Klang der Glocke

Die gravierten Strukturen in den Buchmalereien bekommen oft zu wenig Aufmerksamkeit. Sie beherbergen eigene Bewegungswelten, deren Gesten fein und zugleich ungefiltert auf dem Papier erscheinen. Meistens werden sie verdeckt oder verwischt. Gern hätte ich sie mal ganz im Vordergrund. Das gelingt sicher einfacher in den Collagen, wegen der digitalen Hilfsmittel. Aber das ist eine andere Sache!

Auf Rolle 12 konnte ich die etwas groß geratenen Umrisse wieder einfangen. Dadurch, dass ich Papier mit einrolle, werden durchscheinende Areale, die weiter zurückliegen, abgedeckt. Das reduziert das Material, das durchgezeichnet werden kann. Es entstehen mehr Freiflächen, was das Binnenleben zwischen den Außengrenzen stärker kontrastiert.

Morgen reisen wir nach Dillenburg, um den Klang der Glocke zu hören, deren Guss wir vor Ort miterlebt haben. Alle kommen zum Gottesdienst – Barbaras Brüder, Freundinnen und die Gemeinde mit dem großartigen Pfarrer. Am Dienstag werde ich nach Neckargemünd in das ökumenische Gemeindezentrum Arche fahren, um an Ort und Stelle Frottagen der Objektoberflächen des Altarensembles zu machen. Und dann wird es auch Zeit, dass ich dem Serkon Rinpoche ein paar Zeilen zu meiner Kloster-Tabo-Arbeit schreibe.

Giraffe!

Mit den Vergrößerungen der Buchmalereiumrisse habe ich es gestern etwas übertrieben. Sie wurden etwa 5 x so groß wie die Originalzeichnungen. Die Tusche bekräftigt die Größe, gewichtet die Strukturen der vorigen Tage stärker, die ich nur mit Tinte und spitzer Feder gezeichnet hatte. Dann erinnerte ich mich an die Lasurmalerei, die auch mit Aquarellfarben gelingen kann. Das alles ging etwas auf Kosten der fließenden, unbewussten Arbeitsweise, die sonst die Oberhand hat, wenn ich mit den Stiften, dem Handballen und Wasser arbeite.

Die Figuren, die während der zeichnerischen Schichtungen des vorigen Materials entstehen, haben manchmal das Zeug für ein reicheres Eigenleben. Sie springen aus den Fächern meiner Erinnerung, ausladende Körper, weite Umhänge und bekrönte Köpfe. Ich kann ihnen Namen geben und sie dann in die Szenen schieben, die sich aus den Konstellationen der Weiterarbeit ergeben werden. Ein intuitives Erzählen ohne Plot.

Aus einem Sommerflieder schnitt ich eine skurrile Giraffe. Sie bekam heute einen Kopf mit den fünf Zähnen, zwei künstlichen und 3 aus mir gewachsenen Exemplaren, die mir gestern gezogen worden sind. Jetzt bin ich ein anderer Mensch, erleichtert, gut gelaunt und bereit, um Bäume auszureißen. Ein Zeichen für die Leichtigkeit ist die Giraffe!

Vergrößerung

Das Experiment, die Buchmalereien in ihrer „Lebensgröße“ auf die Transparentpapierrolle zu übertragen, ist bislang wenig erfolgreich geblieben. Gestern hingegen, vergrößerte ich einen der Umrisse stark und zeichnete ihn auf Rolle 12. Dabei stellte ich fest, dass die Vergrößerung tatsächlich mehr Kraft verlieh. Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Mein Ziel war es eigentlich, dass die Motive im Zoom keine Kraft verlieren… Im Scan und in den Collagen lüften sich die weiteren Geheimnisse der Zeichnung.

Weil ich mit den Schülern weitere Reliefs von der Kraftfeldform abgenommen habe, überlege ich, mich selbst wieder mit den kleinen Reliefs und ihrer Bemalung zu beschäftigen. Vielleicht kann ich andere Aspekte, wie Schrift und GPS-Linien einfügen. Oder eine fließende, zurückhaltende Farbigkeit.

Außerdem kann ich die Collagen weiter verwenden. Kombinationen, die dort entstehen, spielen in der weiteren Arbeit kaum eine Rolle. Das liegt aber auch daran, dass die Arbeit in seltenen Fällen darüber hinausgeht. Das sollte sich wieder ändern…

Äußere Dinge

Während der Buchmalerei spielen die äußeren Dinge kaum eine Rolle. Noch steigt die Sonne mittags über die Hausdächer der Nachbarschaft. Unter die Risse im Dach stelle ich Baubottiche, um das Regenwasser aufzufangen, Arbeitstermine stapeln sich parallel und die Schüler kommen heute erstmalig regulär zu unserer gemeinsamen Arbeit im Rahmen von des diesjährigen „YOU&EYE“. Das alles bleibt von den Farben und Schwüngen fern.

Die Ergebnisse der Transparentpapierarbeit haben in letzter Zeit nicht die konsequente Dringlichkeit, wie sonst. Auch mit den Malereien bin ich ab und zu nicht so zufrieden. Dann aber, nach etwas Mühe, leuchten die Strukturen in den Collagen spannungsvoll auf. Das Geschehen bereichert sich und mehr Tiefe entsteht.

Für „YOU&EYE“ hatte ich die Idee, die ausgeformten und bemalten Figuren der Kinder, mit ihnen zu einer Bildergeschichte zusammen zu stellen. Man kann die Reliefelemente auf einem neutralen Hintergrund anordnen und dann mit ihnen eine Geschichte erzählen. Aber die starken Jungs bekommen heute erst einmal Klüpfel und Hohleisen, womit sie den Pappelstamm aushöhlen können.

Zerfasert

Vormittags traf ich mich mit den anderen Künstlern von YOU&EYE im Anna-Freud-Institut zu einem ersten Gespräch in der siebten Saison des Projektes. Nach dieser Supervision sind wir noch in ein Café gegangen. Mit Leuten reden ist eine nette Abwechslung in meinem Einsiedlerleben.

Gestern arbeitete ich zu Hause an Rolle 12 weiter. Das tat ich mit Tinte statt Tusche, weil dort keine entsprechende Feder zu finden war. Dadurch haben sich die Strukturen verändert und nicht zu ihrem Vorteil. Es hinterließ ein etwas schales Gefühl. Dennoch war es schön, die Arbeit am Abend zu Hause bei mir zu haben. Es sind wieder Linien aus dem Gustavsburgplatz – Gang und Buchmalereiumrisse.

Durch die Heizungsausfälle zerfasert sich meine Arbeit. Das unzusammenhängende Stückwerk der letzten Tage, schlägt sich auch auf mein Denken nieder. Der musikalische Ausflug der letzten Tage war eher ein Lichtblick. Morgen die Schüler und am Donnerstag ein Zahnarztbesuch. Dann hoffe ich wieder, in den Fluss zu kommen.

Musikalisches Gespräch

Das musikalische Gespräch mit Susanne bereicherte meine bildnerische Arbeit indirekt. Meine Gitarrengeräusche waren für sie der Einstieg in ihre eigenen Improvisationen. Ich spielte „leisen Lärm“ und der wurde von einem mir ganz fremden, wohlklingenden Blasinstrument begleitet, übertönt und weiterbearbeitet.

Bevor wir begannen, zeigte ich ihr meine „Notationen“ auf Rolle 12, die ich am selben Tag für diesen Anlass gemacht habe. Wir gingen im Spiel aber nicht direkt auf sie ein. Das möchte ich aber in Zukunft entwickeln. In der freien Improvisation widmeten wir uns eher dem Raum mit seinem Sammelsurium, das angeschlagen werden kann, um sein akustisches Potential zu erforschen. Außerdem entwickelten wir unser gegenseitiges Zuhören und das Reagieren aufeinander.

Rückwirkungen auf meine Arbeit, will ich aufmerksam aufspüren. Das Material verbindet sich zunächst mit den Gustavsburgplatz – Linien. Das rhythmische Gehen kann einen Bezug zur Musik herstellen, auch das Sprechen währenddessen. Aber die Beeinflussung der Töne durch Linien, muss sich erst noch etablieren.

Prozession

In der südwestlichen Nachbarschaft sind hohe Wohnhäuser entstanden, die mir nun, bei diesem Sonnenstand beginnen, das Licht zu nehmen. Nur Teile des Atelierraumes bekommen noch direkte Sonne am Vormittag. Der Winter wiegt in diesem Jahr schwerer als sonst. Mit meinem Alter nimmt er an Gewicht zu. Ich räumte die restlichen frostempfindlichen Pflanzen herein und schnitt einige, auch aus Platzgründen, stark zurück.

Ein musikalisches Gespräch, das ich mit Susanne für heute Abend geplant habe, möchte ich mit Rolle 12 vorbereiten. Dafür zeichne ich die Buchmalereiumrisse in Originalgröße auf das Transparentpapier. Linien aus einem GPS-Gang auf dem Gustavsburgplatz, sollen die Motive verbinden. Es gibt aber auch eine aufgenommene Spur vom Tevesgelände… Ich glaube, dass sich der Geh-Rhythmus aus den aufgezeichneten Wegen mitteilt. Wenn sich Sprache, also Worte hinzugesellen, ist der Weg nicht weit zum Gesang, zur Prozession eines Chores.

Heute zeichnete ich viel mit Feder und Tinte in die Buchmalereien. Der malerische Charakter tritt dadurch etwas in den Hintergrund. Dafür werden die Formen konkreter. Der Abstand zu der zeichnerischen Arbeit auf Rolle 12 nimmt dadurch ab.

Stationentheater

Es gefällt mir gut, den Füller bei den Buchmalereien zu benutzen. Auf diese Weise nähern sich die Linien der Zeichnung und der Schrift, eine Begegnung, die ich auch auf Rolle 12 im Auge habe. Ich tauche die Feder in Wasser, sodass die Tinte erst stark verdünnt auftritt und erste später dunkler wird.

Auf einem Blatt Transparentpapier fand ich die Aufzeichnung eines GPS-Gangs auf dem Gustavsburgplatz. Mir kam sofort in den Sinn, eine Serie von Spaziergängen, Prozessionen und Choreografien zu machen, um sie miteinander zu bearbeiten. Die Abfolge von Wegpunkten ist die Grundlage von einem Stationentheater, das in mehreren Akten die Geschichte des Ortes und seiner Personen erzählt.

Der erste Kurs mit den Schülern in diesem Herbst, war mit 7 Jungs aus aller Welt und einem Mädchen aus der Ukraine, sehr lebendig. Wir unternahmen eine Expedition über die Landschaft der Kraftfeldform, die wieder unser Arbeitstisch sein wird. Danach zwang mich die heranrückende Kaltfront, meine frostempfindlichen Pflanzen umzusiedeln. Zwei Drittel von ihnen stehen nun schon im Atelier.

ekcenier knarf tsi rehcerps red

Nun konnte ich wieder beginnen auf Rolle 12 weiter zu zeichnen. Diese Arbeit orientiert mich nach dem Reisen und den vielen Terminen neu und frisch. Die Umrisse von 3 Buchmalereien zeichnete ich unvergrößert an die Ecken eines imaginären Dreiecks und verband sie mit gewanderten Linien aus dem Lustgarten. Und jetzt kann ich mir vorstellen, diesen Dreiklang mit den täglichen Formaten aus dem Tagebuch fortzusetzen. Wenn es mit den „Berlinien“ (Berlinlinien) nicht gleich weitergeht, nehme ich welche vom Gustavsburgplatz. Und dann spreche ich beim Vorwärtslaufen dazu: „ekcenier knarf tsi rehcerps red“.

Die dritte Buchmalerei weist heute sehr dichte Strukturen auf, von denen ich einige nicht verwischte. Manches Material aus dem Frühstadium der Malereien, sollte ich ernster nehmen und bis zum Ende aufheben. Helge Leihberg sagte mal zu mir, dass an mindesten einer Stelle seiner Bilder, noch die Leinwand hervorschauen sollte. Das ist aber über 40 Jahre her.

In unserer Tevesrunde war der Verbleib des Obdachlosen unter der Eisenbahnbrücke Thema. Dazu gibt es sehr differenzierte Standpunkte. Diesen Gesprächen zu folgen und sie zu pflegen, ist ein Dienst an der Stabilität unserer Gemeinschaft. Ich sprach, zum Missfallen mancher, von der Bewährungsprobe der Solidarität unserer Gruppe mit diesem Mann.

Rückwärts sprechend orientieren

Die Buchmalereien entstehen unter einem gewissen Zeitdruck. Ich schaue zu, wie sie entstehen und versuche mich anzugleichen. Das Unbewusste ist immer ein ganzes Stück voraus – und das ist gut so. Ganz am Ende, schon während des Schreibens, finde ich noch ein paar Linien, die ich mit der Tinte des Füllers verstärken will. Das ist manchmal etwas zu kräftig. Ich sollte da etwas Wasser hinzunehmen.

Es ist als würden die windigen und lichtarmen Tage nur das übrig lassen, was notwendig ist. Meine grazilen Figuren draußen, mit den Muschelköpfen fallen um und Frost ist angesagt. So muss ich die empfindlichen Topfpflanzen schützen, sie auf eine Palette draußen stellen und für die Nacht zum Freitag abdecken. Danach wird es wieder wärmer…

Morgen kommen 8 Schüler zu einem Schnupperkurs. Ich weiß schon ungefähr, was ich mit ihnen mache. Am Freitagabend kommt Susanne zum musikalischen Gespräch. Ich denke daran die Transparentpapierrollen –Partitur auf den Rücken zu drehen und wieder zurück. Das Richtungstauschen spielt auch bei den GPS-Text-Projekten eine Rolle. Orientierung beim Rückwärtssprechen!

Rolle 12

Gestern kam ich endlich wieder dazu, an Rolle 12 weiter zu zeichnen. Zunächst verdichtete ich einfach nur die vorhandenen Strukturen, indem ich beim Hin- und Herrollen das Material auf die Rückseite der Rundung durchzeichnete. So entstanden innerhalb von geschlossenen Flächen Gesträuche, mit denen ich in den Collagen weiter gearbeitet habe.

Aber eigentlich will ich nun Umrissfiguren aus den Buchmalereien mit geschriebenen Linien verbinden. Das folgt ein wenig der Graphic Novel Idee von Frau Dolff – Bonekämper, die mir bei meinem Vortrag im Humboldt Forum zugehört hat.

Wenn ich an eine GPS – Zeichnung denke, die ich in Kooperation mit der Deutschen Bank machen würde, so fällt mir sofort spontan der Gustavsburgplatz ein. Mit Mitarbeitern könnte ich dort ein zweidimensionales Gesträuch laufen, das dann als Vorbild für eine Wandgestaltung aus zusammengeschweißten Armierungseisen an der Hinterfassade des „Gusti“ angebracht werden kann. Im Sommer wird es von einjährigen Kletterpflanzen bewachsen und im Winter ist nur die reine Zeichnung zu sehen.

Thematischer Fluss

Die Kombination von GPS-Zeichnungen, also gewanderten Figuren, mit Musik, könnte verschiedene Ansatzpunkte haben. Einerseits können die rhythmisierten Linien einen Silbengesang beinhalten, andererseits können sich Partituren auf Transparentpapierrollen solcher Gestalt überlagern, dass eine Grundlage zum musizieren entsteht. Ein Soundteppich aus einem gewobenen Liniengesträuch bildet auch eine Grundlage für weitere Wanderungen. In einer Woche treffe ich mich mit einer Musikerin, mit der ich zu einem musikalischen Gespräch verabredet bin. Anhand dessen möchte ich die weiteren Möglichkeiten dieser Arbeitsweisen ausloten.

Anfang Dezember nehme ich die Kerbschittlinien meiner Objekte im Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd mit Frottagen auf Transparentpapier auf, um mit ihnen im Atelier weiter zu zeichnen. Das soll die Arbeit, im kommenden Jahr vor Ort, vorbereiten. Gerne würde ich die Ergebnisse der anderen Projekte dort mit einfließen lassen. Wenn die Themen ineinander greifen, kann ich mich auf einen einzigen thematischen Fluss konzentrieren.

Die kunstgeschichtliche Fakultät der Uni Frankfurt, wie auch eine Projektmanagerin der Deutschen Bank, interessieren sich für meine Arbeit, die mit geografischen Aspekten spielt. Sie wollen auf unterschiedliche Weisen mit mir zusammen arbeiten. Auch das ließe sich verbinden…

SCHRILL

Nach den Begegnungen auf der Venezianischen Biennale, warte ich nun im Atelier darauf, dass sich ihre Folgen zeigen. Beim Scannen der fünfzehn neuen Buchmalereien, fiel mir insbesondere ihre Farbigkeit auf. Die Tendenz würde ich SCHRILL nennen. Das kann die erste Folge der Zwiegespräche sein, die ich mit den Werken der vielen Künstler zu führen versuchte. Aber nicht die Farben der Indigenen aller Welt haben mich positiv eingenommen, sondern die geradlinig strenge, konzeptionelle Arbeit eines australischen Nachkommen der australischen Aborigines. Insbesondere das nichtlineare Zeitkonzept, das mit dem Stammbaumthema aus 650000 Jahren verknüpft zu sein schien, interessierte mich dabei.

Die Sammelsurien aber, die uns der brasilianische Kurator aufblätterte, waren zumeist ärgerlich. Abgedroschene Minderheitenpanoptiken postkolonialer Politisierung lassen Kunst verenden. Dokumentarfilmfluten ersetzen die gewohnten Flimmerscreens. Dankbar sah ich jede Arbeit, deren persönlicher Ansatz ihre Verbindung zur Außenwelt bildet.

Aber alle Tage schien die Sonne, sodass wir an manchen Stellen wie im Sommer saßen, um unseren Aperol zu genießen. Und wir hatten auch genügend Zeit, um uns schlendernd verlaufen zu können. Einmal stießen wir auf einen Länderpavillon in dem eine Wandkeramik eines meiner Transparentpapierrollen – Prinzipien aufnahm und plastisch umsetzte. Die Begegnung mit einem Kunstverwandten!

Zwischenzeit

Ein Tag Stille. Nach der Reise nach Thüringen zum 90. meiner Mutter und der Reise nach Venedig morgen, habe ich eine ruhige Zwischenzeit im Atelier. Gleich zieht es mich in meine Bildforschungen hinein, in Rolle 12 mit ihren Textlinien, die Figuren verbinden sollen, die aus den Buchmalereien heraustreten.

Auf der letzten Venezianischen Biennale sah ich in einem Pavillon eines nordeuropäischen Landes Geflechte, die meinen geflochtenen Weidenkreisen, die sich überall im Gärtchen befinden, ähnelten. Diese gegenständlichen Anmutungen, die aus Naturstrukturen entstehen, entspringen oft archaischen Bildfindungen indigener Naturvölker. Auch meine Figuren, die aus dem Gartenschnitt und Muscheln entstehen, gehen in diese Richtung.

Die gestrigen Buchmalereien sind aus dem wilden Treiben auf den Autobahnen heraus entstanden. Entsprechen ungezügelt entwickelten sie ihre Dynamik. Ganz anders war das heute. Ich hörte Chormusik der Italienischen Renaissance und saß still an den Plätzen für die Malerei und das Schreiben im Atelier.

Offenes Material

Gestern beim Aufräumen fand ich sehr viele Umrisszeichnungen auf Transparentpapier. Das ist „offenes“ Material, das gut weiterverwendet werden kann. Der Rückgriff auf älteres Material aus der eigenen Vergangenheit wird ja in letzter Zeit eine häufiger angewandte Arbeitsweise.

45 Schülern aus der Hindemithschule habe ich meine Arbeit und das, was ich mit ihnen machen würde vorgestellt. Etwa 6 Lehrkräfte waren dabei. Damit war ich mehrere Stunden beschäftigt. Etwas anstrengend das ganze…

Draußen auf dem Gelände traf ich zwei Sozialarbeiterinnen vom Diakoniezentrum „Weser 5“. Sie kamen wegen des Obdachlosen, der unter unserer Brücke „Platte macht“, wie sie sich ausdrücken. Sie fragten, ob es für ihn einen warmen Schlafplatz bei uns gibt, wenn es so richtig kalt wird. Ich brachte die Frauen zum IB, wo sie es mit Profis zutun haben.

Zerpflückt

Gestern arbeitete ich erstmals mit Scans von Rolle 12, indem ich sie in die Collagen einfügte. Die Arbeit daran ging nicht weiter, weil „YOU&EYE“ vorbereitet werden muss, d.h. in erster Linie Atelier aufräumen und für die Arbeit mit den Schülern einrichten. Außerdem wurde meine Schulter in einem MRT untersucht und es stehen Reisen an, nach Thüringen zum 90. Geburtstag meiner Mutter und nach Venedig. Einkauf am Morgen im Supermarkt und Anruf von Vandad, ob ich morgen da bin, um die Schüler der Hindemithschule zu empfangen…

In der Ausstellung von Barockzeichnungen im Städel inspirierten mich die suchenden Linien der Maler. Das kenne ich aus meinen Jugendjahren und habe versucht, in den Buchmalereien davon etwas aufleben zu lassen.

Ansonsten sind sie zerpflückt, wie meine Tage. Es fällt mir nicht leicht, solche Zeiten für die Arbeit verloren zu geben. Fehlende Konzentration macht mir zuschaffen. Immerhin finde ich beim Aufräumen Arbeiten, die ich längst vergessen hatte und viel Reliefrohmaterial, das noch bearbeitet werden kann.

FAUST

Vorgestern, 17.30 Uhr sind wir zur Galluswarte losgelaufen, um Faust I und II zu sehen. Eine Station zum Hauptbahnhof und dann in die U-Bahn noch eine Station bis Willy-Brandt-Platz. 3 oder 4 Rolltreppen weiter oben befindet man sich direkt vor dem Haupteingang des Schauspiels. Karten abholen und dann noch schnell einen Grauburgunder. Die Plätze befinden sich, wie fast immer, in der sechsten Reihe auf der linken Seite. Halbsieben geht es los.

Eine Faustcollage, die den ersten Teil anreißt und durch die Gespensterbahn jagt. Dort wird „Und täglich grüßt das Murmeltier“ gezeigt – ein Rundkurs mit Margarethe. Wolfram Koch schlüpft von der Putzfrau mit Wischmopkarren in den demaskierten Mephisto und führt uns kommentierend durch die Stunden. Das Klamauktempo des ersten Teiles lässt sich nicht durchhalten. Das war beim 2. Grauburgunder des Abends in der ersten Pause schon klar.

Aber es ging collagen-poetisch durch die weite Landschaft der Bühne weiter. Pütti spielt schön, einmal auch nackt, aber oft ganz allein gelassen. Auch während seiner vielen Dialoge kommt er mir einsam vor. Ganz im Gegensatz zu dem Gespann Koch – Straub – Flassig. Manchmal komme ich nicht mehr mit, kann die geballte poetische Ladung nicht mehr aufnehmen. Da hilft dann nur mehr wieder ein Grauburgunder, später zu Hause in der Küchennacht!

IGENSTE

IGENSTE – eine Wortschöpfung aus EWIGEN und STELLE. Ich kann nun versuchen sie in meinen Sprachgebrauch aufzunehmen – ein Begriff für die ewige Stelle oder die Geschichte des Ortes, für die Schichten der IGENSTE. Trockene Schafgarben schneide ich zu Kopffüßlern zurecht. Die stehen elegant auf ihren langen Armen und kurzen Beinen, drohen immer leicht zu kippen, was durch die Richtung, in die der Muschelkopf schaut, ins Gleichgewicht gebracht wird. Das wäre auch eine Übung für die Schüler, die bald wieder mein Atelier mit Lärm füllen werden. Eigentlich graut es mir davor, ich weiß aber auch, wie erfrischend das werden kann.

Gestern habe ich mit Rolle 12 begonnen. Das habe ich eine Weile vor mir her geschoben. Ein Stück stark vergrößerte GPS – Linie, die die Bewegungen von Armin an der Granitschale im Lustgarten aufzeichneten, machte den ANFANG. Im Anschluss entstand eine Umrisszeichnung der 3. Buchmalerei vom 28.10. 2024. Mit diesem Start komme nun hoffentlich in eine gleichmäßige Arbeitsweise, die seit dem Blitzschlaganfall meiner Mutter nicht mehr stattfand.

In die heutigen Buchmalereien bin ich sehr emotional eingestiegen. Sie verdichteten sich schnell mit den unterschiedlichen Strukturelementen. Den Beginn machten Buchstaben, die ich mit der Schriftschablone in das Papier drückte. Diese mischten sich mit den verstärkten Handkantenlinien, kreisenden Farbbewegungen und den Schraffuren der Aquarellstifte. Umrisse abstrakter Figuren bilden zum Abschluss das szenische Element, das alles zusammenhält.