Dreidimensionalität

Konstruktives Geplänkel wird in den Buchmalereien von Wischwolken aufgelöst. Das wiederholt sich gleich mehrmals an derselben Stelle. Zuvor sicherte ich aber die Konstruktion per Abdruck an eine andere Stelle der drei heutigen Formate mit meinem feuchten Handballen. Dort arbeitete ich mit den Linien weiter, änderte Farben und Längen… und versuchte nicht daran zu denken, dass ich das Material in den Collagen wieder aufnehme. Dort spielt die Verdichtung von Rolle 11 eine zunehmende Rolle.

Von den hohen Regalen angelte ich ein paar alte Dreiecksgitterkonstruktionen herunter, um am ihnen weiter zu arbeiten. Das ergänzt die Beschäftigung mit den Tabolinien, die ich auf diese Weise in eine Dreidimensionalität bringen kann. Meine Hoffnung ist, dass dies die kontinuierliche Tuschelinien-Verdichtung auf dem Transparentpapier verändert oder zumindest einen Einfluss nimmt.

Mit einem großen Hohleisen arbeitete ich mich weiter in die Höhlung des Pappelstammes, in den „Müttermantel“ hinein. Meine Schleifmaschine für die Holzwerkzeuge funktioniert nicht mehr so richtig. Deshalb bat ich Roland, den Holzbildhauer, um einen seiner Schleifböcke.

Rückrollen der Spiegelung

Den „Klarnamen“ meines IM „Lutz Lange“ kann ich bei der Stasiunterlagenbehörde bestätigen lassen. Die Stasi-DADA Arbeit rückt mir näher, als mir lieb ist. Dadurch verbindet sie sich mit der „Tabosequenz“. Das kann ich kaum verhindern, wenn ich das, was mich beschäftigt direkt in meine Arbeit einfließen lassen will. Die Schreibmaschinenprotokolle der Tonbandberichte des IM sind dem Text meines Interviewausschnittes in der Publikation des Humboldt Forums sprachlich-strukturell ähnlich. Während der Entwicklung meines „Geheimalphabets“ aus den Typoskripten, traten Linienstrukturen auf, die denen aus Tabo ähnelten. All das spielt zusammen, wenn es um meine Spiegelungen der Zeit geht.

Die offensichtlich schamanistischen Zeichen, die im Durchgang vom Vorraum in den Versammlungssaal des Klosterns Tabo sichtbar sind, spielen in dem Buch von Peter van Ham über die Anlage, keine Rolle. Der Durchgang mit seinen vorgelagerten plastischen Figuren aber schon.

Gestern fuhr ich mit den Verdichtungen auf Rolle 11 fort. Es tritt eine Intensität zutage, die auf eine neue Qualität zuläuft. Vor ein paar Tagen hatte ich den Mut schon sinken lassen und wollte diese Arbeitsphase beenden. Jetzt bin ich froh, dass ich das Rückrollen der Spiegelung fortführe. Bevor ich mich entscheide, wieder andere Elemente von außen hinzu zu nehmen, werde ich das noch weiterführen und schauen, was passiert.

Trennung der Schichten

Über Stasi DADA hinaus denken, heißt zunächst zwei Schritte zurücktreten, um die Schichten klar zu trennen, die sich derzeit stapeln. Wenn ich meinen IM und Mentor in der Öffentlichkeit mit seinem Namen nenne, sollte ich ihn offiziell als ehemaligen Mitarbeiter der Stasi bestätigt bekommen haben. Der Gedanke, erst dann mit dieser Arbeit fertig zu sein, drängt sich auf. Dazu kommt die Schicht der Kraftfeldfragmente, die die Form der Vergoldungsfelder auf dem Porzellanrelief im Humboldt Forum angenommen haben und Tonbandprotokollfragmente aufweisen.

Was wäre aber, wenn ich diesen ganzen Komplex mit dem Versuch der Zeitspiegelung in der Tabosequenz verbinde. Die Rückschau und Konstruktion der Vergangenheit während des Zurückwanderns in die Zeit, kann die unterschiedlichsten Erinnerungssplitter zusammenfügen. Die Erkundung des Weges 50 Jahre zurück, kann mir den Blick 1000 Jahre in die Vergangenheit begleiten oder erst konkreter werden lassen. Diese Parallelität kann ich mir innerhalb des künstlerischen Prozesses leisten.

Nicht zu vernachlässigen sind die Buchmalereien in diesem Zusammenhang. Flüchtig gewischte und geprägte Farbmuster mischen sich derzeit mit konstruktiven Elementen, die auch an die abstrakten Tabolinien erinnern. Sie kommen in den Collagen als ausgeschnittene Formen besonders zur Geltung.

Stasi DADA , kein Ende

Wir sahen zwei Stücke im Schauspiel Frankfurt, „Die Ehre der Katharina Blum“ und „Don Carlos“. Letzteres war ein sehr gelungener Abend auf der großen Hauptbühne mit einem großartigen Ensemble. Sara Grunert, die eine der Hauptrollen spielte, erkenne ich oft wegen ihrer Wandlungsfähigkeit nicht gleich. Gestern hatte ich das Gefühl, dass sie ihren Laserblick minutenlang, an der Seitenbühne sitzend, auf meine Augen gerichtet hatte. Wie machen das die Leute nur!

Die Gelassenheit der Glockengießer, die ich vorgestern erleben durfte, will ich mir zum Vorbild für meinen Alttag nehmen. Das probierte ich am Morgen beim Frühstück machen und versuche es auch jetzt während der Arbeit.

Die Tatsache, dass der Zusammenhang meiner Arbeit über die Stasitätigkeit meines Mentors und IM mit dem Wandrelief aus Porzellan im Humboldt Forum nicht explizit hervorgehoben wird, sein Name nicht genannt wird, ist Anlass neuer Überlegungen meinerseits. Die Frage des Umgangs mit dem Unrecht der SED-Diktatur in der Ausstellung zum Palast der Republik, an der ich dort teilnehme, möchte ich noch einmal genauer beleuchten. Gegebenenfalls ist die Beschäftigung mit diesem Thema doch noch nicht vorüber.

Glockenguss

Seit dem Jahr 1590 ist die Werkstatt, in der wir gestern einem Glockenguss beiwohnten, im Besitz der Familie Rincker. In einem Arbeitsgang wurden 3 Glocken gleichzeitig aus einer Charge Bronze gegossen. Um die Todesstunde Christi finden freitags seit 500 Jahren dieselben Arbeitsgänge in einer festgelegten Choreografie statt. Eine halbe Stunde vor dem Guss wurden die Zinnbarren von den Männern in einer fließenden Kreisformation mit den Händen in den Schmelzkessel geworfen, der mit einer ungeheuer lauten Flamme beheizt wurde. Es herrschte heiliger, unaufgeregter und routinierter Ernst.

Dann wurde das dünnflüssige Metall in die Kanäle, die zu den drei Formen führten, gegossen und einen Moment aufgestaut. Erst als die Schlacke obenauf schwamm, wurde eine um die andere Barriere entfernt, um eine Form nach der anderen aufzufüllen. Die Entlüftungskanäle spieen grün brennendes, fauchendes Gas. In der staubigen Werkstatt verlor die große Hitze ihren Maßstab.

Der Besitzer, der gleichzeitig die Arbeitsgänge taktete, erzählte emotional, was gerade passierte, welche Zeichen die guten Zeichen sind, das der Guss gelungen ist. Eine Woche lang müssen die Glocken nun abkühlen und werden dann langsam ausgegraben. Danach werden sie aufeinander abgestimmt. Eine schon fertige hing am Kran und wurde erstmalig angeschlagen. Später brachte ich sie mit meinem Knöchel zu leisem singen, ein ziemlich innerlicher Vorgang. Zwei Tropfen des Metalls, die daneben gespritzt waren, schenkte uns Herr Rincker zum Andenken – ein Herz und einen Pottwal.

Müttermantel I Teves I Glocke

Zugunsten einer ernsthafteren Weiterarbeit am Pappelstamm, der der „Müttermantel“ werden soll, blieb Rolle 11 gestern unberührt. Aber ich kann mit dem schweren Holzklüpfel und dem großen Hohleisen nicht gleich mehrere Stunden am Stück arbeiten, sondern mich langsam wieder daran gewöhnen, wie damals, als ich den Einbaum für den „Handprint Frankfurt“ gemacht habe. Es ist ein langer Weg.

Auf Einladung von Klaus Sudhof traf sich gestern die Tevesrunde. Wir beschlossen eine Arbeitsgruppe einzuberufen, die ein Konzept für die Weiterarbeit auf dem Gelände über das Jahr 2030 hinaus erstellen soll. Ich habe schon viele Jahre immer mal wieder darüber nachgedacht und glaube, dass eine Art von Zusammenarbeit zwischen den Akteuren dem Klima hier gut tun würde.

Die Buchmalereien entstanden heute unter etwas Zeitdruck, denn wir sind in den Ort Sinn zu einem Glockenguss eingeladen und machen uns gleich auf die Reise dorthin. Für die evangelische Kirche in Dillenburg ist dafür eine Form in die Erde versenkt worden, die nun mit flüssiger Bronze gefüllt werden soll.

Ausbruch

Auf der Transparentpapierrolle Nummer 11 befinde ich mich auf dem Weg, hin zum Ende einer Sackgasse. Die Frage ist, ob ich vorher wende, oder bis zu dem Punkt vordringe, an dem es nicht weitergeht…

In dem Moment, in dem die durchsichtigen, geklappten Wände in den Buchmalereien auftauchen, beginnen wieder die Bühnenerzählungen. Ausstattungsteile, Requisiten und Effektmaschinen kommen zum Einsatz. Längliche Pinselspuren werden zu Figuren, deren Umrisse die Charaktere beschreiben. Ausgefranste Konturen entstehen durch die Gravitationsschwünge, die die Protagonisten aufbrechen oder einschnüren. Manchmal ordnet sich das Chaos durch Unschärfen oder Verwischungen. Der nasse Handballen klärt die Situation auf der Tagebuchseite, indem er Abstand schafft zu den scharfen, verworrenen Linien und Abdrücken.

Das sind die Mittel, mit denen ich der herannahenden Singularität, im Wirbel der Rolle 11, entrinnen kann. Nach der quälenden Langsamkeit, die durch die steigende Geschwindigkeit der Linienverdichtung hervorgerufen wird, nach diesem Stillstand kommt der Ausbruch, die finale Begegnung mit den alten Malern.

Singularität

Im Korbstuhl, der umgeben vom Gartenregal, mit der Lehne an einem der Atelierrolltore in der Sonne steht, schaue ich meiner entstehenden Schrift zu, blicke auf die Spitze der Feder. Manchmal stockt der Tintenfluss oder das Papier der Tagebuchseite wölbt sich, was zu Unregelmäßigkeiten führt. Aber meine Hand ist auch nicht mehr so sicher und geschmeidig.

Das ist auch auf Rolle 11 sichtbar, wo ich die Tuschlinien stetig verdichte und mit den durchscheinenden Gesträuchen die reservierten, hellen Flächen umschließe. Im rückwärts rollenden Durchzeichnen ergibt sich noch einmal eine Verdunklung. Durch die dreifache Wendung des Materials ( Spiegelung, Wiederholung und Rückwärtsrollen ), gerät der Zeitstreifen in Verzerrungen und schließlich in einen Stillstand. Diese Schwärze nenne ich jetzt: meine Singularität. Nur durch Impulse von außen komme ich da wieder heraus. Die ist der Ort, an dem die Buchmalereien mit ihren Umrissen wieder ins Spiel kommen.

Die Vietnamesin aus der Spülküche steht mit einer Kaffeetasse auf der Restaurantterrasse und raucht. Ihr Kopf dreht sich langsam der Baustelle zu, wo sich die Kräne drehen und die Bauarbeiter sich zurufen – wie von einem Berg zum anderen. Aus irgendwelchen Lautsprechern erklingen manchmal Balkanschlager. Lautstark wachsen zunächst die Gerüste in den Himmel und dann die Betonwände.

Detektieren

Ein Besuch bei Franz im Atelier am gestrigen Nachmittag. Mir scheint, dass er in einen sehr weiten Raum ruft und auf ein Echo wartet. Aber man braucht eine entsprechende Sensortechnik, um nach längerer Zeit dieses Flüstern zu detektieren. Und am Morgen dachte ich, dass die Leerstellen von unfertigen Bildern die Membran dafür besitzen. Dort kann das, was zurückgeworfen wurde aufscheinen, fragmentiert, verbogen und vervielfältigt.

Auf Rolle 11 gibt es diese Vorgänge. Dort übertrage ich die Lücken, die zwischen den Verdichtungen entstehen und spiegele sie. Dort drinnen erscheinen dann die Schichten der tieferen Zeit, die durch die Spirale des zusammengrollten Transparentpapiers einer Gravitation unterworfen sind, die sie komprimieren. Auch die Schichten von Müll, die ich auf der Zufahrtsstraße auf das Tevesgelände sammle erzählen mir Geschichten: Stahlband von Palettenladungen, Lachgummitüten mit „Nutriscore“, Tampons, Bäckertüten und immer wieder weggeworfene Servietten.

Weil ich die Tagebucharbeit am Vormittag beenden möchte, aber beim Zahnarzt und im Supermarkt war, mussten die Buchmalereien heute schnell gehen. Und in Waltershausen muss wohl erst was richtig Gravierendes passieren, bevor die Leute aufwachen.

Gewalt, Lautstärke und Abfall

In meiner ehemaligen Heimatstadt Waltershausen intensiviert sich die Gewalt der Faschisten, die sich gegen die Mitglieder eines Bündnisses richtet, das sich gegen Rechts gebildet hat. Wenn sie sich einschüchtern lassen, haben die Gewalttäter die Oberhand. Das sollte nicht passieren!

Auf meinem Weg ins Atelier sammele ich, besonders auf dem Grünstreifen der Frankenallee, aber auch auf der Zufahrt zum Tevesgelände, wieder Müll ein. Es geht mir besser damit, nicht dauernd mit den Folgen solchen Verhaltens konfrontiert zu sein, sie aus dem Blickfeld zu räumen. Gewalt, Lautstärke und Abfall scheinen in der Öffentlichkeit zuzunehmen.

Rolle 11 liegt wieder auf dem Zeichentisch. Dort werde ich versuchen, mich weiter in die Vergangenheit vorzutasten. Bin gespannt, was mir auf diesem Weg in den Spiegel begegnet. Alte Einträge in das Arbeitstagebuch fand ich unter GRAB=BLICKSPIEGEL. Dort klingt das Thema schon an. Noch sehe ich davon ab, die Buchmalereien wieder in diesen Prozess einzubinden, obwohl der Wunsch danach größer wird.

Gewimmel

Zwischen den Resten der Holzstapel, die von den Dachtrümmern, die der Sturm durch den Himmel hob, umgeworfen worden sind, entdecke ich Fäden der Pilzgeflechte, die sich im Lauf der Jahre bildeten. Die Schichten aus Laub, Erde und Holzkohle sind der Lebensraum vieler Asseln, Würmer und Insekten. Das Gewimmel freut mich!

Auf dem Weg ins Atelier sammelte ich heute Müll auf und warf ihn in die Papierkörbe, die überall dafür bereit stehen. So bekommt der Grünstreifen der Frankenallee einen anderen Charakter. Man wird nicht andauernd an das asoziale Verhalten der Fastfood – Konsumenten erinnert, die eine Papierserviette nach der anderen vor sich auf den Boden fallen lassen. Zwar bin ich ihren höhnischen Blicken ausgesetzt, Trage so ein Gutmenschenbild vor mir her, bekomme aber auch anerkennendes Lächeln dafür.

Die Malereien fanden heute mit gedämpftem Temperament statt. Ganz langsam überlegte ich, was ich ausprobieren könnte. Spiegelungen die zwischen den anderen Alltäglichkeiten stattfinden, interessieren mich gerade besonders. Auf Rolle 11 machte ich die Spiegelung der Zeit zum Hauptgedanken der Tabosequenz. Dieses Vorgehen folgt der unbefangenen Bemerkung des Rinpoche über mein voriges Leben als Künstler in Tabo.

Spiegelungen

Auf Rolle 10 sollte es möglich sein, die Spiegelung der Zeit zu simulieren. Wenn Teile der Tabosequenz spiegelverkehrt wiederholt werden, setzen sich auf diese Weise die Muster fort, indem sie in die Vergangenheit eintauchen, aber dennoch nach vorne weiter gezeichnet werden. Es ist nur im praktischen Experiment erfahrbar, wie sich auch die Unschärfen dieses Vorgangs auswirken.

Solche entstanden auch heute innerhalb der Buchmalereien, indem ich Steinabdrücke direkt auf Papier solchen gegenüberstellte, die ich erst auf meinen Handballen und dann auf die Buchseite druckte. Es ist der Beginn der, die Zeit spiegelnden, Arbeit. Die Farben haben dabei bislang nur die Aufgabe, die Strukturschichten auseinander zu halten. Der Klang, der entsteht, ist zufällig und unbewusst.

Mit den Schülern will ich heute Masken ausformen und Frottagen mit Formen des Väterprojektes machen. Gestern kaufte ich Material ein und es ist nun genug Transparentpapier für ein ganzes Jahr vorhanden. Unsere Straßenreinigungsaktion habe ich fortgeführt. Die Zufahrt zum Gelände macht jetzt einen freundlichen und einladenden Eindruck.

Parallelen

Stoisch zeichne ich Umdrehung für Umdrehung auf Rolle 11. Die Umrisslinien der Lücken übertrug ich auf einen Extrastreifen Transparentpapier. So versuche ich einem Umschlag in eine andere Qualität zu finden. Die transparenten Schichtungen, die aus der Spiralbewegung der Rolle entstehen, verweisen auf einen architektonischen Raum, der durch die Übereinanderschichtung der Umrisse entsteht.

An der Außenhaut einer solchen Skulptur bilden sich neue Zeichnungen ab, die von den Linien geformt werden, die den Rand der Umrisse berühren. Diese lassen sich wieder auf die Transparentpapierrolle zeichnen und überlagern, wodurch dann, mit den neuen Umrissen, der Raum dieser neuen Dimension entsteht.

Am Nachmittag wollen wir ein Fotobuch über Tabo von der Bibliothek abholen, das Peter van Ham gemacht hat. Dadurch erhoffe ich mir eine Vertiefung der Arbeit an der Tabosequenz. Parallelen ergeben sich aus dem Zusammenspiel der abstrakten Linien der Tuschezeichnungen auf Rolle 11 und den Buchmalereien in den Collagen bei mir und den kleinen gemalten „Buchmalereiszenen“ an den Innenwänden des himalayischen Klosters und dem Strichmuster im Durchgang zum Hauptraum.

Tabosequenz

Der Zusammenhang zwischen Echo, Spiegelbild und Erinnerung hält die Dynamik des kontinuierlichen Durchzeichnens auf Rolle 11 aufrecht. Die Strukturen überlagern sich bis zur Unkenntlichkeit. Zwischen den Verdichtungen befinden sich helle durchscheinende Felder, die von keinen Gesträuchen angefüllt, ganz leer blieben. Bevor sie nun auch versinken, will ich sie auf einem Extrastreifen aufheben. Das ist Material, das sich für eine Projektion in die Zukunft, also ein paar Meter weiter hinten auf der Rolle, eignen würde.

Bei all diesen Varianten, die „Tabosequenz“ voranzutreiben, hadere ich mit der Beschränkung der Mittel. Die Strenge, die sie in der Kontinuität ihrer Einhaltung fordert, ist so anstrengend, wie eine lang anhaltende Meditation sein kann. Die Einbeziehung der Buchmalereien oder die Verwischungen, wie sie mit Schellack entstehen können, sind Arbeitsweisen, die noch nicht hinzukommen, vielleicht auch ganz außen vor bleiben werden.

Von den vorausgegangenen Themen, die Auf Rolle 10 in Berlin lagern, und demnächst im Humboldt Forum ausgestellt werden, habe ich mich gründlich entfernt. Mein Abstand dazu wird sich darin zeigen, wie fremd mir das Material bei der Eröffnung am 16.5. sein wird.

Zustände I Energien

Die Vorgänge auf Rolle 11 sind eher mit physikalischen Fragestellungen verwandt. Es geht um die Wellenlängen verschiedener Materien, deren Überlagerungen und gegenseitige Beeinflussung. Neue Fragen entstehen durch die Muster, die sich ergeben. Zustände bestimmen die verschiedenen Richtungen, in die sich die Wahrnehmung anderer Wellen ausrichtet.

In den Malereien werden verschiedene Farben durch unterschiedliche Materialien sichtbar. Wasser und gebundene Pigmente werden von Steinen, Stiften und Haarlocken gelenkt. Neben diesen Bindungs- und Abstoßungsenergien, gibt es aber noch die Aggregatzustände des Geistes. Ein instabiler Film hält alles zusammen oder lässt es in großer Fluidität gelöst schweben. Ein Hin und Her zwischen verschiedenen Stabilitäten.

Eine trockene Struktur auf der linken Seite der zweiten Malerei bildet einen Zustand ab, der nur eine Millisekunde zwischen flüssig und fest andauert. Entsprechend schütter sind die Zusammenhänge. Linien zerfallen in Punktreihen, und eine kleine Verwischung verschiebt den Charakter in eine noch größere Flüchtigkeit.

Das Zählen der Zeitabschnitte

Sonnabend – das Zählen der Zeitabschnitte: 9 Umdrehungen der Flächenmotive auf Rolle 11, am 55. Arbeitstag des Jahres. Nun setzt das Rückrollen ein, das Echo, das in die Vergangenheit zurückgeworfen wird, wo sich die Bewegung wieder umdreht, bis sich die neuen hellen Flächen schließen und in den Zwischenräumen die neuen Welten entstehen.

Die ersten Mauereidechsen lassen sich sehen. Wildbienen suchen in den Löchern, die Rateb in die Baumstämme gebohrt hat, Unterschlupf für ihre Gelege. Auf der Wiese sprießen die Pionierpflanzen und ihre Gäste. Darüber kreisen Bussarde und starten nach dem Flughafenstreik wieder Maschinen. Darunter lärmt ein Hubschrauber und die Baustelle ruht.

Es wäre ganz schön, gäbe es einen Künstlerstammtisch von den YOU&EYE Teilnehmern. Das Synergiepotential ist sicherlich groß. Unsere Treffen im Anna-Freud-Institut inspirieren und erfrischen mich immer.

Erfolgserlebnis

„“Als Gruppe,“ sagte ich gestern meinen Schülern, „haben wir auf dem Tevesgelände einen schlechten Ruf.“ Der Grund dafür ist das viele zerschlagene Glas auf der Zufahrtsstraße, das einer von ihnen vor einer Woche dort zerdeppert hat. Die Auszubildenden der Nachbarwerkstatt haben die Scherben zusammengefegt und entsorgt. Dann fragte ich, wie wir unseren Ruf verbessern könnten. „Wir hätten das selber aufräumen müssen.“, meinte der Verursacher. Also schnappten wir uns Besen, Schaufeln und Abfallsäcke, gingen zum Eingang und begannen den Müll, der sich seit Jahren dort auf der etwa 70 Meter langen Straße angesammelt hatte, zu beseitigen. Als wir die Säcke nach einer Dreiviertelstunde in einen Restmüllcontainer geworfen hatten, kam zufällig und sehr passend die Müllabfuhr, um genau diesen Container zu leeren. Wir bedankten uns im Chor – ein Erfolgserlebnis!

Die Schüler haben mich gestern munter gemacht, nachdem ich in den letzten Wochen der kontinuierlichen und etwas eintönigen Kunstanstrengung, etwas müde geworden war.

Auf Rolle 11 werde ich nun noch 2 Umdrehungen mit dem kleinen Rollendurchmesser vorwärts zeichnen. Dann habe ich 9 Wiederholungen der kleinen schwebenden hellen Flächen. Die Tabolinien hatte ich auch neunmal wiederholt und somit das Ausgangsmaterial für die vielen Überlagerungen und die Verdunklung geschaffen.

3 Songs

Auf Rolle 11 entsteht der rituelle Rapport der Inseln aus dem schwarzen Tuschemeer. Seine brachialen Brecher geben das Licht am Saum seiner Brandung frei. Und aus dem Schaum treten die strahlenden Partikel, die sich neu zusammenballen werden, bis auch ihre Gravitation ein Licht schluckendes Monster auf die Fläche presst.

Bis dahin bleiben aber am Wegesrand Erscheinungen oder deren Erinnerungen stehen. Aktuell sind das kleine Konstruktionen, die sich auf dem Transparentpapierstreifen notorisch wiederholen. Der gleichmäßige Rapport kann nur durch ein rückwärts rollendes Durchzeichnen unterbrochen werden.

Der lichteren Phase auf der Rolle folgt auch die Aufhellung der Collagen. Am 9. November 2022 begannen sie in die Finsternis zu kippen. Deutlich ist, dass die Strukturen der Buchmalereien vorher eine größere Rolle spielten. Die von heute sind wieder in einem Zug, ohne viel Nachdenken entstanden. Keine Komposition aus 3 Sätzen – eher 3 ähnliche Songs.

Lichtflächen

Meistens fallen mir die Malereien leichter als heute. Ich hatte Ruhe und Mühe und wollte mehr. Ob das nun gelungen ist, kann ich erst später beurteilen. Der Vorgang ist im Moment noch präsent und wichtiger als das Ergebnis. Das kehrt sich erst später um.

Nach mehrfachem Hin- und Herrollen, während des Durchzeichnens auf Rolle 11, ist die Arbeit an einem kritischen Punkt angelangt. Das leuchtende Material, das für die Ergründung dessen, was die Tabolinien mit mir zutun haben, also für die Weiterarbeit wichtig ist, nimmt an Masse ab. Die Dunkelheit der Tusche beginnt zu dominieren. Der Moment des Umschlags, der darin besteht, dass die Schwärze zurück bleibt, kommt näher. Aus der verdichteten Masse treten dann die Lichtflächen heraus, die das Ausgangsmaterial für die neuen Formationen, die sich bilden werden, sind.

Ich bin gespannt, wann sich das neue Material wieder mit den Umrissen der Buchmalereien verbinden, überlagern und verflechten wird. Es wäre die Rückkehr zu der Arbeitsweise, die sich in den letzten Jahren etabliert hat. Handelnde Figuren bleiben bisher noch eingeschnürt, können das Geschehen innerhalb der gemalten Szenen nur beobachten und höchstens kommentieren.

Vermischungen, Überlagerungen

Wenn ich die eingefärbte, glatt geschnittene Fläche eines Lavasteins auf meinen Handballen drücke und den dann auf die Buchseite, dann vermischen sich die Konturen der Gasblasen und der Umriss des Steins mit meinen Handlinien. Um das aber gut zur Geltung zu bringen, bedarf es noch einiger Übung. Beide Strukturen können durch Zeichnungen verstärkt werden.

Die dunklen Flächen auf Rolle 11 setzen sich nun langsam zu einem Zug von kubistisch anmutenden Figuren zusammen. Sie aber sind es nicht, mit denen ich dann auf dem Streifen weiter arbeiten möchte. Vielleicht bildet ihre Abwesenheit, im weiteren Verlauf, leere Zwischenräume, die die Figuren umgeben, die aus den kleinen, transparent gebliebenen Flächen entstehen werden. Alles das geht auf die Tabolinien zurück, die vielleicht schamanistischen Ursprungs sind.

Am Bauzaun fragte ich einen Transportarbeiter, ob das Holz, das am Bauzaun neben den Abfallcontainern liegt, noch gebraucht wird. „Das brauchen wir.“, meinte er, fuhr dann aber mit seinem Gabelstapler los und holte mir andere 3 Balkenabschnitte, etwa 30 Zentimeter lang. Am Donnerstag können die Jungs beginnen, daraus Figuren zu schnitzen.

Formender Fluss

Häufig kommt ein Lavastein, dessen glatt geschnittene Fläche die Silhouette einer Figur aufweist, als Farbstempel bei den Buchmalereien zum Einsatz. Heute tauchte ich die Steine im Wasser, bevor ihren Schnittflächen mit Farben versehen wurden. Wenn ich zu den Malereien keinen Abstand halte, wie heute, werde ich von ihrer Gravitation in einen Raum gezogen, in dem sich die Ereignisse multiplizieren. Die Orientierung braucht dort viel Energie, und es ist nicht leicht, den Ausgang, den Schluss zu finden.

Auch die Arbeit an Rolle 11 sollte langsamer fließen. Die Verdichtung der Tuschekonstruktionen zu spitzwinkligen, schwarzen Flächen, möchte ich aufmerksamer und genussreicher entwickeln. Arbeitspausen, in denen die besinnungslose Produktion stockt, schaffen die Distanz dafür. Beim Blick auf die letzte Arbeitsphase entsteht der Gedanke, wie lange die Ausweitung der dunklen Flächen noch sinnvoll gesteigert werden kann, damit dann mit den Umrissen der transparenten Areale eine Entwicklung neuer Dinge möglich wird.

In den Malereien tauchten heute zwei Frauenfiguren auf. Sie stehen einem chaotischen Experimentalaufbau gegenüber, in dem Elemente so zusammengefügt werden sollen, dass sie mit ihrer Vielgestalt einen kompakt formenden Fluss bilden. Manchmal erscheinen weitere Wesen, die eine Verwandtschaft aufweisen, bleiben aber unkonturiert. Das kann sich beim Zuschneiden für die Collagen ändern ( siehe obere Abb.).

Eigenleben

Draußen auf der Baustelle lärmen die Rüster mit den Metallstangen und den klappernden Stegen, mit denen sie ein luftiges Gebäude in die Höhe wachsen lassen, das dann von einem Kubus aus Betonwaben ausgefüllt wird. Bienen schwärmen in der Weide, an deren Ästen sich die Kätzchen aufgeplustert in die Sonne räkeln.

Bei meinen Versuchen, tief in die Tuscheliniengeflechte zu schauen, scheue ich vor dem ganz langen Blick zurück, als würde ich darin etwas Erschreckendes entdecken können. Lieber zeichne ich blind weiter, bis alles eingedunkelt ist. Ich selbst stelle das tiefe Schwarz her, vor dem ich mich fürchte. Aber die Dichte bekommt ein Eigenleben, in dem sich etwas abzeichnet, was ich vorher nicht erreicht hatte.

Die Malereien richteten sich heute nach den Strömungen des Körpers aus. Es herrschen Schräglagen vor. Längliche Pinselflecken, Linien der Farbstifte und die Gravuren aus den rollend eingedrückten Windungen der Schraube aus Kaza in das Papier, neigen zu Diagonalen. Nur die Haare beharren auf ihrer Spannung. Sie geben die eigenen Bewegungen zu ihren Bögen vor, selbst wenn sie sich widerwillig gegen eine Last der durchtränkten Lavasteine sperren wollen und es nicht schaffen.

Besen

Die Leute werfen Dinge weg, die vermeintlich nicht mehr nutzbar sind. Aber sie haben vielleicht nur einen kleinen Schaden davon getragen, sind etwas abgenutzt, verbraucht, korrodiert oder nicht mehr schön genug. Oft genug kann ich meinem Wunsch, sie zu retten, nicht widerstehen. In dieser Weise haben sich bei mir zum Beispiel einige Besen angesammelt, unterschiedlicher Materialität, für das Haus oder die Straße. In einer Pause zwischen den Malereien, sammelte ich die Birkenreiser auf, die im Laufe des Winters trocken in das Gärtchen fallen. Ein Drahtknäuel, das ich auf dem Gehweg gefunden hatte, entwirrte ich und band sie zu einem Besen zusammen, den ich mit einem Stiel aus einer Ecke des Ateliers versah. Zum Laubfegen funktioniert er besser als die anderen.

Gestern waren die Schüler da, sieben Jungs aus der siebten Klasse. Wir arbeiteten am Müttermantel, höhlten also den Pappelstamm weiter aus, entfernten ein paar Hängepflanzen aus der Dachrinne in 4,50 m Höhe, hackten Holz auf einem Klotz, spielten Frisbee, bemalten Reliefs und wachsten Maskenformen ein, um sie am kommenden Donnerstag mit Pappmaché zu füllen.

Die erste Buchmalerei habe ich heute sehr bedacht angefertigt. Alle Elemente sind kalkuliert eingesetzt, keine Spontaneität, kaum Zufälle. Anders bei Nummer 2 und 3. Da ließ ich mich von den Bewegungen treiben, die von der Gravitation und ihrem Gegenteil ausgelöst werden.