Fortführung der Tabosequenz

Die Umrisse der Leerstellen zwischen den dichten Linienbündeln am vorläufigen Ende der Tabosequenz, vom Mai dieses Jahres, nahm ich wieder auf. Ich zeichnete sie auf Rolle 11 einmal in Richtung des Zeitstrahles und einmal, oben drüber, in Gegenrichtung, dass eine Zeitkontinuität in diesem Fall von vornherein aufgehoben ist.

Mit einem weißen Bogen Papier, den ich mit einrollte, reduzierte ich das durchscheinende, vorgelagerte Material auf den handschriftlichen Text, den ich auf die Tabolinienzeilen geschrieben habe. Da ich ihn auf der Hinterseite der Rolle in die Umrisse durchzeichne, beschäftige ich mich mit meiner seitenverkehrten Handschrift. Ich brenne darauf, das alles schnell zu verdichten, damit ich bald neue kraftvolle Figurationen zur Hand habe.

Gestern buchten wir Fahrkarten für eine Reise nach Breslau. Ich werde dort mit Anne zwei Tage verbringen. Sie möchte für ein Projekt über die Fitznerbrüder recherchieren. Mich interessiert ihre Arbeitsweise mehr, als das Thema.

Traum

Beim Sichten des Materials, das ich in Alchi und Tabo gesammelt hatte, also Aufzeichnungen, Skizzen, Buchmalereien und Fotografien, lassen sich weitere Schichten und Dimensionen im Zusammenspiel der verschiedenen Dokumentationen und Verarbeitungen erkennen. Peter van Ham hatte seinen Besuch gestern kurzfristig und nachvollziehbar verschoben, so dass ich Zeit hatte alles in Ruhe zu studieren. Der zweite und dritte Blick auf die Ebenen, führt dann weiter zu den Collagen und auf die Linienverdichtungen auf Rolle 11. Gerade diese will ich noch einmal mit verschiedenen Arbeitsschritten untersuchen.

In der Nacht sah ich in einem Traum in der Ferne mein Atelier lichterloh brennen. Ich wachte auf, während ich darauf zu rannte, begriff aber nicht gleich, dass es das Ende eines Traumes war. Die Erleichterung stieg nur langsam in mir auf.

In der letzten Arbeitsstunde widmete ich mich gestern einer lästigen Arbeit, die immer nach einer Reise ansteht. Ich scannte einen Teil der Buchmalereien, die ich in Karins Garten in La Muela gemacht hatte. Die zweite Hälfte ist heute dran.

Zukunftsschichten

Geografische Schichten auf der Berliner Insel zwischen den Spreearmen reichen bis in die ferne Zukunft, die in Annes Roman HINTER DEN MAUERN DER OZEAN aufscheint. Die gesicherten Wege ihrer Protagonisten werde auch ich im HANDPRINT BERLIN begehen.

Gestern nahm ich mir Zeit für Kommunikation. Mit Anne sprach ich über unsere Reise nach Breslau, Frau Schnabel erzählte ich von meiner aktuellen Arbeit und mit dem Ökumenischen Zentrum ARCHE habe ich einen vor Ort Termin in Neckargemünd, an dem ich mir meine fast 40 Jahre alten Kunstwerke ansehen werde, die etwas im Licht gelitten haben und deswegen restauriert werden müssen.

Heute Abend besucht mich Peter van Ham, der die schönen Fotobücher von Alchi und Tabo gemacht hat. Ich möchte ihm meine Arbeit zu den Tabolinien zeigen. In den heutigen Collagen spielen sie als Handschriftpartikel eine Rolle. Bei meiner Beobachtung dieser Arbeit, sind mir die Collagen etwas aus dem Blickwinkel geraten. Dabei sind die Verdichtungen der Linien aus Tabo auf Rolle 11 durchaus präsent, wenn auch nicht bestimmend.

Halluzination

Verschriftlichte Texte, die ich gesprochen habe und die sich in der Ausstellung „Hin und weg.“ befinden, übertrug ich gestern handschriftlich auf Rolle 11, indem ich die Tabolinien als Zeilenstruktur aufnahm. Mit gesetzten Typen erzeugt die etwas schnodderige und lückenhafte Sprache eine größere Verfremdung, als wenn ich sie mir wieder mit meiner Handschrift zurückhole.

Mittlerweile bin ich mir fast sicher, dass die Linien in Tabo aus halluzinogen – visuellen Erfahrungen meditierender und fastender Mönche stammen. Abstrakte Figurationen sehr alter Felsmalereien, schamanistischen Ursprungs weisen ähnliche Strukturen auf und sind Visualisierungen von Trancezuständen.

Die Kollision mit den Texten zum Palast der Republik könnte man auf den ersten Blick als willkürlich bezeichnen. Aber der die Mischung aus logistischer Konzentration beim Bau, Ideologie, Ablehnung dessen und Zwiespältigkeit in dieser geografisch aufgeladenen Situation, schafft auch Energien aus einer konsequenten, konzentrierten und kontinuierlichen Beschäftigung mit dieser Konstellation.

Zwiespältige Offenheit und elegante Form

In zwei Wochen im schönen Haus und stillen, anmutigen Garten von Karin in La Muela, haben die Buchmalereien zu einem versöhnlichen und sanften Ton gefunden. Heute aber, angekommen in meinem Garten, im Chaos meines Ateliers, hat sich das abrupt verloren.

Ich habe den Bewegungen, die aus meinem Körper über Schulter und Arm in die Hand übertragen werden, freien Lauf gelassen. Die Zwischenräume, die von den Konturlinien eingrenzend geformt werden, transportierte ich mit dem feuchten Handkantenballen von einem in das andere Format. Ihr Eigenleben habe ich nicht weiter ausformuliert oder eingeengt. So behielten sie eine zwiespältige Offenheit.

Auf dem Weg ins Atelier holte ich ein Paket im Kiosk auf der Frankenallee ab. Es war eine Sendung vom Humboldt Forum mit dem Belegexemplar der Publikation HIN UND WEG zur Ausstellung „Hin und weg.“. Auf der Seite 135 ist ein Ausschnitt von Rolle 10 als fünfte von fünf Erinnerungsstücken abgebildet. In zwei Texten darunter, wird beschrieben worum es mir ging. Der Hinweis auf den Zusammenhang meiner Stasiakte mit meinen Mentor und dem Porzellanrelief, ist eine hintergründige Information, die dem Schreiben zwischen den Zeilen in der DDR ähnelt. Dies führt manchmal zu eleganten Formen, wie in diesem Fall.

Zeitklang

In der ersten Malerei von heute, ließ ich die Dopplungen, die durch die Handkantenabdrücke entstehen, sichtbar. Das geht mit den Unsicherheiten bei der Zeitvorstellung einher, die mich beschäftigen. Die parallel laufenden Ereignisse in leicht abgewandelten Formen, verwachsen mit anderen Gestalten. Das Wabern der verwischten Gegenstände auf dem Papier, des Lichts das in das Atelier tritt und die Töne der Renaissancechöre, die aus meinem Lautsprecher kommen, benötigen keine zeitinterpretatorischen Drehungen. Sie stehen für sich und klingen zusammen.

Die zweite Malerei begann ich mit den aufrechten Parallellinien-Strukturen der Schraubengewindegravur, die ich durch Schraffuren sichtbar machte. Die folgen den Bewegungsrichtungen eines Krampfes in der rechten Hand, dessen Sehnenverkürzung die Finger nach innen, zum Körper hin zeigen lassen.

In „3“ stilisierte ich diese Zeigerichtungsschraffur durch einzelne Linien, die die Hauptrichtungen anzeigen. Figurenanmutungen werden in allen 3 Kleinformaten nicht vermieden, aber auch nicht gesucht. Sie tauchen einfach auf und verschwinden manchmal wieder in den weichen Farbverläufen, die durch rhythmisches Schlagen mit der geballten Handkante auf die feuchte Fläche entstehen.

Konzepte und Malvorgänge

Meinen zweiten Atelierschlüssel gab ich einer Nachbarin, damit sie sich um meine Pflanzen und das Gärtchen kümmert. Es herrscht eine gute Stimmung auf dem Gelände. Für die weitere konzeptionelle Ausrichtung der Zusammenarbeit hat sich die AG 4.1 gebildet. Dabei geht es darum, die Funktion des Geländes als kulturelles Zentrum für die Zukunft zu festigen.

Meine Arbeit konzentriere ich ganz auf die Buchmalereien und die daraus entstehenden Collagen. In der zweiten Malerei von heute ließ ich ganz rechts einen Profilkopf mit einer Strauch – Turm – Frisur zu, der von dort aus auf die Mitte der Szene blickt. Dort geht es aber ganz vage zu. Eine grüne Umrisslinie hält das Geheimnis ihrer Vollständigkeit aufrecht. Auf ihrem Areal formiert sich aber schon eine weitere Figur und wartet auf die Zutaten für ihre Konkretion.

Die erste Malerei scheint eher einem Aquarium entnommen zu sein. Fremde Geschöpfe, Strukturen meiner Handballenabdrücke und die parallelen, hellen Furchen der Schraubengänge treffen auf blaues Leuchten in einem ocker-orangefarbenen Nebel. In 3 bricht dagegen eine Ordnung auf oder zusammen, das ist nicht ganz klar. Linien behaupten ihre Klarheit im Gewirbel der Reaktionen warmer Verläufe mit kalten Strichen. Ganz fremd ist die linke Seite. Ich muss mich zwingen, sie nicht mit Wasser und meiner Hand auszulöschen.

Langzeitprojekte

Die Langzeitprojekte, die meistens Zwischenstadien erzeugen, eigentlich erst mit dem Tod enden und eher den Prozess abbilden als zu Ergebnissen zu kommen, sind das, was sich in meinen letzten Arbeitsjahrzehnten, als die mir eigene Arbeitsweise, herausgebildet hat.

So ist es mit den Transparentpapierrollen. Sie sind zwar nach 50 Metern Aneinanderreihung von Zeichnungen an ihrem Ende angelangt, dann kommt aber gleich die nächste Rolle. Die zeichnerisch aufeinander folgenden Ereignisse zeigen das Fließen, für das wir den Begriff Zeit verwenden.

Die Buchmalereien werfen Fragen auf. Es ist, als würden sich die abstrakten Figurationen unterhalten und Lösungen suchen. Vielleicht geht es dabei um die Möglichkeit des Wachstums in eine Gegenständlichkeit. Wie im Frühstadium des Zellwachstums, muss erst noch die Form des Zusammenspiels gefunden werden. Es ist vieles möglich in dieser Phase, was an sich schon beglückend ist.

Zielorientierungskonglomerate

Einer Einladung in die Mechanische Arena des Humboldt Forums, die ich gestern bekam, kann ich leider nicht folgen, weil der Termin mitten in unserem lange geplanten Urlaub liegt. Ich sollte über meine Rolle 10 und über ein weiteres Objekt sprechen. Vielleicht lässt sich ja ein späterer Termin finden, an dem ich auch über meine gegenwärtigen Arbeitsschritte sprechen kann.

Die Tabolinien denke ich mir als ein Muster, in das die Zeilen meiner Texte, die in der Ausstellung vorkommen, eingefügt werden. Vielleicht können die Linien wie eine Formel oder eine allgemeingültige Struktur funktionieren, die Material aufnimmt, das aus verschiedenen Welten, so wie der Quantenmechanik und der Gravitation stammt.

Über Kolkata schrieb ich 2010, dass die Menschenmassen nur Statisterie seien in der Inszenierung sich verdichtender Blöcke von Zielorientierungskonglomeraten. Dann ging es um das Sichtbarmachen solcher Verdichtungen durch das Übereinanderlegen von gelaufenen GPS-Händen. Im Shivatempel dieser energetischen Stadt arbeitet der Großvater von Trichi, der an meinem YOU&EYE Kurs teilnahm.

Im Garten der Zufriedenheit

Die Ausstellung die wir gestern im Museum für Angewandte Kunst sahen, trug den Titel „Im Garten der Zufriedenheit“. Zu sehen waren chinesische Tuschmalereien in zarter Kolorierung. Von ihnen sind meine heutigen Buchmalereien beeinflusst.

Für diese Woche nahm ich mir vor, weniger zu arbeiten. Die stetige Beschäftigung mit Form, Raum, Struktur und Farbe, lässt die Gestaltungskraft an Grenzen stoßen. Gerade war ich schon mit der Schere in den Gärten, um den Zugang zu spannenden Blühpflanzen leichter zu machen. Auf der Wiese öffnen sich die Samenkugeln des Riesenbocksbarts, der aussieht, wie eine sehr große Pusteblume. Gerne würde ich davon mehr ansiedeln, weiß aber noch nicht ob meine Aussaat in Pflanzschalen gelingen wird.

In meinen Eintragungen vom 03.06. 2010 lese ich, dass ich mich damals mit Musikkomposition aus gewanderten Ringen beschäftigt habe. Aus den Linien sollte ein Kompositionsprogramm Noten erstellen. Leider habe ich das nicht weiterverfolgt. Wahrscheinlich fehlte mir ein Spezialist, wie Karl Kliem.

Vor der Natur

Auf Rolle 11 übertrug ich den Umriss der dritten Buchmalerei von gestern. Durch den Rückblick in das Jahr 2010 verändern sich die Motive. die Umrisse werden härter und die stärkeren Kontraste bündeln die Kraft. Gleichzeitig aber kommen auch weiche neue Gestaltungsweisen auf. Zwischen den senkrechten Schraubengwindeabdrücken bilden Tuschepinselspuren neue Figuren.

Vor mir liegt nun eine Pause, die ich mir noch gar nicht vorstellen kann. Zwar nehme ich meine Tagebuchutensilien mit auf Reisen, bin dann aber von meinem Blog und der Weiterarbeit an der Transparentpapierrolle abgekoppelt. Schon in der kommenden Woche möchte ich eher das Atelieraufräumen und andere Arbeiten machen, als meine Projekte weiterentwickeln.

Immer wieder denke ich an das Gehen mit dem Text oder an das Schreiben im Gehen. Dabei muss ich an eine Geschichte unseres Vermieters in Heidelberg denken. Er sprach von seinem Vater, der zwar ein Steinmetz war wie er, aber auch ein Naturlyriker. Er schrieb auf einem Bauchladen im Wald, den er durchstreifte, seine Gedichte. Das erinnert mich an mein Aquarellieren im Freien, mit dem ich Jahrzehnte lang Landschaft, Architektur und Natur besser verstehen wollte. Heute geht es nicht mehr so sehr um die Außenwelt, sondern um das, was nicht sichtbar ist.