Klarspülen

Statt des neuen Filmes von Wim Wenders, das Kino war uns zu voll, sahen wir die ausufernden Videoinstallationen von John Akomfrah in der Schirn Kunsthalle. Das mehrheitsfähige Designmaterial löste in mir eine Skepsis aus. Leicht durchschaubare Kombinationen von jeweils 3 Projektionen aus Dokumentararchiven. Davon gibt es 3 Triptychen, von denen wir 2 gesehen haben, mit den Themen: – Ein Schwarzer kommt in die weiße Mehrheitsgesellschaft- und – Die Ausbeutung der Meere-. Leider nichts Neues, aber viel Archivbombast.

Mein verklebtes Hirn versuchte ich am Morgen klarzuspülen. Ich schichtete Lagen unterschiedlicher Techniken so lange übereinander, bis ein dichter, tiefer Raum entstand. Diese Form der Bildproduktion verschafft mir einen sicheren Stand.

In der dritten Malerei legten sich eine Gravur der Gewindegänge der Schraube aus Kaza im weißen Blatt, kreisende farbige Linien, die mehrfach übereinander gestapelt, den Untergrund für die nassen Haare bildeten, deren Bögen mit Wasserfarben auf dem Papier verstärkt wurden. Am Schluss setzte ich noch einmal Gravuren des Gewindes über verwischte Areale des Zentrums und schraffierte sie leicht mit Indigo, um sie sichtbarer in den Vordergrund zu rücken.

Plan übererfüllt

Von den Schwüngen der Haare ausgehend, die ich mit Wasserfarben und Pinseln, auf dem Papier schwimmend fixiere, sie aber auch herum schieben kann, fand ich heute die Gegenparts der Linien und Gravuren für die Kompositionen der Buchmalereien. Farblich klingen sie gedämpft und Umrisslinien spielen eine marginale Rolle.

Nach den vielen Familienzusammenkünften muss ich mich erst wieder an die Stille des Ateliers gewöhnen. Außerdem greift eine Müdigkeit nach mir, die Faulheit und geistige Trägheit begünstigt, wie sie „zwischen den Jahren“ nicht ungewöhnlich sind. Am Nachmittag sollte ich mich aber noch mit einem Bericht über die Arbeit mit den Schülern befassen und die ganzen Buchmalereien scannen, die ich während der Feiertage angefertigt habe.

Für mich ist heute der 221. Arbeitstag des Jahres. Somit habe ich den Plan übererfüllt. Es bleibt aber der Ehrgeiz, morgen noch einen hinzuzufügen, damit die endgültige Zahl aus drei Zweien besteht.

Vergegenständlichung

In der Ruhe des Morgens führt Bewegung in die Malerei. Oder wie soll ich das nennen, was mein erster Arbeitsschritt des Tages mit ist? Was ist das, was ich mit einer Schraube, einer hölzernen Nadel, mit Haaren und auch mit Farben mache? Aus den Kreuzschraffuren entstehen die Strahlen dunkler Sterne.

Die Klarheit der Kunst der Fuge wird von einem Streicherensemble aufgelöst in vielfach schwingendes Material. Ich versuche die Schallwellen in Lichtwellen zu verwandeln, die den optischen Raum aufbrechen. Dann lösen sich die Schwingungen der gemalten Szenen. Die Sterne beginnen zu vibrieren und schicken ihre Strahlen zu den lichten Schwüngen der Haarlocken. Es beginnen die Vorgänge des Anziehens und Abstoßens, die die Frage nach dem formulieren, was jenseits der Gravitation existiert.

Ich nahm einen Klumpen weichen Pappmachés in die Hand und drückte ihn zusammen. Daraus entstand ein Figürchen, das ich trocknete und weiß grundierte. Nun könnte es mit Attributen versehen und zeichnerisch vergegenständlicht werden. Die Schüler bekamen gestern eine Rolle Transparentpapier, von der sie sich Streifen abschnitten und sie einmal zusammenfalteten. Dann träufelten sie etwas Tusche und Schellack auf eine Seite, falteten und pressten beide Seiten zusammen, damit Verläufe entstanden. Diese beobachtend suchten sie nach Gegenständen oder Figuren, die dann mit Bleistift oder Tusche verdeutlicht wurden. Eine Reihe von 25 Formaten entstand.

Reaktionswärme

In der Feiningerausstellung, die wir gestern in der Schirn Kunsthalle sahen, wurde mir seine enge Beziehung zur Musik, insbesondere zur Fuge erstmalig klar. Und seine strengen Kompositionen, die wenig Spontanes haben, spiegeln das auch wieder. Viele andere Facetten seines Werkes waren mir zwar nicht neu, rückten aber näher, so dass ich Lust zu Malen bekam. In den letzten Jahren seines Lebens fertigte er kleine aquarellierte Zeichnungen an, die im Format meinen Buchmalereien ähneln.

Mein Thema an diesem Morgen war das Zusammenspiel von Aquarell, Haarlocken, Gravuren und Schraffuren. Die Schwünge, die von den Haaren markiert werden, lassen sich nur bedingt steuern. Manchmal färbe ich sie schon vorher ein und manchmal lege ich sie nass in eine Schraffur, die ich vorher mit einem oder mehreren Aquarellstiften gemacht habe. Dann verstärke ich bestimmte Areale mit intensiven Farben.

Die Erzählung beginnt, wenn ich andere Elemente hinzuzeichne, die im Raum schwebend eine Verbindung eingehen wollen. Auch mehr oder minder geerdete Figuren bieten ihre Energie für einen symbiotischen Austausch. Diese Durchmischungen erzeugen eine Kraft, die dann zwischen den Buchseiten eingeschlossen ist. Am nächsten Morgen versuche ich einen Teil davon wieder aufzunehmen und gebe die „Reaktionswärme“ der neuen Malereien an die digitalen Collagen weiter.

218

Am Morgen konnte ich mich über die entstandenen Buchmalereien freuen. Wenn ich mich mit der geschichteten Dichte zurückhalte, entstehen klarer geordnete Bilder. Diese Arbeitsweise gab es schon manchmal in den letzten zwanzig Jahren, sie hat sich aber in den letzten Tagen wieder neu etabliert.

Die ersten Arbeitstagebucheinträge, die ich im Netz gemacht habe, entstanden im Jahr 2011. Seither hat sich diese Arbeit verändert und vor allem intensiviert. Heute ist dies der 218. Eintrag dieses Jahres und somit sind in dieser Zeit 654 Collagen entstanden. Sie bebildern die alltägliche Suche.

654

Am Nachmittag wollen wir eine Feiningerausstellung in der Schirn besuchen, denn es ist Hochzeitstag. Ich werde also am Nachmittag nicht mehr arbeiten. Morgen kommen die Schüler noch einmal und dann kann es Weihnachten werden.

Modellieren

Gestern in den Läden der kleineren Einkaufsstraßen der Stadt und in den S-Bahnen, den U-Bahnen dazwischen, verdichteten sich im Gedränge die vielen Gesichter der Bewohner der Stadt zu einer zähen Masse. In der Erinnerung kann ich sie formen, wie das halbtrockene Pappmaché aus dem man Figuren modellieren kann.

Wieder versuchte ich, was mir nicht ganz gelang, mich mit der Verdichtung der Buchmalereien zurückzuhalten. Ich schaue zurück in das Jahr 2009, lese was ich schrieb und schaue mir die Figuren an, die ich in das Tagebuch zeichnete. Das soll mir helfen, mein Denken zu ordnen, in die Zusammenhänge der fortlaufenden Aufzeichnungen einzufügen.

Manchmal gehe ich auch hinaus und schaue auf die Großbaustelle. Die Kräne stehen gerade still. Aber über dem frischen Beton wuseln die Arbeiter und messen die Ingenieure. Es sieht so aus als arbeiteten sie in getrennten Welten. Über allem schwebt ein trüber Himmel. Nach der Schreibpause, wenn ich versuche meine Gedanken wieder zu finden, kehre ich manchmal zum Geschehen in den Malereien, die gerade entstanden sind, zurück. Im Zusammenspiel der Linienbewegungen und dem Klang der Farben finde ich Experimente, die zu Schwebezuständen unbewussten Daseins führen. Dennoch entwickeln sich darin zumeist auch Geschichten.

Mehr Raum

Im Historischen Museum sahen wir gestern eine Ausstellung mit Fotografien von Barbara Klemm. Es ging in den Bildern einzig um Frankfurt. Und wir merkten, dass wir nun schon fast 30 Jahre in dieser Stadt sind.

Die Buchmalereien des Morgens waren eher ein Experiment dessen, was ich alles weglassen kann. Ich habe oft das Gefühl, zu viel zu machen. Dann kann es passieren, dass sich die Dichte der Strukturen gegenseitig aufhebt. Bleibe ich aber bei einer sparsameren Begegnung verschiedener Mittel, wird die Suche deutlicher. In der dritten Malerei kombinierte ich eine schraffierte Gravur eines Schraubengewindes aus Kaza mit Haaren und Wasser. Allem ließ ich etwas mehr Raum. Manchmal entsteht durch die Intensität der Schichtungen eine Enge, die an die Einteilung eines vollen Tages erinnert.

Nun habe ich beschlossen, Rolle 10 in diesem Jahr nicht mehr fertig zu zeichnen. Mit etwas mehr Zeit sollte die Arbeit ruhiger zum Ende kommen. Vom Humboldt Forum kamen Informationen zum Theaterspektakel „Stein auf Stein“. Die Zielsetzung des Projektes ist meinen Intentionen zunächst nicht sehr nahe.

Bewegung der Musik

In der Nachmittagsdämmerung im Atelier steuert die Bewegung der Musik, es sind Choräle von Bach, die Buchmalereien. Im Netz suche ich nach Bearbeitungen dieser Kompositionen für andere Instrumente, um das Material weiter zu fassen und vielleicht tiefer ausloten zu können.

In den Kammerspielen des Schauspiels sahen wir „BILDER DEINER GROSSEN LIEBE“, nach Wolfgang Herrndorf. Auch dieser Abend hatte dieses Schweben, von dem ich gestern schrieb. Konkrete Videobilder trafen auf Textlesungen und zart gespielten Szenen. Ein Stück wurde dadurch mein Glauben an die Möglichkeiten, das gegenwärtige Theater als ernsthafte Kunst zu betreiben, wiedergewonnen.

Ich denke an Sinas Bericht über die Arbeit mit den Schülern zum Thema „Fallen“. Sie bauen Installationen, die sie dann einreißen, das auf Video aufnehmen und sprachlich reflektieren. Dann erst im zweiten Teil dieser YOU&EYE Saison kommt es zum Schreiben. Ein sehr schöner, vielschichtiger Ansatz, wie ich finde!

In der Schwebe

Im Anna Freud Institut fand vorhin die erste Zusammenkunft der YOU&EYE Künstler der 6. Saison statt. Die Künstlerinnen erzählten von Ihren Projekten, die immer mehr Experimenten ähneln, in denen sie Fragestellungen ihrer eigenen Arbeit erörtern. Das, finde ich, ist eine sehr gute Entwicklung.

Meine Schüler, es handelt sich um 7 Jungs und ein Mädchen, bemalten gestern ihre kleinen, seriell abgeformten Reliefs und arbeiteten an der Aushöhlung des Baumstammes weiter, die einst der „Müttermantel“ werden soll, in dessen stehende schwere Hülle man eintreten und ihn mit den Schultern anheben kann, wenn man es schafft.

Als sie weg waren zeichnete ich an der abstrakten Erzählung auf Rolle 10 weiter. Dort tanzen Splitter der vergangenen, gezeichneten Zeit in einem Vakuum, und die Gravitation unterschiedlicher Systeme halten sie in der Schwebe. Auch ich befinde mich zwischen den Bewegungen meines Körpers, der Musik der Kunst der Fuge und den Buchmalereien in Raum gehalten. Erstmalig vermischte ich die schraffierten Papiergravuren und Haarlockenspuren übereinander. Auch ein schwebendes System.

Schichten, Wucherungen, Umrisse

Zu meinen derzeitigen Lektüren gehört „Die Wahrheiten meiner Mutter“ von Vigdis Hjorth. Die Protagonistin des Romans ist eine Malerin, die sich ganz von allem trennen musste, um ihren Wusch, Künstlerin zu werden, gegen die Familie durchzusetzen. Dabei laufen mir Formen der Konflikte über den Weg, die aus meiner Geschichte stammen könnten. Glückversprechungen und Bedrohungen eines solchen Vorhabens erreichen so große Amplituden, dass die Entscheidung, ernsthaft sein Leben so zu verbringen, im kleinbürgerlichen Milieu als unverantwortlich bewertet wird.

Die violetten Haarstrukturen aus der dritten Malerei des Morgens, konnte ich erstmalig per Abdruck mit der feuchten Zeigefingerkuppe in die anderen Malereien übertragen. Es entstanden feine, lückenhafte Lockenlinien. Krakelige Gravurstrukturen überlagerte ich mit Tuschfedergesträuchen. Die Wucherungen wachsen aber oft in feste Umrisse von Möbel-, Figuren und Architekturfragmenten. Abdrücke der Fingerkuppen muten mitunter auch an, wie Röntgenaufnahmen vom Innenleben der, aus den Strukturen wachsenden Körpern.

Auf Rolle 10 zeichnete ich wieder Verdichtungen, setzte die Scherben neu zusammen, aus den vage durchscheinenden Linien weiter unten / hinten liegender Schichten. Schwarze Felder entstehen und gleichzeitig der Wunsch, alles wieder zu zersplittern. So geht es hin und her.

Das Gespräch endet

Die Vielzahl der Informationen zu einem Geschehnis, dessen Grund, Verlauf und Ergebnis nicht nur unterschiedlich interpretiert, sondern auch faktisch verschieden wahrgenommen wird, zersplittert den Zusammenhalt der Gesellschaften. Und insofern ich mich deswegen nicht mehr als gesellschaftliches Wesen begreife, fehlen mir die Gründe für eine Auseinandersetzung mit denen, deren Überzeugungen auf anderen Wahrheiten beruhen, als auf meinen. Das Gespräch endet.

Einzig in den Arbeitstagebüchern komme ich derzeit zum Fortschreiben von Beschäftigungslinien. Aber was gibt es dort zu entwickeln? Gehe ich von der ersten künstlerischen Bewegung des Tages, den Buchmalereien aus, so könnte ich an den entstandenen Strukturen einen produktiven Zusammenhang zwischen Bewegung und Gedächtnis ablesen.

Die fließenden Farbstrukturen aus Wasser, Pigment und Haaren, verhalten sich zu den Schraffuren, Gravuren und Verwischungen, wie Botschaften aus einer anderen Welt. Und es ist die Frage, ob diese unterschiedlichen Gestaltungsmuster gewinnbringend miteinander interagieren, sodass ein neuer Sinn entstehen kann.

Frankfurt

Nach einer Fahrt nach Thüringen ist etwas Zeit nötig, um mich wieder einzuordnen. Wenn auf der Rückfahrt Frankfurt in Sicht kommt, meinst sind es seine Lichter unter einem Abendhimmel, wird mir leichter. In die andere Richtung durch die Wetterau, die Röhnausläufer und schließlich in die Thüringer Berge, ist es eine wellenförmige Bewegung in die Vergangenheit. Von der Autobahn geht es dann durch gedrungene Dörfer mit hockenden Kirchtürmen, durch die, wie ewig erscheinenden, bedrückenden Maßverhältnisse.

Am vergangenen Sonntag folgten wir mit Kerzen einem Aufruf der Frankfurter Kultureinrichtungen an das Mainufer, um eine Lichterkette gegen Antisemitismus zu bilden. Weil zu befürchten war, dass zu wenig Menschen kommen und somit die Aktion nach hinten losgehen würde, war ich erleichtert, dass es das Gegenteil der Fall war. Und so hatten wir ein schönes, ermutigendes Erlebnis in dieser Stadt.

Der helle Morgen hat sich in einen trüben Tag verwandelt. Am Nachmittag gibt es ein digitales Meeting mit den YOU&EYE Akteuren. Ist mir ganz recht, im Atelier sitzen bleiben zu können. Spannend ist, dass ein paar neue Gesichter dabei sind, aber auch die, die schon von Anfang an dabei sind, sehe ich gerne wieder.

Baum pflanzen

Auf der Wiese in Richtung Bahndamm begann ich ein Loch in den Schotter unter dem zwanzig Jahre alten Schichtenmaterial aus Erde, Sand und Pflanzenwurzeln zu graben. Es stellte sich ein Hackrhythmus gepaart mit der Neugier ein, was wohl als nächste Schicht zum Vorschein kommt. Dort möchte ich den Feigenbaum einpflanzen, der ein Geschenk meines Nachbarn Gerhard ist.

Die sonntäglichen Buchmalereien begannen heute etwas anders. Die Aquarellfarben aus meinem Blechkasten und die Nutzung von schwarzer Tusche, waren in der Kombination selten in der letzten Zeit. Sprachlich wollte ich eine ältere Haltung wieder finden und blätterte dazu in einem Materialienbuch von und über Heiner Müller und legte es enttäuscht wieder beiseite.

Mir kommen die Bohrkerne in den Sinn, die bei Bodenuntersuchungen emporgehoben und in längliche Kästen gelegt worden sind. Unter einer dicken Schwemmsandschicht kam Lehm, von dem ich noch etwas in einem Eimer aufgehoben habe. Damit wollte ich etwas formen, vielleicht eine kleine Figur. Die Gebäude, die in der Nachbarschaft entstehen, sind riesige Klötze, die mir die Sonne nehmen werden. Ich schrumpfe dabei und ziehe mich zurück in die Kleinheit der Formate.

Serielles Wachstum

Von Bach stieg ich gerade auf Techno um. Es geht mir um den Fluss der Musik, um die Illusion des Unaufhörlichen, der nicht enden wollenden Bewegungen des Tanzes und des Lichts. Währenddessen möchte ich in den langsam verändernden Rhythmen und Sounds in eine Meditation fallen, wie während der Buchmalerei, nur mit größeren Bewegungen des ganzen Körpers.

Mit den Schülern begann ich serielle Prinzipien auszuprobieren. Wir könnten oben im alten Holzlager tanzend Papierbahnen bearbeiten, die am Boden ausgerollt sind. Das ist etwas aufwendig, weil ich Malstöcke basteln muss, in die wie Pinsel oder Graphitstifte stecken können. Oder vielleicht sollten sie das selber herstellen!

Aus Rolle 10 zeichnete ich die Fortführung des Wachstums der Scherben. Sie vervollständigen sich zu größeren Flächen, die ich dann wieder neu zersplittern kann. Ich weiß mal wieder nicht, wo das hinführen wird. Aber deswegen mache ich es ja, um das herauszubekommen.

Hingabe und Glück

Das regelmäßige Arbeiten, fast immer in der gleichen Reihenfolge – Buchmalereien, handschriftlicher Text, digitale Collagen und Textdatei für den Blog – führen zur Stabilisierung meines Alltags. Das ist nicht neu. Aber führt es auch zu der Ausgeglichenheit, die man Glück nennen kann? Ich glaube, dass das, was man Hingabe heißt, einen großen Teil des Glücksempfindens ausmacht.

An jedem Morgen, an dem ich mich in meine Buchmalereien versenke, begebe ich so tief in dieses Tun, die Beziehungen der Farben, Strukturen und Volumina betreffend, dass mich kaum etwas von außen kommendes ablenken kann. Dieses Glück der Hingabe hält während des Malens an.

Das Schreiben ist eine andere Sache – bis jetzt jedenfalls. Dort wünschte ich mir auch diese Direktheit des Aufgehens in diesen Vorgang. Dem steht aber die Reflektion entgegen, die es bei der Malerei nicht in dieser Form gibt. Würde ich mich beim Schreiben auch ganz fallen lassen können, in begriffliche Assoziationen, die sich wie der Fluss der Musik aneinander reihen, hätte das mehr mit Gedichten zutun, wie ich sie als junger Mensch geschrieben habe.

Rettung durch Produktion

Etwas Musik von Bach hilft mir an diesem Morgen, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Habe nicht die Goldbergvariationen angeschaltet, sondern Orchesterstücke und mir einen Kaffee gemacht.

In den Buchmalereien treten großköpfige Umrisse barocker Figuren auf. In Gedanken bin ich aber schon wieder bei Rolle 10 und ihren Rückgriffen. Irgendwann zeichnete ich Fragmente des Pergamonaltars auf eine der älteren Rollen. Das ist die Erinnerung meiner Besuche des Museums in Uniform. Die Frage nach dem Grund, gerade jetzt diese Bilder wieder aufzurufen, beantworte ich, indem ich sie zersplittere, neu zusammensetze und schaue, was dabei herauskommt.

Während ich gestern Henning, der aus Hamburg angereist war, meine Arbeit zeigte, dachte ich, ob eine Pause gut wäre. Am Nachmittag kommen die Schüler. Der Tod meines Vaters vor einem guten Monat, der Herzinfarkt meiner Mutter vor ein paar Tagen und während dessen die laufende Produktion… Diese aber rettet mich auch!

Reduktion

Gestern führte ich die Arbeit auf das Ende von Rolle 10 fort. Dafür sind Zeichnungen entstanden, die Splitter der vorausgegangenen Strukturen zeigen. Mich erinnert das an das „Scherbengericht“ des Väterprojektes. Diesmal aber sollen die Scherben im Verlauf der letzten Meter, wellenförmig verdichtet und dann wieder ausgedünnt werden.

In den Collagen trafen diese Scherben auf die etwas schwächlichen Buchmalereien von heute, die meine Energie dokumentieren. Gleichzeitig belebt das Collagieren und hebt die Arbeit durch die Schichtungen auf einen anderen Level.

Am Nachmittag kommt Henning zu Besuch ins Atelier. In Hamburg erzählte ich ihm von meiner Arbeit und dem Vorhaben im Humboldt Forum. Das Interessiert ihn so, dass er sich das alles anschauen möchte. In diesem Zusammenhang geistert immer noch die Vorstellung in meinem Kopf herum, dass ich mit den Entwesungskammern, den Prozessen, die da in den Katakomben des Stadtschlosses stattfinden, eine neue, zusätzliche Arbeitsweise entwickeln kann. Es geht dabei um Reduktion.

Arbeitsrichtung

Vielleicht sollte man viel konsequenter auf den Tod hin leben, ihn wie die Ägypter als Projekt begreifen, seine Produktion darauf hin ausrichten, sie immer wieder auflösen. So kann ich nun mit Rolle 10 umgehen, die letzten Meter in das Nichts führen.

In der zweiten Buchmalerei reihen sich die Figuren wie eine Abfolge von Toden aneinander. Jede hat ihre eigene Form, geht aber unerbittlich nach rechts ab von der Bühne. Die helfende Begleiterin meiner Mutter aus ihrer Nachbarschaft, berichtete mir gerade, dass sie am Morgen dafür gesorgt hat, dass sie schwach und mit Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert wurde…

Nun beginnt mir mein Vater zu fehlen. Ich würde ihn gerne anrufen. Das ist die Trauer. Die Unfähigkeit über sie zu reden, beschrieb gestern der Schauspieler Edgar Selge in einem Fernsehinterview. Er meinte, dass sich diese Unfähigkeit von seiner Familie auch auf ihn übertragen hat. Daher rühre sein bisheriges Schweigen zum Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel.

Gräber

Auf dem Hauptfriedhof besuchten wir gestern Heike und Pietro. Sein Grab mussten wir eine Weile suchen und trafen auf die fremden Totenhäuser der Roma. Ihren ausgestellten Reichtum, gepaart mit einer speziellen eigenen Alltagsästhetik beginne ich gleich aus meiner gestalterischen Perspektive zu bewerten. Unweit sehe ich die Grabsteine von Siegfried Unseld mit dem schönen Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse. Ihnen fühle ich mich nah.

Nach dem Friedhofsbesuch waren wir bei C. eingeladen. Sie erzählte kurz von einem Seminar zum Thema deutsch-jüdische Erinnerungskultur. Darüber hätte ich gerne mehr erfahren, aber die Gespräche flogen in andere Richtungen. Ich scannte heute Rolle 10 und wollte dabei den Prozess des Überschreibens deutlich machen. Er soll die Arbeitsschichten des Übersetzens auf zeichnerische Weise sichtbar machen.

Am Rande meiner Beschäftigungen beginnt mich die so genannte künstliche Intelligenz zu interessieren. Dabei probierte ich Bildgeneratoren mit mäßigem Erfolg. Auch die Entwesung eines Textes gelang mir nicht. Ich würde das gerne mit dem über das Porzellanrelief machen, der sich auf der Website des Humboldt Forums befindet. Das würde heißen, alles sichtbare Leben zu tilgen.

Theatral

Seit Vorgestern atmen die Buchmalereien in einem etwas anderen Rhythmus. Das ist kein radikaler Schnitt, sondern wieder eine langsam verändernde Bewegung. Am 29.11. hatten die Strukturen noch diese krampfartige Strenge, die von den Belastungen der rechten Hand herrühren mag.

Gestern, als wir die Premiere von „Sonne/Luft“ von Elfriede Jelinek sahen, wollte ich mal wieder allem Theatralen abschwören. Ich hatte das Gefühl, dass die Szenerie den Textblock nicht so unterstützt, dass er erweitert wird. Die Dramaturgie machte mir es nicht leichter dranzubleiben.

Manchmal traue ich nur noch der konzentrierten abstrakten Bildenden Kunst über den Weg. Ab einem bestimmten Grad der Verdichtung gibt es einfach kein „Vertun“ mehr. Dann sitzt einfach jeder Strich. In diesem Zusammenhang bin ich interessiert, das Thema „Stasi DADA/ Entgoldung“ im performatorischen Sinn weiter zu entwickeln. Meine Aussage in Berlin im Humboldt Forum, dass ich am Ende von Rolle 10 von dem Thema genug habe, stimmt also so nicht ganz!

Schwere

Der morgendliche Gang zum Atelier war schwungvoll. Die Allee schien offener und heller. Ich schaue freundlich in die Welt und so schaut sie auch zurück. Die Schwere, die auf meinen Schultern war, als hätte ich meinen Vater die ganze Zeit auf ihnen getragen, ist fort.

In einem Traum wollte ich einer großen Frau begeistert meine Arbeit mit den Kindern zeigen. Aber die Tür zu einem Flur, von dem aus man das Atelier erreicht, war nur schwer zu öffnen. Als ich es geschafft hatte, war die Frau schon weg.

Gestern waren die Kinder hier im Atelier. Sie legten Blätter kreuz und quer auf die Kraftfeldform und stellten Frottagen der Linien des Reliefs so her, dass dichte Gesträuche entstanden. Dann sahen sie sich die Blätter genauer an, um Figuren oder Gegenstände in den Labyrinthen zu entdecken. Jedes fertigte mehrere Blätter an, wobei sehr expressive aber auch ganz zarte Formen entstanden. Dann suchten sie sich einzelne Felder aus, die sie mit Pappmaché ausfüllten. Diese Umrisse werden wir aus Pappe mehrfach ausschneiden, sie einweichen und in verschiedene Stellen der Kraftfeldform pressen. Wir befinden uns auf einer Expedition in eine Landschaft deren Sinn und Form wir entdecken wollen.