YOU MADE ME A MONSTER

Gestern verließ ich das Produktionsband der Reliefabformungen und widmete mich den alten Transparentpapierrollen. Beim 9.12. 2005 blieb ich stehen. Ein größerer Umriss einer abstrakten Figur wiederholte sich zweimal, davon einmal kopfstehend. Es handelt sich um einen Schattenriss aus einem Trauerstück von Bill Forsythe für seine verstorbene Frau. Unter dem Titel „You Made Me a Monster“ wurde damals eine Installation aus Pappmodellen menschlicher Knochen in das Bockenheimer Depot gebaut. Schatten der ineinander verschränkten Skelettfragmente wurden auf Tische geworfen, auf denen Papierbögen und Bleistifte lagen.

Das Publikum war aufgerufen Zeichnungen der Schatten anzufertigen, die von dem Tanzensemble als Partitur für kleine Improvisationen genutzt wurden. Mich begeisterte das damals und ich übertrug etwas von dem Material, das ich selbst gezeichnet hatte, auf meine damalige Transparentpapierrolle.

Nun werde ich diese Umrisse auf Rolle 10 übertragen, um sie dort mit der Gustavsburgplatz-Wanderung zu überlagern. Dann könnte ich versuchen, das Material wieder, mit einem GPS-Gang auf den Platz zu bringen. So existiert die Erinnerung an die Trauer in Bewegung weiter.

Zwischen den Räumen

Während des Malens verläuft das Denken in anderen Bahnen. Es nähert sich dem Träumen. Die Bewegungen übernehmen den Rhythmus des Unterbewussten. Die entstehende Unruhe kann nur vom Weitermachen besänftigt werden. Selten stehe ich zwischendrin auf, bleibe lieber bei den Gebilden, die zwischen den verschiedenen Räumen wandeln.

Es ging malerisch – weich zu, an diesem Morgen, dass ich mit geraden Linien eingreifen musste. Die dunkle Tinte sprengt den Farbrahmen. Sie sitzt unversöhnlich im Gefüge, lässt sich schwer zurückdrängen. Nach dem Schlusspunkt decke ich sie mit Ocker und Rosa etwas ab. Andere Dinge, die mir ins Auge fallen, korrigiere ich nicht mehr, weil es dann schnell zu konkret wird.

Das Reliefexemplar dieser Woche habe ich gestern fertig ausgeformt. Es benötigt noch 2 Tage, um vollständig zu trocknen. Die Bemalung, die nach dem Grundieren folgt, ist noch fern. Aus der Gestaltung der Fragmente im abgelaufenen Jahr, lernte ich in der lückenhaften Betonung der vertieften Linien, die dem Zeichnungsgeflecht entsprechen, neue Figuren zu finden. Gerne würde ich diesen Prozess gemeinsam mit den Schülern fortsetzen.

Sehen und reagieren

Die heutigen Buchmalereien sind reduziert, durchlässiger, weisen mehr offenen Raum auf und haben nur vage ausgearbeitete Stellen. Zu heftige Strukturen werden manchmal mit dem feuchten Handballen oder der Zeigefingerkuppe aufgelöst. Wieder legte ich die Haare mit klarem Wasser auf das Papier, tupfte dann noch Feuchtigkeit weg und ging dann erst mit Farben in die Kreuzungspunkte. Das erzeugt klare Linien.

Ich kümmerte mich zwar nicht um Figuren, aber dennoch traten sie von selber auf. Mein Hirnspeicher wird nach Vergleichbarem durchsucht. Die Haarschwünge dagegen scheinen neutral zu wirken, reizen meine Erinnerung nicht. Vielleicht rührt das Desinteresse von ihrer Perfektion her. Die gezeichneten Spiralen rufen nach einer Kerngeraden oder einer Umfassungslinie, die dann interpretationswürdige Gebilde schaffen. Auch die Handballenabdrücke haben solche Reaktionen zur Folge.

Das Relief ist fast trocken. Die Form aber ist noch nicht vollständig ausgefüllt. Das muss heute geschehen, damit meine Schüler am Donnerstag mit der Grundierung beginnen können.

Mit meinen Attributen

Aus der Winkelkonstruktion in 1 schwebt ein Fisch. Er fängt seine Beute mit einem Gravitationsfeld vor seinem weit aufgerissenen Maul. Er ist mein Geschöpf, besetzt mit meinen Attributen – mit Haut und Haar.

In 3 setzen sich die Formen aus Atmosphären zusammen. Figuren gruppieren sich vor Landkarten und klügeln räuberische Strategien aus. Dabei hilft ihnen die Erkenntnis, dass alles Sichtbare und Spürbare nur unserem Geist entspringt. Leuchtete diese nur in engen Kreisen, so tritt sie nun kraftvoll heraus und setzt soldatischen Mut frei. Sie töten sich in ihrer Nichtexistenz leicht. Das geschähe im Raum hinter der 3. Malerei, wenn ich ihn nicht in ein Klavierstück umwidmen würde. Debussy durchquert den Hintergrund. So leicht geht das!

Gestern arbeitete ich an der Reliefausformung. Eigentlich müsste ich einen Text fertig schreiben, oder an Rolle 10 weiter arbeiten. Das Füllen der Form ist zwar eintönig aber erholsam! Ich sehe, wie leicht es vorwärts geht.

HAND RAUM KITSCH

Mit dem rechten Zeigefinger setze ich Fingerabdrücke auf die senkrecht ovalen Farbfelder. Gleich entstehen durch diese frisierten Köpfe Figuren. Sie erinnern an Körper, die mir täglich begegnen. Das kleine Format besitzt eine feinmotorische Körperlichkeit. Die Hand, die ein Arsenal von Erinnerungsstrukturen bereithält, formt mit dem Ballen, den Fingergliedern und der Haut skulpturale Wesen. Kommt das Haar hinzu, steigert sich diese private Körperlichkeit und bildet den Gegenpart zu den linearen Konstruktionen.

Der Raum hinter diesen Bildern schichtet sich innerhalb der Collagen bildhaft. In den Texten, die parallel zu den kleinen Bildern entstehen oder sich direkt auf sie beziehen, Geschichten des Davor und Danach erzählen oder den Figuren Worte in den Mund legen, bildet sich der Sprachraum, der das Gemalte möglichst kontrastieren sollte, die Illustration vermeidend.

Wenn Musiker, die ich oft höre, in den Kitsch abgleiten, dann stört mich das beim Arbeiten. Es gibt eine solche Tendenz bei Brad Mehldau, den ich ansonsten sehr schätze. Dann verführt er mich, die Interpretationen der alten Beatlessongs zu hören, wegzudriften in die seichten Gewässer der Belanglosigkeit. Und dann hört es auf zu stören.

Der Raum hinter der Malerei

In dem Text, der die Verbindungen meiner Arbeit mit dem Ort, wo nun das Humboldt Forum steht, zeigen soll, fehlt noch ein Absatz über die gegenwärtigen Collagen. Sie verbinden die zeichnerischen Bezüge zum Palast mit der Buchmalerei. Aber auch die winkligen Linien in den gemalten Miniaturen spiegeln Bruchstücke der Stahlkonstruktion wieder, die vom Asbest befreit in den Himmel ragten.

Die pinselförmigen Farbflecke schließen die Schwünge ein, die von den Haaren kommen, die ich in die feuchte Farbe drücke. Die Linien enden an den Trocknungsrändern und ihre Richtungen werden vom benachbarten Fleck wieder aufgenommen. Der Raum zwischen den Farbfeldern wird vom schauenden Hirn gefüllt. Die weißen Korridore führen die Bilderzählung in den Raum dahinter.

Aber warum schreibe ich das auf? Wo führt der Versuch, den Raum hinter der Malerei mit Sprache zu füllen hin? Wird die Arbeit dadurch sogar entwertet? Die Informationen über das Denken dessen, der malt, engen vielleicht das Sehen ein. Zumindest wird es gelenkt. Aber mit den Linien und Farben lenke ich den Blick auch!

Zusammenspiel

Die Abbildungen, die ich in den Text für das Humboldt Forum einfüge, sind weit verstreut. Sowohl die Zeiträume als auch die Arbeitsthemen liegen voneinander entfernt. Eine besondere Rolle spielen die kürzlich entstandenen Transparentpapierzeichnungen und die Collagen, in denen Strukturen des Rückbaus und Teile der Landschaftsskizze vom Dach des Palastes mit gegenwärtigem Material zusammenspielen.

Alte Animationen, die in der Performance „In the Forest“ an die Wand projiziert wurden, beginne ich in Formate zu konvertieren, die heute abzuspielen sind. Daraus erhoffe ich mir Standbilder, mit denen ich auf Rolle 10 weiterarbeiten kann.

Die starken Lichtwechsel, die der Himmel heute Vormittag vorgibt, beeinträchtigen meine Konzentration etwas. Ich will mit den Gedanken bei den Buchmalereien bleiben, für die ich heute feinere Haare von mir, mit dem Wasserfarbenpinsel zu bändigen versuchte. Mit dem Ockerstift beschwichtige ich Dissonanzen und verschiebe durch geschwungene Gravitationslinien die Gewichte. Mit der feuchten Fingerkuppe kann ich harte Linien zu Wolken auflösen, woraus manchmal vage Figuren entstehen, die man aber schnell wieder aus dem Blick verlieren kann.

Volumen einer Diskette

Bei der Betrachtung von Fotografien einer Tanzperformance, die ich mit dem Heidelberger Ensemble der Neunzigerjahre aufführte, frage ich mich nach der heutigen Bedeutung der Bilder für mich. Das untersuche ich, indem ich eines in die Collagen einfügte. Die Computeranimationen dieser Zeit interessieren mich wegen ihrer Speicherbegrenzung auf das Volumen einer Diskette. Ich hatte mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aus diesem Zugang zu dem, was mich damals beschäftigte, lässt sich der Bezug zur gegenwärtigen Arbeit herstellen. Meine Reaktionen auf die Entwicklungen in der Welt außerhalb meines Gehäuses, lassen sich somit aus einem anderen Blickwinkel überprüfen. Dafür bin ich auf der Suche nach einer Bildsprache.

Zu den mannigfaltigen Beziehungen meiner Arbeit zum Ort des Humboldtforums soll ein neuer Text entstehen. Die Ideen- und Erinnerungsflut muss kanalisiert werden.

Das heißt, dass ich nicht dazukommen werde, Rolle 10 weiterzuführen. Die Malereien bleiben vorerst im Buch und den Collagen eingeschlossen.

Dichterinnen und Kunst

Ein Link zu einem Radiobeitrag vom Deutschlandfunk mit dem Titel „Rachel Cusk und die Kunst – Der Trost der Bilder“, führte mich in die Forschungen zur Verbindung von Literatur und bildender Kunst. Dabei wird von der Autorin beklagt, wie einengend die Sprache sei, im Gegensatz zu den Möglichkeiten, die etwa ein Maler mit seiner Leinwand hat. Das führte uns zu unserer Frage danach, wie Kunst und Übersetzen kooperieren könnten.

Im Kino sahen wir einen Dokumentarfilm über Elfriede Jelinek. Er heißt im Untertitel „Die Sprache von der Leine lassen“. Auch sie vergleicht ihre Arbeit mit der Kunst Skulpturen herzustellen. Das ist vor dem Hintergrund einer Knödel mampfenden Bäuerin in Österreich, die dabei von den Judenerschießungen 1945 erzählt, ein Trost.

Je kunst- und wissenschaftsfeindlicher sich der Mob gebärdet, umso wichtiger werden Forschung und Bilder. Nach dem Kino war ich etwas niedergeschlagen. Mich berührte der Kontrast der energiereichen Sprache einer verletzlichen Person auf der einen Seite und dem populistisch-faschistoiden Gebrüll auf der anderen, das sich gegen die Dichterin wendet. Aber sie ist stark!

Angenehme Leere

Mit mir allein, etwas Schlaf und einem Zahnarzttermin vertrödelte ich den Vormittag. Durch dieses seltene Ereignis stellte sich eine gute Stimmung ein und eine angenehme Leere. Und nun mache ich meine Tagebucharbeit erst am Nachmittag. Die Buchmalereien werden etwas selbstsicherer, vielleicht nicht besser, aber farbiger und vielfältiger.

Gestern formte ich das Relief, das ich mit den Jugendlichen begonnen hatte, weiter aus. Eine langwierige Angelegenheit mit kleinen, lange eingeweichten Pappfetzen. Ich hoffe, dass sich die Abformungsergebnisse verbessern.

Beim Blättern in alten Fotografien fiel mir eine Serie in die Hände, die Gudrun Holde Ortner von mir in den Neunzigerjahren im Malsaal des Heidelberger Theaters gemacht hatte. Und ich fand Bilder von Performances mit dem Tanzensemble in der Heidelberger Schokofabrik und mit dem Shakespeare Swui Ensemble im Gallustheater.

Ukrainische Schüler

Das geschlossene, verflochtene System der Zeichen des Kraftfeldes, zeigte ich am Morgen ukrainischen Schülern. Dafür ging ich mit ihnen auf den alten Holzboden, wo die zerstörten Reliefteile liegen. Ich versuchte die verschiedenen Figuren zu erläutern. Haben wir eine Weile zusammengearbeitet, werden wir Zeichen ihrer Wanderung im Geflecht entdecken und dann zeichnerisch hinzufügen.

Der Schüler, der in der vergangenen Arbeitsphase von YOU&EYE die schönsten Reliefs angefertigt hatte, von denen eines seit Monaten über meinem Grafikschrank hängt, und ich es täglich gerne anschaue, ist wieder mit dabei. Auch Vandad, der die Organisation des Projektes macht und sie hergebracht hatte, war kurz da.

Es gibt viele Dinge, die gleichzeitig gemacht werden sollen. Dafür muss ich mir Arbeitsplätze einrichten, an denen ich parallel zugange sein kann. Mir fehlt es, Bildideen auf Rolle 10 weiter zu entwickeln. Strukturen der Buchmalereien sind mir zu wichtig, als dass sie nur in den Collagen vorkommen und dort verschwinden. Auf den Transparentpapierrollen komme ich am ehesten auf den Punkt.

Strenge Ordnung

Die Zusammenhänge zwischen meiner Beteiligung am Bau des Palastes der Republik und den vielen bildnerischen Arbeiten, die zu den Themen Aufbau, Rückbau, TRIXEL PLANET und Kraftfeld entstanden, sind in einem knappen und verständlichen Text schwer unterzubringen. Es gibt viel zersplittertes Material, dessen Entstehungsablauf sich nicht leicht in eine logische Geschichte einfügen will. Die Parallelitäten zwischen den Vorgängen im städtischen Kontext und meiner persönlichen Arbeit, lassen sich nur innerhalb einer strengen Ordnung aufzeigen, die im Kontrast zu den Arbeiten steht.

Beim Schreiben des Textes entdecke ich immer neues Material, das ich schon vergessen hatte. GPS-Gänge mit Vinzenz in Berlin beispielsweise, auf der Wiese an der Spree, wo der Palast stand. Die gelaufene Figur bezieht sich auf den Grundriss des abgerissenen Baus und die Kuppel des Domes.

Das Kraftfeld-Relief, das ich am vergangenen Wochenende abgeformt habe, ist nun trocken. Die Struktur der aneinander klebenden Pappfetzen, die in die Vertiefungen gedrückt wurden, ist gleichmäßig. Die sich abzeichnenden Ränder werden von der nun folgenden Grundierung geglättet, so dass das Relief als geschlossenes, verflochtenes System sichtbar wird.

Erklärungen

Die Zusammenhänge der Stationen Palastbau, TIXEL PLANET, Palastrückbau, Kraftfeld und dessen Zerstörung, klar zu definieren, bedarf eines zielgerichteten Textes, der mit Abbildungen versehen ist. Die Loops und ihre formale Parallelität, sollen sichtbar werden. Das geschieht inhaltlich auch in der aktuellen Arbeit. In den Collagen werden die gegenwärtigen „Haut- und Haarkompositionen“ mit den älteren Bildfindungen verbunden. Und das geschieht mit der Zielrichtung auf Rekonstruktion der alten Kraftfeldarchitektur und ihrer gleichzeitigen Neuerfindung.

In den vergangenen Tagen versuchte ich dafür weitere Voraussetzungen zu schaffen. Die Reliefherstellung rückte dabei in den Vordergrund. Aber was sich in den letzten Wochen auf Transparentpapier entwickelte, ist wesentlicher. Deshalb werde ich das Zeichnen auf Rolle 10 parallel fortführen.

Am Nachmittag treffe ich Alexander, um mit ihm über die Fortführung unserer Vorhaben zu sprechen. Das ist deswegen notwendig, weil die Herstellung einer geschweißten eisernen Zeichnung für eine Außenwand, viel Aufwand ist.

Chaos

Ungelenk stolperte ich am Morgen in die Buchmalereien. Sie begannen unsicher in der Suche nach Konstellationen der Formen. Der Impuls, Figuren zu umranden, um damit Farbgleichgewichte zu schaffen, fehlte. Jetzt, während des Schreibens, korrigiere ich das.

Das Wochenende habe ich durchgearbeitet. Das mit einer Kaschurtechnik ausgeformte Relief, ist nach dem Trocknungsvorgang nicht stabil genug. Ich muss noch einmal drüber gehen, die einzelnen Felder fester miteinander verbinden.

Hinter dem Ateliergebäude ist die Straße seit fast einem Jahr aufgerissen. Die Kratzspuren der stählernen Maschinen rund um die mehrfach ausgehobenen und wieder zugeschütteten Gruben sind wie die Ränder einer nicht heilen wollenden Wunde. Alle Versorgungsleitungen der alten Wohnhäuser, der Großbaustelle und der Neubauten verlaufen in Schichten übereinander. Ein Gewirr von Röhren sehr unterschiedlichen Durchmessers, Strängen von Stromleitungen, provisorischen Wasserleitungen und Drähten in Plastikkanälen. All das verflechtet sich zu einem chaotischen Gesträuch. Daneben wird eine Baugrube von 50 X 30 Metern wieder mit Erde zugeschüttet. Alles ähnelt der 3. Buchmalerei von heute.

Figuren

Figuren kommen zurück. Ihre Umrisse nehmen die Schwünge der Lockenhaare auf, die Abdrücke meines Handballens und meiner Fingerkuppen. Sie verweisen die anderen Zufallsformen auf ihre eigene Gegenständlichkeit und fordern zum Angleichen auf, mit der Tendenz zur Figurengruppierung. Sie warten, sprechen, lehnen sich aneinander.

Mit Franz trank ich gestern hier im Atelier eine Flasche Palinka, ungarischen Pflaumenschnaps, aus. Die angeregte Unterhaltung drehte sich um unsere Arbeit, um deren Nähe zur Meditation und zum Traum.

Ich fing an, das zweite Relief auszuformen und benutzte hierfür die alte Kaschurtechnik mit gerissenen Pappstücken, die in Kleister eingeweicht und in die Form gedrückt werden. Die große geschlossene Pappfläche des ersten Formates verwirft sich zu sehr. Während der Arbeit ließ ich auf einem meiner Bildschirme die Collagen dieses Jahres laufen. Sie durchleben Durststrecken einer gewissen Spannungslosigkeit, steigern sich aber immer wieder zu der Dichte und Kraft, die mir die Energie zum Weitermachen spenden.

Klang

Jedes Haar bekommt einen Namen. Dann werden sie in ein Glas mit Schraubdeckel gelegt. Die Locken formieren einen Raum. Die Berührungspunkte sind die Energiequellen, die für die Definition des Raumes notwendig sind. Die zweidimensionalen Buchmalereien tendieren zu einer Songstruktur. Ich schreibe sie über die leeren Seiten und merke wie sie mir ohne Dreidimensionalität unzureichend erscheinen, wie eine niedergelegte Komposition, die nie erklungen ist. Immerhin stapeln sie sich in den Collagen zu einem klingenden Volumen, das gesehen wird.

In den Reliefs und den Weidengeflechten erweitern sich die Zeichnungen nach oben in die flimmernden Himmel. Die gebogen verflochtenen Äste, die ich kopfüber in das Stahlseil gehängt habe, werden vom Wind gruppiert, hängen zusammen und sprechen miteinander. Heute brachte ich ihre Schattenrisse erstmalig in die Collagen.

Das Relief grundierte ich nun auch auf seiner Rückseite, Wenn es trocknet, wird es Schicht um Schicht stabiler. Gleichzeitig werde ich nun mit dem zweiten Exemplar beginnen, die trostreiche Dreidimensionalität vervielfältigen.

Wellenlängen

Nach der Grundierung des Reliefs, für die ich gestern den ganzen Nachmittag aufwendete, liegt an diesem Morgen eine Schneelandschaft, mit Spuren durchzogen, auf dem Tisch. Über dem Streiflicht, das die Sonne darauf wirft, flimmert der Atelierhimmel in den Wellenlängen meiner Zeitbilder aus den Rückdenkkammern. In den Sekundenschlägen summen die Stahlgerüste, Knochen, Blutbahnen.

In der Nachbarschaft wird neu aufgeschütteter Schotter verdichtet. Populationen kleiner Organismen, mein Gehör und der Boden unter meinen Füßen werden weiter zerrüttet. Rotierend reagieren die Malereien und werden vom Lärm wieder niedergebrüllt, schlagen dann nur noch graugrünockerne Blasen.

Mit meiner Konzentration versuche ich die Frequenzen der rüttelnden Walzen zu überlagern. Die Teleskope hinter den Nachbarplaneten liefern meiner Vorstellungskraft die Energie, die das Spiel meiner Synapsen steuert. Neue Schafgarben blühen im warmen Spätherbst auf meiner Wiese.

Graustufen I Farbflächen

Fahrt über freies Gelände. Hinter dem verschneiten Hügel beginnt die Fläche des Traumes, der sich auf das leere Blatt meiner Buchseite dehnt. Mit den Farben kehrt er dann aber ganz zurück in den Raum des Ateliers, denn ich träume in Graustufen. Ungezügelt und verschlungen treten die Linien aus der Nacht, und farbig ist die Fläche des Tages nach dem Erwachen.

Am Morgen löste ich das Relief aus der Form. Es steht nun, an die große, leere Leinwand gelehnt im wechselnden Licht. Die Schatten der Kräne und der letzten Blätter im Westwind, flimmern darüber hinweg. Nach der Grundierung weiß ich, womit ich es zutun haben werde, welcher Zustand der Fläche die Arbeit lenken wird. Und gleich müsste ich mit der Ausformung des nächsten Reliefs beginnen, damit ich während der Malerei das große Stahltor des Rückbaus des Palastes der Republik vor mir habe, denn es erstreckt sich über zwei Formate.

Kurz nachdem die Buchmalereien mit der Ermahnung: “Schluss jetzt!“, enden, bin ich gespannt auf das Einfügen der Scans in die Collagen des Tages. Ich nehme nun auch die Einzelumrisse des Kraftfeldes mit hinzu, damit ich das Thema nicht aus den Augen verliere.

Kontraste

Die Schwünge der Buchmalereien formen sich zu gepressten Versteinerungen alter Organismen oder zu Satellitenbildern eines Flussdeltas mit Lagunen. Die Linien können auch den Kopf eines Stieres zeigen, der sich mit den trocknenden Rändern der Gewässer bildet. Die Geraden, die aus den Flüssigkeiten wachsen, kontrastieren die Kartierungen so, wie die Farben aufeinander reagieren.

Das ausgeformte Relief ist nun so gut wie trocken. Mit mehreren Grundierungsschichten kann ich es nun weiter stabilisieren. Damit entsteht die Grundlage für die weiteren Proben seines Potentials. In einem kleinen Relieffragment, das ich für Kerstin bemalte, entwickelte sich eine zwiespältige Struktur. Die Haarlinien verweisen auf Verfall, könnten von einer Mumie stammen, was längeres Hinschauen erschwert. Die Farben hingegen leuchten, vor allem aus der Ferne. Diese Widersprüche sind Teil des Experimentes.

Zum 88. Geburtstag meiner Mutter fuhr ich gestern nach Thüringen. Im wechselnden Licht verändert sich die altbekannte skulpturale Landschaft mit ihren Baustellen. Zwischen den schweren Transportfahrzeugen auf den schmalen Behelfsspuren die Bahnen zu wechseln, ist wie Russisch Roulette. Aus der Partitur der kommenden Katastrophen steigt das Getöse des Transports.

Fragmentierte Malerei

Zwei mal im Jahr etwa mache ich ein Feuer auf dem Gelände, auf dem mein Atelier steht. Ich verbrenne Gartenschnitt oder zerfallene Möbel, die im Freien standen. Die Asche kommt dann als Dünger meinem Gärtchen zugute. Die Wärme der Flammen erinnere ich wohltuend und auch das glühende Fass, in dem es brennt.

Durch die Entfernung der Haare aus den getrockneten Malereien, werden sie fragmentiert. Ihre Linien enden dann an den Rändern der Farbfelder. Manchmal, wenn noch etwas mehr Wasser im Spiel ist, wird das Pigment von den Linien abgestoßen, es entstehen helle Schwünge. Wenn ich mit Tinte, wie in der zweiten Malerei von heute, in die schon angetrockneten Bereiche gehe, werden die Linien dunkel.

Gestern kümmerte ich mich noch einmal um das Relief. Die zwei Pappflächen die ich eingeweicht und vollständig in die Vertiefungen gedrückt habe, trocknen unterschiedlich und verwerfen sich dann gerne. Das versuche ich zu korrigieren. Mir kommt in den Sinn, die Ränder unregelmäßig zu gestalten, sie mit den Liniengeflechten ausfransen zu lassen, wie die Buchmalereien.

Kraftfeld Rekonstruktion

Der Versuch, wieder in die Arbeit zurück zu finden, beginnt mit dem Gedanken an die Parallelität vom Palastrückbau, der entstandenen Leerstelle und der Arbeit am Projekt „Kraftfeld Frankfurt“. Dadurch erweitert sich der Horizont der Rekonstruktion dieses zerstörten Reliefs. Seine Gestaltungsschichten, die Linien einer Fotografie vom Rückbau 2007, die des Brandenburger „Tieres“ aus einer Zeichnung von 1974 und die der Umrisse der Zuwanderungsspuren, wählte ich unbewusst. Mit beiden Berliner Figuren sollten persönliche Erinnerungsspuren eingeflochten werden.

Jetzt spricht die Komposition anders zu mir. Aus dem heutigen Blickwinkel ist mir der ganze Komplex näher gerückt. Die Rekonstruktion wird mit zwei Tafeln fortgesetzt, deren Fragmente ich schon im alten Holzlager nebeneinander gelegt habe. Die Rückbaulinien, die insbesondere aus einem Teil des Stahlgerüstes bestehen, gehen über den Rand des einen Formates hinaus und finden ihren zweiten Teil auf der nächsten Tafel. Beide werden so durch ein großes Tor zusammengehalten.

Nun sollte ich diese Formation abformen und beginnen, mit ihr zu experimentieren. Damit kann ich gleich heute Nachmittag beginnen, denn alles Material, das dafür notwendig ist, steht bereit. Und auch die Vorfreude darauf, verleiht mir den nötigen Schwung mit dem Probieren zu beginnen.

Biennale

Wir nahmen uns eine ganze Woche Zeit, um uns die Biennale in Venedig in Ruhe anzuschauen. Sie ist fast die Gegenposition zur Documenta. Entsprechend gestärkt fühle ich mich nun. Es tat gut, die individuelle Kraft der Einzelkünstler zu spüren und gleichzeitig fühlte ich mich häufig in meinem Tun bestätigt.

Ich habe viele kleine Dinge mitgebracht, z.B. Mauerbröckchen oder Putz, die mir beim Anlehnen in meine, hinter dem Rücken verschränkten, Hände fielen. So, vom Deutschen Pavillon und vom Arsenale. Samen brachte ich aus dem Garten des Guggenheimmuseums mit, Prospekte der Länderpavillons aus den Giardini und Eintrittskarten in Kirchen, Türmen und Museen.

Collage Nummer 478 aus 2022

Es ist kaum nachvollziehbar, wie sich nun all das Gesehene auf meine eigene Produktion auswirken wird. In der 3. Malerei dieses Morgens gibt es ein paar grüne Schleifen, die am Schluss dazugekommen sind, weil ich schichtende Linienkompositionen wieder sah, wie ich sie selber oft angefertigt habe. Und vielleicht entspringen die Pavillons mit den dreieckigen Grundrissen von heute den luftigen Architekturen, die es in Venedig so häufig gibt.