Zerstückelt und neu

Ein paar Stunden verdichtete ich mit dem Überlagern der Tuschelinienschichten der Dornenkronensequenz. In den Collagen verbinde ich Splitter dieser Gesträuche mit den Farben der Buchmalereien. In diesen kleinen Formaten taste ich mich langsam an die Möglichkeiten heran, die Altarobjekte zu überarbeiten.

Die Frage nach dem Sinn der Erfindungen von Gechichtenfragmenten für die Buchmalereien, stellt sich nicht mehr, denn sie funktionieren vor allem für mich. Mir helfen sie, am nächsten Tag besser anknüpfen zu können. Gerade denke ich an Klostermalereien im Himalaja, die schwebend einzelne Organe zeigen. Die linke Figur der ersten Malerei, die auch in der Collage gut zu erkennen ist, erinnert mich daran.

Rotierende Zerstückelungswellen, die wie die Maischmühlen bei der Weinproduktion funktionieren, arbeiten die Figuren in 1 um, damit die sich in 2 wieder neu zusammensetzen können. Dort ordnen sie sich zu fröhlichen Farbkonglomeraten, die in ihrem Entstehen noch ohne Handlung sind. Dann aber in 3, kommen die Probebühnenkulissen dazu, die eine Handlung fordern. Verzweifelt wurschteln die neuen Figuren zwischen den Wänden herum, ohne ihren Text gelernt zu haben. Sie rufen ins Leere nach der Souffleuse.

Verstrickungen

In den heutigen gemalten Szenen bilden sich Verstrickungen ab. Zwischen den kommunizierenden Körpern übertragen sich Zustände. Euphorie und zurückgezogene Gleichgültigkeit neutralisieren sich. Türkisfarbene Pflanzen treiben aus Altrosasümpfen. Aus den Lavastrukturen, die heute wieder die Ausgangssituation bildeten, dehnt sich schnell Farbleben aus. Seine Vielfältigkeit würde ich gerne auf die Flächen der Altarobjekte übertragen.

Gestern zeichnete ich an der Dornenkronensequenz weiter. Die Verdichtung nach unten hin, ich bin bereits bei den Füßen des Gekreuzigten angelangt, muss nun anziehen. Die Dunkelheit muss zunehmen. Das bekomme ich aber hin. Vor Weihnachten ist noch genügend Zeit, um den mittleren Streifen fertig zu zeichnen.

In alten Fotos fand ich Entwürfe für das Kreuz. Varianten in Gips und Styropor. Letztere in Maßstab 1:1. Da ist deutlich diese naive Farbigkeit zu sehen, die nun glücklicherweise verblichen ist. Ein weiteres Kreuzigungsobjekt ist eine lebensgroße Christusfigur, die ich modelliert, abgeformt und in einem sehr stabilen Material abgegossen habe. Im Stück „Bauernsterben“ von Kroetz wurde heftig damit gespielt. Und dann gibt es noch ein Foto von mir, als Gekreuzigter liegend auf einem Prospekt nach Philip Otto Runge.

Insektenkönigin

Mit den Schülern spielte ich gestern Figurenfinden. Das motiviert sie sehr und die Gegenstände, in denen sie danach suchen, können ganz verschieden sein. Es waren Holzspäne, Liniengeflechte und abgeformte Reliefs. Sie fanden Frauenköpfe mit Feuerfrisuren, Fische, Buchstaben, Gürteltiere und abstrakte Muster. Sehr schöne Ergebnisse gab es bei der Bemalung der Holzspäne, die vom Aushöhlen des Baumstammes stammen. Draußen flochten sie die langen Triebe der Weide, die nun ganz ohne Blätter gut zu Ringen gebogen werden können. Es entsteht ein großer Lockenkopf im Gärtchen vor dem Atelier.

Alleine mit meinen Farben und Strukturen, bin ich froh, dem Vorweihnachtstrubel zu entkommen. Die Buchmalereien kann ich auseinander fliegen lassen, sie wieder miteinander verknüpfen und mit allen dreien zusammen eine Handlung erfinden. Die böse Maschine, die die Figuren in der 1. Malerei bedroht, wird in der 2. von einer freundlichen Insektenkönigin verscheucht. Sie gebiert ständig neue kleine Wesen, die in die 3. Malerei schweben. Dort treffen sie auf Pflanzen und fremde Atmosphären, in denen sich Gegenstände manifestieren und wieder in farbigen Wolken verfliegen.

Solche Farbigkeiten wünschte ich mir für die Oberflächenfelder des Altarensembles. Sie könnten der Untergrund für den Tuschestrukturdruck auf einigen der Flächen sein, die von den Kerbschnitten begrenzt sind.

Tiefe der Schichten

Im Frankfurt Lab sahen wir die Lecture Performance einer jungen Frau, deren Thema eine Regiehospitanz bei Oliver Reese im Berliner Ensemble war. Die patriarchalen Verhältnisse an deutschen Theatern, wie sie beklagt worden sind, sind bekannt und haben sich in den vierzig Jahren, in denen wir mit dieser Welt zutun haben, kaum geändert. Die Protagonistin nannte wütend die Namen, sagte aber eigentlich nichts, was allenthalben bekannt ist. Das eigentlich bemerkenswerte ist der Stillstand hinter der leuchtenden Dekoration.

Mit einer differenzierten Strichstärke modelliere ich im Gesträuch der Dornenkranzsequenz einen Raum. Die hell ausgesparten Kerbschnitte von der Holzoberfläche, werden in den fortlaufenden Runden des Zusammenrollens und Durchzeichnens, auch mit den schwach durchscheinenden Linien dünn durchkreuzt. Weil die kräftigen Striche in den Vordergrund rücken, entsteht die Tiefe der hintereinander gestaffelten Schichten. In einem weiteren Schritt werden in diesem Geflecht Figuren gefunden, die sich zunehmend dort verstecken. Das wäre eine Aufgabe für die Schüler, die nachher ins Atelier kommen.

Für die Buchmalereien benutzte ich heute, neben den Aquarellstiften, dem Farbkasten mit Pinseln und der Holzhaarnadel, einen glatt durchgeschnittenen Lavastein. Mit seinen Konturen stempelte ich Farbflecken, wodurch schwebende Körper entstanden. Gegen diese allzu bunte Rundheit setzte ich Geraden, die in verschiedenen Winkeln zueinander stehen und sich kreuzen.

Zeitstillstand

Gestern schaffte ich es, die Dornenkronensequenz in 5 Stunden auf etwa 20 Zentimeter Länge zu verdichten. Je weiter ich den Streifen weiterzeichne, desto konzentrierter wird die Struktur der Tuschelinien und umso langsamer komme ich voran. Es ist, als würde die Zeit auf einen Stillstand zulaufen, an dem sich die Ausdehnung des Universums umkehrt. Wenn sich der Zeitpfeil dann gedreht hat, läuft alles auf eine Singularität zu. Bei meiner Transparentpapierrolle ist das mit der absoluten Schwärze gleich zu setzten.

Mit der zunehmenden Dunkelheit zeichnen sich die Felder zwischen den Kerbschnitten im Dickicht deutlicher ab. Diese Splitter kann ich einzeln mit kräftigen Tuschelinien auf Transparentpapier herauszeichnen, um sie dann im Umdruckverfahren lasierend auf der entsprechenden Holzfläche zu platzieren. Das betrifft nur die Stellen, an denen ein größerer Kontrast benötigt wird. Das soll beispielsweise helfen, die Christusfigur etwas deutlicher hervorzuheben.

Ich merke, dass alles länger dauert, als ich dachte. Jetzt kann ich aber noch nicht einschätzen, ob ich letztlich mehr Zeit benötigen werde. Den Punkt der aufzufrischenden Farbigkeit habe ich auch noch nicht geklärt. Ich schwanke zwischen den Strukturen meiner Buchmalereien und denen der Glasfenster der Arche.

Geschichten

Eine kleine Ausstellung buddhistischer Skulpturen ist im Museum für Angewandte Kunst eingerichtet worden. Wir sahen sie gestern. Kleine einordnende Beschreibungen klärten über Entstehungszeit und Herkunft auf. Sie arbeiten offensichtlich häufiger mit dem Tibethaus zusammen. Einige Exponate stammten von dort.

Vorgestern sahen wir die Premiere eines Stückes über die Verstrickung von Rechtsradikalismus und Verfassungsschutz in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt. Kaum Erkenntnisgewinn, dafür viel Wutgeheul und viel journalistisch oft aufbereitetes Material. All das zugeschnitten auf ein jüngeres Publikum, ging diese Revue an uns vorbei. Ziemlich grell und unerträglich.

Ich frage mich, ob nicht die Erfindung von Geschichten, die in den Buchmalereien vor sich gehen, diese Bilder schmälert. Sicherlich lassen sie sich ohne diese Texte weiter und reicher interpretieren. Eigene Geschichten sind dann leichter zu finden und erleichtern vielleicht sogar den Zugang und die Verbundenheit mit den Motiven. In den Collagen verbinden sie sich ja sowieso gestapelt mit den vorigen Arbeiten.

Energieumwandlungen

In den Buchmalereien habe ich gerade das Spiel von gestern fortgesetzt. Es gesellten sich weitere Figuren hinzu, bzw. verwandelten sich wegen der sich verändernden Atmosphäre. Es finden verschiedene Energieumwandlungen statt, die aus einer gewissen Ordnung in eine Unordnung wechseln. Magnetfelder um eine amorphe Masse wandeln sich in einem Inkubator in Wärme um, die ihre Strahlen konzentriert und in einen Nebel schickt. Das ist die zweite Szene von heute.

In der ersten spielen Stäbe die ordnende Rolle. Sie teilen, stützen und tragen. Man kann sich an ihnen verbrennen und bei intensivem Kontakt verdampfen. Es ist zu sehen, wie das vor sich geht. Da hält man sich doch lieber abseits in gemäßigter Atmosphäre, als Einzelgänger nicht dazugehörend.

In 3 herrscht Chaos, das durch einen Wind geordnet wird. Kalt schießen die Teilchen durcheinander und werden von einer schwachen Energie zusammengehalten. Der Wind aber weht nach rechts in die Zukunft, wo es wärmer wird. Aus dieser Wetterlage tritt eine Figur heraus, die die Wärme personifiziert und den Zeitpfeil in sich trägt.

Drei Szenen

Aus 3 Figurenkonstellationen der heutigen Buchmalereien entstanden 3 Szenen einer kleinen Geschichte. Der Einakter beginnt mit allen Personen, die aufeinander zu und voneinander weg streben, je nach dem, welche Ladung sie besitzen, positive oder negative. Ein Kind ist dabei, getragen auf halber Höhe, mal auf dem Rücken, mal von Stäben oder Energielinien der Gravitation gehalten. Falls sich die Szene in einem Innenraum abspielt, ist das am ehesten ein Labor, und die Darsteller sind Teilnehmer einer Versuchsreihe.

Das Experiment besteht darin, dass sie unterschiedlichen Atmosphären ausgesetzt werden. Es ist zu beobachten, wie sich dadurch ihre Konsistenz und Farbigkeit verändert. Manchmal bestehen sie nur noch aus einer durchscheinenden Hülle und ein andermal werden sie, weil sie keine Ummantelung mehr besitzen, verweht. Vielleicht fing die Geschichte aber schon gestern oder vorgestern an. Vielleicht läuft das Stück schon Jahre, und ich habe nur versäumt, es aufzuschreiben.

Durch das weiße Blatt, das ich in das Transparentpapier mit der fortlaufenden Tuschezeichnung der durchscheinenden Linien des Altarkreuzes der Arche, mit einrolle, bildet sich eine leichte Diskontinuität der sich wiederholenden Linien und deren Überlagerungen. Sichtbar ist das bisher nur für mich, den Eingeweihten. Das reicht auch erst einmal.

Verlangsamung

Gestern Nachmittag setzte ich das um, was ich mir zuvor überlegt hatte. Durch die Sperre der Durchsichtigkeit bis zu den unteren Schichten der Transparentpapierrolle der Dornenkronensequenz, verringerte sich das durchzuzeichnende Material. Der Prozess der Verdunklung durch das Gesträuch, wurde verlangsamt. Die Struktur bekommt allerdings etwas gleichförmig Mystisches. Außer der vorsichtigen Intensivierung, muss ich dem zunächst nichts entgegen setzen, denn es handelt sich lediglich um die Voraussetzung für die Bruchstücke, Scherben und Splitter, mit denen ich die Holzflächen gestalten werde.

Weil ich gestern ein gutes Stück der Vorarbeiten für die Arche-Objekte geschafft habe, treten nun auch wieder andere Vorhaben in mein Denken. Durch eine weitere Einladung ins Humboldtforum, erinnere ich mich an die Textgänge, die ich auf der Museumsinsel und auf dem Gustavsburgplatz machen wollte. Beide Projektbeschreibungen fanden kein Entgegenkommen. Deswegen will ich die Textwanderungen zunächst alleine unternehmen – im Frühjahr.

Die Ateliergemeinschaft, in der Sigi am Thor arbeitet sprach sich mehrheitlich gegen die Durchführung ihres YOU&EYE – Projektes dort an Ort und Stelle aus. Ich möchte mich für Sigi stark machen und hoffe, damit nicht alleine zu bleiben.

Auflockerung

Mit den durchgezeichneten Tuschelinien des mittleren Streifens des Lindenkreuzes aus der Arche, begann ich die Dornenkronen – Überlagerungssequenz. Ich rolle dabei, den Streifen von oben zusammen. Das Liniengeflecht verdichtet sich aber bereits im oberen Drittel so sehr, dass ich weiter unten eine zu große Dunkelheit befürchten muss. Somit werde ich bei der Weiterarbeit Bögen von weißem Papier mit einrollen, damit die geschichtete Struktur teilweise abgedeckt bleibt. Das lockert den Vorgang auf.

Wenn ich die gefüllten Umrisse auf Einzelblätter zeichne, um sie im Umdruckverfahren mit Schellack nutzen zu können, dürfen die Linien nicht zu eng beieinander liegen, sonst verschwimmen sie miteinander. Diese Ungewissheiten, die ich nur nach und nach aufdecken und lösen kann, schaffen zusätzlich etwas Unruhe.

Aber wenn ich mich auf meine Erfahrung verlasse, kann es gehen, wie bei den heutigen Buchmalereien, die ich etwas unambitioniert begann, nur mit der Maßgabe, dass sie nicht zu aufwendig werden sollten, denn ich muss den Workshop mit den Schülern noch vorbereiten. Aber dadurch sind sie locker und reizvoll geworden. Das sollte ich mir merken.

Wald

Wenn neben dem selbst auferlegten Produktionsprozess von außen weitere Aufgaben hinzukommen und keine verlässlichen, kontinuierlichen Arbeitsphasen möglich sind, wird es schwierig. Gestern zeichnete ich den ganzen mittleren Streifen der Kreuzfrottage auf einen weiteren Transparentpapierstreifen durch. Beim Zusammenrollen wurden schon die künftigen Verdichtungsstrukturen sichtbar.

Es ist, als würde das Gesträuch, von dem die Dornenkrone stammt, entstehen. Oder ein ganzer Wald, wie der nahe gelegene Hollmuth. Auf diese Verdichtungssequenz bin ich gespannt. Immer wieder drängt sich der Vergleich mit dem Väterprojekt und seinen Scherbengerichten auf.

Und den Zusammenhang der sakralen Objekte mit der weiterlaufenden Tagebucharbeit, will ich nicht aus dem Blick verlieren. Schon hatte ich Fragmente der Buchmalereien in den farbigen Feldern zwischen den Kerbschnitten vor Augen. Die Strukturen ähneln sich an manchen Stellen und bereichern sich.

Verbindungen

Von den Flächen zwischen den Linien der Dornenkrone auf dem Holzkreuz, Splitter mit dem Blut Christi, zeichnete ich gestern ein paar aneinander liegende, auf Rolle 12. Dort begann ich die gegenwärtigen Materialien miteinander zu verbinden. Das Thema Wanderungen und Sprache kann auch mit einfließen in die Arbeit an den Lindenholzobjekten der Arche.

Gestern besuchten wir die Ateliers in der Idsteiner Strasse. Außer zu Franz empfinde ich eine besondere Verbindung mit den Malereien von Ruth. Wir konnten mit ihr auch gut über ihre Arbeit sprechen. Bei Franz ist es besonders die Verbindung der Zeichnungen mit seiner Meditationspraxis, was uns interessiert.

Susanne, mit der ich kürzlich im Atelier musizierte, schickte mir ein Himmelsbild. Von ihrem Dach aus fotografierte sie den Ausschnitt über meinem Arbeitsraum. Es passt ganz gut zu dem, was ich gerade mache. Mit den Lamellen der Kehrmaschinen habe ich in letzter Zeit öfter mal probiert, verschiedene Töne zu erzeugen. Gerne würde ich das gemeinsam mit der Musikerin fortführen.

Sonntag

In einer Zoom Konferenz eines Kulturinstituts in der Nähe von Shimla, hielt Peter van Ham einen Vortrag über seinen neuen Bildband über Tabo. Danach gab es eine Fragestunde. Die Inder interessieren sich für sie europäischen Haltungen zu ihrem Buddhismus und stellen religionskulturell intime Fragen. Sie sind dabei warmherzig, freundlich und sehr persönlich. Ich bewundere Peter für seine Kraft, Ausdauer und für seine reiche Kenntnis der tibetisch-indischen Kultur.

Mit meinen Frottagen aus der Arche bin ich noch nicht weiter gekommen. Mir fehlt gerade etwas der Schwung. Ich weiß, dass der nächste Arbeitsschritt sehr aufwendig und belastend wird. Deswegen sammle ich mich noch etwas.

Es ist Sonntag. Ich krame im Gärtchen, füttere die Vögel und lasse meine Gedanken etwas treiben. Dabei denke ich an die Zukunft meines Ateliers. Ohne diesen Arbeitsraum könnte ich solche Projekte, die ich in den letzten Jahrzehnten gemacht habe, nicht verwirklichen. Aber wie lange meine Kraft noch für große Vorhaben reicht, weiß ich nicht.

Ökonomie

Ein erstes durchgezeichnetes Blatt habe ich gestern von den Frottagen aus Neckargemünd gemacht. Es handelt sich in erster Linie um die Dornenkrone des Gekreuzigten. So taste ich mich langsam heran. Beim betrachten des Berges von Arbeit, der zu überqueren ist, dachte ich daran, was unterwegs gebraucht wird und was nicht. Es gibt ein Zeitfenster bis Ende März und deswegen den Gedanken an Ökonomie.

Dabei ging mir die Arbeit am Väterprojekt durch den Kopf. Die Felder, die zwischen den geschnittenen Kerbschwüngen entstanden sind, erinnern mich an die Splitter der Scherbengerichte, die ich als Einzelblätter anfertigte und später zu dem Doppelportrait der Väter zusammensetzte. Allerdings war da keine Zeitbeschränkung vorhanden.

Die Erfahrung die ich damals während der viele Jahre andauernden Arbeit sammelte, soll mir nun zugute kommen. Ziel ist es, das Augenmerk schon jetzt auf das Wesentliche zu richten. Durch eine Reduktion der Scherben kann eine stärkere Konzentration erreicht werden. Der Arbeitsprozess wird es weisen.

Richtungen der Zeitpfeile

Schaue ich vom Dach des Kreuzes, das ich 1987 hergestellt habe, herab, ist es als blickte ich in die Vergangenheit. Unter den Füßen des Gekreuzigten sammelt sich die Finsternis der überlagerten Ereignisse, aus denen sich die Zeit zusammensetzt. Die Richtung des Zeitpfeils ist hier eindeutig, er zeigt nach oben über die Dornenkrone hinaus.

Nicht so eindeutig sind die Richtungen des Querbalkens. Normalerweise würde ich sagen, die Vergangenheit liegt auf der linken Seite. Die Verdichtungen beim Zusammenrollen des gezeichneten (geschehenen) Materials nehmen von rechts nach links zu. Mir widerstrebt allerdings der Gedanke dieser einseitigen Komposition, die ein Ungleichgewicht erzeugt. Wenn ich die Dunkelheit der Verdichtungen gleichmäßig verteilen will, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ich rolle das Transparentpapier von der Mitte zu beiden Seiten nach außen, oder umgekehrt von außen zur Mitte hin. Dort würde dann das konzentrierte Geschehen nach unten abgelenkt.

Die Malereien beherbergen einen Streit. Die geschwungenen Formen der Verwischungen und deren Umrisse treten in Opposition zu den konstruktiven Balken und den Kulissenwänden. Irgendwann muss ich das für mich schlichten.

Chaosarchitektur

Die Buchmalereien vom Morgen trauen den langsam entstehenden Strukturen und dem, was aus ihnen wächst, nicht. Es sollte eine Struktur geschaffen werden, in der sich eine Geschichte entwickeln kann. Dies geschah mit der Architektur von Probenmarkierungen, wie sie bei Schauspielproben üblich sind und die Bühnendekoration für den Probenprozess bilden. Aber es entstand keine Ordnung für die Erzählung, sondern Chaos.

Gestern habe ich die drei zentralen Papierbahnen mit den Frottagen des Kreuzes aus der Arche im Atelier aufgehängt, damit ich die Arbeit der nächsten Wochen im Auge habe. Manch Partien der Kerbschnitte im Holz erinnern mich an Keilschrift. Die Linienverdichtungen werde ich, entsprechend der Richtungen der Holzbalken, waggerecht und senkrecht verfolgen. Entsprechend der Arbeitsweise auf den Transparentpapierrollen, überlagern sich die Strukturen dann quer und senkrecht. In der Mitte treffen sie sich. Die Schwünge der Linien weisen über das Format hinaus.

Auf Rolle 12 beschäftigte ich mich gestern mit dem ersten Buchmalereiumriss des Tages. Er ist nicht so stark vergrößert und fügt sich so besser in das Format, passt besser in die Höhe des Streifens. Aber eigentlich müsste ich diese Rolle beiseite legen und mich mit den Frottagen aus Neckargemünd beschäftigen.

Frottagen

Was ich mir gestern vorgenommen hatte, nämlich von allen Flächen meiner Objekte in der Arche in Neckargemünd, Frottagen herzustellen, habe ich nicht geschafft. Die Zeit von 12 bis 17 Uhr hat nicht gereicht. Überhaupt hat das Projekt etwas ausuferndes, was aber an mir und meinem Enthusiasmus liegt.

Zunächst fertigte ich die Frottagen von den Linien des Kreuzes an. Dann hatte ich ein Treffen mit den Auftraggebern. Währenddessen dachte ich beim Sprechen über die Arbeit daran, aus der Not eine Tugend zu machen, auf die Frottagen von Ambo und Altartisch zu verzichten und das Linienmaterial des Kreuzes auch für die Weitergestaltung dieser beiden Objekte zu nutzen. Auf diese Weise, würden zentrale Elemente des Kreuzes, wie Wundmale, Gesicht, Dornenkrone und Hände, fragmentarisch auch dort auftauchen. Das hätte zur Folge, dass das Ensemble, mit dem Verweis auf die Kreuzigung, noch mehr zusammenwachsen würde.

Ich hatte keine Zeit, mich mit der Architektur, den Glasfensterfarben und ihren Strukturen zu befassen. Auch den Glockenton hörte ich noch nicht. Das muss noch etwas warten bis zu einem nächsten Besuch. Es stellt sich heraus, dass ich die verbleibende Zeit bis Februar intensiv nutzen muss, um die Arbeit vor Ort vorzubereiten.

Meditation als Werkzeug

Es ist zu überlegen, welches Arbeitsmaterial mit nach Neckargemünd soll, um dort Frottagen an den aufrecht stehenden Objekten zu machen. Die Transparentpapierrolle muss irgendwie fixiert werden, damit ich mich ganz auf die Schraffur konzentrieren kann. Anderen Eventualitäten kann ich vielleicht mit der dortigen Werkstatt begegnen.

Neben diesem handwerklichen Herangehen, geht mir der gestalterische Prozess durch den Kopf. Es geht dabei um Verdichtung durch ein meditatives Zeichnen. Meditation ist also ein Werkzeug, ein Mittel zu Zweck. Die Frottagen sind dafür der erste Schritt. Mit ihnen transportiere ich das Material in mein Atelier, mit dem ich die Konzentration erreichen kann, mit der ich dann in die Arche zurückkehre.

Weitere praktische Vorgehensweisen gingen mir durch den Kopf. So birgt die Übertragung der verdichteten Tuschezeichnung auf den Holzkörper verschiedene Unsicherheiten. Beispielsweise kann ich die Tuschelinien mit Schellack anlösen, dann die Papierbahn auf die zu gestaltende Fläche legen, um die angelösten Motive, mit leichtem Druck zu übertragen. Beim Abziehen des anhaftenden Papiers, entsteht eine leicht verwischende, weichzeichnende Struktur. Das entschärft die Härte der Tuschelinien und schafft etwas Entfernung. Das kann ich vorher mit Experimenten im Atelier verfeinern.

Stahllamellen

Die Kraft am Morgen, die durch das turbulente Wochenende aufgebraucht war, kam wieder, als ich mich an meine Buchmalereien setzte. Den Klang der Glocken in Dillenburg noch im Ohr, deren einer Guss wir beiwohnten, und die nun eingeweiht wurden, sprang meine Seele voraus und ich hatte Mühe, ihren Bildinspirationen zu folgen. Klänge wuchsen und flogen farbig davon.

Ich denke an die Stahllamellen der Bürsten die unter den Straßenkehrmaschinen rotieren, manchmal verloren gehen, damit ich die aufsammeln und mit ihnen Musik machen kann. Außerdem könnte ich sie für die Papiergravuren innerhalb der Buchmalereien nutzen. Vielleicht lässt sich auf diese Weise Musik in die Malerei übertragen.

Auf die Atmosphäre morgen in der Arche, dem ökumenischen Gemeindezentrum in Neckargemünd, bin ich gespannt. Ich will sehen, welche Inspirationen dieser Raum für mich bereithält, Klang, Licht, Glasfarben und Glocken. Ich frage mich auch wie weit meine Objekte von mit entfernt sind, wie fremd sie mir erscheinen werden. Wahrscheinlich wächst der Wunsch, sie gründlich zu verändern. Die Arbeit wird sein, sie mir wieder anzuverwandeln.

Klang der Glocke

Die gravierten Strukturen in den Buchmalereien bekommen oft zu wenig Aufmerksamkeit. Sie beherbergen eigene Bewegungswelten, deren Gesten fein und zugleich ungefiltert auf dem Papier erscheinen. Meistens werden sie verdeckt oder verwischt. Gern hätte ich sie mal ganz im Vordergrund. Das gelingt sicher einfacher in den Collagen, wegen der digitalen Hilfsmittel. Aber das ist eine andere Sache!

Auf Rolle 12 konnte ich die etwas groß geratenen Umrisse wieder einfangen. Dadurch, dass ich Papier mit einrolle, werden durchscheinende Areale, die weiter zurückliegen, abgedeckt. Das reduziert das Material, das durchgezeichnet werden kann. Es entstehen mehr Freiflächen, was das Binnenleben zwischen den Außengrenzen stärker kontrastiert.

Morgen reisen wir nach Dillenburg, um den Klang der Glocke zu hören, deren Guss wir vor Ort miterlebt haben. Alle kommen zum Gottesdienst – Barbaras Brüder, Freundinnen und die Gemeinde mit dem großartigen Pfarrer. Am Dienstag werde ich nach Neckargemünd in das ökumenische Gemeindezentrum Arche fahren, um an Ort und Stelle Frottagen der Objektoberflächen des Altarensembles zu machen. Und dann wird es auch Zeit, dass ich dem Serkon Rinpoche ein paar Zeilen zu meiner Kloster-Tabo-Arbeit schreibe.

Giraffe!

Mit den Vergrößerungen der Buchmalereiumrisse habe ich es gestern etwas übertrieben. Sie wurden etwa 5 x so groß wie die Originalzeichnungen. Die Tusche bekräftigt die Größe, gewichtet die Strukturen der vorigen Tage stärker, die ich nur mit Tinte und spitzer Feder gezeichnet hatte. Dann erinnerte ich mich an die Lasurmalerei, die auch mit Aquarellfarben gelingen kann. Das alles ging etwas auf Kosten der fließenden, unbewussten Arbeitsweise, die sonst die Oberhand hat, wenn ich mit den Stiften, dem Handballen und Wasser arbeite.

Die Figuren, die während der zeichnerischen Schichtungen des vorigen Materials entstehen, haben manchmal das Zeug für ein reicheres Eigenleben. Sie springen aus den Fächern meiner Erinnerung, ausladende Körper, weite Umhänge und bekrönte Köpfe. Ich kann ihnen Namen geben und sie dann in die Szenen schieben, die sich aus den Konstellationen der Weiterarbeit ergeben werden. Ein intuitives Erzählen ohne Plot.

Aus einem Sommerflieder schnitt ich eine skurrile Giraffe. Sie bekam heute einen Kopf mit den fünf Zähnen, zwei künstlichen und 3 aus mir gewachsenen Exemplaren, die mir gestern gezogen worden sind. Jetzt bin ich ein anderer Mensch, erleichtert, gut gelaunt und bereit, um Bäume auszureißen. Ein Zeichen für die Leichtigkeit ist die Giraffe!

Vergrößerung

Das Experiment, die Buchmalereien in ihrer „Lebensgröße“ auf die Transparentpapierrolle zu übertragen, ist bislang wenig erfolgreich geblieben. Gestern hingegen, vergrößerte ich einen der Umrisse stark und zeichnete ihn auf Rolle 12. Dabei stellte ich fest, dass die Vergrößerung tatsächlich mehr Kraft verlieh. Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Mein Ziel war es eigentlich, dass die Motive im Zoom keine Kraft verlieren… Im Scan und in den Collagen lüften sich die weiteren Geheimnisse der Zeichnung.

Weil ich mit den Schülern weitere Reliefs von der Kraftfeldform abgenommen habe, überlege ich, mich selbst wieder mit den kleinen Reliefs und ihrer Bemalung zu beschäftigen. Vielleicht kann ich andere Aspekte, wie Schrift und GPS-Linien einfügen. Oder eine fließende, zurückhaltende Farbigkeit.

Außerdem kann ich die Collagen weiter verwenden. Kombinationen, die dort entstehen, spielen in der weiteren Arbeit kaum eine Rolle. Das liegt aber auch daran, dass die Arbeit in seltenen Fällen darüber hinausgeht. Das sollte sich wieder ändern…

Äußere Dinge

Während der Buchmalerei spielen die äußeren Dinge kaum eine Rolle. Noch steigt die Sonne mittags über die Hausdächer der Nachbarschaft. Unter die Risse im Dach stelle ich Baubottiche, um das Regenwasser aufzufangen, Arbeitstermine stapeln sich parallel und die Schüler kommen heute erstmalig regulär zu unserer gemeinsamen Arbeit im Rahmen von des diesjährigen „YOU&EYE“. Das alles bleibt von den Farben und Schwüngen fern.

Die Ergebnisse der Transparentpapierarbeit haben in letzter Zeit nicht die konsequente Dringlichkeit, wie sonst. Auch mit den Malereien bin ich ab und zu nicht so zufrieden. Dann aber, nach etwas Mühe, leuchten die Strukturen in den Collagen spannungsvoll auf. Das Geschehen bereichert sich und mehr Tiefe entsteht.

Für „YOU&EYE“ hatte ich die Idee, die ausgeformten und bemalten Figuren der Kinder, mit ihnen zu einer Bildergeschichte zusammen zu stellen. Man kann die Reliefelemente auf einem neutralen Hintergrund anordnen und dann mit ihnen eine Geschichte erzählen. Aber die starken Jungs bekommen heute erst einmal Klüpfel und Hohleisen, womit sie den Pappelstamm aushöhlen können.

Zerfasert

Vormittags traf ich mich mit den anderen Künstlern von YOU&EYE im Anna-Freud-Institut zu einem ersten Gespräch in der siebten Saison des Projektes. Nach dieser Supervision sind wir noch in ein Café gegangen. Mit Leuten reden ist eine nette Abwechslung in meinem Einsiedlerleben.

Gestern arbeitete ich zu Hause an Rolle 12 weiter. Das tat ich mit Tinte statt Tusche, weil dort keine entsprechende Feder zu finden war. Dadurch haben sich die Strukturen verändert und nicht zu ihrem Vorteil. Es hinterließ ein etwas schales Gefühl. Dennoch war es schön, die Arbeit am Abend zu Hause bei mir zu haben. Es sind wieder Linien aus dem Gustavsburgplatz – Gang und Buchmalereiumrisse.

Durch die Heizungsausfälle zerfasert sich meine Arbeit. Das unzusammenhängende Stückwerk der letzten Tage, schlägt sich auch auf mein Denken nieder. Der musikalische Ausflug der letzten Tage war eher ein Lichtblick. Morgen die Schüler und am Donnerstag ein Zahnarztbesuch. Dann hoffe ich wieder, in den Fluss zu kommen.

Musikalisches Gespräch

Das musikalische Gespräch mit Susanne bereicherte meine bildnerische Arbeit indirekt. Meine Gitarrengeräusche waren für sie der Einstieg in ihre eigenen Improvisationen. Ich spielte „leisen Lärm“ und der wurde von einem mir ganz fremden, wohlklingenden Blasinstrument begleitet, übertönt und weiterbearbeitet.

Bevor wir begannen, zeigte ich ihr meine „Notationen“ auf Rolle 12, die ich am selben Tag für diesen Anlass gemacht habe. Wir gingen im Spiel aber nicht direkt auf sie ein. Das möchte ich aber in Zukunft entwickeln. In der freien Improvisation widmeten wir uns eher dem Raum mit seinem Sammelsurium, das angeschlagen werden kann, um sein akustisches Potential zu erforschen. Außerdem entwickelten wir unser gegenseitiges Zuhören und das Reagieren aufeinander.

Rückwirkungen auf meine Arbeit, will ich aufmerksam aufspüren. Das Material verbindet sich zunächst mit den Gustavsburgplatz – Linien. Das rhythmische Gehen kann einen Bezug zur Musik herstellen, auch das Sprechen währenddessen. Aber die Beeinflussung der Töne durch Linien, muss sich erst noch etablieren.

Prozession

In der südwestlichen Nachbarschaft sind hohe Wohnhäuser entstanden, die mir nun, bei diesem Sonnenstand beginnen, das Licht zu nehmen. Nur Teile des Atelierraumes bekommen noch direkte Sonne am Vormittag. Der Winter wiegt in diesem Jahr schwerer als sonst. Mit meinem Alter nimmt er an Gewicht zu. Ich räumte die restlichen frostempfindlichen Pflanzen herein und schnitt einige, auch aus Platzgründen, stark zurück.

Ein musikalisches Gespräch, das ich mit Susanne für heute Abend geplant habe, möchte ich mit Rolle 12 vorbereiten. Dafür zeichne ich die Buchmalereiumrisse in Originalgröße auf das Transparentpapier. Linien aus einem GPS-Gang auf dem Gustavsburgplatz, sollen die Motive verbinden. Es gibt aber auch eine aufgenommene Spur vom Tevesgelände… Ich glaube, dass sich der Geh-Rhythmus aus den aufgezeichneten Wegen mitteilt. Wenn sich Sprache, also Worte hinzugesellen, ist der Weg nicht weit zum Gesang, zur Prozession eines Chores.

Heute zeichnete ich viel mit Feder und Tinte in die Buchmalereien. Der malerische Charakter tritt dadurch etwas in den Hintergrund. Dafür werden die Formen konkreter. Der Abstand zu der zeichnerischen Arbeit auf Rolle 12 nimmt dadurch ab.

Stationentheater

Es gefällt mir gut, den Füller bei den Buchmalereien zu benutzen. Auf diese Weise nähern sich die Linien der Zeichnung und der Schrift, eine Begegnung, die ich auch auf Rolle 12 im Auge habe. Ich tauche die Feder in Wasser, sodass die Tinte erst stark verdünnt auftritt und erste später dunkler wird.

Auf einem Blatt Transparentpapier fand ich die Aufzeichnung eines GPS-Gangs auf dem Gustavsburgplatz. Mir kam sofort in den Sinn, eine Serie von Spaziergängen, Prozessionen und Choreografien zu machen, um sie miteinander zu bearbeiten. Die Abfolge von Wegpunkten ist die Grundlage von einem Stationentheater, das in mehreren Akten die Geschichte des Ortes und seiner Personen erzählt.

Der erste Kurs mit den Schülern in diesem Herbst, war mit 7 Jungs aus aller Welt und einem Mädchen aus der Ukraine, sehr lebendig. Wir unternahmen eine Expedition über die Landschaft der Kraftfeldform, die wieder unser Arbeitstisch sein wird. Danach zwang mich die heranrückende Kaltfront, meine frostempfindlichen Pflanzen umzusiedeln. Zwei Drittel von ihnen stehen nun schon im Atelier.

ekcenier knarf tsi rehcerps red

Nun konnte ich wieder beginnen auf Rolle 12 weiter zu zeichnen. Diese Arbeit orientiert mich nach dem Reisen und den vielen Terminen neu und frisch. Die Umrisse von 3 Buchmalereien zeichnete ich unvergrößert an die Ecken eines imaginären Dreiecks und verband sie mit gewanderten Linien aus dem Lustgarten. Und jetzt kann ich mir vorstellen, diesen Dreiklang mit den täglichen Formaten aus dem Tagebuch fortzusetzen. Wenn es mit den „Berlinien“ (Berlinlinien) nicht gleich weitergeht, nehme ich welche vom Gustavsburgplatz. Und dann spreche ich beim Vorwärtslaufen dazu: „ekcenier knarf tsi rehcerps red“.

Die dritte Buchmalerei weist heute sehr dichte Strukturen auf, von denen ich einige nicht verwischte. Manches Material aus dem Frühstadium der Malereien, sollte ich ernster nehmen und bis zum Ende aufheben. Helge Leihberg sagte mal zu mir, dass an mindesten einer Stelle seiner Bilder, noch die Leinwand hervorschauen sollte. Das ist aber über 40 Jahre her.

In unserer Tevesrunde war der Verbleib des Obdachlosen unter der Eisenbahnbrücke Thema. Dazu gibt es sehr differenzierte Standpunkte. Diesen Gesprächen zu folgen und sie zu pflegen, ist ein Dienst an der Stabilität unserer Gemeinschaft. Ich sprach, zum Missfallen mancher, von der Bewährungsprobe der Solidarität unserer Gruppe mit diesem Mann.

Rückwärts sprechend orientieren

Die Buchmalereien entstehen unter einem gewissen Zeitdruck. Ich schaue zu, wie sie entstehen und versuche mich anzugleichen. Das Unbewusste ist immer ein ganzes Stück voraus – und das ist gut so. Ganz am Ende, schon während des Schreibens, finde ich noch ein paar Linien, die ich mit der Tinte des Füllers verstärken will. Das ist manchmal etwas zu kräftig. Ich sollte da etwas Wasser hinzunehmen.

Es ist als würden die windigen und lichtarmen Tage nur das übrig lassen, was notwendig ist. Meine grazilen Figuren draußen, mit den Muschelköpfen fallen um und Frost ist angesagt. So muss ich die empfindlichen Topfpflanzen schützen, sie auf eine Palette draußen stellen und für die Nacht zum Freitag abdecken. Danach wird es wieder wärmer…

Morgen kommen 8 Schüler zu einem Schnupperkurs. Ich weiß schon ungefähr, was ich mit ihnen mache. Am Freitagabend kommt Susanne zum musikalischen Gespräch. Ich denke daran die Transparentpapierrollen –Partitur auf den Rücken zu drehen und wieder zurück. Das Richtungstauschen spielt auch bei den GPS-Text-Projekten eine Rolle. Orientierung beim Rückwärtssprechen!

Rolle 12

Gestern kam ich endlich wieder dazu, an Rolle 12 weiter zu zeichnen. Zunächst verdichtete ich einfach nur die vorhandenen Strukturen, indem ich beim Hin- und Herrollen das Material auf die Rückseite der Rundung durchzeichnete. So entstanden innerhalb von geschlossenen Flächen Gesträuche, mit denen ich in den Collagen weiter gearbeitet habe.

Aber eigentlich will ich nun Umrissfiguren aus den Buchmalereien mit geschriebenen Linien verbinden. Das folgt ein wenig der Graphic Novel Idee von Frau Dolff – Bonekämper, die mir bei meinem Vortrag im Humboldt Forum zugehört hat.

Wenn ich an eine GPS – Zeichnung denke, die ich in Kooperation mit der Deutschen Bank machen würde, so fällt mir sofort spontan der Gustavsburgplatz ein. Mit Mitarbeitern könnte ich dort ein zweidimensionales Gesträuch laufen, das dann als Vorbild für eine Wandgestaltung aus zusammengeschweißten Armierungseisen an der Hinterfassade des „Gusti“ angebracht werden kann. Im Sommer wird es von einjährigen Kletterpflanzen bewachsen und im Winter ist nur die reine Zeichnung zu sehen.

Thematischer Fluss

Die Kombination von GPS-Zeichnungen, also gewanderten Figuren, mit Musik, könnte verschiedene Ansatzpunkte haben. Einerseits können die rhythmisierten Linien einen Silbengesang beinhalten, andererseits können sich Partituren auf Transparentpapierrollen solcher Gestalt überlagern, dass eine Grundlage zum musizieren entsteht. Ein Soundteppich aus einem gewobenen Liniengesträuch bildet auch eine Grundlage für weitere Wanderungen. In einer Woche treffe ich mich mit einer Musikerin, mit der ich zu einem musikalischen Gespräch verabredet bin. Anhand dessen möchte ich die weiteren Möglichkeiten dieser Arbeitsweisen ausloten.

Anfang Dezember nehme ich die Kerbschittlinien meiner Objekte im Gemeindezentrum Arche in Neckargemünd mit Frottagen auf Transparentpapier auf, um mit ihnen im Atelier weiter zu zeichnen. Das soll die Arbeit, im kommenden Jahr vor Ort, vorbereiten. Gerne würde ich die Ergebnisse der anderen Projekte dort mit einfließen lassen. Wenn die Themen ineinander greifen, kann ich mich auf einen einzigen thematischen Fluss konzentrieren.

Die kunstgeschichtliche Fakultät der Uni Frankfurt, wie auch eine Projektmanagerin der Deutschen Bank, interessieren sich für meine Arbeit, die mit geografischen Aspekten spielt. Sie wollen auf unterschiedliche Weisen mit mir zusammen arbeiten. Auch das ließe sich verbinden…

SCHRILL

Nach den Begegnungen auf der Venezianischen Biennale, warte ich nun im Atelier darauf, dass sich ihre Folgen zeigen. Beim Scannen der fünfzehn neuen Buchmalereien, fiel mir insbesondere ihre Farbigkeit auf. Die Tendenz würde ich SCHRILL nennen. Das kann die erste Folge der Zwiegespräche sein, die ich mit den Werken der vielen Künstler zu führen versuchte. Aber nicht die Farben der Indigenen aller Welt haben mich positiv eingenommen, sondern die geradlinig strenge, konzeptionelle Arbeit eines australischen Nachkommen der australischen Aborigines. Insbesondere das nichtlineare Zeitkonzept, das mit dem Stammbaumthema aus 650000 Jahren verknüpft zu sein schien, interessierte mich dabei.

Die Sammelsurien aber, die uns der brasilianische Kurator aufblätterte, waren zumeist ärgerlich. Abgedroschene Minderheitenpanoptiken postkolonialer Politisierung lassen Kunst verenden. Dokumentarfilmfluten ersetzen die gewohnten Flimmerscreens. Dankbar sah ich jede Arbeit, deren persönlicher Ansatz ihre Verbindung zur Außenwelt bildet.

Aber alle Tage schien die Sonne, sodass wir an manchen Stellen wie im Sommer saßen, um unseren Aperol zu genießen. Und wir hatten auch genügend Zeit, um uns schlendernd verlaufen zu können. Einmal stießen wir auf einen Länderpavillon in dem eine Wandkeramik eines meiner Transparentpapierrollen – Prinzipien aufnahm und plastisch umsetzte. Die Begegnung mit einem Kunstverwandten!

Zwischenzeit

Ein Tag Stille. Nach der Reise nach Thüringen zum 90. meiner Mutter und der Reise nach Venedig morgen, habe ich eine ruhige Zwischenzeit im Atelier. Gleich zieht es mich in meine Bildforschungen hinein, in Rolle 12 mit ihren Textlinien, die Figuren verbinden sollen, die aus den Buchmalereien heraustreten.

Auf der letzten Venezianischen Biennale sah ich in einem Pavillon eines nordeuropäischen Landes Geflechte, die meinen geflochtenen Weidenkreisen, die sich überall im Gärtchen befinden, ähnelten. Diese gegenständlichen Anmutungen, die aus Naturstrukturen entstehen, entspringen oft archaischen Bildfindungen indigener Naturvölker. Auch meine Figuren, die aus dem Gartenschnitt und Muscheln entstehen, gehen in diese Richtung.

Die gestrigen Buchmalereien sind aus dem wilden Treiben auf den Autobahnen heraus entstanden. Entsprechen ungezügelt entwickelten sie ihre Dynamik. Ganz anders war das heute. Ich hörte Chormusik der Italienischen Renaissance und saß still an den Plätzen für die Malerei und das Schreiben im Atelier.

Offenes Material

Gestern beim Aufräumen fand ich sehr viele Umrisszeichnungen auf Transparentpapier. Das ist „offenes“ Material, das gut weiterverwendet werden kann. Der Rückgriff auf älteres Material aus der eigenen Vergangenheit wird ja in letzter Zeit eine häufiger angewandte Arbeitsweise.

45 Schülern aus der Hindemithschule habe ich meine Arbeit und das, was ich mit ihnen machen würde vorgestellt. Etwa 6 Lehrkräfte waren dabei. Damit war ich mehrere Stunden beschäftigt. Etwas anstrengend das ganze…

Draußen auf dem Gelände traf ich zwei Sozialarbeiterinnen vom Diakoniezentrum „Weser 5“. Sie kamen wegen des Obdachlosen, der unter unserer Brücke „Platte macht“, wie sie sich ausdrücken. Sie fragten, ob es für ihn einen warmen Schlafplatz bei uns gibt, wenn es so richtig kalt wird. Ich brachte die Frauen zum IB, wo sie es mit Profis zutun haben.

Zerpflückt

Gestern arbeitete ich erstmals mit Scans von Rolle 12, indem ich sie in die Collagen einfügte. Die Arbeit daran ging nicht weiter, weil „YOU&EYE“ vorbereitet werden muss, d.h. in erster Linie Atelier aufräumen und für die Arbeit mit den Schülern einrichten. Außerdem wurde meine Schulter in einem MRT untersucht und es stehen Reisen an, nach Thüringen zum 90. Geburtstag meiner Mutter und nach Venedig. Einkauf am Morgen im Supermarkt und Anruf von Vandad, ob ich morgen da bin, um die Schüler der Hindemithschule zu empfangen…

In der Ausstellung von Barockzeichnungen im Städel inspirierten mich die suchenden Linien der Maler. Das kenne ich aus meinen Jugendjahren und habe versucht, in den Buchmalereien davon etwas aufleben zu lassen.

Ansonsten sind sie zerpflückt, wie meine Tage. Es fällt mir nicht leicht, solche Zeiten für die Arbeit verloren zu geben. Fehlende Konzentration macht mir zuschaffen. Immerhin finde ich beim Aufräumen Arbeiten, die ich längst vergessen hatte und viel Reliefrohmaterial, das noch bearbeitet werden kann.

FAUST

Vorgestern, 17.30 Uhr sind wir zur Galluswarte losgelaufen, um Faust I und II zu sehen. Eine Station zum Hauptbahnhof und dann in die U-Bahn noch eine Station bis Willy-Brandt-Platz. 3 oder 4 Rolltreppen weiter oben befindet man sich direkt vor dem Haupteingang des Schauspiels. Karten abholen und dann noch schnell einen Grauburgunder. Die Plätze befinden sich, wie fast immer, in der sechsten Reihe auf der linken Seite. Halbsieben geht es los.

Eine Faustcollage, die den ersten Teil anreißt und durch die Gespensterbahn jagt. Dort wird „Und täglich grüßt das Murmeltier“ gezeigt – ein Rundkurs mit Margarethe. Wolfram Koch schlüpft von der Putzfrau mit Wischmopkarren in den demaskierten Mephisto und führt uns kommentierend durch die Stunden. Das Klamauktempo des ersten Teiles lässt sich nicht durchhalten. Das war beim 2. Grauburgunder des Abends in der ersten Pause schon klar.

Aber es ging collagen-poetisch durch die weite Landschaft der Bühne weiter. Pütti spielt schön, einmal auch nackt, aber oft ganz allein gelassen. Auch während seiner vielen Dialoge kommt er mir einsam vor. Ganz im Gegensatz zu dem Gespann Koch – Straub – Flassig. Manchmal komme ich nicht mehr mit, kann die geballte poetische Ladung nicht mehr aufnehmen. Da hilft dann nur mehr wieder ein Grauburgunder, später zu Hause in der Küchennacht!

IGENSTE

IGENSTE – eine Wortschöpfung aus EWIGEN und STELLE. Ich kann nun versuchen sie in meinen Sprachgebrauch aufzunehmen – ein Begriff für die ewige Stelle oder die Geschichte des Ortes, für die Schichten der IGENSTE. Trockene Schafgarben schneide ich zu Kopffüßlern zurecht. Die stehen elegant auf ihren langen Armen und kurzen Beinen, drohen immer leicht zu kippen, was durch die Richtung, in die der Muschelkopf schaut, ins Gleichgewicht gebracht wird. Das wäre auch eine Übung für die Schüler, die bald wieder mein Atelier mit Lärm füllen werden. Eigentlich graut es mir davor, ich weiß aber auch, wie erfrischend das werden kann.

Gestern habe ich mit Rolle 12 begonnen. Das habe ich eine Weile vor mir her geschoben. Ein Stück stark vergrößerte GPS – Linie, die die Bewegungen von Armin an der Granitschale im Lustgarten aufzeichneten, machte den ANFANG. Im Anschluss entstand eine Umrisszeichnung der 3. Buchmalerei vom 28.10. 2024. Mit diesem Start komme nun hoffentlich in eine gleichmäßige Arbeitsweise, die seit dem Blitzschlaganfall meiner Mutter nicht mehr stattfand.

In die heutigen Buchmalereien bin ich sehr emotional eingestiegen. Sie verdichteten sich schnell mit den unterschiedlichen Strukturelementen. Den Beginn machten Buchstaben, die ich mit der Schriftschablone in das Papier drückte. Diese mischten sich mit den verstärkten Handkantenlinien, kreisenden Farbbewegungen und den Schraffuren der Aquarellstifte. Umrisse abstrakter Figuren bilden zum Abschluss das szenische Element, das alles zusammenhält.

Der suchende Strich

Im Städel, bei den Alten Meistern gestern, tranken wir gierig in der Tiefe der Bilder schwimmend. Der Maler einer Verspottung Christi, gestaltete die Gesichter, dass sich in ihnen die unflätigen Worte abbildeten. Man kann den Gestank sehen, der sich verbreitet. Das ist sehr gegenwärtig.

Im Kupferstichkabinett sind Zeichnungen italienischer Barockmaler zu sehen. Bei ihrer Suche nach der Gestalt der Motive, treten viel mehr Emotionen zutage, als dann bei den nach den Skizzen meisterhaft gemalten Bildern. Dieser suchende Strich, der umherwandert, die Spuren verdichtet und dann zur Form findet, ist mir sehr nahe.

Ein wenig lässt sich diese Arbeit mit dem Schneiden der Brombeersträucher vergleichen, nur dass der Vorgang umgekehrt ist. Manchmal schneide ich trockene Pflanzenteile so zurecht, dass die auf dem Kopf stehenden Astverzweigungen mehrere Standbeine werden. Der dickere Strang, aus denen sie trieben, wird dann der Oberkörper, eine Muschel oder Feder, der Kopf. Zeichnen mit der Gartenschere.

Verrat

Schriftbänder in mittelalterlichen Buchmalereien kommen mir, wenn ich an die GPS-Zeilen denke, in den Sinn. Dazu gehören auch die Linien, die ich in das Lindenholz der Arche-Objekte geschnitten habe. Meine Handschrift verändert sich mit der Architektur meiner rechten Hand, auch die Linien, die ich zeichne oder schneide.

Durch übergeordnete Themen fügen sich die unterschiedlichen Texte, mit denen ich arbeite zusammen. Es gibt beispielsweise das Thema Verrat. In der Bibel verrät Judas seinen Lehrer und Meister. Die Silberlinge, die mein IM „Lutz Lange“ für seinen Verrat bekam, waren wahrscheinlich seine Reisen in das NSW (nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet). Aber er verriet seinen Schüler! Was folgt aus dieser (dialektischen) Umkehrung?

Denke ich an den Wissensdurst von Stephen Hawking, habe ich den ungläubigen Thomas vor Augen. Er verlässt sich nicht auf sein Bauchgefühl, er will wissen und nicht nur glauben. Es geht um die Annäherung an die Formel, um die Wunde. Jeder Strich in den Buchmalereien sollte sich aber der Formel nähern. Thomas und Judas, ein interessantes Paar.

Stapeln

Die Collagen, die ich im Jahr 2023 werktäglich als erste gemacht habe, die also am Ende der Dateibezeichnung die Zahl 1 aufweisen, kopierte ich in einen Extraordner. So kann ich sie nun als Diashow laufen lassen. Jede Collage baut auf der vorhergehenden auf. Es handelt sich also um Bilderstapel aus über 200 Scans. Im Ablauf wird der Stapelvorgang deutlich.

Die Arbeit an den Buchmalereien kommt mir luxuriös vor. Ich freue mich am Morgen auf die erste gelbe Schicht, die ich mit kreisenden oder zappelnden Linien auftrage und Linien mit der Holznadel dort wieder hinein grabe. Das geht Schicht um Schicht genussvoll so weiter. Der ganze Vorgang hat etwas mit Lasurmalerei zutun. Und die hat mit meinen künstlerischen Anfängen zutun.

Heute begann ich mit den Handkantenlinien, die ich verlängerte und dann daraus eine konstruktive Komposition zeichnete. Nach der Übertragung dieser Konstruktion mit der nassen Handkante in die anderen Malereien, reduzierte ich sie dort auf die wichtigsten Striche, die dann als Konzentrat übrig bleiben. Diese ähneln dann wieder den GPS-Linien, die als Zeilen für die verschiedenen Texte benutzt werden können.

Szenisches

Die GPS-Linien vom Lustgarten schleichen sich in die Buchmalereien ein. Die Strichgeflechte nutze ich als Zeilenstruktur für die Verschriftlichungen der Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“ und meines Interviews zum Palast: „…mir schwer fällt, dort linientreu meinen Dienst zu tun.“, trifft auf:„…für das Dresdner Schauspielhaus, glaube ich.“ usw..

Die Figuren, die in den Malereien auftauchen, bekommen mit den Worten zutun, sprechen sie selber überkreuz oder hören sie zumindest. Bei unserer letzten Schlossaktion in Berlin, meinte eine Mitstreiterin, dass es folgerichtig wäre, wenn meine nächste Arbeit eine Graphic Novel würde. Sieht man mal ab von den gängigen Stilformen dieser Gattung, ist an diesem Gedanken etwas richtig, denn in dem Moment, wo Text und Figuren gemeinsam auftauchen, wird das Denken szenisch.

Auch die Lindenholzobjekte in der Arche in Neckargemünd haben, in das Holz geschnittene, Liniengeflechte. Auf Transparentpapierrollen werde ich ausprobieren, wie diese Linien als Zeilen funktionieren. Die Texte, die dort hineinpassen, sind solche von Liebe und Verrat, Reichtum und Lüge und von Hingabe und Gebot. Es sind verdichtete Notizen von der Arbeit.

Transit I Zahlen

Jedes Hineingehen ist mit einem Transit verbunden. Der Gang führt in einen Raum, der vielleicht auf dich gewartet hat. Im Durchgangsbereich befinden sich Hinweise auf die neue Qualität, die dich erwartet: ein anderes Licht, eine hörbare Ortsbestimmung, eine veränderte Temperatur und eine Luftbewegung mit einem neuen Geruch.

Mein Mindestpensum an Arbeitstagen in einem Jahr, habe ich heute bereits erreicht. Es ist mein zweihundertster Tag, an dem ich im Atelier das ganze Werktagebuch und weitere Arbeiten machte. Die Anzahl der Collagen, die als Bilddateien nummeriert sind, verschaffen mir den zeitlichen Überblick. Sechshundert Collagen sind es heute, die ich seit Anfang Januar gemacht habe. – Zahlen…

Immer mal spielen neue Elemente in den Buchmalereien eine vorübergehende Rolle. Die Haarstruktur ist bisher noch nicht mit Schrift zusammen gekommen. Wohl aber die kreisenden Linien mit Kulissenkonstruktionen. Die überraschendsten Strukturen bilden die Handkantenabdrücke, die ich manchmal mit einem erfreuten Laut kommentiere, sobald ich die Hand vom Papier entferne.

Ein anderer Tannhäuser

Auf der höchsten Stelle der lang gestreckten Erhebung der Hörselberge steht das Haus, das den Namen des Höhenzugs trägt. Es befindet sich direkt oberhalb der Venushöhle, in der eine Szene der Oper Tannhäuser spielt. An den Wänden des Ausflugslokals findet eine skurrile Wagnerverehrung statt. Bilder von Künstlern beschäftigen sich dort vor allem mit der Venushöhlenszene.

Es gibt eine deftige Speisekarte und auch sonst geht es eher rustikal zu. Mit meiner Mutter, die zuvor aus der Klinik entlassen worden war und mit meinem Bruder, fuhren wir dort hinauf zum Mittagessen. Draußen starteten Gleitschirmflieger in der strahlenden Sonne und drinnen war alles voll mit alten Leuten, viele Wanderer darunter. Nachdem wir einen Tisch für den 90. Geburtstag meiner Mutter reserviert hatten, verließen wir, über eine enge Treppe, das Lokal.

Dort öffnete sich die Küchentür und zwei junge indische Köche traten heraus. Nach einer kurzen Unterhaltung über das indische Kochen, kamen wir darauf, dass einer von beiden aus Kolkata kommt. Ich erzählte ihm, dass ich einen Schüler (Trishi) hatte, dessen Großvater in diesem Tempel dient. Und plötzlich stellte ich mir den Sängerkrieg an dieser Stelle vor, unter dem Geflecht der geopferten Frauenhaare mit den Seilen der Glocken, über dem blutigen Betonboden der Opferstelle. Die deutschen Chöre mit den indischen Trommeln… Das ginge doch!

Schriftrollen

Welche sinnvollen Entwicklungen sind aus der Verbindung von Textteilen mit den Buchmalereien zu erwarten? Mich beschäftigt, wie ich damit weiterkomme. Franz Konter hat auch eine Weile etwas Ähnliches betrieben und machte sogar ein Buch daraus. Beim Suchen danach, fand ich in meinem Chaos „MÜLLER MP3“, ein Tondokument von Heiner Müller, 36 Stunden gesprochenes Wort. Vielleicht kann er mit weiterhelfen.

Die Arbeit stockt. Bin gestern Nachmittag nach Hause gegangen, um mich auszuruhen. Dabei kramte ich in den Fotos aus dem Spitital. Eines zeigte den Inhalt einer Gebetsmühle, eine Papierrolle mit Sutras voll geschrieben. Die verschiedenen Arten von Schriftrollen sollten mich mehr interessieren!

Samen vom Wiesenbocksbart, einer Riesenpusteblume, habe ich vor ein paar Tagen in die feuchte Erde gesteckt. Nach zwei Tagen schon sprossen die grasartigen Jungpflanzen. Diese Art hat sich von selbst auf meiner Wiese eingefunden und nun möchte ich sie im kommenden Frühjahr draußen vermehren. Gestern in der Tevesrunde warb ich für ein Grünkonzept für unser Gelände.

Schriftlinien

Die Linien, die in den Buchmalereien, die Hautstruktur der Handkante verstärken, verlängern und so in eine Konstruktion verwandeln, erinnern mich an die stark vergrößerten GPS-Linien. Auch sie eignen sich für Texte. Die Worte gehen in die Zeichnung der Striche über und werden vermalt. Beide Elemente, Text und Malerei verändern sich. Die so verstärkten Linien reichern die zeichnerischen Elemente an. Das Schreiben wird unterbrochen und nimmt direkten Bezug auf das Entstehen der Bilder.

Susanne Rentel, die mich vor einiger Zeit im Atelier besuchte, und mir von der Alten Seilerei in Oberrad erzählte, schlägt mir eine musikalische Unterhaltung in meinem Atelier vor. Das Gespräch sollte zwischen ihrem elektronischen Blasinstrument und meiner Gitarre entstehen. Spannend würde ich finden, wenn wir die Bilder mit einbeziehen könnten.

Meiner Mutter geht es besser. Das erleichtert und macht das Arbeiten wieder eher möglich.

Zettel

Die Sachen liegen durcheinander auf dem Tisch. Ein kleines Stück Weg, das Armin neben der Granitschale im Lustgarten aufgezeichnet hat, das mir als Zeilen für Handschrifttexte diente, die eher zufällig gefunden sind. Zettel mit Notizen: Erweiterung des Theaterstücks „Bau auf! Bau ab!“, „Handprint Berlin – Kraftfeld II“. Wir gehen mit dem Textfragment in den Raum und warten, was passiert.

„Wir sind die Ewigen“ – dieses Zitat des Beginns von Annes Roman war der Startpunkt der gestrigen Buchmalereien. So geht es los, an dieser Stelle, Energie… Und: „Er lebt so in den Tag hinein“, der Kernsatz meines IM „Lutz Lange“.

Schlaganfall meiner Mutter. Lähmung, fragmentierte Sprache. In den letzten Monaten, nach dem Tod meines Vaters haben wir uns angenähert, hatten mehr Gelegenheit, miteinander zu sprechen, als in seiner Anwesenheit. Umso trauriger ist das jetzt… Ich wundere mich, dass ich überhaupt arbeiten kann.

TABO ZURÜCK IN`S LICHT

Im Tibethaus Deutschland eröffneten wir gestern unsere Ausstellung TABO ZURÜCK IN`S LICHT. Das ist der Titel des Fotobandes von Peter, der nun bei Hirmer herausgekommen ist. Neben den übervergrößerten, farbigen Figuren, die die Wände des Klosters überdecken, nahm sich meine bescheidene Transparentpapierrolle mit den Tuschelinien wie ein Gebetsbuch aus, das einem Rückzugsort entsprungen zu sein schien. Es bildete den Kontrast zur bunten Pracht der großen Abbildungen.

Peter hielt einen opulent bebilderten Vortrag über den Mandalagrundriss des Klosters und dessen Verzweigungen bis in die kleinsten Details. Die projizierten Bilder erhellten den erinnerten Eindruck und bereicherten uns um Ansichten, die vor Ort wegen der Blickwinkel und dem Abstand oft gar nicht möglich sind. Die großen, auf Vliestapeten gedruckten, Buddhas machen den Eindruck, als gehörten sie zu dem Raum der sie umgibt. Sehr gelungen!

Thoesam Rinpoche stellte mich vor und bat mich, vor das Publikum zu treten, um etwas von meiner Arbeit zu erzählen. Dabei hängte er mir einen weißen Schal um und bedankte sich bei mir mit einer sehr schönen Kalligrafie eines verstorbenen Meisters. Danach stellten mir die Gäste Fragen, die ich gerne ausführlich beantwortete. Ein schöner Abend!

SO MACHT MAN DAS!

In der Jahrhunderthalle spielten gestern Abend Bob Dylan und Band mit Jim Keltner am Schlagzeug. Beim Meister waren immer noch viel Spielfreude und Mitteilungsbedürfnis vorhanden. Seine groben Instrumentaleinlagen mit Klavier, Mundharmonika und Gitarre haben auf der Bühne ein Gravitationszentrum geschaffen, um das herum sich die anderen Klänge ordneten und eine fast zweistündige Erzählung kreisen ließen.

Gleich von Anfang an zeigte er mir, wie man das mit dem gehen der Texte macht. Jeder Schritt ein Zeichen des Überlebens, jede Wendung ein Weg in ein anderes Dasein. Vornüber gebeugt stand er am Flügel und las uns etwas aus einem Heft vor, das vor ihm auf dem Deckel lag. Er grummelte und räusperte sich mit Worten, jede gesangliche Äußerung ein scharfer Schnitt oder ein Schuss in meine Richtung: SO MACHT MAN DAS! Und dann drosch er auf das Klavier ein, dass ich glaubte Raketen einschlagen zu hören.

Aber im Lauf des Abends änderte sich der Ton, wurde leiser, versöhnlicher und weicher, als weinte er über den Zustand der Welt. Schon im Foyer waren Mobiltelefone verboten und erste recht im Zuschauerraum. Einen Mann, der neben mir stand fragte ich, ob er die handyfreie Situation nostalgisch oder als ein Zukunftsbild wahrnähme. Ich merke, dass mir meine Frage wichtiger war als seine Antwort…

Neben der Kontinuität

Bei den Verwischungen in den Buchmalereien werden Farblinienbündel zunächst aufgefächert und dann zu einem Schweif vermischt. Das fügt sich mit meinem Gedanken an die Meteore zusammen. Am Ende der Spur kann sich das Material neu formieren, Muster bilden, die gegebenenfalls wieder verwischt werden.

Barbara hat auf der Buchmesse die Präsentation von Annes Roman auf dem Diogenesstand fotografiert. Sieht toll aus… Peter bastelt noch an der Ausstellung im Tibethaus. Ich gehe morgen etwas früher hin, um gegebenenfalls den Screen und andere Sachen zu richten.

Die Dinge, die mich in der letzten Zeit, neben der kontinuierlichen Entwicklung meines Materials, beschäftigt haben, sind nicht unanstrengend. Es entwickelt sich eine Sehnsucht nach Abstand zu den Arbeitsthemen, nach einer Pause…

Paradox

Die Verbundenheit mit den Schichten der Vergangenheit ist ein Wunsch, dem man paradoxerweise durch das Vergessen entspricht. Selbst, wenn wir scharfe Fotos vor Augen haben, Tagebuchtexte oder die des Geheimdienstes, bleiben die wichtigen Lücken des Erinnerten. Diese können mit Abgleichen der Gegenwart oder Interpretationen gefüllt werden. Das ist das, was auf meinen Transparentpapierrollen stattfindet.

Aus dem Schloss kam eine Nachricht von Dominique, die nach einem Bericht über den GPS-Testgang fragt. Ich berichtete ihr in einer kurzen Mail. Die zeichnerischen Zwischenergebnisse sind noch nicht so weit, dass ich sie präsentieren möchte. Der Prozess aber läuft.

Die dichten Strukturen aus Papiergravuren und kreisenden Farblinienschichten haben, wenn sie verwischt werden, manchmal etwas von einem Meteor, dessen eisiges Material von der Sonnenwärme oder der des Eintritts in die Erdatmosphäre gelöst und fortgerissen wird. Die Partikel, die als Schweif aufleuchten, tragen die Geschichte des Universums in sich und die Bausteine aus denen ich bestehe. Der lange Streifen der Tabosequenz auf Rolle 11, die mich seit einem Jahr beschäftigt, trägt die Linien, die die Maler vor tausend Jahren auf die Wand gemalt haben, als Ursprung in sich. Die Lücken, die bei den Überlagerungen entstehen, werden zu Figuren meiner Verbundenheit mit dieser Zeit.

Schriftlichkeit

Es gibt eine Sehnsucht nach Schriftlichkeit, die die Bewegungen begleitet, die der Körper gestaltet. Eigenartigerweise geht es bei diesen zielfreien Suchgängen um Präzision, um genaues Hinschauen. Der Abdruck meiner rechten Handkante erzählt Geschichte(n), Geh-Schichten. Dringt mein Blick dort ein, wird die Bewegung des Stiftes von der Hand in Gang gesetzt. Die folgt dem Gang der Worte. Der Weg zieht die Silben zusammen. Die Gesänge aus Annes Roman treffen an der nächsten Kreuzung auf die vorsichtigen Worte meines IM „Lutz Lange“.

Im Tibethaus baute ich heute aus einer hohen gläsernen Vitrine und meiner Rolle 11 ein durchscheinendes Objekt. Man kann nah herangehen, die unterschiedlichen Lichtsituationen genau betrachten und die Verdichtung der Linien beobachten. Die Wächterfigur, zu deren Füßen sich die Ausgangslinien befinden der langen Überlagerungssequenz, hängt daneben. Die Installation bildet einen Kontrast zu den riesigen stark farbigen Fotos von Peter, die die Heiligen von Tabo zeigen.

Die Abwesenheit der Rolle erleichtert mich in der Weise, dass ich nun mit der nächsten anfangen kann, die sich ganz frei und neu mit den Themen beschäftigt, die mich jetzt interessieren. Das sind zunächst die Nahaufnahmen der Berliner Textwanderung, deren Linien, je mehr man sie vergrößert, einen konstruktiven und klaren Charakter annehmen. Dort hinein kann ich nun, mit meiner normalen Handschrift und dem Füller, die Texte schreiben.

Poetikwerkzeuge

Schon in den Buchmalereien begann ich zu schreiben: „…als Pate … angesetzt.“ Die Sprache meines IM`s und Mentors. Er sagt selber von sich, dass es „angesetzt“ wurde auf mich. Was für eine Erniedrigung für den Kunstprofessor! Ich stelle mir vor, wie der Spitzel „Lutz Lange“ vor dem Tonbandgerät saß, am Tisch mit seinem Führungsoffizier Unterleutnant Matthes. Haha!

Ich muss daran denken, wie mein Computer während der Performance „In the Forest“ in der Schokofabrik mit dem Heidelberger Tanzensemble, den Text „Herakles 2 oder die Hydra“ von Heiner Müller sprach. Eigentlich konnte er nur Englisch und ich musste das Deutsche als Lautsprache eingeben. Das klang dann wirklich schön.

Gestern zeichnete ich eine Überlagerungssequenz mit den Linien, die wir um die große Granitschale im Lustgarten gelaufen sind. Durch die Wiederholungen der Figuren erscheint das Ganze wie eine Showtanzgruppe aus dem Friedrichstadtpalast. Um daraus ein Poetikwerkzeug zu machen bedarf es noch einiger Arbeitsschritte. Die Schrift könnte ich mit einem Malprogramm in die Linienstruktur einfügen. Damit kann ich in den Collagen beginnen.

Erinnerungs(bruch)stücke

Ativ, mein Mitstreiter bei der thematischen Führung „Erinnerungs(bruch)stücke“im Humboldt Forum, schreibt in einer Kolumne auf nachtkritik.de, einen schönen Satz über meine Arbeitsweise: „…Ein Fundament, das er fortwährend überschreibt, bis zur Unkenntlichkeit überlagert und so einen neuen Palast schafft, der gänzlich andere Wahrheiten birgt.“

Auf Rolle 11 beschäftigte ich mich gestern mit den Linien, die wir rund um die Granitschale im Lustgarten gegangen sind. Und im Kopf habe ich dabei die rhythmischen Worte, die wir dabei gesprochen haben. Rolle 12 möchte ich dann in der kommenden Woche, wenn der andere Transparentpapierstreifen in der Ausstellung im Tibethaus ist, mit diesen Linien beginnen.

Mit einem Wutausbruch auf der Wiese schlug ich am Morgen eine Grünschnittkolonne aus drei Türken in die Flucht, die all die Bäume und Sträucher, die ich pflege, wie auch die Wiese zurückschneiden wollten. Diese Emotionen sind auch in den Buchmalereien gelandet. Dann schaffen sie aber mit verwischen und überlagern einen Raum für Rückzug, Konzentration und Erneuerung. So lässt es sich weitermachen.

GPS-Figuren und Schrift

In Annes Roman gibt es überlieferte Gesänge und Gedichte, von denen eines die Zeile „Wirf fort die Waffe“ enthält. Offensichtlich bezieht sie sich auf eine Filmaufnahme vom Mauerbau, in der ein DDR-Grenzer mit Helm, im Sprung über den Stacheldraht, seine Kalaschnikow wegwirft. Eine gleitend-tänzerische Bewegung. Eine stilisiert choreografierte Variante könnte eine Allgemeingültigkeit ermöglichen.

Gestern zeichnete ich die GPS-Figuren von der Museumsinsel auf Rolle 11. Ich vergrößerte die Wanderung soweit, dass sie in ihrer Nord-Süd-Ausdehnung auf das 33 cm hohe Transparentpapier passt. Um Schrift auf diese Zeilen einzufügen, muss ich Detailvergrößerungen machen, die unsere Bewegungen deutlich abbilden. Es gibt Schleifen, abrupte Wendungen und rechte Winkel.

Von der Transparentpapierrolle 11, die jetzt im Tibethaus ausgestellt werden soll gibt es 130 Scans. Diese könnten als Schleife auf einem Screen neben der Vitrine, in der die Rolle liegt, laufen. Wenn ich eine Auswahl aus den Abbildungen treffe, die einer Dramaturgie folgt, könnte eine neue Geschichte entstehen.

LIKSZWODREIVIER

Innerhalb der Arbeit auf der Museumsinsel kommt die preußische Schicht des Gesamtthemas zu kurz. Meine eigenen Erfahrungen auf dem Exerzierplatz vor den Munitionsbunkern der Grenzausbildungskaserne in Eisenach, den ich auch öfter gefegt habe, überlagern sich mit dem Fegen des großen Foyers des Palastes unter den Arbeitern, die direkt über mir den Spritzasbest auf das Stahlgerüst auftrugen. Ich hatte keine Schutzmaske…

Das Stahlgerüst ist die eingefrorene Marschmusik: LINKSZWODREIVIER… Von der Verspiegelung entkleidet tritt das wahre Gesicht des Palastes der Republik zutage: aufgepflanzte Bajonette über dem Stechschritt. Das ist mein Blick auf die Konstruktion. Das Ornament des Lustgartens pflegt den ästhetischen Gegensatz. Dieser französische Import erscheint schwach vor den wechselnden Fassaden, aber haltbar. Er kann nun aufgefüllt werden mit der Gedichtform meines Wortballetts aus drei Texten.

Gestern und heute gingen die Buchmalereien von den Strukturen aus, die der Satz: „Er lebt so in den Tag hinein.“, bietet. Die szenischen Kompositionen, die sich aus Auflösung und Neuformierung bildeten, würde ich gerne noch auf Rolle 11 übertragen. Die aber wandert nun zur Ausstellung im Tibethaus. Deswegen werde ich alsbald vorgreifen und mit Rolle 12 beginnen. Später kann ich den aktuellen Transparentpapierstreifen mit dem entstandenen Material beenden.

Väter – Museumsinsel

Mit seinen weit verzweigten Suchbewegungen rückt das Väterprojekt näher in meinen Arbeitsfokus. Es gibt die 4 Serien der Scherbengerichte. Sie bestehen aus etwa 600 kleinen quadratischen Transparentpapierblättern. Auf meinem Zeichentisch liegt ein Stapel aus dem Scherbengericht II mit den Nummern 119 bis 154. Es würde sich lohnen mit jedem einzelnen Blatt auf der Transparentpapierrolle eine weitere Überlagerungssequenz zu machen. Schellackschichten und Tusche bilden schöne durchscheinende Verlaufsstrukturen.

Dass ich mich an diese Arbeit erinnere, liegt an Anke Schnabel, die mir im Humboldt Forum von ihrem nächsten Projekt erzählte. Das Erbe meines Großvaters sind Zahlen, die liebe zum Holz und zu dem Unterwegssein. Mit Anne sprach ich in Berlin noch mal über unsere Recherchereise auf den Spuren dieses Mannes nach Breslau.

Im Humboldt Forum hielt ich zwei kurze Vorträge zu Rolle 10 und meinen Verbindungen zum Palast der Republik. Außerdem ging ich eine GPS-Figur, die auf dem Grundriss des Palastes begann, und am Sanchi – Tor in die Textwanderung überging. Mit meinem Enkel an der Hand, ging ich das Ornament des Lustgartens mit dem rhythmischen Sprechen der 3 verschiedenen Textteile. Diese körperliche Aktion brachte mich bei der Entwicklung des Projektes einen entscheidenden Schritt weiter. Ich spürte, wie sich die verschiedenen Ebenen miteinander verweben.

Bebilderung

Gestern stellte ich ein paar Bilder zusammen, die ich während meines morgigen Vortrages im Humboldt Forum zeigen kann. Sie zeigen den Weg von der Zeichnung vom Dach des Palastes der Republik nach Westen 1974 bis zu dem Vorhaben, von dieser Stelle aus einen GPS-Gang mit Texten zu machen. Der Start ist etwa bei der Kopie des Tores von Sanchi, das wir 2010 im Original sahen, in Richtung des Blickes, der auf der alten Zeichnung festgehalten ist.

Noch einmal nehme ich mir die Buchmalereien vor, die ich damals, in Sanchi, an Ort und Stelle gemacht habe, um die Stimmung wieder zu finden, in der sie entstanden sind. Damals herrschten ausdrucksstarke Figuren, mit einem Tuschepinsel gezeichnet, vor. Einige von ihnen fügte ich in neuere Collagen ein, als ich mich etwa vor einem halben Jahr mit dieser Stelle beim Stadtschloss beschäftigte.

Allgemein versetzen mich diese Collagen in Erstaunen, so schön finde ich sie manchmal. 655 sind in diesem Jahr bereits entstanden. Diese Kontinuität hat ganz banal für sich, dass ich in der Weiterentwicklung von malerischen Kompositionen, ziemlich viel Übung habe.

Hin und her

Die Schablonenschrift zuckt und wird zerhackt, fließt und verdampft. Es entstehen Konstruktionen von Buchstabenfiguren. Sie bewegen sich im Raum zwischen den Handabdruckschichten und deren Verwischungen. Die Sätze wandern von den Textsammlungen auf Rolle 11 aus zerteilt in die Buchmalereien, wo die Buchstaben ihr Eigenleben beginnen. Diese Projektionsrichtung ist neu: von der Transparentpapierrolle in die Buchmalereien. Darauf habe ich gewartet, ohne es forcieren zu wollen. Nun werde ich die Hauptkompositionslinien aus dem Tagebuch wieder auf Rolle 11 zeichnen – hin und her.

Ich laufe hin und her, stehe auf vom Tisch, gehe nach draußen und rede mit der Köchin, bis die ihre Zigarette geraucht hat. Dann zurück, blicke ich auf die kleinen Malereien, wie auf frisch geborene Kinder, die ich warm anziehen soll, bin vorsichtig mit ihnen, und dann beginnen sie bald zu plappern.

Die Vorhaben in Berlin und im Tibethaus werden konkreter und nehmen etwas Fahrt auf. Das ist mit Informationsfluss verbunden. Ich überlege für die jeweiligen Aktionen Bilddateien zusammenzustellen, die gezeigt werden können und mehr von den fünfzig Meter langen Rollen präsentieren, als in den kleinen Vitrinen möglich ist.

Pathos

Die Sonne strahlt direkt auf meine Buchseiten. Lichtwellen, vibrierende Teilchen, Wärme ohne hörbares Geräusch – Pathos des Alls.

Die Tabolinien sind in zwei Bereiche geteilt. Auf die Wand wurde eine Spur Reparaturputz aufgetragen, der einen Teil der Wandmalerei abdeckte. Gestern arbeitete ich auf Rolle 11 mit dem rechten Teil und neuen Worten aus den drei Texten, die mich beschäftigen. Mir fällt beim Textvergleich auf, dass wir beim Steine abladen für den Bau des Palastes der Republik eine feste Gruppe von 5 Soldaten waren. Wir stapelten eine Miniatur von Manhattans Skyline in den Lustgarten. In Annes Roman leben noch 5 Leute in Berlin, die rituelle Stadtführungen für die Pilger machen, die mit Schiffen ankommen und die sie als heilig verehren.

Die Worte auf der Rolle bekommen erst ihren Sinn, wenn ich sie aus den verschiedenen Kontexten zu anderen Zusammenhängen kombiniert habe. Das Ist die Vorbereitung für die Textwanderungen, die ich am kommenden Sonnabend erstmalig in Berlin probieren will. Anne wird dabei sein, so dass noch andere Aspekte hinzukommen werden.

Wie es weitergehen kann

In den heutigen Buchmalereien beobachte ich eine szenische Sondierung. Aus Buchstabenüberlagerungen wachsen Figuren in Räume, in denen unfreundliche Begegnungen und Kampfhandlungen stattfinden. SWIRWAFROT ist eines der entstandenen Worte, von denen ich mir eine neue Arbeitsrichtung erhoffe.

Ich denke, dass die Verschränkung der verschiedenen Vorhaben auch etwas mit Arbeitsökonomie zutun hat. Indem ich die Tabolinien mit den Berlinprojekten und mit den sakralen Objekten in Neckargemünd verbinde, kann ich an allem zugleich arbeiten, ohne die jeweiligen Themen verlassen zu müssen. Außerdem reagieren sie aufeinander und erneuern sich durch Aspekte, die aus den Überlagerungen erwachsen.

Aus einem Wirrwarr von vielen hängenden Objekten im Atelier, befreite ich eine Affenmaske. Diese ist mit dem Rasterportrait meines Vaters bemalt. Um sie einzeln wirken zu lassen, hängt sie nun alleine an einem Regal. Ich zähle: 182 Arbeitstage in diesem Jahr, 3335 Tagebucheinträge mit Collagen auf meiner Webseite und 140 Tagebücher mit Texten und Buchmalereien. Eigentlich ist das alles genug, wäre da nicht diese Neugier, wie es weitergehen kann.

Alles zusammen

Nun finde ich weitere Satzkombinationen aus den verschiedenen Texten: ER MACHT DEINE WAFFE oder VON BERLIN FORT. Es macht wirklich etwas Neues, das mir hilft voran zu kommen. Ich kann was anfangen damit. Es entwickelt sich auf Rolle 11, indem ich einfach immer weiter mache, ohne festes Ziel, einfach weiter. Und dann entstehen die anderen, neuen Dinge.

Peter schickte mir einen Link zu einem Video, das zeigt, wie seine Fotografien ganz groß gedruckt werden. Sehr, sehr schön! Anke Schnabel berichtet von einer ganzen Zeitungsseite, die sich mit unserer Ausstellung beschäftigt, mit Foto von mir im Atelier und Zitat aus meinem Interview. Und Dominique Falentin schickt mir einen Link auf die Website vom Humboldt Forum mit einer Ankündigung unserer Veranstaltung, wieder mit einer Fotografie von mir und einem Vitatext… Und ich sitze hier und arbeite einfach immer weiter.

Schon schiebt sich die Arbeit für das ökumenische Gemeindezentrum in Neckargemünd in mein Denken. Ich stelle mir vor, wie ich die Transparentpapierrollen übereinander lege und alle Themen miteinander verschmelzend den Raum um den Auferstehenden anfülle.

Attrappen

Zurück im Atelier, nahm ich mir die verschiedenen Textsplitter auf Rolle 11 vor. Zunächst fügte ich „WIRF DEINE WAFFE“ ein. Eigentlich müsste es heißen: „… wirf fort deine Waffe“, wie es in Annes Roman lautet. Die erste neue Wortkombination ist: „WAS IST DIR“- könnte aus Goethes „Faust“ sein. Das nehme ich ernst und arbeite damit weiter.

Die ganze Zeit, während meiner Arbeit mit dem Humboldt Forum, ist mir nicht so recht gegenwärtig, dass ich mich ja in der Preußenschloss-Attrappe befinde. In keinem Bildkommentar habe ich bislang darauf Bezug genommen. Dabei war der Palast der Republik selber ein Kommentar zum Stadtschloss, vor dessen Fassade die preußische Aufmarschtradition im Stechschritt weiterlebte. Der Volkspalast – eine Kaschur, wie auch wie auch das neue Schloss.

Einen erhellenden Blick kann ich ja während meiner GPS – Wanderungen vom Lustgarten aus hinüber werfen. Die offene Abrissfassade des Palastes habe ich oft genug gezeichnet, genauer gesagt die nördliche Fassade ohne Verglasung. Folgerichtig wäre der nächste Schritt, diese Struktur mit der historisierenden Rekonstruktion zu schichten.

Maltechnik

Ein paar Tabo – Umrissinseln füllte ich mit der Schreibmaschinentype der Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“. Die Dichte des Ganzen nimmt mit der weniger werdenden Gravitation ab. Erinnerungsmasse ist abgebaut worden. Die Leere zwischen den Teilen nimmt zu.

Zu Hause mit dem Tagebuch, reduzieren sich die Mittel der Buchmalereien. Viele Dinge, die für die Formenvielfalt benötigt werden, liegen im Atelier. So kommt es, dass ich mit den weichen Bossierpinsel aus der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen, dieses Blau aufstreiche, das alles beherrscht. Daneben treten senkrechte Linien warmer Farben auf, die oft als Gegensatz zu den Querverwischungen funktionieren.

Aus einer feinmotorischen Eigenbewegung entstehen die Spiralen, die aus der Schulter oder dem Handgelenk kommen. Neben dem Handkantenabdruck, gibt es auch manchmal solche des rechten Daumenballens. Hinter ihm sitzt eine Arthrose, die sein Volumen reduziert. Dadurch entstehen neue Längsfalten als Abdruckmaterial für wasserfarbige Bilderzählungen.

Wortcollagen

Natürlich kann ich jetzt mit den Roos-Schablonen alle möglichen Wortcollagen herstellen. Bildlich macht das zunächst mehr Sinn als sprachlich. Auf Rolle 11 wiederholte ich das Tabolinien-Wortgeflecht noch einmal reduzierter, um zu sehen welche Zwischenerkenntnis sich dann einstellt.

Und noch einmal las ich in meiner Stasiakte und legte einzelne Blätter unter die transparente Tabosequenz, mit der Hoffnung auf ein Lichtzeichen, ein tausend Jahre altes Phosphen. Die Buchmalereien sind Denkanleitungen für mich, die wie die Mandalas die Meditation unterstützen. Sie entsprechen meiner inneren Architektur, die mit Worten von außen gehalten wird, wie ein Kirchenschiff von Strebepfeilern.

Anlässlich eines Berichtes über Jugendgefängnisse in der DDR, den ich gestern Abend sah, dachte ich über die Erzieherkarriere meines Vaters nach. In Brandenburg an der Havel könnte er in einem Jugendhaus, das an das Zuchthaus angegliedert war, als Wärter gearbeitet haben, in Gerode dann als Erzieher im Jugendwerkhof. Dort drinnen im ehemaligen Klostergelände haben die Erzieherfamilien auch mit gewohnt. Die Atmosphäre dort hat mich geprägt.

LUFTGRENZE

Die Schablonenschrift bekommt mit Worten aus Annes Roman größere Präsenz. Es handelt sich um solche, die in mir Erinnerungen aufrufen, die wir gemeinsam haben. Heute ist es das Wort LUFTGRENZE. In meinem Tagebuch suchte ich nach der Stelle, an der ich unseren Grenzübertritt 1984 beschrieb. Die Hausfassaden waren alle, nachdem wir die magische Linie mit dem Zug überfahren hatten, ungewohnt hell. Anne meinte, dass das an der besseren Luft liegt…

Die Wortfragmente, die durch das Übereinanderschreiben der Buchstaben entstehen, werden zu einer Gestaltungsform, die in die Stadtwanderung einfließt. Wenn die Begriffe beim Gehen gesprochen werden, ziehen sich die übereinander geschichteten Buchstaben wieder auseinander und ordnen sich zu den Sinnzusammenhängen.

Sie begegnen den Tonbandprotokollen des IM „Lutz Lange“, zu einer dichten Materie zusammengepresst in „Stasi DADA“, die einer entgegengesetzten Ladung entspricht. Ein elektromagnetisches Feld entsteht und zieht weitere Texte an. „An dieser Stelle“ befindet sich dann das „Kraftfeld 2“. Dafür möchte ich im Lustgarten die gegangenen Worte demnächst probieren.

Grenzen des Zusammenspiels

Anke Schnabel hat mich zu einer Kuratorinnenführung Im Humboldt Forum eingeladen, während der ich etwas zu meiner Transparentpapierrolle sagen soll. Ich hoffe, dass wir über „An dieser Stelle“ ins Gespräch kommen. So will ich das GPS-Projekt nennen, das 3 verschiedene Texte und Bewegung in der Stadt miteinander verbindet. Das Exposé liegt bei Carolin Kaever.

Und aus der Arche, dem ökumenischen Gemeindezentrum in Neckargemünd ist zu hören, dass unser Projekt zwei Schritte zu seiner Verwirklichung hin gemacht hat. Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass ich die drei Objekte, die ich vor fast 40 Jahren angefertigt habe, nun überarbeite, so werde ich das auch mit der Hilfe der Transparentpapierrollen machen. Es geht um formale und inhaltliche Verdichtung.

Aber das Zusammenspiel der anderen Themen beschäftigt mich derzeit in erster Linie. Mit den Roos-Schablonen setzte ich Worte meines IM und aus meinen Stücktexten in die Linienstruktur der Tabosequenz. Diese Durchdringung funktioniert rückwärts noch nicht. Die Linien aus diesem Kloster haben nichts mit dem Palast der Republik zutun. Das sind die Grenzen der sinnvollen Bezugnahmen.

Linien und Schablonen

Nun kann ich, nach einem Telefonat mit Anne, den Roman „Hinter den Mauern der Ozean“ als weitere Quelle in die Projektbeschreibung einfügen. Ich kam mit ihr überein, am ehesten die Gesänge für das Sprechen im Gehen zu nutzen. Sie eignen sich rhythmisch und besitzen die stilisierte Form, die sie von den anderen Texten deutlich unterscheidet. Aber sie ließ mir alle Freiheit.

Der Fotoband von Peter van Ham hieße auf Deutsch sicher: „Die Götter des Lichts“. Darin fand ich unter weiteren Wächterfiguren ähnliche Linienstrukturen, wie die, mit denen ich arbeite. Ich überlege, ob ich die Schablonenschrift auf diese Zeilen setzen will. Dabei könnten sich die Buchstaben der Worte und die Worte der Sätze in einer Weise überlagern, wie ich es in den Buchmalereien der letzten Tage schon probiert habe. Das führe ich auf Rolle 11 weiter und entwickle so die Arbeitsweise für das GPS-Projekt auf der Museumsinsel.

Womöglich habe ich schon heute Nachmittag Zeit und Geist, mich mit den Roos-Schablonen zu beschäftigen. Auch von dieser Geschichte erzählte ich Anne, die gleich eine befreundete Autorin wusste, die sich für dererlei Zusammenhänge interessiert. Auch wenn ich diese Dimension bei der GPS-Arbeit unerwähnt lasse, spielt sie eine Rolle.

Verzweigungen

Beim Nachdenken über Quellen und Vorgehensweisen, erscheinen immer mehr Schichten. Am Morgen gingen mir die Schablonen des Tischlers durch den Kopf, mit denen ich einen Teilsatz in die Buchmalereien prägte: „An dieser Stelle…“. Er war ein gewalttätiger Kriegsheimkehrer. Seine Tochter zog in den Siebzigerjahren in ihren eigenen Krieg gegen den Staat und gegen einen US – General.

Wenn sich die ganzen Verzweigungen des Erinnerns auftun und Gestaltungsschichten bilden, wie Wurzelgeflechte, dann schrecke ich manchmal zurück. Die Gefahr des Verzettelns steigt und die, dass mir das Ganze über den Kopf wächst. Die Entwicklung von Projekten in Berlin, würde ich gerne im Team fortsetzen, um die Zusammenhänge, in denen die Kuratorinnen denken, nicht aus dem Blick zu verlieren.

Die Verbindungen der Tabolinien mit den Sätzen aus 3 verschiedenen Zusammenhängen, die aber punktuell miteinander zutun haben, sind das Feld, auf dem ich das Gehen und Sprechen als poetische Methode ausprobiere. In den Buchmalereien verband ich vorsichtig die Buchstaben mit meinen Handballenstrukturen. So geht es weiter.

Rolle 10 in Berlin

Das Wochenende verbrachte ich in Berlin, um an einer Veranstaltung im Humboldtforum teilzunehmen, in der es unter anderem um Rolle 10 ging, die sich in der Ausstellung „Hin und weg“ befindet. Wir sprachen dann auch über mein Projekt, in dem ich verschiedene Texte mit gegangenen Wegen rund um den Palast verbinden will. Das Gehen und Sprechen als rhythmisch-poetischer Experimentalaufbau richtet neue Verbindungen verschiedener Themen ein.

Solch ein Vorhaben könnte „An dieser Stelle“ heißen. Das bezieht sich auf das Stück „Bau auf! Bau ab!“, auf den Roman „Hinter den Mauern der Ozean“ von Anne und auf die Berichte des IM „Lutz Lange“. Außerdem habe ich mir auf Rolle 11 die Sequenz angesehen, in der ich meinen Text aus dem Theaterstück auf die Tabolinien geschrieben habe. Diese Quellen und Formen müssen noch genauer auf ihre Eignung untersucht werden. Aber es ist denkbar, mit anderen Menschen einen poetischen Versuch zu starten, um gemeinsam Neues zu finden oder andere Fragen zu stellen.

Buchmalereien, die ich unterwegs mache, sind zumeist sparsamer. Gleichzeitig aber schafft die Reduktion eine Konzentration auf das Wesentliche. Wenn die so entstehende Leere zwischen den Linien aber nicht mit dem Material ausgefüllt ist, das ich vorher entwickelt habe, wenn also dessen Abwesenheit zu einer tatsächlichen Leere führt, ist es eine Sackgasse. Gestern und Vorgestern im Zug aber, war es nicht so.

Gitterskulpturen

Meinem Enkel Armin nehme ich eine Buchstabenschablone mit nach Berlin, denn er ist ein „ABC-Schütze“. Sie lag in der Schublade der Hobelbank von Paul Roos. Mit der größten der drei Schablonen, probierte ich heute kursive Schriftornamente in den Buchmalereien.

Die Fortführung der Rückrollaktion mit Rolle 11 verschiebe ich auf die nächste Woche. Dann werde ich die neuen Leerstellen zu Umrissen machen, die gefüllt und übereinander gezeichnet werden. Vielleicht komme ich dann dazu, mit diesen und der kursiven Schablonenschrift zu den Texten zurück zu kehren.

Die dynamische, etwas gewalttätige Struktur, die die Tuschezeichnungen angenommen haben, kommt von den vielen Diagonalen in den Linien unter der Wächterfigur in Tabo. Von dort aus zieht es mich zu den Gitterskulpturen, die seit vielen Jahren unbeachtet im Atelier hängen. Aber jetzt, wo die Räume der Zeitschichten wachsen, möchte ich diese mit Material umschließen. Falls sich skulpturale Varianten der Tabolinien entwickeln, können sie einen entscheidender Schritt in den weiten vergangenen Raum sein. Manchmal schneide ich trockene Äste aus den Gesträuchen des Gärtchens zu kleinen Wesen zurecht, die auf mehreren Beinen stehen. Sie erinnern an Insekten und an die Gitterskulpturen.

Rückkopplungen

Es war richtig, nun auf Rolle 11 mit den frei schwebenden Formen weiter zu machen. Aus dem Befreiungsschwung, den sie auslösten, entwickelte sich eine Verdichtungssequenz, die auf dem Zeitstrahl des Transparentpapierstreifens rückwärts läuft. Und wie auf dem Terrazzoboden in der Küche, wachsen aus dieser Struktur Figuren, die mein Hirn aus den Ablagerungen seiner Erinnerungen sammelt. Dabei braucht der Grad der Dichte Grenzen, die einem zu starken Chaos vorbeugen, in dem die Figuren wieder verschwinden können.

Ich beobachte das Wechselspiel zwischen den Buchmalereien, den Transparentpapierzeichnungen auf Rolle 11 und den Collagen, die ich aus den Kombinationen ihrer Scans herstelle. Bei allen drei Arbeitsweisen spielen die Schichten, die aus der Vergangenheit hervorleuchten eine wesentliche Rolle. Bei den Buchmalereien sind es die Linien, die sich von einer Seite auf die nächste durchdrücken, bei den Tuschezeichnungen, die beim Zusammenrollen durchscheinenden Figurationen und in den Collagen, die Schichten der zuvor zusammengestellten Buchmalereien und Tuschezeichnungen.

Aber die Übertragungen laufen zumeist in die gleiche Richtung. Von den Malereien auf Rolle 11 und von beiden zu den Collagen. Eine Rückkopplung gibt es selten, obwohl sie ja nahe liegend wäre. Die Tuschefiguren könnten in den Malereien auftauchen, oder die Collagenumrisse öfter auf der Transparentpapierrolle.

Aus den Gruben der Träume

Aus den dunklen Gruben der Träume tritt skulpturales Material hervor, aus den Phosphenkonstruktionen wachsen Gitterstrukturen, die sich mit Pappmache füttern lassen. Den Impuls, gleich wieder mit dem Füller in den Buchmalereien herumzuzeichnen, bremse ich, weil die Linien zumeist aus den Kompositionen herausfallen.

Etwas ratlos saß ich gestern vor Rolle 11. Ich fand keine Notwendigkeit, einen Umriss der letzten Tage dazuzusetzen, um den Streifen weiter zu zeichnen. Und so entstanden, vom vorausgegangenen Material inspirierte Strukturinseln, die in den Raum driften. Das war befreiend, und wenn ich mir es heute anschaue, will ich erst einmal so weitermachen, vielleicht dazwischen zurückrollen, zeichnend nach hinten verdichten, um dann wieder umzudrehen in die Gegenwart. Beim Hin- und Herwandern wächst die dritte Dimension aus den Zeitschichten, die aufgerollt und durchscheinend sind.

In den Buchmalereien von heute legte ich ein Dreieck zugrunde, das sich von der vorherigen Seite, von gestern also, durchgedrückt hatte. Von Schraffuren sichtbar gemacht, konnte ich es erweitern, vervielfältigen und in die anderen Formate übertragen. Dort spielten dann die Übergänge von kristallinen zu fluiden Strukturen eine Rolle.

Bergbau

Aus den Linienformationen des Tabomaterials entstehen neue Konstruktionen, die Tag für Tag weiter wachsen. Die neuen Formen bilden eine Struktur, die in die Tiefe vordringt. Tastend folgt sie Erinnerungsadern und bildet manchmal blinde Schächte.

Immer wieder geht mir die bildnerische Arbeit mit den verschiedenen Texten durch den Kopf. Dafür benötige ich auf Rolle 11 eine neue Konzentration, die sich etwas von den Buchmalereien entfernt. Diese Arbeitsphase beginne ich, wenn die Veranstaltung im Humboldtforum vorüber ist, und ich mich auf die Taboausstellung in Tibethaus vorbereite.

Gestern zeichnete ich auf Rolle 11 mit einem Umriss der zweiten Malerei von gestern weiter. Ziemlich reduziert nimmt sie noch einmal das Thema auf, aber zeichenhafter und weniger malerisch. Den Scan der Tuschezeichnung vom Transparentpapier verband ich nun mit den Buchmalereien, ließ sie aber eher im Hintergrund.

Gehen Denken Sagen

In meinem Zimmer in der Frankenallee fand ich einen Zettel mit folgendem Inhalt: Handprint Berlin – Kraftfeld 2 – eine Sprachwanderung. Gehen, denken, sagen. An den Kreuzungen der GPS-Wege, verschiedene Anschlussmöglichkeiten: AN DIESER STELLE / die Skyline von Manhattan / NEONLICHT immer. Eine Transparentpapierrolle als Weg. Ausgehend von Katrinems Viereck spreche ich einen Gang.

Carolin Kaever vom Humboldtforum möchte einen kurzen Ankündigungstext zu meiner Person und meiner Beziehung zum Palast der Republik. Es ist da viel unterzubringen in zwei Sätzen. Das fällt mir nicht leicht. Ich habe Vorschläge geschickt und warte, was kommt, was wir gemeinsam formulieren.

Peter van Ham berichtete gestern, dass die Wächterfigur aus Tabo, unter der sich die Linien befinden, mit denen ich mich seit einem Jahr beschäftige, groß ausgedruckt in der Ausstellung im Tibethaus zu sehen sein wird. Da können wir einen direkten Zusammenhang zur Rolle 11 zeigen. Auch die Malereien von heute weisen diesen auf.

Auswege

Die Umrisse, die zwischen den Tabolinien entstehen, entsprechen den Ablagerungen meiner Erinnerung, unscharf und flüchtig, aber mit Potential zur Konkretisierung. Zwischen den Membranen, die einen vagen Kontext umschließen, befindet sich eine Materie, die Inhalte schärfer hervortreten lassen kann. So kann ich mit dem Füller blasse Linien mit Beistrichen versehen, die dann zu Eckpunkten einer Geschichte wachsen. Am ehesten erscheinen dort Emotionen, die zu ergründen sind.

Ohne einen weiteren neuen Umriss habe ich auf Rolle 11 weiter gezeichnet. Dort ist die Forschung nach Gründen für emotionale Strukturen weiter fortgeschritten. Manche Flächen beginnen sich schwarz zuzusetzen, wenn ich die Tuschelinienstärke der dichten Netze nicht reduziere. Somit entzieht sich die vorübergehend aufgeschienene Geschichte wieder dem Blick. Und so geht es ewig weiter.

Auswege bieten die Collagen, die das unterschiedliche Material immer wieder in neue Konstellationen bringen. Womöglich sollte ich diese Ergebnisse in die Produktion auf Rolle 11 zurückführen, was wieder Auswirkungen auf die Buchmalereien hätte. Und gleich kann ich das in die Tat umsetzen.

Opfer

Bei dem Gedanken, dass die Thüringer ihren Faschismus, den sie so gerne haben wollen, doch bekommen sollten, fällt mir ein Bild ein, das mich rührte. In der Kantine des Maxim Gorki Theaters hatten die Bühnenarbeiter mit Tesaband ein Bild von Heiner Müller an die Wand geklebt. Dort ganz in der Nähe flüstert nun meine Rolle 10 immer noch im Humboldtforum.

Die Annäherung an die Tabomaler kommt wieder in Gang. Zwischen den Linienkompositionen lauern, versteckt in harmlosen Figurenumrissen, meine Dämonen. Ich muss sie mit Opfern besänftigen, damit sie beiseite treten, um mich weiter zurückgehen zu lassen. Was mir auf dieser Wanderung begegnet, findet sich in den Buchmalereien und in ihrem Zusammenklang mit den Verdichtungen auf Rolle 11. Gestern, mit den Figuren aus 4.9./I und dem vorausgegangenem Material, das ich wieder mit einer weißen Papiersperrschicht reduziert.

Mir geht das Zusammenspiel der großartigen und groß ausgedruckten Tabofotografien von Peter van Ham mit meiner bescheidenen Transparentpapierrolle durch den Kopf. Der Kontrast ist krass, aber produktiv.

Zusammenspiel

Nach den formalen Ausflügen der letzten Tage, wollte ich heute wieder zu den Tabolinien zurückkehren. Und in diesem Zusammenhang gingen mir am Morgen Textcollagen durch den Kopf. Sie setzen sich aus der Beschreibung des Breslauer Dommodells der Fitznerbrüder, den Tonbandprotokollen meines IM Heinz Werner und Stückzitaten aus „Bau auf! Bau ab!“ im Humboldtforum zusammen. Die Übergänge werden von der Struktur der Tabolinien, auf die die Zeilen geschrieben werden, bestimmt.

Gestern rollte ich Rolle 11 ein paar Umdrehungen zurück, um in die Umrisse der Buchmalerei 2.9./III ein dichteres Liniennetz einzufügen. Dann arbeitete ich mit den Umrissen von 3.9./III weiter. Das dauerte nicht lange und verschaffte mir dennoch das Gefühl, weitergekommen zu sein.

In diesen Arbeitszusammenhängen denke auch an die Aufgabe, sich dem Prozess aus der Perspektive des produzierenden Erzählers zu nähern. Dabei ist der Blickwinkel der Zeitdimensionen entscheidend. Zunächst ist es möglich, auf dem Zeitstrahl des Transparentpapierstreifens hin und her zu wandern. Außerdem geschieht die Materieverdichtung mit Tusche, durch die Umdrehungen, mit denen ich ihn zusammenrolle und auf die entstehende Rundung die durchscheinenden Linien zeichne. Gravitation und das Schauen durch die Zeitschichten, wie in ein Wurmloch, sind Synonyme für diese Vorgänge.

Zusammendenken

Nachdem es in der Nacht geregnet hatte, dachte ich am Morgen alle Projekte zusammen: Stasi DADA, Tabosequenz und Arche. Die äußeren Klammern sind die Buchmalereien, Collagen und die Verdichtung auf dem Zeitstrahl der Transparentpapierrolle, der in beide Richtungen begangen werden kann. Der Blick schwenkt hin und her, in die Vergangenheit, in die Zukunft und hin zum Ende der Zeit in ihrer unendlichen Krümmung.

Die Buchmalereien von heute treten aus einer Kontinuität heraus. Ich hatte die Tabolinien vergessen und die Gesänge der Bilder folgten einem anderen Licht. Gleich, wenn ich die Collagen mache, kann ich das näher untersuchen und in Beziehung zu dem Vorausgegangenen setzen.

Es herrscht eine eigenartige Stille im Gärtchen, keine Vögel, kaum Insekten und Eidechsen. Es ist schwül. Aus der Wiese steigt Feuchtigkeit, die einen milchigen Filter vor den Blick setzt. Auf diese Atmosphäre reagiert mein Körper mit Energieverlust.

Licht singen

Mit meinem Kopfhörer habe ich die Außengeräusche abgeschaltet und befinde mich in hohen Kirchenräumen mit Chorstimmen angefüllt, die das Licht singen. Das tut nach der Stimmabgabe der Thüringer, die ihre Maske fallen gelassen haben und eine faschistische Partei zur stärksten politischen Kraft gemacht haben, gut.

Teile des Konzertes, das wir am vergangenen Donnerstag mit Cat Power in Dortmund gesehen haben, sind mir noch im Kopf und ich singe manchmal ei paar Zeilen vor mich hin. Beim genaueren Lesen des Textes von „Visions of Johanna“ bekam ich Lust zum Schreiben.

Mit den Buchmalereien begann ich im dritten Format, indem ich die durchgedrückten Linien des Vortages aufnahm und etwas mit der Holzhaarnadel erweiterte. Zwischendrin schraffierte ich immer mal verschiedene Farbfigurfelder, die ich per Handkantenabdruck mit Wasser an andere Stellen, an denen ich weiter malen wollte, transportierte. Dort entstanden dann andere Szenen, in denen die abstrakten Figuren auf unterschiedliche Weise Kontakt miteinander aufnahmen. Ich frage mich, ob sie das auch mit Gegenständen außerhalb des Buches probieren, beispielsweise mit den bunten Holzpapageien, die sich auf dem Rand einer weidengeflochtenen Voliere im Gärtchen im Wind drehen.

Graue Stille

Die Überlagerung von gegensätzlichen Farben und Tönen führt zur Auslöschung, zu grauer Stille. Diesen Vorgang nutze ich manchmal bei den Collagen. Aber auch bei der Verminderung meines Tinnitus, kann ich versuchen Töne im Gehirn zu generieren, die das zur Folge haben. Das ist anstrengend und gelingt nur selten.

Gestern begann ich die Handlinienstrukturen auf Rolle 11 weiter zu entwickeln. Die Konzentration dafür fand ich am späten Nachmittag. Seit vielen Tagen fühle ich eine Art Infektion in mir herumwandern. Das wirkt sich auch auf das Bildermachen aus.

Das Rolltor ließ ich heute wegen Licht und Lärm unten. Die Spätsommersonne scheint tief stehend in die Augen, verschiedene Baumaschinen und startende Flugzeuge lärmen. Ich wünsche mir einen abgedunkelten Raum: graue Stille. Aber auch in den Malereien toben die Farben und die Gesträuchschichten. Alles verbindet sich zu einem Brüllen.

Regenbögen

Die Handlinien und das, was sich aus ihnen in den Buchmalereien entwickelt, sollen auf Rolle 11, innerhalb der Tabosequenzen, eine größere Rolle spielen. In Peters prächtigem Bildband über Tabo fand ich gestern noch eine Art Kristallsymbol, das eine Figur in einer Hand hält. Die Formen und Farben ähneln denen einer Platte, auf der eine Wächterfigur in einem der Durchgänge steht. Ein Zusammenhang zwischen Lichterscheinungen und Bergkristallen ist vom Augenschein her nahe liegend. Bergkristallstrukturen als materialisierte Phosphene?

Mein Bruder berichtet von haarsträubenden faschistischen Stimmungen und Aktionen in Waltershausen. Der Regenbogen, ein Lichtbrechungsphänomen und ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen, wird nun als Symbol der queeren Gemeinschaft angegriffen. Ich schlage vor, in sonnenbeschienenen Schaufenstern geschliffenes Glas zu positionieren.

In dieser Stadt habe ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht. Dann kehrte ich ihr und später dem ganzen Osten den Rücken. Die Mentalität vertrug sich nicht mit einem Ideal vom Tätigsein. Ich stelle mir die Menschen vor, die ich kannte und wie sie diesen Umtrieben achselzuckend gegenüberstehen.

Vergleiche

Bilder entstehen zögerlich am Wochenanfang. In den Buchmalereien dominieren die Handlinien, deren Abdrücke mit Beistrichen stärker kontrastier und verlängert werden. Es entsteht eine konstruktive Struktur, die sich wieder an die Tabolinien annähert. Während des Schreibens setze ich mit Tinte Akzente in die Buchmalereien. Das sind die Suchbewegungen auf deren Wegen sich neue Fragen stellen sollen.

Sind Phosphene und Handlinien miteinander vergleichbar? Warum sucht mein Denken dort Ähnlichkeiten? Ordnen sich alle bildnerischen Mittel dem Vorsatz unter, sich tausend Jahre zurückzuversetzen? Selbst die hohen Signaltöne der Baumaschinen, die den Rückwärtsgang hörbar machen, fügen sich in die Zeichen ein. Alles ordnet sich in eine Richtung.

Aus einer Filmaufnahme über die Öffnung des Grenzübergangs Bernauer Straße 1989, extrahierte ich eine Figur, die nach vorne in den Westen lief und währenddessen zurückschaute. Das umschreibt mein gegenwärtiges Tun ganz gut. – Und plötzlich herrscht für eine Minute eine seltsame Stille, als hielt alles inne und der Lärm zöge sich zurück in eine akustisch auslöschende Überlagerung.

Das blitzartige Springen des Blicks

In den Buchmalereien versuchte ich meine Handballenlinien mit denen aus Tabo zu verbinden. Während der Konzentration auf das Zeichnen geschah es, dass der Focus von der einen auf die andere Ebene hin und her sprang. Während des Verstärkens der Kontraste mit spitzen Aquarellstiften und einem sehr schmalen Pinsel, achtete ich auf die Gemeinsamkeiten der Strukturen der alten Malerei und meiner Handlinien.

Bei der Suche nach Ähnlichkeiten werde ich auch beim Liniengeflecht des Kraftfeldes fündig. Dieses mit eigenen Geschichten aufgeladene Material zeigt Areale, die den Kompositionen aus Tabo gleichen. Die Vorgänge in mir, die sich parallel zur Durchdringung der verschiedenen Schichten manifestieren, will ich genauer beobachten. Heute war das blitzartige Springen des Blicks von einer zur anderen Ebene ein solches Phänomen.

Die Überlegungen zu einer Ausstellung schließen auch Buchmalereien ein, die ich in Tabo und in Lalung gemacht habe. Andererseits würde ich auch die Malereien interessant finden, die während meiner Arbeit an Rolle 11 entstanden sind. Manche der Umrisslinien sind ja sowohl in den Büchern, als auch auf dem Transparentpapier vorhanden.

Fragestellungen der Tabolinien

Gestern Nachmittag besuchten mich Elke Hessel und Peter van Ham im Atelier. Es ging um eine gemeinsame Ausstellung und Veranstaltungen dazu. Wir kamen schnell zu inhaltlichen Fragen, die sich mit den Möglichkeiten verbanden, die Informationen der alten Malereien in Tabo für unsere Gegenwart nutzbar zu machen.

Peter brachte mir eine Fotografie mit, die auch den Abschnitt abbildete, den ich für mich die „Tabolinien“ nenne. Interessant ist, dass ich sie zunächst nicht erkannt habe. Im Verlauf der Arbeit mit ihnen, haben sie sich für mich zu einem neutraleren, farbloseren und reduzierteren Erscheinungsbild gewandelt. So gelang es mir aber, sie besser für meine Zwecke einzusetzen.

Auf dem Weg meiner Annäherung an die alten Maler, begegne ich einer weiteren Schicht meiner eigenen Gegenwart. Die Konfrontationen, denen ich ausgesetzt war und die bis in die Gegenwart weiter wirken, habe ich mit den Tabolinien verbunden. Texte meiner Stasiüberwachung und meines Interviews zum Bau des Palastes der Republik, will ich nun konsequenter auf diese Linien setzten, um aus der Gegenüberstellung und Überlagerung der Inhalte, auf Rolle 11 zu einer neuen Qualität der Fragestellungen zu gelangen.

Autonomie der Buchmalereien

Auf Rolle 11 zeigt sich aktuell die größte Verdichtung, die ich bisher mit der Tabosequenz erreicht habe. Ich bin auf dem Transparentpapierstreifen so weit zurückgegangen, um diese Stelle zeigen zu können. Die aktuelle Arbeit an diesem Thema stagniert etwas wegen meiner Abwesenheit in den letzten Tagen.

Ein Vorteil in dieser Phase ist die wachsende Autonomie der Buchmalereien. Sie müssen keine anderen Eignungen mehr aufweisen, als die eigene innere Schlüssigkeit. So kann ich mich in der Auffächerung der angedeuteten Strukturen verlieren, kann sie bis zu einem gewissen Grad konkretisieren, ohne dabei an weitere Funktionen denken zu müssen. Auch Szenen, die zwischen den Farbwettern spielen könnten, werden unwichtig. Diese Abwesenheit fühlt sich befreiend an.

Auf der großen Nachbarbaustelle wird der vorletzte Kran abgebaut. An vielen Gebäuden ist der Außenputz schon fertig und die Bauhüllen sind nun die Resonanzkörper für den Innenausbau. Das Geschrei der Bauarbeiter verlagert sich in die Wohnlabyrinthe, die sie selber hergestellt haben. In nicht allzu langer Zeit werden die ersten Bewohner auftauchen.

Farbwetter

Gerade war ich wieder drauf und dran, die feinen Erosionsstrukturen, die sich durch die Handballenabdrücke bilden, mit groben Liniengeflechten abzudecken. Dabei erschien mir der Gedanke, was ich mit den Buchmalereien eigentlich will. Die Umrisse und die fetten Linien zielen auf die Weiterverwendung in den Collagen und auf Rolle 11. Jetzt aber ging es mir nur um die Strukturen und Farben in diesem Buch.

Mein Bruder ist über die Erfolge der Faschisten in Thüringen verzweifelt. Dies ist nun das Volk, das ich vor vielen Jahren verlassen habe. Es ist mir noch ferner geworden. Ich verabscheue diese Dumpfheit!

Manche der Farbwetter der Buchmalereien laufen auf Stelzen durch die Landschaft, ohne sich abregnen zu wollen. Ihre gelben Zacken klappen wie Fischgebisse zu und beißen ein Stück Himmel heraus. Im Sumpf fahren sie ihre geteilten Hufe auseinander und wanken den großen Wasserflächen entgegen.

Ruhwinkel

Nach ein paar Tagen in Norddeutschland, fühle ich mich fremd im Atelier. Mit Musik versuche ich wieder zurück zu finden, die Atmosphäre des Dorfes Ruhwinkel, wo ich während drei Regentagen eine Erkältung auskurierte, abzustreifen. Stille, Rasenmäher, Menschenleere, Seen, Pferde und weiter Horizont.

Ein langer Schlaf am Nachmittag zeigte mir, dass die Krankheit noch nicht ganz fort ist. Und die Buchmalereien von heute haben noch keine Heimat. Im Gegensatz zu denen, die ich im runden Zimmer meines Ferienhauses gemacht habe. Sie sind vom Ankämpfen gegen die Schwäche geprägt, beschränken sich auf das Wesentliche, grob und wild.

An einem Tag suchte ich einen See, zu dem kein Weg führte. Die Regentage haben seine Umgebung versumpft, und ich war zu schwach, mich noch von einer anderen Seite heranzutasten. So verschob ich die Unternehmung auf den nächsten Aufenthalt in Ruhwinkel.

Gewebe

Nun habe ich den Roman meiner Tochter Anne „Hinter den Mauern der Ozean“ ganz gelesen. Fast möchte ich es gleich noch mal tun, um besser auf die Worte zu achten und noch langsamer hindurch zu wandern. Ich stelle mir vor, mit Teilen des Textes zu arbeiten, mit den Tabostrukturen oder dem Handprint Berlin zusammen. Aber das soll sich langsam entwickeln.

Die Tabosequenz baute ich auf Rolle 11 etwas extensiv aus. Durch den langsam trocknenden Schellack kommt mir die Dynamik etwas abhanden. Die neuen Konturen, die sich aus den Schellackwolken entwickeln, verweben sich mit der Tabostruktur aus den Tagebüchern.

Gestern ließ ich mir spontan bei einem Friseur, an dem ich täglich mehrmals vorbeigehe, die Haare abschneiden. Nur langsam gewöhne ich mich an das neue Aussehen. Jetzt gehe ich gleich zum Flohmarkt bei Gusti und esse dort auch etwas… Eine schöne Bereicherung, dieses neue Kultur-Lokal auf meinem Arbeitsweg.

Verknüpfungen

Es macht Spaß, in alten Tagebüchern zu blättern. Ich schaue in das Jahr 1987, als ich an den Objekten für die Arche in Neckargemünd gearbeitet habe. Dabei staune ich, wie sehr mich damals die Theaterarbeit geprägt und inspiriert hat. Die Texte von Heiner Müller waren wichtig, und Bilder für sie zu finden…

Vor mich auf den Zeichentisch stellte ich ein Stück Transparentpapierrolle, aufrecht mit den Sequenzen von gestern, vor den Garten. Aus drei Buchmalereien vom 19.08. des vergangenen Jahres, die ich nach unserem Besuch in Tabo in Lalung gemacht habe, zeichnete ich die Linien durch, die sich auf die abstrakte Komposition an der Durchgangswand zum Hauptraum beziehen. So entstand ein dreizeiliges Zeichenfeld.

Das direkte Durchzeichnen aus den Tagebüchern auf Transparentpapier, ohne Vergrößerungen, ist eine neue Verknüpfung der beiden Elemente. Der Schellack weicht dabei die harten Linien etwas auf und schafft neue Konturen, mit denen ich weiter arbeiten kann.

Schmelzvorgang

Eine Kreuzstruktur auf Rolle 11 ging nun in eine Schellackverwischung über. Sie nahm etwas von der kristallinen Zeichnung auf und verwandelte es in ein Fließen. Dieser Schmelzvorgang bricht mit einer monatelangen Kontinuität. Nun will ich aber verfolgen, was aus den Tuscharealen, die sich noch an die Tabolinien anlehnen und den Schellackwolken beim Zusammenrollen des Transparentpapiers passiert.

Durch die Aufnahme von durchgedrückten Linien vom Vortag, entwickelt sich auch in der Formensprache der Buchmalereien eine folgerichtige Geschlossenheit. Beim Einarbeiten in die Collagen finden sich auch überlagerte Ähnlichkeiten. Manchmal denke ich daran, aus diesen langen Reihen von Bilddateien, die immer auseinander hervorgehen, Animationen zu machen. Das würde das Fließen noch einmal deutlicher machen.

Viele Arbeitskontakte nach außen verschränken verschiedene Projekte miteinander. Tabolinien-Sequenz und Fotografie, GPS-Wanderungen mit Texten, sakrale Skulptur mit den Synaptischen Kartierungen. Mit meinem Hang, alles zu vermischen, muss ich mich etwas zurückhalten!

Gefahrenräume

Unter den Figuren der Buchmalereien kann man auch zwischen die Fronten geraten. Dann, wenn sie sich gegenseitig ausräuchern wollen, sie sich schlagen oder beschimpfen. Ungeschoren bleibt man aber auch in den Harmoniezwischenräumen nicht, wenn die Anwesenheit störend wirkt. Und in der scheinbaren Leere flirrt das so genannte Nichts. Es kann sich schnell verdichten und neu zu einer gefährlichen Szene formieren.

Auf Rolle 11 zeichnete ich gestern 5 Figuren, die aus ihrem jeweiligen Kern der Netzstruktur gewachsen sind. Am späten Nachmittag war ich an dem Punkt angelangt, an dem es nicht weiter ging, an dem mir das Material nichts mehr bot, was ich weiterentwickeln wollte. Das zwang mich zu der Denkpause, in der mir die Möglichkeit aufging, mit Tusche-Schellack-Verwischungen, also dem Prinzip meiner Synaptischen Kartierungen weiter zu machen, um die Grenzen des stetigen Durchzeichnens und Verflechtens zu überwinden.

Vorsicht und Langsamkeit lenkten die Buchmalereien. Aus Einzellern, die von Schraffuren aus den durchgedrückten Linienfragmenten des Vortages sichtbar gemacht werden, wuchsen Reihen und Wolken, die sich zu Figurationen zusammenballten. Die Tuschezeichnungen auf der Transparentpapierrolle und die Malereien rücken aus unterschiedlichen Zuständen und Richtungen aufeinander zu.

Aus Binnenstrukturen

Gestern arbeitete ich endlich auf Rolle 11 weiter. Mein Augenmerk richtete ich auf Binnenstrukturen. Aus ihnen wuchsen einzelne Figurationen. Im Schauen auf die Schichten und Nachschreiben der Liniengeflechte, bilden sich Bezüge zu den alten Malern aus Tabo heraus. Nicht meine Gedanken kreisen um ihre Arbeits- und Lebenswelt, es sind meine Bewegungen, Blicke, das Innehalten, Festlegen und Aufhören, wodurch ich ihre Nähe gewinne.

Das kann aber auch nur eine Zwischenstation sein, auf dem Weg zu den Linien selbst, die ja ein Ereignis nachzeichnen. Und meine Fähigkeit, mich in die Überlagerungen aus den Durchzeichnungen der Strukturen hinein zu versetzen, ist eine Fortführung des Vorgangs, aus dem diese Zeichen entstanden sind.

Auch bei den Buchmalereien achtete ich mehr auf die Binnenstruktur und versuchte sie mit leichten Farblinien fortzuführen, Begrenzungen wachsen zu lassen und Figuren zu erfinden. Die groben Umrisse der Handballenabdrücke treten dadurch etwas in den Hintergrund. Dadurch ist es leichter, sich selbst zwischen die Figuren zu begeben, um ihre Struktur zu spüren. Es gibt moosartige, Glatte und stachelige Oberflächen. In den Zwischenräumen kann ich sie von verschiedenen Seiten her spüren und in die Szenen eintauchen.

Vor meinen Augen

Vor meinen Augen verhalten sich Menschen rücksichtslos, vulgär, lärmend und hässlich. Hinzu kommt meine Mülleinsammelaktion, die ich seit 5 Monaten mache. Mich verändert das, und ich suche nach einem Ausweg. Meine Erwartungshaltung den Leuten unterwegs gegenüber ist vielleicht zu hoch und ich sollte mich damit zufrieden geben, dass der Grünstreifen der Frankenallee einfach besser aussieht, wenn ich ihn aufgeräumt habe. Sehr sichtbar ist das, wenn es stetig geschieht.

Die Figuren der Buchmalereien warten drängend. Wie an einer Grenze oder am Steg einer Fähre, wollen sie auf eine andere Seite. Das nimmt sie ganz ein, so dass es kaum eine Kommunikation zwischen ihnen gibt. Das Gelb drängt laut und leer in den Raum. Einzig der Goldregen draußen leuchtet wahrhaftig vor den dunklen, dschungelhaft strotzenden Gesträuchen.

Der Boden, das sich stapelnde Totholz, die Pflanztöpfe, alles ist von den Starkregengüssen durchtränkt. Schnell wird das Gärtchen zu einem finsteren Ort. Die Temperatur ist gesunken und große Betonmeißel, die startenden Maschinen und die Güterzüge rhythmisieren die Stunden.

Ketten

Bevor ich am Morgen mit den Buchmalereien begonnen habe, stellte ich ein Objekt aus zu Kreisen gebogenen Weidenzweigen an eine erhöhte, gut sichtbare Stelle in mein Gärtchen und hängte eine Muschelkette hinein. Dieses Tun ähnelt dem Malen und versetzt mich in einen frohen Zustand. Der Geist bewegt sich in den Regionen zwischen Nichtgegenständlichkeit und der Erfindung neuer Gegenstände, die noch unbenannt sind.

Das neu erschienene Buch meiner Tochter, „Hinter den Mauern der Ozean“, liegt zu Hause. Ich kam nur kurz zum Lesen und überlege, es mit ins Atelier zu nehmen, um ihre Worte in meine Liniengeflechte setzen zu können. Sätze sind wie Muschelketten. Jedes Wort mit seiner Form und Geschichte, kann zu einer Reihe anderer hinzugefädelt werden. Zur Kette im Weidengeflecht habe ich am unteren Ende noch zwei Federn in das durchgehende Loch einer Koralle gesteckt. Jetzt bewegt sie sich lebhafter in dem leichten Wind.

Heute traten in den Buchmalereien wieder viele Figuren auf. Sie entstehen zumeist aus den Umrissen der Handballenabdrücke. Und mein Erinnerungsblick formt sie dann zu Geschöpfen, die schweben, tanzen und währenddessen Kontakt zueinander aufnehmen.

Aufräumarbeit und Zukunftskonzept

Auf der rechten Seite unserer Zufahrtsstraße lagen gestern und heute wieder zertrümmerte Blumentöpfe mit großen zerplatzten Wassermelonen. Das geschah schon einmal vor ein paar Wochen. Es ist jedes Mal eine brutale Schweinerei, sieht sehr gewalttätig aus uns scheint durch seine Wiederholung einen rituellen Charakter zu haben. Jetzt werde ich das mit Besen, Schaufel und Eimer beseitigen und bin gespannt, was in der nächsten Zeit an dieser Stelle weiter passiert.

Während meiner Aufräumarbeit traf ich auf Verkehrsplaner vom Amt für Bau und Immobilien. Der Chef legte seine schwere Hand auf meine Schulter und bedankte sich bei mir. Zuvor hatte ich ihm auch von meinen Aktivitäten auf der Frankenallee erzählt. Dann hob ich zu einem Plädoyer für die Erhaltung von Teves West an, sprach über unsere Verknüpfungen mit den bildungskulturellen Einrichtungen im Stadtteil, darüber, wie das Grün des Geländes von den Bewohnern der Umgebung angenommen wird und über unsere offiziellen Kooperationen mit den Schulen etc.. Aber das machte nicht viel Eindruck. Es herrscht eher die Meinung, dass wir hier nicht mehr herpassen.

Wenn wir das Gelände für die Zukunft sichern wollen, muss das Konzept mit der Schule, die auf Teves Ost gebaut wird und mit den neuen Bewohnern im Westen abgestimmt sein. Da müssen wir dranbleiben!

Transparentpapierobjekt

Am Morgen dachte ich an eine Transparentpapierarbeit, die ich für eine Freundin von Barbara machen möchte. Sie ist auf die Idee gekommen, dass es sich bei den Tabolinien um schamanistische Zeichen für den Übertritt in eine andere Welt handeln könnte. Weil sie sich im Durchgang zu einem großen Meditationsraum befinden, könnte es sich um Leuchtmuster handeln, die in extremen Phasen der Versenkung auftreten.

Das Objekt aus mehreren Transparentpapierschichten, soll sich mit den Linien aber auch mit einem Satz zum Kraftfeld im Zentrum von Berlin beschäftigen. Wenn die Worte die Struktur der Linienmuster annehmen und sich mit ihnen verflechten, hoffe ich auf einen Neustart in der Arbeit auf Rolle 11. Dort verläuft sich die Tabosequenz in Einzelfiguren, die aus dem Gesträuch hervortreten.

Die genauere Beschäftigung mit dem Interviewtext zum Palast der Republik, der mir schriftlich vorliegt, ist schon der Übergang zum „Handprint Berlin“, einer GPS-Text-Wanderung. Annes Roman „ Hinter den Mauern der Ozean“, möchte ich auch im Hinblick auf diese Arbeit lesen.

Parallelsituationen

Die tastenden Pigmentstränge in den Buchmalereien sind manchmal wie Gletscherbäche, die auf eine Ebene fließen. Farbsediment wird verfrachtet. Der Handballenabdruck ist die Brücke in eine Parallelsituation, in der die ähnliche Komposition anders fortgeführt wird.

Die Kulissen von gestern haben heute ausgedient. Darstellende Figuren ziehen sich zurück und Energiestrukturen aus gravierten Kreuzschraffuren bilden mit den Hautlinien der Handballenabdrücke unterschiedliche Ladungen ab. Die Schichten sind verschiedene Pole, zwischen denen Energielinien entstehen, die die aufgenommenen Strukturen verstärken und fortführen.

Auf Rolle 11 füllte sich der aktuelle Umriss aus einer Buchmalerei, die ich vor einem knappen Jahr im Spitital gemacht habe, mit den Gesträuchflächen bis an den Rand seiner Grenzlinien. Aus diesem Geschehen möchte ich nun weitere Figuren entwickeln, die sich aus dem verdichteten Gemisch der Taboliniengeflechte und den Linien der Buchmalereien zusammensetzen, die ich in Tabo und später in Lalung angefertigt habe.

Verschiedene Räume bewohnen

Kleine bewegliche Installationen im Gärtchen, lassen einen zunehmend surrealen Raum entstehen, in dem Traumsequenzen stattfinden können. Wenn Figuren aus dem Schlaf in den realen Raum wandern, den wir bewohnen, öffnet sich eine weitere Welt, in der man sich zurechtfinden muss. So geschieht es bei den ganz Alten in der Familie.

Beim intensiven Zeichnen, aber auch während der Buchmalereien gelange auch ich in Bereiche, die Traumszenarien ähneln. Zwischen den Kulissen spielen dort Figuren Szenen, die exemplarisch sind für meine Existenz. Sie legen die Arme an und geben nur mit Haltungen und Blickrichtungen etwas preis von sich. Sie lassen sich von Energieteilchen durchströmen und wandeln sie in Lichtwellen um. Ein Leuchten aus flüchtigen Bereichen heraus wird festgehalten.

Während meiner täglichen Müllsammelaktionen auf der Frankenallee und in der Zufahrt zu unserem Gelände, kommt mir manchmal der Gedanke, diese Tätigkeit auf ein künstlerisches Projekt auszuweiten. In den zerfledderten Materialien stecken Geschichten, die konzentriert eine neue Frage stellen können. Vielleicht eine solche von Sättigung, Verachtung und schwindender Wahrnehmung des uns umgebenden Raumes.

Zwischen den Blicken

Die Schichten türmen sich: Tusche, Knochen, Schellack, Müll und Klang. Die Gelbmützen singen murmelnd und die Licht-Glas-Chöre Plestrinas stahlen. Immer wenn ich eine Schicht anhebe, setzt sich ein Klang frei: GIMME SHELTER. Während des Zeichnens an Rolle 11 hörte ich gestern ein paar Rolling Stones Alben und dachte daran, wie mir Charlie Watts in der Voodoo Lounge beim Zeichnen über die Schulter schaute. Er – der Trommler und Zeichner.

Vor mir im grauen Gegenlicht steht Rolle 11 mit den Tusche-Umrissen der letzten Tage. Dahinter fällt Regen auf die gesprungenen Erdränder meiner Schafgarbenwiese. Die Sprünge sehen den Gesträuchen meiner Schichtenzeichnungen ähnlich, meinen Handballenabdrücken und all den Linien, die mich durch die Zeiträume schicken.

Die Buchmalereien werden figurenreich. Ich sehe sie, wie man Menschen zu ahnen glaubt in den Zwischenräumen der Blicke, ausgelöst durch das Blinzeln. Ich könnte sie immer realistischer werden lassen, was ich aber nicht will. Ich bin ja kein sozialistischer Realist geworden. Immer noch flüstert aber meine Transparentpapierrolle, neben dem „Lied von der Roten Fahne“ von Willi Sitte im Humboldtforum, die Stasi-Tonbandprotokolle von Professor Heinz Werner über mich. Das macht mich froh!

Ansätze

Einen ersten Austausch über unsere Arbeiten zum Kloster Tabo hatte ich gestern mit Peter van Ham in meinem Atelier. Sein Ansatz ist es, mit seinen Bildern etwas für die Erhaltung der Kunstschätze zu tun. Dafür führen uns seine Fotografien ganz nah in die entferntesten Winkel der Architekturen und bringen uns die gefährdete Schönheit ganz nahe.

Meine Herangehensweise, mich mit den gröbsten Linien, die die Maler hinterlassen haben, auf die Suche nach ihrer Nähe zu mir zu machen, hat meinen Gast überrascht. Sicher gibt es innerhalb einer gemeinsamen Ausstellung die Gelegenheit, tiefer gehende Formen einer Zusammenarbeit zu erkunden. Die Verwandtschaft meiner Buchmalereien mit den kleinformatigen Wandmalereiszenen, könnte Peter zum Anlass nehmen auch einige wenige meiner kleinen Bilder zu fotografieren, damit man sie ebenfalls vergrößern kann. . Auch ich kann mit seinen Bildern weiterarbeiten. Somit könnte sich einer der Kreise schließen, die unsere Gemeinsamkeit ausmachen.

Ein anderes Thema sind die Intentionen. Peter will das Bewusstsein für die Erhaltung dieser besonders wertvollen kulturellen Zeugnisse vor Ort schärfen. Mein Ansatz der Zeitreise durch Vertiefung in die schamanistischen Linienkompositionen, ist zunächst eine ganz private, nach innen gerichtete Idee. Am Abend zeichnete ich an Rolle 11 weiter.