Kraftfeld | Mehldau

Das Ornament der zwei überlagerten Figuren auf dem Dreiecksformat begann ich gestern mit Tinte auf einem größeren Transparentpapier so anzulegen, dass eine größere Fläche von den ineinander greifenden Wiederholungen bedeckt wird. Die Wirkung der Ausbreitung des Motivs in alle drei Richtungen soll auf diese Weise überprüft werden. Außerdem soll untersuchbar werden, welches Potential zur Auffindung von neuen Figuren vorhanden ist. Der Respekt vor der Arbeit mit Jugendlichen, deren Sensorium womöglich noch nie in solcher Weise gefordert worden ist, spornt mich dazu an, die Arbeit gründlich vorzubereiten. Sicher sind manche von ihnen schon den verschlungenen Ornamenten des islamischen Bildkanons in den Moscheen begegnet und hatten die Gelegenheit während der Predigt des Imams den Geflechten mit dem Blick zu folgen.

Manchmal denke ich dass der Austausch der Figuren innerhalb der fortlaufenden Arbeit nicht mit Brüchen, also dem Abbruch von Linien an Rand des Formates, einhergehen muss. Um das zu bewerkstelligen bedarf es eines vielfachen Arbeitsaufwandes, um die Übergänge gesondert zu modellieren und abzuformen. Ich muss sehen wie das Ganze abläuft und muss in dieser Woche beginnen, den ersten 1:1 Entwurf zu zeichnen.

In der Alten Oper spielte gestern der Jazzpianist Brad Mehldau mit seinem Trio. Birgit und Oliver haben vor zehn Jahren schon ein Konzert von ihm in Vancouver gehört, zu der Zeit, als wir sie dort besuchten. Das gestrige Konzert war von der Frankfurter Jazzgemeinde gut besucht – ausverkauftes Haus. Ich glaube, dass ein Konzert dieses Musikers ein Weltereignis darstellt. Seit zehn Jahren haben wir immer mal Platten von ihm gekauft, so dass wir schon ein wenig darüber unterrichtet waren, was uns erwartet. Die Form seiner Improvisation überzeugte mich am meisten, wenn sie sich sparsamer in abstraktere Gefilde begab. Wie bei Bill Forsythe eine Arabeske umtanzt wird und ihre Abwesenheit dadurch zu einer qualitativ neuen Anwesenheit führt, werden die Klangideen unter Auslassung der vorgegebenen Akkorde umspielt. Somit wird das Verschwinden eines Motivs auf den Kopf gestellt. Ein kontrapunktischer Vorgang. Die konzentrierte Dynamik der Abstimmung unter den Musikern führte zu einem ernsthaften Spaß. Dem Publikum wurde für seine Aufmerksamkeit und den Applaus mit zwei Zugaben gedankt.

Pflanzen

Wolken treiben schnell nach Osten vorbei. Die schwarzen Baumgestalten tanzen vor einer fahlen Dämmerbeleuchtung ruckartig zurückfedernde Pirouetten in einem kräftigen Wind. Manchmal fliegen noch ein paar Samen am Fenster vorüber.

Als vor etwa zwei Jahren der Pflanzbehälter meiner Birke von einem Windstoß mitsamt dem Bäumchen von einem Tisch gefegt wurde und zerbrach, setzte ich sie kurzerhand in die Erde, die sich vor meinem Atelier angesammelt hatte. Weil aber zwischen der Außenwand und dem betonierten Platz ein Spalt von der Dicke meines kleinen Fingers mit Erde angefüllt ist, Befürchtete ich, dass genau dort die Birke ihre Wurzeln hineintreiben wird. Deshalb machte ich mich daran, mit einer Spitzhacke einen kleinen Suchgraben auszuheben, um nachschauen zu können, ob Grund für meine Befürchtung besteht. Ich fand mehrere Wurzelstränge die sich parallel zur Wand spannten, und schon an einigen Stellen in den Zwischenraum gegriffen hatten. Nun war die Spitzhacke das geeignete Werkzeug, um mit der Metallspitze unter die Holzstränge zu fahren und sie dann mit der Hebelkraft des langen Stiels zu zerreißen.

Einige der Sukkulenten, die ich für den Winter mit ins Atelier genommen habe, machen einerseits Anstalten, ihre aufwendigen Blüten zu treiben, um sich dann aller Erfahrung nach von Leben zu trennen. Neu ist allerdings, dass sie Luftwurzeln treiben. Da sie sich in einer Höhe befinden von der aus sie keine Chance haben den Boden zu erreichen, ohne vorher zu vertrocknen, komme ich ihnen mit kleinen Pflanzschälchen entgegen. Die fülle ich mit feuchter Erde und befestige sie weiter oben im Geäst der Pflanzen. Auch die anderen Bewohner meines mobilen Gartens versorge ich mit frischer Erde, und puste ihnen ab und zu etwas Nebel zwischen ihre feinen Blätter und Gespinste.

Auch am Hang wende ich mich zunehmend, weil ich über die Jahre hin mehr Gelegenheit zur Beobachtung hatte, den Veränderungen durch  Wachstum zu. Es gibt da die Welt der Moose, die in dieser kühlen Jahreszeit an Pracht und Reichtum gewinnt. Die Kissen der Miniaturwälder liegen da, wie Archipele im Fichtennadelmeer. So bieten sie sich als Gegenstände meiner Gestaltung dar, und ich nehme das Angebot an.

Transparentpapierkulissen

Schach in Addis Abeba. Vinzenz berichtet, dass er dort mit einem befreundeten Schauspieler einen Film dreht. Ihn interessiert dabei die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Olafur Eliasson kritisiert seine Arbeit. Das wird ihm helfen und genau das braucht er jetzt auch. Ich bin nicht mehr der Gesprächspartner, der ihn entscheidend weiterbringen kann. Gleich nach seiner Rückkehr im Dezember wird er für ein paar Performances nach New York fahren und dort die Kunstszene studieren. Mit meinem GPS kommt er nicht zurecht. Die Software ist mit seinem Mac nicht kompatibel.

Gestern bin ich schon am Vormittag in den Taunus gezogen, um an meinem Hang zu arbeiten. Kein Mensch war in der nebligen Welt unterwegs. Oben am Ende, auf der neuen Lichtung baute ich an der großen runden Stabarchitektur weiter, indem ich das vom Holzeinschlag zerborstene Material aufhob und in das Geflecht schob. Gleichzeitig räume ich in dieser Weise den Platz auf. Dadurch ist nun auch sichtbar, in welchem Raster die jungen Buchen gesetzt wurden, die noch nicht höher als einen Dreiviertelmeter sind. Dort wo der Pfad der zwei Hirschkühe auf die Lichtung einmündet, bilden sie eine kleine Allee. Aus der monochromen Stimmung leuchten die Schnittflächen der Baumstümpfe unangenehm hell heraus. Ihre Präsenz stört den Klang der Lichtung, wie ich ihn gestalten möchte. Weil mich die hellen Flecken störten, deckte ich vier vom ihnen mit Grassoden ab, die durch das Schleifen der Baumstämme aus der Erde gerissen worden sind. Am Spiralweg machte ich senkrecht von oben eine kreisförmig verwischte Aufnahme, wie ich überhaupt viel fotografierte. Die dunklen Gestalten vor dem lichten Nebel und die Transparentpapierkulissen zwischen den Stämmen. Außerdem kümmerte ich mich um die Sichtbarkeit des Weges, indem ich alle Fichtenzapfen beiseite kickte. Auch Äste und Steine lege ich auf die Seite. An manchen Stellen markiert sich  durch dieses Material deutlich eine seitliche Begrenzung. Dort ist es reizvoll das schmale Gebilde am Boden auszuweiten und kleine Plätze beispielsweise um Moosinseln zu schaffen. Diese Minimalaktionen haben eine veränderte Ausstrahlung der Orte zur Folge. Fast wirken sie intensiver als die größeren Installationen. Durch die Weichheit der Linien, der Glätte des Bodens und der Einheitlichkeit der Fichtennadeln, harmonisieren sie.

Ornamente und Lasuren

Tröstliches Marktlicht erleuchtet das Backwerk des dicken Bäckers aus dem Osten. Eine neblige Nacht ist zu Ende – Lichtspuren zwischen dem Ahorngeäst. Die Krähen erheben sich weit in die Luftgefilde und die Kräne drehen sich hinter dem gestaffelten Lichtraum der Baumkronen. Sie errichten die Quader, die nun bald die manchmal in klaren Wintertagen durchschimmernde Taunushorizontlinie verdecken – Nachverdichtung der Stadtareale.

Gestern verband ich zwei Figurenzeichnungen auf einem Dreiecksornament miteinander. Es besteht aus dem Blutkreislauftorso und dem Kreuzstabträger. Nun habe ich die Dichte erreicht, wie ich sie mir in etwa vorstelle. Die bedeutendste Veränderung zum Kraftfeld von 2010 besteht darin, dass die einzelnen Motive dreimal wiederholt werden müssen, damit sie dreidimensional anschlussfähig sind. Dadurch wird mit einer weitaus geringeren Anzahl von Grundmotiven eine größere Dichte von Linien erzeugt. Das heißt, dass die Dreidimensionalität weniger Grundformen ermöglicht, was aber nicht zur Folge hat, dass weniger neue Figuren in den Liniengeflechten gefunden werden können.

Nun habe ich dieses Ornament noch nicht großflächiger ausprobiert, glaube aber, dass ich nun zu einem größeren Format übergehen kann. Dabei wird die Komposition sicherer. Dicht beieinander stehende Flächen können deutlich voneinander getrennt und spannungsvoll zueinander in Beziehung gesetzt werden und so weiter.

Dann warteten gestern Abend die großen Landschaften der Lasurmalerei auf kleinen Formaten. Sie besitzen die Tiefe, die die Technik erlaubt und strahlen in edler Farbigkeit. Mit M. komme ich so in einen gemeinsamen Produktionsrhythmus, der viele kleine Bilder mit Neuigkeiten nach sich zieht. Auch hierbei kann nun langsam das Format etwas vergrößert werden, damit wir zu einer neuen Qualität gelangen können. Neue Malgründe aus Sperrholz und Nessel wären angebracht.

Der Zusammenhang mit dem FRANKFURTER KRAFTFELD kann hier in der Bemalung der Reliefs liegen, die eine ähnliche Tiefe bekommen kann.

Krähendialog | Integrationspreis

Milchige Wände umgeben sparsame Szenarien. Der Nebel vor meinem Fenster schafft neue Räume. Jetzt kurz nach Acht befindet sich kaum ein Mensch auf der Strasse.

Gerade dachte ich an die Verwandtschaften der jetzigen dreidimensionalen, oder sich für die Dreidimensionalität eignenden Sequenzen mit dem zweidimensionalen Überlagerungen und Figurensequenzen der letzten Jahre. Interessant dabei ist, dass die Anordnung, die wegführt von den waagerechten Aneinanderreihungen und noch zwei Richtungen hinzunimmt, direkt in die Verwendungsmöglichkeit dreidimensionaler Ornament-Gestaltungen mit Anschlüssen mündet. Und bei diesen Gedanken kam ich auf die Idee, so etwas wie Abdruckstempel der einzelnen Figuren herzustellen, damit die Arbeit mit vielen Motiven unterschiedlicher Kombinationen etwas rationalisiert werden kann. Es gäbe mehr Gelegenheit, eine größere Anzahl von Kombinationen abzuformen.

Ein aufmerksamer Krähendialog an diesem Morgen. Irgendwann werde ich meine Blinkzeichen mit einem Futterangebot kombinieren müssen. Ich könnte jeweils nach dem Blinken etwas Brot auf die Balkonbrüstung zur Straße hin legen.

Für den Abend hatte ich eine Einladung zu einem Empfang im Römer aus Anlass der Verleihung des Integrationspreises der Stadt Frankfurt. Ich wurde während der Veranstaltung den Gedanken nicht los, dass sich viele der eingeladenen Menschen, deren Familien eingewandert waren, mit dem Vorgang der Integration nicht abfinden wollen. Der Überdruss ist spürbar und die Hinwendung zu anderen Identifikationszusammenhängen. Religionsgruppen, äußere Erscheinung, die sich in Kleidung festmacht und der Rückfall in die Sprache der Regionen aus denen sie gekommen sind, sind solche Anzeichen. Sehr gut kann man das bei den Günesleuten beobachten.

Zeichnerischer Prozess klärt Prinzip

Neben den Tagebuchzeichnungen am Morgen, zeichnete ich an dem System vom FRANKFURTER KRAFTFELD weiter. Noch bin ich nicht bei der Originalgröße angelangt und zeichne Übergänge von Motiven auf Dreiecken, die nach allen drei Seiten Anschluss haben.

Eines dieser Dreiecke ist nun in der Lage, vervielfältigt eine Fläche aber auch einen Raum aus Dreieckgittern anschlussfähig zu füllen. Dreidimensionalität mit einem Dreiecksmotiv habe ich also erreicht, indem ich den Kreuzstabträger in drei Richtungen jeweils halb und die andere Hälfte Kopf stehend zeichnete.

Das Selbe machte ich mit einem kleinen Torso, dessen Schädeldach durch eine Blutleitung mit einem seiner Armstümpfe verbunden ist. Die überlagerten Schläuche bilden in der Mitte des Dreiecks ein Rad eines Blutkreislaufes mit Speichen.

Als Übergang hatte ich ein Dreieck zu zeichnen, das Jeweils nur aus den Hälften der Figuren bestand. Wenn es zwischen die anderen zwei Dreiecke positioniert wird, hat es nur teilweise zu allen drei Seiten hin Anschluss seiner Linien. Es bildet den wichtigen Bruch zwischen den Zusammenballungen gleicher Kacheln. Um eine Spannung bruchlos hinzubekommen, bedarf es weiterer Studien. Wahrscheinlich ist das nur mit einem weiteren Aufwand an modellierten einzelnen Platten machbar.

Der zeichnerische Prozess klärte bislang nur das Prinzip, mit dem die Gestaltung nun fortgeführt werden kann. Gültige Motive lassen sich erst aus Zeichnungen in Originalgröße herstellen. Trotz aller kompositorischen Notwendigkeiten, die eine Spannung erhalten sollen, müssen die Flächen etwas gleichmäßiger gefüllt werden, damit im Anschluss neue Figuren aus einem größeren Linienangebot gefunden werden können. Das heißt aber, dass letztlich eine Kachel mit mehreren verschiedenen Figuren angefüllt sein muss. Das bedeutet, dass ich mich der Lösung nur langsam nähere.

Fragestellungen weiterentwickeln

Im Atelier fand ich gestern eine Variante einer fortlaufenden Ornamentfläche mit zwei Figuren jeweils dreifach abgebildet und jeweils einmal geteilt auf einer Dreiecksfläche. Somit habe ich also das Prinzip, mit einem Dreieck und seinen universellen Anschlüssen an allen drei Seiten ein fortlaufendes Muster in drei Richtungen herstellen zu können, gefunden. Damit bin ich der dreidimensionalen Lösung näher gekommen. Auf der letzten Strecke der Suche nach des Rätsels Lösung und nach seinem tatsächlichen Funktionieren, war mir der Vorgang plötzlich bei weitem nicht mehr so interessant, wie am Anfang der Fragestellung. Eine neue Frage muss also her. Diese stellt sich nun mit der Einrichtung der Originalgrößen der Figuren und Seitenlängen der Dreiecke. Was dann auf Holz übertragen und modelliert wird.

Noch einmal zieht es mich in die Raffaelausstellung. Seine Zeichnungen habe viel mit meinen derzeitigen Arbeitsgängen zutun. Die Schritte, die ich mache, haben manchmal ein Design zur Folge, das als Zwischenergebnis etwas schwach daher kommt. Manchmal hilft dann ein Materialwechsel.

Meine allgemeine Arbeitssituation hat sich in den letzten zwei Jahren stark aufgesplittert. Diese Splitter alle zu einem Arbeitsergebnis zusammen zu fügen, wird mir kaum gelingen. Das Streben danach wirkt sogar manchmal kontraproduktiv. Die Waldarbeit am Hang kann ich kaum für das Frankfurter Kraftfeld instrumentalisieren. Die zweckgebundenen Begehungen waren eine Drehung zuviel. Diesen Faden kann ich vielleicht in anderen Zusammenhängen wieder aufnehmen.

Lärm und Sanftheit

Im Nebel besuchten wir die obere Lichtung am Hang. Das große und kompakte Holzobjekt steht noch recht stabil etwas am Rand der frei geschlagenen und von mir aufgeräumten Fläche. Es beherrscht diesen Platz mit seiner raumgreifenden Präsenz. Je mehr vom allgemeinen Forstchaos geordnet und zur Seite geräumt wird, umso mehr Geltung bekommt es. Die noch herumliegenden Äste werden in den nächsten Jahren ihre Nadeln und die kleinen Ästchen verlieren, so dass ich sie dann auch für den weiteren Bau benutzen kann. Ich hoffe nur, dass bei dem bevorstehenden großen Holzeinschlag nicht zu viele Schäden an den Objekten entstehen. Auf anderen Wegen stiegen wir zur oberen Kante des mittleren Drittels hinab. Zwischen den Kristallgruben verliert sich der sichtbare Pfad für eine Zeit, führt dann aber hinter der Spirale gut sichtbar zum Steinhaufen. An manchen hellen Kristallsteinen, die ich in Augenhöhe platziert hatte hingen Wassertropfen, mischte sich Kristallines mir Flüssigem. Der Pfad ist auf verschiedene Weise sanft. Zum einen ist sein Untergrund durchweg weich und andererseits gibt es keine abrupten Wendungen sondern nur dynamische Schwünge, Kreise und Hyperbeln. Nur die Gesträuche haben eine ruppige Ausstrahlung.

Herr Stadelmeier von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat über die Inszenierung von „Des Teufels General“, die wir am vergangenen Freitag gesehen hatten, einen gewitzten Verriss geschrieben. Er mochte nichts davon, nicht den Text, nicht die Schauspieler und schon gar nicht die Regie und das Bühnenbild. Alles war Ihm zu schlecht. In diesen Texten leuchtet oft die Freude an der Bösartigkeit auf. Kunstfeinde könnten sich damit schenkelklopfend amüsieren. Auch ansonsten wird es immer lauter. Damit wächst mein Verlangen nach innerer Einkehr nach Stille, die ich am ehesten im Wald finde.

Seelenspritzmaschine

Eine Fahrt in den Osten gestern. Weil ich etwas zu früh zu einer Verabredung dran war, bog ich von der Straße ab, um nachzuschauen, was von den Fabrikarchitekturen meiner Lehrzeit übrig geblieben ist. Wo einst der VEB Gummikombinat Thüringen stand, ist nun ein moderner Rohgummibetrieb entstanden. Von den alten Hallen sind oft nur noch Fundamente geblieben. Ich erinnere mich aber an die Werksstraßen, die von niedrigen stinkenden Hallen gesäumt waren, in denen das Proletariat unter gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeitete. In den finsteren Katakomben des damaligen Rohbetriebes, stiegen rußgeschwärzte Arbeiter herum, die Kautschuk, Ruß und Chemikalien in die Trichter der großen Extruder warfen, woraus der Rohgummi entstand, der für alle Artikel, die dort hergestellt wurden das Grundmaterial war.

Eine der weiterverarbeitenden Werkzeuge war die Seelenspritzmaschine, mit der die schwarzen Seelen der Gummischläuche hergestellt wurden. Der Arbeiter, der sie bediente hieß Endrich und sah aus, wie aus einem Film der Zwanzigerjahre. Er trug einen fein gestutzten Oberlippenbart und lichte, pomadisierte Haare. Das Traumteam waren er und Margit, die ihm gleich nach seiner Maschine das Liebste war. Während er auf großen mit der Hand drehbaren Tellern die gespritzten Seelen in Form einer großen Spirale aufwickelte, dabei schlüpfrige Lieder sang, fütterte Martina verträumt den Trichter mit Rohgummi. Der hing wie Fleisch beim Metzger an einem Haken, wurde mit einem Messer in Streifen geschnitten um ihn dann langsam in den Schneckengang der sich drehenden heißen Maschine gleiten zu lassen. Der spannendste Moment war der, wenn der angefüllte Teller mit einem leeren ausgetauscht werden musste. Die volle schwere und im Durchmesser etwa zwei Meter große Scheibe wurde wie ein Kuchenblech in ein bereitstehendes Regal geschoben, worauf gleich das neue und leere aus dem Regal auf die Nabe eines Drehkreuzes gewuchtet wurde. Das musste schnell und mit viel Schwung passieren, weil die Spritzmaschine nicht angehalten werden konnte.

Nun sind fast nur noch die Fundamente da. Sie aber jagten mir einen Schauder über den Rücken, einen Schauder der Finsternis.

Spuren Performance | Zuckmayer

Besuch einer Dame in meinem Atelier, die mich mit einer Performance beauftragen will, die mit meinen Wanderungsspuren zutun hat. Ich werde dabei die Zuschauer mit einbeziehen und sie zu den eigentlichen Akteuren machen. Das geschieht mittels eines Weges über den ich sie schicke und der aus einer Lage Papier und einem mit Druckfarbe eingewalzten Stück kräftiger Folie besteht. Somit schaffen sie mit ihrem Gang ein Stück Monotypie ihrer Spuren. Maja hat mir den Kontakt geschaffen, wofür ich ihr sehr dankbar bin.

Carl Zuckmayer, dem wir schon im erinnernden Stolz der Niersteiner am Rhein begegnet sind, ist nun in Frankfurt mit seinem Stück „Des Teufels General“ präsent. Es hatte in den Kammerspielen des Schauspiels Premiere. Es war eine strenge Inszenierung, die in einem unifarbenen dunkelgrauen Raum spielte, dessen spärliches Licht einiges an Konzentration vom Zuschauer verlangte. In der Straßenbahn dachte ich auf dem Heimweg darüber nach, warum sie dieses Stück jetzt auf den Spielplan gesetzt haben. Dabei fiel mir auf, dass das Problem, für wen ich meine Fähigkeiten einsetze, für welches System, für welche Partei oder Organisation immer gegenwärtig ist. Mir kam es aktuell wie eine Parabel auf das Tun der Hasardeure auf dem Finanzmarkt vor, die von ihrer Gier und der ihrer Auftraggeber angestachelt Milliarden verzocken, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen.

Kraftfeld Personalkarussell | Lasuren auf Landschaften

Im Atelier widmete ich mich wieder den Sequenzen des Frankfurter Kraftfeldes. Wie gestern vorgedacht und aufgeschrieben, setzte ich die Figurenensembles innerhalb eines Dreiecks in den drei um einhundertzwanzig Grad gedrehten Winkeln passgenau übereinander. Das tat ich mit beiden Figurenkombinationen innerhalb des Parallelogramms mit dem Kreuzstabträger, dem orientalischen Zauberer mit seinem kleinen Reittier und dem geharnischten Engel. So komme ich nun doch einer Lösung mit nur einem Dreieck wieder näher, weil ich beide Sequenzen eines Parallelogramms auch übereinander gezeichnet in der vorher beschriebenen Weise passgenau drehen kann. Weil Das „Personal“ bei dieser Arbeitsweise noch einmal reduziert werden muss, habe ich mir Veränderungen der Motive überlegt, wobei eine weggelassene Figur immer von einer neuen ersetzt wird. Das bedeutet zwar einen Mehraufwand beim Modellieren, bedeutet aber auch gleichzeitig, dass die Jugendlichen, die mir dabei assistieren, auch genügend zutun haben werden. Dafür habe ich alle Motive schon vorzubereiten und den Prozess, nach hinten offen zu gestalten. Dabei muss ich noch mal über die Reliefgrößen nachdenken, in denen ich viele Figuren unterbringen kann. Jetzt sollte ich langsam damit beginnen, zu modellieren, Formen zu gießen um sie mit Pappmache auszuformen. Dabei möchte ich mit anderem Material arbeiten, als zuvor. Es gibt ein Pulver, das mit bisher immer zu teuer war. Das hat vor Jahren schon immer Hartmut Bonk benutzte. Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, wo ich es auch benutzen kann.

Bevor am Abend Maj zur Lasurmalerei kam, kramte ich meine alten Druckfarben aus Dresden wieder heraus. Ich habe heute Nachmittag eine kleine Präsentation für eine Aktion, die mir Maja vermittelt hatte. Dabei geht es um Abdrücke von Fußsohlen…

Beim Lasieren nahm ich mir die durchgetrockneten Formate vom vergangenen Donnerstag vor und sprengselte die Lasuren etwas wild auf die bewegte Oberfläche, die dem Luftbild einer Landschaft ähnelt. Oben sieht man etwas vergrößert ein Ergebnis, in dem das Farbenspiel des Lichtnebels vom vergangenen Mittwoch am Hang zu aufzuleuchten scheint.

Lichtspiel am Pfad der Hirschkühe

Schaut man vom Vordertaunus zwischen die Nebel- und Wolkenschicht, scheint Frankfurt verschwunden zu sein. Die Vision des Verschwindens: auf einer leergefegten Landschaft mit Wäldern und Sümpfen entstehen die neuen Kreationen. So kann ich bei der Rückfahrt vom Hang, azyklisch im Gegenlicht der das zu Hause suchenden Scheinwerfer abschweifen.

Während der Hinfahrt lösten sich die Nebel just auf der Höhe meines Weges auf. Wo sich das Kegelsegment des Kleinen Feldberges in weitem Bogen nach Norden wendet, spielte das Licht mit den sich auflösenden Nebelbänken großes Theater. Schnell herabfallende Bäusche aus Wassertröpfchen bildeten den Projektionsraum für die Strahlenbündel, die flach durch die Baumkronen drangen. Vor solchen Auftritten des Abendlichtes sah ich mein Waldstück selten, fotografierte einiges, wohl wissend, dass diese Stimmung nicht wiedergegeben werden kann.

Der Untere Bereich des Weges geht nun eine Beziehung mit den langsamen Veränderungsprozessen des Waldes ein. Er hat stellenweise schon das Aussehen, eines über lange Zeit entstandenen Pfades. Die Moose an seinem Rand fassen ihn wachsend oder zurückweichend ein. Mit meinem Wissen um diesen Raum erweitert sich mein Blick. Oft ist es mir möglich zweihundert Meter voraus zu schauen, um das Streckenverhältnis zu den Installationen weiter oben zu erleben. Dieser Überblick erlaubt es mir nun bewusster zu komponieren.

Öfter denke ich über die Grenzen zwischen Kulturlandschaft und Natur nach. Der stetige Renaturierungsversuch, die Eigenreparatur des Waldes trifft aus meine sanfte Pflege. Der Pfad ist teilweise gewunden, reagiert kontrapunktisch auf Ereignisse außerhalb meines Tuns, dadurch entstehen Abzweigungen, Buchten und Einbeziehungen von Räumen um benachbarte Bäume herum.

Die Lichtung habe ich weiter aufgeräumt. Der sie kreuzende Pfad der Hirschkühe wird wieder begangen. Er war Richtschnur der Gestaltung und wurde von mir nach dem Holzeinschlag wieder freigeräumt..

Entwurfsarbeit Frankfurter Kraftfeld

Das Zeichnen gestern im Atelier galt den Dreiecksfigurensequenzen. Korrekt und planvoll setzte ich die Dreiecksseitenlänge der Entwurfsformate mit den Abständen der sich wiederholenden Figuren gleich. Somit konnte ich die aneinander zu reihenden Umrissfiguren nun in einigem Abstand und somit nur an einigen Stellen überlagernd zeichnen. Mit Blick auf die kommenden Verflechtungen und deren Verdichtung, hatte ich das Motivmaterial auf den Streifen noch locker verteilt. Es gibt in Eintragungen der näheren Vergangenheit Beschreibungen der neun Figuren, die ich auf den drei Sequenzen verarbeite.

Ich könnte mich also nun auf die Suche nach einem Suchbegriff begeben, um diese Texte in der Datei zu finden, die Labyrinthe der Erinnerung an das Denken abgehen – schon gefunden, indem ich das Wort Pierrot eingab, gelangte ich zum zwanzigsten Oktober. Dort beschrieb ich den Pierrot mit spitzer Mütze, die geharnischte Engelsfigur und den tanzenden chinesischen Hüter der Zeit. Am einundzwanzigsten folgten dann der König, aus dem seine Vasallen wachsen, Herakles der Schwertmann und der Hirschmann mit dem großen Geweih. Die dritte Sequenz folgte am dreiundzwanzigsten Oktober mit der orientalischen Zaubererfigur mit kleinem Reittier, dem Kreuzstabträger und der ornamental aufgespalteten Figur.

Gestern habe ich einige der Motive zugunsten der folgenden Schichtungsarbeit etwas vereinfacht. Es folgte die Überlagerung der drei Streifen auf einem eingerichteten Dreiecksgitterraster, jeweils einhundertzwanzig Grad geschwenkt. Das eigentliche Grundformat der sich wiederholenden Streifen und der Raum in dem sich eine Sequenz abspielt ist das Parallelogramm aus zwei gleichseitigen Dreiecken bestehend. Es erwies sich, dass dieses Format nach den Überlagerungen alle Motive so in sich aufnimmt, dass sie nach allen drei Seiten hin Anschlüsse finden. Somit ist nun die erste Lösung gefunden. Jetzt können weitere Anordnungen durchgespielt werden. Ich bin mir sicher, dass ich damit in die Dreidimensionalität eintreten kann. Gleichzeitig ergeben sich neue Fragen nach der Drehung und weiteren universellen Anschlussfähigkeit der Dreiecke an allen Seiten. Ein und dasselbe Figurenensemble könnte in verschiedenen Richtungen überlagert und verschiedene Ansätze kombiniert werden.

In Kombination der Anregungen durch die kreisende Suchzeichnung zur „Sixtinischen Madonna“ von Raffael und dem „Counterpoint Tool“ von „Syncronus Objects“ grabe ich mit der afrikanischen Holzhaarnadel Linien unter die Tagebuchzeichnungen (s.0.).

Krishnababy | Kraftfeld | Lasuren

Meine Bronzefigur von Krishnababy ist so groß, dass ich sie gerade so mit meiner Hand umfassen kann. Dabei schauen allerdings sein Kopf mit dem kronenartigen Schmuck und die Hand mit der er die Butterkugel hält heraus. Ich weiß nicht so genau, ob er sie mir nun schenken oder sie behalten will. Die Blickrichtung und die Haltung sind eher abwägend. Er entdeckt gerade den Wert eines Geschenks und was es mit dem Geben auf sich hat. Die Figur steht zwischen einer Lasurmalerei der letzten Woche und einem weiteren Versuch, mich dem Frankfurter Kraftfeld auf Transparentpapier zu nähern.

Stetig bewegt sich das auf Neuland, entdecke ich Denkfehler, will aber gleichzeitig den Prozess nicht mathematisch abkürzen. Die drei Dreifigurensequenzen müssen noch einmal exakter gezeichnet werden, indem  die Dreieckseinteilung mit Bleistift unter die Federzeichnung gelegt wird, damit die gleichmäßige Verteilung der Figuren in einem geeigneten Wiederholungsmodus stattfindet. Ein entscheidender Denkfehler war wahrscheinlich, dass mit einem einzigen Dreiecksmotiv anschlussfähige, aufeinander folgende Sequenzen zusammengestellt werden können. Wie viele Einzelreliefs modelliert und abgeformt werden müssen, durchschaue ich noch nicht. Es könnten vier oder sechs sein. Ich werde das erst kapieren, wenn ich daran weiter gezeichnet habe.

In den Lichtkegeln des Ateliers, aber auch jetzt an frühen Morgen am Schreibtisch ist während der Dunkelheit draußen konzentrierteres Arbeiten möglich. Jetzt spüre ich den klaren Sternenhimmel in meinem Rücken, die Durchstiche des Orion über dem Südbalkon.

In Hans Zitkos „Kunstwelt“ las ich das Kapitel über „das Museum des neunzehnten Jahrhunderts“ und begann mit der „Genese des Kunstwissens“. Alles lässt sich leicht auf mein Berufsverhalten übertragen. Die Unabhängigkeit vom Kunstmarkt ist dabei mein höchstes Gut. Das Ausweichen in den kunstweltfreien Waldraum ist eine Konsequenz. Dieser Schritt vereinigt einige Befreiungen: die vom beschränkten Raum, die von der Konkurrenz der Kunstwelt und die von Anforderungen eines Galeristen. Meine Empfindungen dort mittendrin können mit denen von Krishnababy verglichen werden. Ungeschützt steht im Wald etwas, was ich in zwei Jahren geschaffen habe und ist  gleichzeitig  an den, der vorbei kommt ein Geschenk. Es hat das Potential eines neu geschaffenen Weges, der in Zukunft auch benutzt wird, aus welchen Gründen auch immer.

Raffael | Liebermann

Im Städelmuseum sahen wir gestern die Zeichnungen von Raffael. Großflächig tapezierte Vergrößerungen von Zeichnungen und Fresken, reichlich Videomaterial und Audioguides begleiten die ausgestellten Werke des Meisters, die in sich schon so dicht sind, dass man sich auch ohne das Zusatzmaterial ausführlich mit ihnen beschäftigen kann. Oft sind Vorder- und Rückseiten der Blätter mit Zeichnungen versehen, denn das Material war wertvoll. Feder, Tusche, Silberstift, Rötel und Kohle waren die Materialien. Was mir wirklich neu war, sind die Kompositionslinien, die Raffael mit einer Metallspitze vor dem eigentlichen Zeichnen in das Papier gegraben hat. Diese Linien sind aber nicht mit Schraffuren hervorgehoben worden, sonder sollten nach der Arbeit möglichst nicht erscheinen. Zu sehen sind sie tatsächlich nur, wenn man die Blätter in sehr flaches Seitenlicht hält. Die Suche nach dem Zusammenspiel von Figurengruppen, Architektur und Raum zugunsten eines erzählerischen Stils ist gut zu verfolgen. Ganz besonders interessant sind dabei Korrekturen und Überlagerungen, weil sie den Prozess noch deutlicher machen. Eine schnell entstandene, mit kreisenden Linien hingeworfene Skizze der Sixtinischen Madonna, sieht fast aus wie eine Entwurfszeichnung zu den Figurinen des „Triadischen Balletts“ von Oskar Schlemmer. Raffael hat seine Figuren immer als Aktfiguren entworfen und sie erst danach bekleidet. So gibt es eine Reiterfigur, die sich und das Tier wendet. Mit dem Rückenakt wird die ganze Geschichte der Begegnung zwischen Attila und dem Papst erzählt, der ein Heer zur Umkehr zwingt. Danach bekommt dieser hervorragend suchend gezeichnete Rückenakt einen Harnisch verpasst. Nur noch die hervorschauenden Glieder erzählen nun in der Malerei noch von der Anstrengung einer Körperwindung. Das ist ein Beispiel für die Gründlichkeit, mit der die großen Aufträge vorbereitet wurden.

Danach sahen wir noch ein paar impressionistische Bilder der Sammlung, die mich deswegen interessieren, weil meine derzeitigen Versuche den impressionistischen Gestus in die Lasurmalerei zu transportieren. In dieser Umgebung stieß ich auf ein Bild von Liebermann. Es zeigt den Hof des Waisenhauses in Amsterdam. In Cochi erinnerte ich mich auf einem Schulhof an dieses Bild, bei dem die Lichtflecke, die durch die Baumkronen auf die Figuren den Boden und an die Wände fallen, die wichtigste Rolle spielen.

Waldbewegungsarten | Jone San Martin

Die Quergräben, die der Weg in rechtem Winkel kreuzt könnte ich an dieser Stelle überspannen oder auffüllen. Letzteres würde der Begehbarkeit dienen. Man müsste nicht mehr hinauf und hinab steigen. Eine stabile Traverse würde aber viel Arbeit machen und dennoch federnd nachgeben. Dahinter befinden sich zwei der ersten größeren Installationen, die aus gebogenen angelehnten Ästen bestehen. Kleine Hölzer sind im oberen Bereich quer eingeflochten. Die Diagonaltendenz dieser Beiden, die irgendwann zum Einsturz oder zur Verwandlung in einen Stapel führt, ist noch nicht so groß. Wenn es eintritt, korrigiere ich es gleich, indem ich den Standort der Stangen verändere, sie wieder senkrecht stelle ohne ihre Eingeflochtenheit weiter oben zu berühren. Dadurch beginnen die Hölzer langsam um den Baumstamm herum zu laufen und das ganze Geflecht mit. Dies ist die zweite Bewegungsart, die neben der Diagonalbewegung existiert und im Zusammenspiel mit der Gravitation nur meinen Eingriffen folgt. Zwischen diesen zwei alten Bekannten und der Steinplatte, die den eigentlichen Anfang des Weges markiert, steht noch ein vielfüßiges Tier, eine Verästelung, die ich auf ihre Beine gestellt habe. Ich hüte mich davor dieses Teil weiter auszubauen, weil jede Hinzufügung, die den Charakter unterstützt, eine zu weitgehende Illustration dessen böte, was sich hinter dem Fragment befindet. Möglich wäre nur, mit einer Überbauung das Bild zugunsten anderer Möglichkeiten zu löschen.

Rechts und Links von der Steinplatte, die ich immer vor und nach dem Hang Gang betrete, liegen seit etwa einem halben Jahr zwei kleine unscheinbare weiße Steinchen. Dort beginnt der Pfad deutlich hervor zu treten. Ich pflege ihn, indem ich alle auffälligen Gegenstände, die auf ihm liegen mit den Füßen beiseite schiebe. Im unteren Teil, wo der Boden in erster Linie aus Fichtennadeln besteht, geht das besonders gut. Weiter oben im Gras ist das etwas schwieriger.

„Study # 3“ gestern im Lab. Das Material, aus dem der Abend besteht ist beständig, gleichzeitig aber verletzlich. Ich habe das Gefühl, dass in Sekunden ganze Lebensabschnitte ablaufen. Das personifiziert sich selbst dann, wenn Jone San Martin nur neben der leichten Schräge auf einem Podest sitzt und ihren Kollegen zuschaut. In meinem Hirn sind alle Erinnerungen ihrer Figuren Begegnungen, die hintereinander einen Raum bespielen. Mit ihren Erinnerungen, die noch in der lässigsten Haltung hervor scheinen, ergibt das eine Akkumulation, die sich spiralförmig steigert. Sie Ist das Highlight dieser Abende und strahlt umso mehr in der perfekten Umgebung der hin und her spiegelnden Company.

Hang | Vorspiel | Bach

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gibt es heute eine Kritik zur aktuellen Forsythepremiere, die wir heute Abend sehen werden. Die Company tanzt „Study * 3“. Es besteht aus Fragmenten von siebenundzwanzig älteren Stücken, die der Meister selber zusammenkopiert hat. Ein Erinnerungsstück also. Manchmal wünsche ich mir, dass von den getanzten Figuren mehr übrig bleibt, als die Erinnerung in meinem Kopf. Es gibt ja ein paar Installationen oder Spuren, wie bei „Human Writes“  Manches, das bei You Tube im Netz auftaucht, ist abwegig weit entfernt von dem, was ein solcher Abend bietet.

Auf der Autobahn hörte ich gestern ein wunderbares Klavierkonzert von Bach, dessen zweiter Satz so todtraurig war, dass ich vergaß Gas zu geben. Es war die Rückfahrt von meinem gestrigen Hang Gang.

Endlich hatte ich es wieder geschafft, Zeit dafür zu reservieren. Eine länger andauernde Abstinenz, wie in den letzten drei Wochen, führt zu eigenartigen Ängsten, dass am Wegesrand viel zerstört sein könnte.

Mittlerweile parke ich das Auto an einer Stelle, an der ich schon vom Autositz aus die ersten großen Installationen sehen kann. Als nächstes erklimme ich die kleine steile Böschung neben der Strasse, die schon deutliche Fußspuren von den Hirschen, von mir und von meinen Gästen aufweist. Ich bilde mir ein, dass mein Weg über weite Teile mit dem Pfad der Hirschkühe identisch ist, die ich bei meinem Gang mit M. aufgescheucht habe. Der erste kleine Stapel aus sehr dünnen Zweigen folgt gleich hinter der Böschung in einer kleinen Birke. Dort fand ich vor ein paar Wochen ein Zeichen von Mitgestaltern, das ich nun etwas stabilisieren musste, damit es nicht mit anderen Zweigen abrutscht. Im weiteren Verlauf schlängelt sich der Weg durch eine Ansammlung von großen abgeschnittenen Ästen, mit denen ich einen Eingang wie mit Walknochen geschaffen habe. Etwas innuitartig das Ganze. Durch diese angedeutete Höhlung gelangt man an drei Gräben, die überwunden werden müssen, um zum eigentlichen Startpunkt zu gelangen. Bis dahin war alles nur Vorspiel, in dem aber schon die meisten Themen anklangen.

Lichtraum | Rollstrukturmalerei

Noch einmal Raum. Ich Stelle mir vor, mit drei Assistenten mit jeweils einem Spiegel an einem sonnigen Tag im öffentlichen Stadtraum unterwegs zu sein. Von ihnen sollen die Sonnenstrahlen geleitet werden, zunächst von Spiegel zu Spiegel zu Spiegel. Dabei nimmt die Intensität des Lichtes ab. Unter der Verwendung von Linsen kann sich das anders gestalten. Ein physikalischer Versuchsaufbau, bei dem die Spiegel beweglich auf Stative montiert werden. Die täglichen Lichtstände, von der Drehung der Erde ausgelöst, können in ihren verschiedenen Wirkungen betrachtet werden. Dieses einfache Experiment gewinnt durch seine Installation an verschiedenen Orten an Vielfalt der Einsichten. Eine der geeigneten Stellen wäre der Rossmarkt. Zusätzlich zu den Stativen mit Spiegeln sollten Klappstühle mitgenommen werden und Notizblöcke. Auf ihnen kann man schriftlich festhalten, in welcher Weise sich Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Statur etc. im lichtumgrenzten, dreieckigen Raum bewegen. Eine weitere Station kann am Hang im Taunus errichtet werden – ganz anders. Zu untersuchen wäre außerdem, welche Möglichkeiten der Projektion sich ergäben und welche Nähe zu physikalischen Untersuchungen hergestellt werden kann. Daraus ergibt sich dann die Spielstruktur: Licht, Raum und Bewegung.

ROLLSTRUKTUREN. Am Abend habe ich Dicke weiße Farbe fleckenweise mit einer Gummirolle auf einer grundierten Fläche verteilt. Die daraus entstehenden Rollstrukturen lasierte ich einerseits mit Acryllasuren in Blau und Rot. Die Arbeitsweise, immer wieder dazwischen neue zufällige Weißspuren zu rollen, und die zwei Lasurfarben mit häufigen Schelllacklasuren zwischendurch abzusperren, aber auch gelblicher einzufärben, erzeugt impressionistische Effekte. Durch die häufigen Schichtungen gewannen die vier kleinen Formate an Räumlichkeit. Die ersten Weißhöhungen gelangten weit in den Hintergrund, blieben aber dennoch gut sichtbar.

Für meine Verhältnisse war ich ewig nicht am Hang. Das könnte ich heute nachholen. Jetzt im dämmernden Zweilichts des Erwachens, sind alle Wetter möglich.

Stadtraumlicht

Frühzeitig wird es dunkel. Auch tagsüber ist das eigentliche Wetter nicht mehr klar auszumachen. Jetzt ist schon vollständige Nacht, obwohl es erst gegen sechs Uhr ist. Die Schnelligkeit, mit der die Stunden der Helligkeit weniger wurden, nimmt nun ab. Schon ist wieder der Stillstand dieser Entwicklung zu ahnen. Das ist das adventliche Gefühl, das sich mit der Gewissheit der sich regelmäßig auf und ab bewegenden Lichtamplituden verbindet.

Während eines Gespräches mit einer Theaterpädagogin, sprach ich gestern spontan über Ideen, die ich mit moderner Theaterarbeit verbinde. Mir ginge es um Raumerkundungen in der Stadt, um Experimente mir neuen Medien, der Eroberung des Stadtraumes und der Besetzung anderer Räume mit Ideen.

Vögel | Sammeln

Son Pont. Die Windrichtung drehte von West auf Nordost. Die Schatten der Wolken wandern von mir weg, um die Form der Landschaft in die Zukunft hinein zu schreiben. Die Terrassen und Straßen, Gehöfte und Felder sind von einer gewissen Kleinteiligkeit. Man kann diese Maßverhältnisse und Größen als menschlich bezeichnen. Viele der historisierenden neuen Bauten, wahren diese Maßverhältnisse aber nicht mehr. Das Design verrät Geld, aber kein Stilbewußtsein.

An den Kieselstränden such ich fädelbares Material. Dabei nehme ich die der Natur inne liegende Vielfalt der Form auf. Diese gespeicherten Bilder lassen sich dann wieder aufrufen. Werden durch Vergleich mit Ähnlichem wieder hervorgeholt. Die Verdichtung dieser räumlichen und far blichen Erlebnisse, gehen mit dem Gedanken einher, dass nach der akribischen Sammlung und Ordnung dieser Dinge noch etwas anderes kommt – nämlich die individuelle Interpretation, die eigenen Erfahrungsmustern folgt. Ich will mich ein wenig mehr um die geschichtlichen Dimensionen der Romantik kümmern.

Schon flog ein kleiner Vogel gegen eine der Scheiben, die in die Flügeltüren zur Terrasse eingelassen sind. Wenn sie durch den Kamin kommen, ist da auch noch eine feste Glastür mit Metallrahmen vor der Feuerstelle. Wann die Invasion hereinbricht, weiß keiner.

Ich schaue mir die Gesteinschichten an und will dabei wissen, ob sie vulkanischem oder sedimentiertem Ursprung sind. Die Schichtungen enthalten die Aufzeichnungen der Erdzeitalter. Ihre Verwitterungsformen lassen oft keine schnellen Schlüsse zu. Manchmal wünschte ich mir, mehr von Geologie zu verstehen. Die Farbigkeit reicht von kreidigem Weiß über lichten Ocker bis hin zu sattem Englischrot.

Meine Steinsammlungen beeinflussen die Struktur meiner Zeichnungen. Das Sammeln bedeutet eine Art Naturstudium, wie beim Auffädeln von Steinen am Strand. Daraus entstehen Kompositionsideen, Farbzusammenstellungen lagern sich ab und füllen das Reservoir der Möglichkeiten.

Orte mit einem Klang

Den vollständigen Tag war ich damit beschäftigt, die Datei des Arbeitstagebuches auf ihren Stand zu bringen. Man könnte einwenden, dass das Tagebuch einer Urlaubsreise nicht zu dieser Kategorie gehört. Beim näheren Hinsehen allerdings, erweisen sich die Beobachtungen sehr wohl als arbeitsrelevant, und völlig unnötig wäre eine Unterbrechung des Rituals, eher schädlich, wie Sand im Getriebe. Allerdings forderte es von mir eine gewisse Überwindung von morgens vor Acht bis abends vor Acht am Schreibtisch zu sitzen, die Texte zu verändern und Bilder zusammenzustellen, zu erfinden und zu bearbeiten.

Was mich immer wieder überrascht, sind gefundene Beschreibungen alltäglicher Vorgänge, die während der genauen Beobachtung in einzelne Szenen zerlegt werden, die immer Raum für Vergleiche und Einzelinterpretationen bieten. Und es entstehen dabei auch die Fragen nach der Bedeutung eines bestimmten Lichtes für mich, wie jetzt Gelb leuchtendes, von der Frühsonne angestrahltes Restlaub vor den dunklen Wolkenschatten oder Himmelsräumen. Was bedeutet der Lichtwechsel zu einem Braungrau vor lichtem Blau – Fragen von Perspektiven, Schattenwürfen, von Wellen und ihren Interferenzen. Stimmen die Schwingungen des Lichtes mit denen der Stimmungen überein, verstärken sich also, oder nivellieren sie sich bei hundertprozentiger Verschiebung gegeneinander. Dieser rationale Ansatz lässt natürlich die vielen anderen kleinen Beeinflussungen außer Acht. Was ist schon die Kategorie Stimmung und deren Bezeichnung wert. Das gilt auch für ein Bild. Es entzieht sich einer klaren Bewertung.

Mit der Zeichnung ist es da schon etwas einfacher. Jedenfalls mit der von Tusche und Bleistift. Auch in den Raum gezeichnete Linien haben ihre Klarheit. Mit meinen Tagebuchzeichnungen ist es nicht so. Sie wollen mehr und verwandeln sich in gemalte Miniaturen. Wenn sie schon in ihrer täglichen Regelmäßigkeit auftreten, soll es ihnen auch zugestanden sein.

Am Abend nahm ich die gestimmte Gitarre und probierte ein paar alte Griffe. Eine nicht unwesentliche Rolle dabei spielen die Erinnerungen an Orte die mit ihren Verbindungswegen wieder im Kopf entstehen. Die Wege in die Schule, in den Wald, am die Quellen und Teiche, zwischen die Buchen und auf die Wiesen. Das alles bekommt seinen Klang. In dem Mangel an Präzision dieser Bezeichnung liegt der kreative Raum – die Chance

Kriegsmenschen | Kunstmenschen

Jetzt schwimmen apricotfarbene Korallenmuscheln im blassen Morgenozean. Von den Rändern her rücken aber schon kompakte Festländer heran, deren Ränder lediglich noch leuchten. Ihre Bäuche drohen stählern mit Finsternis. Oben weit in den Wipfeln warten die Ringeltauben auf die ersten Wärmewellen, so sie denn kommen.

Eigentlich wollte ich zu Hause gleich frisch mit den Reliefs beginnen. Zunächst aber gibt es das Tagebuch nachzuarbeiten, wozu ich am Familienwochenende natürlich nicht gekommen bin.

Im Computerstream sahen wir gestern Nikis Film „Rommel“. Er zeichnete tatsächlich ein sehr differenziertes Bild dieses Kriegsmenschen. Sportlich wird mit Leben und Tod umgegangen, der zu tötende Gegner wird geachtet, all diese fatalen Irrationalitäten blitzen auf. Die Ermordung von unbewaffneten Zivilisten erzeugt Skrupel, während ihm aber kurz danach an ganzen Straßengräben voller Stukaopfern keine Regung unterläuft. Auch ein etwas stümperhafter schmächtiger Zeichner namens Hitler tritt auf. Nikis Blicke in die Vergangenheit sind oft in Fragen gekleidet, die die unberechenbaren Untiefen der menschlichen Handlungsweisen ausloten wollen. So deuten sich die Schicksale vieler Figuren als Bänder an, die miteinander verflochten, die unendliche Kombinationsmöglichkeiten von Reaktionen hervorrufen. Ein solches Geflecht herzustellen und es wieder zu entflechten, um es verständlich zu machen, verbindet unsere Arbeitsweisen. Vielleicht treffen meine Geschichten aber tiefer in die Befindlichkeiten der Betrachter, weil sie eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten hervorrufen.

Kasper König ist nun am Ende seines langen Abschieds vom Museum Ludwig angekommen. Ein Interview an seinem letzten Bürotag spricht er von der Kunstbetriebsamkeit, die das Werk etwas in den Hintergrund drängt. Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich in sein Büro im Städel gekommen bin, wo er mich Okwui Enwezor für deine Documenta vorschlug. Ich habe diese Hinwendung zu meiner Arbeit nicht weiter ernsthaft verfolgt, weil das nicht meiner Art entsprach, mir auch zu mühsam vorkam. In der Rückschau erweisen sich diese Zögerlichkeiten als richtig und meiner Person entsprechend.

Reisealter

Wenn es die Deutsche Demokratische Republik noch geben würde, und ich wäre auch dort geblieben, dann ginge ich so langsam auf mein „Reisealter“ zu. Ich dürfte ohne jeden Pfennig als fünfundsechzigjähriger Rentner in den Westen reisen. Dort wäre dann ein Unterkommen nur bei Verwandten und Freunden möglich gewesen. Vielleicht hätte ich mich auch, wie zu meinem dreißigsten Geburtstag in einer Metallstanzerei verdingen müssen. Oder ich wäre geblieben, umgesiedelt und hätte dann eine Westrente bekommen. Ich kann mir die unsägliche Wut im Bauch gar nicht vorstellen, die ich gehabt hätte, wenn ich dann, spät gesehen hätte, was mir alles vorenthalten worden ist.

Die flache Insel vor Mallorca kommt mir im den Sinn, ein unbewohntes Felseneiland.

Früher gab es nur die Ostsee, keine Felsen außer der weichen Kreide und ein paar Findlingen stemmte sich nichts gegen eine schwächliche Brandung. Gelegentliche Besucher aus dem Westen befragte ich nach der Felsenküste Kroatiens.

Gestern habe ich begonnen die Zeichnungen zu scannen, die ich in Mallorca gemacht habe und bin noch weit davon entfernt alle Arbeit aufgeholt zu haben

Kälter

Frankfurt. Nun hat sich die Situation vor meinem Fenster natürlich radikal verändert. Die Ahornbäume sehen mit ihren Blattresten in den Kronen gerupft aus, zerzaust und unentschieden – traurige Gestalten.

Auf dem Markt besprach ich mit M., nun langsam anzufangen, plastisch zu arbeiten. Sie hat zu Hause noch einen Zentner Ton, den sie alleine beim Töpfern nicht verarbeiten kann. Ich zeigte ihr die Serie „Floppy Disk“, die Reliefs mit Lasurmalerei verbindet. Für uns wäre das nun ein logischer nächster Schritt. Außerdem meinte ich, dass sie ihre getöpferten Stücke auch mit Abdrücken von ihren Fundstücken versehen könnte, die man dann lasieren kann.

Der anhaltende Regen ist die richtige Atmosphäre, das Tagebuch, das sich angestaut hat, nachzuarbeiten. Wieder liegen die drei Figurensequenzen mit den jeweils drei Figuren vor mir, mit denen ich mich nun weiter beschäftigen will. Immer weniger ratsam scheint es mir, die umständliche Methode, die auf der Wanderung erfragten Bilder als Material zu benutzen. Ich begebe mich damit wieder zu sehr in die Abhängigkeit von anderen, diene ihnen eher mit meiner Illustration.

aufgelöste Zeitkapseln | Luftbilder

Son Pont. Die Verschwindenden Gegenstände auf den Zeichnungsgründen, aufgelöste Zeitkapseln, nicht mehr bereit zur Reise in die anderen kommenden Räume – verklungen, aufgehoben, aufgelöst. Horizont verschwindet, Mittelmeer, unter mir Wolkenbänke, eine andere flachere Insel mit felsiger Küste. Felderformen, rote Erde, frisch gepflügt zwischen frischen Grün. An türkisfarbenen westlichen Rand der Insel eine ausgefranste Küste, dann Schaumkronen auf stählernem Blau.

Wir entfernen uns in die fest gefügte Realität unsres Winters. Dort löst sich nichts auf. Wetter wird gepresst und kristallin. Wir erwarten die Festigkeit des Frostes.

Eine Wanderung führte uns gestern von der Küste aus auf etwa vierhundert Meter Höhe mit Blick auf die Dracheninsel, die ihren Namen von der Märchenphantasie zugewiesen bekam. Unterwegs ein verlassenes Trapistenkloster, das ein neues Tonnengewölbe bekommt und auch ansonsten gepflegt wird. Segelboote flogen durch das aufgewühlte Meer.

Und nun deutlich das weiße gefaltete Band der Alpen hinter dem beeindruckenden Luftbild von Marseille an einer Küste mit eingeschnittenen Buchten. Noch liegt in den Bergen nicht so viel Schnee und die Gletscher mir ihren gefährlichen Spalten sind noch gut zu sehen. Manche Bergseen sind noch nicht zugefroren oder haben auf dem Eis keine Schneeschicht. Riesengroß erscheint das Gebirge von hier oben. Und tatsächlich haben wir bisher nur einen winzigen Teil erwandert. Das markante Matterhorn ist gut auszumachen. Doch dann geht das scharfkantige Geschehen in die graugrünen schwäbischen Rundungen über. Seen, von denen man eigentlich die Namen kennen müsste, bilden die Übergangsszenarien. Freilich – der Bodensee, von Wolken etwas überdeckt, die sich nun nach Norden hin noch weiter schließen werden.

Wechsellicht

Son Pont. Wartend, dass die Sonne über den Bergkamm kommt und auf meinen Schreibplatz draußen scheint, sitze ich drinnen, halte das Buch provisorisch auf meinem rechten Bein und schaue der Schrift zu, wie sie sich auf dem Papier fortbewegt, Worte und Sätze entstehen lässt, wie diesen.

Der Blick gleitet aber zwischendurch über den Teppich in Rottönen, mit sehr wenigen kleinen Tieren darauf, die schlichten Felsgravuren entsprungen sein könnten, wie ich sie in Jordanien in den ausgeschlagenen Höhlen von Petra, aber auch an den Felsen der Wadis sah. Bei Ihnen ging es um Ziegenherden, und so ist dies vielleicht ein Ziegenteppich, und er zeigt die, die uns manchmal am Straßenrand begegnen.

Ist mein Blick am Rand des Teppichs angelangt, der weich zum darauf Liegen einlädt, gibt es noch ein Stück rotockerfarbenen Kachelboden, bevor es die Stufe zum Türrahmen hinaufgeht, in den ein Türblatt mit sechs Glasscheiben eingelassen ist. Dort tritt nun das erste direkte Sonnenlicht herein, das auch den Schreibplatz wärmt.

Der alte Argentinier, der vormals der Verwalter war, schwärmte gerade von der Zeit nach dem regen, der nach dem trockenen Sommer folgt, der alles verbrannt hatte. Er holte mich zur Brüstung der Terrasse. Um mir die dunkle Erde zu zeigen, wie sie einen Kontrast zu dem Frischen Grün bildet. Er kam extra um das zu sehen herauf.

Flottillen weißer Sonnensegelboote, ziehen vor dem blauen Raum, die Sonne im Rücken Schatten auf mich werfend vorüber. Gezwitscher in den wilden Gesträuchen, die wegen fehlender Arbeitskraft nicht mehr beseitigt und von Ziergehölzen ersetzt werden. Für die Zeit seines Krähens füllt ein Hahn mit seinem Ruf das ganze Tal. Tiefschatten an den Hängen, Wechsellicht um all die Orchideen, die ihre Tröge schaukelnd den Insekten hinhalten, damit sie in die Falle tappen.

Vervollständigung | Traumverschachtelungen

Son Pont. Bei den Stücken, die ich am Strand auffädele, handelt es sich in allen Fällen um Fragmente von Muscheln, Krebsschalen oder Korallen. Vor allem die schneckenhausartigen Muschelschalen sind im Kopf leicht zu vervollständigen. Dieses Spiel verbindet sich mit der Suche nach dem Loch für den Faden.

Ich schlafe tief hier und kann am nächsten Morgen meine Träume rekonstruieren. Dabei war einer deswegen besonders, weil ich in ihm aufwachte und froh war, eine ärgerliche Begebenheit nur geträumt zu haben. Barbara aber bestätigte mir dass es die Geldstrafe, die es in Berlin wegen eines Verkehrsdelikts gegeben habe, wirklich war. Als ich erneut, diesmal in meinem Himmelbett aufwachte, war ich mir nicht ganz sicher, ob wir nun in Berlin gewesen waren oder nicht… Die Verschachtelungen und verschiedenen Pforten illustrieren die Möglichkeiten.

Über die Bergkette im Westen wälzen sich Regenwolken ins Tal. Sie werden in einer Weise durch sonnige Abschnitte unterbrochen, dass heftige schnelle Lichtwechsel auftreten. Regenbögen bekrönen die atmosphärischen Bilder. Auf welchen verschlungenen Wegen der Wind ins Tal fällt, lässt sich gut an den Baumkronen erkennen, die gezaust wie das Meer in der Ferne klingen.

Am erstaunlichsten sind die Bewegungen der Olivenbaumkronen, die in einem schillernden Kleid einen Tanz vollführen. Die schillernde Unterseite reflektiert dabei ein sich ständig wandelndes Volumen, während der Regen die schwarzen Früchte wäscht. Es könnten auch Haarschöpfe sein, die vom Wind gekämmt werden. Schleier um Schleier verhüllt wässernd die Landschaft und addiert das rauschende Geräusch. Ich warte darauf, dass es in den trockenen Bachbetten zu fließen beginnt.

Museen

Son Pont. Auf den großen Höfen der Nachbarschaft werden Feuer entzündet, die Rauch genug für das Ganze Tal ausbreiten. Mein eigener Schatten wird durch Reflektionen der Sonne in der Glastür an den gemauerten Pfeiler unseres schmiedeeisernen Tores geworfen. Oft bekommt man in dieser Landschaft Licht von verschiedenen Seiten. In den blühenden Büschen auf dem Anwesen pflückte ich einen Strauß für Barbaras Geburtstag.

Der insulare Herbstsommer wärmt uns. Weiter oben in den Bergen ist man gut beraten, warme Kleidung bei sich zu haben. In Valledemossa stimmte uns ein Pianist, der fünfmal am Tage dieselben Stücke auf einem auf einer Bühne drapierten Flügel spielt auf den Ort ein, an dem Chopin und George Sand zwei Monate eines Winters verbrachten, der mit seiner kalten Feuchtigkeit dem Komponisten in dieser Höhe den Rest gegeben haben muss.

Die holländische Verwalterin des Hofes, auf dem wir hier wohnen, hat uns die Räume des Schlösschens gezeigt, das der zum Malteserorden gehörende Padron im Sommer bewohnt. Die große hölzerne Olivenpresse stand als erstes auf dem Gelände. Um sie herum entstanden das erste Haus und dann die weiteren Gebäude. Die weiteren Räume sind unterschiedlichen Themen, wie der Familie, dem Glauben und dem Essen gewidmet. Sie sind reich mit Bildern und andren Kunstgegenständen ausstaffiert. Dabei herrscht ein wildes Durcheinander der Stilrichtungen. Ansonsten hat die Tradition immer etwas Waffenstarrendes und den Nachklang der Rekonquista. Terrassen, Turmzimmer und alter Reichtum auf eine faktische Leibeigenschaft gegründet, die bis in die Sechzigerjahre andauerte.

Dann machte ich einen Rundgang über das Land, das der Familie gehört. Ein Marsch von einer Stunde führte mich bei weitem nicht in alle Ecken des Besitzes. Ich erschloss mir nur den bebauten Bereich. Die nach den Sechziger Jahren von den Landarbeitern verlassenen Terrassenfelder durchstreifte ich nicht mehr. Der Tourismus veränderte die gesellschaftliche Struktur, weil nun in den Küchen und Zimmern der Hotels nicht mehr nur für Kost und Unterkunft gearbeitet wurde. Jeder konnte nun Geld verdienen. So wurden keine Lebensmittel mehr exportiert und die Strände wurden durch Bettenburgen verschandelt. Eine Kultur verformte sich.

Verwischte Landschaft

Son Pont. Wie besichtigten ein dreitausend Jahre alte Wohn- oder Kultstätte, gebaut aus großen hellen Steinen der Umgebung. Runde mehrstöckige Türme wurden aus tonnenschweren Blöcken übereinander geschichtet. Erklimmt man sie bis zu ihrer derzeitigen Höhe, so kann man das Meer sehen. In die andere Richtung geht der Blick weit über die Olivenebene bis hin zum Gebirge, an dessen Fuß wir wohnen. In einem der Türme befindet sich ein Spiralgang, der sich vom oberen Stockwerk in die Tiefe windet. Auf den oberen Plattformen sind Reste von Feuerbestattungen gefunden worden. Ich stelle mir die Rituale vor, die in den Gebäuden stattfanden, die unter unmenschlichen Anstrengungen errichtet worden sein müssen. Die Architektur bildet das Gerüst eines dramaturgischen Planes für sakrale Handlungen.

Auch wir werden auf dem Anwesen durch Architektur inszeniert. Es gibt da beispielsweise die große Freitreppe, die zur vergleichsweise kleinen Markise führt, in der wir wohnen. Dem großen Talkessel gegenüber erscheinen die Stufen nun allerdings wieder eher klein. Somit spielt sich das Empfinden beim Beschreiten zwischen Erhebung und Unterordnung ab. Der erhabene Anblick der Feldwände und das mühsame Tun des Gärtners weist uns unseren Platz zu.

Es wird einen sonnigen Morgen geben, an dem ich die nächsten Zeilen draußen schreiben kann. Es sind zwei Zeichnungen entstanden, bei denen ich die Landschaft vor der Terrasse verwendet und sie dann verwischt habe. Ich genieße das Verwischen der gegenständlichen Anklänge, sie vergehen zu lassen und so der Zeit vorauszueilen, indem ich die Zerstörung nicht als destruktives Werk erleben, sondern als Erschaffung einer neuen Plattform auf der neu und konkret konstruiert werden könnte. Erinnerungen an Buschwerk, wie ich es in den Siebziger- und Achtzigerjahren zeichnete. Ab und zu muss das, was sich in meinem Speicher befindet wieder aufgerufen und neu verknüpft werden.

Bilderprozession

Son Pont. Der Mond badete in milchigem Nebel und beleuchtete die Wolkenberge von oben. Die plastische Oberfläche lud zu Bilderspekulationen ein: Oskar Kokoschka auf dem Rücken liegend – Die Katze frisst die Maske auf – Liegender Buddha. Dazu natürlich eine Karawane, die der Prozession zur Arche Noah glich. Beim Wein aus einheimischer Produktion, direkt vom Nachbargut, der unsere Phantasie noch weiter anheizte, Verbrachten wir einen Langen Abend am weißen Metalltisch mit ornamental durchbrochener Tischplatte. Der erste Tag eines Urlaubs ist der verheißungsvollste. Deswegen ist er gut geeignet, ihn lange auszukosten, sich immer wieder zu ermuntern, die Müdigkeit abzuschütteln.

Die Wohnräume des Hofes sind schlossähnlich und ausgestattet wie ein Museum. Ein Spaziergang führte uns über die nördlichen Felder des Anwesens. Der alte argentinische Verwalter zeigte uns den alten Dreschplatz und berichtete von der Besiedlung des Ortes bereits durch die Römer und die Araber. Aus dieser Zeit stammt noch eine uralte Olivenpresse, um die herum dann erst die Gebäude gebaut worden sind. Wo damals. überall an den Hängen Felder von Landarbeitern gepflegt worden sind, stehen heute Pinienwälder, aus denen geheimnisvolle Stimmen zu hören sind, als unterhielten sich abertausende von Vögeln dort halblaut. Wispernde Verabredungen, die etwas Bedrohliches haben. Vielleicht sitzen sie morgen schon auf dem schmiedeeisernen Tor neben unseren Zimmern, auf der Brüstung der Terrasse und warten dort auf den Augenblick des Zeichens, in dem sie fremd schwärmend auffliegen und in Formationen angreifen. Ich will nachher noch einmal horchen, ob sie den Wald schon verlassen haben.

Son Pont

Son Pont. Wie Suchscheinwerfer gleiten die Sonnenstrahlen, die durch die Lücken der schnell ziehenden Wolken den Weg nach unten finden über das bergige Grün. Wie grüne Lampen leuchten Kiefern, Eukalyptusbäume und Oliven im Gegenlicht auf. Ein paar gestaffelte Bergkämme folgen einer Senke, die gleich hinter der Terrasse beginnt. Das Land ist locker bestanden mit Palmen und Oliven zwischen den Terrassenfeldern. Nur die Landschaft ist jetzt wichtig und der Wind, der die Oliven silbrig klingen lässt. Leiser Gesang der Vögel – Felsen schauen aufgeschichtet aus den bewachsenen Hügeln heraus, irgendwo meckert eine Ziege. Noch ganz benommen von der Stille, nimmt mich die Harmonie der Landschaft für sie ein. Fast möchte ich, dass die Pinien mit den von Meereswind gegen die Hügel treibenden Vogelschwärmen davon treiben können, damit sich nichts dem Frieden, dem ich anheim falle entgegenstellt.

Am vergangenen Wochenende in Nierstein fühlte ich mich schon in den Süden versetzt. Die Gesteinsfarbe der Brocken die überall zu Mauern aufgeschichtet sind, wird von lichtem Ocker beherrscht. Die lichten Gebäude heben sich von dem etwas bläulichen Bergflanken ab. Gegen all diese Romantik habe ich Zitkos „Kunstwelt“ mitgenommen.

Jetzt schon Nachmittagslicht auf dem Buch, ein paar Autos in der Ferne, einzeln ausmachbar. Das Licht macht die Schatten tiefer und die Farben satter. Seine Wärme erreicht meine rechte Körperseite.

Manche Stellen der Kiefernwälder sehen so verwischt aus, wie meine Zeichnungen. Das machen die fast waagerechten Schatten, die sie durch sich selber hindurch werfen. Oder er Wind kann die Konturen pustend nach Osten verschieben und dann auflösen. Die Tage sind etwas länger als in Frankfurt.

Energiezentrum im Fluchtpunkt


Noch in der Nacht schrieb ich am Tagebuch und hatte deswegen den gestrigen Vormittag dafür, den Rest der Pflanzen zurück zu schneiden und in die Regale vor dem westlichen Rolltor zu stellen. Das war der erste Schritt der Wintervorbereitungen in diesem Jahr. Als letztes werde ich noch dem Olivenbaum herein nehmen und das östliche Rolltor, wie in jedem Jahr, abdichten.

Am Nachmittag schlenderte ich, um Besorgungen zu machen, durch die Stadt. Bei dieser seltenen Begegnung mit der Frankfurter Innenstadt spüre ich meine Distanz zu ihr. Um diese bin ich froh, weil die Zusammenhänge, Wandlungen und die Möglichkeiten so besser zu erkennen sind.

Dann kann ich mich auch als Beobachter mit Abstand selber beobachten. Diese Selbstbezüglichkeit ist Teil des FRANKFURTER KRAFTFELDES.

Joey schreibt auf ihrer Weltreisenwebsite über Bangkok. Auch sie tigert durch die fremden Städte und kann nicht aufhören, sie gehend zu erkunden. Diesen Motor der Neugier kenne ich auch von mir.

Am Abend besuchten wir Lillys Premiere „Betty“, nach einem Roman von Georges Simenon, in der Box des Schauspiels Frankfurt. In ihr werden Traum- und Rauschsequenzen ineinander geschoben, die Reflektionen von Begebenheiten zeigen, die ein geheimes Gefühl umgeben. Die Preisgabe der Wahrheit liegt in einem Fluchtpunkt verborgen. Auf ihn laufen die Filmstreifen der aneinander gereihten Videobilder zu, überlagern sich dort und bilden das Geheimnis ab. Die verwischten Bilder des Übergangs vom Traum ins weiße Licht, sinken in das Unterbewusstsein und steuern das Leben am Tag. Das Bühnenbild mit den Videos erinnerte mich an meine verwischten Kulissenzeichnungen der letzten Tage.

Meine Sequenzen, die sich langsam verändern, laufen auch auf Punkte zu, in denen sie sich überlagern. Diese Konzentrationspunkte sind die Energiezentren des FRANKFURTER KRAFTFELDES. In der Skulptur sähe das so aus, dass sich dichte, weniger dichte und leere Dreiecke abwechseln.

Reliefs im Blick

Viel scheinbar Unaufschiebbares in zu wenig Zeit eingezwängt. Am späten Abend habe ich dennoch etwas mit den drei Figurensequenzen herumprobiert, um zu sehen, wo die nächsten Fehler auszumachen sind. Zunächst wollte ich mir darüber klar werden, ob sie in den richtigen Maßverhältnissen gezeichnet sind. Dabei bemerkte ich, dass es auf das Verhältnis vom Durchmesser der Rolle, die zum wiederholten Durchzeichnen der Motive benutzt wird, zur Kantenlänge der gleichseitigen Dreiecke ankommt. Gefühlsmäßig habe ich das im Fall der drei Sequenzen richtig eingerichtet. Bei der Weiterarbeit mit Vergrößerungen muss das allerdings noch wesentlich präziser werden.

Im nächsten Schritt ist zu überlegen, ob ich die Figuren im Originalmaßstab, also 1:1 entwerfe, um sie dann auf große Transparentpapierbögen als Sequenz zu übertragen. Das würde die Präzision schaffen, die als Vorlage für die Reliefs notwendig sein wird.

Noch bin ich nicht dazu gekommen, die Mail von Vinzenz zu beantworten, obwohl ich ihn gebeten hatte in Äthiopien GPS-Aufzeichnungen zu machen, um dann mit mir über diese Linien in Austausch zu treten.

Heute Abend hat Lilly mit „Betty“ Premiere, Morgen Abendworkshop mit Maj und Übermorgen Abflug vor dem Aufstehen.

Weil aber das Tempo immer mehr zunimmt, ist es nun gut, für ein paar Tage raus zu kommen. Blick aufs Mittelmeer…

Nach dem Kurzurlaub will ich mit dem Modellieren beginnen. Vielleicht kann ich den Einstieg für die Jugendlichen einfacher machen, wenn es schon Formen gibt, die sie mit Pappmache ausfüllen können. Somit können sie in verschiedene Phasen des Projektes einsteigen, wodurch die Arbeit etwas abwechslungsreicher wird. Außerdem haben sie dadurch einen besseren Überblick über den Verlauf der Arbeit.

Figurensequenz 3 | Schach

Gestohlen habe ich mir die Zeit für die dritte Figurensequenz des FRANKFURTER KRAFTFELDES. Die drei neuen Figuren sind der orientalische Zauberer mit seinem verpuppten Reittier zu seinen Füßen oder als seine Füße. Ihm fliegen ein paar Erinnerungen an Paisleymuster davon. Dem Zauberer folgt der gestikulierende Kreuzstabträger. Er ist ein Kentaur mit einem Barockmöbelunterkörper. Die dritte Figur ist mit einer fremden Kontur verbunden, die einerseits den Körper tief spaltet, andererseits aber die fehlenden Beine ersetzt. Alle drei durchdringen sich in der folgenden Überlagerung relativ gleichmäßig.

Nun kann ich ernsthaft beginnen, mit den Dreiecksmotiven zu arbeiten. Wenn sich die Figurensequenzbänder in die dritte Dimension dehnen, werden sich andere Überraschungen auftun und Möglichkeiten der Weiterverarbeitung. Ich bin froh, vor der Reise an diesem Arbeitsschritt angekommen zu sein. Weil sich ab jetzt trefflich spekulieren, ausprobieren und weiterdenken lässt, erhöht sich der Druck auf die Herstellung der Reliefdreiecke. Und wieder scheint der Startpunkt auf ein gutes Timing angewiesen zu sein. Ich erinnere mich, dass es beim ersten Kraftfeldrelief mit Vinzenz ähnlich spannend war.

Von ihm kam eine Mail mit einem Link auf den Blog des Institutes für Raumexperimente. Dort sieht man Vinzenz Schach spielend an einer Art ornamentiertem Brunnen sitzend inmitten von einheimischen Zuschauern. Auf einer Terrasse ist eine Buckminster – Fuller-Kuppel zu sehen, deren Dreiecke teilweise mit Sonnensegeln bespannt sind.

Offensichtlich ist die Klasse von Olafur Eliasson dort Gast der Kunsthochschule. Wo sie sich unter der exotischen Konstruktion Arbeiten der dortigen Studenten anschauen.

Ich habe gerade mein Projekt FRANKFURTER KRAFTFELD Simone und Abdessalam vom Internationalen Bund vorgestellt. Ich erzählte ihnen von den Voraussetzungen und versuchte sie von der längerfristigen Arbeit an einer gr0ßen Skulptur zu überzeugen, die Jahr für Jahr wächst und ergänzt wird. Das Entscheidende wird sein, wie ich die Jugendlichen für diese Arbeit motivieren kann.

Widerstand und Kubismus

Noch einmal sind wir in den Weinbergen am Roten Hang bei Nierstein unterwegs gewesen. Dort beginnt sich nun das Weinlaub zu verfärben. Ein Hochdruckgebiet machte den ganzen Raum warm und blau. Oft waren die Farben unwirklich. Wir versuchten uns in die Landschaftsmaler hinein zu versetzen, die angesichts der ineinander verschachtelten Hänge und Wirtschaftswege zu Kubisten werden müssten.

Auch von der Wasserfläche des Rheines aus wurde man von schräg unten beleuchtet und weiter erwärmt. Die Trauben, von denen viele noch an den Rebstöcken hängen, werden langsam bernsteinfarben. Das gesammelte und konzentrierte Licht des Sommers geht ins Bräunliche und die Süße, die dieser Farbe zugeordnet werden kann scheint die Zeit zu karamelisieren. Viele andere Spaziergänger schwelgten in diesem goldenen Oktober Trauben essend und in die weite des Stromes blickend, wie wir. An den Wegrändern liegen manchmal die verdrehten Reste alten Weinholzes, die an das Holz von bejahrten Olivenbäumen erinnert.

Gleich in der Nähe befindet sich die Autofähre, mit der man ins Hessische Ried von einem unspektakulären Rheinufer aus übersetzen kann. Somit haben wir nun einen einfacheren und kürzeren Autobahnweg in diese Gegend gefunden.

Am kommenden Freitag werden wir für eine kleine Woche ins Mittelmeer verreisen, um einen runden Geburtstag Barbara zu begehen. Ich muss daran denken, wie sich dieser Satz für mich vor vierzig Jahren angehört hätte. Das war noch vor dem Abitur. Alles schien festgefahren und zugenagelt zu sein. Ich war nur mit Widerstand beschäftigt und hatte dabei kaum Hoffnung auf Freiheit. Alle Strategien waren darauf ausgerichtet, das System, in dem ich lebte zu unterlaufen. Reste dieser Haltung sind immer noch im mir zurück geblieben. Im Auto diskutierten wir gestern über meinen Satz, dass Noten in der Schule nicht wichtig seien, und dass man nicht alle Spielregeln einer außer Rand und Band geratenen Eltern- und Lehrerschaft nicht mitmachen muss. Das denke ich mit Blick auf die Sachsenhäuser Bessermenschen – Gesellschaft.

FRANKFURTER KRAFTFELD, weitere Schritte

Während mein Gesicht noch im Schatten liegt, bekommt mein Haar schon Wärmewellen aus Sonnenlicht. Die ersten Blitze fahren über die Betonkante des Hauses, das im rechten Winkel das Quartier begrenzt, in meine Augen. Der großzügige Raum hinter den Häusern ist nur spärlich bebaut.

Während eine Hochzeitsgesellschaft auf Teves Bionade trank und sich gegenseitig mit meinem Einbaum fotografierte, zeichnete ich gestern an der zweiten Figurensequenz. Sie besteht aus dem König, an dessen Rohrenden immer neue Vasallen nachwachsen. Sein Volk wächst aus seinem Körper, wie die Knospen eines Rosenstocks. Die zweite Figur ist Herakles der Schwertmann, der statt Armen ein angewachsenes Schwert hat, das zwei längliche spitz zulaufende Durchbrüche besitzt. Er selbst scheint sich öfter damit verletzt zu haben, während „gelegentlicher Schläge gegen die Eigensubstanz“, wie sie in Müllers „Herakles II oder die Hydra“ beschrieben werden. Der Dritte im Bunde ist der Hirschmann mit großem Geweih. Ihm fliegt ein Baby zu, für das sein Körper einen Empfangsstutzen entwickelt und ausgefahren hat. So bekommt nun jede Figur im Nachhinein ihre Geschichte, die mir beim Zeichnen noch nicht klar war, die ich vielleicht nur geahnt hatte.

Die Lücken zwischen den überlagerten Formen sind nun etwas größer, und langsam sehe ich ein gut handhabbares Format vor mir, das ich bald modellieren kann. Dabei treffe ich wieder auf das Phänomen der kleinteiligen Überlagerungen, deren Rhythmen sich durch mehrmaliges Übereinanderzeichnen klären und zu funktionierenden Formenklastern zusammenwachsen. Der nächste Schritt sind dann weitere Dreiecke, bei denen sich das Figurenensemble langsam wandelt. Dabei fallen innerhalb der Sequenzen jeweils die Anfangsfiguren weg und neue kommen dafür hinzu.

Die Kantenlänge des gleichseitigen Dreiecks wird zwischen sechzig und neunzig Zentimetern liegen. Wie die Formenteile des Wien-Varanasi-Reliefs, kann ich dieses gut handhabbare Teil auf die Heizung stellen, damit das Pappmache schneller trocknet. Somit komme ich dann erst einmal zu einer Innenraumskulptur. Die Formate lassen sich auch zu einem größeren Wandbild zusammenstellen.

Figurensequenz | neuer Gesang

Eine fahle Morgenwärme, macht es möglich, auf dem Balkon den Rest der Sommermöbel in die Sonne zu rücken, das halbvoll geschriebene Tagebuch auf den Tropenholztisch aus Plantagenanbau zu legen, um schreibend den Geräuschen der Stadt lauschen zu können. Sie werden von einem kaum zu spürenden Südwind herangetragen, die schnarrenden Signale eines Baukranes, Hundegebell und der anhaltende Donner startender Maschinen. Fast wird es mir in meiner schwarzen Fleecejacke zu warm.

Im Atelier zeichnete ich eine neue Figurensequenz mit einer Pierrotfigur mit spitzer Mütze, einer geharnischten und von einem Riss durchzogenen Engelsfigur und dem tanzenden Hüter der chinesischen Tierkreises. Es entstand ein lockeres Geflecht, das sich dafür eignen soll, noch mit anderen Sequenzen diagonal überlagert zu werden. Diese Arbeiten muss ich gegen die Notwendigkeiten der Akquise durchsetzen, muss mir die Zeit dafür stehlen, auch die Konzentration und die Energie.

Die Blätter der Ahornbäume leuchten gelb, wärmen mit ihren Lichtwellenlängen das Raumbild. Elstern singen Stakkato in das Volumen der leichten Luftbewegung und den sonstigen Stillstand alles Vorherbestimmten.

Carola Schlüter gab gestern einen Liederabend, dessen Programm sie selber zusammengestellt hatte. Sie begann mit Zeitungsausschnitten op. 11 von Hanns Eisler. DADA und sozialistische Gedanken fügen sich in den kleinen Liedern zusammen und stellen auch eine Verbindung zu Brecht her. Es folgten weitere Vertreter der Neuen Musik von Schönberg bis Nikolaus A. Hübner.

Danach gingen wir mit Carola und Hans noch etwas trinken. Einen angenehmen Raum in der Innenstadt zu finden ist nicht ganz einfach. Aber die Gespräche mit den beiden geben und immer etwas Kraft und sollten öfter wiederholt oder fortgesetzt werden.

Die gestrige Figurensequenz bildete schon den Boden für die zwei weiteren. Die Zahlen Drei und Neun werden als Stützpfeiler ins Visier genommen. Nach der Dritten Sequenz wir eine weiterer entscheiden der Zwischenschritt folgen, ein erstes neues modelliertes Relief in Dreiecksform. Ich denke viel an Buckminster Fuller und Jasper Johns.

Romantischer Impuls

Im Lauf der Zeit, in der der Bäcker seine Waren auf dem Markt aus seinem Wagen heraus anbietet, hat sich seine Erscheinung verändert. Er ist aufgegangen, wie ein Gebäck im Ofen, glich sich gewissermaßen seinen Waren an. Diese leuchten in ihrem warmen Licht herüber bis auf meinen Schreibtisch. Somit ist der ganze Raum zwischen seiner Auslage und dem Ort meines Empfindens angefüllt mit der Vorstellung des Duftes und der Konsistenz der vielen verschiedenen Backwaren. Die Geschmacks-Kompositionen lösen wohlriechende Klänge aus. Sie bestehen beispielsweise aus Mohn in einem zu einer Spirale gelegten Teig und einem Zitronenaroma, das in der Zuckerglasur sitzt.

Schon beginnt sich ein Konzept zu etablieren, das diesen Raum mit einer musikalischen Vorstellung füllt, die auch die Farben und Gerüche der fallenden Blätter und das nervöse Hüpfen der Meisen im lichteren Geäst hörbar macht.

Der Impuls, all dies zu beschreiben und Strukturen für eigene Äußerungen daraus zu entwickeln, scheint mir eine gängige Arbeitsweise zu sein, die beispielsweise im Naturstudium der Romantik zu beobachten ist.

Ich weiß nicht genau, woher diese Selbstverpflichtung des Naturstudiums auf mich kam. Diese Art, sich mit der Natur in Verbindung zu setzen, habe ich etwa vor vierzig Jahren in Thüringen begonnen. Ich zog mit meinen Aquarellfarben und dem Block zwischen die Hügel und versuchte die Räume und deren Farben mit nach Hause zu nehmen. Später interessierten mich die Tristesse und die Pracht der Gärten. Gemeinsam mit dem Studium grafischer Techniken entstand ein Fundus von Sichtweisen, der durch die grafischen Ausdrucksmöglichkeiten bereichert wurde. Gleichzeitig konnte ich mich von der Natur entfernen und durch die neu gewonnenen Arbeitsstrukturen die inneren Landschaften beginnen aufzudecken. Nun bezeugt die Art des Umgangs mit dem Material die Haltungen zur Umgebung und entwickelte so erste bildnerische Höherpunkte meiner Arbeit.

In dieser Weise kann ich nun gleichsam in einem Waggon reisen, an dessen Fenster die Landschaften meiner Vergangenheit vorüberziehen, und dessen Geschwindigkeit und Richtung auf dem Zeitstrahl ich selbst bestimmen kann.

Sammlung

Das Treffen gestern machte deutlich, dass von all dem, was ich mir überlegt hatte, nichts benötigt wurde. Jedenfalls nicht für den Moment. Die Ausbildungsvorbereitungszustände sind sehr restriktiv und haben nichts mit mir zutun.

Am Nachmittag zeichnete ich im Atelier am FRANKFURTER KRAFTFELD weiter. Weil die Erfindung der Struktur eine schwierige Aufgabe ist, komme ich nur langsam voran. Und dieser Fortschritt hat meistens noch mit dem Aufdecken von Fehlern zutun. Einen wichtigen Punkt stellt die Dichte der Sequenzen dar. Diese, mit denen ich die Dreiecke bisher füllte, sind zu kompakt, um sie auch noch miteinander zu überlagern. Im nächsten Schritt werde ich mich also neuen Sequenzen mit weniger Figuren widmen.

In der Nacht überlegte ich ein Konzept für die Vermarktung meiner Transparentpapierzeichnungen und der dazugehörigen Objekte.

Die Form würde von Objektrahmen gefasst, in die man die Sequenzen hineinstellen kann. Durch den Abstand zwischen Glasscheibe und Rückwand, könnte man mehrere Zeichnungen hintereinander gruppieren, was der Transparenz zugute kommt. Die doppelwandigen Objekte mit gesammelten Artefakten können dazugeordnet werden, sodass eine kleine Installation in einem beschränkten Raum entstehen würde. Diese Kleinvitrinen nehmen den sammelnden Geist des neunzehnten Jahrhunderts auf und spielen zwischen den Sphären der Kunst und der Wissenschaft. Ein Jahr lang können beispielsweise zwölf Zeichnungen oder Objekte von Einzelpersonen gesammelt werden, die dann in vielen Variationen miteinander kombiniert in den Wohnungen hängen würden. Als Triptychon, in einer Petersburger Hängung oder auf verschiedene Räume verteilt, spiegeln sie die Intensität der Arbeit wieder. Außerdem ist es die Möglichkeit, die Verdichtung einer Sammlung auf kleinem Raum zu zeigen. Es handelt sich dabei um keine Edition, sondern um Originale. Alles hat einen intimen und privaten Charakter und somit seinen Preis.

Atmosphärischer Lichtraum

Das Erlebnis des natürlichen Lichtes liegt allem zugrunde, was wir mit Farben gestalten. Kurzfristig habe ich heute einen Gesprächstermin, in dem es um Berufsvorbereitung für Jugendliche gehen soll. Tatsächlich fällt mir dazu das sinnliche Erleben der Atmosphären der Natur, der Produktionsflächen von Lebensmitteln und der unterschiedlich verdichteten menschlichen Lebensräume ein. Lichträume und Lichtstimmungen sind mit vielen Bedeutungen aufgeladen, die die Stimmungen derer, die von Ihnen umgeben sind beeinflussen. In der Nacht, wenn das natürliche Licht weg fällt, verringert sich die Fähigkeit räumliche Dimensionen und Bedeutungen einzuschätzen. Der Übergang von der Finsternis in den Dämmerzustand des Erwachens scheint ein kritischer Moment des Unbestimmbaren zu sein. Die bedrohliche Note des Wortes Zwielicht entspricht dieser Wahrnehmung.

Ebenfalls anwendbar ist das auf die Lichterlebnisse der Hang Gänge. Die verschwenderische Helligkeit eines Sonnentags im Juni feiert die Kontraste, blendet die Nuancen aus. Differenziertes Schauen, genaues Verarbeiten des Gesehenen, findet bei gedämpftem Licht statt. Die Lichtflecken am Boden unter einem Baum sind unschwer wiederzugeben. Es gibt eine Fotoserie, in der Jugendliche auf einer liegenden Leinwand Lichtflecken nachzeichnen und dann mit Weißhöhungen und Farblasuren die Stimmung einfangen. Das Bild steht immer noch in meinem Atelier und wir sofort als das erkannt, was es ist, nämlich eine Lichtfleckenmalerei.

Mir ging durch den Kopf, mit Projektionen von verschiedenen zu Frankfurter Kraftfeld gehörenden Figuren mit Jugendlichen auf eine Wand, ein tief gestaffeltes kaleidoskopisches Wandbild schaffen zu können. Eine Dekorationsmalerei in bestem Sinne.

Ein anderes Hang-Gang-Lichterlebnis sind natürlich die Nebelbänke oder durch den Wald fahrende Wolken, die unterschiedliche Dichten haben, Lichtwechsel auslösen und verschiedene Blicktiefen erlauben. All dies kann im Wald thematisiert, fotografiert und dann in den Schulungsräumen nachempfunden werden. Das möchte ich meinen Gesprächspartnern heute vortragen und auf ihre Meinung dazu gespannt bleiben.

Horizontaler Lichtraum

Aus dem Atelier habe ich die Schaufenstersequenz mitgebracht und teilweise eingescannt. Das tat ich am Abend, als ich von Hang Gang zurück, noch eine Stippvisite auf dem Tevesgelände gemacht hatte.

Nach einer Warmfront, die uns in den nächsten Tagen erreichen wird, ist der jährliche Umzug des Gartens in die Orangerie fällig. Gestern besichtigte ich nur kurz die Lasurmalereien vom vergangenen Donnerstag und neue Graffiti am meiner noch roten Metalltür.

Am Hang hingen die Wolken zu meiner Freude tief. Ich fotografierte wechselnde Nebeldichten, Lichtstimmungen und Raumtiefen. Immer öfter entdecke ich Spuren der Mitgestaltung. Abgesehen von einer drapierten leeren Binding-Bierdose und einer Krombergerflasche auf der hellen Steinpyramide, finden sich auch subtile Formen des Eingriffs in die Waldlandschaft. Beispielsweise wurde ein recht großer roter Sandstein in ein am Boden liegendes Geäst geklemmt. Weil es einen nicht in Augenhöhe anspringt, kann man das leicht übersehen. Aber da er knapp über dem Boden schwebt, wird die tätige Absicht deutlich.

Zwischenzeitlich denke ich immer mal, dass die Einrichtung eins neuen Weges, der benutzt wird als eigentliches Ziel der Arbeit gut und gerne mit dem widerstrebenden Vandalismus leben kann. Denn das zu erlebende Licht, das an dieser Stelle des Forstes in einem bestimmten Winkel auf den Boden trifft, die Luftfeuchtigkeit durchdringt und vom Gestein reflektiert wird, tut es dort, wie an keiner anderen Stelle. Im aktuellen „Kunstforum“ schreibt Jürgen Haase vom natürlichen Licht als atmosphärischem Medium der Stadt.

In diesem Sinne erlebt die obere Lichtung am Ende des Weges die Einrichtung eines mikroklimatischen Raumes, in dem Licht und Wärme von gestapelten Ästen eingefangen werden. Chaotisch abgedeckte kleine Buchen werden wieder frei geräumt und der Pfad der Hirschkühe wird erneut betretbar. Diese Dramaturgie des Weges folgt einem romantischen Impuls. Der chaotische Forstabfallhaufen kommt der Ideallandschaft näher; geformter horizontaler Lichtraum.

Wegdramaturgie

In meinem Zimmer ist alles verfügbare Licht eingeschaltet. Keine zehn Grad draußen, viel Feuchtigkeit in der Luft. Mancher mit Rollkoffer oder Kind an der Hand bewegt sich schneller. Allenthalben dunkle Kleidung absorbiert noch mehr Licht, und schon wächst die Sehnsucht nach dem Tag, der die Lichtwende bringen wird.

Die Literaturbeilage neuer Sachbücher, die aus Anlass der Frankfurter Buchmesse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist und so schön mit römischen Mosaiken ausgestattet wurde, habe ich mir beiseite gelegt und konnte heute einen ruhigen Blick darauf werfen. Viel Erzählfreude wurde auf Heldenepen aber auch auf alltägliche Kleinigkeiten verwendet. So gibt es in einer Römischen Villa das Beispiel eines Bodenmosaikes, das einen ungefegten Küchenboden zum Thema hat. Seeigel, Knochen, Muscheln, Nüsse, Krebsscheren, Schneckenhäuser, Beeren, Hühnerfüße, Kastanien usw. sind detailliert dargestellt. Bliebe der Boden tatsächlich ungefegt, wäre das eine Weile verborgen.

Bei meinem nächsten Hang Gang schwebt mir eine Reduktion der mittelgroßen Installationen vor. Umso mehr möchte ich mich auf eine Konzentration in den größeren Bauten, wie im oberen Stapel und der Steinpyramide verlegen. Im Kontrast dazu sollen viele kleine unaufwendigen spielerische Ideen umgesetzt werden, die das Ganze etwas auflockern. Somit kommt einer Dramaturgie des Weges eine größere Bedeutung zu. Alles wird fotografisch dokumentiert und mit den Zeichnungsfragmenten unterschiedlicher Techniken collagiert.

Die Frage dabei ist immer wieder, ob sich eine Grenzziehung zwischen Kunst und Dokumentation ohne weiteres machen lässt. Die gezeichneten Bilder dokumentieren auch nur einen Zustand des Bewusstseins.

Von Vinzenz gibt es seit einiger Zeit keine Nachrichten. Sicherlich ist er mit der Klasse von Olafur Eliasson bereits in Äthiopien. Joey hält sich gerade in Singapur auf oder ist auch schon in Neuseeland – die verstreuten Kinder.

Figurensammlungen

Vier Krähen versuchen im weißen Licht des Sonntagmorgens eine Tüte aufzubekommen. Sie streiten sich um deren offensichtlich nahrhaften Inhalt und achten dabei auf der gegenüberliegenden Seite der Allee nicht auf meine Blinkzeichen.

Wenn ich über die Enttäuschung nachdenke, die der Zusammenarbeit mit den Günestheater folgte, verbindet sie sich mit meiner nachlassenden Neugier auf die Erlebnis- und Erinnerungswelten der Migranten um mich herum. Der Impuls, lieber mit eigenen Figuren an das FRANKFURTER KRAFTFELD heran zu gehen, entspringen dem Pessimismus und der Skepsis, die diese Begegnung ausgelöst hat.

Mir selbst reicht die Figurensammlung, aus meinen fünf Transparent-papierrollen. Dort drinnen steckt noch viel mehr, das immer auch mit der Beschäftigung mit Wanderungsspuren zutun hat. So gesehen würden diese Figuren auch der Maßgabe des Projektes entsprechen. Die Vielgestaltigkeit der Motive würde durch eine Mischung von fremd und eigen erinnerten Figuren zunehmen.

Ein etwas zielgerichteterer Umgang mit den Rollbildern würde zu weiterreichenden Ergebnissen führen können. Mich beschäftigt in diesem Zusammenhang ein Vorgang auf den vielfigurigen Sequenzen, der damit zutun hat, die Anfangsmotive nach und nach wegzulassen und sie am anderen Ende des Streifens durch neue zu ergänzen. Dafür ist ein neues Vorgehen notwendig, weil die Figuren, die in ein enges Geflecht eingebunden sind nur schwer herauszunehmen sind. Leichter wäre es immer neue Streifen durch das Weglassen und Hinzunehmen herzustellen, die dann ineinander geschoben werden können.

Das ist aber alles eine Frage des Ausprobierens. In der kommenden Woche will ich mich näher damit beschäftigen.

G. hat meine Texte im Schaufenster gelesen und meint ich solle doch mehr schreiben. – Noch mehr!?

Raum | Figur | Welt

Im Projektraum Balken stehen Bilder von Deniz, die er für einen Berliner Galeristen gemalt hat. Ich habe mir mit Maj beim Räumen einige der großen Formate angesehen. Die Figurengruppen oder Einzelfiguren haben keinen konkreten Raum um sich. Das Verwischen lässt sie noch mehr in einem leeren Raum schweben.

Da nun die kleineren Bilder von mir auch dort oben stehen, ist erstmalig ein direkter Vergleich möglich. Meine konkreteren Figuren auf diesen älteren gemalten Bildern befinden sich meistens in einem klar definierten Raum. Fragmentarisch tauchte so etwas auch wieder in meinen täglichen Zeichnungen auf. Dieses Erscheinen läutet vielleicht wieder eine gegenständlichere Arbeitsphase ein.

Joey bin ich dankbar für ihre Weltreisenwebsite, auf der wir ihre Erlebnisse miterleben können. Ein Video von London hat sie rein getan und einen schönen Bericht über Dubai. Keine zehn Pferde würden mich dorthin zum Wohnen und Arbeiten zwingen. Aber es gibt Freunde von uns, die das scheinbar vorhaben.

Auf meinem Schreibtisch liegen die Figurensequenzen, mit denen ich das Frankfurter Kraftfeld ausprobieren will. Mangel an Konzentration und Zeit dafür, ließen die Arbeit in den letzten Wochen etwas stagnieren. Es ist viel kraft, die mir dieses Feld abverlangt. Etwas kann ich hier zu Hause mit dem Scanner herumprobieren. Das schult auch den Umgang mit diesem Material. Fast habe ich wieder Lust das Ganze mit eigenen Motiven zu machen, anstatt mühsam. Die Erzählungen von anderen zu illustrieren.

Mit Angela sprach ich auf dem Buchmessenempfang von Hoffmann und Campe über Namibia. Ich erzählte von meiner Einsamkeit in den grau glitzernden Wüsten und vom geheimnisvollen verlassenen Wlozkasbaken. Wie ich mich dort, wie überall in das Leben geworfen habe und selbstgebrautes richtiges Flaschenbier gegen Maisbier eintauschte, Slums besuchte und mit den Lehrern einer Schule sprach. Die Abstrakten und gegenständlichen Felsgravuren von Twyfelfontein.

Räumen | Sprechen

Die bunten Regenschirme machen das Wetter nicht schöner. So ein windloser, stur herabfallender Regen. Für B. habe ich auf meinem Musikmaschinchen „Not Dark Yet“ von Bob Dylan herausgesucht.

Es ist, als gäbe es an diesem Morgen drei Schichten von Wolken, als würde das Tief so wenig Licht wie möglich auf den nassen kalten Boden herablassen wollen. Am Ende ihres Falls wispern die Tropfen noch einmal und bilden dann unter den Autoreifen einen zischelnden Chor.

Um sieben Uhr am Morgen legte ich mein Tagebuch auf eine der Werkbänke und begann mich in den Tag zu schreiben. Und um sechs Uhr am Abend begann ich mit M. unsere Fundstücke in den Projektraum Balken zu räumen. Darüber hinaus trugen wir auch noch einige Bilder hinauf, um Platz für Neues zu schaffen.

Am heutigen Morgen erzählte mir B. von ihren Begegnungen auf der Buchmesse: Priya Basil, Ivana Seyko und Juli Zeh. Am späteren Abend gestern trafen wir uns auf dem Empfang vom Fischerverlag. Die Weinreinbringer entspannten uns. An diesem Abend habe ich lange angelehnt an die Außentreppe die vom Innenhof des Verlages in die Hochparterre führt mit Babette Stein gesprochen. Sie erzählte viel über neue Syrische Flüchtlingslager in Jordanien, über Ihre Erfahrungen mit den Slums Asiens. Babette ist einer der interessantesten Gesprächspartner, die ich habe. Entsprechend freue ich mich, wenn ich sie sehe.

Nun geht es gleich zum Vormittagsempfang bei Hofmann und Campe, wo der Campe-Preis auch in diesem Jahr verliehen wird. Er geht diesmal an Petra Roth.

Mit meinen Lehrlingen habe ich gestern begonnen, ein Bücherregal zu bauen. Eine sehr befriedigende und schöne Arbeit – gestern.

Bahngeruch

Am Morgen in der Holzwerkstatt bin ich ein wenig zu früh dran. Holzstaub in allen Ritzen. Der Geruch, die frühe Stunde – Schulgefühl der Kindheit.

Das Atelier ist mir derzeit zum Reinschauen zu voll. Das soll am Abend geändert werden. Neue Arbeiten brauchen auch etwas Raum, der eine Basis bietet in ihn hinein zu denken

Müdeunentschieden warte ich schon auf M., um mit ihr den Workshop zu beginnen. Ich will mit ihr den Bahngeruch aus Chemikalien, Öl, Holzschutzmittel und Teer heraus transportieren.

Wieder Erinnerungen an Zugfahrten zumeist in der DDR. Manche Gespräche mit Kommilitonen kommen mir in den Sinn. Damals schrieb ich manchmal, Sogar einen Text über das Bahnfahren zwischen Coswig und Dresden. Auch die täglichen Fahrten von Gotha nach Erfurt, oder die wöchentlichen von Coswig nach Meißen. Alles hatte mit Studien zutun und mit Lehrgängen, die ich anleitete. Der Geruch der Bahn, der Ölfarben, der Schulkreide…

Ein Paar, das demnächst heiraten will, hat mich im Atelier besucht, weil sie ihr Fest auf dem Tevesgelände feiern wollen und sich in meinem Einbaum fotografieren lassen wollen. Ein Gespräch über meine Arbeit das bis zur Frankenalleezeit zurück reichte. Das wird mich wohl als Thema hier nicht mehr verlassen.

Waldanfang | Tischritzenhorizonte

Die Schilfmatte bildet die erste Schicht hinter der Luft, die sich den Tagebuchseiten zart wirbelnd und fächelnd zuwendet. Dieser Lage folgt ein luftiges, altes Drahtgitter, das Gott sei Dank nicht der Sanierung der Fassade weichen musste. Aber schon kurz dahinter droht feuchter Schatten, tief von der kalt getränkten Erde aufsteigend. Noch zeigen sich zwischen den Horizonten der Holzritzen des Freilufttisches Spinnchen, die ihre winzigen Überwinterungsplätze einrichten wollen.

Manchen Käfer finde ich im Wald schon fast starr unter einem Stein ausharrend, des Überlebens kaum sicher. Die Waldspinnenbauten sind große Kunstwerke deren Eingänge wie überirdisch gesponnene Einflugschneisen locken. Monumentalität hat nichts mit Größe zutun, denn Größe ist relativ.

Gerade las ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Schlagzeile: „Das Ende der Welt ist der Anfang des Waldes“. Dieser Gedanke gefällt mir natürlich, egal aus welcher Richtung man auf den Anfang oder das Ende trifft.

Ein kalter, klarer Abend, der mir ruhige Stunden einschenkt. B. besucht eine Lesung ihrer Autorin Priya Basil und trifft sich danach vielleicht noch mit ihr, aber später auf alle Fälle noch mit Janika Gelinek.

Ich ziehe es vor, den Abend fern von der Buchmesse zu verbringen, wenn auch nicht ohne Wein, vielleicht nachher im Pavillon gegenüber.

Mit den Lehrlingen sprach ich heute über das Lesen. Anlass ist, dass wir morgen beginne ein Bücherregal zu bauen, das auf eine Idee von R. zurückgeht. Eine halbe Stunde berichteten sie mir über ihre Leseerlebnisse und über das Lesen als Gewohnheit.

So eine geht und kommt manchmal, geht einher mit wechselnden Vorlieben des Lebens.

Abbau | Neu

Der Abbau der Ausstellung war nun in erster Linie eine Erleichterung. Mit dem Schaufenster fällt nun gewissermaßen eine Spielstätte für mich weg, in der ich einige Zeit zeichnend zugebracht habe. Am Ende wurde es mir auch so nahe an der Scheibe zu kalt. Die tiefen Nachttemperaturen saßen immer noch mit mir am Tisch.

Was ich mir vorgenommen hatte zu zeichnen, zeichnete ich nicht. Das Frankfurter Kraftfeld bestand in diesem Fall aus den verdichteten Tuschelinien, die das Geschehen der Kreuzung aufnahmen: Lärm, Bewegung, Vibration, gebeugte Menschen, Warnsignale…

Nun weiß ich nicht, ob ich an der Zeichnung weiterarbeiten sollte. Der Streifen ist so abgebrochen unfertig vielleicht das beste Dokument dieser Zeit.

Die Äste, mit denen ich den VW-Bus voll gepackt hatte, transportierte ich in unseren Projektraum „Balken“. Uns gleich formiert sich das Geäst im Raum neu und erhebt einen Anspruch auf Gestaltung.

Eigentlich wollte ich noch das Güterbahnhofeisen hinauf transportieren, war aber mit meiner Kraft schon am Ende. Vielleicht hilft mir M. am kommenden Donnerstag dabei.

Der diesjährige Preis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels würde im Römer an Ursula Kracht für einen Nachkriegsroman verliehen. Sie sieht sich als freischaffende poetische Anwältin der Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft. Mittlerweile fühle ich eher eine Nähe zu den älteren Autoren, als zu den frisch gewaschenen unter vierzig jährigen.

Buchmessenbetrieb. B. hat Termine und lädt mich mit zu den Empfängen ein. Diesmal habe ich weniger Zeit dafür. Der Fischerempfang am Donnerstagabend nach dem Workshop wird sicherlich möglich sein. Aber ob ich mit am Freitagvormittag die Preisverleihung an Petra Roth bei Hoffmann und Campe anschauen werden, weiß ich noch nicht.

Materialräume

Das Gestalten von Plätzen im Wald kommt nähert sich mir, meinem Arbeitsbegriff und meinem Arbeitsbedürfnis. Umso mehr, als ich für diese Woche voraussehen muss, dass ich kaum Gelegenheit haben werde dorthin zu gelangen, zieht es mich auf die neue Lichtung.

Ausstellungsabbau heute im Schaufenster. Das Holz aus dem alten VW-Bus will ich in dem Projektraum lagern. Dafür muss ich Deniz etwas einschränken.

Nach dem Wochenende liegen Berge ungelesener Zeitungen herum. Sehr schöne Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Mosaiken der Römerzeit, will ich mir doch aber länger anschauen, mich vielleicht hineinfühlen in sie… Keine Zeit, Last der Bilderflut, des selbst aufgebürdeten Arbeitspensums. Dennoch entsteht in meinem Atelier kaum Müll. Es herrscht leichtes Material vor: Transparentpapier, Tusche und manchmal Schelllack. Dennoch ist Intensität und Konzentration, Verdichtung und Vielschichtigkeit vorhanden.

Ich denke an die Lasurmalerei, die ich mit M. beginnen will. Auch da will ich den Materialaufwand minimieren. Keine dicken Rahmen mit Leinwand bespannt. Eher wieder Materialien, die sowieso vorhanden sind: Dünne Papiere grundiert oder ähnliches.

B. kam gestern von einer Premiere in Hannover zurück. Bevor ich sie vom Bahnhof abholte, ging ich etwas im kalten Wind am Main spazieren in der Wechselwärme des unsteten Lichtes. Nachmittags noch einmal eine kleine Runde. Vom Eisernen Steg aus wird nun der Blick nach Norden von dem Neubau der Europäischen Zentralbank beherrscht.

Mit den Lehrlingen möchte ich ein Bücherregal bauen, das zunächst mit Bücherspenden von uns gefüllt werden soll. R. hatte die Idee von einem Bücherschrank im Freien. Das fand ich aber zu kompliziert und lenkte das Projekt auf die Schulungsräume vom Internationalen Bund um.

Lichtung | Kreisbogen

Schon gestern Nachmittag im Wald begann es zu regnen. Das alte Kleinholz, mit dem ich baue war glitschig, weil sich die Algen an seiner Oberfläche mit Wasser vollgesogen hatten. Nun setzte ich das um, was ich mir beim letzten Hinabgehen vorgenommen hatte, baute also einzelne Installationen ab, die mir nicht mehr gefallen hatten. Das übrige Material benutzte ich dann zur Kräftigung anderer benachbarter Bauten. Der Vorgang kommt einer Konzentration gleich, die ich auch noch weiter treiben will und werde. Somit strebe ich eine allgemeine Verbesserung der Qualität und eine andere Ernsthaftigkeit der Arbeit an.

Der Nebelregen gestern am Hang ließ wieder reizvolle Fotostimmungen aufkommen. Länger schaute ich mir die neue Lichtung am oberen Ende des Weges an. Die herumliegenden Äste inspirieren mich zu einem Kreis oder zu einem Stück Kreisbogen. Es könnte am nördlichen Rand des neuen Platzes sein und so die Mittagssonne einfangen, die nun Raum hat, auf den Boden zu gelangen. Vielleicht lässt sich auf diese Weise eine Art Mikroklima herstellen, das auch eine Aufenthaltsqualität hat. Die abgeschlagenen Äste bedecken derzeit wild den Boden und zerstören eher den Eindruck eines schönen Platzes. Schaffe ich aber einen Raum für die Wärme und für das Licht, bekommt der Begriff Lichtung Unterstützung. Größere Holzstücke, die noch herum liegen kann man dann ebenfalls nutzen.

Es ist erstaunlich, wie ich nun doch eine Nutzung des Weges durch andere Passanten forciere. Die Waldmaschinen haben schon durch den Abtransport der Stämme einen sichtbaren Zugang zum Lichtungsplatz hergestellt. Es stellt sich ein Zusammenhang zur benachbarten Spirale her, die ich immer um einen Stein gelaufen bin. Ein neues Raumgefühl erzeugt eine Kraft, weiter an dieser Stelle zu arbeiten. Hier zu Hause denke ich intensiv darüber nach und sammle weitere Möglichkeiten der Gestaltung.

Die Steinpyramide am ersten Weg weiter unten, beginnt nun immer heller zu leuchten. Ich trage sehr helle Steine aus meinen Gruben oberhalb hinab zu dieser Stelle. Dort türme ich sie nach und nach zu einem strahlend weißen Steinhaufen. Auch das ist Kommunikation mit Passanten.

Puritanismus, Vergnügen und Lasurmalerei

In einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung spricht Salman Rushdie von einer angstvollen Reaktion, wenn Politiker die Meinung vertreten, aus Respekt vor einer anderen Kultur Meinungsäußerungen zurückhalten zu müssen. Er schätzt die Meinungsfreiheit als so hohes Gut ein, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Den Frontverlauf der Auseinandersetzungen macht er zwischen Vergnügen und Puritanismus aus. Er meint, die Puritaner lebten in der Angst, irgendjemand könnte einfach glücklich sein. Alles, was vergnüglich ist, wird zum Feind erklärt: Miniröcke, Rock`n Roll und Skulpturen. Beim Internationalen Bund bin ich manchmal mit islamistischen Jugendlichen konfrontiert. Sie scheinen eine Argumentationsausbildung zu genießen und werden allem Anschein nach dazu angehalten, zu missionieren.

Gestern hatte ich meine letzten Stunden zeichnend im Schaufenster. Im Nachhinein finde ich den dreifüßigen Schemel mit runder Holzsitzplatte, auf dem ich die vier Wochen gesessen hatte, etwas zu unbequem. Daher rühren wahrscheinlich die latenten Rückenschmerzen, die ich den ganzen Monat hatte. Auch die Temperaturen nah an der Scheibe waren zu niedrig. Aber die Zeichnung, die in den vier Wochen entstanden ist, gibt die Dichte der Situation wieder.

Weiterarbeit am Frankfurter Kraftfeld gestern. Es entstanden weitere Kombinationen der Figurensequenzen. Es entsteht eine Ahnung, wie es gehen kann. Wie aufwendig das Objekt werden kann, hängt davon ab, welche Finanzierungen ich dafür finden kann.

Am Montag nach dem Abbau der Ausstellung, werde ich beginnen, den Projektraum auf Teves auch mit meinen Dingen zu füllen. Ausgangspunkt wird das Material sein, das ich in dem gelben VW-Bus von Schulz & Souard installiert hatte. Dazu kommen dann noch Artefakte, die wir auf den Gleisbettenexpeditionen gesammelt hatten. Die größeren Objekte würde ich gerne dort lagern. Alles andere kann in Kartons.

Und dann kann man am Donnerstag feierlich mit der Lasurmalerei beginnen.

Bezüge von Arbeitsweisen

Vergleichweise vieles meiner Arbeit findet derzeit draußen statt und ist gleichzeitig körperlich anstrengend. Nicht nur die Waldarbeit, sondern auch das Zeichnen im kalten Schaufenster oder die Gänge mit M. über die alten Gleisbetten des ehemaligen Güterbahnhofes, wo wir auch gestern wieder unterwegs waren. Mir ging es insbesondere um Fragmente einer blauen Porzellanmalerei, die zwischen Schlacken und Abrissschutt zerbombter Häuser vergraben ist. M. interessierte sich für die langstieligen Pinsel. Mit denen die Bahner aus selbst gemachten Henkeldosen die Weichen schmierten. Und wir fanden natürlich noch mehr, was unseren Rückmarsch wieder beschwerlich machte. Nun liegt aber viel Material auf dem Tisch, das arrangiert werden kann. Dabei finde ich die Dokumentation des Ganzen und die historischen Bezüge zur Arbeitsweise als besonders beachtenswert. Der Gestus des Anordnens beispielsweise, der die Artefakte in eine Ausrichtung bringt, die einer besonderen Form eines Erkenntnisprozesses folgt, verweist immer noch auf den Hang zu einer Geste der Aufklärung, wie Linien, Zeilen Regale, Kästchen, die heute noch die Museen durchziehen. Diese Zeitreise führt zu weiteren Arbeitsweisen, wie der lavierten Zeichnung zum Zweck der Dokumentation bis hin zur Lasurmalerei, Königsdisziplin und Paradies zugleich. So ist nun eine neue Seite aufgeschlagen…

Am Nachmittag probierte ich mit den Motivsequenzen für die Pyramiden oder Dreiecksgittergestaltungen des Frankfurter Kraftfeldes herum. Es geht zeichnend scheinbar langsam voran. Aber ich verzichtete auf Scanner und Drucker, weil beim wiederholten Durchzeichnen Abstraktionen und Stilisierungen entstehen, die das Auge für die Entwurfsarbeit des „Ernstfalles“ schulen. Ich bemerke so auch eher den Grad der Motivdichte, der sich für die plastische Weiterarbeit am besten eignet. Das ganze muss natürlich auch mit der Größe der Dreiecke austariert werden. Zur Zeit schwebt mir ein Gitternetz vor, das nur teilweise von Dreiecken besetzt ist Vielleicht sind auch manche Motive vollplastisch fliegend mitten im Netz zu sehen.

Kompakter und kraftvoller

Erstmals hat mich im Wald jemand angesprochen, um mich zu fragen, was ich da tue. Ich hatte den Gang bergauf hinter mir und baute am dem Objekt auf der neuen Lichtung, als ein Mann über das ganze abgeschlagene und herumliegende Holz auf mich zusteuerte. Bei einer solchen Begegnung im Wald kommt es ja zunächst zu einem Blickkontakt. Ich hielt also in meiner Arbeit inne und wandte mich dem Mann zu. Er meinte dann, dass er so etwas noch nie gesehen habe und ob das Kunst sei, was ich da mache. Ich war zunächst etwas vorsichtig, um auszuschließen, dass es sich nicht um jemanden vom Forst-, Umwelt- oder Ordnungsamt handelt. Die kindliche Neugier aber in seinem Gesicht schloss aus, dass er mir das Leben schwer machen wollte. Sein tieferes Interesse forderte mich dann heraus, ihm die ganze Geschichte in Stichworten zu erklären. Ungewohnten Schrittes querwaldein stolperte er und fiel im Davongehen. Das tat mir leid.

Dieses Objekt weit oben wird größer und kompakter. Dadurch bekommt es eine andere Qualität, sie es von allen anderen Bauten unterscheidet. Und beim Hinabsteigen erschienen mir viele der alten Figuren als unambitionierte Herumsteher. Das sind bei weitem nicht alle. Besonders aber eine wirre Spannungslosigkeit störte mich bei vielen. Kraftlosigkeit macht sich bei ihnen auch mit zunehmendem Alter bemerkbar. In sich stimmig sind oft kleineren und sparsamen Konstruktionen, die mit wenigen Handgriffen entstanden sind. Wenn mir das Ganze weiterhin Spaß machen soll, muss ich einiges ändern! Zugunsten einiger Figuren könnte ich schwächere abbauen und das Material anderen Konstruktionen zukommen lassen.

Dennoch frage ich mich, wo genau die größere Kraft des neuen Stapels herrührt.

Eine Verfilmung des Romans „Der Turm“ von Tellkamp wurde passend zum Tag der Deutschen Einheit ausgestrahlt. Das Bild der DDR-Gesellschaft kommt meinen Erinnerungen ziemlich nahe. Die Phrasendrescherei, das Stillhalten… Aber das ist alles nichts Neues. Vielleicht wäre die differenziertere Ausleuchtung dessen, wie unterschiedlich die einzelnen Charaktere mit der Situation umgehen, spannender gewesen.

Dreidimensionale Sequenz

Der immer noch neue Feiertag ist einer, an dem ich nun endlich mal richtig in Ruhe arbeiten kann. Über den gestrigen Arbeitstag kann ich mich allerdings nicht beschweren, denn nach den Tagebuchzeichnungen am Morgen habe ich noch viel im Schaufenster auf Transparentpapier gezeichnet und am Nachmittag im Atelier mit der Vorbereitung einer dreidimensionalen Sequenz ernst gemacht.

Vielleicht kommt die vorsichtige Figürlichkeit unter den Verwischungen des Tagebuches ja von der unablässigen Beschäftigung mit Figuren innerhalb der Schaufenstersequenz. Ihr schneller erster voranschreitender Strich, der sich nicht kreuzend und ohne Unterbrechung vorwärts strebt, erzeugt durch diese Vorgaben ornamentale Bereiche, die mit dem Raum den sie umschreiben immer auf die figuralen Linien der Nachbarschaft reagieren. Im kristallinen Zusetzen der Flächen im zweiten Arbeitsschritt, gibt es einen ähnlichen Vorgang, den ich im Atelier noch weiter untersuchen kann. Es reizt mich sehr, diese Sequenz nun bald endlich bei mir zu haben, damit ich mich nicht nur während der bemessenen Zeit im Atelier mit ihr beschäftigen kann, sondern sie mir aufs Fensterbrett vor dem Schreibtisch zu stellen, wo ich sie oft in Ruhe anschauen kann.

Eine wirkliche Herausforderung stellt die Kombination dar, mit der ich drei Überlagerungssequenzen aus drei Richtungen übereinander legen will, um Anschlüsse an allen drei Seiten eines Dreiecks zu bekommen. Damit kann eine unregelmäßige Dreiecksgitterskulptur aus gleichseitigen Dreiecken entstehen, um die die Motive herumwandern können. Wenn die Skulptur im Freien stehen soll, dann kann ich versuchen die Formen mit dem Material auszugießen, mit dem Glasfaserboote gegossen werden. Wie eine Oberflächenstruktur genau abgebildet werden kann, muss ich erst probieren. Die Formen allerdings sollten sehr standardisiert, genau und stabil sein. Am besten wäre ein Metallrahmen, der präzise ein gleichseitiges Dreieck umschreibt…

Je nach Dauer der Arbeit wächst sich das Ganze zu einem Erinnerungsraum aus. Würde ich dieses Projekt ernsthaft angehen wollen, brauchte ich mehr Unterstützung als nur die vom Internationalen Bund.

Gefrorene Figürlichkeit

Im Schaufenster beim Zeichnen warte ich auf den entscheidenden Moment, der sich durch die Kristallisation statt einfacher Überlagerung noch herauszieht. Die Dreiecksgitterstrukturen vom TRIXEL PLANET nehmen derzeit wieder etwas mehr Arbeitsraum ein. Die Schaufenstersequenz kippte von ganz alleine von der flüssigen Überlagerung in die kristalline Struktur, als gefrören die Bewegungen der Figuren noch einmal.

Vor dem Atelier saß ich noch einmal in der Sonne und probierte mit den Holzstäben der Dreiecksgitter herum. Ich möchte die grafische Überlagerungsstruktur der Erinnerungsbilder damit verbinden. Sie werden in Streifen aus drei Richtungen aufeinander treffen. Die Verbindung mit der Dreidimensionalität ist so komplex, dass ich ein paar Tage Ruhe möchte, um das heraus zu bekommen. Aber langsam komme ich der Sache schon näher.

Die Figürlichkeit der Schaufenstersequenz und die des FRANKFURTER KRAFTFELDES übernehmen derzeit die Haupthandlungslinien der Arbeit. Die Übergänge von Figürlichkeit zur Abstraktion und vom Fluiden zum Kristallinen sind dabei die spannendsten Felder. Ich betrachte diese Brücken, als spiegelten sich die assoziativen Sinnzusammenhänge der Texte von Elfriede Jelinek wieder, deren „Faustin and Out“ wir gestern im Schauspiel sahen. Von Gretchen über Fritzl, den Vergewaltiger seiner eigenen Tochter, bis hin zur Supermarktregaleinräumerin, die wegen eines abgelaufenen Puddings gekündigt wird, werden Frauenschicksale miteinander verknüpft. Die zwei Schauspielerinnen loten die Abgründe und Untiefen des Textes mit einem grausamen Humor aus.

Morgens im Schaufenster ist es kalt. Mancher blickt mir aufs Papier, Radfahrer verkurven sich und manche schauen fest vor sich. Eiligkeit fast ohne Spielraum.

Zeichnungsvergleich | Pyramidengerüst

Vor mir auf dem Schreibtisch habe ich Tagebuchseiten aufgeschlagen, die ich genau vor einem Jahr geschrieben und gezeichnet habe. Damals saß ich noch im offenen Tor des Ateliers und schaute erwartungsvoll der Wintersonnenwende entgegen. Die Zeichnungen von damals haben schon viele klare Formen in sich, auch wenn sie nicht gegenständlich sind. Zu den jetzigen Zeichnungen hin, hat sich beim ersten Hinschauen nichts Augenfälliges verändert. Das Auftauchen konkreter Figürlichkeit beinhaltet auch noch keine grundsätzliche Änderung. Veränderung kann auch nur in weiterentwickeltem Sinn aus der wachsenden Erfahrung mit den zeichnerischen Mitteln erwachsen. Durch diesen Focus betrachtet unterscheiden sich die Zeichnungen doch.

Aus Anlass der Inszenierung von Faust I habe ich mir den Scorsese – Film „Shine a Light“ über ein Konzert der Rolling Stones in New York angesehen. Gleichzeitig merke ich, wie die Inszenierung von Faust II, trotz aller Qual während des Anschauens, noch mit mir spricht.

Und gerade noch rechtzeitig, wenn die Bilder noch gegenwärtig im Hirn sitzen. Sehen wir heute Abend in der Dekoration von Faust I Elfriede Jelineks Stück „Faustin and out“.

In der Nacht unterwegs, fahre ich des Öfteren an meinem großen, beleuchteten Ausstellungsfenster vorbei. In der nächsten Woche werde ich abbauen und dann auch die Schaufenstersequenz fertig gezeichnet haben.

Am Morgen dachte ich wieder über Pyramidenlösungen nach, mit denen ich das Frankfurter Kraftfeld umsetzen kann. Immer mehr denke ich an eine Struktur, die einfach und spontaner wachsen kann, aus Pyramiden besteht, aber selber keine Pyramide wird. Ein Gerüst, an dem man weiter schweißen kann, dass immer bereit ist, weitere Motive aufzunehmen.

Figuren | Muster

Ganz vorsichtig tauchten gestern Figuren in den Zeichnungen auf. Durch die weitere Überarbeitung verschwanden sie dann fast ganz, sind aber dennoch unter den verwischten Schichten vorhanden. Auf der nächsten Seite ist eine durchgedrückte Spur im Papier zu sehen, die ich mit Chromoxydgrün schraffiert habe, damit sie deutlicher zutage tritt. Von einer Sehnsucht nach Figuren zu reden, wäre zu dramatisch und zu früh. Es geht auch eher um Konkretion und klare Formen unter und neben den Verwischungen, mit denen ich mich nun schon seit Jahren beschäftige.

Direkte Sonnenstrahlen beleuchten die Baumkronen auf der Allee. Mir kommen dabei Munchs Beschäftigung mit dem Licht und neuere Teilchenforschungen in den Sinn. Demnach verhalten sich Teilchen in ihren musterbildenden Überlagerungen ähnlich wie Wellen. An dieser Stelle verboten sich die Physiker auf der Documenta das Weiterdenken. Der anrührendste Beitrag auf der diesjährigen Großausstellung für mich.

Das Licht bleibt an diesem Morgen, der von Meisen durchflattert wird, im Baum. Andere Vögel versuche ich mit Hilfe des Fernglases zu identifizieren. Sie springen aber so schnell ohne erkennbares Muster hin und her, dass ich sie immer wieder aus den Augen verliere.

Im Schauspiel gestern Faust I und Faust II. Was man von vornherein als bildungsbürgerliches Halbtagesvergnügen erwarten mochte, entpuppte sich im ersten Teil als kurzweiliges Schauspiel. Ein popartistisches Vergnügen das Ganze. Die Band spielte „Sympathy for the Devil“, während Mephisto Gitarre spielte wie Keith Richards und tanzte wie Mick Jagger. Ich erinnerte mich an die Siebzigerjahre, an den Beatschuppen in Eisenach und an meine Figur des Samiel in den Neunzigerjahren. Ein verwinkeltes aus vielen Dreiecken bestehenden, schwer zu bespielendes Objekt auf einer Drehbühne war Projektionsfläche für die aufwendigen Animationen und Filme des Videokünstlers. Der zweite Teil ist von einem völlig anderen Team gemacht worden. Das war ein Abstieg in die Unwägbarkeiten dieses späten Textes, von dem die Schauspieler alleine gelassen werden. Was soll man da spielen…

Laser im Wald

So lange sich die Verdichtung, die die Lärm-, Bau- und Verkehrssituation vor dem Schaufenster, auf der Transparentpapierrolle nicht wenigstens an einigen Stellen schwarz zusetzt, solange hat die gerollte Sequenz noch zu viel Banalität in sich. Die Kommende Woche ist meine letzte im Schaufenster. In dieser Zeit werde ich diesen Qualitätsschritt zeichnen. Die derzeitige Situation ist an einem toten Punkt angelangt, der nur durch Weiterarbeit überwunden wird. Im Schaufenster wird es kälter, die Leute vor der Scheibe haben es eiliger.

Selbst die Krähe, der ich mit dem Spiegel Lichtzeichen zumorse, wendet sich von mir ab, ihr schwarzes Federkleid mir den Rücken zu, um sich ungestört der morgendlichen Mahlzeit zuzuwenden. Vielleicht handelt es sich wieder um eine getrocknete überfahrene Ratte, wie vor einiger Zeit. Seit dieser Beobachtung ist meine Phantasie, den näheren Umgang mit diesen Tieren betreffend, etwas eingeschränkt. Erinnerung an die schöne Terrasse mit den gedeckten Tischen in Cochi am Gezeitenstrom einer großen Flusseinmündung. Unter dem Steg trieben tote Hunde vorüber, von denen die Krähen fraßen und danach auf die Tische sprangen um ihre Schnäbel in die Zuckerdosen zu stecken.

Aus dem Unterschied zwischen dem relativ geringen Zeitaufwand der Zeichnung von neuen Straßenszenen und dem langwierigen Verfahren der Verdichtung, die in diesem Fall in eine Kristallisation mündet, entsteht ein produktives Spannungsverhältnis.

Im gestrigen Hang Gang durchstieg ich wegen der wenigeren Zeit, die ich hatte den Weg zügig. Unterhalb des ersten Weges habe ich drei flache Steine so in drei Bäumen installiert, dass sie einander einen gedachten reflektierten Strahl zusenden könnten. Man könnte das in der Nacht mit drei Spiegeln und einem Laser probieren. Es müsste eine feuchte Nacht sein, mit vielen Wassertröpfchen in der Luft. So könnte man auch den ganzen Weg von Installation zu Installation gestalten.

Oben angekommen, habe ich an dem neuen Lichtungsstapel weitergebaut, der so kompakt wird, wie keine andere Figur vorher. Die frischen abgeschlagenen Äste reizen mich zu einem neuen geschwungenen schlangenartigen Bauwerk, das wie ein Wall den neuen Raun durchmisst.

Rote Mütze | Reisen

Die rote Baseballmütze des Brötchenlieferanten, unter der langes krauses Haar hervorquillt, erinnert mich an meine Brasilienreisen, während derer ich vom Movimento Trabalhadore sen Terra eine ebenso rote Mütze geschenkt bekam mit dem Emblem ihrer Organisation. Mit einer Empfehlung von Roland Schaffner bin ich dann durch die illegalen Dörfer des MST gefahren, wurde als Sympathisant erkannt und zu Fahrdiensten eingesetzt. Die dicht vollgeschriebenen Blätter, die ich als Fax an Barbara schickte waren ein Lebenszeichen von mir, aber auch ein Ventil, so viele Erlebnisse loszuwerden. Ich sollte mal diese Tagebücher heraussuchen, die die Zeit der Trennung vom Theater einläuteten. Kürzlich sagte ich zu Barbara, dass ich in der Zeit, wenn ich nicht mehr Geld verdienen muss, wieder auf Reisen gehen will.

Gestern ist Joey auf ihre Weltreise gegangen. Sie will in Neuseeland und in Südostasien beginnen und richtet für all ihre Lieben und Bekannten einen Videoblog ein.

Kostas, der Pavillonpächter kauft einen großen Beutel voll Brötchen bei der Marktbäckerei. Kürzlich am Abend bei einem Wein, hörte ich seiner melancholischen Bouzouki zu. Manchmal gibt es solche kleinen Anläufe von mir, das Viertel neu zu entdecken. Auch die Beschäftigung mit den alten Güterbahnhofsgleisen trägt mit dazu bei.

Gestern schliff ich einen rostigen Brocken einer großen mit einem Schweißbrenner zerschnittenen Schraube etwas an. Ich war erstaunt, wie schnell sich glänzende Kämme über den dunklen schrundigen Schluchten bildeten. Im Workshop versuche ich Herangehensweisen an die Materialität dieser Fundstücke zu vermitteln. Ich versuche dabei nachvollziehbar auf meine Erfahrungen zurück zu greifen.

Eisen | Pflanzen

Jetzt im Atelier nicht mehr im offenen Rolltor. Ein paar Grad Celsius weniger draußen kippen die sommerliche Stimmung. Auf dem sich langsam auflösenden Beton stehen große Wasserpfützen. Die ehemals glatt gezogene Fläche verwandelt sich in eine erodierte Landschaft. Ich habe Lust, Pflanzen anzusiedeln, die den Beton aufsprengen. In die Vertiefungen ließe sich schwere Erde einstreuen, die man immer mal feucht halten müsste. Alles andere ginge von alleine.

Draußen bläst die Sonne ihre Teilchen gegen die finstere Mauer einer abziehenden Regenwolke. In die Mattigkeit des späten Jahres drängt eine dramatische Lichtstimmung. Kaum noch Kraft, die Blätter zu halten, tun die Bäume alle noch so grün. Darein greift der Wind, der den Winter will.

Mir schwebt eine Verbindung des Bahnschrottes mit den zarten Pflanzen der Schotterflächen vor. Die anderen Pflanzen, die dort Fuß fassen werden, bilden in den nächsten Jahren einen Wald, dem die Steppe weichen wird. So ist es in unseren Breiten.

Die Frage, was der graubraune Stift mit meiner derzeitigen Stimmung zu tun hat, beantwortet ein sehnsüchtig klingender Pfiff einer kleinen Rangierlok, der von dem weiten Gleisfeld des Hauptbahnhofes kommt. Erinnerung an die Durchsagen aus den Flüstertüten des alten Güterbahnhofes, die Chiffren des Dispatchers (ein Wort das auch verschwunden scheint), die schnarrend zwischen den klingenden Waggons verhallten. Der Abrollberg ist abgetragen. Die Halden decken den Schutt auf, mit dem er nach und nach erweitert wurde. Zusammengestürzte Häuser, wo zwischen den Steinen das zerborstene, zermahlene Geschirr mit blauem Blumenornament hervorleuchtet.

Zwischen blanken Hügeln

Mittwoch, später Nachmittag am Schreibtisch. Es gibt immer die tröstliche Option, zwischendurch einen Schluck Wasser zu trinken.

Auf meinem Fensterbrett hat sich die Patchoulipflanze breit gemacht. Ihre Temperaturempfindlichkeit und der kalte Sturm passten nicht zusammen. In einem Tonteeschälchen, das die Inder nach einmaligem Gebrauch zertrümmern, sammle ich die herabgefallenen braunen Blätter, trockne und zerkleinere sie. Diese Sammlung duftet etwas schwer und staubig.

Neben meinem Buch liegen viele der kurzen abgenutzten Aquarellstifte. Die Stapel der Zeichnungen wachsen, die in den Lücken zwischen den Texten entstehen. In den Lücken zwischen den Zeichnungen entstehen die Texte. Das einzige Stück Kunst, das heute entstand, wuchs in Lücken.

Unordnung von ausgedruckten Texten, Notizen, Mappen und Tuschekristalllabyrinthen, die stets neu trocknen. Die Erneuerung der Zellen schreitet nicht mehr so schnell voran, aber der unausbleiblichen Leere entgegen, die dennoch immer schneller hinausgezögert werden soll.

Die Benennung von Pflanzen mit jungen Leuten auf dem Tevesgelände. Sie kennen nichts, nicht einmal Hagebutten und schrieben ihr neu erworbenes Wissen auf. Formen der Blätter, Art der Rinden und des Holzes und viele Namen, die sie nie gehört zu haben schienen.

Korrodiertes Eisen von den warmen Schotterflächen packte ich auf einen Tisch im Atelier, um es morgen unter die Lupe nehmen zu können. Ich stelle mir blank geschliffene Hügelketten zwischen den dunklen Kratern vor. Die Schotterflächen speichern nicht nur Wärme, sondern auch die Erinnerungen der eingeschleppten Samen in Form ihrer DNA. Ich Erinnere mich an die glitzernden Steinwüsten im Süden von Afrika.

Sturm | Dreiecke | Hanuman

Während dunkle Wolken und Wärme dicht über und durch die Stadt zogen herrschte gestern zeitweise Sturm. Im offenen Tor des Ateliers flogen mir die Blätter weg und das System dreiseitiger Pyramiden für das FRANKFURTER KRAFTFELD kam ins Wanken. Die Aneinanderreihung der Pyramiden verhält sich natürlich genauso, wie meine Dreieckskonstruktionen mit den gleichlangen Holzstäben. Die Oberfläche der dreiseitigen Pyramide lässt sich ohne weiteres mit gleichseitigen Dreiecken einteilen. Ihr Innenleben allerdings folgt dann anderen Gesetzen. Es gibt nun eine Reihe von Möglichkeiten das Problem zu lösen. Am besten lässt sich das nun mit den Holzstäben probieren und später dann auch mit geschweißten Konstruktionen.

Etwas Zeit konnte ich gestern noch für das Zeichnen im Schaufenster reservieren. Diesmal war ich warm angezogen und ganz konzentriert auf die dichten Kristalle, die aus der Tuschefeder flossen. Außerdem legte ich eine weitere Transparentpapierrolle aus, die sich mit Formationen des Counterpoint Tools von den synchronisierten Objekten der Motion Bank und den „Synaptischen Kartierungen“ beschäftigt. Auch die Wiener Rolle habe ich nun eine Sequenz weiter gerollt, die nun Hanuman in manchen Verstrickungen zeigt.

Die kristalline Verdichtung der Schaufensterrolle geht mir etwas zu langsam vorwärts. Das liegt an den begrenzten Stunden, die mir dort zur Verfügung stehen. Ich sollte die Rolle entweder am Schreibtisch oder im Atelier weiterzeichnen.

Im Nachhinein bin ich mit den derzeitigen Entwicklungen am Hang am glücklichsten. Die neuen Figuren am Boden, die freigelegten Plätze und die Pyramide halten stand. In mir wächst an diesen Stellen das tieferes Vertrauen zur eigenen Arbeit als an anderen Plätzen. Vielleicht kommt das durch das inspirierende Unterwegssein, den weiten, freien Raum, das Licht und das Gefühl der Inbesitznahme. Auf diese Stimme sollte ich hören.

Cunningham | Bodenfiguren

Finsternis unter der Quellbewölkung des noch trockenen Morgens. Im warmen Licht des Pavillons spielt der Pächter Bouzouki. Gewitter sind angesagt und die Dunkelheit nimmt zu. Und nun beginnt auch der angekündigte Regen mit großen Tropfen zu trommeln.

Freundliche Herbstfarben gestern auf Westerwaldfahrten. Dann zurück direkt ins Frankfurt Lab zum letzten Abend der „Five Duets“. Anschließend gab`s ein Gespräch zwischen den Protagonisten, Scott deLahunta und Bill Forsythe. Burrows erzählte eine schöne Geschichte zu einem Workshop am Rande des Edinburgh-Festivals mit Merce Cunningham. Er sagte am Anfang, dass sich die Teilnehmer sechs Figuren ausdenken sollten und verließ daraufhin für eine halbe Stunde den Raum. Als er wieder kam stellte er die Aufgabe, diese Figuren nun in die richtige Reihenfolge zu bringen und ging wieder. Dann ließ er sich das Ganze zeigen, sagte Danke und verschwand…

Mit etwas mehr Mut ließe sich diese Vorgehensweise auch auf Workshops bei der Bahn übertragen. Ich werde diese Geschichte M. erzählen.

Die Bodenfiguren am Hang neigen wegen der gebogenen Äste, die ich benutze oft zu Schwüngen und Kreisen. In meiner Kommunikation mit den Vandalen werde ich nun mutiger, trage fleißig große Steine zusammen und setze den kristallinen weißen auf die Spitze der entstehenden Pyramide. Auch dort sind Bodenfiguren als Baumhalbkreise und Anzeigen von Wegbiegungen entstanden. Im unteren Drittel wird der Weg nun teilweise zu kleinen Plätzen ausgeweitet, die rund um die Architekturen entstehen.

In dieser Kontinuität beginnt eine Gestaltungslust, die sich selbst anfeuert. So hatte ich beim Bauen der Figur auf der neuen Lichtung plötzlich das Gefühl von Malerei. Jedes Stück Holz das ich in eine Lücke legte oder von außen anlehnte, war wie eine Linie oder ein Farbfleck einer Komposition. Ähnlich ist es mit den Ausweitungen des Weges und mit der Gestaltung des Bodens rund um die Installationen. Dieses Freiräumen des Bodens rund um eine Figur ist wenig spektakulär, kaum auffällig, bringt aber die Objekte viel besser zur Geltung.

Neuer Waldraum

Am Ende der vergangenen Woche habe ich nun doch noch einiges aufholen können. Zunächst war ich am Freitag noch im Schaufenster, wo ich auch die Transparentpapierrolle von 2007 präsentiere. Die Ausstellung wird immer leicht verändert, wodurch ich auch die anderen Transparentpapierrollen zeigen werde.

Dann war ich gestern auch wieder am Hang, kam schon mittags am Parkplatz an. Wie meistens stieg ich mit einer leichten Bangigkeit die Böschung neben der Straße hinauf, fand aber alles wenig verändert.

Ein Vater ging mit seiner kleinen Tochter querwaldein und sie kreuzten immer wieder meinen Weg. Aber weder meine Gegenwart noch die Installationen schienen sie während der angestrengten Suche nach Pilzen zu bemerken. Am Ende des Weges baute ich an einer Figur weiter, die ich mit dem Material eines von einem stürzenden Baum zerschlagenen Objektes begann. Ich stapele sehr kompakt und stabil, sodass es erst später zu der diagonalen Fließbewegung des langsamen Zusammenbruchs kommen wird.

Es sind noch viele Stämme markiert, die noch fallen werden. Bis dahin meide ich die Areale der zu erwartenden Verwüstungen, um dann nach den Forstarbeitern, wieder mit dem neuen Raum und Material arbeiten zu können. Am interessantesten für mich sind die trockenen Äste, die weiter unten von den Stämmen getrennt wurden.

Im Lab sahen wir den zweiten Abend der „Five Duets“. Die zwei Stücke hatten eine ähnliche Struktur, wie die gestrigen. Und auch der Humor blieb so, wie in der vorangegangenen Vorstellung. Auch, wenn der zweite Abend keine Überraschung mehr war, bot er genügend spannungsvolles Material, mit dem wir uns die ganze Zeit vergnüglich beschäftigen konnten.

Five Duets

Halbwegs mild fiel noch der erste Herbstregen in der vergangenen Nacht, die gleichlang war, wie der Tag. Und diesen hatte ich für meine Arbeit. Nach der Tagebuchaufholjagd, mit der ich aber noch nicht in der Gegenwart angekommen bin, nahm ich mir etwas Zeit für das Wässern meiner Pflanzen. Nachts kam noch mehr Feuchtigkeit hinzu, so dass ich für das kommende Wochenende davon entbunden bin.

Im Schaufenster zeichnete ich frierend zwei Stunden. Die kleinteilige Verdichtung gerinnt zunehmend kristallin. Die Zeichnungen der Straßenszenen erinnern mich an die, die ich vor zwanzig Jahren gemacht habe. Der unterschied besteht darin, dass ich jetzt mit nur einer Linie vorangehe, die dann im Zusammenrollen von hinten her wieder verschwindet, indem sie von den Tuschekristallen überrollt wird. In dieser weise könnte ich ein ganzes Jahr dort sitzen.

Die ersten zwei von fünf Duetten von Jonathan Burrows und Matteo Forgion sahen wir gestern im Zusammenhang von Motion Bank im Frankfurt Lab. Die Zwei Männer zeigten die ersten zwei Arbeiten an zwei Tischen sitzend. Der Gestus der Stücke ist zurückhaltend virtuos. Die Form bleibt aber immer eher Minimal, wie die Struktur der Musik von Steve Reich. Linien aus Texten, Bewegung, Zahlen und Musik werden überlagert und zu dramatischen Höhepunkten geführt. Der jahrzehntelangen Zusammenarbeit wohnt ein besonderes dramaturgisches Talent inne. Es gibt so etwas wie eine Sicherheit im Aufbau der Spannung. Am einfachsten und deutlichsten erscheint dies bei der Aneinanderreihung von Zahlenkolonnen.  Wichtig sind die Unterbrechungen, Pausen und Überlagerungen verschiedener Ordnungen. Der nächste Schritt der Arbeit innerhalb von Motion Bank wird eine mit Piecemaker aufgezeichnete Onlinepartitur sein. Dabei will man auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Kontrapunktes das Hauptaugenmerk legen. Die Arbeiten sind von einem Rhythmus durchzogen der das Publikum mitschwingen lässt. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse der gegenseitigen Aufmerksamkeit von Bühne und Publikum.

Himmelsbüro

Wolkenlose Dämmerung, unter der die Marktbeschicker ihre Zelte aufschlagen. Kalte Windstille aus dem Weltraum. Ich stelle mir den Sachbearbeiter meiner Firmenhaftpflicht schwebend an einem Schreibtisch vor den Sternen vor. Ein Himmelsbüro mit Überblick – Stalins gütige Augen. Und hinter dem Horizont das allgegenwärtige Gebrüll im Nichts einer unbekannten Gegebenheit. Die Windstille ist an diesem Morgen unheimlich. Nur die Bewegung der Autos, Menschen und Vögel verwirbelt die Luft etwas. Aber die kleinen Wirbel rühren keines der gebräunten Blätter. Flugzeuge starten über meinen Kopf, als hätten wir`s mit Ostwind zutun.

Mir ist als hätte ich in dieser Woche viel versäumt. Ich war nicht am Hang und nur am Montag im Schaufenster zeichnen. Es war eine Woche ohne meine Arbeit, die meine Arbeit möglich macht. Auch mit der Umarbeitung und Übertragung des Tagebuchtextes in die Datei und in meinen Blog bin ich im Rückstand.

M. hat mir erzählt, dass sie, offensichtlich mit Vergnügen, meine täglichen Eintragungen liest. Auch bei dieser Veröffentlichung fühle ich mich in einer Verantwortung, obwohl jeder, der sich in mein Pulldownmenü „Aktuelle Arbeit“ verirrt, gleich wieder, falls es ihn nicht interessiert hinausgehen kann. Anders ist es bei einer Skulptur oder bei Kunst im realen öffentlichen Raum, wo ich hinschauen muss, schlecht immer auf die andere Straßenseite schauen kann.

In den Gleisbetten der noch nicht kultivierten Areale der Güterbahnhofsausläufer liegen manche Kiesel, die noch vom Schwemmland unter dem Schotter stammen. Darüber Grasland – Steppe, dahinter die flimmernde Fata Morgana der Skyline. Metallschlagend transportierten die Waggons die Grassamen von weit her. Korrosionsmondlandschaften auf dem Industrialisierungseisen. Im Atelier steht nun ein hoher Drahtkorb mit den Fundstücken wie sichtbare Zeit. Vielleicht kann man sich dem Material zunächst mit Frottagen nähern.

Flache Pyramiden | Mütter | Steppe in Frankfurt

Setze ich mich und meine Zeichnungen in Beziehung zu den Flugtangenten der Stadtbegegnungen des Flughafens, glaube ich an Zusammenhänge zwischen meinen Strichen und den Linien der Flugbewegungen. Schon einmal vor Jahren verdichtete ich die Agent-Orange-Flüge der Amerikaner über den Vietnamesischen Dschungel auf Transparentpapier und setzte das in Beziehung zu einer Felsgravurenskyline in Petra.

Heute hatte ich wieder ab sieben Schreinerei mit den Lehrlingen und versuche nu wieder in meine Welt zurück zu finden.

Mir kam während des Vortrages der Gedanke, dass die Flachheit der Pyramide, die ihre Stabilität stützt, im Zusammenhang zu Hierarchien des Managements zu sehen ist und auch mit meinem Steinhaufen, den ich im Wald zusammenzutragen beginne. So wächst an manchen Stellen im Wald das Gefühl einer Unzerstörbarkeit oder mindestens einer langen Lebensdauer mancher Bodenskulpturen. Eine genugtuende Arbeit. Mir fehlt der Wald. Gut dass ich wenigstens den Vortrag nur über dieses Thema gehalten habe.

M. besuchte mich im Atelier, um nach ihrer Puppe ohne Arme und mit schwarzer Maske zu fragen. Sie befindet sich in der Ausstellung. Stattdessen las ich ihr „Herakles II oder die Hydra“ vor. Und so kamen wir auf das Mütterthema und andere Dinge.

Und nun sitze ich noch am späten Abend am Schreibtisch, um zu erzählen, dass ich gestern im Rahmen des Workshops über die Gleisbetten der Ausläufer des ehemaligen Güterbahnhofs lief. Wir suchten Metall, das dem Bahnzusammenhang entspringt und das man für Schweißarbeiten brauchen kann. Wir wurden in einer Weise fündig, dass wir schwer zu schleppen hatten. Auf dem Schotterbett sind grandiose Gräser gewachsen. Hinter dieser Steppenlandschaft wächst die Skyline wie eine Fata Morgana in der flimmernden Luft herauf.

Ein Siebzehnstundenarbeitstag liegt hinter mir. Hoffentlich kann ich nun schlafen

Trixelleiter

Teile meiner großen Aluminiumleiter sind beim Günesfestival verschwunden. Mit orientalischer Wurschtigkeit wird reagiert. Ich brauche meine Leiter jetzt für die halbe Höhe meines Himmels um die Rolltormechanik zu reparieren.

Auf Leitern in dieser Höhe befinden sich zwar nicht mehr meine Lieblingsaufenthalte, und schon gar nicht, wenn ich Spanngurte auf einer alten Holzleiter, die zudem noch etwas zu niedrig ist, lösen und neu straffen muss.

Den Lehrlingen, die sich mit dem Gedanken eines Architekturstudiums tragen habe ich von Walter Gropius erzählt. Ich fühle mich in diesem Zusammenhang dazu verpflichtet. Außerdem sprachen wir noch über die Grundbausteine meines Projektes TRIXEL PLANET.

Unruhige Tage, unterschiedliche Menschen, hin und her, keine Konzentration auf meine Arbeit möglich. Das ist sehr unbefriedigend…

Vortrag

Im geöffneten Rolltor sitzend kann ich über den Vortrag nachdenken, den ich am heutigen Vormittag bei der Bahntochter Systel gehalten habe.

Richtig war die Beschränkung auf das Thema der Landart am Hang. Es ist nicht wichtig, möglichst viel von der künstlerischen Arbeit zu zeigen. Es kommt eher auf die Geschichten an, die damit zusammenhängen und die Verbindung zwischen den Themen deutlich werden lassen. Auch mir fallen erst die Zusammenhänge auf, wenn ich darüber spreche, ich stelle sie erst dann her, während ich mich in die Situation und in die Stimmungen der mir gegenübersitzenden Menschen hinein versetze.

Eine interessante Frage, die immer wieder auftaucht ist die nach den Zielorientierungen. Während ich vor einem weißen Blatt sitzend frei beginnen kann, Linien zu ziehen und damit die Inspiration wecke, die sich erweitert und an Schluss verfestigt, fragen die Mitarbeiter nach Vorgaben und Richtlinien.

Maja konnte mich erstmalig in Aktion erleben, wie auch das Feedback der Mitarbeiter. Sie war erstaunt über die Fülle der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen. Vielleicht ist es aber auch einfach reizvoller das Ganze im Kunstzusammenhang zu durchdenken.

Danach schlenderte ich über die Mainzer und schaute noch mal bei den Jungs von Schulz & Souard rein. Mir fehlte schon meine Zeichenstunde im Schaufenster.

Nach den sonnigen Tagen ziehen jetzt dunkle Wolken von Nordwesten heran. Der Regen beginnt so, dass zunächst der Staub auf den warmen Betonplatten zu hüpfen beginnt. In winzigen Explosionen trifft das Wasser auf die Trockenheit. Und in der kurzen Zeit, in der ich eine eigene Wasserspur auf einer Zeichnung verwischt hatte, steht schon ein Millimeter Regen auf dem Beton. Schnell wird es kühl, kleinere Donner erfüllen die Wolken und hinter ihnen erschein Wieder das tiefliegende Sonnenlicht. Regenbogenzeichen entrücken mich für einen Moment.

verwischte Flächen

Die Handschrift wird etwas ungelenker, weil ich am Daumen der rechten Hand, genauer an der Daumenwurzel eine Atrose befindet. Ich merke das auch und vor allem beim Zeichnen mit Tusche und Feder.

Der Sommer hier in der Stadt wurde in diesem Jahr von keiner Reise unterbrochen. Somit war es möglich die Farblichen Veränderungen der Jahreszeit kontinuierlich zu beobachten. Das führte bei mir zu einer anderen Wahrnehmung von Zeit. In den vorausgegangenen Jahren waren die Ahornbäume schon in der Mitte des Sommers von einer Art Mehltau befallen, so dass die Blätter frühzeitig braun wurden. Das war in diesem Jahr nicht der Fall, auch wenn sich jetzt so langsam die Baumkronen einfärben.

Die angebrochene Woche steckt voller verschiedener Arbeit. Morgen geht es um einen Vortrag über meinen Wald im Verhältnis zum Veränderungsmanagement bei Systel. Das Konzept, das ich mir schon vor einigen Tagen überlegt habe, möchte ich heute mit Stoff füllen. Dafür nehme ich mir den Nachmittag Zeit. Mittwoch und Donnerstag arbeite ich mit den Lehrlingen an ihren Holzkisten. Zwischendrin möchte ich so oft wie möglich im Schaufenster zeichnen. Das ist mir in den vergangenen Tagen recht wichtig geworden. Es ist ein Ort zu dem ich in diesem Monat gehöre.

Wenn ich manchmal für die Abbildungsstreifen des Arbeitstagebuches Ausschnitte der Zeichnungen vergrößere, sehe ich die Farbqualität der verwischten Flächen differenzierter und mit anderen Augen.

In der Schirn sahen wir Malerei von Jeff Koons. Es fehlt mir an geeigneten Erfahrungen, die es mir erlauben würden, zu diesen Werken einen positiven Zugang zu bekommen. Sie stammen einfach von einem anderen Planeten, dessen Atmosphäre anders zusammengesetzt ist als auf dem, wo meine Arbeiten beheimatet sind. Deswegen musste ich auch gegen ein allmählich aufsteigendes körperliches Unbehagen ankämpfen.

Wir sahen noch Frankfurts neue Brücke im Osten der Stadt und einen neu entstehenden Park, der von den zwei Türmen der neuen Europäischen Zentralbank flankiert und überragt wird.

Nachtkristall

Wir kennen alle die helle Nachtwolke über dem Flughafen, die wie ein Kristall in den dunklen Raum zu wachsen scheint. Von dort aus erhellt sie als Kronleuchter die Stadt.

Die Hoffnung, die in den täglichen Zeichnungen ruht, macht mich durch ihren Schein erst sichtbar. Der Genuss, auf viel Material zurückgreifen zu können behütet die Erinnerungen, indem sie immer wieder aufgerufen werden. Morgens, wenn ich den Krähen mit dem Spiegel Lichtzeichen zumorse, ziehen siel gleichgültig schnell wieder ab. Manchmal aber äugen sie lange ausharrend vom Baum aus herüber.

Kurz vor Sonnenuntergang flog eine exakte V-Formation von Kanadagänsen tief über das Atelierdach in Richtung Main. Die akustischen Zeichen ihrer Orientierung kündigte sie schon Sekunden im Voraus wie mit fremdartigen Signalhörnern an. Dann gleich zeigte sich ihr unmissverständliches Zeichen, dem ich schnell gefolgt wäre, könnte ich mich rasend über die Dächer heben.

Ein Bild der kaum auslotbaren Depression bot sich mir Vorgestern auf meinem „Inspektionsgang“ in die Nacht. Ein haariger alter Mann lag auf dem Boden einer Küche und schlief im unbeschreiblichen Lärm der benachbarten DJ`s, der die Partygäste zu vertreiben schien. Die Frau, die ihn beobachtend zu bewachen schien starrte, unter dem unbestimmten Rot eines stumpfen Dauerwellenschopfes abwechselnd in einen flackernden Bildschirm und auf das Wesen am Küchenboden.

Gestern in der stillen Dunkelheit zog eine Fledermaus verschlungene Bahnen über unserer wärmenden Glut im Kohlebecken. Die Grillen verabschieden sich konzertant in den Winter und hinterlassen die Erinnerung an eine unbestimmbare Sehnsucht. Diesen Ausklang einer Jahreszeit kann ich nur, weil er mein Ohrgeräusch nicht übertönen kann, in den Augen meiner Frau sehen.

Heute noch einmal ein heller Morgen, in dessen Licht die Gärten schwelgen. Zwischen den Kondensstreifen, deren Muster sich langsam nach Osten verschiebt, leuchtet gleichmäßig metallen die ablaufende Zeit und degradiert alles unter sich zur Vorläufigkeit: die übergroßen Maschinen in ihrem lang gezogenen Donner über der Stadt, das tosende Blut in den Adern und die Spiegelungen in den großen Scheiben. Schaue ich nur ab und zu in den Himmel entdecke ich seine Bewegung wie im Zeitraffer. So ist es auch mit der Erinnerung.

Tagesmäander

Außer an den überlagernden Verdichtungen, zeichnete ich gestern im Schaufenster an der Linie weiter, die die Strukturen von außen aufnehmen will. Meine Bemühungen gingen in Richtung Kleinteiligkeit: Markisen, Stützpfeiler, Leuchtstoffröhren, Beine, Schilder, sitzende Menschenumrisse, umrahmt von der mäandernden Linie, die vom Gegenstand zum Ornament und zurück wandert. Alles ist es Wert, aufgezeichnet zu werden.

Im langsamen Walzer „Tempest“ widmet sich Bob Dylan vierzehn Minuten lang im Traum des diensthabenden Offiziers den Dingen, die mit der Titanic langsam in die Tiefe der kalten Nacht gesunken sind. So wird es auch den gezeichneten Dingen gehen, die vielleicht in einem kleinen dunklen Kristall noch schimmern werden, wie das nächtlich Bild der Vorüberfahrt am hell strahlenden Schaufenster mit meinen Zeichnungen.

Die Einrichtung einer Motivstruktur für das Pyramidenobjekt hat mich gestern im Atelier beschäftigt. Dabei geht es in erster Linie zunächst nur um das System, deswegen kann ich mit anderen alten Motiven arbeiten, um die Möglichkeiten der Überlagerungsstruktur zu erkunden. In der Folge leuchtete mir ein, dass das Denken in langen Streifen sich zugunsten der gleichmäßigen flächigen Ausdehnung verändern muss. Das schließt die Möglichkeit ein, die Streifen aus drei Richtungen aufeinander treffen zu lassen oder miteinander zu verweben, wie ein islamisches Ornament. All das kann ich nur zeichnend verstehen und bin damit erst am Anfang.

Als ich die Bordsteine, die unser Areal von Autos fernhalten sollen, mit weißer Farbe anstrich, erinnerte ich mich an die russischen Kasernen, in denen das auch so war.

Am Abend gab’s in der Feitagsküche das Fest zum Projekt „entlang der Mainzer“. Ich tanzte im Keller ein wenig und alleine. Leere Tanzflächen sind traurige Orte, die man erwecken möchte.

Danach unternahm ich einen Inspektionsbesuch auf Teves, wo einer Nachttanzparty ein ähnliches Schicksal blühte. Junges aufgedonnertes Gemüse, rollt im bulligen Rover von Papa an und langweilt sich danach.

Der Wald ist das Tier

Ein Konzept in der Nacht zu erstellen, das in einen Vortrag münden soll der tags in einer aufgeräumten, produktiven und erwartungsvollen Atmosphäre gehalten werden soll, hat schon von sich aus Differenzpotential. Die Veränderungsmanager bei der Bahn werden einen Vortrag ausschließlich über den Weg an Hang hören. Zu ihm möchte ich gerne große ausführliche Fotografien zeigen, die weniger die Veränderung, oder die nur am Rande zeigen. In der Hauptsache sollen die Zuhörer in die Bilder eintauchen, wie in ein Labyrinth, wie in den Heraklestext von Heiner Müller. Vielleicht kann ich auch aus ihm zitieren: Der Wald ist das Tier.

In der kommenden Woche habe ich außerdem noch zwei Schreinereitage mit den Lehrlingen, auf die ich mich in einer besonderen Weise freue.

Nach der gestrigen morgendlichen Tagebucharbeit zeichnete ich wieder im Schaufenster. Es handelt sich dabei meistens um zwei Stunden, in denen ich auch an der Ausstellung weiterarbeite. Dabei aktualisiere ich die ausgelegten Arbeitstagebuchblätter, platziere neue Exponate aus dem Regal in das Fenster, rolle neue Sequenzen aus, lege die mit weißer Farbe und Schelllack bearbeiteten Ästchen vom Weg auf den Boden und tausche die Schellackobjekte aus.

Am Abend ging ich noch mal an die Galluswarte, um das Fenster in seiner Nachtbeleuchtung zu sehen und ein paar Fotos davon zu machen.

Die Sequenz, die ich dort zeichne, verdichtet sich zunehmend kristallin. Es ist als würde mir diese Art der Ordnung derzeit die beste Orientierung verschaffen. Aus der Verdichtungsphase heraus komme ich noch nicht dazu, neue Figuren aus dem Geschehen vor der Scheibe zu zeichnen. Es ist als würde sich die Geschwindigkeit in der Verlangsamung der Abstraktion bündeln. Ich komme kaum vorwärts, was im großen Kontrast zu der Zeichnung steht, die in einer Linie vorangeht und mit großen Schwüngen Formen aufnimmt.

Das neuerliche Frösteln am Hang wird von der Bewegung wieder aufgehoben. Der Boden duftet feuchtkühl und modrig, die Nebel…

In der Tarnkappe zwischen den Spiegeln

Noch gestern Vormittag saß ich im Schaufenster, um zu zeichnen. Zwei Immobilienhändler interessierten sich für die Ausstellung, weil sie vorher der alte Herr Schulz darauf hingewiesen hatte. Meine Stunden, in denen ich gezeichnet hatte, waren etwas kontemplativ. Es ging um Wiederholungen und Verdichtungen. Mich fand ich in den Zwischenräumen wieder, setzte mir zwischen den Spiegeln die Tarnkappe auf, um in Ruhe alle Bewegungen bis in ihre unendlichen Wiederholungen betrachten zu können, um weit in der Nähe der Unendlichkeit oder an deren Anfang ihre Verzögerungen zu sehen. Die Inseln des Transparentpapiers werden kleiner und klarer umrissen. Das Hin und Her zwischen dem langsamen verdichtenden Zeichnen und dem Verkehr vor dem Fenster, inspiriert mich wieder zu den spiralförmigen Sichtweisen, die aus den unterschiedlichen Geschwindigkeiten ihre Energie ziehen. Die Figuren im Wald kommen durch die Spiralbewegungen ihrer Zusammenbrüche diesem Mechanismus entgegen und beeinflussen dadurch mein Denken.

Am Nachmittag machte ich mich auf in den Taunus, um dem neuen Herbst zu begegnen. Ganz unten am Einstieg hinter der Böschung der Strasse, fand ich auf einem kleinen Geflecht ein Stück Holz mit dottergelben Geisbartpilzen, das nicht von mir stammt. Etwa einhundertfünfzig Meter weiter gibt es einen kleinen Holzstapel, der auch nicht von mir ist. Es sind Botschaften von anderen Hanggängern.

Und nun ist er wieder da, der schöne Nebel, der die einzelnen Figuren und ihre Zwischenräume besser hervortreten lässt. Ich bewegte mich schnell zwischen den Stämmen und trug Steine für den Ort an der ersten Kreuzung zusammen, der noch keinen Namen hat. Ich denke an den „Freischütz“ und in diesem Zusammenhang an die Songzeile: There is a face in the tree, aus dem „Black Rider“ von Tom Waits.

Ganz oben an der neuen Lichtung am Ende des Weges baute ich aus den Resten meiner geschliffenen Figuren und neuen frischen Ästen eine neue Figur.

Am Abend hielt ich im Pavillon meinen Vortrag über das FRANKFURTER KRAFTFELD, eine Gallusübung.

Werkbank | Vortrag

Etwas kürzer trat ich gestern, lediglich die Arbeit am Vortrag, den ich heute Abend halten soll, beschäftigte mich den Tag über. Ich fand Titel für die Bildstreifen, und bin jetzt bei einer Anzahl von fünfundvierzig, die ich zeigen will. Das erscheint mir immer noch etwas zu viel. Aber wenn es zu lange dauern sollte, kann ich das, was ich zu den Bildstreifen zu sagen hätte noch verknappen.

Auf den Tevesgelände habe ich meine Holzplatte vor dem Regen in Sicherheit gebracht. Die nasse Seite wölbte sich schon leicht nach oben. Dann baute ich unsere Absperrung gegen die Autos und für die Wiese wieder auf, die während des Festivals schwer gelitten hat und sich nun erholen soll.

Meine Belohnung war ein besonderer Fund zwischen dem Müll, den die Günesfestivals hinterlassen haben. Hinter den einstürzenden Baracken sog sich eine alte auseinander genommene Hobelbank voll Regenwasser. Schon seit meiner Schreinerlehre träumte ich von einem solchen Stück, wie von einem eigenen Boot. Mit Rolands Hilfe transportierte ich das gute Stück unter mein Vordach, wo es nun erst einmal durchtrocknen kann.

Die zwei jungen DJ`s, die die Werkbank alle zwei Monate für ihre Plattenspieler brauchen, deponierten das edle Teil zwischen all dem Müll des Günestheaters.

Gestern gab es ein überraschendes Feedback von der aus der Lufthansa auf meine Workshopflyer. Im Oktober werde ich neue Teilnehmer bekommen. Vorher habe ich die Werkstatt noch etwas aufzuräumen, größere Tische bereit zu stellen und Material einzukaufen.

Heute will ich noch mal kurz ins Schaufenster, um an der dort entstehenden Sequenz weiter zu arbeiten. Dann stehen noch ein Hang Gang und der Vortrag am Abend auf dem Programm.

Pyramidenform | Reduktion

Der Gedanke hat etwas Verlockendes. Eine reduzierte Form des Arbeitstagebuches. Öfter schon hatte ich daran gedacht, diese starre Form aufzugeben. Die täglichen drei Zeichnungen kann ich deswegen beibehalten, weil sie es sind, die mir am wenigsten schwer fallen. Wenn sich weniger Text auf den handschriftlichen Seiten befindet, kann ich sie sogar noch ausweiten oder anders mit den Worten und ihren Inhalten verbinden. Aber ganz so einfach ist es nicht auf die genauen Beschreibungen von Vorgängen oder Vorhaben zu verzichten. Ich sollte die verschiedenen Möglichkeiten vielleicht einfach etwas locker mischen können. Ein langsamer Übergang wäre gut, denn die strenge Form gehört nun schon zwölf Jahre zu mir und hat sich in dieser Zeit immer weiter intensiviert und in den Mittelpunkt der Arbeit geschoben.

Morgen Abend habe ich einen Vortrag zu halten, der noch vorbereitet werden soll. Die Bilder dafür, die den Faden des Ganzen bilden sind schon zusammengesucht und stammen aus den Arbeitstagebuchstreifen. Nun sind sie zu reduzieren und mit kleinen Texten oder einzelnen Bezeichnungen zu versehen. Anfangen werde ich mit einer kurzen Beschreibung des Frankenalleeprojektes, für das ich die Broschüre verteilen kann. Dann folgen die Ausstellungen „Wien – Varanasi“, „Kraftfeld“ und „Frankfurter Kraftfeld“. Und Extra dafür habe ich am Morgen noch eine Abbildung mit Pyramiden animiert, die das skulpturale Vorhaben illustriert.

Der erste Regenschauer fiel herab. Das Wetter wird sich nun ändern. Ich freue mich auf die Feuchtigkeit und den Nebel im Wald, darauf, dass die Sommerausflügler fehlen werden, die Bäche anschwellen und sich alles am Boden glänzend niederlegt. Dann kann ich die Tarnkappe ein und das Licht in mir ausschalten. Die südwestlichen Wolken verheißen Linderung, das abgeblendete Licht verlangt nicht mehr ständige Aufmerksamkeit von mir. Gedämpfteres Leben nach den hysterischen Sommerwochen.

Schreiben im Schaufenster

Ein Windwirbel trägt Taubenfedern, Blätter und papierene Schnipsel zusammen, und Zellophanpapier nannten wir früher die Folien, in die die weichen Karamellbonbons eingeschlagen waren.

Ich sitze im Schaufenster und habe am Morgen die Pflanzen am Atelier gewässert, weil ein heißer Tag bevorsteht und sie gestern ohne Wasser auskommen mussten. Statt sie zu gießen, waren wir Gestern mit Heike am Hang. Sie ist ein schneller Mensch.

Es gab keine Zerstörungen an den neuralgischen Punkten, keine Veränderungen. Das grelle Vormittagslicht war etwas fremd und schaffte große Kontraste zwischen Lichtflecken und Schatten, sodass die Installationen etwas untergehen. Heike gab ei Erinnerungsbild, das ihr im Bereich der Steinausgrabungen einfiel. Eine der Gruben und der anschließenden Bodengestaltung erinnerte sie an ein Yoni, das Gegenstück zum Lingam, deren skulpturale Entsprechungen wir zu tausenden auf unseren Indienreisen gesehen hatten.

Auf dem Rückweg von Fuchstanz folgte ich einem schon fast aufgegebenen Weg, der mittlerweile schon sehr zugewachsen und von gefallenem Holz bedeckt ist. Dieser Abschnitt würde sich gut für weitere Eingriffe in diese Struktur eignen. Trockene gerade Stangen und gestürzte Laubbaumriesen liegen auf dem Weg.

Auf Teves vor meinem Atelier steht eine Art Flaschentrockner, in den ich nun einige Äste von meinem Hang eingeflochten habe. Ich beginne so Hang Gang und Teves zusammen zu bringen.

Das Schreiben im Schaufenster ist etwas mühselig. Ablenkungen durch den Verkehr, Passanten und Gespräche. Die meisten Fußgänger verhindern, mit mir Blickkontakt aufzunehmen. Sicherlich hat nur ein Prozent von ihnen was mit Kunst zutun.

Neue Lichtung | Rolling Stones

Auf dem Tisch vor meinem Atelier hatte ich die schatten und deren Äste fotografiert und bin immer am Ordnen dieser Dinge aus dem Wald. Die geschlagenen Stämme am oberen Ende des Weges sind nun abtransportiert. Aber die Verwüstungen hielten sich in Grenzen. Mein Versuch, mit den neu abgeschlagenen Fichtenästen etwas zu bauen scheiterte zunächst. Das lag einerseits an der wenig starren Beschaffenheit des neuen noch saftigen Materials und an mangelnder Zeit.

Die Gleichförmigkeit der Waldmaschine ist aber durch einen neuen Ort verändert worden. Ein Stück Himmel trat hervor, in das hinein nun Buchen, Eschen und Erlen wachsen können.

Zur allgemeinen Arbeit am Hang kommt nun der Transport der Steine an den zentralen Ort bei der Kreuzung mit dem ersten Forstweg hinzu. Ich denke an diesen großen Haufen am Jacobsweg, wo die Steine meistens noch bemalt sind, Texte tragen oder Daten und Namen.

Heike Hambrock, die Vorsitzende des Kulturausschusses der Stadt Frankfurt besuchte mich im Atelier, wo ich ihr meine Arbeit am Trixel Planeten und da besonders am Frankfurter Kraftfeld zeigte. Außerdem erläuterte ich ihr die Situation auf dem Gelände. Die Hauptarbeit spielt sich abseits eines solchen Festivals ab, eher in den kontinuierlichen Zusammenarbeiten unter der Woche.

Am Abend war ich auf den Sindlinger Straßenfest. Arun spielte eine wunderbare Bluesgitarre, mit deren Improvisationen er mich davon driften ließ in die Siebzigerjahre, als wir in die umliegenden Orten zu den Coverbands pilgerten, um die Songs der Stones oder Jazzrock zu hören. Nachts liefen wir dann viele Kilometer, teilweise auf den Bahndämmen zurück und träumten von einem Leben ohne unüberwindliche Grenzen. Erst beim letzten Song griff Arun zur elektrischen Gitarre und ich erzählte seiner Frau von unserer Begegnung mit den Rolling Stones in der Voodoo Lounge, und davon wie Keith Richards sich für meine Radierungen interessierte, wie höflich und energiegeladen das Treffen ablief. Wir standen wippend neben Arun und seiner Rhythmusgruppe und freuten uns.

Experimentelle Waldkommunikation

Eingehüllt vom Geräusch flügelschlagender Tauben und dem monotonen Stadtgrummeln am frühen Morgen. Nach der Tagebucharbeit gestern zeichnete ich im Schaufenster. Zeichnend besann ich mich auf die alten Tugenden der Fortschreibung der Linie durch Überlagerung. Die Straßenszenen werden zu einem kompakten Block. Manchmal helfe ich Neugierigen und sage ein paar Sätze zur Ausstellung. Eine ältere osteuropäische Frau meinte dazu: „Aber wie kann man das alles machen?“ Ich meinte dann: „Einfach anfangen und nicht aufhören, bevor es fertig ist.“

Am Nachmittag war ich am Hang um nachzuschauen, was es Neues gibt. Meine experimentale Kommunikation mit dem Zerstörer meiner Bauten und Zeichen habe ich weiter geführt. Ein heller, sehr auffälliger Stein wurde von seinem Sockel, einem alten Baumstumpf gestoßen. Nun habe ich ihn nicht einfach wieder auf seinen Platz gestellt. Stattdessen legte ich ihn neben die Wurzeln und umringte ihn mit weiteren großen Brocken. Daraus wird nun im Laufe der Zeit sicherlich ein ziemlich großer Steinhaufen, inspiriert durch den Menschen, den diese Dinge im Wald stören und der sich auch an einigen anderen Bauten vergriffen hat. Auf die Schnittfläche, auf der vorher der große Stein stand, legte ich nun einen kleinen, wenig auffälligen. Meine Taktik ist das Wiederaufrichten der Figuren auf einer unauffälligeren Basis. Ich biete also einen Kompromiss an. Ich bin gespannt, wie das weitergeht und stelle mir ein Zusammentreffen mit ihm vor. Der Steinhaufen wird ein zentraler Ort des Weges werden, vielleicht sogar der Einstieg für manche, den Weg zu gehen.

„Hanglage Meerblick“ hatte gestern in einer Regie von Schuster, der in Meißen geboren ist, Premiere. Das Stück beschreibt unsere geldgierige Gesellschaft aus der Sicht von Immobilienmaklern. Etwas eindimensional werden Realitäten gezeigt, die auch auf andere Lebensbereiche übertragbar sind. Ich kannte schon, was ich gesehen habe und kein Hintersinn leuchtete einen weiteren verborgenen Raum aus. Nicht klüger, nicht ratloser und wenig inspiriert war ich nach dem Applaus. Die Gespräche danach gingen um etwas anderes.

Zentrum der Mainzer

Wieder habe ich in der frühen Dämmerung den Polarstern fotografiert, hätte aber eigentlich nicht so früh aufstehen müssen, sitze aber nun schon gewohnheitsgemäß um Sechs am Schreibtisch.

Gestern fand eine Ausstellungseröffnung auf der Strasse statt. Die Reden von Klaus-Ludwig und von Christian gingen meinen Erklärungen zum Projekt FRANKFURTER KRAFTFELD voraus. Ich hatte das Gefühl, dass wir das Zentrum der Mainzer bildeten, an dieser wichtigen von verschiedenen Verkehrsströmen durchpumpten Engstelle. Die Präsenz der Arbeit ist an diesem Knotenpunkt gewährleistet. Trotz der umtriebigen Vorbereitungen für die Vernissage habe ich noch im Fenster gesessen und an der Transparentsequenz  weitergearbeitet.

Vormittags stellte ich noch einen Ordner mit den Tagebuchzeichnungen vom September 2011 bis zum September 2012 zusammen, die ich in den elektronischen Bilderrahmen lud. Im Schaufenster aber war wegen der Helligkeit kaum etwas zu sehen.

In meiner Rede sprach ich über die Vergleichbarkeit der Atelier und Schaufenstersituation. Die Gäste blieben dann noch eine Weile, wodurch ich viele Gelegenheiten hatte, vom meiner Arbeit zu erzählen. Nicht wenig Aufmerksamkeit wurde dem performatorischen Versprechen des Arbeitstisches zuteil. Manche lasen interessiert in den Texten die ich an sich nur als Illustration meiner Arbeitsweise in Stapeln ausgelegt habe.

Jetzt reizt mich der erste ruhige Arbeitsvormittag an diesem Tisch, wodurch ich das Versprechen, das ich mir gab, heute nicht zu arbeiten, wohl nicht einlösen werde. Am Nachmittag gehe ich an den Hang im Taunus, um nach den Installationen zu schauen und neue Dinge dort zu beginnen.

Im Verlauf der Ausstellungsvorbereitung ist die Ideenfindung für die Pyramidenstruktur des FRANKFURTER KRAFTFELDES etwas aus dem Blick geraten. Die bisherigen Überlegungen sind eher flüchtig und noch nicht genügend ausprobiert. Wenn ich nun aber täglich damit arbeiten kann, wird sich diese neue Methode auch verfestigen.

Gesträuch im Bus | lärmendes Metall

Mit dem großen Transporter von Schulz & Souard bin ich gestern an den Hang gefahren, um dort Material für die Installation im alten gelben VW – Bus, der direkt an der Strasse hinter, oder je nach Standort vor dem Geschäftsparkplatz steht. Einige Hölzer, die ich vom unteren Teil des Weges aufsammelte, legte ich gleich am Atelier auf einem Tischgestell ab, das dort seit ein paar Tagen vor meinem Rolltor steht.

An der Galluswarte lud ich dann das ganze Material aus, und begann, wie bei einer freistehenden Figur im Wald, die Stangen in einer Pyramide aneinander zu stellen. Ansonsten bestand das Holz aus weit gewundenen Buchenästen, die in sich schöne Formen bilden. Das versuchte ich im „Aquarium“ des Oldtimers zu verdichten. Nun ist der direkte Bezug vom Wald zum brüllenden Verkehrsknotenpunkt auch größer auch augenscheinlicher hergestellt.

Im Schaufenster begann ich eine neue Transparentpapierrolle zu zeichnen. Den Anfang machen ein paar flüchtige Figuren von Passanten, die in einer Linie zu Architekturteilen der Eisenbahnbrücke übergehen. Der kreischende, schlagende, explodierende, grollende und gewalttätige Klang dieses metallenen Baukörpers, vertreibt die Menschen aus dieser Hölle. Lediglich die Biertrinker an der Galluswarte erzeugen so etwas wie harrende Kontinuität. Ein Fahrradfahrer stieg vor dem Schaufenster ab, um auf meinen Tisch zu schauen. Nah vor seinem Gesicht sah er, wie ich es gerade zeichnete. Diese Rolle will ich nun in der bewährten Weise immer weiter verdichten. Das Neue dabei ist nun, dass die einzelne lange Linie, mit der ich die Straßenszenen immer weiter fortschreibe, noch nicht zu Ende gezogen ist, während sie von ihrem Anfang her schon wieder überlagernd verdichtet wird.

Mit Ladenschluss verließ ich meinen neuen Arbeitsplatz, um zur Eröffnung des Gesamtprojektes „Entlang der Mainzer“ zu gehen. Immer mal besuchen mich dann bei solchen Veranstaltungen die Gespenster der Frankenalleezeit. Fehler, die zu Brüchen geführt haben, können nicht rückgängig gemacht werden.

Waldfigur im VW-Bus

Kurz vor der Dämmerung fotografierte ich den Mond und den Polarstern am sehr klaren Nachthimmel, der von Osten her beginnt, blau zu schimmern. Am heutigen Mittwoch werde ich am Vormittag in den Wald gehen, um einerseits den Hang zu pflegen, zu schauen, was mein Zerstörungspartner angerichtet hat, aber auch, um Material für eine Installation in der Stadt zu holen. Dafür leiht mit K. – L. seinen Bus, mit dem ich in der Waldwegeinfahrt direkt unter dem Weg parken kann, um dort diverse Äste etc. einzuladen.

Bei der Figur hatte ich an einen kleineren Bau gedacht, den ich in dem alten, vor dem Schaufenster stehenden VW-Bus einrichten würde. Gut wäre es, wenn er in Höhe der Autoscheiben ein auffälliges ausladendes Gesträuch aufweisen würde. Ich werde sehen, ob ich die Sichtbarkeit des Ganzen mit etwas Farbe unterstützen muss, beispielsweise die Enden der Äste vor dem brüllenden Verkehr einfärbe.

Mit dem Ausstellungsaufbau war ich gestern noch mal ganztägig beschäftigt. Die Ausdrucke von Waldinstallationsfotos hängte ich an Perlonfäden vor die linke weiße Wand des Schaufensters, teilweise darüber eine Transparentpapiersequenz, die eine der Installationen behandelt. Auf derselben Seite stellte ich, als Gegengewicht zum Archivregal, die metallene Dreiecksgitterskulptur auf. Einen Auszug aus dem zwanzig Meter langen Streifen „WHERE…“, zu „Songs Of The Papago“ von David Morrow, hängte ich teilweise senkrecht ausgerollt auf die rechte Archivseite. Darin zeige ich eine Verdichtungssequenz des damals noch weit gestreuten Taunusweges am Kleinen Feldberg.

Am Morgen druckte ich weitere Tagebuchseiten vom Januar aus, um das Arbeitsprinzip klar zu machen. In eines der unteren Regalfächer habe ich Waldbodenmaterial geschüttet, um den Bogen zum Hang Gang im Taunus zu spannen. Außerdem legte ich dafür auch eine Kartierung der Wegprojektion des Hangweges auf die Mainzer Landstrasse am Boden des Fensters aus. Nun fehlen noch der allgemeine Ausstellungstext, eine Vita und der elektronische Bilderrahmen mit den über tausend Bildern aus dem abgelaufenen Arbeitsjahr.

Am Tisch im Fenster

Heute sitze ich schon um sechs Uhr mit dem Gefühl am Schreibtisch, alles schaffen zu können. Das Tagebuchschreiben gestern nach dem Ausstellungsaufbau war mir zu anstrengend. Der Tag soll heute etwas entspannter ablaufen.

Ich werde heute noch weiteres Material transportieren, beispielsweise das Metalldreiecksgitternetz aus dem Atelier, das ausgedruckte Wegematerial und andere GPS-Wanderungsausdrucke, die Voraussetzung für das FRANKFURTER KRAFTFELD sind, Fotos der Waldinstallationen, die das Grundmaterial für die gezeichneten Waldsequenzen bilden und die Arbeitstagebuchblätter dieses Jahres vielleicht. Die tausend Tagebuchzeichnungen eines Jahres finden im elektronischen Bilderrahmen Platz. Zur Wegesequenz von G. werde ich zwei Kristallsteine hinzufügen, um die Gitterstrukturen im Schaufenster zu verteilen und aufeinander beziehbar zu zeigen. Die Überlagerungs- und Kristallisationssequenz der GPS-Aufzeichnung von G. am Hang hängte ich senkrecht in das rechte Fenster. Es markiert damit die vorderste Ebene, an der vorbei man entweder auf das Regal schauen oder die Wand mit den zusammengefalteten Schelllack-Tuschearbeiten ansehen kann. Die Ausbaubarkeit des Systems ist nun bereits zu ahnen. Jetzt muss ich nur entsprechend alles ausdrucken, die Originale herauszusuchen und richtig platzieren.

Da gibt es beispielsweise die SYNAPTISCHEN KARTIERUNGEN, deren Strukturen dem fluiden Teil der Arbeit eine breite Basis gegeben haben. Mit ihnen hängen auch die Verwischungen zusammen, die in den drei täglichen Arbeitstagebuchzeichnungen eine große Rolle spielen. Gerne möchte ich von den verschiedenen Zeitempfindungen erzählen, die zwischen Kristallin und Fluid liegen.

Das Sitzen am kleinen Schultisch gab mir gestern einen Vorgeschmack auf die kommenden Wochen, in denen ich öfter dort arbeiten will. Mich interessieren die Bewegungen auf der Strasse und die Menschen, die mit ihren Arbeitswegen beschäftigt sind. Und gerne würde ich mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftauchen, damit die Leute die Gelegenheit haben, sich an mich zu gewöhnen.

Im Schaufenster

Heute saß ich schon mal an meinem Tisch im Schaufenster vor dem dröhnenden Verkehr, in den Strahlen der Blicke der Passanten und im Geratter der S-Bahnen, der Straßenbahnen und der Laster.

Die Installation am Weg ist wieder zerstört worden. Ich hatte sie ja nach der letzten Zerstörung etwas fester gebaut, jedoch wieder ziemlich hoch und somit gut sichtbar. Die Schäden befanden sich vor allem auf der Seite des Weges. Ich trete jetzt zurück von meinem Ärger und ein in einen Dialog mit jemandem, den meine Bauwerke stören. Er ist bereit seinen Waldweg zu verlassen, um das, was ein anderer gebaut hat, zu zerstören. Als erstes frage ich mich, was es sein mag, was ihn stört. Das will ich nun an dieser Stelle testen. Sicherlich sind es in erster Linie hoch aufgereckte Figuren, die seine Aufmerksamkeit erregen. Für mich gibt es viele Möglichkeiten zu reagieren. Als Erstes habe ich gestern die Konstruktion niedriger gemacht. Ich dachte, in der Nähe des Weges Stapel anzufertigen, die zurückhaltend sind. Bodengestaltungen oder gar Steingruben lassen sich schwer zerstören. Der Effekt ist gering gegenüber einem Zusammenbruch einer hohen Figur.

Am oberen Ende sind noch keine weiteren Bäume gefällt worden. Immer mehr, auch freistehende Figuren beginnen zu kippen. Ich stütze sie, indem ich ihre eigenen Stangen versetze. Mit diesen Schritten beginnen sie zu gehen.

Am Morgen fuhr ich ins Atelier, um das erste Material in das Schaufenster zu transportieren. Zunächst füllte ich das auf der linken Seite stehende Regal mit aufrecht stehenden Transparentpapierrollen, mit Schelllackarbeiten und eingeschlossenen Fundstücken. Dann holte ich zwei beliebige Reliefplatte und hing sie in die Mitte. Das ist wegen der oberen Abblendung des Fensters nicht ideal, sieht aber besser aus, als ich vorher dachte.

In den Raum schreiben | Nebel

Handschriftliche Hinweise und Notizen auf Transparentpapier gehen mir als Wegweiser durch meine Installation im Schaufenster durch den Kopf. Mit dieser Art und Weise von Beschriftung folge ich meinem Arbeitsprinzip des Tagebuches und verlängere es in die Erschließung des Raumes: In den Raum schreiben, Sätze falten und Kalenderdaten setzen, die mit der Arbeit vor Ort zusammen hängen.

Mit dem Gedanken, Arbeitstagebuchblätter auszudrucken und zu präsentieren, hadere ich noch etwas, bin noch nicht ganz überzeugt davon, obwohl das ganz klar zu meinem Arbeitsalltag gehört.  Aber Handschrift und Zeichnungen gehören eng zusammen und ein Block Tagebuchzeichnungen wird es auf alle Fälle geben. Interessant sind die Entwicklungen der Zeichnungen, die anhand von solchen eines identischen Tages in verschiedenen aufeinander folgenden Jahren aufgezeigt werden können. Die Archivarbeit ist aber derzeit genau der richtige Ansatz, für den ich auch die meiste Energie aufbringen kann.

Ein weiteres Prinzip, das ich anwenden kann, ist das des Bühnenbildes. Ich kann tiefe Räume entwickeln, durch verschiedene transparente Ebenen, wie ich das so gerne unternehme. Es erinnert mich an die nebligen Räume zwischen meinen Installationen am Hang, die eine schichtenartige Tiefe des Waldraumes erzeugen.

Nun überlege ich doch wieder einige der Pappmachereliefs auszustellen, weil sie so eng mit der Vorbereitung des Frankfurter Kraftfeldes verbunden sind. Ich werde das vor Ort entscheiden können.

Zeichnungen | trockenes Holz | elektronischer Bilderrahmen

Ich durchsuchte im Atelier meine Regale nach weiteren Arbeiten, die in die Installation auf der Mainzer passen würden. Dabei traf ich auf Arbeiten, die den Vorgang verdeutlichen, der zum System Kraftfeld geführt hat. Das alles lagert in den Papprollen, in denen sich hunderte von Zeichnungen befinden. Viel Material läuft mir über den Weg, das ich schlicht vergessen hatte. Es zu sichten, bedeutet zu ganz neuen Ausstellungsideen zu kommen.

Mit M. sammelte ich trockenes Holz auf dem Gelände, das wir begannen zu bearbeiten. Es folgte ein Gespräch über die zusammenhänge von Material und Motivik im Zusammenhang mit dem, was man erzählen will und dem, was einfach dadurch entsteht, dass es von der Stimmung geformt wird, in der man sich befindet. Diesem Vorgang, der unbewusst läuft, muss man sich hingeben können, um das Werk in einer Weise zu verdichten, wie es bislang nicht denkbar war.

In dem elektronischen Bilderrahmen habe ich noch Zeichnungsdateien einzurichten, die ein vollständiges Jahr Tagebucharbeit zeigen sollen. Ein Loop würde etwa anderthalb Stunden dauern.

entlangdermainzer

Die Möglichkeit, eine Transparentpapierrolle über die ganze Breite des Schaufensters auf der Mainzer auszurollen entsteht als Szenario vor meinen Augen. Damit hätte ich vielleicht nur ein Fünftel der ganzen Rolle gezeigt. Es bliebe also noch genügend Material übrig, das ich später zeigen kann.

So nährt eine Rhythmik die Erfindung der Strukturierungsmechanik für dieses spezielle Projekt. Aus ihr wiederum entstehen Bilder, Dokumentationsstreifen, mit der Kamera von innen durch das Transparentpapier in den Verkehr, ins nachmittägliche Gegenlicht oder von der äußeren Nacht in den beleuchteten Raum.

Mittlerweile ist die Website „entlangdermainzer“ im Netz.

Abend

Zwei afrikanische Trommler kamen mit einer europäischen Gruppe zu einer Übungsstunde auf dem Freigelände, als der Mond über die Dächer in den Sternenhimmel stieg. Sie spielten sich den ganzen Abend über ein, bis sie in ihrer letzten Improvisation, die bestimmten Regeln folgte, in einer Weise auf einen Punkt gekommen sind, dass man glaubte, eine einzige, vielfältige Trommel zu hören. Diese präzise Dynamik war mitreißend, dass wir zufällig just in dem Augenblick, als die Übungsstunde vorbei war, spontan applaudierten. Langsam wurde der Sternenhimmel von einer Gewitterwolke verdeckt, die hinter uns aufzog und immer wieder von lang anhaltenden Blitzen bläulich erleuchtet war.

Morbidität des Temporären

Mir bereitet die verstreichende Zeit im Hinblick auf die Ausstellung etwas Unbehagen. Eswird dadurch ausgelöst, dass ich noch nie in einem solchen Rahmen gearbeitet habe. Der nicht sehr tiefe Raum hinter dem gewaltigen Verkehr mit seinem großen Lärm und den vielen Menschen. Ich sollte mich nicht scheuen mit größeren Transparentpapierbahnen zu arbeiten, damit das Schaufenster teilweise zu verhängen, nicht vor dem Gebrauch von Tesafilm zurück zu schrecken und vor der Morbidität des Temporären. Improvisierte Montagen, die verschiedene Dinge zusammenführen und neue Zusammenhänge zeigen und andere Denkmuster als gewöhnlich hervorrufen. Das Arbeiten im Schaufenster interessiert mich. Vielleicht verlege ich meine tägliche Tagebucharbeit dorthin. Die Tage könnten mit der Komplettierung des Schaufensters verbracht werden. Das kann ich mit weiteren gezeichneten Sequenzen oder der Weiterentwicklung des FRANKFURTER KRAFTFELDES tun.

C. hat mich bei unseren Termin erwischt, bevor ich alle Dinge zusammen geräumt hatte. Deswegen vergaß ich die Kamera. Gerne würde ich den Prozess des Bäumefällens und die damit zusammenhängende Entstehung neuer Räume dokumentieren.

Holz-Ein-Schlag-Ader

Den rosafarbenen diagonalen Farbspraymarkierungen folgten nun sofort Taten. Fünf oder sechs große Stämme liegen kurz vor und auf dem Ende des Weges. Mehrere Bauten sind zerstört. Nun wird es aber zur endgültigen Verwüstung erst kommen, wenn die Stämme abtransportiert werden. Eine große Lichtung ist entstanden, auf der sich nun der Wildwuchs eines kleinen Urwaldes Raum schaffen wird.

C. begleitete mich und baute hier und da kleinere Eingriffe, die ich teilweise aufnahm und weiter führte. Ich hatte gut zutun, um einige verschiedene Konstruktionen die in sich zusammensanken, wieder aufzurichten, oder sie in einer Weise zu reparieren, dass ich die Bewegungen verlangsame. Am Ende werden die einfachen angelehnten Hyperbeläste und die Stapel, die ich vom Boden an um die Baumstämme schichte länger überleben. Am längsten aber sicherlich die Steingruben, die ich aushob und in denen ich die Kristalle fand. Im Prinzip stehe ich diesen Bewegungen machtlos gegenüber. Die Zusammenbrüche kann ich mit viel Fleiß herauszögern, muss mich aber mit allen Veränderungen mit bewegen.

Mein Steinaushub, den ich SIEGFRIEDS GRAB nenne, verursachte bei C. eine Erinnerung an einen Prosatext, an dessen Ende sich zwei Männer in ein Grab legen, einer von beiden dem anderen eine Wunde zufügt, an der er verblutet, der Freund aber mit ihm stirbt. Aus der Hauptschlagader fließt das Leben – eine Wurzel schwebt in der Mitte des Grabens für vierzig Zentimeter im Raum, eine Baumader überbrückt das Grab. Somit ist das Ausgangsmaterial für die Suche nach dem Erinnerungsbild klar definiert. Es besteht aus der von C. gelaufenen Linie und aus meinem Bauwerk im Wald, vielleicht sind beide zu verflechten in einer Figurensequenz.

Sequenzen im Raum

Nun benötige ich weitere Motive für mein FRANKFURTER KRAFTFELD. Eine Schlange mit einer Katze habe ich noch im Fundus, muss sie aber noch zeichnen. Dazu habe ich die betreffende GPS-Aufzeichnung des Hang Gangs von A. schon mehrmals in eine begonnene Sequenz gezeichnet. Als Nächstes werde ich das Geflecht verdichten und mich in seine Linien versenken.

Heute gehe ich mit C. den Hang hinauf. Für meine Gäste ist es sicherlich kaum vorstellbar, wie lange ich mit ihren Erinnerungsbildern zutun habe. Das bisher langwierigste Beispiel ist die Leuchtstoffkathedrale.

Am Wochenende war genug Zeit, die Struktur des Systems von FRANKFURTER KRAFTFELD zu überdenken. Im Restaurant des Klosters Eberbach baute ich aus Kerzenwachs eine dreiseitige Pyramide, mit deren Hilfe B. das Ganze besser zu erklären war. Manchmal eile ich voraus und denke schon an Detail der Abgusstechnik.

Heute Morgen hatte ich die Idee, eine Dreiecksgitterkonstruktion dafür zu benutzen, das Pyramidenprojekt auszuprobieren und zu durchdenken. Es scheint mir das richtige Mittel zu sein, Unwägbarkeiten des Systems zu minimieren und das Projekt weiter zu entwickeln. Als Nebenprodukt entstehen sicher einige reizvolle Gitterskulpturen, die ich demnächst auch ausstellen könnte. Über die Arbeit an FRANKFURTER KRAFTFELD hinaus, können ein paar neue skulpturale Sequenzen entstehen, die den Gedanken der Überlagerung und Verdichtung ins Räumliche erweitern können.

Copy-and-Paste-Methode

Das Verfahren, frühere Werke oder teile davon in die gegenwärtige Arbeit mit einzubeziehen, eine „Copy-and-Paste-Methode“, wende ich seit den Achtzigerjahren, als ich begann mit Computern und Paintprogrammen zu arbeiten, immer wieder an. Das kommt beim Zeichnen vor, aber auch in der Malerei. Ich kann mich noch an die Entdeckungen erinnern, die am Beginn dieser Phase standen, wie die Wiederholung und Vergrößerung von Motiven, deren Fragmentierung und Weiterverarbeitung  zu Arbeitsweisen führte, denen ich auch während Zeiten der Abwendung von der digitalen Technik treu geblieben bin. Heute ist die digitale Arbeit viel mehr Mittel zum Zweck und hat diesen Charakter des aus den Möglichkeiten Schöpfens etwas verloren. Man kann verschiedene Dinge, ausprobieren, die man sich vorher überlegt hat, wie zum Beispiel die Erinnerungsbilder auf die gesamte Oberfläche einer Pyramide zu bringen. Somit baue ich langsam die Entwicklungsstruktur von FRANKFURTER KRAFTFELD weiter aus. Es ist aber nicht so einfach, wie ich gedacht hatte.

Auf die „Copy-and-Paste-Methode“ kam ich nur, weil wir gestern in der Basilika von Kloster Eberbach die h-Moll Messe von Bach gehört haben. In diesem Spätwerk bedient sich der Meister ja verschiedener älterer Stücke, deren Material er später zu diesem Werk montierte. Auch die Aufführung hatte etwas Montagenhaftes. Sehr deutlich waren die Sätze voneinander getrennt, teilweise von kleinere Umbau- oder Stimmpausen gerahmt, was die Arbeitsweise, des sich über Jahrzehnte hinziehenden Prozesses auch widerspiegelt. Es gab sehr schöne leise Teile, in denen beispielsweise Singstimme, Cello und Querflöte miteinander musizierten. Dieselbe Messe sahen wir vor zwei Jahren auch in der Basilika. In meiner Erinnerung war sie strahlend, klar und präzise, soweit ich das beurteilen kann. Gestern hatten wir es mit einer weich geführten, gedämpften Variante zutun, zugunsten einer feinen Modulation des Zusammenspiels. Ich hatte das Gefühl einer plastisch gestalteten, modellierten Musik beizuwohnen.

Dazu kommt der Ton, den die architektonische Hülle anschlägt. Wir hatten die Gelegenheit von außen die Proben zu hören, die von den Fenstern und den Mauern aufgenommen und weitergeleitet worden sind. Im fleckigen Innerraum der Basilika dann, flogen zu fortgeschrittener Stunde die Fledermäuse ihre Bahnen. Der schönste Augenblick der Musik ist ihr Nachhall nach dem Ende im Raum.

Popsong der Kunst

Am Vormittag hatte ich ein schönes Gespräch mit J. vom Internationalen Bund.  Sie konnte meine Begeisterung teilen, wenn ich von längerfristigen Kunstprojekten sprach die auch dem Gelände zugute kommen könnten. Sie möchte, dass ich die Möglichkeiten ihrer Einrichtung auf dem Gelände erweitere. Die Richtung sind Kunstprojekte, an denen Jugendliche und junge Erwachsene die verschiedensten Dinge lernen können.

Etwas befreit, weil ich das Bild für die Leuchtstoffkathedrale gefunden habe, konnte ich nun über die Struktur des Reliefs FRANKFURTER KRAFTFELD nachdenken, mit dem ich dem Thema Erinnerung beikommen will. Bei Versuchen gestern im Atelier bin ich wieder auf die Dreiecksform zurückgekommen. Vollständig klar ist mir das System noch nicht, glaube aber auf dem richtigen Weg zu sein. Die Grundform kann eine gleich- und dreiseitige Pyramide sein, deren Flächen die Reliefverflechtungen aufnehmen. Das sollte in einer Weise geschehen, dass die Bilder insgesamt vier Dreiecke aus denen ein größeres Dreieck wird ausfüllen und noch über die Randbegrenzungen hinaus reichen. Das würde ein Prinzip möglich machen, das ähnlich wie das alte Kraftfeldsystem funktioniert. Die Pyramidensteine können ineinander gestapelt, mehrfach abgegossen die vollständigen Bilder oder Abwandlungen durch deren Drehung zeigen. Auf das Ineinandergreifen aller Linien kann verzichtet werden, weil das zu sehr zu einer Einengung führt, das Prinzip ist also, dass ich einen Rapport von Figurenverflechtungen erfinde, der nach hinten offen bleibt und somit immer weiter fortgeschrieben werden kann. Das heißt, dass im Verlauf der Arbeit Motive wegfallen können und neue hinzukommen. Das entspricht genau der Kontinuität meiner Arbeitsweise. Bei Unterbrechungen kann der Faden irgendwann sogar unabhängig von mir wieder aufgenommen werden. Es ist das System das vielen Vorstellungen genügen könnte, ein Popsong der Kunst.

Neues Material

24.08. 2012

Das Material vom Waldboden macht mir viel Freude und schafft neue Ausgangspunkte für neue Arbeit. Die kleinen Ästchen kann ich mir vornehmen, um sie mir in ihren verschiedenen plastischen Reizen anschauen, sie teilweise von der trockenen Rinde befreien und die verbliebenen Rindenstücke an den Knotenpunkten mit Schelllack beschichten. Inzwischen habe ich auch begonnen, das glatte Holz, das zum Vorschein kommt, mit weißer Farbe zu bemalen. In dieser Weise künstlich bearbeitet, kann es Ausgangsmaterial für eine neue Art von Installationen ergeben, oder von Objekten, die im Atelier hergestellt werden.

Zunächst geht es aber erst einmal um Reihungen und andere Präsentationsstrukturen, die dem Material in fremder Umgebung zu einem neuen Status verhelfen. Ich möchte ganz langsam beginnen Kolonnen von Waldmaterial aneinander zu reihen, wie Zeichen, an denen man Individualität ablesen und im Stadtbild wieder erkennen kann.

Und endlich arbeitete ich wieder an den Umrissbildern für das FRANKFURTER KRAFTFELD. Nun kann ich mich an ein Relief annähern, das die unterschiedlichen Motive aufnimmt. Das Schwierigste, das mir seit einiger Zeit Kopfschmerzen bereitete habe ich nun auch ansatzweise im Griff. Es handelt sich dabei um die Leuchtstoffkristallkathedrale. Die Kantenlinien der Kristalle habe ich einfach nicht bis zu den Eckpunkten durchgezogen, was sofort einen technischen, digitalen oder einen Charakter von Flüssigkeitskristallanzeigen hervorbringt. Mit dieser sehr wenig archaischen Formensprache kann ich nun gut die anderen Geflechte, die eher aus dem Bereich der Waldinstallationen stammen kontrapunktieren. Nun werde ich über Größen nachdenken können und das Ganze bekommt den Schub, den ich vorgestern noch vermisste.

P. erzählte gestern beim Workshop, dass ein Unwetter viel Material an den Strand seiner sizilianischen Heimatstadt gespült hat. Das fand im vergangenen November statt. Seit dem nun werden die Bäume, Steine und die anderen Dinge von Salzwasser und vom Sand bearbeitet. Daraus müsste man eine Installation machen, meinte er. Ich frage ihn, ob er mit mir einen Hang Gang macht und dort Material sammelt, das er dann bearbeiten kann.

Zerstörungen

Am Hang entdeckte ich, dass der obere Bereich, zwischen zweitem und drittem Weg von einem Förster begangen worden war. Mit einem grellen rosafarbenen Spray markierte er die Bäume, die geschlagen werden sollten. Dabei handelt es sich nicht um die von Borkenkäfern befallenen Exemplare, sondern um die, die zu eng stehen oder langsam wachsenden Gehölzen das Licht nehmen. Die Verwüstungen werden das letzte Drittel meines Weges betreffen. Nun muss ich überlegen, wie ich damit umgehe.

Tatsächlich ist es so, dass am ehesten das erste Drittel so etwas wie eine Parkqualität angenommen hat. Es ist am meisten durchgearbeitet, besitzt die größte Dichte und der Weg ist an deutlichsten zu erkennen. Aber vom oberen Weg aus werden dort auch schon Installationen zerstört. Eine, die nahe am Weg steht, habe ich immer wieder aufgebaut und hatte am Anfang noch nicht das Gefühl, dass sich es um menschliche Eingriffe handelte. Ich baute mit dem umgestürzten Material zwei Meter vom Weg weiter entfernt nun ein etwas schwerer zu zerstörendes Geflecht auf. Ich stelle mir nun vor, wie ein Kampf um die Installationen entflammt und die Spuren von diesem Hin und Her den Weg verfestigen. Vielleicht ist das ein besserer Motor, einen Weg einzurichten, als gemeinsam an etwas bauen zu wollen.

Bei den angelehnten, fragilen Flechtstrukturen muss ich mit immer mehr Zusammenbrüchen rechnen. In letzter Zeit nehme ich die zur Diagonale neigende Bewegung auf und belaste die Figuren mit weiterem gestapeltem Material. Somit wird die Bewegung, das Fließen des Holzes verstärkt. Der Charakter der Stapel verändert sich so, dass sie dichter und raumgreifender werden. Wachsend erobern sie einen Aufmerksamkeitsraum.

Vor dem ersten plastischen Schritt

Eine kristalline Säule aus der Wegesequenz von G`s GPS-Aufzeichnung sollte mir auf die Sprünge helfen, nun endlich mit ihrem Erinnerungsbild weiter zu kommen. Ich wollte das Kathedralische mit dem Kristallinen verbinden und landete wieder eher bei einem illustrativen Muster. Ich bin zu planvoll vorgegangen und sollte mich viel stärker auf meine Intuition verlassen. Nun ist das, was ich gefunden habe, noch weiter zu entwickeln, durch Vergrößerung und weiteren Bearbeitungen.

Ganz gegenteilig zu dieser Schwere verhält es sich mit der Arbeit an den Transparent-Schelllack-Schichtungen. Da gibt es immer Neuigkeiten, die sich aus der Materialität ergeben.

Als ich das Atelier gestern schließen wollte, standen mehrere junge Künstler vor der Tür, denen ich einen kurzen Einblick in meine gegenwärtigen Themen bot. Unversehens wurde ich mir durch den kleinen Vortrag noch mal über die Struktur der Ausstellung klar.

Mein Vorhaben, das Frankfurter Kraftfeld jetzt schon in Reliefform zu bringen, ist bislang noch nicht aufgegangen. Ich muss noch mehr Konzentration für die Umrissbilder aufbringen, Das muss mir aber gelingen, wenn ich die Zusammenhänge zwischen QUERWALDEIN und den Erinnerungen darstelle. Es fehlt noch an der Klarheit der drei Umrisszeichnungen, die ich für den ersten plastischen Schritt benötige. Am ehesten kommt dem das schwebende Boot nahe. Die armlose Puppe muss ich noch mal überarbeiten.  Das Motiv der Leuchtstoff-Kristall-Kathedrale könnte schon eingepasst werden. Ich sollte nun nicht mehr so lange zögern und einfach damit beginnen, die Motive übereinander zu zeichnen.

Wenn die plastische Materialität  erscheint, wird es auch wieder zu einer anderen Dynamik kommen, die zwischen Modellieren, Formenbau und Abgießen liegt.

Zäher Fluss des Zeichnens

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Gestern im Atelier hatte ich einen langen und ruhigen Nachmittag. Ich konnte mich ganz dem Waldmaterial hingeben, in Ruhe Transparentpapierschichten hintereinander anordnen. Auf ihnen sind zunächst immer noch die aufgezeichneten Wegabschnitte mit Tusche nachgezeichnet zu sehen. Dann kommen die Materialien, die auf einem Tisch liegen etwas sortiert dazu. Moose beispielsweise gehen gut mit ganz dünnen trockenen Gräsern zusammen.

Der Schellack löst die Tusche noch einmal an, verdunkelt sich dadurch partiell und schlierig. Diese Spuren machen das Fließen deutlich, das den Kontrapunkt zu den geraden Linien zwischen den Wegpunkten bildet. Ich bemerkte, dass die ganz kleinen Ästchen ähnlich wie die großen gebogen sind, mit denen ich im Wald meine Architekturen baue. Bis zum Abend habe ich einige Objekte mit feinen Strukturen collagiert, bin aber noch nicht so recht in die Dreidimensionalität vorgedrungen.

Die Bildstreifen des Arbeitstagebuches, die als Bildschirmschoner nacheinander geordnet aufleuchten, decken die Langsamkeit der Entwicklung der Motive auf, diesen unendlich vorsichtigen Prozess, der nichts überstürzen will.

Während des Laufens im Park, mit dem ich das Schreiben unterbrochen hatte, ging die Sonne zwischen den Bürotürmen auf. Die Zwillinge der neuen Europäischen Zentralbank strecken sich nun schon deutlich in den östlichen Stadthimmel.

Einen der kleinen Bergkristalle tauchte ich gestern in zähflüssigen Schelllack. Es stellte sich wieder diese eigenartige Spannung zwischen geradliniger Klarheit und eingefärbtem Fließen ein. Gestern dachte ich schon mal daran, Schelllack mit in den Wald zu nehmen, besondere Plätze damit zu markieren und sie immer wieder zu mit neuen Schichten zu versehen, wie die Heiligenfiguren in Indien die Schichten von Butter auf sich tragen.

Porträts

Nach vierzehn Jahren Wohnens in Frankfurt, bin ich gestern erstmalig im Goethemuseum gewesen. Das tat ich auch nur, weil gleich nebenan im Forum Fotografie eine Ausstellung von Porträts zu sehen war, die während einer Performance von Marina Abramovic im MoMa entstanden sind. Sie spiegeln in der Vielfalt der Besucher das eine Gesicht der Künstlerin wieder, die allen, so lange sie konnten in die Augen schaute. Das muss für die Künstlerin ein schmerzhafter Prozess gewesen sein. Auch dieser Schmerz ist in den Porträts sichtbar. 75 Tage saß sie 1545 Menschen gegenüber.

Mein Tagebuch lag gestern auf verschiedenen Tischen herum und ich schrieb etwas sporadisch, sonntäglich trödelnd zwischen den beiden Balkonen und dem Schreibtisch.

Auf einem Spiegelchen auf der Schreibtischplatte liegen drei kleine Bergkristalle, die ich in Schelllack tauchen möchte. Ich überlege, sie an einen dünnen Zwirn zu binden. Immer wieder zu tauchen und dann daran aufzuhängen. Vielleicht wäre es sogar möglich die auf diese Weise mit einem Dreiecksgitternet zu verbinden. Heute hätte ich Zeit, etwas länger im Atelier zu bleiben, um mich damit beschäftigen zu können.

Spiegelnde Unendlichkeit mit Bewegungsverzögerung

Immer wieder erneut die Spiegelsituation im Pavillon gegenüber. Ein paar Etagen weiter oben könnte ich von dort aus auf meinen Schreibtisch schauen. Ich frage mich, ob es zwischen zwei gegenüberstehenden Spiegeln durch die endlose Perspektive nicht zu rückkopplungsähnlichen Verzögerungen kommen müsste. Im lichtschnellen Hin und Her sollte sich doch die Zeit addieren um dann in der Ferne zum Verschleppen von Bewegungen zu führen. So würde ich ganz gerne den Vortrag beginnen, zu dem ich in den Pavillon eingeladen bin.

Im Atelier stellte ich weitere Collagenobjekte her. Lange getrocknete Grashalme tauchte ich in Schelllack, um sie dann auf Transparentpapier zu legen. Darauf hatte ich zuvor eine Wegesequenz gezeichnet und sie zusammengefaltet, so dass sich symmetrische Strukturen entwickelten. Diese wurden zum einen durch die Gräser und zum anderen durch das Fließen des Lacks gebrochen.

Ich kam noch nicht dazu, mit Dreiecksgitterstrukturen zu arbeiten, in die ich Transparentpapierobjekte einfügen könnte. Ich weiß auch nicht ob ich es noch bis zur Ausstellung schaffen werde, dem Ganzen eine Dichte zu verleihen, die ausstellenswert wäre. Aber auch ohne diese habe ich schon genügend Material, mit dem ich den Raum füllen kann.

Dem kalten Grün kann ich mit kaltem Rot nicht auf den Leib rücken. Der kalte Kristall verlöre seine Scharfkantigkeit, würde ich ihn immer wieder in Schelllack tauchen, bis eine bernsteinfarbene Schicht ihn rund und sanft umschlösse.

Flüssigkristall

Nach meinem letzten Bergkristallfund und der Kristallisation von G`s Weg spielen die Dreiecksgitternetze wieder eine größere Rolle innerhalb meiner Zeichnungen. Gestern ist im Atelier ein Transparentpapierobjekt entstanden, bei dem ich ein Kristallareal aus der Sequenz übernommen habe. Daraus ist die Silhouette eines Kleides entstanden. Ich lernte dabei, wie das Gehirn die Dreiecksangebote zu einem Umriss zusammenstellt, ohne dass ich darüber nachdenken musste. Ab einem bestimmten Zeitpunkt, als mir auffiel, was der Umriss darstellte, sträubte ich mich etwas dagegen und gab ihm eine andere Note. Vollends verschwand der illustrative Charakter des Blattes, als ich es zusammenfaltete und damit dann weiter arbeitete. Der Schellack verflüssigt die angetrocknete Tusche und damit die kristalline Struktur noch etwas. Somit steigt die Spannung zwischen den verschiedenen Schichten.

All diese Zeichnungen produziere ich im Hinblick auf die Ausstellung auf der Mainzer Landstraße. Gleichzeitig befindet sich der Vorgang aber sehr unauffällig im Strom der allgemeinen Kontinuität.

Der Hügel von Waldmaterial auf einem weiß gedeckten Tisch erzeugt eine besondere Wirkung. Die Fichtennadeln, Zapfenschuppen, Ästchen und die Erde bekommen in der städtischen Umgebung etwas Fremdes und Wertvolles.

Nach all der Kristallarbeit scheint es mir auch richtig eine metallenes Dreiecksgitternetz mit in den Raum zu hängen. Vielleicht könnte ich sogar noch ein Holz-Transparentpapierobjekt bauen, das Artefakte in Schellack eingeschlossen beherbergt.