Elliptische Bahn

Ein blaues Herz entstand, mit schwarzen Blutgefäßen auf seiner linken Seite. Die Malereien waren heute von denen beeinflusst, die ich vor vierzehn Jahren gemacht habe. Diese alten Malereien sind ein Schatz, ebenfalls die Aufzeichnungen. Ich schrieb von gewanderten Kreisen auf dem Altkönig, dem schönsten Berg der Welt, die ich in Notenschrift umwandeln wollte, damit man sie singen kann, wie vielleicht die fremden Buchstaben, die in das weiche Gestein in Sanchi geschlagen wurden. Das würde sich ähnlich wie der Gesang der bedröhnten Polin unter dem Blätterdach der Frankenallee vorgestern anhören.

Auf Rolle 11 sollten sich nun die Schichten des Interviewtextes, der Sanchiornamente und der rätselhaften Tabolinien im Stadtplan von Berlin stapeln. Aber ich zögere, weil ich mir noch mehr Aufklärung über die Linien im Durchgang zum Hauptversammlungsraum im Kloster Tabo von Peter van Ham erhoffe. Sicher hilft es, noch einmal die Höhle der beringten Tauben im Humboldtforum näher zu betrachten.

Die Gravitation des Ortes zieht immer mehr Material an. Ich bin von dieser Kraft auch erfasst. Vieles von dem, was ich produziere, wird von da aus auf eine elliptische Bahn gezogen. Das Gewicht der Schichten, die aufeinander lasten presst auch die Steinstapel zusammen, mit denen wir 1974 aufmüpfig im Lustgarten ein Manhattanmodell auftürmten.

Verschiedene Rhythmen

In die Collagen fügte ich heute neben Handprintmaterial von Rolle 11 und den Buchmalereien von heute, auch Buchmalereien ein, die ich am 24.02. 2010 nach den Besuch von Sanchi gemacht habe und die die Texte der Beschreibung der Stupas und Tore umrahmen.

Eine bedröhnte Polin, ging gestern langsam und in unterschiedlichem Tempo auf dem Grünstreifen der Frankenallee entlang. Sie rief laute Beschimpfungen in verschiedene Richtungen des Raumes unter den Bäumen. Die Art ihrer Artikulation im Gehen interessierte mich. Schritte und Worte waren verschiedene Rhythmen, die manchmal aufeinander abgestimmt zu sein schienen und manchmal nicht. Das erzeugte eine Spannung

Ob sich der Text meines Interviews dafür eignet, ihn in die Wege zu schreiben, die ich für den Handprint Berlin gehen werde, weiß ich erst, wenn ich es probiere. Auch die Worte im Tagebuch von 2010 sind Material für ein solches Vorgehen. Sie würden die Ornamente begleiten, die ich in Sanchi aufnahm und gegebenenfalls als GPS-Spuren gehe.

Erlebnisstapel

Jetzt fand ich den Text, den ich am 24.02. 2010 über den Besuch in Sanchi geschrieben habe. Die Buchmalereien, die den Bericht einrahmen, tragen die Intensität der Erlebnisse, unterwegs auf den Indischen Strassen, in sich. Schriftgravuren, die ich dort an den Steintoren fotografiert habe, begann ich auf Transparentpapier zu übertragen. Der Umfang der Stupa dort, hat etwa die Größe von dem Platz hinter der Kopie des Steintores am Humboldt Forum.

Maya besuchte mich gestern, um gemeinsam über ein Projekt zusprechen, das mit Bewegung im Stadtraum und künstlerischem Austausch zutun hat. Wir verabredeten, das Vorgehen mit praktischen Tests zu entwickeln. Das Gehen und Sprechen spielte auch wieder eine Rolle.

Einen Handprint, den ich in Bhopal, in der Nähe von Sanchi gelaufen bin, ging ich zwischen Kartoffellastern. Transportarbeiter schleppten die Säcke von einer Ladefläche auf die andere. Während des Gangs fotografierte ich das alles. Am Nächsten Tag fuhren wir nach Bhimbekta, um die dortigen steinzeitlichen Feldmalereien anzuschauen. Diese Erlebnisschichten stapeln sich zu einem Material, das sich immer wieder neu kombiniert.

Sanchi

Auf Rolle 11 zeichnete ich eine erste Variante des HANDPRINT BERLIN, so wie er in die Stadtlandschaft eingefügt werden könnte. Das kam mir dann, für einen kürzeren Zeitraum, zu groß vor. In ostwestlicher Ausrichtung vom Alexanderplatz über die Siegessäule hinaus. Es kommt darauf an, wie viel Zeit ich habe, oder ob eine kleinere Variante, die nur die Umgebung des Humboldt Forums einbezieht, realistischer ist.

Außerdem dachte ich an meine Umrundung der großen Stupa in Sanchi im Jahr 2010 und an die Aufnahmen der Ornamentik, die auch teilweise an dem rekonstruierten Tor neben dem Schloss im Sandstein zu sehen sind. Außerdem fotografierte ich damals an den Steintoren Inschriften. Mich würde nun interessieren, wie die Kollisionen von gewanderten GPS-Ornamenten aus Sanchi mit dem Spreeufer und der Brücke aussähen. Vielleicht wäre auch die Kreisgestaltung um das Marx-Engels-Denkmal gut einbeziehbar…

Beim Abgleich der Fotografien von Sanchi mit den Tagebuchtexten, stieß ich auf sehr expressive Buchmalereien mit einem reichen Figurenarsenal, gezeichnet mit einem schwarzen Tuschepinsel und mit Aquarellstiften koloriert. Das Material ist sehr von den Erlebnissen der Indischen Städte inspiriert, überhaupt von dem ganzen spiritistischen Alltag dort.

Experimentalaufbau

Mein Handumriss beginnt nun eine wichtigere Rolle zu spielen. Er grenzt Felder in den Collagen ein und tritt in Beziehung zu den Buchmalereien. Aus diesen Arbeitsbereichen möchte ich mich nun langsam an die Berlinwanderung herantasten. Die Handprintwanderungen der vergangenen Jahrzehnte, sind einfacherer Natur gewesen. Sie waren nicht so mit Geschichte aufgeladen und folgten spontanen Eingebungen.

Ich erinnere mich an eine Stadtwanderung, die ich mit Interessenten vom Deutschen Architekturmuseum gemacht habe, in der die Schilder der Wasserversorgung, die manchmal an Laternenpfählen Hinweise fremder Art bereit halten, eine Rolle spielten. Wir lasen diese abstrakten Buchstaben-Zahlen-Folgen wie dramatische Texte.

Zunächst benötige ich einen Überblick über das Textmaterial, das ich dem Humboldt Forum für die Ausstellung „Hin und weg“ und für das Stück „Bau auf! Bau ab!“ zur Verfügung gestellt habe. Seine Verbindung mit dem Stadtraum, der von der Umrisslinie der rechten Hand definiert ist, bildet meinen Part eines Experimentalaufbaus, der noch weitere Schichten mit einschließt, die von anderen Menschen mit anderen Professionen beigesteuert werden können.

BILDBESCHREIBUNG

Wenn ich mir vornehme das Gestische in den Malereien zu reduzieren, etwas Dichte wegzunehmen, geling mir das nur schwer, wie heute. Am ehesten entsteht diese Leichtigkeit, wenn ich nicht viel Zeit habe. So bleiben die heutigen Buchmalereien etwas unentschlossen und können sich aber später auf Rolle 11 als Umrisse bewähren.

Textarbeit im Gehrhythmus oder in dem von Tanz, stelle ich mir für den neuen HANDPRINT vor. Eine geeignete Form sind sicher die Sprechgesänge des Hip Hop. Aber auch die chorische Inszenierung von Interviewauszügen, wie in „Bau auf! Bau ab!“ eignen sich für den Textgang. Vor vielen Jahren in Heidelberg, inszenierte ich mit Jan Pröhl in dieser Weise „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller. Mit einer festgelegten Schrittfolge bewegte sich der Schauspieler um eine Stufenpyramide, auf der das Publikum saß.

Mein Interviewtext träfe im Wegenetz der Stadt auf eine Struktur, die ihn umformt. Voneinander entfernte Sätze können aufeinander treffen und neue Beziehungen eingehen, damit andere Aussagen und Inhalte entwickeln. Wenn ich mit einem bestimmten Satz an einer bestimmten Stelle in der Stadt erscheine, tritt er in Beziehung mit der Umgebung, verändert sie und sich.

Kraftfeld YOU&EYE

Für das Zusammenspiel der vielen Künstler, die sich heute aus Anlass der letzten YOU&EYE – Supervision dieser Saison, im Anna – Freud – Institut getroffen haben, habe ich angesichts der Ideenfülle wieder den Begriff Kraftfeld einfließen lassen. Mich dauert es immer wieder, dass das Potential der Zusammenarbeit meistes brach liegt.

Anke Schnabel hat mich mit ihren Worten zu meiner geschriebenen Sprache, ermutigt, den Zusammenhang zwischen Gehen und Sprechen mehr in den Focus zu nehmen. Wege, die Sätze aufnehmen, Worte, die Wege bilden und wie an Kreuzungen neue Sinnzusammenhänge entstehen. Die Sprache als Motor für HANDPRINT BERLIN, das Gehen als Motor für die Sprache von KRAFTFELD II.

Bei einem Treffen mit Maya in der kommenden Woche, soll es um ein Projekt gehen, das auch mit Bewegung im Raum zutun haben soll. Es könnte ein Testlauf für den Umgang mit neuen GPS – Gang – Strategien sein. Am späteren Nachmittag will ich dem Atelier von Franz einen Besuch abstatten.

Fortführen

Es ist schon Nachmittag. Ich bin erst jetzt ins Atelier gekommen, weil ich am Vormittag noch einmal in unserer Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst war und die Transparentpapiere, Reliefs und Weidengeflechte einmal in Ruhe fotografierte. Die Schüler waren mit ihren Lehrern anwesend und auch die Kollegen. Das Treffen mit ihnen ist immer das Beste bei solchen Terminen.

Wir kennen uns ja teilweise schon ganz gut durch die Supervisionen und von anderen Zusammenkünften. Manche berichten von interessanten Projekten, an denen sie arbeiten, und wir loten Gemeinsamkeiten aus, die Grundlagen für Kooperationen bilden könnten.

Immer mal gibt es auch Nachsätze zu den Ereignissen in Berlin und viel Freude darüber, was geschafft worden ist. Auf Rolle 11 möchte ich ausloten, wie ich diese Arbeit fortführen kann. Bin aber gestern nicht dazugekommen. Wenn die Vormittage belegt sind und ich erst am Nachmittag die Tagebucharbeit machen kann, fehlt mir die Energie für solche Entwicklungsarbeit. Aber mir kam der Gedanke, den HANDPRINT BERLIN mit den Tabolinien zu verbinden. Das wäre eine Kontinuität, die eine erweiternde Wirkung haben kann.

YOU&EYE im MAK Frankfurt

Gerade war die Eröffnung der Ausstellung YOU&EYE im Museum für Angewandte Kunst hier in Frankfurt. Yana Tsegay hat das ganze schön eingerichtet und Ina Hartwig hat es mit einer kleinen Rede eröffnet. Und alle Künstler, ein gut gelauntes Team, waren da, mit denen ich gerne weiter zusammenarbeiten möchte. Ich versuchte ganz praktisch Kooperationen zwischen Tanz, Zeichnung und Dichtung anzustoßen. Die Arbeiten von Sina und den Tänzerinnen haben mich sehr beeindruckt.

Sina Ahlers erzählte ich von meinen Texten die in „Bau auf! Bau ab!“ gesprochen wurden. Sie meinte, dass die chorische Wucht bei weitem nicht mit jedem Text entwickelt werden kann.

Dominique Falentin schrieb, dass während der Feiertage noch mal 2000 Besucher in unserer Ausstellung waren. Sie begleitet das Publikum der nächsten Aufführungen von „Bau auf! Bau ab!“ und will mir von den Gesprächen berichten, die sie während der Gänge von A nach B haben wird. Auch meine Arbeit an HANDPRINT BERLIN kann nun Anlass unseres weiteren Austauschs werden. Schon gestern füllte ich auf Rolle 11 einen Handabdruck mit dem stark vergrößerten Handballennetz und den anderen Gesträuchen die ich davor auf Rolle 11 zeichnete. Der Umriss liegt auf der Seite, sodass der Zeigefinger, wie in den Collagen, in die Vergangenheit weist.

Dank

Am Morgen, bevor ich ins Atelier gegangen bin, habe ich mich in einer Mail bei Anke Schnabel, „meiner“ Kuratorin im Humboldt Forum, bedankt. Ich hoffe, dass unsere Zusammenarbeit weitergeht.

Heute werde ich auf Rolle 11 beginnen, die neuen Ideen weiter zu entwickeln, bildlich nach Ansätzen und Themen zu suchen. Mein Kopf ist frei. Zu beobachten ist nun, ob sich in den Buchmalereien Entwicklungen beobachten lassen, die schon in die Richtung von KRAFTFELD II weisen. Verdichtungen der Schichten unterschiedlicher Geflechte und darüber die kreisenden Engel und Apsaras. Den HANDPRINT BERLIN könnte ich ebenfalls, wie KRAFTFELD FRANKFURT, in Ton modellieren, um dann eine Gipsform herzustellen. Das Liniengeflecht bestünde diesmal aus den gelaufenen GPS – Spuren innerhalb des Handumrisses, andererseits aber auch aus den Wanderungsspuren, die sich darin verstecken. Wieder kann das Relief mehrfach mit Pappmachè abgeformt und bemalt werden. Wie beim Väterprojekt können weitere Themen auf den Flächen erscheinen, die immer wieder auf die Wanderungsspuren im Humboldt Forum hinweisen.

Gerne hätte ich es, wenn das eine Gemeinschaftsarbeit mit mehreren Gewerken würde, wenn diese Leute mit eigenen Ideen das Projekt voranbringen würden.

HANDPRINT BERLIN – KRAFTFELD II

Das Stück „Bau auf! Bau ab!“ hat mich sehr inspiriert, neue Dinge anzugehen. Auslöser sind meine, vom Ensemble chorisch gesprochenen, Texte. Das sie diese blockhafte Stärke entwickeln können, war mir vorher nicht klar. Im Zusammenhang mit dem HANDPRINT BER LIN – KRAFTFELD II kreisen meine Gedanken um das Sprechen im Rhythmus der Schritte. Gehen, zeichnen, sehen und fotografieren, Pflaster, Fluchttunnel, hämmern, kriechen, schreien, wühlen in die Schuttschichten von Tod, Prunk und Abfall.

Die gesprochenen Sätze werden von Tieren, Panzern und Baumaschinen zusammengepresst, zerrissen und neu zusammengesetzt, wie beim Stampfen, Schlurfen, Swingen auf dem Grundriss des Palastes im Raumspiel mit Kathrinem.

Die Richtung, in der ich meine Hand auf die Stadtkarte von Berlin legen will, werde ich in Abänderung der bisherigen Handprints, gegen den Uhrzeigersinn um 45° verschwenken. Das ist die Richtung in die ich damals meine Zeichnung vom Dach des Palastes aus gemacht habe, also von Osten nach Westen. Beim Gehen könnten die Sätze, die Melina von Gagern für das Stück ausgewählt hat, zum Ausgangspunkt für eine neue Textentwicklung werden, die sich in die Linien der Stadtwanderung einschreibt.

HIN UND WEG – BAU AUF! BAU AB!

In dem Trailer zum Theaterspektakel „Bau auf! Bau ab!“ wird ein Kraftfeldtext aus meinem Interview verwendet: AN DIESER STELLE, IM ZENTRUM VON BERLIN, DAS SAG ICH DIR, DA WAR ENERGIE. DIESER BAU, SO SUSPEKT ER MIR MANCHMAL WAR – EIN KRAFTFELD. Dann der Satz aus „Der Bau“ von Heiner Müller: WARUM ZERTRÜMMERT IHR DAS FUNDAMENT? Auch im Stück waren viele Texte von mir. Sie bekamen durch Verschriftlichung und erneutem, diesmal chorischem Sprechen, mehr Wucht.

Eine andere Entwicklung von Präsenz erfuhr meine Rolle 10. Die Fotografie von ihr, die ich in die erste Collage eingefügt habe, ist von Dominique Falentin, die mich in der Zeit der Vorbereitung der Ausstellung sehr unterstützt hat. Mein zartes Transparentpapierobjekt, an einer sehr schönen Stelle des gestalteten Raums, spricht ganz leise aber stetig, gleich neben dem Gebrüll von Willi Sitte, auf seinem roten Fahnenbild. Was kann man mehr wollen?

Aus diesem Spannungsbogen heraus, beginne ich nun über HANDPRINT BERLIN – KRAFTFELD II nachzudenken. Verbindungen der GPS – Wanderung mit dem Humboldt Forum sind zunächst die vielen Wanderungsspuren, die in den Ausstellungen zu finden sind. Wenn sich ihre Umrisse mit den Figuren verbinden lassen, die ich in der Stadt laufe, ist das der Ausgangspunkt, mit dem sich die Arbeit durch verschiedene Gewerke ausweiten ließe: Soziologie, Archäologie und Geschichtsforschung beispielsweise.

Ausstellungen

Während ich gestern auf Vandad wartete, der die Arbeiten meiner Schüler für eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst abholen wollte, saß ich im Garten, ordnete meinen Kalender und dachte über die Ausstellung in Berlin nach. Innerhalb des erinnerungskulturellen Zusammenhangs fühle ich mich grundsätzlich an der richtigen Stelle mit meinem Stasi DADA. Und sicherlich machte ich mir noch nicht gründlich genug klar, dass die unterschiedlichen Ansätze, die Geschichte des Ortes zu erkunden, ein großer Vorteil der Veranstaltung ist. Ich sollte genau zuhören, was die Ostalgiker zu sagen haben.

Von dem Theaterstück „Bau auf! Bau ab!“ gibt es einen Trailer im Netz. Ich schaue es mir am Freitag an, wenn die Eröffnung für das Publikum ist. Aus meinem Interview, das vor einem Jahr gemacht worden ist, werden dort Fragmente mit anderen Textteilen verwendet. Auch in einer Soundinstallation innerhalb der Ausstellung sind Teile davon zu hören.

Am Müttermantel habe ich gestern weiter gehauen. Öfter denke ich, dass ich diese Skulptur alleine mit den Händen, ohne Maschinen, nur mit Hohleisen und Klüpfel, nicht schaffen werde. Aber Lust auf eine Kettensäge habe ich nicht. Auch das Dechseleisen hat sich bislang nicht bewährt.

Vorsicht, Müttermantel

Zwischen den Blättern des Gärtchens hängen Muscheln, bewegen sich leicht im Licht der Fensterreflektionen. Das Grün zittert und wedelt, die Meisen pfeifen um die Wette, Insektenschatten folgen meinen Linien auf dem Papier. Im alten, braunen Laub, das den Boden bedeckt, tarnen sich ornamentale Nachtfalter vor den wachsamen Augen der Eidechsen, denen Schönheit egal ist.

Die Morgenmalereien fertigte ich vorsichtig an, schreibe langsam. Hinter den Augen wandern die Zählreime der Bluesstrophen hin und her. Wenn die Gitarre gestimmt ist, kann ich den Song „Der Rabe Ralf“ von Christian Morgenstern singen:

„Der Rabe Ralf,

will will huhu

dem niemand half,

still still du du

half sich allein am Rabenstein…“

Einer Hebamme erzählte ich von meiner Müttermantelskulptur. Sie verstand nicht, wie ich als Mann zu diesem Thema komme. Außerdem tat sich eine Dualität auf: die Schwere des Mantels ist die Last, die eine Mutter trägt oder die, die eine Mutter ist.

Chaos, Rabe und Raum

Ineinandergreifende Chaosstrukturen werden durch die Reaktionen aufeinander, zu einer ordnenden Kraft. Diese Vorgänge finden in den Buchmalereien und im Garten statt. Die Wirkungen von Gravitation, Geist und Verwesung ziehen Situationen nach sich, durch die Wesen, Erinnerungen oder Bühnenszenen entstehen.

Mit dem Inhalt der von den Schülern geöffneten Keksrolle, füttere ich einen kleinen Raben. Wir teilen uns die Plätzchen. Gestern schon bekam er Kuchen von mir, was seinen großen, alten Konkurrenten nicht verborgen blieb. Es bedarf einer Strategie, ihn zu bevorzugen, denn ich möchte ja „meinen“ Raben hier in meiner Nähe haben.

Die Gerüste der Nachbarbaustelle, südwestlich von unserem Gelände, weisen beängstigen weit in den Himmel. Im Winter wird das Areal völlig verschattet sein. Vielleicht ist das der Beginn seines Endes, das unsere AG 4.1 verhindern will. Räume freundlich und gut bespielbar zu gestalten, hängt nicht zuletzt an den Inhalten, für die die Leute stehen, die sie beleben.

Langzeitwirkung

Unter dem Blätterschirm des Gärtchens atmen die Lichtflecken in sanften Luftwirbeln. Nach der kühlen Nacht ist das Leben der Kleintiere noch nicht richtig erwacht. Zu Himmelfahrt heute, habe ich mir einen Gartentag geschenkt. Die Baustelle ist still, die Sonne scheint und die nächsten Verabredungen sind erst am späteren Nachmittag.

Besuchs- und Sitzungstermine strengen mich mehr an als früher. Gestern die Kuratorin der YOU&EYE Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst und die Arbeitsgruppe (AG 4.1), die die Zukunft des Tevesgeländes in ihren Blick nehmen will. Nur die Geduld, mit der ich lange Strecken gehe, wird bei mir größer mit dem Alter.

Das Auflesen der Bonbonpapiere etc. auf meinen Wegen ins Atelier und zurück, also viermal am Tag, hinterlässt eine sichtbare Wirkung. Die sauber strukturierte Fläche zum Gehen und zum Schauen wird einladender. Die Menschen, die mit mir unterwegs sind, reagieren auf mein auffälliges und häufiges Tun. Aus unterschiedlichen Gründen könnten sie auch genervt sein. Für mich aber ist es ein erhebendes Gefühl, wie sich der Raum und das Verhalten in ihm verändert.

Lennie Tristano

Lennie Tristano – kein Gewässervergleich möglich, eher der einer Felsformation mit Geröllhalden und unterschiedlichen Gesteinsschichten. Sie werden durch das Gewicht manchmal zerquetscht, wie flexibles Material eines Zwischenaggregatzustandes, werden angehoben, aufgebrochen und von Frost und Regen abgetragen. Die Improvisation als Beben, Selbstbehauptung und Vision.

Mit seinen Improvisationen von 1946 bin ich am Morgen nicht zu ruhigen Bildern gekommen. Die Diagonalen verwerfen den wandernden Blick. In der ersten Malerei ließ ich sie weg und behielt an dieser Stelle eine ruhige Dualität.

Eine solche probierte ich auch, indem ich den Teil dieses Scans negativ einstellte. Den kopierte ich und fügte ihn deckungsgleich wieder in den unveränderten Scan ein. In dem Moment, wo ich die Negativschicht auf 50% Durchlässigkeit einstellte, verschwand sie in einem grauen Feld. Diese obere Schicht leicht verrückend, entsteht ein Reliefbild. Diese Technik kann ich für die Collagen der Zukunft nutzen.

Palestrina

Palestrina – seine Musik lässt sich mit einem See, geschützt zwischen Bergen, vergleichen. Er hat einige kleine Zuflüsse, Untiefen und aus ihm entspringt ein größerer Fluss, der die Klänge dem Ozean zuträgt.

Bewegungen, die heute am Vormittag auf dem Papier festgehalten wurden, sind von innen und von außen angestoßen. Die Wellen des Lichts und der Töne, der kosmischen Strahlung und der Vibrationen des Körperinneren. Figurendopplungen bilden Gegenklänge, die ein Gleichgewicht suchen.

Ich schaue auf die Malereien des Sommers 2009. Die Papiergravuren, die ich mit den hölzernen Haarnadeln gemacht habe, sind von Figuren überlagert, die mit Tusche gezeichnet wurden. Einem Mädchen aus der Hindemithschule zeigte ich die Malereien, die ich an ihrem Geburtstag, am 22.08. 2009 gemacht hatte und erzählte die Geschichte der Szenen. Sie war nur einmal bei mir, aber vielleicht merkt sie sich diesen Tag.

Monteverdi

Ein ruhiger Fluss mit Strömungen, Wirbeln und gekräuselten Flächen, die sich verschieben, aber eigene Felder auf der Wasserfläche bilden. Dieses Bild fällt mir ein, wenn ich Monteverdi höre. Mit dieser Musik stieg ich am Morgen in die Buchmalereien ein.

Rechts unten auf den heutigen Seiten, in der dritten Malerei, entstanden sich kreuzende, in das Papier gepresste Gewindegravuren. Zwischenschraffuren mit den Aquarellstiften differenzierten die Schichten. Durch die Feuchtigkeit des Handballens wurde die kompakte Farbfläche durchlässiger, und die folgenden Abdrücke in den anderen Formaten, blätterten noch einmal durchscheinender die Arbeitsgänge auf.

Indem die Buchmalereien so ihre eigene Entstehung erzählen, bilden sie aber außerdem eine Handlung ab, die aus den nicht technischen Voraussetzung eine Geschichte formt. Fragmentierte Figuren stehen einem kosmischen Geschehen gegenüber und folgen den Unschärfen der Vorgänge, deren immer wieder neue Konstellationen die Unendlichkeit andeuten. Dieser Prozess hält meine suchende Arbeit in Gang.

The Kinks

The Kinks – eine Hörreise in die Sechzigerjahre, in meine verzweifelt hoffnungslose Zeit im Gefängnis DDR. Nur die Musik konnte mich da rausholen! Nun bin ich schon länger in Freiheit als in dieser Gefangenschaft. Durch mein Gärtchen schleicht ein Fotograf mit seinem Kind, seinem geliebten Modell.

Gestern auf Rolle 11 versuchte ich den Umriss des Handballenabdrucks mit dem vorausgegangenen Material zu durchdringen. Das gelang mir nicht gut. Ich wollte dieses aggressive Gesträuch in die Struktur hineinzwingen. In der kommenden Woche mache ich einen erneuten Anlauf.

In der ersten Malerei von heute gibt es einen Abdruck meines Daumenballens. Die Liniengeflechte versuchte ich zu erweitern. Denselben Abdruck kann ich mehrmals hintereinander in unterschiedlichen Qualitäten machen. So komme ich in andere Dimensionen, Paralleluniversen, die die Hoffnungslosigkeit der Sechzigerjahre von der anderen Seite her verdoppeln und somit aufheben. Ich denke an Tanz, Malerei und Musik im Zusammenspiel.

Charaktere der Hand

Die Umrisse des Handkantenabdrucks der 2. Malerei vom 26.04. übertrug ich, stark vergrößert, auf einen Bogen Transparentpapier. Es handelt sich um ein stacheliges, zweidimensionales Gesträuch, um eine aggressive Sperre, die nicht durchdrungen werden will. Wenn ich sie auf Rolle 11 übertrage, wird sie aber dem Schicksal der Durchdringung und Verflechtung nicht entgehen.

Einen anderen Charakter besitzt der Abdruck des Daumenballens. Eine Arthrose, die ich mir dort durch Bildhauerei zugezogen habe, veränderte den Muskel, wodurch hier die Haut parallel laufende Faltenstrukturen bildet. Diese Linien laden zu ihrer Erweiterung und architektonischen Weiterverwendung ein. Dort wächst dann eine Architektur, wie in der 2. Malerei von heute.

Durch die Benutzung des Füllers als Zeichengerät, schleichen sich fragmentarische Figuren ein, die durch die angedeuteten Umrisse von Strukturfeldern entstehen. In die Verwischungen, die ich vor genau 10 Jahren in den Buchmalereien gemacht habe, zeichnete ich schon damals konstruktive, gerade Linien, deren Ursprung auch in den Handabdrücken zu finden ist.

Übergänge und Wandlungen

Die Linien meiner rechten Hand, insbesondere die der Handkante und des Daumenballens, mit denen ich Farbabdrücke mache, bilden nicht nur verschiedenen Richtungen ab, sondern tragen auch eigene Stimmungen in sich. Das tritt zutage, wenn ich die Kompositionen mit den Stiften erweitere, verdeutliche und dadurch unterschiedlich dynamische Tendenzen abbilde. Diese Energie kann sich in tänzerische Bewegung wandeln oder sich in Schichten ablagern.

Andererseits kann ich mit ihnen Verbindungen zu anderen Dimensionen eingehen, wie den Tabolinien, Architekturen aufbauen, aber auch Zeiträume auf Rolle 11 erkunden. Lassen sich auch die Tabolinien tanzen? Haben die Tanzfeste in den Vorhöfen der Klöster im Himalaja etwas mit den Übergangslinien im Durchgang zum Gebetsraum, die den Eintritt in eine andere Dimension anzeigen, zutun?

Viele dieser Gestaltungen und Möglichkeiten befinden sich in den heutigen Malereien. Sie lassen sich erweitern, kombinieren, fragmentieren und als Umrisse auf Rolle 11 übertragen. Während des Schreibens zeichnete ich an den Motiven mit dem Füller weiter. Der Übergang vom Schreiben zum Zeichnen und zurück war fließend und selbstverständlich.