Der suchende Strich

Im Städel, bei den Alten Meistern gestern, tranken wir gierig in der Tiefe der Bilder schwimmend. Der Maler einer Verspottung Christi, gestaltete die Gesichter, dass sich in ihnen die unflätigen Worte abbildeten. Man kann den Gestank sehen, der sich verbreitet. Das ist sehr gegenwärtig.

Im Kupferstichkabinett sind Zeichnungen italienischer Barockmaler zu sehen. Bei ihrer Suche nach der Gestalt der Motive, treten viel mehr Emotionen zutage, als dann bei den nach den Skizzen meisterhaft gemalten Bildern. Dieser suchende Strich, der umherwandert, die Spuren verdichtet und dann zur Form findet, ist mir sehr nahe.

Ein wenig lässt sich diese Arbeit mit dem Schneiden der Brombeersträucher vergleichen, nur dass der Vorgang umgekehrt ist. Manchmal schneide ich trockene Pflanzenteile so zurecht, dass die auf dem Kopf stehenden Astverzweigungen mehrere Standbeine werden. Der dickere Strang, aus denen sie trieben, wird dann der Oberkörper, eine Muschel oder Feder, der Kopf. Zeichnen mit der Gartenschere.

Verrat

Schriftbänder in mittelalterlichen Buchmalereien kommen mir, wenn ich an die GPS-Zeilen denke, in den Sinn. Dazu gehören auch die Linien, die ich in das Lindenholz der Arche-Objekte geschnitten habe. Meine Handschrift verändert sich mit der Architektur meiner rechten Hand, auch die Linien, die ich zeichne oder schneide.

Durch übergeordnete Themen fügen sich die unterschiedlichen Texte, mit denen ich arbeite zusammen. Es gibt beispielsweise das Thema Verrat. In der Bibel verrät Judas seinen Lehrer und Meister. Die Silberlinge, die mein IM „Lutz Lange“ für seinen Verrat bekam, waren wahrscheinlich seine Reisen in das NSW (nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet). Aber er verriet seinen Schüler! Was folgt aus dieser (dialektischen) Umkehrung?

Denke ich an den Wissensdurst von Stephen Hawking, habe ich den ungläubigen Thomas vor Augen. Er verlässt sich nicht auf sein Bauchgefühl, er will wissen und nicht nur glauben. Es geht um die Annäherung an die Formel, um die Wunde. Jeder Strich in den Buchmalereien sollte sich aber der Formel nähern. Thomas und Judas, ein interessantes Paar.

Stapeln

Die Collagen, die ich im Jahr 2023 werktäglich als erste gemacht habe, die also am Ende der Dateibezeichnung die Zahl 1 aufweisen, kopierte ich in einen Extraordner. So kann ich sie nun als Diashow laufen lassen. Jede Collage baut auf der vorhergehenden auf. Es handelt sich also um Bilderstapel aus über 200 Scans. Im Ablauf wird der Stapelvorgang deutlich.

Die Arbeit an den Buchmalereien kommt mir luxuriös vor. Ich freue mich am Morgen auf die erste gelbe Schicht, die ich mit kreisenden oder zappelnden Linien auftrage und Linien mit der Holznadel dort wieder hinein grabe. Das geht Schicht um Schicht genussvoll so weiter. Der ganze Vorgang hat etwas mit Lasurmalerei zutun. Und die hat mit meinen künstlerischen Anfängen zutun.

Heute begann ich mit den Handkantenlinien, die ich verlängerte und dann daraus eine konstruktive Komposition zeichnete. Nach der Übertragung dieser Konstruktion mit der nassen Handkante in die anderen Malereien, reduzierte ich sie dort auf die wichtigsten Striche, die dann als Konzentrat übrig bleiben. Diese ähneln dann wieder den GPS-Linien, die als Zeilen für die verschiedenen Texte benutzt werden können.

Szenisches

Die GPS-Linien vom Lustgarten schleichen sich in die Buchmalereien ein. Die Strichgeflechte nutze ich als Zeilenstruktur für die Verschriftlichungen der Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“ und meines Interviews zum Palast: „…mir schwer fällt, dort linientreu meinen Dienst zu tun.“, trifft auf:„…für das Dresdner Schauspielhaus, glaube ich.“ usw..

Die Figuren, die in den Malereien auftauchen, bekommen mit den Worten zutun, sprechen sie selber überkreuz oder hören sie zumindest. Bei unserer letzten Schlossaktion in Berlin, meinte eine Mitstreiterin, dass es folgerichtig wäre, wenn meine nächste Arbeit eine Graphic Novel würde. Sieht man mal ab von den gängigen Stilformen dieser Gattung, ist an diesem Gedanken etwas richtig, denn in dem Moment, wo Text und Figuren gemeinsam auftauchen, wird das Denken szenisch.

Auch die Lindenholzobjekte in der Arche in Neckargemünd haben, in das Holz geschnittene, Liniengeflechte. Auf Transparentpapierrollen werde ich ausprobieren, wie diese Linien als Zeilen funktionieren. Die Texte, die dort hineinpassen, sind solche von Liebe und Verrat, Reichtum und Lüge und von Hingabe und Gebot. Es sind verdichtete Notizen von der Arbeit.

Transit I Zahlen

Jedes Hineingehen ist mit einem Transit verbunden. Der Gang führt in einen Raum, der vielleicht auf dich gewartet hat. Im Durchgangsbereich befinden sich Hinweise auf die neue Qualität, die dich erwartet: ein anderes Licht, eine hörbare Ortsbestimmung, eine veränderte Temperatur und eine Luftbewegung mit einem neuen Geruch.

Mein Mindestpensum an Arbeitstagen in einem Jahr, habe ich heute bereits erreicht. Es ist mein zweihundertster Tag, an dem ich im Atelier das ganze Werktagebuch und weitere Arbeiten machte. Die Anzahl der Collagen, die als Bilddateien nummeriert sind, verschaffen mir den zeitlichen Überblick. Sechshundert Collagen sind es heute, die ich seit Anfang Januar gemacht habe. – Zahlen…

Immer mal spielen neue Elemente in den Buchmalereien eine vorübergehende Rolle. Die Haarstruktur ist bisher noch nicht mit Schrift zusammen gekommen. Wohl aber die kreisenden Linien mit Kulissenkonstruktionen. Die überraschendsten Strukturen bilden die Handkantenabdrücke, die ich manchmal mit einem erfreuten Laut kommentiere, sobald ich die Hand vom Papier entferne.

Ein anderer Tannhäuser

Auf der höchsten Stelle der lang gestreckten Erhebung der Hörselberge steht das Haus, das den Namen des Höhenzugs trägt. Es befindet sich direkt oberhalb der Venushöhle, in der eine Szene der Oper Tannhäuser spielt. An den Wänden des Ausflugslokals findet eine skurrile Wagnerverehrung statt. Bilder von Künstlern beschäftigen sich dort vor allem mit der Venushöhlenszene.

Es gibt eine deftige Speisekarte und auch sonst geht es eher rustikal zu. Mit meiner Mutter, die zuvor aus der Klinik entlassen worden war und mit meinem Bruder, fuhren wir dort hinauf zum Mittagessen. Draußen starteten Gleitschirmflieger in der strahlenden Sonne und drinnen war alles voll mit alten Leuten, viele Wanderer darunter. Nachdem wir einen Tisch für den 90. Geburtstag meiner Mutter reserviert hatten, verließen wir, über eine enge Treppe, das Lokal.

Dort öffnete sich die Küchentür und zwei junge indische Köche traten heraus. Nach einer kurzen Unterhaltung über das indische Kochen, kamen wir darauf, dass einer von beiden aus Kolkata kommt. Ich erzählte ihm, dass ich einen Schüler (Trishi) hatte, dessen Großvater in diesem Tempel dient. Und plötzlich stellte ich mir den Sängerkrieg an dieser Stelle vor, unter dem Geflecht der geopferten Frauenhaare mit den Seilen der Glocken, über dem blutigen Betonboden der Opferstelle. Die deutschen Chöre mit den indischen Trommeln… Das ginge doch!

Schriftrollen

Welche sinnvollen Entwicklungen sind aus der Verbindung von Textteilen mit den Buchmalereien zu erwarten? Mich beschäftigt, wie ich damit weiterkomme. Franz Konter hat auch eine Weile etwas Ähnliches betrieben und machte sogar ein Buch daraus. Beim Suchen danach, fand ich in meinem Chaos „MÜLLER MP3“, ein Tondokument von Heiner Müller, 36 Stunden gesprochenes Wort. Vielleicht kann er mit weiterhelfen.

Die Arbeit stockt. Bin gestern Nachmittag nach Hause gegangen, um mich auszuruhen. Dabei kramte ich in den Fotos aus dem Spitital. Eines zeigte den Inhalt einer Gebetsmühle, eine Papierrolle mit Sutras voll geschrieben. Die verschiedenen Arten von Schriftrollen sollten mich mehr interessieren!

Samen vom Wiesenbocksbart, einer Riesenpusteblume, habe ich vor ein paar Tagen in die feuchte Erde gesteckt. Nach zwei Tagen schon sprossen die grasartigen Jungpflanzen. Diese Art hat sich von selbst auf meiner Wiese eingefunden und nun möchte ich sie im kommenden Frühjahr draußen vermehren. Gestern in der Tevesrunde warb ich für ein Grünkonzept für unser Gelände.

Schriftlinien

Die Linien, die in den Buchmalereien, die Hautstruktur der Handkante verstärken, verlängern und so in eine Konstruktion verwandeln, erinnern mich an die stark vergrößerten GPS-Linien. Auch sie eignen sich für Texte. Die Worte gehen in die Zeichnung der Striche über und werden vermalt. Beide Elemente, Text und Malerei verändern sich. Die so verstärkten Linien reichern die zeichnerischen Elemente an. Das Schreiben wird unterbrochen und nimmt direkten Bezug auf das Entstehen der Bilder.

Susanne Rentel, die mich vor einiger Zeit im Atelier besuchte, und mir von der Alten Seilerei in Oberrad erzählte, schlägt mir eine musikalische Unterhaltung in meinem Atelier vor. Das Gespräch sollte zwischen ihrem elektronischen Blasinstrument und meiner Gitarre entstehen. Spannend würde ich finden, wenn wir die Bilder mit einbeziehen könnten.

Meiner Mutter geht es besser. Das erleichtert und macht das Arbeiten wieder eher möglich.

Zettel

Die Sachen liegen durcheinander auf dem Tisch. Ein kleines Stück Weg, das Armin neben der Granitschale im Lustgarten aufgezeichnet hat, das mir als Zeilen für Handschrifttexte diente, die eher zufällig gefunden sind. Zettel mit Notizen: Erweiterung des Theaterstücks „Bau auf! Bau ab!“, „Handprint Berlin – Kraftfeld II“. Wir gehen mit dem Textfragment in den Raum und warten, was passiert.

„Wir sind die Ewigen“ – dieses Zitat des Beginns von Annes Roman war der Startpunkt der gestrigen Buchmalereien. So geht es los, an dieser Stelle, Energie… Und: „Er lebt so in den Tag hinein“, der Kernsatz meines IM „Lutz Lange“.

Schlaganfall meiner Mutter. Lähmung, fragmentierte Sprache. In den letzten Monaten, nach dem Tod meines Vaters haben wir uns angenähert, hatten mehr Gelegenheit, miteinander zu sprechen, als in seiner Anwesenheit. Umso trauriger ist das jetzt… Ich wundere mich, dass ich überhaupt arbeiten kann.

TABO ZURÜCK IN`S LICHT

Im Tibethaus Deutschland eröffneten wir gestern unsere Ausstellung TABO ZURÜCK IN`S LICHT. Das ist der Titel des Fotobandes von Peter, der nun bei Hirmer herausgekommen ist. Neben den übervergrößerten, farbigen Figuren, die die Wände des Klosters überdecken, nahm sich meine bescheidene Transparentpapierrolle mit den Tuschelinien wie ein Gebetsbuch aus, das einem Rückzugsort entsprungen zu sein schien. Es bildete den Kontrast zur bunten Pracht der großen Abbildungen.

Peter hielt einen opulent bebilderten Vortrag über den Mandalagrundriss des Klosters und dessen Verzweigungen bis in die kleinsten Details. Die projizierten Bilder erhellten den erinnerten Eindruck und bereicherten uns um Ansichten, die vor Ort wegen der Blickwinkel und dem Abstand oft gar nicht möglich sind. Die großen, auf Vliestapeten gedruckten, Buddhas machen den Eindruck, als gehörten sie zu dem Raum der sie umgibt. Sehr gelungen!

Thoesam Rinpoche stellte mich vor und bat mich, vor das Publikum zu treten, um etwas von meiner Arbeit zu erzählen. Dabei hängte er mir einen weißen Schal um und bedankte sich bei mir mit einer sehr schönen Kalligrafie eines verstorbenen Meisters. Danach stellten mir die Gäste Fragen, die ich gerne ausführlich beantwortete. Ein schöner Abend!

SO MACHT MAN DAS!

In der Jahrhunderthalle spielten gestern Abend Bob Dylan und Band mit Jim Keltner am Schlagzeug. Beim Meister waren immer noch viel Spielfreude und Mitteilungsbedürfnis vorhanden. Seine groben Instrumentaleinlagen mit Klavier, Mundharmonika und Gitarre haben auf der Bühne ein Gravitationszentrum geschaffen, um das herum sich die anderen Klänge ordneten und eine fast zweistündige Erzählung kreisen ließen.

Gleich von Anfang an zeigte er mir, wie man das mit dem gehen der Texte macht. Jeder Schritt ein Zeichen des Überlebens, jede Wendung ein Weg in ein anderes Dasein. Vornüber gebeugt stand er am Flügel und las uns etwas aus einem Heft vor, das vor ihm auf dem Deckel lag. Er grummelte und räusperte sich mit Worten, jede gesangliche Äußerung ein scharfer Schnitt oder ein Schuss in meine Richtung: SO MACHT MAN DAS! Und dann drosch er auf das Klavier ein, dass ich glaubte Raketen einschlagen zu hören.

Aber im Lauf des Abends änderte sich der Ton, wurde leiser, versöhnlicher und weicher, als weinte er über den Zustand der Welt. Schon im Foyer waren Mobiltelefone verboten und erste recht im Zuschauerraum. Einen Mann, der neben mir stand fragte ich, ob er die handyfreie Situation nostalgisch oder als ein Zukunftsbild wahrnähme. Ich merke, dass mir meine Frage wichtiger war als seine Antwort…

Neben der Kontinuität

Bei den Verwischungen in den Buchmalereien werden Farblinienbündel zunächst aufgefächert und dann zu einem Schweif vermischt. Das fügt sich mit meinem Gedanken an die Meteore zusammen. Am Ende der Spur kann sich das Material neu formieren, Muster bilden, die gegebenenfalls wieder verwischt werden.

Barbara hat auf der Buchmesse die Präsentation von Annes Roman auf dem Diogenesstand fotografiert. Sieht toll aus… Peter bastelt noch an der Ausstellung im Tibethaus. Ich gehe morgen etwas früher hin, um gegebenenfalls den Screen und andere Sachen zu richten.

Die Dinge, die mich in der letzten Zeit, neben der kontinuierlichen Entwicklung meines Materials, beschäftigt haben, sind nicht unanstrengend. Es entwickelt sich eine Sehnsucht nach Abstand zu den Arbeitsthemen, nach einer Pause…

Paradox

Die Verbundenheit mit den Schichten der Vergangenheit ist ein Wunsch, dem man paradoxerweise durch das Vergessen entspricht. Selbst, wenn wir scharfe Fotos vor Augen haben, Tagebuchtexte oder die des Geheimdienstes, bleiben die wichtigen Lücken des Erinnerten. Diese können mit Abgleichen der Gegenwart oder Interpretationen gefüllt werden. Das ist das, was auf meinen Transparentpapierrollen stattfindet.

Aus dem Schloss kam eine Nachricht von Dominique, die nach einem Bericht über den GPS-Testgang fragt. Ich berichtete ihr in einer kurzen Mail. Die zeichnerischen Zwischenergebnisse sind noch nicht so weit, dass ich sie präsentieren möchte. Der Prozess aber läuft.

Die dichten Strukturen aus Papiergravuren und kreisenden Farblinienschichten haben, wenn sie verwischt werden, manchmal etwas von einem Meteor, dessen eisiges Material von der Sonnenwärme oder der des Eintritts in die Erdatmosphäre gelöst und fortgerissen wird. Die Partikel, die als Schweif aufleuchten, tragen die Geschichte des Universums in sich und die Bausteine aus denen ich bestehe. Der lange Streifen der Tabosequenz auf Rolle 11, die mich seit einem Jahr beschäftigt, trägt die Linien, die die Maler vor tausend Jahren auf die Wand gemalt haben, als Ursprung in sich. Die Lücken, die bei den Überlagerungen entstehen, werden zu Figuren meiner Verbundenheit mit dieser Zeit.

Schriftlichkeit

Es gibt eine Sehnsucht nach Schriftlichkeit, die die Bewegungen begleitet, die der Körper gestaltet. Eigenartigerweise geht es bei diesen zielfreien Suchgängen um Präzision, um genaues Hinschauen. Der Abdruck meiner rechten Handkante erzählt Geschichte(n), Geh-Schichten. Dringt mein Blick dort ein, wird die Bewegung des Stiftes von der Hand in Gang gesetzt. Die folgt dem Gang der Worte. Der Weg zieht die Silben zusammen. Die Gesänge aus Annes Roman treffen an der nächsten Kreuzung auf die vorsichtigen Worte meines IM „Lutz Lange“.

Im Tibethaus baute ich heute aus einer hohen gläsernen Vitrine und meiner Rolle 11 ein durchscheinendes Objekt. Man kann nah herangehen, die unterschiedlichen Lichtsituationen genau betrachten und die Verdichtung der Linien beobachten. Die Wächterfigur, zu deren Füßen sich die Ausgangslinien befinden der langen Überlagerungssequenz, hängt daneben. Die Installation bildet einen Kontrast zu den riesigen stark farbigen Fotos von Peter, die die Heiligen von Tabo zeigen.

Die Abwesenheit der Rolle erleichtert mich in der Weise, dass ich nun mit der nächsten anfangen kann, die sich ganz frei und neu mit den Themen beschäftigt, die mich jetzt interessieren. Das sind zunächst die Nahaufnahmen der Berliner Textwanderung, deren Linien, je mehr man sie vergrößert, einen konstruktiven und klaren Charakter annehmen. Dort hinein kann ich nun, mit meiner normalen Handschrift und dem Füller, die Texte schreiben.

Poetikwerkzeuge

Schon in den Buchmalereien begann ich zu schreiben: „…als Pate … angesetzt.“ Die Sprache meines IM`s und Mentors. Er sagt selber von sich, dass es „angesetzt“ wurde auf mich. Was für eine Erniedrigung für den Kunstprofessor! Ich stelle mir vor, wie der Spitzel „Lutz Lange“ vor dem Tonbandgerät saß, am Tisch mit seinem Führungsoffizier Unterleutnant Matthes. Haha!

Ich muss daran denken, wie mein Computer während der Performance „In the Forest“ in der Schokofabrik mit dem Heidelberger Tanzensemble, den Text „Herakles 2 oder die Hydra“ von Heiner Müller sprach. Eigentlich konnte er nur Englisch und ich musste das Deutsche als Lautsprache eingeben. Das klang dann wirklich schön.

Gestern zeichnete ich eine Überlagerungssequenz mit den Linien, die wir um die große Granitschale im Lustgarten gelaufen sind. Durch die Wiederholungen der Figuren erscheint das Ganze wie eine Showtanzgruppe aus dem Friedrichstadtpalast. Um daraus ein Poetikwerkzeug zu machen bedarf es noch einiger Arbeitsschritte. Die Schrift könnte ich mit einem Malprogramm in die Linienstruktur einfügen. Damit kann ich in den Collagen beginnen.

Erinnerungs(bruch)stücke

Ativ, mein Mitstreiter bei der thematischen Führung „Erinnerungs(bruch)stücke“im Humboldt Forum, schreibt in einer Kolumne auf nachtkritik.de, einen schönen Satz über meine Arbeitsweise: „…Ein Fundament, das er fortwährend überschreibt, bis zur Unkenntlichkeit überlagert und so einen neuen Palast schafft, der gänzlich andere Wahrheiten birgt.“

Auf Rolle 11 beschäftigte ich mich gestern mit den Linien, die wir rund um die Granitschale im Lustgarten gegangen sind. Und im Kopf habe ich dabei die rhythmischen Worte, die wir dabei gesprochen haben. Rolle 12 möchte ich dann in der kommenden Woche, wenn der andere Transparentpapierstreifen in der Ausstellung im Tibethaus ist, mit diesen Linien beginnen.

Mit einem Wutausbruch auf der Wiese schlug ich am Morgen eine Grünschnittkolonne aus drei Türken in die Flucht, die all die Bäume und Sträucher, die ich pflege, wie auch die Wiese zurückschneiden wollten. Diese Emotionen sind auch in den Buchmalereien gelandet. Dann schaffen sie aber mit verwischen und überlagern einen Raum für Rückzug, Konzentration und Erneuerung. So lässt es sich weitermachen.

GPS-Figuren und Schrift

In Annes Roman gibt es überlieferte Gesänge und Gedichte, von denen eines die Zeile „Wirf fort die Waffe“ enthält. Offensichtlich bezieht sie sich auf eine Filmaufnahme vom Mauerbau, in der ein DDR-Grenzer mit Helm, im Sprung über den Stacheldraht, seine Kalaschnikow wegwirft. Eine gleitend-tänzerische Bewegung. Eine stilisiert choreografierte Variante könnte eine Allgemeingültigkeit ermöglichen.

Gestern zeichnete ich die GPS-Figuren von der Museumsinsel auf Rolle 11. Ich vergrößerte die Wanderung soweit, dass sie in ihrer Nord-Süd-Ausdehnung auf das 33 cm hohe Transparentpapier passt. Um Schrift auf diese Zeilen einzufügen, muss ich Detailvergrößerungen machen, die unsere Bewegungen deutlich abbilden. Es gibt Schleifen, abrupte Wendungen und rechte Winkel.

Von der Transparentpapierrolle 11, die jetzt im Tibethaus ausgestellt werden soll gibt es 130 Scans. Diese könnten als Schleife auf einem Screen neben der Vitrine, in der die Rolle liegt, laufen. Wenn ich eine Auswahl aus den Abbildungen treffe, die einer Dramaturgie folgt, könnte eine neue Geschichte entstehen.

LIKSZWODREIVIER

Innerhalb der Arbeit auf der Museumsinsel kommt die preußische Schicht des Gesamtthemas zu kurz. Meine eigenen Erfahrungen auf dem Exerzierplatz vor den Munitionsbunkern der Grenzausbildungskaserne in Eisenach, den ich auch öfter gefegt habe, überlagern sich mit dem Fegen des großen Foyers des Palastes unter den Arbeitern, die direkt über mir den Spritzasbest auf das Stahlgerüst auftrugen. Ich hatte keine Schutzmaske…

Das Stahlgerüst ist die eingefrorene Marschmusik: LINKSZWODREIVIER… Von der Verspiegelung entkleidet tritt das wahre Gesicht des Palastes der Republik zutage: aufgepflanzte Bajonette über dem Stechschritt. Das ist mein Blick auf die Konstruktion. Das Ornament des Lustgartens pflegt den ästhetischen Gegensatz. Dieser französische Import erscheint schwach vor den wechselnden Fassaden, aber haltbar. Er kann nun aufgefüllt werden mit der Gedichtform meines Wortballetts aus drei Texten.

Gestern und heute gingen die Buchmalereien von den Strukturen aus, die der Satz: „Er lebt so in den Tag hinein.“, bietet. Die szenischen Kompositionen, die sich aus Auflösung und Neuformierung bildeten, würde ich gerne noch auf Rolle 11 übertragen. Die aber wandert nun zur Ausstellung im Tibethaus. Deswegen werde ich alsbald vorgreifen und mit Rolle 12 beginnen. Später kann ich den aktuellen Transparentpapierstreifen mit dem entstandenen Material beenden.

Väter – Museumsinsel

Mit seinen weit verzweigten Suchbewegungen rückt das Väterprojekt näher in meinen Arbeitsfokus. Es gibt die 4 Serien der Scherbengerichte. Sie bestehen aus etwa 600 kleinen quadratischen Transparentpapierblättern. Auf meinem Zeichentisch liegt ein Stapel aus dem Scherbengericht II mit den Nummern 119 bis 154. Es würde sich lohnen mit jedem einzelnen Blatt auf der Transparentpapierrolle eine weitere Überlagerungssequenz zu machen. Schellackschichten und Tusche bilden schöne durchscheinende Verlaufsstrukturen.

Dass ich mich an diese Arbeit erinnere, liegt an Anke Schnabel, die mir im Humboldt Forum von ihrem nächsten Projekt erzählte. Das Erbe meines Großvaters sind Zahlen, die liebe zum Holz und zu dem Unterwegssein. Mit Anne sprach ich in Berlin noch mal über unsere Recherchereise auf den Spuren dieses Mannes nach Breslau.

Im Humboldt Forum hielt ich zwei kurze Vorträge zu Rolle 10 und meinen Verbindungen zum Palast der Republik. Außerdem ging ich eine GPS-Figur, die auf dem Grundriss des Palastes begann, und am Sanchi – Tor in die Textwanderung überging. Mit meinem Enkel an der Hand, ging ich das Ornament des Lustgartens mit dem rhythmischen Sprechen der 3 verschiedenen Textteile. Diese körperliche Aktion brachte mich bei der Entwicklung des Projektes einen entscheidenden Schritt weiter. Ich spürte, wie sich die verschiedenen Ebenen miteinander verweben.

Bebilderung

Gestern stellte ich ein paar Bilder zusammen, die ich während meines morgigen Vortrages im Humboldt Forum zeigen kann. Sie zeigen den Weg von der Zeichnung vom Dach des Palastes der Republik nach Westen 1974 bis zu dem Vorhaben, von dieser Stelle aus einen GPS-Gang mit Texten zu machen. Der Start ist etwa bei der Kopie des Tores von Sanchi, das wir 2010 im Original sahen, in Richtung des Blickes, der auf der alten Zeichnung festgehalten ist.

Noch einmal nehme ich mir die Buchmalereien vor, die ich damals, in Sanchi, an Ort und Stelle gemacht habe, um die Stimmung wieder zu finden, in der sie entstanden sind. Damals herrschten ausdrucksstarke Figuren, mit einem Tuschepinsel gezeichnet, vor. Einige von ihnen fügte ich in neuere Collagen ein, als ich mich etwa vor einem halben Jahr mit dieser Stelle beim Stadtschloss beschäftigte.

Allgemein versetzen mich diese Collagen in Erstaunen, so schön finde ich sie manchmal. 655 sind in diesem Jahr bereits entstanden. Diese Kontinuität hat ganz banal für sich, dass ich in der Weiterentwicklung von malerischen Kompositionen, ziemlich viel Übung habe.

Hin und her

Die Schablonenschrift zuckt und wird zerhackt, fließt und verdampft. Es entstehen Konstruktionen von Buchstabenfiguren. Sie bewegen sich im Raum zwischen den Handabdruckschichten und deren Verwischungen. Die Sätze wandern von den Textsammlungen auf Rolle 11 aus zerteilt in die Buchmalereien, wo die Buchstaben ihr Eigenleben beginnen. Diese Projektionsrichtung ist neu: von der Transparentpapierrolle in die Buchmalereien. Darauf habe ich gewartet, ohne es forcieren zu wollen. Nun werde ich die Hauptkompositionslinien aus dem Tagebuch wieder auf Rolle 11 zeichnen – hin und her.

Ich laufe hin und her, stehe auf vom Tisch, gehe nach draußen und rede mit der Köchin, bis die ihre Zigarette geraucht hat. Dann zurück, blicke ich auf die kleinen Malereien, wie auf frisch geborene Kinder, die ich warm anziehen soll, bin vorsichtig mit ihnen, und dann beginnen sie bald zu plappern.

Die Vorhaben in Berlin und im Tibethaus werden konkreter und nehmen etwas Fahrt auf. Das ist mit Informationsfluss verbunden. Ich überlege für die jeweiligen Aktionen Bilddateien zusammenzustellen, die gezeigt werden können und mehr von den fünfzig Meter langen Rollen präsentieren, als in den kleinen Vitrinen möglich ist.

Pathos

Die Sonne strahlt direkt auf meine Buchseiten. Lichtwellen, vibrierende Teilchen, Wärme ohne hörbares Geräusch – Pathos des Alls.

Die Tabolinien sind in zwei Bereiche geteilt. Auf die Wand wurde eine Spur Reparaturputz aufgetragen, der einen Teil der Wandmalerei abdeckte. Gestern arbeitete ich auf Rolle 11 mit dem rechten Teil und neuen Worten aus den drei Texten, die mich beschäftigen. Mir fällt beim Textvergleich auf, dass wir beim Steine abladen für den Bau des Palastes der Republik eine feste Gruppe von 5 Soldaten waren. Wir stapelten eine Miniatur von Manhattans Skyline in den Lustgarten. In Annes Roman leben noch 5 Leute in Berlin, die rituelle Stadtführungen für die Pilger machen, die mit Schiffen ankommen und die sie als heilig verehren.

Die Worte auf der Rolle bekommen erst ihren Sinn, wenn ich sie aus den verschiedenen Kontexten zu anderen Zusammenhängen kombiniert habe. Das Ist die Vorbereitung für die Textwanderungen, die ich am kommenden Sonnabend erstmalig in Berlin probieren will. Anne wird dabei sein, so dass noch andere Aspekte hinzukommen werden.