Dualität und Dreiklang

Die lang gestreckte Zeichnung einer Uferlandschaft mit Booten, einer flachen Insel und Eisschollen, platzierte ich neben die Doppelungen einer Wischzeichnung der letzten Tage. Der eigentliche Plan war, noch den Schelllackeinschluss eines gefundenen Pflanzenteils hinzuzufügen. Wenn ich jetzt aber auf das Format schaue, wie es vor mir mitten im Raum hängt, zweifle ich an der Addition des dritten Elementes. Die Gerollte Wischwiederholung und die Landschaft bilden eine Dualität, die durch die Doppelung des synaptischen Motivs zu einem Dreiklang wird. Diese Spannung würde durch den Fundstückeinschluss verloren gehen.

Die Landschaft alleine besitzt in ihrer dramatischen Menschenleere und ihrer gleichzeitigen stillen Ereignislosigkeit eine romantische Ausstrahlung. Das Geschiebe der Eisschollen, die Boote und die Uferlinien bleiben im Ungefähren, fordern das Hirn zu intensiver Vervollständigungsarbeit auf. Das alles erinnert an eine radierte, zweihundertfünfzig Jahre alte Naturbetrachtung.

Am Abend fand die Eröffnung der Ausstellung „108 Begegnungen“ im Museum für Angewandte Kunst statt. Endlich, nach vier vorausgegangenen Reden, war es dann soweit: ein Wiedersehen mit den Gestaltungen, die ich aus Indien, Thailand und Kambodscha kenne. Die Begegnung mit dem Hinduismus ist manchmal allzu deutlich und fremd. Aber ansonsten habe ich mich zwischen den Skulpturen und Malereien recht zuhause gefühlt. Meine Punktrasterzeichnungen begegnen, in ihren meditativen Herstellungsweisen, den Blicken der Buddhas. Das Einsiedlerleben im Atelier scheint den Einklang mit der Arbeit zu finden.

Sprengung und Startpunkt

Ich beobachte den Punkt, an dem die Sonne über den Horizont kommt. Er wandert jetzt in größer werdenden Schritten nach links. Das Licht zeigt dann verschwenderisch, wie sich die Schichten der Nacht nun im Raum durchleuchtet darstellen. Es deckt Fehler und Vielfalt auf.

Die Verwischungen, die sich mit den Rasterportraits und den Rasterlandschaften übereinander lagern, gehen nun auch Verbindungen mit Fundstückcollagen ein, die vor Jahren innerhalb der Beschäftigung mit Stadtwanderungen entstanden sind.

Zwischen Transparentpapierschichten waren Papierschnipsel, Pflanzenteile und Artefakte des täglichen Stadtmülls geraten, dort von Schelllack eingeschlossen worden. Diese Sammlungen entdecke ich nun als biografische Dokumente.

Im Zentrum des ersten großen Blattes der Arbeit befindet sich jetzt eine solche Collage mit Stichworten des kurzlebigen Medienhypes irgendeines Filmes, eines Spieles oder sonst einer Geldmaschine. Jetzt im Morgenlicht, das von der Seite her auf die bewegte Fläche des durchscheinenden Blattes scheint, ist eine kompositorische Grenze erreicht worden, deren Sprengung den Startpunkt für das Projekt markieren wird.

Es gibt viele Möglichkeiten, mit dem Material zu experimentieren. Ich kann es einfach übereinander legen, dabei vorsichtig verschieben, kann es groß projizieren oder zu einem kleinen Format zusammenschrumpfen lassen. Die Tuschzeichnungen der Rastererinnerungen schieben sich fast gewalttätig in die weichen, gerollten Verwischungen und Wiederholungen der „Synaptischen Kartierungen“.

Biografie, ein Haus im Haus

„Biografie, ein Haus im Haus“ ist der Titel eines Kurzexposes zu einem neuen Projekt. Es war schon eine Weile präsent, verbindet sich nun mit meinen Kunstschülern und dem Museum, reift weiter und soll eine langsame Entwicklung nehmen. Es würde parallel zu meinem eigenen Biografieprojekt entstehen, in das die Schüler mitgenommen werden auf eine Reise in die Welt der eigenen Erinnerungen. Der Arbeitsrhythmus mit ihnen hat sich verändert. Sie kommen gleich nach der Schule, und das ist manchmal schon 12.30 Uhr, und sie bleiben durchaus bis 16.30 Uhr. Nun könnte ich mir vorstellen, das ganze noch auszuweiten, denn sie möchten einfach auch länger bleiben. Mit der doppelten Zeit von 12.30 bis 17.30 Uhr könnte man sich länger konzentrieren und zwei Projekte parallel oder ineinander verschränkt entwickeln.

Am Vormittag sind mehrere großformatige Verwischungen in der Rolltechnik der „Synaptischen Kartierungen“ entstanden, die den Grund für Collagen bieten, zu denen nun Portraits und Landschaften hinzukommen. Oben im Collagenstreifen des heutigen Tages sind Fragmente davon sichtbar.

Vinzenz veröffentlicht manchmal Fotografien aus meiner Kindheit und Jugend, von denen er mir jetzt einige schickte. Diese werde ich als nächste Motive nutzen. Es gäbe auch die Möglichkeit, nur mit dem dokumentarischen Material der Selbstportraits und Landschaften und mit den Verwischungen zu arbeiten.

Ufer | Martyrien

Am südlichen Mainufer, zwischen Städel und dem, dem Westhafen gegenüberliegendem Weg am Fluss, unternahm ich alleine einen Sonntagsspaziergang. Zum Pier des hohen Kohlekraftwerkes hin breitet sich mit dem Hafeneingang eine große Wasserfläche aus. Von dort aus geht in der leichten Wendung des Flusses derzeit die Sonne, im Verlauf der weiten westlichen Fliessrichtung, unter. Ein ähnlicher Effekt, wie in Varanasi, wo er einen heiligen Ort stiftete. Selbst breite Stufen gibt es dort am Main, die in das Wasser führen. Paare gehen spazieren, Männer unterhalten sich oder Frauen zu dritt, Familien machen Picknick auf Bänken und ich gehe mittendrin meiner Neugier nach.

Eine Sportgruppe, die die Stadt als Ertüchtigungsparcour entdeckt hat, kroch die Stufen von der Friedensbrücke bis zum Wasser im Liegestütz hinab, um dort dann, teilweise in voller Montur in den Main zu springen. Zäh, hart und flink stellten sie die Volksgesundheit zur Schau. Windhunde aus Kruppstahl und Leder, etwas widerlich das Ganze, militant, geistlos und brüllend laut.

Mein Kontrastprogramm waren dann die Säle der Alten Meister im Städel, in denen ich mir insbesondere die wenigen frühmittelalterlichen Werke ansah. Ihre Reduziertheit auf wenige wichtige Elemente, die dann aber fein ausgearbeitet neben den eher kanonisch-gleichförmigen Landschaften, Architekturen oder Kleidern stehen, kommen modernen Sichtweisen nahe, oder können als gegenwärtige, adäquate Gestaltungsformen gelten. Mir kam in den Sinn, vor Ort Kompositionslinien zu skizzieren. Allgegenwärtig, die brutalen christlichen Martyrien.

Sonntäglich aber ruhte die Arbeit gestern. Lediglich die Tagebücher verlangten nach ihrer Kontinuität.

Amseln | Angkor

Mit einer Tasse Kaffee gehe ich jetzt, am zeitigen Morgen, den Weg von meinem Atelier in Richtung Südosten. Mit einer Jacke, einer Mütze und einem Schal habe ich genügend Wärme, Zeit und Ruhe, um auf die Gespräche der Amseln zu achten. Sie bilden schon mitten in der Nacht einen akustischen Raum, in dem sich ihre Reviere überschneiden.

Nach der gestrigen Abendveranstaltung. mit einem mittelöstlichen Sänger, ist das Tor verschlossen worden. Zufall, Lernprozess oder ein zu vernachlässigendes Ereignis.

In der Mitte des Tages lese ich zur Geschichte von Angkor Wat, schaue mir einige der vielen Bilder an, die ich dort fotografiert habe. Die Pracht des Dschungels, der die Werke der Khmer umschlingt, die Räume des weichen Monsuns, der über tausend Jahre alte Bodenplatten überschwemmt und uns zum Ausharren unter einer Turmkuppel veranlasst, wo wir eine Sprache mit den Wächtern der Tempel finden.

Die Übersetzung des neuen Romans von Russel Banks mit dem Titel „VERSTOSSEN“ habe ich gestern geschenkt bekommen. Ein Schwergewicht von 542 Seiten, bei Schöffling herausgekommen. Im Klappentext wird, neben dem Autor, auch die Übersetzerin vorgestellt!

In der kommenden Woche möchte ich nun an größere Biografieformate herangehen, mehrschichtig, kompakt und collagenartig,  etwas Farbe (?). Vielleicht besuche ich dafür noch mal die „Affichisten“ in der Schirn.

Biografie, ein Labyrinth

Aus den unter freiem Himmel auf dem Tevesgelände verrottenden Hinterlassenschaften, habe ich einen Metallkessel von Unrat befreit und ihn mit seiner runden Unterseite auf drei der kleinen Sandsteinquader gesetzt, die ebenfalls dort liegen gelassen wurden.

Roland hat auf unserer Wiese, die es wegen des wenig fruchtbaren Untergrundes etwas schwer hat zu wachsen, eine Brombeerhecke entfernt und ihre Wurzeln teilweise ausgegraben. Dieses Material, das in mehreren Haufen auf seine Entsorgung wartete, begann ich mit meinen Jugendlichen in diesem Metallkessel zu verbrennen. Ein Feuer ist immer eine sehr emotionale Angelegenheit. Im Freien kann man dann seinem Bewegungsdrang mehr nachgeben und muss die Flammen schnell füttern, damit sie nicht ausgehen. Das ist ein Ausgleich für das konzentrierte Arbeiten am Tisch.

Trotz des Freitagsworkshops hatte ich Gelegenheit am Biografiethema weiter zu zeichnen. Eine Rasterumrisszeichnung des Portraits meiner Mutter aus dem Jahr 1961 kombinierte ich mit einer Verwischung aus Tusche und Schelllack im Stil der „Synaptischen Kartierungen“ und einer Tanzzeichnung, die ich im Ballettsaal der Forsythecompany im Jahr 2003 gemacht hatte.

Nach einem Treffen gestern im Architekturmuseum geht mir das Thema „Biografie- ein Haus“ durch den Kopf. Mit meinen Jugendlichen arbeite ich ja nun schon im dritten Jahr fest und regelmäßig zusammen. Aus dieser künstlerischen Geschichte würde ich gerne eine architektonische Erinnerung zusammenstellen. Erinnerungselemente werden Architektur, tragende Säulen und Wände, transparente Scheiben und Böden. Ein Labyrinth entsteht.

Decollagen

Die Arbeit am Biografieprojekt setzte ich damit fort, dass ich mich mit mehreren Blättern wieder in die Techniken der „Synaptischen Kartierungen“ einarbeitete. Dabei wurde mir die Reihenfolge klar, die notwendig sein muss, um die Verwischungen aus Tusche, Schelllack und Graphit mit den dokumentarischen Durchzeichnungen von Rasterfotografien, Landschaften und Tanzzeichnungen zusammen zu bringen. Denn die stark vom Zufall abhängigen Verwischungen müssen derzeit am Anfang stehen, damit die anderen Elemente dann in Ruhe und mit kompositorischem Gefühl hinzugesetzt werden können. Würde ich die Reihenfolge ändern, wäre der Effekt radikaler und hätte vielleicht erst später seine Berechtigung.

In diesem Zusammenhang war der gestrige Besuch der Ausstellung „Die Affichisten“, in der Schirn Kunsthalle, eine Inspiration und Bereicherung. Das Zusammenspiel von zufälligen Formen der Decollage und deren Arrangements zeugten von einem Zusammenspiel von traditionellem künstlerischen Handwerk, einem Bezug auf DADA und dem neuen, alte Techniken unterminierendem Gestus der Zerstörung. Besonders die Decollagen der Pariser Künstlergruppe vom Ende der Fünfziger und dem Anfang der Sechzigerjahre, gefielen mir durch ihre gealterte Farbigkeit, die traditionellen, aber abstrakten Kompositionen und in ihrer poetischen Tiefe.

Die Idee entstand, größere collagierte Transparentpapierformate herzustellen, die mit dem Biografiethema zutun haben. Das Zusammenspiel von Zufälligkeit und Komposition hat mich ähnlich berührt, wie das Aufeinandertreffen von Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Strukturkombinationen

Im Anschluss an die gestrige Fortführung der autobiografischen Arbeit mit dem Kinderportrait in Kombination mit einer Tanzzeichnung aus dem Jahr 2003, verdichtete ich die choreografischen Linien auf Rolle 6 mit einer „Rolle rückwärts“.

Imprägniert von hundert Jahre altem Angstschweiß entsteht die alte Turnhalle, ein historisierender Holzbau auf dem Schulgelände in Waltershausen, als ein Erinnerungsbild. Dort wurde ich zu einem Boxkampf gegen meinen Freund Andreas gezwungen – eine Marter und ein Trauma.

Indem ich in einem neuen zeichnerischen Ansatz nur die Umrisslinien des vergrößerten Rasterportraits abbildete, ergab sich ein neues Erscheinungsbild, das nun wieder viele neue Möglichkeiten in sich birgt. Ich setzte außerdem auf die unterschiedlichen Strichstärken, die sich daraus ergeben, dass die Feder, wenn sie frisch in die Tusche eingetaucht ist, einen satteren Strich erzeugt, der sich mit fortschreitendem Zeichnen, dünner werdend, fast verliert. Dieser Effekt erzeugt gemeinsam mit den Umrissen der Punkte und Felder eine luftig-wolkige Struktur, die das Raster weicher und fragmentarischer erscheinen lässt.

Auf einem einzelnen Blatt wiederholte ich das Portrait-Tanz-Motiv, um es nun mit Synaptischen Kartierungen kombinieren zu können. Das tat ich zunächst nur, indem ich die Transparentpapiere übereinander legte. Als nächsten Schritt will ich versuchen die Roll- und Wischstrukturen direkt zusätzlich auf das gezeichnete Blatt zu bringen.

Entspricht meinen Vorstellungen

Kratzer auf der Haut meines rechten Handrückens, unterhalb des Daumens, blieben von der Gartenarbeit der letzten Woche. Die Verschorfungen bilden Strichellinien, die rote Ränder hinterlassen, nachdem sie abgefallen sind. Ich kann es während des Schreibens beobachten und könnte es dann später mit einem Wasserfarbenabdruck in anderer Weise festhalten – Autobiografie.

Gestern zeichnete ich nun endlich das Motiv, das mir tagelang durch den Kopf gegangen ist auf Rolle 6. Eine nach rechts weisende Figur (der Ausschnitt oben ist waagegerecht gekontert) ist mit einem anderen fragmentierten Figurenumriss verbunden, unter dem ein abstrakter, raumgreifender Gegenstand sitzt. Punktmuster beziehen sich auf das Rastermotiv des Kinderportraits. Punkte bilden Linien, Felder oder Wolken. Alles ist so, wie ich es wollte, entspricht meinen Vorstellungen.

Nun denke ich darüber nach, wie die Arbeit fortgeführt werden könnte. Zunächst werde ich das Motiv noch einmal durch Zusammenrollen auf Rolle 6 komprimieren. Dann aber will ich es auf ein Einzelblatt übertragen und versuchen mit Synaptischen Kartierungen eine Kombination herzustellen. Das kann mit übereinander gelegten Schichtungen aus Transparentpapier geschehen. Es wäre auch möglich, eine weitere Schicht durch die Rolltechnik mit flüssiger Tusche und Schellack hinzuzufügen.

Stillstand des grauen Lichtes

Stillstand des grauen Lichtes. Einzig im Kreis geht der Sekundenzeiger mit der Zeit nach vorn. Und auch dies rührt von einer hin und her schwingenden Bewegung. Autotüren klappen in ihre Schlösser und Rahmen, der Heizkörper rauscht, weil das heiße Wasser durch einen Kreislauf gepumpt wird.

Mit dem Fahrrad fuhr ich am Morgen bis zum Bethmannpark mit seinem Japanischen Garten. Ich beobachte die Knospen, die Uferlinie des vielgestaltigen Teiches im Verhältnis zu den kleinen Bäumen an seinem Rand.

Sieben Kilometer durch die Stadt und am Fluss entlang. Der leichte Westwind kräuselt das Wasser gegen seine Fließrichtung. Chinesen allenthalben auf der Suche nach Waren und Postkartenansichten. Ich suchte nach neuen Dichtungen für meine Espressokannen.

Ein zweistündiges Gespräch gestern mit Mona in einem Cafe, nach einer Blutentnahme in einer Arztpraxis an der Mainzer Landstraße.

Bin den ganzen Tag kaum zum Arbeiten gekommen und hoffe auf Besserung heute.

Unscharfe Dokumentation | klare Abstraktion

Draußen vor den Rolltoren ist es ungemütlich. Eine graue Hochnebelsuppe beherrscht den Raum und hält die Temperaturen, verbunden mit der Luftfeuchtigkeit in unangenehmer Paarung. Gestern in der Sonne, sah ich erstmalig in diesem Jahr, in meinem Gärtchen eine der kleinen überwinterten Eidechsen, der neuen Generation. Sie trommelte mit ihren Vorderpfoten und wand sich auf kleinem Raum zur Wärme hin.

Seit ein paar Wochen habe ich eine kleine Rollsequenz auf Transparentpapier, aus dem Arbeitskomplex der „Synaptischen Kartierungen“, mit einem kleinen gerasterten Elbeisgang schichtend kombiniert. Zwei steife Klarsichtfolien mit schwarzen Stahlklammern zusammengehalten, bieten den Rahmen, den ich an mehreren Stellen im Raum hängen oder aufstellen kann. Die Rollsequenz besteht aus kleineren Tuschstrukturen und einer sich wiederholenden Figurenszene. Durch den Abdruckvorgang gibt es in der erneuten Abbildung kleinere Ungenauigkeiten, die beim Betrachten des Blattes sehr wichtig werden. Sie stehen auf der oberen Schicht der Collage, während der Eisgang etwas grau und unscharf seine Identität eher verbirgt. Am ehesten wird eine unkonkrete Landschaftlichkeit erkennbar. So entstand also ein Kontrast zwischen unklarer Dokumentation und scharfer, klarer Abstraktion. Beide Elemente bewegen sich aufeinander zu.

Dieser Vorgang hat nun Auswirkungen auf weitere Bilder, die mir im Rahmen des Biografieprojektes durch den Kopf gehen, auf meine Portraits im Zusammenklang mit Ballettzeichnungen, oder anderen Bühnenarbeiten, die es zuhauf in den Schubkästen meiner Grafikschränke oder in Kartons gibt.

So zeichnet man!

In der Morgensonne vor dem Atelier, auf einem Stuhl mit einem Kaffe in den Händen, dachte ich in der Stille, sofern sie am Sonntagmorgen von der Stadt herrühren kann, an den freien Raum. Diese Leere kommt mir in diesem Moment genau richtig vor. Es gibt kein Gesicht, keine Stimme, keine Geste und kein Blick, die mit Anlass zu einem Ärgernis wären. Nur die Perspektivänderung ergäbe eine andere Wuschkonstellation.

Während ich an meinem Frühstückstisch saß, dachte ich daran, mein Rasterportrait mit zwölf Jahre alten Tanzzeichnungen zu verbinden und fragte mich gleichzeitig, ob es nicht genügt, die Idee aufzuschreiben, wie so viele, die nur aufgeschrieben geblieben sind.

Zehn kurze sanfte Songs befinden sich auf dem neuen Dylanalbum, allesamt aus der Feder anderer. Sie begleiten den irritierenden Schatten meiner Feder, der lang gezogen nach Nordwesten zeigt. In der direkten Sonne, spiegelt ein kleines usbekisches Teeschälchen, seine goldenen Ornamentzeichnungen auf die graue Tischplatte, als wolle sie mir sagen: „So zeichnet man!“

Wenn niemandes Wort stört, sondern nur die eigene reduzierte Existenz ein Minimum an äußerer Anstrengung verlangt, lässt sich die Bedeutung der Linien und Farbflächen auf den Seiten meiner Bücher deutlicher spüren. Die Notwendigkeit, eine Gerade aus Indigo und Violett dort hinein zu zeichnen und sie zu verwischen, gewinnt an Gewicht.

Schleppender Rhythmus | Nachtasyl

In der Ferne schlagen schwere Eisenräder auf den Schienenstößen, einen schleppenden Blues-Rhythmus. Die hellen, rauen Hörner der rußigen, steifen, altmodischen Eisenkästen von Rangierloks werden von den tiefen Oktaven fauchender Triebwerke unterlegt. Manchmal ziehen sie im Zweiergespann lange Kesselwagenschlangen in die Höchster Industrieanlagen.

Gorkis „Nachtasyl“ gestern im Bockenheimer Depot mit glühenden Schauspielstudenten. Ich erinnere mich an die DDR-Inszenierungen in den schweren Mänteln des Revolutionsterrors.

Direktes Sonnenlicht scheint auf mich an meinem Schreib- und Zeichenplatz. Sie heilt durch die Pflanzenwand meines vertikalen Gartens hindurch.

Am Vormittag machte ich ein Gartenfeuer, fegte Laub zusammen, grenzte Beete mit behauenen Natursteinen ein, sammelte unbrauchbares Holz zusammen, verbrannte es in Erwartung des Frühlings. Das tat ich alles leichten Herzens im Sonnenschein, allein, ruhig und in Frieden. Die Stille, das Licht, die Ungestörtheit, all das war Balsam.

Druckpresse | Mütze | Form

Auf dem waagerecht aufsitzendem Stellrad meiner Lederpresse, die ich vor etwa fünfunddreißig Jahren von Wilfried Wilke, mit dem mich bildnerisch-musikalische Arbeit verband, geschenkt bekommen habe, um damit Radierungen drucken zu können, sitzt eine Filzmütze aus Mussoorie in Nordindien. Deren zylindrische Form weist ein schön gewebtes Schild auf, das etwa ein Drittel ihres Umfangs einnimmt und normalerweise nach vorne zeigt. Die Art, wie man dieses Schild leicht zur Seite gedreht oder mit einer Ecke eingeklappt trägt, hat wohl bestimmte, vom Träger ausgesendete Bedeutungen, die uns aber während unseres Aufenthalts in dieser ehemaligen englischen Hillstation verborgen blieben. Noch vor vielleicht fünf-sechs Jahren habe ich diese Art von Mützen gerne getragen. Jetzt sind sie mir zu auffällig und haben mit mir immer weniger zutun.

Gleich hinter ihr auf dem Tresen, der meine Schreibnische vom restlichen offenen Raum abtrennt, stand ein ovaler Eimer mit Formteilen eines kleinen Torsos, den ich irgendwann in Ton modelliert und in Gips abgegossen hatte. Die einzelnen Segmente habe ich nun getrennt voneinander in Pappmache abgeformt. Es springt heute nach einer Nacht auf der Heizung wie von selbst aus den Formteilen. Nun kann ich die Figur neu zusammensetzen, indem ich die Einzelteile miteinander verklebe. Ein altes/neues Verfahren.

Am Abend haben wir uns ein paar Alte Meister im Städel angeschaut, Rembrandt, niederländische Landschaften und „Wuselbilder“.

Staubige Ecken

Neben meinem kleinen Schreibtisch in der Nische hinter dem Tresen, der sie seit fünfzehn Jahren an dieser Stelle abtrennt, habe ich eine staubige Ecke mit gerahmten Bildern und Mappen voller Zeichnungen ausgeräumt und gereinigt. Die gerahmten Bilder stapelte ich in die oberen Fächer meines Regals, das den Ruhealkoven vom restlichen Raum abtrennt. Es gab ein Wiedersehen mit gerahmten Transparentpapiercollagen, die ich mit Küstenlinien und gewanderten Kulturgütern herstellte. Sie haben einen zarten, vorläufigen Charakter, der an Zeichnungen der Entdecker vergangener Jahrhunderte erinnert. Andere Zeichnungen legte ich in die Grafikschränke, darunter eine Folienrolle mit Tuschezeichnungen für eine Overheadprojektion zu irgendeiner Bühnenveranstaltung. Die alten Mappen stammten noch aus den Achtzigerjahren und aus den Siebzigern, Damals beherbergten sie die Holzschnittreihe zur „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz oder großformatige Bleistiftzeichnungen.

Während des Verfassens der Berichte über das Projekt „Schattenboxen“, erinnere ich die Verquickung der verschiedenen Themenbereiche der Arbeit des vergangenen Jahres.

Auf meinem Dreieckstisch liegen die Formteile einer kleinen Figur, die ich vielleicht vor zehn Jahren modelliert und abgeformt habe. Ich will nun versuchen, die einzelnen Flächen mit Pappmache auszufüllen, mit festen Rändern zu versehen, um die Einzelteile danach zu einem weiteren Exemplar der Figur zusammenzufügen.

Aber erstmal wieder Sachberichte…

Alte Zeichnungen im Raum

Schon wieder füllen die täglichen Collagen auf der Voranzeige des Ordners auf dem Bildschirm die ganze Seite. Aus den kleinen Abbildungen kann ich herauslesen, auf welche Weise sich die Beschäftigung mit den verschiedenen bildnerischen Themen von einem zum anderen Zentrum verlagert.

Am Morgen habe ich aus einer alten Mappe Zeichnungen herausgezogen, die über zehn Jahre alt sind. Ich kann sie gut zwischen die steifen Klarsichtfolien mit Metallklammern klemmen und in den Raum oder an die Wand hängen. So schaffe ich mir Rückblickrefugien, die sich auf meine derzeitige Arbeitssicht auswirken.

Gestern projizierte ich nur mein sechsjähriges Rasterportrait auf die große Malerei, was mir stimmig vorkam. Wenn ich dazu dann nur noch die Elbe bei Eisgang in die Komposition hineinmontiere, müsste das vielleicht genügen, um das Bild zunächst fertig zu stellen. Vielleicht wäre es dann auch an der Zeit, eine neue Leinwand aufzuspannen.

Für den Rest der Woche habe ich mich um die Sachberichte zum Projekt Schattenboxen zu kümmern. Das überraschte mich gestern, muss aber sein.

Blendung

Nachts, wenn ich auf die Uhr schauen will, um zu wissen, wie lange ich noch ausgestreckt oder zusammengerollt auf meiner Bettstatt ruhen kann, muss ich eine kleine Lampe neben meinen Augen anschalten. Ihr blendendes Licht, das mir einen Überblick über den Zeigerstand und den mir verbleibenden Raum gewährt, leuchtet, wenn ich es wieder ausschalte und die Augen schließe, in ihnen weiter. Zunächst bleibt das Licht weiß – ich beobachte seine Schattierungen, die sich aus der erinnerten Blendung verändern weiter. Nach einem Weißgrau kommt dann ein dunkles Gold, dessen Feld wie ein vergehendes Blattgold schmilzt.

In meine Eremitenklause dringen die Nachrichten der Welt. Zumeist handelt es sich um Kriegsberichte. Mich stört die Vernetzung mit dem hintersten Winkel der Welt und meine Abhängigkeit von der Auswahl der berichteten Ereignisse. Vielleicht wird es in naher Zukunft auch so sein, dass die Nachrichten individuell zusammengestellt werden, für jedermanns Vorlieben und Verfasstheiten.

Ich schalte das Netz ganz gerne aus und bin wieder alleine.

Meine Erkältung geht langsam zurück und im gleichen Maß nimmt die Arbeitsbereitschaft zu. Gestern zeichnete ich Paulo auf die Kalimaske und mich sechsjährig auf die Affenmaske.

Luftanhalten

Jetzt in der Nacht denke ich darüber nach, wie ich den Eisgang auf der Elbe und die Rasterportraits auf das große Bild übertragen kann. Komme da noch zu keiner ernstzunehmenden Lösung. Es stellt sich gleichzeitig die Frage, wie notwendig dieser Arbeitsschritt jetzt ist.

Bin sehr zeitig ins Bett gegangen um eine Erkältung wegzuschlafen, was mir übers Wochenende aus in Ansätzen gelungen ist.

Die nächtliche Stille jetzt ist noch sonntäglich vor dem Montagssturm. Gestern war ich zu früh am Bahnhof und hatte, bevor der Zug ankam noch genügend Zeit die Menschen zu beobachten. Zwanghaftigkeit, Anpassung und Stereotypen, viel Stress und Maske. Bin froh, in dieser Zeit nicht jung zu sein.

Viertel nach Acht bin ich gestern ins Bett gegangen und viertel nach Acht aufgestanden. Zwölf Stunden Schlaf mit einer kurzen Tagebuchunterbrechung. Ich habe das Gefühl. Lange unter Wasser zu sein, den Grund eines imaginären Sees zu durchpflügen. Das Luftanhalten fällt schwer.

Heute wieder Masken, langsam schauen, was geht.

Schneekristalle | Gummidichtungen | Kalkutta

Ich habe nichts dagegen, dass die Zeit schnell verfliegt, licht und flüchtig. Der Schreibtisch ist übersät mit Stiften, Tuschen und allem Kram, den ich für meine Tagebücher benötige.

Unter kristallblauem Himmel waren wir vier Stunden unterwegs im winterlichen Taunus. Wenn sich Schneekristalle im Gegenlicht von den Bäumen lösten, wurden sie vom leichten Wind wie Goldregenschleier verweht. Dann blieben wir stehen und schauten.

Der Sonntag ist trübe. Ich holte die Masken aus den Formen, die nun fast wieder wie von selbst herausspringen. Außerdem experimentiere ich mit den Gummidichtungen meiner Espressokannen herum, die einen unangenehmen Geruch verströmen, den sie auch auf den Kaffee übertragen. So vertrödele ich den Tag, genieße das, weil ich auch etwas erkältet bin.

Ich habe noch mal die Fotos von Kalkutta angeschaut und das Stammhaus des Ordens der Mutter Teresa oben in die Collage eingefügt.

Vor der Tür saß ich gerade etwa eine Viertelstunde in der Sonne und aß eine Mandarine. Es war warm, wie auf den Kanaren.

Gartenarbeit

Sonnenaufgang im Atelier, aus dem eine heilende Kraft hervorgehen sollte. Die Flut einer vergänglichen Stimmung. Als Paulo und ich heute am Gärtchen arbeiteten, Erde in die Lücken zwischen den ausgetopften Bäumchen füllten, entwickelte die Sonne schon etwas Wärme, so dass es uns etwas frühlingshaft wurde. Nun kann es auf der Erdschicht auf dem Beton gedeihen und wachsen.

In meinem Erdhaufen, auf dem die Birke, Weiden und Eichen wachsen, hat sich ein Tier eine Höhle gebaut. Wahrscheinlich ist es dasselbe, das in den Nächten zwischen Rolltor und Balkenskulpturen reuselte. Hoffentlich ist es eine nette Spezies.

Während der Bemalung der Kalimaske mit schwarzem Gesicht und roter Zunge erinnerte ich mich an das Stammhaus von Mutter Teresa in Kalkutta, das in der Nähe des großen Kalitempels an den brausenden Verkehr grenzte. Der Altar, der ein paar Stufen über dem Niveau der Umgebung lag, war bestanden mit Säulen, an denen Haarbüschel und Glocken als Opfergaben hingen. Der frisch gewaschene Betonboden roch nach Blut.

Zwischen den anderen Tierportraitvermischungen macht sich das Gesicht mit seinen drei Augen und der raus gestreckten roten Zunge fremd aus. Die Rasterzeichnungen entsprechen eher einer vorläufigen Unsicherheit, sind nicht fertig, zeigen eine Suche. Mir gehen die Schwünge der Protuberanzen in Verbindung mit den Rastern durch den Kopf.

Tiere

Sterne sind an diesem Morgen am Himmel zu sehen, die sich gegen das Licht der Stadt und des fast noch vollen Mondes durchsetzen können. Bin schon vor Fünf auf und mache meine Tagebucharbeit ohne jede Dämmerung. Nur Lampen, Stadt und Gestirne.

Der Impuls, alle bemalten Masken in die Fensterscheiben der Rolltore zu hängen, folgt der Notwendigkeit, die Rastermalerei auf den bewegten abgeformten Modellierungen aus großer Entfernung anzuschauen. Erst so lassen sich die Formen der plastischen Gesichtslandschaften von Tieren, Göttern und Dämonen mit den aufgemalten Rasterportraits visuell zusammen bringen. Aus unterschiedlichen Entfernungen, Blickwinkeln und in verschiedenen Beleuchtungen haben die skulpturalen Formen oder die Malerei jeweils die Oberhand. Im Idealfall verschmelzen sie miteinander. Bei manchen Exemplaren ist es fast durchgehend so und bei anderen nur von einem einzigen Betrachtungsstandort aus. Während des Beobachtens im Herumgehen, finden dämonische Metamorphosen statt. Mein Kindergesicht auf der Honigsammlermaske, wäre vielleicht für die Abschreckung eines von hinten heranschleichenden Tigers nicht besonders geeignet.

Die Zeichnungen im Tagebuch strukturieren sich wieder neu mit Durchlässigkeiten und ausbrechenden „Protuberanzen“. Sie fügen sich zum Biografiethema.

Hinter meinen Balkenskulpturen vor dem Tor hat sich ein Tier eingenistet und reuselt herum. Nachher mit Paolo werde ich mal nachschauen, was das ist. Die Tauben müssen wir auch noch vertreiben, indem wir ihren Aufenthaltsort hoch oben unter dem Dach über der Tür zunageln.

Tigermaske

Unsere vorgestrigen Misserfolge bei der Maskenherstellung haben wir gestern mit der Produktion einiger unversehrter Exemplare wettgemacht.

Auf eine Tigermaske zeichnete ich ein Halbprofil meiner Mutter aus dem Einschulungsfoto von 1961, das ich die ganze Zeit schon für das Biografieprojekt verwende. Die Projektion dieses Rasterportraits setzte ich so auf die bewegte Oberfläche, dass der Projektionswinkel die Wendung des Kopfes aufhob. Die so erreichte Entzerrung weist aber folglich Fehlstellen auf der abgewandten Seite des Gesichtes auf. Beim Vorbeigehen verwandelt sich auf diese Weise das realistische Abbild von Links zum surrealistischen Zerrbild auf der rechten Seite. Wieder entstand eine eher dämonische Darstellung, die meine Erinnerungen an diese Zeit widerspiegelt.

Auf diesem Weg des plastischen Zeichnens lassen sich weitere Möglichkeiten aufspüren. Das will ich aber jetzt nicht systematisch erforschen, sondern eher spielerisch damit umgehen.

Paulo hat nun die Aufgabe, Mangas auf kleine Pappformate zu zeichnen. Davon soll er eine Reihe von vielleicht dreißig Stück herstellen, damit er in eine Produktionsphase kommt, die ihn gleichzeitig inspiriert. Er arbeitet still und geduldig und macht es mir somit nicht schwer.

Dämonische Ziege

Kalte Luft kommt mit einem Nordostwind zwischen die Häuser der Stadt. Das führt außerdem den Flugverkehr der startend lärmenden Maschinen über das Viertel. Aller Voraussicht nach wird das jetzt vier Tage so bleiben.

Mit den „Geschichten aus der Produktion“ von Heiner Müller in der Tasche meiner Wattejacke, fuhr ich gestern mit dem Fahrrad kurz rüber ins Atelier von Franz, traf dort noch einen Bildhauer, der auch mal in Dresden gelebt und gearbeitet hat und bekam noch einen Kaffee. Dann las ich ihm „Herakles 2 oder die Hydra“ vor. Seine neuen Zeichnungen haben teilweise farbgetränkte Papierknäule als Kompositionsanlass oder lenkendes Gewicht in sich. Sehe sie immer gerne.

Ein gerastertes gegenwärtiges Portrait von mir malte ich auf eine der weiß grundierten Ziegenmasken. Den Raum über meinem Haaransatz mit den Ohren und Hörnern schwärzte ich ein. So entstand ein dämonisches Selbstportrait.

Tagsüber hatten wir Misserfolge bei der Herstellung von Masken. Immer wieder funktioniert das Trennmittel im Zusammenspiel mit dem Schelllack nicht so, dass man die Masken einfach aus den Formen heraus bekommt.

Träume | Spaziergänge | Masken

Der Montag war bestimmt von Verabredungen und Gesprächen. Am Ufer des Mains entlang mit dem Fahrrad – zu warm angezogen und die Rückfahrt im Gegenwind aus Westen. Zehn schöne Minuten im Chinesischen Garten des Bethmannparks. Manche der Reliefs wurden im Streiflicht besonders lebendig. Wenige Minuten saß ich in einem sonnigen Pavillon und genoss die Architektur, die Wasserläufe und die Stimmung, die dieser Zusammenklang in mir auslöste.

Diese Nacht schlief ich nur flach. Träume wurden mir gewahr und ich erinnere mich an einen Schleier, den ich anhob, um darunter ein Medusenhaupt zu entdecken. Die Schlangen waren allerdings nicht die Haare, sondern sie bildeten das Gesicht, wie sich abgestimmt bewegende, dicht beieinander stehende Seeanemonen ein Ballett vollführen.

Paulo kommt pünktlich täglich zu seinem Berufspraktikum. Gestern formte er drei Masken aus und schnitt sich mehrere Pappformate. Sein zeichnerisches Talent paart sich mit einer erzählerischen Fähigkeit, und beides möchte ich ihm helfen zusammen zu fügen.

Spaziergang im Rebstockpark. Man muss die Baustellen der U-Bahn und der Wohngebiete im benachbarten neuen Viertel queren, bevor einen der Park umfängt. Sprechen im Gehen, auf die Wasserfläche schauen, Blesshühner, Gänse, Schwäne, weiter Himmel bis zum weißen Taunus.

Franz las „Herakles II oder die Hydra“. Jetzt will ich es ihm vorlesen, ohne so zu tun, als ob ich den Text verstünde.

„Abstrakter Impressionismus“

Montagmorgen. Draußen beginnt es zu dämmern. Das Licht ist banal. Kalte Feuchtigkeit ist vorherrschend. Summendes Geräusch vom Bahndamm. Gestern Abend der letzte Wein für die nächsten Wochen.

Langer Spaziergang am Main. Es gibt im Westhafen ein neues Cafe mit gemütlichen Sitzecken, Sofas, Sesseln und niedrigen Tischen. Nachdem mir die Kälte durch den Wind an meinen Beinen hochgestiegen war und meinen ganzen Körper erfasste, war dies genau der richtige Ort, um sich aufzuwärmen. Es gibt Kuchen von der Chefin selber gebacken und die Bedienung ist freundlich.

Für die nächsten zehn Tage ist nun mehr Kälte angesagt, der ich etwas entgegensetzen muss.

Nach der etwas anstrengenden Präsentation, ruhte die Arbeit am Sonntag. Die täglichen Zeichnungen bekommen derzeit etwas von „abstraktem Impressionismus“. Das ist neu und reizvoll für mich.

Für das Biografievorhaben benötige ich noch etwas, was mir diese fließende Produktion ermöglicht, die mich beispielsweise bei den „Synaptischen Kartierungen“ getragen hat. Über hundert Blätter von feiner Zartheit.

Masken der Biografie

Erinnerst du dich noch an die Bremserhäuschen, die wie Kabinen an manche der Güterwaggons angebaut waren. Es passte nur ein Mensch dort hinein und gleichzeitig waren sie Sehnsuchtsorte der Hoboträumereien, waren Verheißungen der weiten Welt, wie auch die Bahndämme, auf deren Schienen man die Ohren legen konnte. Es gab nur Dampfloks, deren Feuer man manchmal unten herausschlagen sah.

Die Tische im Atelier, auf denen zwei Tage lang die Forschungsergebnisse zum Zwangsarbeitergedenken ausgebreitet waren, sind nun abgeräumt und werden heute noch abgebaut. Ein paar andere Dinge wandern heute noch hinaus. Dann ist Platz für die neue Arbeit am Biografieprojekt „Masken“.

„Der Tod ist die Maske der Revolution.

Die Revolution ist die Maske des Todes.“

Diese zwei sich entsprechenden Sätze von Heiner Müller standen auf einer meiner Neujahrskarten der Achtzigerjahre.

Nach der Bienensammlermaske will ich nun eine Buddhamaske modellieren. Mein gerastertes Portrait auf allen Masken heißt dann: Ich als Tiger, Affe, Buddha, Honigsammler und Ziege. Es werden mir noch weitere einfallen, und alle haben sie mit meiner Biografie zutun.

Luxus

Nun konnte ich die Honigsammlermaske aus der Form lösen. Sie ist wirklich knochenhart und sehr stabil. Gerade fotografierte ich sie um sie in die heutige Collage oben einzufügen.

Die täglichen Zeichnungen werden weicher und bekommen durch den neuen Brushpen neue Strukturen. Auch mit den Grafikprogrammen, mit denen ich die Collagen zusammensetze gehe ich immer wieder anders um.

Den ersten Ansturm auf meine Eremitenhöhle habe ich nun überstanden. Er fand gestern Abend während der Präsentation der Arbeitsergebnisse der Zwangsarbeiterforschungen statt. Heute Nachmittag findet der zweite Termin statt.

Die Sehnsucht nach dem Alleinsein und der damit verbundenen Konzentrationsmöglichkeit prägt sich immer stärker aus. Die Stille ist ein Klang des Glücks. Die Kaffeemaschine ist meine Freundin. Der Körper aus Aluminiumguss ist in der Taille zwischen Kanne und Druckbehälter, in dem das Wasser erhitzt wird, verschraubt. Ich leiste mir den Luxus vernünftiges Kaffeepulver zu kaufen.

Die Erweiterung meines luxuriösen Lebens ist die Zeit, die ich für meine Arbeit habe. Sie kommt zum Glück der Stille hinzu.

Explosion

Im stahlblauen Morgen zuckte östlich in der fortgeschrittenen Dämmerung ein starker Lichtblitz über dem Bahndamm. Wenige Millisekunden versetzt knallte das Detonationsgeräusch laut und trocken an den umstehenden Häusern entlang. Um auf die andere Seite des Bahndammes zu kommen und Sicht auf die Rückfront des Telehauses zu haben, ging ich nach vorne zur Unterführung. Aber die Sicherheitsleute, die diesen riesigen Netzknoten bewachen, schauten zu den Gleisen hinauf und zuckten nur mit den Schultern, als wollten sie gar nicht wissen, was das jetzt war, ob es ihnen galt oder nicht. Große Zerstörungen scheint die Explosion jedenfalls nicht verursacht zu haben, denn wenig später fuhren Züge auf beiden Gleisen aus beiden Richtungen weiter.

Die Form der Bienensammlermaske aus Nordindien habe ich gestern nachgearbeitet. Die verrutschten Einzelstücke der zerfallenen Maske schufen Assymetrien und Fehlstellen im Abguss, die ich so gut es ging ausglich. Dann strich ich sie mit Schellack und Seife ein, und füllte sie danach mit einer dünnen Schicht Pappmache aus. Heute ist die so entstandene Maske noch nicht ganz getrocknet, sodass ich sie erst morgen herausholen und grundieren werde.

Schnell wechselndes Sonnenlicht tritt jetzt durch den Vertikalgarten an den Fenstern. Gestern drehten wir eine über einstündige Runde im Westerwald. Viel fließendes Wasser, Schlamm, Eis und etwas Schnee.

Gegenstände

Den ganzen Tag gestern haben Paulo und ich aufgeräumt und das Atelier so eingerichtet und gereinigt, dass man die Präsentation zum Fremdarbeitergedenken aufbauen kann. Es ist eine Zäsur, und man wird sehen, wie sich das weiterentwickeln wird. Es sind viele Menschen aus der Forschung und der Politik eingeladen, Presse hat sich angesagt. Mitten in meinem Rückzug ist das keine angenehme Situation für mich. Aber auch dieses Wochenende wird vorbei gehen. Danach ist wieder Zeit für die Konzentration auf die eigenen Themen.

Manchmal krame ich in den Schubladen und ordne Dinge langsam neu. Dabei haben alle Gegenstände ihre Herkunftsorte und verweisen auf Geschichten. Zwei Kartons mit Sachen von mir sind noch nicht ausgeräumt, darunter ein Sammelsurium von Steinen, trockenen Pflanzenteilen, Muschelschalen, Figuren und anderen Fundstücken, die ich in meinem Zimmer auf einem langen Brett angehäuft und untergebracht hatte. Ich dachte schon, sie alle wie einen Wandteppich über meinem Schreib- und Zeichenplatz aufzuhängen.

Wenn die Praktika meiner Schüler vorüber sind, werde ich mit ihnen das neue Thema angehen. Das Folgeprojekt, das nun gefördert wird, heißt: „Dinge, die nicht zusammenpassen“. Gut ist, dass wir für diese ganzen Dinge viel Zeit haben, um sich alles natürlich entwickeln zu lassen.

Bin zeitig auf und fahre gleich noch mal durchs Wetter in den Westerwald.

Maskierungen

In die Morgendämmerung hineinschreiben ist wie aufwachen. Es wurde nicht viel Licht versprochen, aber gestern gegen achtzehn Uhr war es noch nicht ganz dunkel.

Am Wochenende findet im Atelier noch einmal die Präsentation der Zwischenergebnisse der Arbeit zum Gedenken an die Zwangsarbeiter im Lager auf der Ackermannwiese statt. Dafür muss der Raum eingerichtet werden.

Mein gerastertes Selbstportrait setzte ich gestern mit Tusche auf eine weiß grundierte Affenmaske. Ich denke daran eine graue Grundierung und daran, eine andere Rasterfarbe als Schwarz auszuprobieren.

In Nordindien haben wir eine Maske gekauft, die die Honigsammler an ihren Hinterköpfen tragen, damit sie nicht von Tigern hinterrücks angefallen werden. Dieses zarte Plastikgebilde hat sich nun so langsam aufgelöst, weil das Material brüchig geworden ist. Gestern versuchte ich, die Einzelteile so zusammenzufügen, dass sie mit Gips abgegossen werden können. So entstand eine weitere Maskenform, die nun genutzt werden kann.

Am Abend habe ich die alte Videokamera ausgepackt und in Gang gesetzt. Dann sah ich einen Film, den wir im Jahr 2002 in Kanada gedreht hatten. Die Rocky Mountains, Lachse in den Flüssen und Seen, der Pazifik.

Zeichnung und Dokument

Während einer zweieinhalbstündigen Autofahrt in den Westerwald und zurück, schneite es heftig und in den Niederungen ging der Schnee in Regen über. So haben wir das Auto jetzt vollständig gewaschen.

Der Morgen ist hell und Paulo tritt heute sein dreiwöchiges Praktikum bei mir an. Ich habe ihm ein Notizbuch herausgesucht, in das er nun täglich Eintragungen und Zeichnungen machen soll. So kann er sich in seiner Arbeitsweise ein wenig mir angleichen.

Am Nachmittag stellte ich ein aktuelles Rasterportrait von mir her. Mit dem Episkop projizierte ich es auf eine der weiß grundierten Affenmasken. Vielleicht habe ich heute Zeit, es fertig zu stellen.

Das autobiografische Projekt entwickelt sich zu einer umfassenden Arbeit. Die Tagebücher seit 1977 werden mir gute Dienste dabei leisten. Vielleicht kann ich auch das künstlerische Material aus diesem Bereich, also insbesondere Zeichnungen mit zum Erinnern verwenden.

Gestern ein Gespräch über die Präsentation der Zwangsarbeiterforschung und der künstlerischen Arbeit dazu. Die Verbindung zwischen dokumentarischem und zeichnerischem Material ähnelt an diesem Punkt dem Biografieprojekt.

Schwer zu erkennen

Eine der Schülerinnen meines Freitagskurses, hatte die Idee, etwas anderes als Ihr Portrait auf eine der Masken zu projizieren und zu malen. Wir kamen auf eine Birne aus der Obstschale, die wir fotografierten und mit Photoshop grob rasterten. Weil die Frucht schon im Ausdruck auf Papier schwer zu erkennen war, und in der Projektion überhaupt nicht mehr, ließen wir von dem Vorhaben ab, fotografierten ihr Gesicht und verfuhren, wie mit den anderen Masken.

Mir ist dieser Vorgang auch wegen meiner eigenen Arbeit mit den Erinnerungsbildern wichtig. Meinen gestrigen Impuls, den Eisgang auf eine Affenmaske zu malen, setzte ich nicht um, weil ich nicht glaube, dass sich diese Landschaft erkennbar auf der Maske abbilden lässt. Möglich wäre es allerdings das in einem größeren Bildzusammenhang zu machen, in einer Installation in der das Motiv noch mal zweidimensional erscheint. Dann lässt sich der Zusammenhang besser erkennen.

Das große Bild „Eisgang“ fand ich beim Stöbern in alten Unterlagen innerhalb einer Dokumentation des Bilderzyklus „Vier Jahreszeiten“ als selbst entwickelte Schwarzweißfotografie. Die Malerei ist spielerischer und vielgestaltiger als das Landschaftsfoto. Das Herbstmotiv in der vierteiligen Reihe war ein kahles Gesträuch, das ich oft blattlos an der Strecke der Waldbahn zwischen Waltershausen und Gotha gezeichnet hatte. Dort versuchte ich meinen eigenen Zeichenstil zu entwickeln, was mir in gewisser Weise auch gelang. Jedenfalls begleitete mich das Gesträuch durch mein ganzes Arbeitsleben.

Feindsender

Gefrorene Pfützen, schon hell um Acht. Radio aus – Überfall der Stille.

Erinnerung an das Abhören von Feindsendern an der Gulaschkanone eines Lagers an der Westgrenze der Deutschen Demokratischen Republik. Man hat mich nicht so weit an die „Demarkationslinie“ mit Mienenfeldern, Hunden und Selbstschussanlagen heran gelassen. Die „Genossen“ genannten Mitglieder meiner Kompanie bauten den Signalzaun `76. Weiter hinten kümmerte ich mich um die Verpflegung. Da gab es in einem der Zelte ein Transistorradio, das während es sich aufheizte, einen fremdartigen Plastikgeruch ausströmte. Verräterisch war der Signalton der Verkehrsnachrichten des Senders Bayern 3. Den durfte kein Vorgesetzter hören. Die Strafen für das Abhören von Feindsendern wurden willkürlich festgelegt.

Das Biografieprojekt kommt in Gang, ein neuer Prozess. Die Projektion von dokumentarischem Material auf Masken, hat noch eine ganze Menge von Kombinations- und Deutungsmöglichkeiten parat. Das verbindet sich auch mit der Art der Aufarbeitung der Zwangsarbeitergeschichte.

Beim Herumsuchen in älterem Material, fielen mir die Übermalungen namibischer Videostills in die Hände. Sie stammen aus dem Jahr 2000. Die ganze Zeit denke ich daran, auch die Rasterfotomotive mit anderen Zeichnungen zu überarbeiten.

Macht nichts

Die Ziegenmaske, die ich vor ein paar Jahren modelliert hatte, abformte und gelegentlich vervielfältigte, versah ich nun mit dem Portrait des Schulanfängers Frank Reinecke. Die Struktur verschmilzt mit der Skulptur. Das wird deutlich, wenn ich sie ins Fenster hänge und aus sehr großer Entfernung von draußen aus betrachte.

Meine Schüler arbeiten mit ihren eigenen Portraits am selben Thema, auch wenn sie da manchmal an Grenzen der Geduld und Handwerklichkeit stoßen. Es ist nicht so einfach, die Projektion so auszurichten, dass sie mit den plastischen Werten der Maske harmoniert. Und es braucht Ausdauer, dann die Projektion mit dem Bleistift und später mit Tusche zu übertragen. Teilweise gab es auch Hemmungen, sich mit einem Tierkopf zu verbinden.

Am Abend, seit langem, wieder im Theater. Ich merkte, wie sehr ich es in der ganzen Zeit vermisst hatte. Wir sahen „Macht nichts“ von Elfriede Jelinek. Die junge Regisseurin Johanna Wehner nahm den Text mit ihrem Team als Gebrauchsstück. Dem absurden Inhalt, der vier Figuren nach ihrem Tode auf der Suche zeigt, haben sie mit viel Humor eine Wahrheit geschenkt. Das geschieht etwas holzschnitt- und slapstickartig. Aber – macht nichts -, wir amüsierten uns.

Die Tagebücher des ersten Halbjahres 2014 lege ich mir auf mein rundes Tischchen und beginne darin zu lesen. Es gibt poetische Passagen, die sich mit den leichten Zeichnungen verbinden. Und immer hatte ich mir zu viel vorgenommen, sehr viel.

Radiogeräusche | Masken

Aus dem Radio treten Papstreisen, Demonstrationen und Gegendemonstrationen, interstellare Konstellationen und Geldpolitik, Kriege und Friedensverhandlungen, Terroranschläge und Wahlen in meine Eremitenhöhle. Ansonsten rauschen nur die Lüfter der Computer, die S-Bahnen und die Flugzeuge in meine singenden Ohren.

Das Leben auf dem Gelände hat noch nicht begonnen. Keine Dämmerung. Dafür bin ich zu früh auf.

Die Maske meines Vaters hängt über dem Grafikschrank, meinem Gesellenstück. Ich werde sie austauschen, werde sie wieder ins Fenster hängen, damit man aus großer Entfernung das Portrait erkennt.

Die Sequenz „Ufer mit Eisgang“, an der ich gestern weiterarbeitete, ist eine lichte und lockere Angelegenheit. Sie verdeutlicht den musikalischen Rhythmus einer Fuge.

Vinzenz stellt alte Fotos von mir in seine Bildersammlung im Netz. Vielleicht kann ich auch die nutzen.

Keine Sonne gestern, Ostwind und übers Atelier startende Flugzeuge. Die Hindemithschüler kommen heute, und Paulo macht ab Montag ein Berufspraktikum bei mir. Wir werden uns weiter mit den Masken beschäftigen.

Keine rohe Kälte

Noch vor Sieben stecke ich meine Nase vor die Tür. Die östliche, rohe Kälte schlägt trotz des Windes, der aus dieser Richtung kommt, noch nicht durch. Weit entfernt vom Eisgang. Aber mein Körper erinnert sich an die östliche Verrohung und an die niedrigen Temperaturen.

Die Formen der Rasterstruktur sind aus der Nähe zuweilen ganz sanft und erinnern manchmal an die Schwünge der Skulpturen von Hans Arp. Im Falle von „Ufer mit Eisgang“ verfestigen sich die Linien erst aus großer Entfernung zur splitternden Härte der treibenden Schollen. Es sind die horizontalen Kontraste, die das Motiv aus weitem Abstand kenntlich werden lassen.

Umrisslinien des Eisgangsmotives begann ich gestern auf Rolle 6 zu übertragen, übereinander zu rollen, um eine neue Sequenz zu beginnen.

In meinem Kopf verbinden sich die Portraits mit diesem Motiv. Vielleicht kann ich diese Verbindung für das große Bild weiterentwickeln. Es ist möglich, dass ich den Dingen damit auf den Grund gehen kann.

Gestern trank ich einen Bordeaux aus dem Jahr 1996. Im Januar dieses Jahres waren wir in München wegen einer Prüfung. Im damaligen Tagebuch zitiere ich Tabori: „Nur aus Mangel entsteht Schönheit“. Die Lektüremacht mich neugierig auf mehr.

Rasterpunkte

Am Morgen schon ein Gespräch in der Stadt, in der Nähe des Bethmannparks. Weil ich noch etwas Zeit hatte, ging ich dort spazieren. Mitten im Getöse ein Platz der für die Meditation geschaffen zu sein scheint.

Ich lasse die Handschuhe bei den Straßenbahnfahrten an, fürchte mich vor den Bakterienkulturen an den Haltegriffen und Aussteigeknöpfen. Dicke Menschen fallen neben mir in den Sitz und bedrängen mich. Bin das nicht gewöhnt.

Das Rasterportrait meines Vaters zeichnete ich auf eine Maske. Die Plastizität des Tierkopfes verfremdet die Dokumentarstruktur. Je mehr Licht auf die Form fällt, umso undeutlicher wird das Portrait, weil dann die Schatten überhand nehmen. Im Fenster hängend tritt das eher auf als im Atelier. Weitere Masken formte ich aus, überlegte neue, neutralere zu modellieren und verwarf es wieder.

Außerdem projizierte ich am Abend die Rasterpunkte auf meine große Malerei. Dabei beginnen sich Möglichkeiten der Einbindung zu ergeben, die auf Lasuren hinauslaufen.

Wolken ziehen hell nach Westen. Manchmal schimmert etwas Sonnenlicht. Startende Flugzeuge lärmen ab fünf Uhr morgens.

Wer ist es?

Auf der Wiese liegt der Schnee, der aus den Nachtwolken fiel. Meinen Spuren darin traue ich nicht über den Weg. Es sind nicht mehr die meinen. Jetzt lockert die Bewölkung auf.

Keine Erinnerungsbilder gestern, keine Rasterzeichnungen. Weiß nicht was sich da mit den Fotografien zusammen erinnert. Bin ich das?

Ich traue meinen abstrakten Zeichnungen, die nichts wollen als entstehen, die nicht erklärt werden wollen. Sie sind einfach und fächern Farben auf und pendeln zwischen Linienstrukturen und deren Verwischungen. Mehr muss nicht sein. Mir fällt es zunehmend schwer, mit Menschen umzugehen, die das nicht verstehen.

Auf dem Nachbargrundstück, dessen intakte Häuser zugunsten von verdichteter Wohnbebauung abgerissen werden sollen, wird ein Brunnen gebohrt. Sicher werden auch dort, wie auf unserem Gelände, Grundwasserproben genommen, um dessen Verseuchung zu untersuchen. So etwas kann die Arbeiten verzögern.

Lichtphantasien

Krishnababys Bronze bekommt langsam blanke Stellen, weil ich ihn öfters in der Hand halte.

Der Lichtkegel der Architektenlampe brennt ein Loch in die Dunkelheit über dem Schreibtisch. Alle Gegenstände rund herum bleiben von meinem Blick unberührt. Ich warte auf die Dämmerung, bin sehr interessiert am aufkommenden Licht.

Gestern fuhr ich während einer Heimfahrt durch die Stadt im dichten Nebel. Leuchtbuchstaben schwammen am Grund eines Milchsees. Wie in einem U-Boot tastete ich mich an den Straßen entlang. Auf Teves blieb ich allein in meinem Leuchtkastenaquarium.

Die Augen brennen nach innen, weit in den Körper, als wollten sie seine Dunkelheit auflösen über Glasfaserkabel, deren Bündel an manchen Stellen nach außen treten. Wenn ich den Mund öffne blendet es aus meinem Schlund – Fieber.

Aus den letzten Monaten resultiert eine Grundmüdigkeit. Deswegen wahrscheinlich dauernd diese Lichtphantasien.

Enge

Orgelläufe, ein Tenor, Raureif, Nebel, Sonntag. Erst als es schon hell war erwachte ich. Heller wird heut nicht mehr tönt die Silbermannorgel mit den grummelnden Bässen. Sie wird nicht Recht behalten.

Das Atelier wächst an mich heran. Ich messe seinen Raum aus, den ich nun für mich zurück gewonnen habe. Ohne ein Herumräumen, nur durch das Denken, das Arbeiten, durch Konzentration und deren Kontinuität.

Im Heidelberger Stadttheater hatten wir es manchmal mit dem Künstlerneid der Nachbarn zutun, die argwöhnisch beobachteten, ob wir auch genug arbeiteten. Deren Nützlichkeitsmoral, ihre eigene Enge und Unfreiheit stemmten sich gegen die kreative Stimmung und gegen die Lust an der Kunst, die wir dort ausstellen konnten. Dieses gesellschaftliche Phänomen gibt es schon lange und besonders in Deutschland.

Die Wolken lockern auf. Viel indirektes Licht dringt durch meinen vertikalen Garten. Ein Hibiskus, den ich in einem hoffnungslosen Zustand in Pflege genommen habe, beginnt wieder zu treiben.

Bin nachher einerseits verabredet zum Spazieren am Main und andererseits am Abend zur Pizza hier in der Nähe. Alles nett und irgendwie neu…

Meuterei

Kurz vor dem Abitur sind vier Jungs meines Jahrgangs zum Direktor der Berufsschule, wir machten Beruf mit Abitur, einbestellt worden, um in einem Gespräch die Festigkeit ihres Klassenstandpunktes herauszubekommen. „Klassenstandpunkt“ – dieser Begriff ging mir am Morgen durch den Kopf. Wir hätten denen sonst was erzählen können. Taten wir aber nicht, was unsere Zukunftschancen schmälerte.

Während einer vormilitärischen Ausbildung, die im Lehrplan mit inbegriffen war und von der so genannten Gesellschaft für Sport und Technik, einer paramilitärischen Organisation, veranstaltet wurde, gab es eine Befehlsverweigerung und eine anschließende Meuterei. Anlass war irgendeine Ungerechtigkeit, die einem Mitschüler angetan wurde. Eigentlich aber ging es um mehr. In der Tschechoslowakei und vor allem in Polen gab es offenen Widerstand gegen das System der alten Männer. Uns ging es um Meinungs- und Reisefreiheit. Das artikulierten wir dann auch. In einem Marsch wurden wir vom GST-Lager in die Berufsschule des Gummikombinates überführt und dort eingeschlossen. Dort haben uns die „Sicherheitsorgane“ einzeln verhört. Wir sollten zur Unterschrift unter ein Dokument gezwungen werden, das unsere Revolte zurücknahm oder relativierte. Ich war einer von vier Leuten, der die Unterschrift verweigerte und erinnere mich an einen Altstalinisten, der uns während der Diskussion um Reisefreiheit frech ins Gesicht sagte, dass er die Pflicht hätte, uns vor den Gefahren, die im Westen auf uns lauerten, zu bewahren.

Gestern zeichnete ich die gerasterte Landschaft „Ufer mit Eisgang“ auf Rolle 6, und auch mit den Hindemithkindern rasterte ich ihre eigenen Portraits. Die wollen wir dann auf die Masken projizieren und malen.

Hyperrealismus

Wir besuchten gestern die Ausstellung „Die große Illusion“, die noch bis zum ersten März im Liebieghaus zu sehen ist. Einmal mehr haben mich die hyperrealistischen Bestrebungen sowohl der Gegenwart, als auch die von der Antike bis ins neunzehnte Jahrhundert seltsam berührt. Auf peinliche Weise fühle ich mich überinfomiert. So genau wollte ich es gar nicht wissen…

Schon die Kleiderpuppen mit Echthaar, die in italienischen und spanischen Kirchen zu sehen sind, wehen mich als Heiligenfiguren fremd an. Ihre Wirkung auf die Gläubigen, die noch keine Fotografie kannten, war sicher verheerend, was ihren kritischen Geist anging. Volksfrömmigkeit in der Puppenstube.

Morgenspaziergang unter verwischten und künstlich beleuchteten Wolken. Auch meine Bewegung verwischt ihren zeitlichen Ablauf. Das führt mich wieder zu dem, was ich mir für heute vorgenommen habe. Vielleicht kann ich mit der Landschaft mal eine Farbrasterung ausprobieren. Die sollte dann aber vielleicht projiziert und auf eine grundierte Fläche gemalt werden.

Die Elbe bei Eisgang malte ich schon mal vor über dreißig Jahren. Das große Bild war Teil eines Vierjahreszeitenzyklus. Der hängt jetzt in irgendeinem öffentlichen Gebäude.

Gerasterte Erinnerung

Milchiges Licht und Nieselregen. Beim Lesen von Franz Konters Textkanonaden kommt mir der Strand von Salvador da Bahia vor Augen, in meinen Kopf oder mir in den Sinn. Vor einem tropischen Regenschauer flüchteten alle Menschen unter das einzige Zeltdach weit und breit. Es waren so viele Körper eng beieinander, dass ich auf die Idee kam, mit der Videokamera einen Schwenk zu machen. Niemand nahm mir das übel – im Gegenteil.

Die Bänder all dieser Reisen müsste ich noch mal sichten, um weiteres Erinnerungsmaterial auszuwählen.

Es gab eine große Malerei zu Medea – Packpapier auf Nessel -, die ich während eines Vortrages vor Studenten mit meinen Fußspuren grundierte. Es entstehen Erinnerungen von überwucherten Ruinen aus Beton, in denen Verwesung stank und Blüten leuchteten. Kurz nach einem tropischen Guss färbten sich die Wellen der Bucht schwarz von Kolibakterien aus den Abwässern der Favelas. Über den öligen Schaumkronen tanzten die schönen Surfer.

Gestern zeichnete ich das Rasterportrait meiner Mutter. Dafür benutzte ich erstmals einen neuen Tuschepinsel, in den man wie in einen Füller mit Tusche ziehen kann. So ist es möglich, ansatzlos und fließend zu malen, ohne den Pinsel in ein Tuscheglas eintauchen zu müssen. Eine zweite Variante dieses Portraits werde ich heute anfertigen, um mich dann in andere gerasterte Erinnerungen zu begeben.

Ornament | Text | Selbstportrait

Krishnababy besitzt auf seinen bronzenen Fußsohlen, mit Modellierhölzern rasch hingeworfene Ornamente. Auch die linke Hand, mit der sich das krabbelnde Kind aufstützt, weist diese stilisierte Hennamalerei auf. Es handelt sich dabei um vier Kreisbogensegmente, von denen jedes etwa 30° misst. Regelmäßig angeordnet umschreiben sie die vollständige Kreisfigur. Im inneren dieses fragmentierten Kreises befinden sich acht solcher Bögen, die entgegengesetzt ausgerichtet sind und eher voneinander wegstreben und eine Explosion oder eine Ausdehnung abbilden. Ganz in der Mitte befindet sich ein winziger Kreis oder ein Punkt. Dieses Bild ist nun vielfältig interpretierbar. Mit meinem kulturellen Hintergrund sehe ich darin am ehesten einen Zusammenhang von Innen und Außen, von Seele und dem sich ausdehnenden Universum.

Besuch gestern bei Franz. Wir redeten kurz über die Zusammenhänge von Zeichnung und Literatur. Seine Notizbücher mit den Zeichnungen gefallen mir sehr gut. Außerdem ging es um die Geruchserinnerungen, die mit der Zuckertüte der Einschulung zutun haben. Ich schickte ihm den Heraklestext von Heiner Müller.

Auf Rolle 6 zeichnete ich die zweite Variante meines Selbstportraits im Alter von sechs Jahren und fügte einen Teil davon in die heutige Collage ein. Dort verbindet es sich mit den Schlingen und Verwischungen der letzten drei Tage.

1961

Ein halber Mond, Wolkenfetzen schnell und beleuchtet nach Osten wehend, darüber das dunkle Gefäß des Sternenhimmels. Noch keine Dämmerung. Leise und hell ziehen die Stadtbahnen auf dem Horizont des Bahndamms vorüber. Die Güterzüge hingegen lärmen hämmernd, polternd und ratternd. An einem unweiten Signal kommen sie manchmal zum Stehen. Das ist ein langer, quietschender Vorgang. Graffitis und Firmenlogos auf Holzwaggons, Kesselwagen und Containern. Ein Wunder, dass der Damm hält.

Gestern zeichnete ich mein Rasterportrait aus dem Jahr des Mauerbaus Neunzehnhunderteinundsechzig. Kurz zuvor war ich noch in den Ferien bei meiner Großmutter in Westberlin zu Besuch. Dort infizierte mich etwas, das mich nie wieder losließ, ein Fernweh. Die Flieger die damals dicht über Neukölln donnerten um in Tempelhof zu landen, hatten blitzende dicke, von Propellern begleitete Bäuche. Ich sah sie nur kurz über den Straßenschluchten der Altenbracker, und der Schierker. Die Bilder, die sich damals einprägten, sind mir noch sehr gegenwärtig.

Während des Zeichnens hatte ich die Schulbänke der ersten Klasse vor Augen, schwere Tischlerarbeit. Bank und Tisch in einem Stück mit zwei Vertiefungen für Tinte, einem Fach unter der Tischplatte, verdreckt von Staub und Schulbroten. Die Namen der Mitschüler, alle waren wir Jungpioniere, sind heute noch in den Branchenverzeichnissen der Gegend zu finden. Ich erinnere mich nicht an den Dialekt, der gesprochen wurde. Den kenne ich nur von späteren Reisen.

Nähzeug | Sturm | Selbstportrait

Langer Spaziergang gestern über die Baustellen des neu entstehenden Stadtteiles. Sonntäglich leblose Geschäfte, wenige Menschen, viel Wind.

Von der karierten Manschette eines meiner Winterhemden riss mir ein Knopf ab. Den hob ihn gleich auf, steckte ihn in die Brusttasche und nahm mir mein Nähzeug. Es befindet sich in einer kleinen dunkelroten Metallschachtel, die sich wiederum in einer Schublade befindet, die zum Schreibtisch gehört, der in der hinteren Nische des Ateliers steht. Die zwei Zwirnsterne, die Nadel, Sicherheitsnadel und die Knöpfe stammen vom Ganpati Guesthouse, in dem wir direkt neben dem Hauptghat in Varanasi wohnten. Kürzlich druckte ich ein Foto von dort aus und eine Visitenkarte dieses Hotels liegt hier auch noch irgendwo herum.

Das Grundgeräusch dieses Montagmorgens, zwischen den sehsüchtigen Sirenen der Rangierloks und dem Flughafendonner, rührt von dem Sturm her, der in den kahlen Baumkronen faucht. Manchmal neigt sich die große Pappel auf dem westlichen Nachbargrundstück so bedrohlich, dass ich glaube, dass sie das nicht mehr lange, ohne zu stürzen, aushalten wird. Wenn uns dieses Material auf das Gelände fällt, wird es wieder viel Bildhauerarbeit geben.

Heute aber geht es um leichteres Material. Ich werde mein Portrait mit Tusche und Feder auf das Transparentpapier der Rolle 6 übertragen. Zunächst will ich eine freiere Variante ausprobieren, um dann, wie beim vorigen, zu einer strengeren zu kommen.

Widerwillen

Widerwillen – die Fünf im Datum gefällt mir heute nicht.

Ich schiebe die Arbeit am Tagebuch vor mir her, gehe raus in den starken Wind, um mich zu erfrischen und den schnellen Wolken nachzuschauen. Fernweh weht mich an.

Am Schreibtisch ist es mir zu warm – ich habe die falschen Klamotten an. Gestern fünfzehn Grad plus – draußen!

Welchen Erkenntnisgewinn hat das Durchzeichnen der Rasterportraits? Gestern bearbeitete ich mein sechsjähriges Gesicht – leicht geschlossene Lider, etwas schräge Kopfhaltung, Blick nach unten auf die Schuhspitzen, leicht verklärtes Lächeln vor einer dunklen Wand der Gewalt. Vor mir stand das, was ich später hassen sollte – die Schule. Dort gingen Freiheit, Spiel und Glück verloren. Ich erinnere den Gestank von Bohnerwachs und Ausdünstungen, spüre die Stumpfheit der Tafeln und der Kreide.

Das gerasterte Portrait stellte ich in der Collage mit dem meines Vaters zusammen. Dazwischen verwischte Wasserfarben.

Sonntag, das Licht flutet meinen Raum, es zieht mich wieder nach draußen zum Gehen im Wind und in der Sonne. Vielleicht arbeite ich heute mal nicht mehr und hebe mir mein Portrait für morgen auf.

Rasterportraits | Kalschnikow

Gestern zeichnete ich das zweite Rasterportrait fertig auf Rolle 6. Es wurde weniger spielerisch. Ob seine Strenge besser passt, wird man sehen. Immerhin benötigte ich zwei halbe Tage dafür. Als nächstes Möchte ich mich mit meinem Gesicht als Sechsjähriger beschäftigen.

Während der Arbeit hörte ich die Aktualisierungen der Nachrichten zu den Anschlägen in Paris, erinnerte mich an meine Grenzausbildung – Kalaschnikow auseinanderbauen und zusammenbauen auf Zeit, Schießausbildung und an den Bau des Signalzauns an der Grenze. Ich habe mich vom Schießen auf Flüchtige ferngehalten, wurde zum Bau nach Berlin abkommandiert, hatte überhaupt eine Abneigung gegen Waffen. Die Ideologie, die zur Durchsetzung ihrer Ziele tendenziell alle Mittel zur Anwendung brachte, war mit fremd. Das entsprang einer Flower-Power-Tendenz und einer latenten pazifistischen Religiosität.

Ich versuche mir den Attentäter, der in Paris die zwanzigjährige Polizeipraktikantin in den Rücken geschossen und umgebracht hat, als liebenden Familienvater vorzustellen. Mit der Macht seiner Waffe fühlte er sich im Recht.

Im grafischen Kabinett des Städelmuseums sahen wir gestern die Zeichnungen von Raffael und einem Kreis um ihn. Manche der Werke, in denen es eigentlich nur um die Suche nach Lösungen geht, haben eine sehr moderne Ausstrahlung. Mit kreisenden Bewegungen der Feder, gelingen wilde Kompositionen mit schnell hingeworfenen Figuren.

Fahrig

Mit einem weiteren Rasterportrait versuchte ich gestern das autobiografische Vorhaben auf Rolle 6 voranzubringen.

Jetzt am Morgen schiebe ich die Arbeit vor mir her, gehe nach draußen um Vogelfutter aufzuhängen, bin unruhig, trinke Leitungswasser und laufe in Atelier herum. Schon gestern diese Unruhe im Körper, der fahrige Umgang mit dem Zeichenmaterial.

In der Schirn sahen wir Rasterbilder von Sigmar Polke. Sie bestätigen mich darin, auch Landschaften gerastert zu zeichnen. Ansonsten ließen mich viele Arbeiten kalt. Die meiste Intensität geht von den Bildern aus, die von Richter, Vostell und Polke gemalt worden sind. Es gibt beim anlegen des Maßstabs, der die Intensität misst, große Qualitätsunterschiede.

Als wir danach noch einen Wein trinken gingen, trafen wir Franz mit seiner Frau in einer netten Gesprächsrunde. Ich will ihn im Atelier besuchen.

Gestern dachte ich zwischendurch an eine serielle Arbeit mit Masken, die mit Rasterportraitmalereien versehen sind. Falls die Schüler der Hindemithschule ihr Berufspraktikum bei mir machen können, wäre das ein Projekt, das wir gemeinsam verwirklichen sollten.

Rasterwerkzeug

Das Portrait meines Vaters misst auf der winzigen Einschulungsfotografie lediglich fünf mal fünf Millimeter. Diese fünfundzwanzig Quadratmillimeter scannte ich noch mal sehr hochauflösend ein. Mit Photoshop erarbeitete ich dann zwölf Varianten. Mit Weichzeichner, Rasterwerkzeug und anderen Effekten rückte ich der Abbildung zuleibe. Nach dem Ausdruck einer Variante, konnte sie dann auf Rolle 6 übertragen werden.

Das Thema ist die Selbstgewissheit stalinistischer Prägung, die zu einem Machtgefühl anschwillt. Das Parteiabzeichen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands leuchtet mit dem stilisierten Händedruck, der den Zusammenschluss von Kommunistischer und Sozialdemokratischer Partei besiegelte, am Revers. Dieses Zeichen war auch eines der Zugehörigkeit zur Macht, denn „die Partei, die Partei hat immer, immer recht“.

In der katholischen Welt des Eichsfeldes, wo der Jugendwerkhof „Kloster Gerode“ lag, müssen diese sozialistischen Kommunisten Fremdkörper gewesen sein. Während des Durchzeichnens erinnerte ich, wie sich das für einen sechsjährigen Jungen angefühlt hat. Meine Frage damals war: „Was ist, wenn die anderen doch recht haben?“

Nun werden die Experimente mit den Rasterabbildungen fortgeführt. Zunächst weitere Portraits, dann aber auch Landschaften, Räume und Gegenstände.

In den Tag hinein

Mit den Frühaufstehern radelte ich zur Praxis meiner Hausärztin in der Mainzer Landstraße. Dort bekomme ich Spritzen. Die Augen tränten im kalten Wind. Die Ohren waren aufgesperrt für das kreischende Gebrüll der Busse, Kehrmaschinen, Mülllaster, Baufahrzeuge.

Zurück im Atelier fällt als erstes die Stille auf. Am Fenster nehme ich ein Glas städtisches Trinkwasser zu mir. Weit hinten über dem Horizont im Blaugrau des Wolkenmorgens schwimmen zwei orangefarbene Wasserflecken.

Ich denke, dass ich in den Tag hinein lebe. Mal sehn, was heute kommt. Portraits rastern vielleicht. Das ist nicht banal, auch wenn es sich so anhört. Dennoch scheint es mir nicht zwingend zu sein. Aber was wäre derzeit so wichtig, dass es sich nicht auf die lange Bank schieben ließe. Wie lang ist die?

Die Vorteile des Alleinseins legen sich mir auf die Hand. Auch wenn es schön ist gemeinsam zu Abend zu essen, wie gestern.

Die Zuckertütensequenz habe ich nun endlich fertig gezeichnet. Neben die bedrohlichen Verdichtungen setzte ich noch mal das Rastermotiv pur und linear ein, damit der Bezug klar wird. Durch diese Erklärung entsteht eine Deutlichkeit, die das Dokumentarische benötigt.

Kreuzzug und Zuckertüte

Erst gegen Neun sitze ich am Schreibtisch, schlief tief und lange und gönnte mir eine ausführliche Aufwachphase. Dann gehen die Träume in den Zustand über, wo ich sie willentlich gestalten kann. In der Beeinflussung dieser Szenen ist die Verwandtschaft zur künstlerischen Arbeit bemerkbar. Ein rauschähnlicher Zustand in dem sich verschiedenste Ebenen miteinander verbinden, überlagern und verdichten lassen. Bei den Transparentpapiersequenzen kommt hinzu, dass neue Bilder aus dem wiederholt übereinander gezeichneten Material eine neue Wirklichkeit schaffen.

Eine weitere Wendung auf Rolle 6 erzeugte eine zusätzliche Schicht auf der Rückseite der vorangegangenen Zeichnung. Dadurch, dass ich die Rolle von beiden Seiten bearbeite, scheint die Tusche einerseits in einem dunklen Grau durch das Papier, andererseits sind die verdickten Tuschelinien wie schwarze Höhenlinien auf einer Karte und werfen sich auch zu leicht reliefartigen Gestaltungen auf. Dazu kommt die Bewegung des Papiers unter der Feuchtigkeit. Aus den tieferen Schichten der Rolle scheinen noch Linien aus der Kreuzzugssequenz hervor. Sie zeichne ich nun auch noch mit dazu. Durch ihren ganz anderen Charakter liefern sie einen weiteren unabhängigen Rhythmus und verbinden die Figuren teilweise mit dünnen geraden Linien.

Telefonisch bin ich zu einem Klassentreffen eingeladen worden, das in Waltershausen in Thüringen stattfinden wird. Darauf bin ich sehr gespannt. Vielleicht können von dort aus ein paar Bilder aus der Schulzeit mit in meine Arbeit mit eingefügt werden können.

Elbe bei Eisgang

Der große Spiegel ist an diesem Morgen eine Lichtquelle. Zeichnen und schreiben kann ich in einer hellen Flut, die nun von der Sonne, die über den Dunstwolken der Kraftwerke steht ausgesandt wird und durch meinen vertikalen Wald dringt.

Die letzten Tage arbeitete ich langsam und gründlich an der aktuellen Sequenz auf Rolle 6. Ein Stück davon habe ich in die Überlagerungen der heutigen Collage eingebaut. Begleitet werden die Verdichtungen von einem inneren Versenkungs- und Konzentrationsprozess, den sie gleichzeitig protokollieren. Das kommt einer Spiralbewegung nahe. Sie will ich in den Arbeitsraum ausweiten.

Gestern waren wir in der Schirn und sahen die finnische Portraitkünstlerin Schjerfbeck. Ich bin eigentlich nur mitgegangen, hatte die Ausstellung schon einmal gesehen und erfreute mich erneut an der noblen zurückhaltenden Farbigkeit, die besonders in den Selbstportraits vorherrscht.

Immer mal schaue ich von der Seite auf das große Bild, das ich wieder in Angriff nehmen will. Vielleicht gibt es noch mehr Dokumentarmaterial, das ich dort gerastert einbauen kann. Nur die Gesichter auf dem Einschulungsfoto sind etwas zu wenig. Es gibt da noch die Elbe bei Eisgang, was allerdings in diesem Zusammenhang etwas zu abstrakt wäre. Ich muss einfach ein paar Versuche starten.

Zeichnungen | Beleuchtungen | Erinnerungen

Über einem vereisten Boden, der Schneematsch von gestern Abend ist gefroren, steht ein dunkelblauer Sternenhimmel. Östlich, über einem Horizont mit wenigen Wolken, dämmert ein Blaugrau mit Grünanteilen. Ich frage mich ob ich die Farben meiner Zeichnungen in diese morgendlichen Farbspiele hineinsehe, ob sie von daher stammen oder ob beides gleichzeitig möglich ist. Später treten die rosafarbenen Wolken in den Vordergrund, wie das Geschrei spielender Kinder.

Einen großen Spiegel habe ich mit der Staffelei so im Raum platziert, dass ich durch den großen Ficus, eine Sukkulente und den Olivenbaum, vom Schreibtisch aus diese Beleuchtungen beobachten kann. Außerdem überblicke ich, während die Heizung im Rücken rauscht, die Straße, um die Boten abzufangen, die gerne unverrichteter Dinge wieder abziehen, weil sie sich auf dem Gelände nicht so recht auskennen.

Noch einmal verdichtete ich die Familienfigur auf der Zuckertütensequenz auf Rolle 6. Die wächst zu einem bedrohlichen Monster heran und sorgt für eine düstere Erinnerungsstimmung.

Weiterhin bleiben die täglichen Zeichnungen in den Büchern wichtig. Seit einiger Zeit denke ich darüber nach, sie wieder in die Arbeit auf Transparentpapier mit einzubeziehen. Es würde mir gefallen, wenn sie sich mit ihren Schlingen, Schlaufen und Verwischungen mit dem Erinnerungsthema verbänden.

Windrichtungen und Sounds

Am Morgen schließe ich das Tor unter der Unterführung für den Briefträger und andere Boten, für die Müllabfuhr und für Besuche auf. Von Westen her donnert der Lärm von der Autobahn, die immerhin noch über einen Kilometer entfernt ist. Das mischt sich mit dem Getöse der startenden Flugzeuge. Die Signalhörner der Rangier- und Güterlokomotiven klingen wie ferne Tierschreie. Und aus den Gesträuchen des Bahndammes tönte ein hüfender eigenartiger Morgengesang eines Vogels, den ich dann als Elster erkannte. Seinen fast melodiösen Gesang, nunmehr von den Drähten über den Schienen her, hätte ich nicht mit dem Gekrächze zusammengebracht, das diese oft paarweise umherstreifenden Vögel sonst von sich geben.

Man könnte aus den Sounds der verschiedenen Windrichtungen einen Tonraum konstruieren.

Den ganzen Tag bearbeitete ich gestern die Zuckertütensequenz auf Rolle 6. Langsam bekommen die Figuren etwas Bedrohliches. Alles konzentriert sich überlagernd zu einer einzigen Figur einer Familie, die sich dauernd wiederholt.

Die Hindemithkinder waren in kleiner Ferienbesetzung da. Es wurden Porträts gemalt und Pappmache hergestellt, mit dem zwei Masken ausgeformt worden sind.

Häfen

Bevor das große Regengebiet eintraf, das uns heute den ganzen Tag mit Wasser von oben versorgen wird, habe ich gestern statt eines Neujahrspazierganges eine kleine Fahrradtour unternommen. Ich fuhr vom Atelier aus in den Osthafen. Dort schaute ich mir mal in Ruhe die neue Europäische Zentralbank an. Ich sah die Kuben, die in die alte Großmarkthalle geschoben worden sind und die Außenanlagen mit der festungsartigen Sicherheitsarchitektur, die an eine mittelalterliche Wehranlage mit Mauern, Gräben und Aussichtstürmen, die nun von Videoüberwachungsmasten ersetzt werden, erinnert. Weiter hinten am Hafen gibt es immer noch Industrieansiedlungen, die noch nicht vom Chic der Hanauer Landstrasse verdrängt worden sind. Nun bin ich gespannt, ob ich es noch erleben werde, dass dort Nobelwohnungen gebaut werden. Zum Spazieren wäre es allemal angenehmer.

Obwohl das große Kohlekraftwerk in Westhafen noch steht, hat sich das Gebiet mit Wohnungen und Büros stark verändert und ist dadurch viel schöner geworden.

Wie immer an Neujahrstag war das Mainufer mit Feuerwerksmüll übersät. Das schränkt den Spaß, dort entlang zu fahren etwas ein.

Meine ganze künstlerische Energie geht derzeit in die täglichen Zeichnungen. Sie tragen, so klein sie sind, die Kraft und Sehnsucht in sich, die sich zum Weiterarbeiten bedingen.

In zerstäubter Milch

In der Annahme, dass ich nun lange die Zahl Fünf täglich in meine Bücher schreiben werde, tat ich es heute erstmalig in diesem Jahr. Die Linien haben ihre eigene Dynamik. Die erste nach unten fahrende Senkrechte holt Schwung für den ausbauchenden Bogen nach vorne, also nach rechts. Dann geht die Bewegung der Schreibfeder wieder rund nach unten und nach links mit einer kleinen, schon auf die nächste Linie zielenden Aufwärtstendenz, setzt ab und kommt wieder zum Anfang zurück. Der kurze waagerechte Strich, der dann folgt geht schon wieder energisch nach vorne in Richtung Zukunft. Handschrift schreiben, heißt Zeit sichtbar machen. Mit jedem Wort, das aus der Feder schwimmt, verrinnen die Sekunden, in denen ich festhalten will, was ich denke. So will ich meine Zeit festhalten, während sie mir entgleitet.

Silvester verbrachte ich alleine auf Teves, spielte etwas Gitarre und sah mir Aufnahmen von „THE PIANO HAS BEEN DRINKING“, von deren letztem Konzert an. War froh als es Zwölf war und fiel ins Bett, das weiche, schöne Kölsch der Band im Kopf.

Es ist still draußen und neblig – verdünnte, zerstäubte Milch. Selbst der Flughafen scheint außer Betrieb zu sein. Das Tor vorne ist verschlossen, dass sich auch kein Spaziergänger hierher verirrt. So kann ich für mich die Zurückgezogenheit ausweiten, hier hinten in meiner Schreibklause bei mir bleiben. Die Stille übernimmt, kein Warten mehr.

Aufräumen

Der niedrige Sonnenstand färbt die feuchte Atmosphäre über den Schneeresten mit grauem Licht. In der kommenden Nacht wird man dagegen mit Feuerwerken angehen. Ich hingegen wünsche mir eher das innere Feuer, das der Tristesse entgegentreten kann.

Bis in den Abend zeichnete ich an der Zuckertütensequenz auf Rolle 6. Außerdem räumte ich in den Regalen herum, den Gitarrenverstärker in ein Fach und schaffte somit etwas mehr Fußraum.

Heute will ich noch mehr aufräumen, Raum organisieren, reinigen und Müll wegbringen. Das sind die richtigen Beschäftigungen für den letzten Tag eines Jahres.

Perspektiven

Lichtinstallationen, wie sie in letzter Zeit inflationär erscheinen, stellen häufig architektonische oder skulpturale Konzepte auf den Kopf. Gesimse, die für einen Lichteinfall von schräg oben gestaltet sind, verlieren von unten angestrahlt ihre ästhetische Funktion. Da ist viel Dilletantismus unterwegs. Schade, denn mit mehr ästhetischem Gefühl ließe sich daraus was machen.

Das Vakuum dieser Zeit zwischen den Jahren lässt sich von mir nicht so recht füllen. Vielleicht sollte ich einfach diese Leere zulassen. Leichter gesagt, als getan. Das Zeichnen auf Rolle 6 wirkt meditativ. Dazu höre ich manchmal aus dem Netz Bach Radio.

Die Kälte ist vorbei. Tagsüber erreicht die Temperatur wieder Plusgrade. Das wirkt sich auch auf die Wärme im Atelier aus. Draußen ist es allerdings dadurch feuchter und unangenehmer.

In den letzten Tagen dachte ich daran, wie man willentlich eine bessere Stimmung herzustellen vermag. Situationen, auf die man sich gefreut hat, werden so nicht zu Enttäuschungen, die man sich selbst bereitet.

Ein Espresso, den man für sich selbst macht, vielleicht mit viel Zucker und etwas Sahne ist ein Ansporn. Du machst das für Dich alleine, keine Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig Raum gewinnen für das Nachdenken aus anderen Perspektiven, aus den Perspektiven der Anderen.

Licht | Stille

Am Main genoss ich die Reflektionen der vom Ostwind gekräuselten Wasserfläche und die Lichtspiele in den gefrorenen Wassertropfen. In meiner Daunenjacke mit der dicken Kapuze kann ich den kalten Wind gut aushalten und Licht tanken.

Eine Figur, die ich während meiner Spaziergänge an der Außenfassade der Leonhardskirche entdeckte, scheint neueren Datums zu sein. Ihre Züge und ihre Haltung haben einen expressionistischen Einschlag. Es handelt sich um eine Heilige mit einer Kette in der Hand, deren Identität mir noch nicht klar ist. Auch im Innenraum gibt es expressionistische Figuren. Die Glocken, die sonntäglich läuteten, sind abgestimmt auf das ganze Stadtgeläut, wie es Heiligabend zu hören war.

In der Birke zwischen meinen Toren habe ich nun etwas Vogelfutter und das Nisthäuschen, das mir Anne zu Weihnachten schenkte aufgehängt. Die Meisen haben das Futter nun schon entdeckt und schauen auch neugierig in die neu erschienene Nesthöhle. Vielleicht wird sie im Frühjahr belebt sein.

Kurzer Besuch von Barbara und Roland. Ich zeigte ihnen mein Krishnababy und die Postkarte mit den fünf Rathas aus Mamallapuram. Sie interessieren sich nach wie vor für Indien und werden auch noch mal hinfahren. Auch ich würde das gerne bald tun.

Nachmittags zeichnete ich weiter an der Zuckertütensequenz auf Rolle 6.

Voreinstellungen

Sonntag. Es ist etwas Schnee gefallen, der am Abend matschig, nass und glitschig die Stadt bedeckte. In der Nacht ist er festgefroren und leuchtet nun, an diesen hellen Wintermorgen in der Sonne. Licht im Überfluss projiziert die Umrisse des vertikalen Gartens vor den Fenstern auf alle Gegenstände im Atelier.

Gestern Abend ging ich noch über die Frankenallee spazieren. Im hellen Fenster sah ich mein Bild Waldherzen an der Wand meiner ehemaligen Wohnung. Auf dem Heimweg hielt ich an der Rebstockkneipe auf ein Bier. Ich wurde Zeuge einer abklingenden Schlägerei. Die Polen scheinen alle zu Hause unter dem Weihnachtsbaum zu sitzen. So waren fast nur Marokkaner da.

Die Glocken läuten. Susan Sontag ist heute zehn Jahre tot, das Licht streift seitlich über meine Reliefs und erweckt sie zu neuem Leben.

David Foster Wallace spricht von unseren Denkvoreinstellungen, die uns das tägliche Leben zur Hölle machen können. Die Maske dieser Hölle sah ich am ersten Weihnachtstag.

Sein Denken zu kontrollieren, bedeutet zunächst die Trägheit zu überwinden, den Voreinstellungen zu folgen. Das ist der Startschuss einer Praxis, die zu einem anderen Lebensglück führen kann. Aber dieser Anfang muss erst mal gemacht werden.

Gefängniszelle

Neben dem Atelier treibt Schneeregen unters Dach. Ein lichtloses Wasser-Luft-Gemisch sitzt auf der grummelnden Stadt.

Gestern ging ich noch vor einem weiten Horizont spazieren. Hinter den Bergen des Taunus türmten sich Wasserdampfgebirge nördlich, Schneeschauergardienen wurden zugezogen und Lichtstreifen zeichneten daneben ausgefranste Panoramen. Die aufgewühlte Erde der Baustellen glänzte morastig und unfruchtbar.

S-Bahnen auf dem Bahndamm bringen die wenigen Menschen in die Stadt, die heute dort arbeiten, Geschenkgutscheine einlösen oder Geschenke umtauschen wollen. Die Verteilung der Feiertage funktioniert in diesem Jahr wie ein Vuakuumiergerät. Leere, Stillstand und Lähmung.

Als Weihnachtsgeschenk war eine gedruckte Rede von David Foster Wallace getarnt, die eine Anleitung zum Erlernen neuen Denkens darstellt. Ich habe schon einiges gelesen und finde den Text sehr hilfreich für meine Situation. In einem Satz heißt es:

“…eine Engstirnigkeit, die wie eine Gefängniszelle so absolut ist, dass der Häftling nicht einmal merkt, dass es eingesperrt ist.“ Schön – oder ?

Heimkehr

Von den Lichtstimmungen in den von hinten durchschienen Nebelbänken, Schneeschauern und Wolkenwirbeln, kommt etwas in den heutigen Zeichnungen vor. Manchmal möchte ich auf der Autobahn in den Bergen anhalten, um mir diese grandiosen Beleuchtungen in den bewegten Landschaften in Ruhe anzuschauen.

Noch am Vormittag bin ich von meinem Besuch in Thüringen zurückgekehrt. Ich war froh, wieder in mein Atelier zu kommen, wovor ich mich eigentlich etwas gefürchtet hatte, der weihnachtlichen Einsamkeit wegen. Aber die Umgebung meiner Arbeit stimmte mich eher froh.

Afrikanische Partys, die alle Festlichkeiten mit Technolärm bis morgens sechs Uhr verbinden, haben auf dem Gelände ihre Verwüstungen hinterlassen. Schrecklicherweise ist das Schnellrestaurant in der Nachbarschaft wieder offen, dessen Speisenverpackungsmüll bis vor meine Tür quillt. Diese Servietten-, Plastik- und Kartonwegwerfkultur hat etwas von antiästhetischem Auswurf. Ich kann das nur schwer ertragen.

Das Vogelhaus, das mir Anne zu Weihnachten schenkte, werde ich in meine Birke zwischen den Rolltoren hängen. Guter Plan?

Stadtgeläut

Ein Sternenmorgen durch dessen Dunst die Gestirne etwas weicher leuchten. Schneefall ist angesagt, weswegen ich aus Thüringen morgen früher nach Hause aufbrechen werde.

Als ich mich gestern zum Zeichnen hinsetzte, war ich so vertieft, dass ich beinahe das Weihnachtsläuten in der Stadt verpasst hätte, das schon fünf Uhr nachmittags beginnt. So führte mich mein Gang von Mainufer her in das Läuten hinein, geleitet vom silbrigen Geläut des Karmeliterklosters hin zu den fröhlichen Glocken der Leonhardskirche vor den Dom. Da der freie Platz der Ausgrabungsstätte nun mit einem Puppenstubenstadthaus zugebaut ist, lehnte ich mich mit meinem Rücken an den großen Glockenturm, um die Gloriosa zu spüren. So beginnt Weihnachten.

Der Weg zurück durch Regen, vorbei an den erleuchteten Fenstern der Bescherungsstuben. Im Atelier dann packte ich das Weihnachtspaket von Anne und Markus aus. Viele nette Dinge, die mir den heiligen Abend verschönten.

Ich habe noch etwas Lachs im Tiefkühlfach, den man zusammen mit Schrimps zu einer Spaghettisauce verarbeiten können. Gleich fahre ich los zu meinen Eltern – eine Weihnachtsfahrt.

Reden | Reisen | Neubeginn

Gestern sah ich  noch mal die zwei indischen Ausstellungen im MMK.  Die Dinge, die Gupta gesammelt hat, sind in eine europäische Kunstordnung gebracht worden, wie überhaupt alles original Indische mit dem westlichen Blick installiert ist.

Im Bahnhofsviertel besuchte ich asiatische Läden auf der Suche nach einem bestimmten Curry, das ich dann gleich mit Hühnchen und Reis ausprobierte. Eine Portion ist noch für heute übrig geblieben.

Heiligabend werde ich heute alleine verbringen. Während des großen Stadtgeläuts habe ich dann Gelegenheit, dieses Jahr noch mal zu überdenken.

Freue mich auf den Neubeginn im kommenden Jahr.

Kaufe nachher noch ein paar Lebensmittel ein, Vielleicht zeichne ich auch noch ein wenig auf Rolle 6. Morgen eine Reise zu meinen Eltern.

Braune Gischt

Viel Schlamm trieb schnell im angeschwollenen Main gegen die Richtung des gestrigen Sturmes. Der schob Wellen vor sich her, die man sonst nur von Meeresgewässern kennt. Die Schiffe, die gegen den Wind fuhren wühlten hohe braune Gischt auf.

Die täglichen Zeichnungen, an denen ich mich festhalte, nehmen nun wieder mehr konkrete Linien auf. Das ging mit den Protuberanzen los und führt nun eher zu Geflechten, die Elemente bieten, mit denen ich die Collagen nun etwas reicher und farbig interessanter gestalten kann. Einige Collagetechniken erschlossen sich mir neu und führen auch zu anderen, weicheren Ergebnissen.

Ich zeichnete an der aktuellen Sequenz auf Rolle 6 weiter. Diese Rolle wird die vielleicht dichteste, die ich bisher anfertigte und ist wahrscheinlich auch die, an der ich am längsten gezeichnet habe.

In der Rebstöcker Straße, neben dem Schnellrestaurant blüht rosafarben ein Baum. Die Temperaturen sind derzeit sehr mild, was sich nach Weihnachten ändern wird.

Licht kommt

Am Nachmittag fuhr ich mit Rückenwind an den Main, um dort etwas spazieren zu gehen und um auf dem Weihnachtsmarkt einen heißen Apfelwein zu trinken. Alleine ist das für mich eine besondere Situation des Sichtreibenlassens, der Menschenbeobachtung ohne sich abstimmen zu müssen. Es ist neu, hat manchmal eine gewisse Leichtigkeit aber ohne die Freude, die man nur gemeinsam haben kann.

Bis dahin will ich noch etwas an Rolle 6 arbeiten die „Zuckertütensequenz“ (das ist doch eine nette Bezeichnung) weiter verdichten. Ansonsten macht sich bei mir so etwas wie eine Ferienstimmung breit. Ich habe Zeit vom Olivenbaum, den ich hereingestellt habe, die Blattläuse herunter zu lesen, die ein Völkchen von Ameisen, die in seinem Bottich leben zu züchten versuchen. Dann höre ich Orgelmusik von Bach, zumeist Partiten und Kanons. Das läuft so im Hintergrund und kündigt mir das Licht an, das jetzt kommen wird.

Expressives Mittelalter

Die expressive Strömung in der Skulptur und Malerei am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, ist eine Herausforderung für meine Sehgewohnheit. Ich sah gestern diese kleinere Ausstellung im Städelmuseum, die mir zu eng war. Diese quasi explodierenden Formate benötigen viel mehr Raum. Die gesteigerte Verschlungenheit von Figuren, und von Gegenständen unterschiedlicher Stofflichkeit, die extrem gedehnten Glieder, die filigranen Hände und die gebauschten Gewänder kommen sich in die Quere. Innerhalb der Drastik, gibt es viel Hässlichkeit aber auch Farbigkeit zu entdecken. Manchmal erinnerte ich mich an die bunten Tempel von Madurai und anderen Orten in Indien. Beim Durchwandern der Räume überkam mich eine etwas beklommene und gedrückte Stimmung, die eindeutig von den Motiven ausging. Eine Figur des Heiligen Sebastian wand sich geradezu tänzerisch vor den heransurrenden Pfeilen. Er dehnte und verbog seine Glieder, als stamme seine Figur aus einem Ballett von William Forsythe. Auch in den Keuzigungsszenen geht es um gebrochene und verrenkte Glieder, besonders bei den Schächern, die neben Christus gekreuzigt wurden. Das beeindruckt alles sehr, aber ich war froh, dass die Veranstaltung nicht noch größer war, genoss dann meinenWein im Café mit Blick auf die erleuchteten Hochhäuser.

Danach ein schönes Essen im Bahnhofsviertel.

Zu Hause hatte ich noch eine Flasche Grauburgunder und genoss den hoffnungsvollen Abend.

Langsames Spazieren

Kanarisches Licht heute am Morgen. Eine Wohltat nach all den finsteren Tagen an denen man sich nur darauf freute, dass es endlich ganz dunkel wurde. Und im nassglänzenden Kunstlicht der Mainzer Landstraße ging ich am Abend lange spazieren, nur um unter Menschen zu sein. Dabei bemerkte ich einige Männer, die, wie ich ziellos herumschweiften, Kneipen von außen ins Visier nahmen, die Hände hinter den Rücken verschränkt, Mützen auf den Köpfen, wie ich.

Gestern Abend schaute ich mir im Netz eine Dokumentation zum Leben von Bob Dylan an und hörte etwas Musik von ihm.

Künstlerisch geschah außer den täglichen Zeichnungen und der Collage aus einem Ausschnitt von Rolle 6 und der allmorgendlichen Produktion nichts. Auch mit der Tagebucharbeit komme ich nicht in dem gewohnten Zeitraum zurecht. Alles passiert etwas langsamer, träger, wie in zähflüssigem Sirup eingeschlossen.

Verabredungen zu Weihnachten mit meinen Eltern.

Grauer Sturm

Die Hindemithkinder sind heute schon in meinen Arbeitsvormittag gekommen, weil heute die Ferien begonnen haben. Sie brachten Dinge zum Naschen mit, arbeiteten ein wenig mit Holz und Farben und waren froh, dass sie nun eine Weile frei sind. Ich erklärte ihnen noch mal unser neues Projekt, das hoffentlich für das kommende Jahr bewilligt wird.

Dann zeigte ich ihnen mein Einschulungsfoto, das was ich daraus gemacht habe und erzählte ihnen warum ich das tat. Allerdings ist die Verdichtung der Sequenz heute nicht weiter gediehen.

Erstmalig seit vielen Jahren gehe ich heute nicht mehr zu meinen Freunden auf den Markt. Das grausige Wetter mit Wind und Dauerregen macht es mir diesmal leichter.

Ich überlege mir etwas Wein zu kaufen für diesen Abend. Dann höre ich etwas Radio, wie ich es nun meistens am Abend mache. So gehen die Tage vorbei, dahin mit der Zeit, in der ich versuche etwas zustande zu bringen.

Die Finsternis ist kompakt grau. Selbst am hellen Tag scheint es nur zu dämmern. Das spiegelt die Umstände wieder, ihr graues Gewicht, die Gleichgültigkeit von Stürmen im fahlen Licht.

Materieausbrüche | Mandorla

Als ich gerade die heutige Collage aus den täglichen Zeichnungen und den Strukturen der Einschulungssequenz aus Rolle 6 zusammenstellte, dachte ich daran, dass Protuberanzen Ausbrüche von Materieströmen auf der Sonne sind. Gleichzeitig stoße ich ein Tuscheglas um, das eine ähnliche Form auf meine Blechschachtel mit den Aquarellstiften gießt.

Währenddessen versuche ich meine Erinnerungen zu schärfen. Nicht nur Süßigkeiten in der Zuckertüte, sondern auch nützliche Schulsachen. Fahnenappelle erinnere ich mit Gesängen: „Bruder lass den Kopf nicht hängen“ – da klappt der Kopf eines älteren Mitschülers in den dörflich aufgestellten Klassenreihen nach vorne. Das ist der erste vorwitzige Protest, an den ich mich in dieser durchpolitisierten Welt erinnere. Es herrschte noch Stalinismus, obwohl Stalin schon acht Jahre tot war.

Auch die Zöglinge im ehemaligen Kloster Gerode gingen in Reih und Glied. Blaue, dreieckige Halstücher, Wimpel und das Fackelzeichen der Jungen Pioniere. Große ernste Gesichter dieser eingesperrten Ansammlung von Menschen, die im sozialistischen Systemfokus auffällig geworden sind.

Ich erinnere einen Zug von Rechen, Mistgabeln, Schaufeln und Spaten, die am Fenster vorbei getragen wurden, wie in einer Prozession zu Ehren der Marienfigur in Mandorla, einer „Lichtprotuberanz“ über dem Eingang des Haupthauses.

Protuberanzen | Schultüte

Protuberanzen würde ich die Ausstülpungen nennen, die sich derzeit auf den täglichen Zeichnungen etablieren. Nach dem Wischvorgang der zumeist von Links nach Rechts verläuft, bleibt neben der verwischten Fläche mit den aufgefächerten Farben zumeist eine Lache Wasser stehen, aus deren Pigmentansammlung und Farbvermischung ich Wasserfäden auf die angetrocknete Seite ziehe. Wenn nun der Handballen noch einmal über diese Strecke fährt, legt er die darunter liegenden Farbschichten linear frei. Ich zeichne das mit einer Feder, die ich zuvor in Wasser getaucht habe.

Auf Rolle 6 begann ich die Schuleinführungsabstraktion übereinander zu zeichnen, um daraus wieder eine Sequenz entstehen zu lassen, die sich mit der vorigen, der Kreuzzugssequenz verbinden kann. Was sich an Potential darin verbirgt, kann ich nicht wissen. Der Erinnerung an meine Schultüte und deren Inhalt folgen die Erfahrungen, die mich danach zu einem Schulhasser gemacht haben. Die Süßigkeiten, die ich annahm waren der Preis dafür, dass ich die meiste Zeit der folgenden zwölf Jahre unter dem Eingezwängtsein in den engen Holzschulbänken, dem Geruch nach Kindermassen und Bohnerwachs litt. Der Kreidestaub legte sich auf meine Seele, als ich in der zweiten Klasse, nach einem Umzug in eine neue Klasse kam. Als Fremder wurde ich täglich von den anderen Schülern auf dem Heimweg verfolgt und verprügelt.

Das Kloster Gerode, in dem ich mit meinen Eltern und den Zöglingen eines Kinderheims wohnte, war das Paradies aus dem ich vertrieben war. Prügel gab es auch dort, aber nicht täglich.

Raster

In einigen Arbeitsschritten stellte ich mehrere Varianten meines Einschulungsfotos her. Konturenzeichnungen, Punktraster und weitere Reduktionen dieser Verfremdungen sind nun das Material, mit dem ich mich zunächst auf Rolle 6 auseinandersetze. Das sieht derzeit ziemlich unspektakulär aus, kann sich aber noch entwickeln.

Zur Ausstellung zum Zwangsarbeitergedenken habe ich einen Sachbericht zu verfertigen. Der ist überfällig und in der letzten etwas chaotischen Zeit vergessen und verdrängt worden. Ich hatte einfach keine Kraft, mich um dererlei Dinge zu kümmern. Das ist jetzt anders.

Ich überlege nun über die Rolle 6 hinaus andere Blätter mit den Rastermotiven zu verfertigen. Vielleicht kann ich Strukturen und die Farbigkeit probieren mit der ich dann das große Bild weitermalen kann. Rolle 6 eignet sich nur für andere, grafischere Herangehensweisen.

Die Adventszeit schreitet voran, das Jahr endet nun Gott sei Dank bald. Ich frage mich, wie ich auf diese Zeit zurückschauen werde. Jetzt überwiegt das Gefühl, ganz neu zu beginnen. Der Jahresanfang 2015 ist dafür die richtige Zeit. Fast alle Zeit bin ich nun alleine, was mir meistens ganz gut tut.

Farben | Spaziergang | Verschieben

An diesem Montagmorgen bleiben die Lampen ausgeschaltet. Die gerade aufgegangene Sonne sendet ein Streiflicht über die Dreiecksreliefs, die mir gegenüber stehen. Erinnerung an produktivere Zeiten.

Im Netz suchte ich noch einmal den Vortrag von Heinrich Detering zum siebzigsten Geburtstag von Bob Dylan und fand ihn nicht mehr. Das ist so eine Sache mit dem Netz hier im Atelier. Es lenkt etwas ab.

Gestern zog ich mir ein Paar leichte Wanderstiefel an und machte einen längeren Spaziergang von hier aus bis in die Stadt zu einer Verabredung im „Urban Kitchen“ in der Kaiserstraße.

Die Zeit vergeht wie ein Alltag im Zwist mit mir selbst. Fehler bleiben Fehler und können nicht rückgängig gemacht werden. Spaziergänge sind gut. Weite Flächen erweitern die Sinne. Am Nachmittagshimmel schimmerte Apricot zwischen leuchtendem Wolkenblau. All das spiegelte sich im Main auf dem Wasser vor der Molenspitze des Westhafens. Ein Schwan am Ufer steckte seinen Kopf unter den Flügel.

Ein eigenartiger Montag ist das. Ich erwarte von mir einen Aufbruch in eine neue Arbeitsphase und denke gleichzeitig, dass ich vielleicht erst mal in der Küche etwas aufräumen sollte. Ich verschiebe.

Trödelig

Ein leichter Morgen mit etwas mehr Durchlässigkeit und Licht als in den letzten Tagen. Der Sonntag vergeht etwas trödelig. Gestern dachte ich in der kommenden Woche etwas kürzer zu treten. Ich werde Zeit für meine Arbeit haben und dafür, mich an die Erinnerungen heran zu machen, die meine täglichen Reaktionen und Taten bestimmen.

Oft schaue ich mir Urlaubsfotos an und versuche mich anhand dieser in Stimmungen zu versetzen, die uns damals umgaben oder aus uns kamen. Auch diese Erinnerungen werden in der nächsten Zeit eine wichtigere Rolle spielen.

Vielleicht kann ich morgen beginnen, das Einschulungsbild zu rastern. Dieser Einstieg könnte auch auf Rolle 6 geschehen.

Gestern im Theater hier auf dem Gelände ein schönes traditionelles Konzert mit Laute, Bockflöte und einer dieser großen flachen orientalischen Trommeln. Ich sah und hörte das letzte Musikstück.

In der Nacht beschäftigte ich mich dann mit Bob Dylan, hörte einen Vortrag von Heinrich Detering, dessen Buch über Dylan ich schon gelesen hatte. Der Vortrag war sehr kompakt und gefiel mir wegen seiner vielen Echos vorangegangener Textpassagen oder Selbstverweise. Ich könnte das glatt noch mal anhören.

Wendungen

Sonnabend- Regen und Finsternis, langer Schlaf nach einer anstrengenden Woche.

Gestern sind die Hindemithkinder schon gleich nach der Schule gekommen und dann aber trotzdem bis Vier geblieben. Wir haben Fahrstuhlmusik gehört, Erdnüsse geröstet, gemalt und geschnitzt. Und dann musste ich sie rauswerfen!

Kleine Besetzung am Weinstand. Gespräche über Wendungen, über Verhaltensweisen und Gruppendynamiken.

Danach im Laden von Liaquat die Vereinssitzung mit neuen Mitgliedern. Das war schon ein anderes Gefühl. Die Arbeit dort wird sich verändern, wie sich auch meine Bezugspunkte verstreuen, verschieben und sich anders neu konzentrieren.

Die künstlerische Arbeit schleppt sich von Tagebuchseite zu Tagebuchseite. In der kommenden Woche aber habe ich genug Zeit, wieder Fahrt aufzunehmen und um mich in die Erinnerungsthematik einzuarbeiten.

Nachher will ich trotz Regen zur Konstablerwache auf den Markt fahren, vielleicht etwas Apfelwein kaufen, was essen, Leute anschauen und ein wenig aus der Einsamkeit herauskommen.

Verkabelt

Ein windiger und eher milder Morgen. Das Rauschen der Autobahn, das aus Westen herangeweht wird, klingt wie eine entfernte atlantische Brandung. Die Klimaforscher sagen, dass die Ozeane viel Wärme in sich aufgenommen haben. Sie wird von der Luft hergetragen.

Gestern wurde mir eine Internetleitung in mein Atelier gebaut. Die Techniker hatten eine Menge Kabel zu verlegen, Löcher durch Wände zu bohren und richteten mir auch alle Segnungen der Telekommunikation auf meinem Rechner ein. Nun bin ich mit einem Festnetztelefon und schnurlosem Internetzugang ausgerüstet. Das erzeugt ein neues Gefühl in meiner Eremitenklause, das nicht nur angenehm ist.

Schon telefonierte ich mit meinen Eltern und mit Annes Anrufbeantworter. Das Inseldasein wird weniger hermetisch. Das ist ein Zeichen für einen Neuanfang.

Gestern trat ich vor das große Bild und stellte mir das gerasterte Einschulungsfoto auf verschiedene Weisen einmontiert vor. Ich erinnere mich noch an die Zuckertüte und dass ganz unten in der Spitze ein dicker Pappbleistift steckte, der wohl mit Süßigkeiten gefüllt war.

Außerdem arbeitete ich an der Kreuzzug Sequenz auf Rolle 6 weiter. Es sind lauter kleine Zeichen für etwas Neues, das nun kommen kann.

Schwarzes Leuchten

Kaffee leuchtet schwarz an diesem Morgen weil ich vergaß Milch zu kaufen. Mit etwas mehr Zucker und einem Glas Wasser geht es auch so.

Gestern am Morgen hätte ich beinahe meinen Arzttermin versäumt. Nachdem ich ab vier Uhr Tagebuch geschrieben hatte, legte ich mich noch mal hin und bin wieder fest eingeschlafen.

Dann transportierte ich die letzten Dinge aus dem Museum ins Atelier und fuhr mit dem Auto gleich bei meinem Vermieter vorbei, um mir schriftlich die Erlaubnis zum Kabelverlegen für heute zu besorgen, was auch klappte. Jetzt müssen nur noch die Monteure beikommen, wie angekündigt.

Am Abend, während der Eröffnung sagten viele Menschen sehr nette Dinge über mich und begeistert zeigten die Jugendlichen ihre Ausstellung. Allen tat die Zuwendung gut und die Stimmung war sehr aufgeräumt. Nun wollen wir unser Projekt noch für ein weiteres Jahr verlängern und somit einfach unsere Freitage fortsetzen.

Aus der Finsternis des Waldes heraustreten können, um gemeinsam auf freiem Feld zu gehen, auszuschreiten mit der Lust auf Bewegung, Raum und Fahrtwind.

Gewissheit

Die Finsternis nimmt wieder zu. Böiger Wind aus westlichen Richtungen bringt Regen heran, der in den Gebirgen zu Schnee wird. Am Morgen etwas wackelig auf dem Fahrrad, Augen tränten in der kalten Luft.

Entsprechen dunkel ist es auch im Atelier. Es gibt nur die Gewissheit, dass es in zwei Wochen wieder heller wird.

Mit einem Laser, der waagerechte und senkrechte Linien auf die Wände projiziert, konnte ich gestern im Museum die Collagen aus Zeichnungen und Fotografien gut justiert anbringen. Es ging schneller so und sieht perfekter aus. Auf einem Postament befestigte ich noch drei Figuren, die ich gemeinsam mit einer behinderten Schülerin aus der Panoramaschule anfertigte. Sie zeichnete Gesichter auf Transparentpapierzettel, tat Gras und Tannennadeln aus dem Wald mit Schelllack hinzu, ich sägte die Astgabeln zurecht und montierte das Ganze.

Heute ist die Eröffnung. Zuvor habe ich noch Material von dort zurück zu transportieren. Muss mir auch noch überlegen, was ich am Abend sagen will.

Morgen kommt nun der Internetanschluss. Zuvor benötige ich noch das Schreiben des Vermieters. Da sollte ich vielleicht heute hinfahren.

Kleine Panik

Weiß nicht, wie viele Wochen ich auf den Termin gewartet habe, an dem meine Internetleitung gelegt werden sollte. Nun meinte der Techniker gestern, das sei so aufwendig, dass es mit zwei Leuten einen halben Tag dauern würde, und deshalb müsse er nun einen neuen Termin machen. Außerdem braucht es noch eine Genehmigung des Vermieters, dass er Löcher bohren könne und die Leitung über Putz legen wird. Also wieder warten…

Am Abend wollte ich dann eine kleine Rechnung per Internet begleichen, stellte aber fest, dass die Unterlagen, die ich dazu benötige, nicht mehr an ihrem Platz lagen. Also begann ich zu suchen. Je länger das ohne Ergebnis blieb, um so mehr steigerte sich meine Unruhe. Zwischendurch fuhr ich mit dem Fahrrad zur Bank, weil ich das Material gestohlen glaubte. Das Konto war aber unversehrt. Neue Unterlagen könne ich aber nur über das Internet oder per Telefon bekommen, meinte die Dame am Schalter, dafür brauchte ich aber eine Pin. Irgendwann am Abend fand ich dann die Pinnummer an einer wirklich gut versteckten Stelle und machte mir ziemlich glücklich ein Bier auf.

Heute noch mal ins Museum, um die Fotos anzubringen.

Traummaschinen

Langer Spaziergang am Main. Eine Weile am Nachmittag schien die Sonne, dann wurde es kalt und der Westwind nahm zu. Zuvor stand ich eine Weile auf der Sandsteintreppe eines der kleinen Abgänge zum Wasserspiegel und beobachtete eine kleine Feder, die von der Strömung nach Westen und dem Wind an einer Stelle gehalten wurde, in den dunklen Wogen auf und ab schwingend.

In einer stinkenden, kalten Telefonzelle redete ich mit meinen Eltern. Sie sorgen sich, wie das Eltern so tun.

Heute soll ich nun endlich einen Telefonanschluss bekommen, wodurch ich dann auch wieder einfach ins Netz komme und an all die Informationen, Kontakte etc. die ich, nun alleine und hier im Atelier, umso dringender benötige.

In der Nacht schrieb ich mit Tinte auf einen Kontoauszug: Die Schlafmaschinen waschen die Träume und Traummaschinen waschen den Schlaf.

Eine Grundreinigung aus Erinnerung würde anstrengend sein, aber sicher gut tun.

Transport

Die Collagen, die ich gestern alle für die Ausstellung ausgedruckt habe, werde ich nicht in Streifen zerschneiden und dann noch mal collagieren, sondern werde sie so wie sie sind lassen.

Dass ich schon gestern ganz damit fertig geworden bin, schafft mit für Morgen, während ich auf meinen Telefonanschluss warte, Zeit um die Vereinssachen zu ordnen und die Dinge zusammenzustellen, die für die Fortführung des Vereins notwendig sind.

Ich hoffe dann wieder Zeit für meine Arbeit zu haben, für Rolle 6 und die Erinnerungsthemen, die sich vielleicht in der großen Malerei manifestieren können.

Es gab beispielsweise Momente, in denen ich im Osten Postkarten aus Westberlin darauf hin untersuchte, was neben den Bordsteinen liegt, wie die Welt dort wirklich aussieht. Wenn ich heute die Bilder, die kleinen Schwarzweißfotografien aus meiner Kindheit anschaue, dann interessieren mich auch die Beschaffenheiten der Dinge am Wegesrand, Zäune, Telegrafenmasten und Menschen, die Säcke auf ihren Schultern tragen.

Am Abend sah ich mir wieder Reisefotografien an. Kalkutta, Menschen und Transport auf ihren Knochen, Säcke auf den Köpfen.

Collagen

Vormittags transportierte ich noch etwas Material für die Ausstellung „Schattenboxen“ mit dem Auto in das Architekturmuseum. Dann holte ich die Hindemithkinder in der Schwalbacher Straße ab, um gemeinsam mit ihnen in der Straßenbahn der Linie 11 bis zum Willy-Brandt-Platz zu fahren. Dort zeigte Noah auf eines der neuen Hochhäuser in dem auch eine Etage des Museums für Moderne Kunst untergebracht ist und erzählte, dass seine Tante, die Architektin ist, dieses Hochhaus mitgebaut hat. Wir spazierten am Schauspiel vorbei über den Main und liefen bis zum Museum. Dort bekamen wir eine nette, kurze Führung durch das Haus, um dann nach meinen Vorgaben an der Skulptur weiterzuarbeiten.

Am Nachmittag fand im Gallustheater die Abschlussveranstaltung der Sozialen Stadt Gallus statt. Es gab diverse Wiedersehen mit Leuten, mit denen ich lange zusammengearbeitet habe.

Nun sind noch die Collagen auszudrucken, mit denen ich in der Ausstellung einen Abbildungsstreifen so an der Wand anbringen will, dass er einmal rundherum läuft. Dazu benötige ich etwa vierzig Ausdrucke, die ich hier im Atelier machen werde. Ich habe vor sie in viele Steifen zu schneiden und an der Wand noch einmal eine Reihenfolge herzustellen, die etwas von dem fortlaufenden Fugencharakter hat, der auf der Transparentpapierrolle und auch innerhalb der täglichen Collagen anklingt.

Museumsarbeit

Gestern Museumsarbeit. Der Aufbau der Kartonskulptur war ganz schön anstrengend. Das liegt aber auch daran, dass die letzte Zeit viel Substanz gefordert hat. Auch die zwei Tage am vergangenen Wochenende, an denen ich mich um die Zwangsarbeiter-Gedenkausstellung gekümmert habe, fehlen mir als Erholungszeit.

In den letzten Tagen habe ich mir überlegt, eine gründlich angelegte Erinnerungsarbeit anzugehen. Bereits ab dem 21.11. dieses Jahres habe ich begonnen, mit Fotos zu Arbeiten, die aus meiner Kindheit stammen, habe sie in die täglichen Collagen eingebaut und spüre immer, wenn ich diese collagierten Bilder anschaue, eine eigenartige innere Erregung. Der würde ich gerne auf den Grund gehen, wenn es sein muss mit fachlicher Unterstützung.

Welche Arbeit daraus entstehen kann, weiß ich noch nicht. Vielleicht schlägt sie sich erneut auf dem großen Bild nieder, dass nun wieder eine Weile in einem Zustand verharrt, der nach einer Auflösung fragt. Immer mal dachte ich schon daran, in die Punktstruktur eine dokumentarische Botschaft zu verstecken, um das Geheimnis des Bildes vielschichtiger zu machen. Vielleicht könnte das etwas in der Art meines Einschulungsfotos sein.

Heute treffen mit den Kinderchen an der Straßenbahnhaltestelle, um gemeinsam ins Museum zu fahren. Es wäre mir angenehm, wenn mir jemand die Organisationsarbeit abnehmen würde. Immer noch fällt es mir schwer, Menschen einzuladen, zusammen zu bringen oder mich mit ihnen zu verabreden, neben dem ganzen Anderen.

Fenster

Die schönen Einladungskarten des Architekturmuseums musste ich leider von der Post abholen. So hatte ich aber die Gelegenheit auf der Frankenallee unter dem Fenster hindurch zu fahren. Mein Blick geht immer hinauf zu „meinem“ Fenster, von wo aus ich sechzehn Jahre lang die Jahreszeiten und die vorübereilenden Menschen beobachtete.

Nun hier im Atelier sind die Fensterscheiben in einer Höhe, dass ich nur im stehen auf die Strasse draußen blicken kann. Und was da vorübertreibt ist bei weitem nicht so vielfältig, wie auf der Allee. Allerdings ist es hier viel ruhiger, sieht man mal von den Zügen ab, die vielleicht etwa stündlich vorüber fahren.

Mein selbst gewähltes Eremitendasein hier ist manchmal etwas einsam. Besucher verirren sich selten in die entfernte Enklave. Ich kann aber anders zu mir und zur Konzentration kommen.

Im Baumarkt kaufte ich zehn Kartons zur möglichen Vervollständigung der Installation im Architekturmuseum. Ich bin sehr gespannt und etwas aufgeregt, wie alles ablaufen wird. Heute will ich das erste Material dorthin transportieren. Die vielen, vielen Dinge, die die Hindemithkinder gebaut haben werden nicht alle unterzubringen sein.

Warten

Das Warten. Unter dieser Überschrift stand der gestrige Tag. Am Morgen wollte ich in den Baumarkt fahren, um noch Kartons zu kaufen, die ich für die Installation im Architekturmuseum brauchen kann. Die zehn Kisten, die wir haben, reichen nicht für eine gigantische Architektur, wie sie angekündigt ist.

Als ich aber das Auto starten wollte, versagte es mir den Dienst. Es half nicht, dass ich unter die Motorhaube schaute. So rief ich den Verkehrsclub an, der mit einer Pannenhilfe solcherlei Dinge aus der Welt schaffen kann. Weil das Guthaben meines Mobiltetefons nicht für die Warteschleifen, in die man geschickt wird ausreichte, telefonierte ich mit dem Festnetzanschluss des benachbarten Restaurants. Weil sich aber zwei Stunden später der Rettungsengel dort meldete, um sich anzukündigen und der, der abnahm nichts von meinem Problem wusste, entstand ein missverständliches Vakuum. Wenig später, während ich in der Küche am Kochen war, kam der Pannenhelfer tatsächlich, fand mich aber nicht auf dem Gelände und fuhr wieder davon. Weil ich aber das Auto für meine Besorgung benötigte, rief ich gleich noch mal an. Man werde sehen, hieß es dann und bis zum späten Nachmittag kam niemand mehr.

Heute stand ich frühmorgens auf, telefonierte sofort mit meinem Handy und in weniger als zwanzig Minuten stand ein großer grauhaariger Helfer vor mir, freundlich, nachdenklich und erfahren. Der hörte sich mein Problem und den Klang des Autos beim Startvorgang an und wusste sofort, was der Auslöser war, erklärte es mir auch gleich und hinterließ mich glücklich mit meiner neuen Mobilität.

Besucher | Vorträge | Gespräche

Ein Ausnahmetag gestern, viele Gespräche über die Ausstellung zum Zwangsarbeitergedenken. Anlass, dass doch einige Leute gekommen sind, war auch, dass wir unsere Präsentation mit den Frankfurter Ateliertagen zusammengelegt hatten.

Das interessanteste Gespräch drehte sich um die Vererbung von Traumata, ihre Aufarbeitung in späteren Generationen und der Bezug zu persönlichem Verhalten.

Eine Praktikantin vom Kulturamt fotografierte und war beeindruckt von der künstlerischen Forschungsarbeit. Man könnte ja auch einfach ohne Bezug zum Ort, an dem man arbeitet Kunst machen…, meinte sie.

Nun habe ich wieder etwas mehr Zutrauen gewonnen. Eine Zwischenzeit ist zu Ende gegangen, in der ich vor allem hin und her gerissen war. Vieles klärt sich und führt hoffentlich in eine neue Produktivität.

So viel über meine Arbeit zu reden, hat mir gestern erstaunlich gut getan. Jetzt aber, kurz nach Sechs muss ich mir endlich was zu Essen kaufen, etwas frühstücken und dann den Tag beginnen.

Letzter Winkel

Mit den Hindemithkindern unternahmen wir eine Lasurmalerei, die Lichtflecken auf den letzten verbliebenen Maskenhintergrund setzen sollte. Es gelang uns nur recht und schlecht.

Gestern dann Ausstellungsaufbau

vom Wegsehen und Hinsehen.

vom Vergessen und Erinnern.

Der Besucherstrom war dann eher mäßig. Das liegt aber daran, dass ich kaum Werbung gemacht habe und dass wir hier wirklich im letzten Winkel arbeiten.

Nun denke ich schon an den Aufbau der Ausstellung im Architekturmuseum. Ich will morgen noch ein paar kleinere Kartons kaufen, in die wir noch weitere Exponate einbauen können, damit das Versprechen von der gigantischen Architektur nur annähernd erfüllt wird. Objekte sind genügend vorhanden.

NICHTS

Es gibt nichts zu berichten außer Leere.

Nacht und Tag, Schwarz und Grau und brüllende Stille.

Krishnababy zeigt ins Nichts.

Die Zeit ist ein Punkt.

Abdichten

Der Morgen im Atelier ist trüb. Noch in der Nacht funkelten Sterne, dann aber setzte sich der Hochnebel davor und filtert nun das wenige Licht in ein milchiges Grau. Grau die Pappen auf den Tischen, grau ist auch der Widerschein im Körper.

Am Morgen habe ich das östliche Tor abgedichtet, von außen die Ritzen mit Zeitungspapier von innen mit Styroporstreifen, die ich auf das Gesims und die größte Schlitze legte und beschwerte. So stieg die Temperatur schon leicht an. Nun kann ich die Heizung auch noch etwas hochdrehen. Der Winter kann also kommen.

Mein künstlerischer Output geht immer weiter zurück. Ich lenke mich ab mit Kaffeekochen und räume hier und da was herum, habe das Gefühl, zwischen allen Stühlen zu stehen, finde keinen Ort, an dem ich mich orientieren kann. Deswegen versuche ich häufig alleine zu sein, um zu einer Ruhe zu kommen, die aus mir entsteht.

Dazu kommen die Veranstaltungen die am Wochenende anstehen und in der nächsten und übernächsten Woche. Dann habe ich noch die Ausstellung im Architekturmuseum aufzubauen. In der Einladung wird von einer gigantischen Architektur gesprochen. Das setzt mich natürlich unter Zugzwang. Die Hindemithkinder müssen auch noch dort hin zum Aufbau orientiert werden.

Leporello

Wie in jedem Spätherbst warte ich nun darauf, dass die hereingenommenen Pflanzen teilweise ihre Sommerblätter abwerfen, um dann später wieder neue größere zu treiben, die das wenige Winterlicht besser ausnutzen können.

Gestern rief Helga an, um mir mitzuteilen, dass unser Leporello mit dem Titel:

vom Wegsehen und Hinsehen.

vom Vergessen und Erinnern.

Gedruckt und geliefert wurde. Ich bin dann gleich zu ihr hin, um vierhundert (!) mit ins Atelier zu nehmen. Mir gefällt seine Aufmachung und schlichte Farbigkeit sehr gut. Viele Bilder, viele Informationen über unsere Forschungen zum Zwangsarbeitergedenken an der Ackermannwiese.

Jetzt bin ich dabei, zu diesem Thema für die Frankfurter Ateliertage eine Werkstattausstellung zusammenzustellen. Aus meinem täglichen Arbeitsblog werde ich Blätter ausdrucken und mit den Ausgrabungsfunden auf Tischen zusammenstellen.

Der Leporello ist fast schon ein Werk.

Oleander | Sukkulenten | Maranta

Gestern begann ich zunächst die Regale einzurichten, die alle Pflanzkübel aufnehmen sollten, damit sie den Winter im Atelier zubringen können. Bei stetem Sonnenschein war das eine angenehme Arbeit. Dann aber holte ich alle Pflanzen herein und schnitt die meisten zurück. Das löst einerseits Platzprobleme, andererseits könne sie dann wieder neu austreiben. Da ich die Leitern weit hinauf musste, um die Gesimse über meinem westlichen Tor zu füllen, manche der Kübel wirklich schwer sind, hat das Ganze einen vollen Tag gedauert. Entsprechend froh bin ich nun, alles drinnen zu haben, auch die Zitronen- und Olivenbäume, den Oleander und alle Sukkulenten.

Am Abend kam dann Gerd mit einer weiteren großen Maranta, die ich auch noch unterbrachte und die auch noch zurück geschnitten werden muss. Dazu aber stellte er mir noch einen fast neuen Kühlschrank in meine Küche, den er nicht mehr benötigte. Sehr nett und Freundschaftlich, dass er an mich gedacht hat. Er steht nun auf meinem alten und wird vielleicht heute noch in Betrieb genommen.

Die gestrige Pflanzenaktion hat mich in meinem sowieso schon knappen Arbeitsplan zurückgeworfen. Am Sonnabend muss die Ausstellung aufgebaut sein und am Donnerstag und Freitag finden im selben Raum noch Workshops statt. Irgendwie werde ich das alles hinbekommen.

Gerade rief Helga an, dass unsere Flyer gekommen sind. Ich bin gespannt und freue mich!

Wintergarten

Gestern begann ich zunächst die Regale einzurichten, die alle Pflanzkübel aufnehmen sollten, damit sie den Winter im Atelier zubringen können. Bei stetem Sonnenschein war das eine angenehme Arbeit. Dann aber holte ich alle Pflanzen herein und schnitt die meisten zurück. Das löst einerseits Platzprobleme, andererseits könne sie dann wieder neu austreiben. Da ich die Leitern weit hinauf musste, um die Gesimse über meinem westlichen Tor zu füllen, manche der Kübel wirklich schwer sind, hat das Ganze einen vollen Tag gedauert. Entsprechend froh bin ich nun, alles drinnen zu haben, auch die Zitronen- und Olivenbäume, den Oleander und alle Sukkulenten.

Am Abend kam dann Gerd mit einer weiteren großen Maranta, die ich auch noch unterbrachte und die auch noch zurück geschnitten werden muss. Dazu aber stellte er mir noch einen fast neuen Kühlschrank in meine Küche, den er nicht mehr benötigte. Sehr nett und freundschaftlich, dass er an mich gedacht hat. Er steht nun auf meinem alten und wird vielleicht heute noch in Betrieb genommen.

Die gestrige Pflanzenaktion hat mich in meinem sowieso schon knappen Arbeitsplan zurückgeworfen. Am Sonnabend muss die Ausstellung aufgebaut sein und am Donnerstag und Freitag finden im selben Raum noch Workshops statt. Irgendwie werde ich das alles hinbekommen.

Gerade rief Helga an, dass unsere Flyer gekommen sind. Ich bin gespannt und freue mich!

Neue Linien

Die Sonne trifft auf meine ungeputzten Atelierfenster und macht sie fast blind. Im Seitenlicht fotografiere ich die Masken auf den Boxenhintergründen, wo sie durch die Schatten nun gut sichtbar hervortreten.

In den täglichen Collagen spielen Figurationen eine Rolle, die dadurch entstehen, dass ich mit einer Zeichenfeder voll Wasser über die verstrichenen und getrockneten Aquarellflächen gehe. Die so entstehenden Linien wische ich wieder mit dem Handballen aus. Eine helle Umrissfigur tritt hervor und bildet das Zentrum der Zeichnung.

Am morgen maß ich minus 0,3 °C bei meinen Pflanzen. Dies ist nun das Zeichen dafür, dass ich sie herein nehmen muss. Wie alle Jahre werde ich nun die Regale aufbauen, die Töpfe alle einzeln herein tragen, um sie im Licht vor den Fenstern zu platzieren. Die Prozedur ist anstrengend, aber nicht neu. Deswegen weiß ich, dass ich langsam herangehen kann und ohne Stress fertig werde, obwohl die Anzahl der Töpfe in jedem Jahr zunimmt.

Nun habe ich mir noch Material für ein großes festes Regal besorgt, das ich noch zusätzlich für die Pflanzen bauen kann. Heute schaffe ich das aber nicht und auch nicht mehr in den nächsten zwei Wochen.

Am Abend rief Gerd an, für dessen Kühlschrank ich mich interessiere. Wir wollen ihn heute am späten Nachmittag transportieren.

Stille hier

Die Einsamkeit eines Klosterweilers in einem abgeschiedenen Tal tauschte ich nun gegen die Stille in meinem Atelier. Im Rücken rauscht die Heizung, die den Raum immerhin mit einer Temperatur von nahe zwanzig Grad versorgt.

Den Kaffee aus meiner winzigen Espressomaschine mische ich mit warmer Milch, die ich mit einem Schneebesen schäume. Vielleicht sollte ich nach einem Milchschäumer schauen.

Auf der dieswöchigen Agenda stehen die Vorbereitungen der Vereinssitzung und der Ausstellungen hier in meiner Werkstatt am kommenden Wochenende und dann im Architekturmuseum. Das Hiersein ohne jegliche Termine und Verabredungen beschert mir die Gewissheit, dass ich diese Dinge alle schaffen kann und damit eine Ruhe derer ich so sehr bedarf.

Gestern Othello in der Oper Frankfurt. Es war etwas Besonderes für mich, mal wieder im Theater zu sein.

Per Post kam heute meine Internetbox, die am achten Dezember angeschlossen werden soll. Das wird meine Situation hier grundlegend verändern, worauf ich mich freue.

Klosterfragment

Die Mauerreste, die in dem kleinen Tal zu versinken scheinen, gehören teilweise zu Ofenanlagen mit großen Schornsteinen, die nun alleine, ohne den zu beheizenden Raum und somit ohne Funktion, herumstehen. Auch hohe Giebelwände und Mauern mit Spitzbögen hielten sich.

Irgendein Blau, das eher zu einem Schatten gehört leuchtet im milchigen Lichthimmel. Drei Katzen jagen sich und schreien, wenn sie sich gegenseitig beißen und die Krallen in die dichten Felle schlagen. Ansonsten sind sie scheu.

Die Landschaft als lieblich bezeichnen zu wollen, wäre falsch. Der Bach hat an einigen stellen schroffe Hänge geschaffen und durchfließt einen sumpfigen Grund. Wasser genug um Fischteiche anzulegen, die von Schilfgürteln umstanden sind.

Einsamkeit lockt mich – das ist meine asketische Seite. Nachdenken über mich im Verhältnis zu meiner sich wandelnden Umgebung geht nur in Einsamkeit.

Wer zieht da die Strippen, frage ich mich manchmal. Krishnababy, der auf Zeilen zeigt, die es zu bedenken gilt, fehlt mir hier noch.

Hintertaunus

Irgendwo im Hintertaunus in einem Ort, der auf keiner Karte verzeichnet ist, von den Navigationssystemen nicht gefunden wird und aus den Resten eines zerfallenen Klosters besteht, scheint mir in einer Dachkammer die Spätnachmittagssonne, kurz vor ihrem Untergang von der rechten Seite her auf den Rücken. Ich verbringe hier ein Wochenende und schlage aus dieser Einsamkeit eine Brücke in die Einsamkeit meines Ateliers.

Dunstige, lichtdurchflutete Landschaften laden zu Spaziergängen ein. Allenthalben liegen Äpfel auf den Wiesen.

Mich erinnert die Stimmung an Gerode, wo ich vor etwa vierzehn Tagen ein Ganescha – Glöckchen zum Zeichen, dort gewesen zu sein, anschlug. Da aber lag kein Obst auf den Wiesen, die Gärten schienen gut bestellt. Häuser sind aufwendig renoviert worden aber ansonsten wächst der Ort zu. Sicher ist es so gewollt, damit die Meditationen vor neugierigen Blicken geschützt sind.

Hier werden die Mauern aus Schieferplatten gebaut. Vielleicht sechs Höfe stehen beieinander, Katzen gibt es und Pferde. Die braunen Kühe auf der Wiese glotzen erstaunt und neugierig, wenn man sich ihnen nähert.

Workshops

Vor Sonnenaufgang am Schreibtisch. Habe im Atelier übernachtet und gefrühstückt, der Himmel ist noch ganz klar. Vielleicht bekomme ich noch etwas Sonne, bevor sich der graue Vorhang wieder schließt.

Ich halte mich an der Kreuzzugssequenz fest, um mir Ruhe zu verordnen. Ich möchte sie nicht ganz so dicht zeichnen, wie die vorige, möchte etwas mehr von den Strukturen sichtbar lassen.

Afterworkshop gestern mit Holzarbeit und zeichnerischen Versuchen. Andreas zeigte ich eine Portraitzeichnung von Max Uhlig und ermunterte ihn, mit lockeren Linien an die Abbildung eines Selbstportraits oder an die Zeichnung eines Gegenstandes heran zu gehen. Dabei benutzte er auch den neuen Brushpen, den wir kürzlich gekauft hatten.

Heute ist der Workshoptag 2. Die Hindemithkinder müssen nun auf den Termin im Architekturmuseum orientiert werden, das muss ich irgendwie vorbereiten. Ich muss Alexander dabei um Hilfe bitten. Aber zunächst wollen wir weiter mit den Masken arbeiten, sie in verschiedenen malerischen Strukturen auf den Hintergründen untergehen lassen. Vielleicht können wir auch Stäbe für die Vordergründe einfärben – mal sehn.

Nun hat sich doch die Sonne durchgesetzt!

Starräugig

Beschlagene Zifferblätter.

Bei dem, was ich sehe kommt mir sowieso nur das in den Sinn und in die Augen, was ich sehen will.

Baumaschinen donnern wir germanische Götter bei der Erschaffung der Welt oder wie Shiva bei einem seiner brutalen Tänze.

Sag der Notarin, wie du dich fühlst. Das kann sie dann aufschreiben, abstempeln und beglaubigen, jeden Tag starräugig aus deiner Seele vorlesend.

Echnaton geriet zweitausend Jahre in Vergessenheit, weil er keine Jünger und keine Nachfolger hatte. Dann tauchte die Büste der Nofretete auf, später die Existenz einer zweiten Partnerin, die vielleicht noch mehr Einfluss auf ihn hatte. Das Licht in der Hand.

Die Tage sind immer noch mild. Mir ist ein Gespräch angeboten worden, das ich gerne annehmen will. Die Pflanzen müssen wahrscheinlich noch nicht rein. Winter wartet erst mal.

Kreuzzugssequenz

Auf Rolle 6 begann ich auf der Grundlage einer Zeichnung, die eigentlich gar keine ist, eine neue Sequenz. Es handelt sich dabei um eine Bearbeitungsspur auf der Rückseite einer Monotypie vom 18.08. 1987. Damals arbeitete ich zum achthundertfünfzigjährigen Jubiläum des Zisterzienserklosters Bebenhausen an einer Serie zum Thema Kreuzzüge. Erkennbar ist eine Ritterfigur, die einen am Boden liegenden Feind mit einem großen Schwert zweiteilt. Verschlungene Linien und konstruktive Elemente begegnen sich dabei und bilden eine ganz gute Grundlage zum Weiterarbeiten.

In einem Telekommunikationsladen habe ich mir nun einen Internetanschluss für das Atelier bestellt. In den nächsten Tagen wird mir mitgeteilt, wann die Leitung gelegt wird. Dann wird alles einfacher und dann kann ich auch mit meiner Website umziehen.

Am Nachmittag im Atelier von Franz Konter zu Besuch. Kurzes, schönes Gespräch mit ihm. Er macht Texte, von denen er mir einen in Buchform gab, der den Titel „Auf & Zu“ trägt. Der Inhalt ist konsequent, radikal und weist eine formale Kontinuität des Nichtendenwollens ohne Anfang auf. Die Abschnitte sind herausgegriffen aus seinem Bewusstseinsstrom.

Abends im Atelier. Wir hörten laut und genussvoll Musik und arbeiteten alle an unseren eigenen Dingen. Maj an ihrer Holzfigur, Julia an Zeichnungen, die mit Erinnerung zutun haben und ich an meiner Kreuzzugssequenz auf der Transparentpapierrolle. Ein netter Abend.