Staub

Die Bemalung der Reliefs hat begonnen. Die unterschiedlichen Strukturen, d.h. die dreidimensionale Oberfläche und die Zeichnungen von Rolle 10, dabei übereinander zu bekommen, ist etwas mühsam. Es hat sich bewährt, die Schichten zuvor im Rechner übereinander zu legen.

Die Erinnerungsarbeit konsequent fortzuführen, ist anstrengend. Es ist, als würde diese abgelagerte Trockenheit der Stasiakten, auf meinen Körper übergehen. Ein anhaltendes Durstgefühl entsteht. Der Staub ist mit der DNA der Schreibtischtäter kontaminiert, die sich die Maßnahmen zur „umfangreichen Aufklärung des Persönlichkeitsbildes“ ausdachten und solche, die mir das Leben schwer machen sollten. Sie betonierten damit allerdings, mein festes Vorhaben, die DDR zu verlassen, umso mehr.

Nun möchte ich in dieser Auseinandersetzung eine Veränderung der Herangehensweise herbeiführen. Das soll geschehen, indem die Malerei einfach Spaß macht. Ich möchte die Materialien genießen und somit immer wieder gerne an dieses Thema herangehen können.

Unterhaltungen I Friese

Die Tage sind still. Es gibt das Gespräch mit den Buchmalereien, mit dem Werkzeug, beispielsweise einem Bossierpinsel aus der Porzellanmanufaktur Meißen und mit meiner rechten Hand. Unterhaltungen gibt es auch mit Eidechsen, mit den vielen Vögeln, den Schwebfliegen und Wildbienen. Es bleiben aber nur wenige Worte zwischen uns.

Die erste Umrissform der Vergoldung des Porzellanreliefs, die mein IM entworfen hat, nähert sich mir. Diese kleine Reliefscherbe ist der Ort, auf dem die Auseinandersetzung mit meiner Überwachung zur Energie wird. Nur ein paar Linien und Zeichen sind darauf unterzubringen, die sich mit den Strukturen des Kraftfeldes schneiden werden. Außerdem sind noch 5 weitere, größere Vergoldungsfiguren abzuformen, damit der Fries vollständig wird.

Danach widme ich mich dem „Geheimalphabet“. Es ist noch nicht klar, wie es mit den anderen Arbeitsschichten verknüpft wird. Aber einen Satz des MfS – Tonbandprotokolls, möchte ich damit schreiben und mit der Kraftfeldform einen Objektfries daraus herstellen.

Archäologie

Mit dem Boot kehrte ich zum Ort meiner Unterwasserarchäologie in der Nidda zurück. Langsam lernt mein Blick, viel versprechende Steinmetzarbeiten aus der Gründerzeit unter der Wasseroberfläche und dem Schlamm, der Details überdeckt, zu erkennen. Mit den Fingern durchdringe ich dann die Schlammschicht und ertaste die Oberfläche des Gesteins: Fugen, Hohlkehlen, rechte Winkel, Blattformen, Kugeln usw.. So nehme ich einen direkten Kontakt mit den Handwerkern dieser Zeit auf.

Dann startet der Versuch, das schwere Material näher an die Oberfläche zu bugsieren, wodurch sich die Eignung des Blocks für den Transport klärt. Ist er mit der Kraft meiner Hände ins Boot zu hieven und reizt mich seine Gestalt, nehme ich ihn mit. Die ursprüngliche Funktion der 2 Steine, die ich gestern ins Atelier trug, will ich noch näher erforschen.

Diese Fahrt hat mir so gut getan, dass ich dachte, gleich heute wieder aufs Wasser zu gehen. Das hängt etwas von der Kraft und der Arbeit ab. Gestern arbeitete ich kaum, was ich mir ausdrücklich vornehmen und dann durchhalten muss. Heute ist es anders.

Überwindung

Auf dem Weg ins Atelier traf ich Mujdat Albak vergnügt vor seinem Theater. Gedämpft erklärte er mir, dass drinnen eine Kindervorstellung läuft. Endlich, nach 20 Jahren, etwas Richtiges. Ich soll das aufschreiben!

Jetzt sitze ich am Tisch vor den geöffneten Rolltor und trinke beim Schreiben Kaffee. Schwebfliegen halten Wache in ihrem Revier, die Dachdecker auf der Baustelle singen Balkanlieder, die sich mit den Rufen der türkischen Schauspieler mischen.

Gestern formte ich den nächsten Goldumriss des Porzellanreliefs mit eingeweichter Pappe in der Kraftfeldform ab. Die ausgeschnittenen Umrisse sind eher nachempfunden als maßstabsgerecht dupliziert. Mich kostet die Herstellung dieser Objekte etwas Überwindung. Es ist, als würde ich meinem persönlichen IM Heinz Werner einen Gefallen tun. MfS – DADA, Goldkitsch und Geheimschrift, mit Schellack, Tusche, Graphit, Wandweiß, Tapetenleim und Pappe – kaum Materialkosten!

Spannung zwischen Faktischem und Nachfühlen

Am Nachmittag, als die Schüler gegangen waren, las ich über Erinnerungskultur bei Aleida Assmann. Diese Lektüre hilft mir über manche Phasen stockender Produktion hinweg. Der emotionale Druck, unter dem ich diese Arbeit mache, wird über die Zeit hinweg deutlicher spürbar. Die Empfindungen beim längeren Abschied von der DDR, vor meiner Ausreise 1984, während der Arbeit im Atelier, im Dresdner Schauspiel oder beim Zusammenarbeiten mit Freunden, werden wieder aufgerufen.

In der „Geheimschrift“ findet die bildnerische Bearbeitung dieser Zeit ihre bisher stärkste Abstraktion. Wenn ich es schaffe, diese Buchstaben im Liniennetz des Kraftfeldes wieder zu finden, oder sie mit Ihm verbinden kann, erreiche ich eine nochmalig verdichtete weitere Schicht.

Es wird deutlich, dass die Spannung der Erinnerungsarbeit zwischen dem Faktischen, das sich in den MfS-Tonbandprotokollen zeigt, und dem Nachfühlen dieser Zeit, wächst. Entscheidend bleibt für mich die Form, in die sie eingegossen wird.

Titel finden

Die ersten 4 Exemplare der neuen Reliefreihe sind abgeformt und einmal grundiert. Um mir die abermalige Beschreibung der komplizierten Vorgänge zu sparen, sollte ich Titel finden, mit denen ich die einzelnen Reihen des Projektes bezeichne. Es sind Umwandlungen durch Verschmelzungen und Spiegelungen von Erfahrungsgedächtnissen. Das IM-Gold auf dem Porzellanrelief wird vom Kraftfeld des Zielobjekts absorbiert. Das schafft die Energie, die in die Zukunft reicht.

Durch die Verbindung der Erfindung meines eigenen „Geheimalphabets“ aus den Tonbandprotokollen des MfS, mit den täglichen Collagenerarbeitungen, ist der Tagebuchprozess vorübergehend um eine Schicht reicher geworden. Morgen werde ich fertig damit sein. Dann sind alle Buchstaben des deutschen Alphabets mit einem neuen Zeichen versehen.

Heute kommen meine Schüler, um die Reliefs zu bemalen, die sie beim letzten Treffen abgeformt haben. Dann endet unsere gemeinsame Zeit zunächst. Ich hoffe, dass ich einige von ihnen im Herbst wieder sehen werde.

Reliefgeflecht und Schriftfragmente

Die Füllungen der Goldbemalungsumrisse des Porzellanreliefs, die auf Rolle 10 aus den verschiedenen Phasen der Tonbandprotokollverarbeitungen entstanden sind, bilden das Ausgangsmaterial für die Bemalung der Pappschablonen ebendieser Umrisse, die ich nun in die Kraftfeldform gedrückt habe. Das Reliefgeflecht, das die Form bietet, verbindet sich dadurch mit den Schriftresten und Figuren.

In Gedanken zeichnete ich außerdem die äußeren Linien meiner „Geheimbuchstaben“ hinter die letzten Porzellanfigurationen auf die Transparentpapierrolle und füllte sie mit dem vorausgegangenen Material. Was aus allen Ideen werden könnte, bleibt spannend, auch wenn sie nicht alle umgesetzt werden.

Die Hoffnung auf Erlösung durch Erinnerung, auf gemeinsames, vertrauensvolles Wenden und betrachten der Geschehnisse aus den Perspektiven von Tätern und Opfern, im Zusammenhang mit der Arbeit an „Der Palast der Republik ist Gegenwart“, erzeugt diese Form von Selbstverpflichtung, die ich mir auferlegte. Mit der Bearbeitung der Zeugnisse meiner Überwachung durch mich als Betroffener, übernehme ich auch einen Teil der Erinnerungsarbeit aller Täter.

3 Gestaltungslinien

Nun habe ich endlich begonnen, mich mit den Abformungen zu beschäftigen, die mit den Umrissen der Porzellanbemalungen auf die Kraftfeldform treffen. Die Reliefs entstehen nicht aus Pappmachemasse, sondern aus ausgeschnittenen Flächen, die ich einweiche und in die Form drücke.

Es hat mich etwas Überwindung gekostet, das Material der so sehr verschiedenen Reliefs in dieser Weise zu konfrontieren. Nun ist es verwoben und vermischt und ich fühle mich dadurch erlöst. Das spornt mich an, daran weiter zu arbeiten.

Während dieser Auseinandersetzung mit meiner MfS-Überwachung, sind verschiedene Gestaltungslinien entstanden: die Verbindung des Fluchtvokabulars der ukrainischen Jugendlichen mit den Worten der IM-Tonbandprotokolle, die Schriftfragmente, die sich zu meiner eigenen „Geheimschrift“ entwickelten und die Begegnungen der Reliefs in den Abformungen.

Macbeth

Gestern sahen wir „Macbeth“ im Schauspiel, in der Inszenierung eines Russen, die Bezüge zum gegenwärtigen Krieg gegen die Ukraine aufwies. Eine alte Übersetzung, eine solide Regiearbeit und ein sehr begabter junger Darsteller in der Hauptrolle. Zweieinhalb Stunden ohne Pause gingen schnell vorüber, keine Löcher, keine Langeweile.

Nun will ich beginnen, die Pappen mit den Umrissen der Porzellanreliefbemalung aus dem Humboldtforum, herzustellen. Die Arbeit an diesem Thema ruhte eine Woche. Das wirkt sich zwiespältig aus. Das regelmäßige Arbeiten erzeugt eine Stabilität im Alltag, aus der eine Energie erwachsen kann.

Ich stelle mir die Zeichen, die ich gefunden habe, auf Rolle 10 vor. Wohin die Arbeit mit ihnen führen könnte, kann ich mir nur vage vorstellen. Es erinnert mich an die Scherbengerichte des Väterprojektes, an dem ich sieben Jahre arbeitete. Die Zeichen können sich mit den Fragmenten der Tonbandprotokolle verbinden…

Ausgangspunkt

Die Texte, die zu meiner Person gesammelt wurden, sind nun der Ausgangspunkt für eine neue Schrift oder für einen Figurenfries. Der Stasitext ist also kein Endpunkt, sondern stellt Material zur Verfügung, mit dem ich Bilder in die Zukunft hineinformen kann.

Die Arbeitsweise von Elfriede Jelinek, in deren Textflächen Wortimpulse vorhanden sind, die in eine andere Zeit- oder Handlungsschicht führen, hilft mir, die Arbeit auf den Transparentpapierrollen in einer ähnlichen Weise weiter zu führen. Immer wieder treffe ich dabei auf dieselben Bilder, die sich aber langsam verändern. Ich versuche sie zu verdichten, vielleicht in räumliche Gestaltungen zu verwandeln. Die neuen Sinnzusammenhänge, die so entstehen, müssen mit dem Ausgangsmaterial nichts mehr zutun haben.

Es entsteht eine neue Energieform, schwarze Skulpturen, die Schrift sein können, aber auch Unterwasserlebewesen in einem der Ozeane der Jupitermonde.

Zeichenskulpturen

Jedem, der aus den MfS-Tonbandprotokollen entwickelten, Zeichen kann ein Buchstabe des deutschen Alphabets zugeordnet werden. Sie werden in Ton als Relief oder als Vollplastik modelliert. Von jedem wird eine Form gegossen. Aus dem, auf diese Weise vervielfältigten, neuen Alphabet werden dann Sätze zusammengestellt, die aus den IM-Protokollen stammen. Wie z.B.: „Er lebt so ein Künstlerleben in den Tag hinein.“

Das Grün meines Gärtchens wird undurchdringlich. Auf den Regalbrettern neben meiner Korbsesselnische, liegen die Sachen, die mich inspirieren: geschmolzenes Glas mit Einschlüssen von Holzkohle, eine handgemalte Porzellanscherbe, stark verwitterte, gesägte Knochenstücken, Schnur, Muscheln, Federn, geschlemmter Ton in einem Blecheimer, rote Lavasteine, Lochziegel, Dornenverzweigungen, Tontöpfe mit Samen, ein Handfeger und ein altes Frotteehandtuch in einem Weidenkorb, Sägeblätter, Arbeitshandschuhe, Gießkannen, Schraubdeckelgläser – alles durchsetzt von einem feinen Gespinst.

Eigenständige Buchmalereien vom Morgen. Ich benutzte den Aquarellkasten, Bambuszeichenfedern, Stifte, Haare, Holznadeln, Pigmentstaub. Kratzen, wischen, schraffieren, Handkantenstempel, Umrisszeichnungen… Dann der richtige Zeitpunkt für den Schluss.

Swing-By

Bisher fand ich 9 Zeichen auf Rolle 10, die ich bereits in die Collagen eingefügt habe. Sie sind die vorläufige Essenz aus der Beschäftigung mit den MfS-Tonbandprotokollen. Ich stellte sie mir auf den Kraftfeld-Relieffragmenten, die Umrisse der Porzellanreliefbemalungen meines IM haben, als große, schwarze, über die Reliefstruktur hinweg ausgebreitete, fremde Buchstaben vor.

Hier finden sich die Schichten der beiden Reliefs zusammen, überlagern sich, verschmelzen womöglich miteinander zu einem Erinnerungsgegenstand. Sein Sinn klärt sich erst später. Mit den handwerklichen Möglichkeiten der Verschränkung von Materialien und des Wachstums in den Raum, werden hoffentlich neue Perspektiven eingenommen werden können.

Die Begegnungen mit den auftauchenden Themen empfinde ich oft wie die Begegnung mit Planeten, die meinen Raumsondenflug mit ihrer Gravitation beschleunigen und lenken. Dieser Vorgang heißt bei den Raumflugexperten „Swing-By“. Und es gibt komplizierte Gleichungen, mit denen man die Bahnen der künstlichen Flugkörper auf diese Weise vorbestimmen kann.

Intimität und Monumentalität

Die kleinen Zeichen, die ich gestern und vorgestern inmitten des Gesträuchs der Tuschelinien auf Rolle 10 gefunden habe, stellte ich mir als überdimensionierte, freistehende Skulpturen vor. Diesem Reiz der Gegensätze von Intimität und Monumentalität, begegnete ich in meiner Arbeit schon mehrmals. Aus winzigen Details entwickeln sich Reihen neuer Motive.

Für die kommende Woche habe ich mir die Pause vorgenommen, die schon seit einiger Zeit als notwendig anstand. Lediglich das Arbeitstagebuch, die Collagen und vielleicht noch ein paar Zeichen aus dem Sta-DA-si-DA – Gesträuch sollen eine Rolle spielen.

Jetzt achte ich auf die Bremsgeräusche der landenden Maschinen und auf die Musikalität der sich überlagernden Rückwärtsgangsignale von der Baustelle. Von meiner Nische im Gärtchen aus beobachte ich seit einiger Zeit eine Wildbiene, die sich im Boden unter meinen Holzstapeln eingerichtet hat. Auf den Begrenzungssteinen, die nach Südosten ein Mäuerchen bilden, sonnen sich 5 Mauereidechsen.

Regen und Feuer

Wenn Ich meine Handkante auf das farbfeuchte Papier meines Tagebuches presse, spüre ich, wie meine Haut das Ultramarin oder Ocker aufsaugt, damit es in die vorhergehende oder nächste Malerei übertragen werden kann. Die Farbkrümel, die beim Anspitzen der Stifte anfallen, bilden auf dem Papier mit Wasser und Handballenabdrücken, schöne Wolken. Wenn ich das auf die Bemalung der Reliefs übertrage, muss ich das an die Grundierung und auch an den Gesamtklang anzupassen. Vielleicht muss ich auch die Grundierung verändern.

Beim Einrichten der heutigen Collagen entstand eine Arbeitsweise, mit der ich die Zeichen finden kann, die in den vergangenen Wochen bei der Beschäftigung mit den Stasitexten entstanden sind. Mit den 3 ersten sind die heutigen Collagen schon angereichert worden. Sie sind aus einer Tuschezeichnung vom 9.5. von Rolle 10 entnommen. Es könnte sein, dass ich alle Zeichen aus diesem größeren Liniengesträuch entwickle.

Die Schüler haben gestern ihre Reliefs aus der Form geschält und grundiert. Dann sind wir raus gegangen, um den Gartenschnitt, der sich den Winter über angesammelt hatte, in der Feuertonne zu verbrennen. Weil es regnete machte das Anzünden etwas Mühe. Dann aber wurden die Flammen und das Blech so heiß, dass die fallenden Tropfen schon in einiger Entfernung verdampften. Wir merkten in der Hitze nicht, wie uns der Regen durchnässte.

Überrollt

Die Umrisse der Goldbemalungen des Reliefs aus Meissner Porzellan, aus dem Jahr 1974, das jetzt im Deli Humboldt hängt, sind nun vom Geflecht der Bearbeitungen der IM-Tonbandprotokolle der Jahre 1982/1983, die ich in den vergangenen Wochen hergestellt habe, auf Rolle 10 überrollt worden. Dabei sind 9 Elemente entstanden.

Nun kann das Experiment mit diesen Umrissen beginnen, die ich zunächst für vergrößerte Pappschablonen nutze, beginnen. Die werden in die Kraftfeldform gedrückt. So begegnen sich die Reliefs aus Meißen und aus Frankfurt. Es sollen Objekte entstehen, die einen skulpturalen Charakter haben werden.

Mir kommen auch die eingeritzten Buchstaben aus Ellis Island in den Sinn, aus denen ich dreidimensionale, digitale Objekte gemacht habe. Ähnliches geht mir durch den Kopf, wenn ich an die Weiterverarbeitung der Bilderschrift denke. Diese, schon vollständig gescannt, muss aber erst gesichtet werden. Dann entstehen Umrisse davon, die auf Rolle 10 eine Verwandlung erleben werden.

Zäsur

Mitten im „Futur II“ sitzend, dem Experimentalaufbau, in dem unterschiedliche, voneinander entfernte Areale der Rolle 10 übereinander gelegt werden können, sehe ich dieselbe transparente Schichtenkonstellation, wie schon einmal am 14.04.. Gestern aber zeichnete ich andere Teile des Tonbandprotokolls vom 24.05. 1982 in die Umrisse durch.

Nun sollen Stellen der Übergänge vom Tonbandprotokoll zur Bilderschrift in die Goldumrisse des Porzellanreliefs gelangen. Dann wird das Ganze vom fortlaufenden Zeichnungsgeschehen überrollt. An dieser Stelle auf Rolle 10 angekommen zu sein, ist eine Zäsur.

Nun werde ich an die Bemalung der Reliefs gehen, die ich schon die ganze Zeit vor Augen hatte. Außerdem mache ich das, was ich mir vor etwa 4 Wochen vorgenommen hatte: “Wenn ich eine Struktur aus der Vergangenheit in die Markierung in der Zukunft eingefügt habe, werde ich mich, dort angekommen, anders an diese Struktur erinnern.“ Das ist nun so. Dieser Kreis hat sich geschlossen. Ich sehe die entstandenen Bilderschriften nun anders!

Die Annäherung an die Goldumrisse des Porzellanreliefs, die ich am 11.04. auf der Rolle weiter hinten, also platzierte, kommt nun an den Punkt, wo sich die Strukturen des aktuellen Voranarbeitens mit denen aus der Vergangenheit, die in die Zukunft transferiert waren, begegnen. Zuvor kann ich noch, mit dem Aufbau der Konstruktion „Futur II“ wenige Übergangselemente der Bilderschrift aus der Vergangenheit in die Umrisse zeichnen.

Die breit angelegte Experimentalstruktur hinterfrage ich mit Blick auf ein effektiveres Vorgehen. Kann ich schneller auf den Punkt kommen oder sind die entstehenden Materialmengen notwendig, den Prozess möglichst ergebnisoffen zu halten.

Dem Objektcharakter der bemalten Relieffragmente, widme ich mehr gedankliche Aufmerksamkeit. Es geht um die Größe der Porzellanumrisse, die wenn sie dem Original ähnelt, einen Prozess des Wiederkennens begünstigt. Geht es mir darum? Wird der Prozess des Erinnerns dadurch eher angestoßen?

Aus der Drehung

Das thematische Motiv der Gravitation oder einer Kraft, die alles Gedachte und Gezeichnete verdichtet, zieht weitere Experimente nach sich. Die Begegnung der zwei Reliefs beispielsweise, die sich gegenüberliegend umkreisen und ihre Grenzen verwischen, wenn die Geschwindigkeit zunimmt. Dann kommt es zu einer Neuordnung der Formen. Die goldenen Porzellanteile ordnen sich beispielsweise aus ihrer luftigen Verteilung zu einer strengen Zeile, auf der sie das Innere umkreisen. Die Bildschrift, die sich aus den Tonbandprotokollen entwickelte, findet sich durch die beschleunigte Drehung auf den Oberflächen der Kraftfeldfragmente wieder und verbindet sich dort mit den Porzellanformen.

Ich komme nicht dazu, alle gedachten Vorgänge vollständig parallel zu verwirklichen. Es stehen sich verschiedenen Arbeitsweisen gegenüber. Es gibt das freie Fahren in den Gewässern des Erinnerns, was oft genug zu überraschenden Ergebnissen geführt hat. Es gibt die fokussierte Weiterentwicklung des Forschungsfeldes, durch weglassen unnötiger Arbeitsschritte. Beides steht sich gegenüber, wie die beiden Reliefs.

Die Arbeitsweisen kommen, je nach Perspektive, zur Anwendung und sollten sich ergänzen. Es wäre sicherlich auch richtig, das konkrete Ziel der bemalten Reliefs, mal wieder aus den Augen zu verlieren. Der Nachmittag wird zeigen, wohin es mich aus der Drehung verschlägt.

Ein Wirbel

Die Buchmalereien sind besinnungslos, schnell und rhythmisch entstanden. Sie wachsen alle 3 zugleich und sprechen dabei miteinander. Die sich überlagernden Zeichen nähern sich der Gestalt der Transparentpapierrollenarbeit, den Buchstabenbildern. Die Schriftzeichen könnten von der Rolle auf ein Rollsiegel übertragen werden. So entwickelt sich die nächste Verdichtung, wenn das ganze gedachte Material zusammengeschmolzen wird.

Das Zusammentreffen der beiden Reliefs aus Meißner Porzellan und aus Pappmache sollte eine Fusionsenergie bereitstellen, die die Verflechtung der Linien und die Schichtung der Flächen in eine Rotation versetzt, die mit zunehmender Geschwindigkeit immer neue Bilder erstellt.

Der Loop greift auf die Sprengung und den Wiederaufbau des Schlosses, den Bau und Rückbau des Palastes der Republik und die Erstellung des Kraftfeldreliefs, seine Zerstörung und seine Rekonstruktion zu. In diese Rotation wird nun das Porzellanrelief mit hineingezogen. Die Kraft dieser Gravitation kann noch mehr an sich ziehen und somit verwandeln.

Pausieren als Kraftakt

Meisen schwirren im Gärtchen, baden im Seerosenbottich und jagen sich. Aus meinem Wintergarten stellte ich den letzten Pflanztopf raus. Es gibt nur wenige Insekten, nachdem die Wildbienen ihre Nester fertig gebaut haben. Und die Mauereidechsenpopulation scheint sich auch verkleinert zu haben.

Durch die Arbeit mit den Schülern ist meine eigene Produktion ins Stocken geraten. Heute will ich an der Form noch einige, kleinere Reliefs ausformen. Auf diesen Untergründen probiere ich dann, das auf Rolle 10 entstandene, Material aus. Dennoch wäre etwas mehr Abstand zu den Erinnerungsthemen gut, denn es macht sich eine gewisse Müdigkeit breit.

Das Unterbrechen der selbstverordneten gleichmäßigen Arbeit, die aus den Arbeitstagebüchern und Transparentpapierrollen resultiert, ist ebenfalls ein Kraftakt. Er ist aber notwendig.

Spartenübergreifend

Die ukrainischen Schüler und Schülerinnen haben gestern Relieffragmente ihrer Wahl ausgeformt. Ich unterbrach meine Arbeit an Rolle 10 und war wieder mit der Kraftfeldform konfrontiert. In den nächsten Tagen werde ich ein paar kleinere Teile abformen, die schon mit den Formen des Porzellanreliefs zutun haben werden.

Am Vormittag hörte ich ein 3 Berichte von Künstlerinnen, die am Projekt „YOU&EYE“ mitarbeiten. Jede konnte auf ihre Weise mit den Teilnehmern tief in das Material ihrer speziellen künstlerischen Entwicklungen eindringen. Teilweise arbeiten sie sogar spartenübergreifend. Genau so hatte ich mir immer unsere Arbeit vorgestellt.

Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich solche Arbeitsweisen initiieren muss. Vielleicht werden ja auch die Kooperationsprozesse auf diese Weise selbstverständlicher, die wir schon in kleinerem Maß begonnen hatten.

Zwei Reliefs

Trotz meines Vorhabens, die Figurenumrisse von gestern spannungsvoller auf die Transparentrolle zu übertragen, gerieten sie mir zu gleichmäßig. Aber nun sind die Flächen erreicht, die sich auf die Goldbemalung meines IM`s „Lutz Lange“ beziehen. Im fortlaufenden Geschehen kündigt sich ein Höhepunkt in Form des Zusammentreffens meines verwandelten MfS – Protokollmaterials mit den Porzellanrelieffragmenten an.

Dafür möchte ich eine weitere Verdichtung erreichen, indem ich das Ausfüllen der Umrisse erweitere und das ganze Material, auch um die Figuren herum, durchzeichne, ihre Grenzen damit sprenge. Ein weiterer Schritt dahin kann das Durchzeichnen im Zurückrollen von Rolle 10 sein, wenn die Porzellanumrisse ausgefüllt sind. Aktuelle Ergebnisse werden auf diese Weise in die Vergangenheit transferiert und überlagern die bis dahin entwickelte Struktur. Vergangenheit verändert sich dadurch in diesem Experiment.

Mehrere Varianten der Bemalung und Ausformung des Kraftfeldreliefs erscheinen mir nun möglich. Eine davon ist es, die Blütenformen, die der Blätter und Goldbemalungen, als äußere Begrenzung von Relieffragmenten anzuwenden. Damit kann sich die Rekonstruktion des Kraftfeldes direkt auf das andere Relief beziehen. Ich stelle mir eine Reihe von Blattformen vor, in der die Einzelteile losgelöst sind vom Bildzusammenhang der beiden Vorgängerreliefs.

Zeichnen und schreiben zugleich

Die Umrisse der Handkantenabdrücke, das Gewicht der Farben in ihren Zwischenräumen und die fehlende Spannung der Flächengrößen, die entstehen kann, wenn ich so besinnungslos vor mich hin male, beschäftigten mich am Morgen. Bei einer Übertragung auf Rolle 10, muss ich Flächen zusammenfassen und teilen, um den Mangel zu beheben.

Die Buchmalereien sind aber nur Teil des Prozesses, der mit dem Anfüllen der Umrisse aus dem, fortgeführt wird. Die Strukturen, die aus den Kopien der Tonbandprotokolle entstanden sind, mischen sich mit den Geflechten der Umrisslinien. Die Arbeit ist dann zeichnen und schreiben zugleich. Es gibt fließende Zeilen und Felder mit geometrischen Gebilden, die alle zusammenhängen.

Die Arbeit auf der Rolle fortzuführen, bis ich bei den Porzellanformen des Reliefs aus dem Palast der Republik angekommen bin, hält quälend lange an. Immer noch einen Schritt weiter und noch einen, um die Überwachungstexte möglichst gründlich in Zeichen zu übertragen, die sich aus der Enge der DDR-Vergangenheit befreit haben.

Von der Rolle zum Buch

Zeichen entstehen ohne Nachdenken, ohne Bezug zu einem Gegenstand, sie bilden sich wie von selbst. Dieser Vorgang im Buch ist ein anderer als auf der Rolle, dennoch folgt er ihm. Von der Rolle zum Buch. Holzhaarnadelgravuren drücken sich von der Seite des Vortages auf die heutige durch. Durch Schraffuren werden sie sichtbar. Über mehrere Arbeitsvorgänge hin, können sie zu Bildzeichen werden. Die Entzifferung folgt erst nach der Erfindung. Es ist der umgekehrte Vorgang, wie bei der Verbilderung der Schreibmaschinentypen der Tonbandprotokolle.

Die Räume zwischen den hervorgehobenen Umrisslinien in den Buchmalereien, können zu eigenen Motiven werden. Aus einem leeren Raum wird dann eine Figur der Abwesenheit. Ich stelle mir eine Musikalische Komposition vor, die nur aus Pausen anderer Musikstücke besteht. Man hört nur das Ausklingen des Tones, nicht den Anschlag. Ein Stück aus lauter Zwischenräumen.

Mir wird es nun wichtiger, dass die Phase der Zeichenentwicklung auf der Transparentpapierrolle abgeschlossen wird. Es sind noch etwa 70 cm bis zu den Goldumrissen, die ich vor ein paar Wochen aus dem Porzellanrelief herausgezeichnet, und in einer Reihe an dieser Stelle der Rolle platziert habe. Vielleicht erreiche ich diesen Vorgriff noch in dieser Woche, kann diese Felder ausfüllen und bin dann im Besitz des Materials, mit dem ich die Reliefs des Kraftfeldes bemalen werde.