Lange Fußwege, verglichen mit denen, die ich heute im Alltag gehe, spielen in meinen Erinnerungen eine Rolle. Schulwege von Gerode nach Weißenborn-Lüderrode, oder in Waltershausen von einem Ende der Stadt zum anderen.
Auch das Gummikombinat, an dem ich meine Lehre und mein Abitur machte, lag an der Grenze des Ortes. Auf diesem Weg in die Fabrik gab es zumeist eine Station bei meinem Freund Andreas. Dort bekam ich noch einen Kakao, bevor es weiter ging. Immerhin hatten wir um sieben Uhr zu erscheinen, und dann begann zumeist ein tödlich langweiliger Fachunterricht für Gummifacharbeiter.
Nein, da kam keine Lebensfreude auf, alles hatte mit Zwang zutun, nicht mit einer Lernbegeisterung. Ich erinnere mich an die Beschaffenheit der Böden, auf denen ich meine Schulwege ging. Schlechte Zensuren zogen Strafen nach sich, Verachtung, Prügel und Erniedrigung vor dem Abendbrot. Meine Eltern mögen damals vielleicht sechsundzwanzig Jahre alt gewesen sein. In der Mansarde, die ich mit meinem Bruder teilte, schlief die Angst vor dem nächsten Tag mit. Erlösung und Freiheit fand ich im Wald, in den ich alleine flüchtete.
Das Totenbuch besteht aus Erinnerungsscherben, die sich schwarz einfärben. Die Verschmelzung der Erinnerungslöcher hinterlassen Gravitationsschwünge am Küchentisch.