Das Grauen im Slapstick

In den Kammerspielen sahen wir „Mein Lieblingstier heißt Winter“ nach einem Text von Ferdinand Schmalz. Das war ein erfrischender und engagierter Abend eines jungen Teams, in dem wieder die Kunst im Mittelpunkt stand. Das ist hoffnungsvoll. Auch die Abgründe des österreichischen Autors und seinen Humor nutzte die Inszenierung für das Grauen im Slapstick.

Auf dem Müllfeld hinter den einfallenden Baracken, hier auf dem Tevesgelände, fand ich vorgestern einen kleinen schwarzen Koffer. Als ich ihn öffnete, war zwar kein Geld drin, aber eine schöne Schreibmaschine. Nun steht sie auf einem meiner Arbeitstische und wartet darauf benutzt zu werden.

Auf der Premierenfeier in der Theaterkantine erinnerten wir uns wieder an unsere eigene gemeinsame Theaterzeit. Aber wir stellten fest, dass es genau für uns richtige war, diese abgeschlossene Welt zu verlassen, um andere Arbeitsbereiche kennen zu lernen, und dort der eigenen Kreativität mehr Raum zu geben.

Stadasida

Am Vormittag haben wir Künstler, die wir gemeinsam mit Jugendlichen arbeiten, uns im Anna – Freud – Institut getroffen. Für mich ist es immer angenehm, die Leute zu sehen und mit ihnen über die Dinge zu sprechen, die wir mit unseren Schülern erleben.

Nun warte ich, entgegen meiner Erwartung, wieder mit den Textfragmenten der Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“ zu arbeiten. Die Bemalung der Reliefs mit diesen Buchstaben hat eine Dada-Anmutung, ist aber Stadasida. Die kleinen Reliefs haben das richtige Format für diese Schrift. Das ist stimmig. Nun will ich das auch für die großen Reliefs hinbekommen.

Gerade lernte ich einen Kulturanthropologen kennen, der mit Gestaltungsprozessen im öffentlichen Raum arbeitet. Wir hatten uns sofort eine Menge zu erzählen. Außerdem ist er Schreiner, wie ich. Wir sprachen über Hausbegrünungen mit Gittern in Form von Zeichnungen und über einen großen Tisch auf den Gustavsburgplatz.

Materialstapel

Seit längerer Zeit bin ich wieder auf den Altkönig gestiegen. Die knorrigen, vom Wind klein gehaltenen Bäume tragen an ihren Stämmen und Ästen Moosflechten wie Kleider. Berührt man sie mit seinen Händen, ist es als hielte man einen Körper. Die 300 Höhenmeter fielen mir leicht. Ich will das nun wieder einmal in der Woche steigen.

Die Sammlung von Arbeitsmaterial, das ich in Berlin zeigen will, soll meine Vorgehensweise zeigen. So fotografiere ich Arbeitstische mit dem teilweise gestapelten Material. Beim Durchsehen der Collagendatei dieses Jahres, war ich überrascht, wie aussagekräftig sie mir erschien. Das kann natürlich an meinen Erinnerungen liegen.

Mein Arbeitsrhythmus, der mir ansonsten eine verlässliche Richtschur für jeden Tag ist, ist nun unterbrochen. Das lässt mir Zeit, um während der Sichtung der letzten Arbeitsphase, Abstand zu den Bildern zu bekommen. Das ist eine Voraussetzung, um die Produktion noch einmal zu verändern.

Himmel über der Insel

Bei der Sichtung der Transparentpapierrollen, unter dem Aspekt des Rückbaus des Palastes der Republik, stoße ich auf spannende Überlagerungen oder Kombinationen. Es gibt Blumenornamente, die ich in Indien gesehen habe, die sich mit dem Stahlskelett verbinden. Ein Hochbunker in Wien, ein Flakturm aus dem 2. Weltkrieg, ist ebenfalls mit dieser Struktur ausgefüllt. Und immer wieder gibt es Ballettfiguren, ethnologische Figurenzitate und Buchmalereiumrisse, die Verbindungen mit der Stahlkonstruktion eingehen.

Immer übte der Ort, an dem ich monatelang in meiner Uniform Ziegelsteine abgeladen habe, ein Richtfest mitfeierte und in täglich im Gleichschritt in der Marschkolonne zum Essen in das Ahornblatt lief, eine Anziehung auf mich aus. Wenn ich in der Stadt bin, will ich zumindest einmal dort sein, um den Himmel über dieser Insel zu sehen.

Mein Arbeitskonzept, das die Geschehnisse verschiedener Zeiten und Orte als Schichten übereinander legt, erscheint mir dem Ort, an dem nun das Humboldt Forum steht, angemessen. Wenn die Kuratorinnen, die ich in der kommenden Woche treffen werde, das auch so sehen, kann man über ein weiteres Zusammengehen nachdenken.

Der große Bogen

Den Nachmittag verbrachte ich gestern ausschließlich draußen und pflegte die Wiese, in dem ich Brombeerranken entfernte, ging mit der Gartenschere ins Gärtchen und an den Bahndamm, hielt mich so von der Arbeit fern, um mich etwas zu regenerieren. Das wollte ich eigentlich die ganze Woche durchhalten. Nun aber habe ich eine Mail bekommen, die das ändert.

Auf meinen Bericht, dass ich seit ein paar Monaten zum Thema „Der Palast der Republik ist Gegenwart“ arbeite, wurde ich nun zur Sichtung dieser Arbeit in das Humboldt Forum eingeladen. Zwei Kuratorinnen werden sich mit mir treffen.

Dafür will ich nun Material zusammenstellen, das die Zusammenhänge zwischen den Einzelthemen deutlich machen kann. In erster Linie soll das die Transparentpapierrolle leisten, weil sie den laufenden Arbeitsprozess festhält und das Material entwickelt, das letztendlich auf den großen Relieftafeln eine Rolle spielen wird. Der große Bogen „Keramik“ verbindet die Ziegelsteintransporte auf die Baustelle des Palastes mit dem Porzellanrelief im Deli Humboldt, seine Meißner Porzellanblüten mit den Stasiprotokollen des IM „Lutz Lange“ und die Stahlkonstruktion des Rückbaus mit den Fluchtvokabeln der Ukrainischen Jugendlichen. All das wird im neuen Kraftfeld sichtbar.

Tribut

In dieser Woche soll eine Arbeitspause stattfinden. Dabei wird die Tagebucharbeit vollständig weiter geführt. Alles andere soll heruntergefahren werden. Wenn es gelingt, wächst die Energie, die für die Fortführung der Dinge notwendig ist, die anstehen.

Schon die Buchmalereien folgen einem anderen Rhythmus, einem Takt von Eingebungen, der sich beschleunigt, abgebremst wird, pausiert und wieder Fahrt aufnimmt. Manchmal werden das Tempo und die Färbungen auch durch Musik bestimmt. Die Anker für das Ausharren in leichtem Wellenschlag sind derzeit Messian, Ravel und Weill.

Gestern wurde der alte Zitronenbaum, der seit 30 Jahren, seit er in Griechenland in einem Joghurtbecher aus einem Kern spross, nur Ärger gemacht hat, stark zurückgeschnitten. Äste und Wurzelwerk sollen zu einem Bonsai reduziert werden. Der Tribut dafür ist eine Wunde am rechten Daumen, die ich mir mit der Gartenschere beibrachte und deswegen das Werk bis jetzt auch nicht beenden konnte.

Strömungsabriss I Mantelmodell

Der Abbruch des Stromes von mustergefüllten Figurenumrissen ging in den Versuch über, möglichst viele dieser leeren Umrisslinien übereinander zu zeichnen. Auf Rolle 10 ist ein etwa 30 cm langer Streifen entstanden, der nun wieder unzählige Figuren durch die Überschneidungen der Linien in sich trägt. Solche Neuanfänge erlebe ich als Veränderung des Experimentalaufbaus und Anfangs einer kleinen neuen Schöpfung.

Trotzdem möchte ich die großen Reliefs mit den Erinnerungsthemen noch fertig stellen. Aber dabei beziehe ich mich auf bereits entwickeltes Material, das eingefügt werden soll. Seine genauere Sichtung auf Rolle 10 steht noch aus. Sie kommt während der Produktion immer zu kurz.

Rateb habe ich das Müttermantelprojekt vorgestellt. Bevor wir aber beginnen, den Stamm auszuhöhlen, wollen wir ein Modell herstellen. Dafür suchten wir ein Stück Holz, das wir jenseits des Bahndammes fanden, wo vor einiger Zeit eine Eiche stark zurückgeschnitten wurde. Die Reste blieben liegen, wie ein 30 X 10 cm großes Aststück, das wir entrindeten und es anfingen zu behauen.

Schwebend

Die Kontinuität der Gleichförmigkeit, die das Neue nur langsam wachsen lässt, wurde gestern unterbrochen. Auf meinem alten Grafikschrank, der mein Gesellenstück aus den Achtzigerjahren ist, liegen die Transparentpapierbögen mit den Bleistiftumrissen der Buchmalereien übereinander. Aus diesen Schichten treten neue Formen hervor. Und ein paar Tuscheflecken auf Rolle 10, die ich mit Schellack auseinander fließen ließ und dann zusammenrollte, sind ein weiteres Ereignis, inmitten des disziplinierten Zeichnens, das eine neue Phase der Arbeit einläutet.

Das löst ein schwebendes Gefühl aus, als würde der feste Boden, auf dem ich in den letzten Monaten gestanden habe, weggezogen. Gleichzeitig verschwinden die Buchstaben der Stasitexte und werden unwichtiger. Auch die Themen um den Palast der Republik werden blasser. Dieser Moment fühlt sich wie eine Befreiung an.

Mein afghanischer Schüler Rateb arbeitet gerne etwas handfester. Mit Meißeln, Hohleisen und Stechbeiteln, die er mit Gummihammer, Fäustel oder Klüpfel in die verschiedenen Materialien treiben kann, kommt er seinem Bedürfnis körperlicher Ausarbeitung näher. Es gibt ja den Pappelstamm, der nun trocken ist. Er könnte mir helfen, ihn auszuhöhlen, um den Umhang einer Mantelmadonna zu formen.

Das zu erwartende Neue

Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, die Buchmalereien voranzubringen, versuche ich die Muster alter Gesten zu durchreisen. Dabei geht es weniger um die entstehenden Bilder, als um die Erkundung der damaligen Stimmungen. Chunqing, mit der ich mich gestern getroffen hatte, meinte man müsse mehr malen und weniger denken.

Die Umrisse der ersten Malerei vom 13.03. sind auf Rolle 10 vollständig von den zurückliegenden Strukturen angefüllt. Das anziehende dieser Arbeitsweise des Durchzeichnens von mehreren Schichten gezeichneten Materials, ist das zu erwartende Neue in der stets gleich bleibenden Tätigkeit.

Dabei bleiben die Schrifttafeln, über die es zur Gestaltung der großen Reliefs kommen soll, liegen. Skulpturale Weiterentwicklungen des Reliefmaterials erscheinen als ein weiterer logischer Arbeitsschritt. Aber auch ein Ausbruch aus der anhaltenden Kontinuität kann produktiv sein…

Sprünge

Ab und zu kommt der Gedanke auf, Rolle 10 nicht nur mit der Schwärze der Tusche zu bearbeiten. Sie mit der bernsteinfarbenen, auflösenden Tendenz des Schellacks zu konfrontieren, könnte die Beschäftigung mit den Tonbandprotokollen der Staatssicherheit aus den Achtzigerjahren in den Hintergrund verschieben.

In die heutige Buchmalerei floss die Gesträuchrhythmik meiner Zeichnungen der Siebzigerjahre ein. Taucht eine Anmutung davon auf der Transparentpapierrolle auf und mischt sich mit den Schellackwolken und den Schriftfragmenten, ist das ein Grundstein für neue Bildfindungen. Sie werden durch die Sprünge in die verschiedenen Jahrzehnte möglich.

Die Strauchstruktur ist mit den Handkantenlinien verwandt, die bei dem analogen Duplizieren von Figurationen in den Malereien entstehen. Die Verstärkung dieser hellen Striche mit Holznadelgravuren oder mit dunklen Aquarellstiften führt zu den körperlichen Strukturen, die letztlich auch in der Motorik des Zeichnens zu finden sind.

Zustimmung

Dem Gedankenfluss folgend fügte ich die Federzeichnungen der Transparentpapierrolle in die Collagen von vorgestern ein. Heute wurden sie mit den neuen Buchmalereien beschichtet, deren Umrisse nun wieder auf die Rolle gezeichnet werden. Welle auf Welle erreicht somit das Ufer und formt es langsam um.

Als ich meinen Schülern unser Vorhaben, dessen Inhalt sich während der letzten Monate konkretisierte, am vergangenen Donnerstag noch einmal vortrug, fragte ich sie nach ihrer Zustimmung zu unserem Vorgehen. Insbesondere meinte ich damit die Gemeinsamkeit, die es zwischen uns gibt. Sie besteht aus der Nachwirkung der Sowjetzeit auf unsere unterschiedlichen Leben. Sie begriffen es und stimmten zu.

Die Umrisse auf Rolle 10 füllen sich mit dem sich langsam verändernden Material. Am interessantesten ist die verbogene und fragmentierte Schrift. Der Fortgang der Arbeit vergrößert den Abstand zu den Geschehnissen, die mit der Überwachung meiner Person zutun haben. Dadurch kann ich sie besser beurteilen.

Surfen

Der Sprung von den Buchmalereien zu Rolle 10 hat eine Produktionsdynamik, die einer Surfwelle ähnelt. Dabei stellt die Übertragung der Umrisse auf das Transparentpapier die Wasserbewegung dar. Wenn die später gefüllten Tuschefiguren in den Collagen wieder auf die Buchmalereien treffen, von denen sie herrühren, überschlägt sich die Welle, um jener Platz zu machen, die am nächsten Morgen mit der Herstellung der neuen Buchmalereien wieder heranrollt.

Die Umrisse der ersten Malerei von gestern sind nun schon teilweise auf Rolle 10 von den Strukturen der Tuschzeichnungen der Vortage gefüllt. In den heutigen Collagen überlagern sich die deckungsgleichen Figuren mit ihren unterschiedlichen Innenleben.

Auf der Transparentpapierrolle finden sich alle wesentlichen Arbeitsschritte zum Gesamtkomplex des Palastes der Republik, mit den Rückbaustrukturen, Wanderungsspuren, den Stasitexten im Zusammenhang mir dem Porzellanrelief und den Fluchtvokabeln der Schüler. Sie ist leicht transportierbar und eignet sich deshalb am besten, um die Arbeit in Berlin zu zeigen.

Gemeinsamkeiten

Umrisse mit der Rohrfeder zu zeichnen, dauert etwas länger als mit den Farbstiften. Dadurch verändern sich auch die Charaktere der Figuren. Es ist, als hätten sie die Kostüme gewechselt und damit auch ihre Haltung. Der Meister dieser Verwandlungen auf unserer Schauspielbühne, ist für mich Christoph Pütthoff. Er ist ein Vertreter des stetig ruhigen Spiels, auch wenn er laut wird.

Die Schüler arbeiteten gestern weiter an der Bemalung der Reliefs. Sie stimmten mir zu, dass wir Gemeinsamkeiten in Bezug auf das Erleben russisch – sowjetischer Beeinflussungen unserer Leben, zum Gegenstand unserer Arbeit machen sollten. Die Mädchen beschrifteten ein größeres Relief mit ihren Fluchterinnerungen. Es soll den dunklen Gegenpart zum stark farbigen Relief von Mark bilden. Die Jungs begannen eines der großen Reliefs zu bearbeiten. Wir nähern uns einer konkreten Ausformung von Teilen unserer gemeinsamen Erfahrungen.

Ein Figurenfries von über einem Meter Länge kam in der vergangenen Woche auf Rolle 10 hinzu. Es wurde deutlich, wie sehr die Bühnenfiguren, die ich im Schauspiel erlebe, diese Formationen beeinflussen. Mit ihrem Innenleben weisen sie aber darüber hinaus. Indem die Verbindung zum Erleben der realen Alltäglichkeit, durch das Auffüllen ihrer Umrisse mit den vorausgegangenen Mustern von der stetig weiter gezeichneten Rolle hergestellt wird, werden sie zu den Trägern fortlaufender, vergangener und zukünftiger Zeugnisse des Geschehens um mich herum.

Kostüme

Die Bühnengesten in den Buchmalereien werden durch die Kostüme verstärkt. In ihnen kann sich niemand verstecken. Sie betonen die Körper oder ziehen wallend die Gesten zu großen skulpturalen Vorgängen zusammen. Es gibt Schauspieler, die das mit der Art ihrer Bewegungen besonders gut bedienen können.

Im Gärtchen fand ich ein paar Lehmbrocken, die aus einer geologischen Kernbohrung zur Untersuchung des Baugeländes in der Nachbarschaft stammen. Der Regen hat sie aufgeweicht, wodurch sie formbar werden und in meinen Händen gleich zu einer Figur werden wollen.

Aus neu entstandenen Szenen auf Rolle 10 entnahm ich einen 4 cm hohen Streifen aus der Hüfthöhe der Figurengruppe und zeichnete einen ersten Kassiber auf Transparentpapier. Ich schmuggle ihn auf Rolle 2 in das Jahr 2007 und warte dann auf Antwort. Diese führt dann zum weiteren Verschwinden der Stasitexte, die jetzt in einem Auflösungszustand sind, in dem sie gut auf das Stahlgerüst des Palastes der Republik, auf die großen Reliefs, projiziert werden können. So wird das Gebäude noch einmal aufgelöst.

Gruppenumrisse

Die Figur in der ersten Malerei von heute, die ganz rechts steht, nahm meinen Zeichnungsrhythmus der Siebzigerjahre, in dem ich mich wohl und zu Hause fühlte, auf. Eigentlich steht sie nur ganz vorne an erster Stelle, aber die drei Bilder eines Tages entstehen parallel im Tagebuch.

Am Ende des gegenwärtigen Zeichnungsverlaufes auf Rolle 10, steht nun ein Figurengruppenumriss aus einer gestrigen Buchmalerei. Diese Versammlungen kommen mir öfter wie Schauspielergruppen auf der Bühne vor. Die Weiterentwicklung folgte dem üblichen Verfahren, dessen Methode weiter vertieft werden soll.

Maya kam gestern mit dem Relief ins Atelier, das unser gemeinsamer Schüler Mark stark farbig bemalt hat. Er tat das mit großem Aufwand in mehreren Schichten. Nun fehlt noch das Gegenstück, das düster die Erinnerungstexte der geflüchteten Schülerinnen enthalten soll. Mit Maya sprach ich auch über die Amtssprachen der Kunsträuber, Stasispitzel und der Beteiligten an der Mordmaschinerie der deutschen Nazis.

Kassiber

Eine Bildforschung zum Thema „Kassiber“ ging mir durch den Kopf. Sie lässt sich mit den Zöglingsportraits verknüpfen und mit dem Gefühl der Gefangenschaft, das mit meiner Kindheit im Jugendwerkhof Gerode begann. Das Behütende der Klostermauer wechselte in das Beengende, als die Fischteiche, Gärtnerei, Apfelplantage und die Kirchruine des ehemaligen Klosters nicht mehr reichten und sich das ganze Land wie ein Gefängnis anfühlte.

Kassiber auf Transparentpapier werden, in die Vergangenheit geschickt, ihre Nachrichten wir Testsonden platzieren und die Strukturen mit aufnehmen, die zu dieser Zeit, beispielsweise auf Rolle 2, sichtbar sind. Zurückgekehrt fügt sich das aufgenommene Material auf Rolle 10 in die Gegenwartsmuster ein.

Einen Figurenumriss der ersten Malerei von gestern, bildete eine Gruppe von Figuren, die die Projektionen der Vortage annahmen. Sie erschien auch erwartbar in den Collagen, in denen sich die Bilder mehr und mehr in Einzelteile auflösen und vermischen, ähnlich wie es mit den Handballenabdrücken in den Malereien passiert.

Übergänge

Die Morgenmalereien kamen noch aus dem Halbschlaf, formierten die Nachtfiguren erst im Tageslicht, als drängte sich die Finsternis in die wachsende Helligkeit. Die Deutung dieses Vorgangs und der Figurationen bleibt aus. Manchmal sind es waldartige Formationen, die Wiederholungen in sich tragen, wie genetische Muster, die von den Vortagen vererbt wurden.

Auf der Transparentpapierrolle werden die vagen Figuren der Buchmalereien dann konkreter. Die Tuschelinien verlangen klare Entscheidungen für die Umrissformen der Übergänge zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Diesen Vorgang der Verwandlung möglichst deutlich sichtbar werden zu lassen, ist ein Ziel der gegenwärtigen Arbeit.

Auch die Fragmentierungen und Auflösungen von Texten, Worten und Buchstaben entsprechen diesem Vorgehen. Manchmal läuft das ganz unbewusst ab. Dann aber kann das spätere Betrachten dieser Bilder zu Erkenntnissen und Interpretationen führen, die während der Entstehung und kurz danach noch nicht deutlich sein konnten.

Traumnovelle

Ganz langsam beginnt es zu regnen. Vielleicht wird die kalte, trockene Ostluft von feuchtwarmen südwestlichen Schwällen abgelöst. Früher war die Freude weniger, wenn es wochenlang regnete…

Gestern sahen wir die Premiere einer Dramatisierung der Traumnovelle von Arthur Schnitzler, in der Regie von Sebastian Hartmann. Dem, was wir unter Traum verstehen, ist das Ensemble sehr nah gekommen. Der künstlerische Mut war deutlich spürbar und ist in seiner Kompromisslosigkeit auch sehr anzuerkennen. Allerdings führte das auch zu Begegnungen von Musik und Choreografie, die sich gegenseitig illustrierend, die Energie nahmen.

Wir trafen wieder Chunqing mit ihrem Mann. Ich spreche gerne mit ihr, fühle mich auch künstlerisch mit ihr verbunden. Schade, dass die Premierenfeiern immer so laut sind und man sich deswegen so schwer versteht.

Unsere gemeinsamen Worte

Die Weiterentwicklung der Schrifttafeln mit ihren aufgelösten Sinnzusammenhängen, den abstrakten schwarzen Flächen, Strukturen und den tiefliegenden Linien wird zur wichtigsten Arbeit in diesen Tagen. Die meiste Arbeitszeit fließt in den Arbeitstagebuchkomplex, der sich auch auf Rolle 10 ausweitet. Das aber sind letztlich alles Vorbereitungen der Bemalung der Relieftafeln.

Die Farben und Muster in und zwischen den heutigen Figuren erzählen die Atmosphären der Räume außerhalb der Körper. Graubraun fegt der Kaltwind in der zweiten Malerei aus RechtsOsten. Von einer senkrechten Kraft wird er etwas abgelenkt, kann aber dem widerständigen gelben Leuchten der Figur nichts anhaben. Die Personen am rechten Rand von 3 sind in die Wirbel des farbigen Luftstromes verwickelt. Es ist, als würden sie die kreiselnden Bewegungen der Farbstifte auslösen.

Der schnell ziehende Hochnebel spielt mit der Sonne, die ihn bald auflösen wird. Erst kommt Licht in die Sache und dann lösen sich die Textwolken auf! Die Verbindung der Erinnerungsworte der Schülerinnen und Schüler mit meiner Arbeit an der Aufarbeitung der Überwachung durch meinen IM „Lutz Lange“, schafft eine generationsübergreifende, allgemeingültige Aussage über die Auswirkungen der Sowjetzeit. Die Worte vermischen, den Sinn fragmentieren und alles neu zusammensetzen. So sollten wir es machen!

Wie von allein

An jedem Morgen geht die Beschreibung dessen, was die Arbeitsergebnisse des Vortages waren, in die aktuelle Produktion und ihre Erläuterung über. Jetzt fällt die Tendenz zur Einbindung von Figurengruppen auf, sowohl auf Rolle 10, als auch in den Buchmalereien. Indem die durchgedrückten Linien des Vortages durch Schraffuren aktuell hervorgehoben werden, setzt sich in den Büchern das Thema des Vortages fort. Eine dieser Formationen vom 26.02. wiederholte sich bis heute in Variationen und Veränderungen.

Nun hängt das zweite große Relief mit der hervorgehobenen Stahlkonstruktion auf gleicher Höhe, eng neben dem ersten. Und eine größere Schrifttafel ist begonnen. Das kommt nun ganz einfach zustande, weil viel abgeformtes und grundiertes Material im Atelier herumliegt, das ich mit vornehmen kann. Dann nimmt es, wie von alleine, die Themen auf, die sich gerade im Raum bewegen.

Heute, am Donnerstag kommen wieder die Schülerinnen und Schüler. Der geänderte Rhythmus dieses Tages und die Begegnung, machen aus ihm einen besonderen in der Woche. Die eigene Arbeit verbindet sich intensiv und selbstverständlich mit der der jungen Menschen. Nach der Tagebucharbeit wird der Arbeitsraum für diese Situation vorbereitet. Gegen 13 Uhr kommen die ersten und die letzten gehen etwa 15.30 Uhr. Rateb, aus Afghanistan, bleibt meistens die ganze Zeit. Zwischendrin spielen wir manchmal Frisbee auf der Wiese.

Schmaler Grad

Die Produktion läuft. Morgens die Malereien, Texte, Scans und Collagen, in die ich Schrifttafeln der letzten Woche einfügte. Der Umriss einer Gruppe aus einer Malerei vom 10.2., die aus 7 Figuren in 2 geschlossenen Formationen besteht, fand seinen Platz auf Rolle 10, hinter den Textscherben der Stasiberichte. Die ersten 3 Figuren füllten sich mit dem fragmentierten Überwachungsmaterial, was Eingang in die heutigen Collagen fand.

Am späteren Nachmittag wurde ein kleines grundiertes Relief Träger von Buchstabenkonstellationen und Tuschekonstruktionen, die von den Scherben auf Rolle 10 stammen. Mehr malerische Struktur bekam die Arbeit durch Graphitschraffuren, die mit Schellackschichten angelöst werden können. Auch die Tusche löst sich darunter an. Mehr dieser Experimente müssen noch gemacht werden, bevor es an die großen Reliefs geht.

Eine Zusammenfassung der Arbeitsvorgänge für die Kuratorinnen des Humboldt Forums begann gestern zu entstehen. Das fällt nicht so leicht, weil die Prozesse im Formieren und im Wandel sind. Und die Arbeitstagebucheinträge sind zu spontan, als sie dafür übernehmen zu können. Beschreibungen der Vorgänge der Entstehung von Bildern gehen auf einem schmalen Grad zwischen Entzauberung und Illustration.