Die Zeit pendelt

„Verschärfte Wettbewerbsbedingungen – Heidi Hoh“, das ist ein Hörspiel von René Pollesch. Ich hörte es gestern und fragte mich, wie ich diese kompositorische Kraft des Textes und der Regie für meine Arbeit umwandeln kann. Die unterschiedlichen Mittel krachen aufeinander, die banalen Sinnzusammenhänge werden in einer Weise verkettet, verflochten und rapportiert, dass sich der Raum dahinter öffnet.

Die erste Malerei von heute ist Farbe, Abdrücke vom Handballen und Lavagestein mit einer zitternden Pinselspur, die an den Umrissen der Abdrücke entlang krabbelt. Im Zentrum befindet sich ein etwas verwischtes Blau, das verdünnt und gestempelt in den anderen Formaten wieder erscheint.

Auf Rolle 11 pendelt die Zeit hin und her. Am 27.2. rückwärts, am 28.2. vorwärts, wodurch die Verdichtungen wachsen. Sie verstecken eher, was erscheinen kann: Konstruktionen, Figuren oder Inseln in einem schwarzen Tuschemeer, deren Formationen Geschichten beherbergen.

Pollesch

Auf dem Bildschirm meines Telefons erschien gestern die Nachricht, dass Renè Pollesch gestorben ist. Die Abende seiner Anfangszeit besuchten wir in Oggersheim, dann kam er zu uns nach Heidelberg, wo er im Studio arbeitete und dann sah man seine Inszenierungen der eigenen Texte bald an großen Häusern. Für mich war er immer einer von den Jungen. Umso trauriger, dass er so früh starb. Mir geht durch den Kopf, dass es für mich richtig war, das Theater zu verlassen. Mit meinen Bildern traue ich mir eher zu, eine gewisse Tiefe zu vermessen, denn ich habe kein Publikum, von dem ich abhängig bin. Ein Team aber, wäre manchmal gut.

Getrost konnte ich mich gestern der Verdichtung der Tabostrukturen widmen. Ihr Echo wurde mit einer größeren Wellenlänge zurückgeworfen. Durch die Überlagerungen der unterschiedlichen Rhythmen, in denen sich die Sequenzen rückwärts wiederholen, nimmt das Tempo der Verdunklung zu. Die Linien werden von Umdrehung zu Umdrehung dichter. Heute werfe ich dieses Material wieder nach vorn in die Richtung des vorgeblichen Zeitkontinuums, vom Verlauf der Rolle vorgegeben.

Mit den drei Morgenmalereien habe ich heute gekämpft. Sie dauerten lange und zeichnen sich nicht gerade durch Reduktion aus. Ab und zu muss ich durch ein solch barockes Gewusel durch, um mehr Klärung zu bekommen.

Disharmonie

9 Wiederholungen des „Taborapports“ reihte ich gestern auf dem Streifen der Rolle 11 an den vorausgegangenen Zug der Linien. Dann setzte ich mit dem rückrollenden Durchzeichnen das Echo in Gang, das sich pro Umdrehung der größeren Spiralbahn verstärkt. Aus der Beschleunigung der Rücküberlagerungen verdunkelt sich das vorausgegangene Geschehen. Belohnt von stets neuen Verdichtungsfigurationen, kann ich das Zeichnen nur schwer unterbrechen.

Das einzige Mädchen in meiner Schülergruppe, die an jedem Donnerstag mein Atelier belagern, wurde auf dem Weg hierher von zwei anderen Schülern rassistisch beleidigt. Deswegen, oder weil sie das einzige Mädchen war, bleibt sie nun fern und geht in das Projekt von Oliver. Die zwei Jungs wurden ausgeschlossen. Die Frage der Lehrerin, ob das für mich in Ordnung sei, kam mir rhetorisch vor. Schade, dass ich von diesem Vorgang nichts mitbekommen habe!

Wilde Buchmalereien am Morgen. Es ist, als seien sie aus dem Korsett der Wiederverwendung auf Rolle 11 befreit und tobten sich nun gedankenlos aus. Aber da gibt es ja noch die Collagen, und das Aufeinandertreffen von strengen Tabolinien mit den ausschweifend tänzerischen Bewegungen der Gravitationsschwünge, den ruppigen Handliniengesträuchen und der Wasserfarbenfluidenz, ist disharmonisch.

Rotation

Am Wochenende führte ich den Rapport der Tabostruktur weiter. Die 5 Wiederholungen reichen mir aber noch nicht. Für eine Verdichtung, die durch das zurückrollende Durchzeichnen entsteht, benötige ich mehr Linienmaterial. Mit den unterschiedlichen Rhythmen der Überlagerungen füllen sich Zwischenräume. So verdunkelt sich der Raum. Auf anderen Rollen führten solche Arbeitsgänge zur fast völligen Einschwärzung des Transparentpapiers. Aber das kann diesmal nicht das Ziel sein, denn es sollen Felder entstehen, die aus den Lücken zwischen der Tusche stehen bleiben. Diese sind die Bausteine für weitere Figurationen.

Die Gravitation, die sich aus der zeitlichen Entfernung und der Rotation der Zeichnungsvorgänge ergibt, formt meine Regungen, die wiederum die Erscheinungen des Materials beeinflussen. Die Buchmalereien entfernen sich von dem Pfad der in die Gestaltungen auf dem Transparentpapier führt. Sie stehen jetzt wieder für sich alleine. Die Umrisse greifen nicht in das Geschehen auf der Rolle ein.

Die Buchmalereien versuchte ich in den letzten Tagen zu verknappen. Das gelingt mir besser, wenn weniger Emotionen mit ihrer Herstellung verbunden sind. Gestern, am Sonntag ging das gut. Heute bewegte ich mich mehr.

Alter Text

Den Umriss der zweiten Malerei von gestern zeichnete ich, wie geplant, in das Gesträuch der Tabolinien. Diese Verflechtung erfüllte mich mit einer gewissen Euphorie. Auf irgendeine stärkere Reaktion habe ich bei der Begegnung meiner Zeichnungen mit denen der alten Maler gewartet.

Den Bereich der rückwärts laufenden Verdichtungen der Tabolinien übersprang ich dann, um hinter ihrer einfachen Wiedergabe, neu anzusetzen. Das geschieht mit der erneuten einfachen Fortführung der Überlagerungen der Linien, welche zu einem einfachen Rapport führen. Wenn der lang genug in Richtung meiner Handschrift ausgedehnt ist, beginnt die Verdichtung durch Zurückrollen. Durch weiteres Hin- und Herrollen, lassen sich immer neue Zusammenballungen erzeugen. Wenn das die Einschwärzung des Streifens beginnt, nehme ich die wenigen hellen Löcher und schaue, was sie in der Folge ergeben. Dann stellt sich heraus, wie nah ich an die Welt der alten Maler herankommen kann.

Beim Kramen gestern fand ich einen lange verschollenen Text von Susanne zum Kraftfeld, den sie vor vielen Jahren geschrieben hat. Ich erinnere mich daran, dass sie warm eingepackt im alten Holzlager vor dem aufgehängten Fries saß und schrieb. Sehr beeindruckend, wie hellsichtig sich das heute liest. Carola kam, um meine aktuelle Arbeit zu besichtigen. Nachdem wir zu dritt was essen waren gingen wir noch zu einem Wein in unsere Wohnung. Dort erzählte sie sehr beeindruckend von ihren Forschungen zu den Frauen des Ghettos in Lodz.

Schwebend

Die Kräne auf der Baustelle nebenan, fahren im starken Wind rotierende Schalwände durch den Raum. Unten warten die behelmten Bauarbeiter. Die brüllenden Eisenflechter sind schon weiter gezogen.

Auf Rolle 11 wird sich als nächstes der Körper der überlagerten Buchmalereiumrisse in das Gesträuch der Tabolinien schieben. Ein Hirsch, Geweih voran, rennt ungebremst in die Sträucher am Waldsaum.

Wieder war ich während der Buchmalerei mit meinen Gedanken beim Transparentpapier. Die Bilder sind leichter und nicht so dicht wie sonst. Wenn sich beim Malen das Denken einmischt, sind die Formen schon gebändigt. Das Gefühl, aufhören zu müssen, kommt dann eher. Dadurch wir alles übersichtlicher. Die Sparsamkeit der Mittel führt zu größerer Konzentration. Die Formen wirken skulpturaler, schweben im Raum wie die Schalwände an den Seilen der Baukräne.

Unspektakuläres Aufeinandertreffen

Den Umriss der 2. Malerei von gestern nutzte ich auf der Transparentpapierrolle für das Aufeinandertreffen der geraden Linien aus Tabo mit der Mischung aus Schwüngen, schwarzen Flächen und Liniengittern aus der gegenwärtigen Produktion. Sie wird derzeit von den Formen eines durchgeschnittenen Lavasteins dominiert, den ich als Wasserfarbstempel benutze. Die Kammern, die bei der Erstarrung des flüssigen Gesteins entstanden sind, bilden Figürchen mit deutlichen Köpfen, Schultern und amorphen Körpern.

Die Begegnung der unterschiedlichen Strukturen geschah eher unspektakulär. Ich hoffe, dass es ein Potential gibt, dessen Produktivität mich bei der Suche nach meiner Beziehung zu den Tabolinien noch eine Weile mit Energie versorgt. Ich misstraue der Mutwilligkeit, mit der ich mir das Material anverwandle.

Die Malereien von heute folgten verschiedenen Zielrichtungen. Sie entstehen derzeit nicht so besinnungslos, wie in der Zeit davor. Das zweite und das dritte Format sollten sich für die Verwendung auf der Rolle eignen. Das erste hingegen ist ganz frei von diesen Gedanken und hat auch eine andere Qualität.

Begegnung

Auf der Transparentpapierrolle kommt es heute zur ersten Begegnung der Tabolinien mit den Umrissen der Buchmalereien. Sie haben sich nun auf dem Streifen so weit vorgeschoben, dass sie die ersten durchscheinenden Strichgeflechte erreichen, die ich am 7.2. und 8.2. in etwa 5 Meter Entfernung auf die Rolle (in die Zukunft) zeichnete. Eine Parallelität ergibt sich daraus, dass die Maler, die die Räume des buddhistischen Klosters vor 1000 Jahren ausgestaltet haben, auch von der Buchmalerei her kamen.

Ich bemerkte bei der Arbeit auf Rolle 11, dass sich große Umrisse mit kleineren geschlossenen Binnenformen, wie auf der 1. und 2. Malerei von gestern, gut für die kommende Überlagerung der Strukturen eigenen. Ich kann dann jeweils, mit den durchscheinenden, sehr unterschiedlichen Linien aus beiden Richtungen des aufgerollten Transparentpapierstreifens, die verschiedenen Felder füllen.

Die Interpretation der Linienkompositionen als schamanistische Gestaltungen, die aus visuellen Erlebnissen meditierender Mönche während des Übergangs in eine andere Welt herrühren, verändert meine Suche nach ihren Auswirkungen auf mich und meine Arbeit. Zunächst hat mich das eher von ihnen entfernt.

Was gelang, was nicht?

An jedem Vormittag steht am Ende der Buchmalereien die Frage: „Was gelang, was gelang nicht?“. Und dann ist die Versuchung, der ich oft widerstehe, groß, weiter zu machen. Freilich gibt es manchmal noch wenige Striche mit der Tinte meines Schreibgerätes, um ein paar Konturen noch einmal hervorzuheben.

Die Wahrnehmung von Material hat sich in den letzten Tagen gesteigert. Dazu gehören auch Ideen und die Nähe zur Musik, die ich ebenfalls als einen Stoff empfinde, den ich für die Beeinflussung meiner Arbeit einsetzen kann. Während ich mich auf die leisen Gesänge von Glenn Gould, mit denen er sein Klavierspiel begleitete, konzentrierte, kamen mir Pappmachefigürchen in den Sinn, die an den Verbindungspunkten der Dreiecksgitterkonstruktionen sitzen. Aber mehr noch würde mich interessieren, Musik direkt in Farben und Strukturen zu übersetzen. Das ist aber ein Thema, das ich nicht nebenbei bearbeiten kann.

Auf einem kleinen digitalen Bildbetrachter laufen gerade Buchmalereien und Collagen des vergangenen Jahres. Beim Hinschauen stelle ich fest, dass ich mich schon intensiv mit den Tabolinien befasst hatte. Diese Ergebnisse könnte ich nun auf Rolle 11 weiterentwickeln. Es gibt viele Erkenntnisse, die wieder im Dunkel verschwinden. So lohnt es sich also, ab und zu zurück zu schauen.

Übergang

Einer Nachbarin, von der ich im Atelier besucht worden bin, zeigte ich, weil wir über buddhistische Praktiken sprachen, meine Tabolinien. B. hat in Schönböken einer Freundin davon erzählt, die meinte, dass es öfter solche schamanistische Zeichen des Übergangs gäbe. Ein interessanter Gedanke, von dem ich aber befürchte, dass er mein Einlassen auf diese Welt etwas einengen könnte. Im Vorraum der Versammlungshalle der Mönche, befinden sich gemalte Frauenfiguren, die auf eine ältere matrilineare Gesellschaft hindeuten. Im Durchgang zum Gebetsraum, in dem sich die Linien befinden, passiert man eine Grenze, was mich an die Arbeit „Der Riss ist die Passage“ aus den Neunzigerjahren erinnert.

Der Sonntag war trödelig und lang. Ich machte zwar ein vollständiges Arbeitstagebuch, pausierte aber mit Rolle 11. Ich muss wieder etwas warten, bis es damit konzentriert weitergehen kann. Aber dadurch staut sich Energie an.

Mittlerweile treffen in den Buchmalereien viele Arbeitsweisen aufeinander. Somit ballen sich in den kleinen Formaten so viele Strukturen zusammen, dass ich den Eindruck habe, sie strebten voneinander weg, um einzeln erscheinen zu können. Manchmal reduziere ich die Mittel, wie am 17.02.. Dann erscheinen die Handlungen übersichtlicher und ruhiger. Auch am 16.02. war mehr Harmonie als sonst vorhanden. Heute erschien eine ruppige Körperlichkeit auf dem Papier, die mehr wollte.

Sog

Mit meinem Bruder spazierte ich gestern durch einen schlammigen Wald bei Haina. In einer Ruine besichtigten wir kyrillische Gravuren im Putz. Jemand aus Omsk war dort stationiert. Wir befanden uns auf einem ehemaligen Übungsgelände der Roten Armee.

Ich denke darüber nach, wie ich mich von dem Arbeitssog etwas entfernen kann. Von einer inneren Verpflichtung zur Leistungsbereitschaft getrieben, beschleunigt sich das Arbeiten. Davon zeugen die zigtausend Buchmalereien und die 500 Meter gezeichneter Transparentpapierrollen. Wie auf einer Wanderung durch eine unbekannte Landschaft, gehe ich von einem Aussichtspunkt zum nächsten, nur um zu schauen was dann dahinter kommt. So laufe ich dem Ende meiner Zeit entgegen, fülle mein Totenbuch mit der Reihe von Seelenzuständen und Szenen.

Die Struktur von Rolle 11 ist bisher zu spannungslos. Die Aneinanderreihung von Umrissen aus den Buchmalereien gerät zu einem gleichförmigen Zug. Da muss etwas geschehen!

Annäherung

Sehr langsam entstanden heute die Malereien. Ein glatt durchgeschnittener Lavastein diente mir als Farbstempel und als Gewicht, um die Haarlocken auf dem Papier in den Farbpfützen zu fixieren. Mit Aquarellstiften, Tinte und Tusche verstärkte ich Konturen, d.h. Umrisse und Haarlinien im Binnenbereich der Farbflecken. Daraus entstehen oft Figuren, die auf das abstrakte Spiel in ihrer Umgebung schauen, als erwarteten sie von dort Gesellschaft.

Die zweite Buchmalerei von gestern nutzte ich für die Weiterarbeit an Rolle 11. Die zerklüfteten Inseln boten entsprechend bewegte Umrisslinien. Eine Linienkomposition, die am 9.2. in Erinnerung an die Wandmalereien im Kloster Tabo im Spitital entstanden ist, spielt in den Tuschelinienschichten der Gegenwart eine entscheidende Rolle. Und wenn ich genau hinschaue, dann scheinen schon die Linien, die ich 5 Meter in die Zukunft gezeichnet habe, ganz leicht durch.

Gestern waren für zwei Stunden meine Schüler da. Sie haben so viel Kraft, die sich in Bewegung austoben will, dass ich manchmal Mühe habe, sie zu bändigen. Auf der Wiese haben wir trockenes Material abgeschnitten und für die Feuertonne zerkleinert. Danach erst haben sie an ihren Reliefobjekten weitergearbeitet.

Erster Impuls

Mit dem handschriftlichen Tagebuch beginne ich einen Umriss in der ersten Buchmalerei mit Tinte nachzuziehen. Der erste Impuls aber war am Morgen die Schraffur, die aus Brustkorb und Schulter auf das Papier übertragen wurde. Diese Struktur setzte ich per Handballenabdruck in die zweite Malerei, verdichtete sie dort und schwächte sie wieder mit Wasser und dem Handballen ab und übertrug sie nach 1.

Vor mir auf dem Tische stehen die zwei Zylinder, zwischen denen sich der Transparentpapierstreifen aufspannt, etwa 35 cm, den ich gestern mit Tusche und Rohrfeder auf Rolle 11 zeichnete. Er besteht aus 3 Umrissen, die ich aus der 2. Buchmalerei vom 12.2. extrahierte, auf einen Bogen zeichnete, um sie dann in den Streifen einzugliedern. Er funktioniert wie ein Totenbuch. Seine Liniengesträuche zeichnen die Emotionen auf, die in den langen Konzentrationsphasen in mir sind.

Für mich vermischte sich heute die Malerei deutlich mit den Goldbergvariationen von 1981 durch Glenn Gould eingespielt. Die erste Variation nach „Aria“, mit der Bezeichnung „1a1“, schlägt nach dem ruhigen Gang des ersten Stücks, brutal zu. Ich würde mich an dieser Stelle jedes Mal erschrecken, kennte ich das alles mittlerweile nicht schon ziemlich genau.

Einstieg

Mit den Buchmalereien habe ich die Möglichkeit meinen Einstieg in den Tag mit dem eigenen Tempo zu gestalten. Ich vergesse die Schwere des Schlafs, des Körpers und des Geistes. Die Transparentpapierrolle, die mich an den gestrigen Nachmittag erinnern würde, verschwindet neben mir aus meinem Gesichtskreis. In ihm befinden sich nur die zwei Seiten, auf die ich die drei Malereien mache, die auseinander entstehen und somit Verwandte sind.

Rolle 11 ist gestern um 45 Zentimeter weiter gezeichnet worden, wieder näher an die Tabostrukturen heran. Aus der auffälligen dritten Malerei vom 9.2. extrahierte ich Umrisse und übertrug sie auf das Transparentpapier. Der Zug der Liniengesträuche, auf die ich zuarbeite ist deutlich zu spüren.

Morgen kommen die Schüler. Das stört meine Konzentration und durchmischt meine Gedanken. Manchmal möchte ich, dass sie ihrem Lärm eine bildliche Gestalt geben. Gern würde ich sie auch auf Dreieckgitterobjekte orientieren, die mit Relieffragmenten verbunden sind.

Nahe und entfernte Struktur

Nach den Buchmalereien saß ich etwas in der Morgensonne, will aber den Tagebuchblock am Vormittag fertig bekommen, um mich dann auf andere Dinge konzentrieren zu können. Beispielsweise auf die Fortführung der Arbeit an Rolle 11. Dort habe ich gestern die Umrisse der 3. Malerei des 8.2. hinter die Figurenreihe gesetzt, mit der ich diesen Transparentpapierstreifen begann.

Aber ich möchte variantenreicher fortfahren, andere Umrissformen finden als die Figurenanmutungen. Mit einem weißen Bogen Papier, den ich zwischen die zusammengerollten Schichten legte, reduzierte ich das dichte Angebot von sich überlagernden Linien. Innerhalb der Umrisse kommt es deswegen zu Lücken der Struktur, was dem Gesamtbild gut tut.

Die Buchmalereien von heute folgen wieder den seismischen Linien, die aus dem Inneren über den Bewegungsapparat und die Aquarellstifte auf das Papier übertragen werden. Die kreisenden Papiergravuren und Haarlockenabdrücke, verweisen auf die wechselnde Statik der emotionalen Tektonik. So gehe ich mit langsamen Schritten auf die Tabolinienstruktur zu, die sich in vielleicht 3,5 Meter Entfernung befindet.

Gewalt

Der Rückzug in das Atelier rettet mich vor den Zumutungen der Außenwelt. Das Gebrüll der Leute, die nur noch mit den Informationen versorgt werden, die in ihr Weltbild passen, dessen Lautstärke die anderen Meinungen übertönt. Gewalt, wo man hinschaut!

In meinen Buchmalereien blüht mein Fühlen aus, die Aquarellstiftschraffuren treffen auf die sich kreuzenden Linien der Handballenabdrücke und verstärken sie. Die rechte Schulter und der dazugehörige Arm nehmen die Schwingungen des Brustkorbs auf, die Hand hält nur den Stift fest, der die Bewegung sichtbar macht. Farbbezeichnungen blitzen kurz auf, sichtbare Strukturen kommen im Denken nicht vor, sie entstehen vorher auf dem Papier. Nur das Wort „Schluss“ schlägt plötzlich zu. Es ist das wichtigste merkbare Zeichen, das direkt aus dem Hirn kommt.

Wir sahen eine Komödie auf der großen Bühne unseres Schauspiels. Wolfram Koch, eine zum Schreien komische Rampensau, in der Hauptrolle – schrecklicher Beruf! Wir trafen alte Freunde, unsere Kulturdezernentin und das Premierenpublikum, das immer da ist. Eine schöne Gewohnheit!

Zeichnungserinnerungen

Meine Sensorik schärft sich etwas und ich spüren Materialien anders als sonst, habe viel Lust auf handwerkliches Arbeiten, auf das Zeichnen, das auf die Entdeckung der Dimensionen der tiefen Räume der Erinnerungen ausgerichtet ist: Zeichnungserinnerung.

Parallel dazu entdecke ich neue Bereiche der elektronischen Musik. Sie unterstützt mich, bei zunehmender Empfindsamkeit mehr Tempo aufzunehmen. All das hängt auch mit der Beschäftigung mit den Tabostrukturen zusammen. Die Gravitation scheint sich aus der Kreisbewegung der Rolle 11 zu entwickeln und nicht umgekehrt. So entsteht das Gewicht der gestapelten Tuschezeichnungen. Wegen verschiedener Termine komme ich nun insgesamt drei Tage nicht dazu, an der Rolle weiter zu arbeiten. Das Material staut sich auf, bevor ich am Montag weitermachen kann.

Die Buchmalereien sind heute von den Emotionen mitgerissen worden und haben ihren Rahmen etwas gesprengt. Die zurückgehaltene Energie will raus. Aber heute gibt es eine Premiere im Schauspiel, morgen noch einmal Theater und ein Treffen mit Freunden…

Mehrdimensional

Beim Treffen im Anna-Freud-Institut stellte ich eher Fragen in den Raum, als über meine Arbeit zu berichten. Es wurde vehement geantwortet, so dass ich nur kurz zu Wort kam. Aber die Diskussionen, die sich entwickelten, haben mir gefallen.

Bei der Verdichtung der Tabostruktur begegnete mir ein bedrohliches Bild. Die Verdichtung des Gesträuchs durch zeichnerische Schichtungen, entwickelt eine mehrdimensionale Gravitationen. Die vielen kleinen Räume zwischen den hintereinander gestaffelten Linien, ziehen den Blick in die Tiefe. Der Wirbel des aufgerollten Transparentpapierstreifens verschlingt rotierend alle Bilder. An seinen Wänden befinden sich die Untiefen der Tuschelinienschichten. Das ist der mehrdimensionale Experimentalaufbau, der die Denkmodelle der Maler, die vor tausend Jahren die Wand eines Durchgangs zu einem Gebetsraum mit abstrakten Strukturen füllten, aufdecken soll.

Es wäre schön, wenn ich ihnen meine Experimente zurücksenden könnte, damit ihnen aufgeht, was sie bei mir ausgelöst haben. Langsam beginnt sich diese Arbeitsrichtung deutlich auf die Buchmalereien auszuwirken.

Aufeinandertreffen unterschiedlicher Zeitkontinuen

Durch den Ausfall der Heizung musste ich vorübergehend den Rhythmus meiner Arbeit variieren. Und was das Zusammenspiel meiner persönlichen Arbeit mit dem Projekt YOU&EYE angeht, so kam es zu einer Unterbrechung. Entfernt vom Chaos des Ateliers, versuche ich die Situation zu Hause produktiv zu halten.

Gestern arbeitete ich auf Rolle 11 aus zwei Richtungen auf einen Punkt zu, an dem sich die zwei verschiedenen Zeitkontinuen begegnen „werden“. Während ich die Tabostruktur noch zwei mal von rechts nach links wiederholte, achtete ich auf die Erzählungen in den Zwischenräumen, in denen sich weitere gemeinsame Dimensionen öffnen können.

Aber auch in dem Bereich, der die Gegenwart markiert, fuhr ich mit dem Wachstum des Buchmalereigesträuches fort. Dabei komme ich nicht umhin auf spannungsvolle Verläufe von Rhythmen der Flächen, der Leere und der Tuschelinien zu achten. Indem ich dieses Material auf die Begegnung mit der schriftartigen Tabolinien-Verdichtung vorbereite, präpariere ich meine Bilder, indem ich sie durchlässig und aufnahmebereit für das halte, was ihnen nun entgegenkommt. Die zu erwartende Schwierigkeit dieses Aufeinandertreffens wird derzeit in den Collagen deutlich.

AUFEINANDER ZULAUFENDE BEWEGUNGEN

Den Umriss der ersten Malerei vom 5.2. übertrug ich in den zeitlich kontinuierlichen Ablauf von Rolle 11. Das wirkt dort wegen der ähnlichen Größen der Figuren und ihren ähnlichen Abständen, etwas eintönig. Entweder suche ich mir spannungsreichere Kompositionen aus, oder ich fertige die zeitkontinuierlich ausfüllenden Durchzeichnungen nicht gleichmäßig aus. Um das zu erreichen, kann ich die vorigen Schichten mit weißen Papierbögen abdecken oder nur selektiv durchzeichnen. Aber geht es bei dieser Arbeit überhaupt noch um spannungsvolle Kompositionen?

Im Atelier kann ich wegen der defekten Heizung derzeit nicht arbeiten. Aber hier zu Hause kann ich sowohl das Arbeitstagebuch schreiben, als auch an Rolle 11 arbeiten. Beide fortlaufenden Zeichnungsstränge laufen aufeinander zu. Bei der zeitrückläufigen, schriftartigen Überlagerung der Tabolinien kommt es vielleicht nicht so sehr auf ihre Begegnung mit den Buchmalereistrukturen an, sondern darauf, diese Verdichtung weiter zu verfolgen, bis sie aus sich heraus spricht. Beide Linien kann ich verfolgen und dabei schauen, wo ich entscheidend weiterkomme.

In den Collagen stoßen sich diese unterschiedlichen „Aggregatzustände“ eher ab. Die kristallinen Verdichtungen der alten, geraden Linien und die aquarellartigen Erscheinungsbilder der Malereien aus den Tagebüchern, verbinden sich bisher nur schwer zu einem weiterführenden Klang.

Annäherung an das „Tabo-Echo“

Ich schreibe schon wieder zu Hause, weil die Heizung im Atelier seit Tagen nicht funktioniert. Ungehalten über diese Art der Missachtung, versuche ich dennoch die regelmäßige Ruhe, aus der die Entwicklung der Bilder resultiert, nicht zu unterbrechen.

Gestern beschäftigte ich mich hier zu Hause mit den tausend Jahre alten Linien aus Tabo, die ich in die Zukunft des Zeitstreifens von Rolle 11 gesetzt habe. Das Echo, das ich zeichnerisch rückwärts in Richtung Gegenwart aussende, Bestand zunächst aus einer einfachen Überlagerung von 2 Linienschichten, die ich 4 x mit dem Durchzeichnen im Rückwärtsrollen wiederholte. Dann wickelte ich die Rolle vorwärts, mit dem viel kleineren Anfangsradius zusammen und zeichnete die Struktur nach vorne durch, wodurch sie sich entscheidend verdichtete. Durch die engeren Intervalle wird der rhythmische Fluss verstärkt. Die konsequente Fortführung dieses Arbeitsganges, führt zur Verdunklung des Gesamteindrucks.

Während dessen bewegt sich der Figurenreigen der Buchmalereiumrisse auf der Rolle vorwärts und trifft somit demnächst auf die verdichteten, dunklen, schriftartigen, quadratischen Felder des „Tabo-Echos“. Diese werden dann von den Umrissen eingegrenzt, mithin fragmentiert, durch weiteres Hin- und Herrollen und Durchzeichnen verändert. All das geschieht mit dem Wunsch einer Annäherung an die alten Maler.

Space // Heads

Sigi Am Thor und Oliver Tüchsen arbeiten gemeinsam in einem Atelier. Gestern sahen wir sie bei ihrer Ausstellungseröffnung „Space // Heads“ im Haus der Stadtgeschichte in Offenbach. Dort zeigen sich zwei sehr verschiedene Charaktere. Olivers Arbeiten erscheinen aggressiver und gefährlicher. Seine tiefen Perspektiven möchte ich oft nicht betreten. Bei Sigi ist das anders. Ihre abstrakten Portraits laden zum gemeinsamen Erfinden der Geschichten hinter den Maskierungen ein. Die Einladung zu dieser Veranstaltung ging auch an alle teilnehmenden Künstler der Projekte YOU&EYE, aber ich war als einziger gekommen.

Heute schrieb ich zu Hause, weil ich mich vor dem kalten Atelier fürchtete, dessen Heizung nun schon seit 4 Tagen nicht läuft. Dabei habe ich mit Rolle 11 einiges vor und am Donnerstag kommen die Schüler wieder… Ich erinnere mich mit Grausen an den Oktober und den November, als ich im Atelier auch so fror.

Jetzt hier im Atelier bewege ich mich hin und her, steige auf die Leitern, um die Pflanzen zu gießen und halte mich auf alle erdenkliche Weise warm. Aber an konzentriertes Arbeiten ist kaum zu denken. Immerhin sind die Buchmalereien, die ich am Morgen in der Wohnung gemacht habe kraftvoll und auch auf Rolle 11 weiter verwendbar.

Tabostrukturen

Gestern Abend, während ich mit zunehmender Routine an Rolle 11 weiter arbeitete, wuchs das Bedürfnis, die zeichnerischen Vorgänge zu ändern. Auf dem Heimweg dachte ich mir, dass die Tabostrukturen, die ich 5 Meter in die Zukunft gesetzt habe, nun schon bald eine Rolle spielen sollten. Deswegen möchte ich nun im Rückrollen weiter durchzeichnen und dabei das Rückzeichnen beschleunigen. Um schneller in der Gegenwart anzukommen.

Mir gingen auch andere fragmentarische Figuren aus dem Skizzenbuch, das ich mit im Spitital hatte, für ihr Erscheinen auf der Rolle durch den Kopf. So beschäftigt mich die Begegnung mit dem Rinpoche Serkong Tsenshab im vergangenen Jahr in Tabo weiter. Die Annäherung an die Maler, die vor 1000 Jahren das Kloster ausgestalteten, geht nun durch das Aufholen der voraus gezeichneten Linien weiter.

Gestern geschah das mit den Umrissen der 2. und 3. Buchmalerei. Die Routine verlangte, dass ich die entstandenen Inseln mit dem Vorausgegangenen Material füllte. Nun soll das Ganze aber umgedreht werden, um die Echos aus der Zukunft einzufangen und die Umrisse damit zu füllen.

Fröhlicher Lärm

Fröhlich arbeiteten meine Schüler gestern an ihren seriellen Objekten, flechteten weitere Ringe in den Weidenbaum im Gärtchen und grundierten die ausgeformten Pappmachemasken, die sie später bemalen werden. Es geht laut zu, wenn sie da sind, und es scheint so, dass ihr Lärm noch eine Weile anhält, wenn sie schon gegangen sind.

Nach einer Stunde Rückbau in meinem Atelier, begann ich dann den zweiten Buchmalereiumriss von gestern, auf Rolle 11 zu übertragen. Dort entstehen daraus Landkarten mit fremden Meridianen, deren Inseln mit fortschreitender Arbeit eine zerklüftete Oberfläche bekommen. Die Freiheit, die Umrisse bei ihrer Übertragung auf Transparentpapier etwas umzudeuten, führt dort zu den Szenen, die aus den Buchmalereien fortgeschrieben werden. Mit sechs Trassen wird Madagaskar an die Seite von Spanien geschleppt, das seitenverkehrt erscheint. Grönland nähert sich dem großbritannischem Blob. Viele Geschichten werden in den Geländen bereitgehalten.

Die, in den letzten Tagen gewonnenen, Stilerkenntnisse wollte ich in den heutigen Buchmalereien fortführen. Das geschieht mit Blick auf Rolle 10. In dieser Weise beginnt die Produktion wieder an die Arbeit des vergangenen Jahres anzuknüpfen, es fängt an, wieder rund zu laufen.

Haut und Haar

Die letzte Erzählung aus dem Band „Das Lachen der Götter“ von Aleš Šteger mit dem Titel „Ikarus“, erweiterte meine Vorstellungen von den Zeitwahrnehmungen. In der 3. Malerei von heute gibt es Entsprechungen dafür. Die Recyclingwirtschaft des Geistes lässt die Bilderfragmente wie schmerzenden Abfall umherirren. Der Sturz ins Meer ist nach dem ewigen Kreisen wie eine Erlösung. Mit dem Zusammenklang von Haut und Haar und Bewegung komme ich diesen Empfindungen näher.

Auf meinem Gang ins Atelier traf ich meine Schüler, die mich freundlich grüßten: „Bis nachher!“ Und der Fischlieferant des Supermarktes, der aus seinem Auto sprang, teilte mir auf Anfrage lächelnd mit, dass er Lachs dabei hat… Die „Goldbergvariationen“, 1981 von Glenn Gould eingespielt, müssen heute dafür herhalten, mich geradewegs in eine produktive Konzentration zu führen.

Mit der Reduktion der ersten beiden Malereien des Morgens, möchte ich klarere Aussagen machen. Nicht inhaltlicher sondern nur formaler Art. An den Grenzen der Farbflecken enden auch die Spuren der Haarbögen. Das Auge hüpft von Insel zu Insel und verfolgt die verschwundenen Linien.