zu vermischen. Das fühlt sich wie ein Start in ein neues Arbeitsfeld an. Die Aufgabe ist klar. Die Medien sind Buchmalerei, Aufzeichnungen, Transparentpapierrolle und die Rekonstruktion der Kraftfeldreliefs. Mit ihnen werde ich die vorangegangenen Themen vermischen und fortschreiben.

Somit schieben sich auch die bildnerischen Suchbewegungen des Trixel Planeten erneut in den Vordergrund. Ein Umriss der die Wanderungsspurenbilder aufnehmen kann, ist die Aufzeichnung der GPS-Wanderung, die ich auf der zwischenzeitlichen Wiese auf dem Grundriss des Palastes an der Spree, gemacht habe.

Suche

Am Zeichentisch stehend sah ich gestern alle 10 Transparentpapierrollen durch, annähernd 500 m, und suchte nach den Verbindungen zwischen dem Bau und Rückbau des Palastes der Republik und den Wanderungsspuren des TRIXEL PLANET. Dieses Material drängt nun wieder in die Gegenwart.

Bei der Suche nach diesen Anknüpfungspunkten zahlen sich die Parallelitäten zwischen Arbeitstagebuch auf der Website, den Aufzeichnungen und Malereien in den Büchern und den Transparentpapierrollen aus. So kann ich digitale Suchbegriffe und analoge Arbeiten kombinieren, um sie in den Weiten der Materialien zu datieren und finden, was ich suche.

Eine Nachbarin besuchte mich am späteren Nachmittag, weil sie sich für meine Arbeit interessiert. Während des längeren Gesprächs erzählte ich von den Bezügen zwischen Geografie, Choreografie und Zeichnung in dem Zeit Raum meiner Arbeit. Das aufmerksame Gegenüber förderte meinen Erzählstrom übergebühr.

Heute malte ich die Buchmalereien jeweils nur mit einem Haar. So reduzieren sich die Zufälle und das spannungsgeladene Gewusel, zugunsten einer bewussteren Farbauswahl.

TRIXEL PLANET HUMBOLDT FORUM KRAFTFELD

Bei der Sichtung der Transparentpapierrollen von 2007 bis 2010, fand ich mehrere Motive, die von meiner Zeichnung vom Dach des Palastes der Republik in Richtung Westen stammen und sich mit den Figuren der Wanderungsspurenforschung verbinden. Und weil das Stahlgerüst, das während des Rückbaus sichtbar wurde, in das Figurenensemble des Kraftfeldes eingegangen ist, taucht diese Situation in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder auf. Bemerkenswert erscheint mir, dass sich diese Motive von 1974 und 2007-2010 mit den Wanderungsspuren des TRIXEL PLANET verbinden, der eine große Nähe zu den heutigen Inhalten des HUMBOLDT FORUMS hat.

Nun möchte ich gerne das ältere Transparentpapiermaterial mit den gegenwärtigen Arbeiten verbinden. Das kann in den Collagen und auch innerhalb der Rekonstruktion des KRAFTFELDES geschehen.

Dagegen erscheinen mir die Buchmalereien, die ich derzeit mit der Einbeziehung meiner Haare mache, wie eine formale Spielerei. Gehe ich aber weiter und der Sache auf den Grund, ergeben diese Arbeiten eine persönliche Schicht, die es lohnt mit den Transparentpapierrollen aus den früheren Jahren zusammen zu bringen.

Endlosschleifen

Auf der Rückfahrt von Berlin nach Frankfurt schaute ich in den Arbeitsbericht auf meiner Website. In das Feld für Suchbegriffe gab ich „Palast der Republik“ ein. Im Humboldt Forum beschäftigt sich ein Team mit den Erinnerungen, die mit diesem Gebäude verbunden sind. In meinen Einträgen zur aktuellen Arbeit, bekam ich über 40 Treffer mit Inhalten zu diesem Gegenstand. Die Beschäftigung mit der Landschaftszeichnung auf einem Packpapierfetzen, die ich 1974 von der Südwestecke des Daches nach Westen machte, die Transparentpapiersequenzen mit den Rückbaufiguren, bis hin zu den Reliefs des Kraftfeldes, ziehen sich Bilder zu diesem Thema durch alle Phasen meiner Arbeit.

Vor knapp einem Jahr, am 20.10. 2021, schrieb ich: „Die Ereignisse im Zentrum von Berlin, die in meine Lebensspanne fallen, lösten stets starke emotionale Reaktionen aus: Mauerbau / Mauerabriss, Bau des Palastes der Republik / Rückbau, Schlosssprengung / Schlossneubau. Das sind die Endlosschleifen meines Lebens.

Ich sah die Abgüsse einiger Reliefs von Angkor Wat im Humboldt Forum. Die Originale hatte ich feiner gearbeitet in Erinnerung. Da hat mich vielleicht vor Ort der Verwitterungszustand, der mehr ergänzende Rückschlüsse auf die Gestaltungsqualität zuließ, getäuscht.

ONKEL WANJA – WEIDENSCHWÜNGE

Im Schauspiel Frankfurt sahen wir Tschechows „Onkel Wanja“ in der Regie von Jan Bosse. Der Rohbau auf der Drehbühne zeigte eine ewige Baustelle, oder eine Investruine, die schon von Schlingpflanzen überwuchert wurde. Die Russen soffen etwas klischeehaft unentwegt Wodka. Aber es war eine wirklich schöne Premiere.

Wir trafen wieder Chunqing Huang mit ihrem Mann. Ich erzählte ihr von den Fragmenten in der restaurierten Kapelle in Müstair. Wir sprachen auch über Musik und Bilder im Zusammenhang mit Übersetzung. Dann gesellte sich Karlheinz Braun zu uns, und berichtete von seinem 90. Geburtstag und den vielen Projekten, an denen er noch arbeitet. Was soll man dazu sagen – bewundernswert!

Inspiriert von meinen Haarlinien in den heutigen Buchmalereien, schnitt ich zwei Weidenäste und flocht sie, während die Wasserfarben trockneten, ineinander. Ihre verschränkten Schwünge hängen an einem Drahtseil, frei schwingend über dem Ateliereingang.

Übersetzen

Auf der langen Fahrt von den Bergen, in denen wir Ferien gemacht hatten, nach Hause, sprachen wir über die Verbindungen des Übersetzens zu anderen Künsten. Irgendwann aber werden die Vergleiche zwischen dem, was Maler, Musiker und Übersetzerinnen übertragen, beliebig.

Ich kann behaupten, eine Stimmung in ein Bild zu übersetzen. Dabei ist aber nicht ganz klar, ob die Farben nicht auch auf das Empfinden zurückwirken. Eine Übersetzerin beeinflusst während der Arbeit manchmal den Autor, wenn sich Unstimmigkeiten ergaben. Dann wird das Original öfter verändert.

Es gibt auch das Experiment des Übersetzens im Kreis. In ihm wird ein Satz in verschiedenen Sprachen immer weiter gegeben und am Ende wieder in die Ursprungssprache rückübersetzt. Die Wandlung, die er durchmacht, vergleiche ich mit meinen Durchzeichnungen auf Transparentpapier, die sich bei jeder Runde der Zusammenrollens und Weiterzeichnens, verändern.

GEFESSELT EISBLUMEN HAAR

Ich träumte von Collagen, Farbwolken mit ausgeschnittenen Zwischenräumen. All das fand sich in einem Buch wieder, das eine PRINT ON DEMAND Maschine ausspuckte. Die Fensterausschnitte ließen Blicke auf die Seiten zuvor und auf die kommenden zu. Das Tagebuch kippte in eine andere Struktur. Worte wanderten über die Seiten und bezogen sich in neuer Weise auf die Bilder. Es waren eher Gedichte.

In der ersten Malerei, in 1, kommen mir die Formen GEFESSELT vor. Ganz rechts entstand eine Figurenkontur. Die Pigmente blühen manchmal wie EISBLUMEN an den Haarlinien und gehen in die Hautfaltenabdrücke des Handballens über. In 2 hebe ich mit Tinte ein paar Formen heraus. Das HAAR fällt in den Hintergrund, weil es nicht genügend Kontrast binden konnte. Beistriche sollten helfen. Der Blick läuft wie auf Schienen. Immer dieselbe Strecke.

An ein herrenloses Drahtseil, das ohne Funktion quer über den Platz vor dem Atelier gespannt ist, hängen nun schon zwei WEIDENGEFLECHTE. Das soll eine ganze Kopfüber-Prozession werden.

Kleinheit

Am Gartentisch, mit dem Rücken zur Sonne, merke ich einen leichten Westwind, von dem das Stakkato eines Elsterngesangs herbei getragen wird. Das langsame Insektenwachstum an den Eichen bildet den Kontrast zu diesen Rhythmen. All das beeinflusst die Buchmalereien. Das tote Material meiner Haare reagiert mit einer Lebendigkeit auf die Szenarien, in denen die Arten vergehen. Die Kleinheit dieser Reaktion ist meine künstlerische Herangehensweise im Umgang mit den Weltkatastrophen.

Etwa 400 Collagen stellte ich diesem Jahr bis jetzt auf meine Seite. Weit über Trixel Planet hinaus entstand, in der Abkehr von der Kunstwelt, die Individualität meiner Bilder.

In den letzten Tagen reduzierte ich die Farbigkeit der Buchmalereien, die mir im Zusammenspiel mit den Haarkrausen zu viel wurde. Jetzt vor den Ferien befinde ich mich in einem produktiven Schwebezustand und entferne mich langsam von den Arbeitsinhalten.

Die Zeit vergeht ruckweise

Die Zeit vergeht ruckweise. Die Stunden flackern. Wenn oben auf dem Bahndamm die Güterwaggons rattern, knacken, quietschen, bleibt der Sekundenzeiger stehen. Im Stillstand erkennt man Papierbilder, die auf die Seitenwände geklebt sind. Es geht in ihnen um Menschen ohne Papiere. Es sind Flüchtlingsbilder.

Gestern sah ich ein großes Tier auf Rolle 10, einen Wasserbüffel mit einem Höcker. Ich halte inne, wenn die Ringeltauben kommen, um an meinen Bottichen zu trinken, denn sie sind scheu, fliegen bei jeder Bewegung auf und bleiben dann durstig.

Figuren und Architekturen, die aus den Haarlocken der Buchmalereien wachsen, sind schütter genug, um nicht zu stören, durchlässig im tropischen Geschehen. Vorgänge aus dem Gärtchen, Verpuppungen, Metamorphosen und Entfaltungen, werden abgebildet. An den Eichen wachsen verschiedene Insekten. Glatte Kugeln an den Unterseiten der Blätter beherbergen Gallwespenraupen. An den Stengeln kleben stachelbewährte, verholzte Kugeln, in denen sich kleine weiße Maden befinden. Die Goethepflanzen vermehren sich explosionsartig. Überall in der feuchten Erde wachsen Goethekinder!

Totes Material

Am Morgen las ich ein Gedicht über jemanden, der längst weg sein wollte, weg von allem Lärm, auch von dem in seinem Hirn. Die Aufzählungen in den Strophen sind den Balladenstrukturen von Bob Dylan ähnlich.

Ich verliere mich in meinem Haar, verliere es auch beim Auskämmen – totes Material. Mit den Farben aber, wird es zum Leben erweckt, trägt die Stimmungen die in mir wohnen. Ein paar Haare habe ich zuerst in Tinte getaucht und sie dann auf die leeren Buchseiten gelegt. Manchmal, wenn mir ein deutlicher Widerpart fehlt, eine Architektur aus Geraden etwa, will ich aber die Schwünge auch nicht stören. Sie sind Bewegungsspuren, wie die der Mauersegler, die in den Himmel geschrieben bleiben.

Stimmungen die durch Bewegung Ausdruck finden, begegnete ich gestern auch auf den Autobahnen. Irgendwann kam es mir vor, als bewegte ich mich in einem rechtsfreien Raum, in dem sich Gefühle steigern und gefährlich in Tempo aus Motorenleistung umgemünzt werden.