Zwischen den Blicken

Die Schichten türmen sich: Tusche, Knochen, Schellack, Müll und Klang. Die Gelbmützen singen murmelnd und die Licht-Glas-Chöre Plestrinas stahlen. Immer wenn ich eine Schicht anhebe, setzt sich ein Klang frei: GIMME SHELTER. Während des Zeichnens an Rolle 11 hörte ich gestern ein paar Rolling Stones Alben und dachte daran, wie mir Charlie Watts in der Voodoo Lounge beim Zeichnen über die Schulter schaute. Er – der Trommler und Zeichner.

Vor mir im grauen Gegenlicht steht Rolle 11 mit den Tusche-Umrissen der letzten Tage. Dahinter fällt Regen auf die gesprungenen Erdränder meiner Schafgarbenwiese. Die Sprünge sehen den Gesträuchen meiner Schichtenzeichnungen ähnlich, meinen Handballenabdrücken und all den Linien, die mich durch die Zeiträume schicken.

Die Buchmalereien werden figurenreich. Ich sehe sie, wie man Menschen zu ahnen glaubt in den Zwischenräumen der Blicke, ausgelöst durch das Blinzeln. Ich könnte sie immer realistischer werden lassen, was ich aber nicht will. Ich bin ja kein sozialistischer Realist geworden. Immer noch flüstert aber meine Transparentpapierrolle, neben dem „Lied von der Roten Fahne“ von Willi Sitte im Humboldtforum, die Stasi-Tonbandprotokolle von Professor Heinz Werner über mich. Das macht mich froh!

Ansätze

Einen ersten Austausch über unsere Arbeiten zum Kloster Tabo hatte ich gestern mit Peter van Ham in meinem Atelier. Sein Ansatz ist es, mit seinen Bildern etwas für die Erhaltung der Kunstschätze zu tun. Dafür führen uns seine Fotografien ganz nah in die entferntesten Winkel der Architekturen und bringen uns die gefährdete Schönheit ganz nahe.

Meine Herangehensweise, mich mit den gröbsten Linien, die die Maler hinterlassen haben, auf die Suche nach ihrer Nähe zu mir zu machen, hat meinen Gast überrascht. Sicher gibt es innerhalb einer gemeinsamen Ausstellung die Gelegenheit, tiefer gehende Formen einer Zusammenarbeit zu erkunden. Die Verwandtschaft meiner Buchmalereien mit den kleinformatigen Wandmalereiszenen, könnte Peter zum Anlass nehmen auch einige wenige meiner kleinen Bilder zu fotografieren, damit man sie ebenfalls vergrößern kann. . Auch ich kann mit seinen Bildern weiterarbeiten. Somit könnte sich einer der Kreise schließen, die unsere Gemeinsamkeit ausmachen.

Ein anderes Thema sind die Intentionen. Peter will das Bewusstsein für die Erhaltung dieser besonders wertvollen kulturellen Zeugnisse vor Ort schärfen. Mein Ansatz der Zeitreise durch Vertiefung in die schamanistischen Linienkompositionen, ist zunächst eine ganz private, nach innen gerichtete Idee. Am Abend zeichnete ich an Rolle 11 weiter.

Zeichend schreiben

Mit einem Umriss von 16.08. 2023 zeichnete ich gestern die Tabosequenz auf Rolle 11 weiter. Dabei gerate ich mit der Zeichenfeder, wenn ich nicht absetzte, ins Schreiben der vielen Schichten des Liniengeflechts. Schon gestern dachte ich an Texte, die ich dorthinein zeichnen könnte. Solche vielleicht, die sich mit dem Kraftfeld der Museumsinsel in Berlin beschäftigen.

Auch jetzt bildet sich reflektierte Schrift auf Transparentpapier von einem Lineal ab, das in der Sonne hinter der aufrecht stehenden Rolle steht. Sie sieht aus, als ob sie ganz natürlich dazugehört. Mit dem Blick bewege ich mich langsam durch die Schichten dieser Räume, denn sie halten viel für meine Praxis bereit.

Jetzt hat das gezeichnete Tuschegeflecht eine Dichte, in der sich gut neue Figuren finden lassen. Schon im März traten einige als Leerstellen zwischen den Gesträuchen auf, die ich in diesem Monat noch einmal aufnahm, um sie dicht zu füllen. Ich achte auf sie, denn ich weiß nicht, aus welcher Richtung ein Echo aus der Vergangenheit auf mich treffen wird.

Atemluft

Die Farben schwirren gemeinsam mit Klaviermusik und den piependen Rückbewegungssignalen der Gabelstapler. Hinter den Augen schließen sich die Schwingungen zu einem Raum, einem Block aus Wellen zusammen, die stetige Echos erzeugen und damit eine hohe Dichte aufbauen. Die großen Schlagbohrmaschinen können es mit den Partiten, von Glenn Gould gespielt, nicht aufnehmen, können sich nur anschließen und verschmelzen.

Dann füge ich dort die Farben der dritten Malerei von heute ein und beachte auch die Figurenumrisse, die in den anderen beiden Formaten entstanden sind. Und dann wird das Tänzerische der Musik von Bach deutlich. Es durchfließt die Bildkompositionen und stabilisiert mich.

Die Dichte dieser Vorgänge wird durch die Einbindung der derzeitigen Themen erhöht. Es entsteht eine schwere Atmosphäre, in der ich atmen muss. Die Bewegungen der rechten Hand beim Schreiben und Malen, werden von der Energie gesteuert, die bei der Umwandlung dieser Atemluft entsteht.

Reisen in Ereignisräume

Lieber beginne ich am Morgen zu arbeiten, nach den Frühstück und dem Weg hierher ins Atelier. Es ist Nachmittag, Besorgungen am Morgen und erst nach der Mittagspause finde ich an meinen Zeichentisch die Sicherheit der Bilderproduktion. Seit vielen Jahrzehnten startet der Bilderfindungsmotor zur selben Zeit. Auch wenn ich unterwegs bin, bleibt das so.

Jetzt schaue ich durch das Rolltor in mein Dschungelgärtchen, das mich vor der Hitze bewahrt und höre die Feierabendrufe der Bauarbeiter von der nahen Baustelle. Auch das Stampfen der Aggregate dort drüben, löst die Produktivität aus, die mich täglich überfällt, auslaugt und beglückt.

Darüber, dass wir in diesem Sommer keine große Reise mehr machen, bin ich froh, denn sie würde die Arbeitsprozesse wieder zerteilen. In erster Linie geht die Fahrt sowieso nach innen in die Räume der Ereignisse, die sie selber schufen. Diese Reisen sind weit genug und dauern ewig.

Grenzen

Sonnabend, 15.23 Uhr. Die Goldbergvariationen, 1981 von Glenn Gould gespielt, laufen ganz nahe an meinem Ohr. Die Musik fließt direkt in die Malerei, mit ihrer ganzen polarisierten Spannung zwischen Ruhe und Aufruhr.

Auf Rolle 11 arbeitete ich mit den Buchmalereiumrissen weiter, die vor einem knappen Jahr in Tabo entstanden sind. Direkte Reaktionen waren zunächst Holznadelgravuren im Papier. Diese hob ich auf dem Transparentpapier hervor, stellte sie frei und füllte dann diese Balken mit dem Schichtenmaterial der Vortage.

Wenn sich dieses Material mit den Wirbeln von Bach in den Collagen verbindet, kommt dieser Arbeitsgang seiner Bestimmung ziemlich nahe. Es ist ein Spiel mit der Zeit und ihren Grenzen, die den Raum beschreiben, der zu durchqueren ist.

Rückgriffe

Mit meinem Enthusiasmus überfiel ich gestern die Vertreter des ökumenischen Gemeindezentrums ARCHE, anstatt sie darin einzubetten. Nach einem langen Autobahnstau platzte ich ungebremst und ohne viel Vorrede mit der Materie in den Kreis, der schon eine Viertelstunde auf mich wartete. Gleich wies ich darauf hin, dass mir eine bloße Restaurierung zu wenig ist, dass ich mich künstlerische weiter entwickelt habe und ich dem innerhalb dieses Projektes Rechnung tragen möchte.

Die Holzoberfläche der Objekte ist teilweise sehr ausgeblichen, so dass Farben verstärkt werden müssen. Ob deswegen alle Flächen abgeschliffen werden müssen, bezweifle ich jetzt. Vielleicht kann ich mit Lacklasuren arbeiten, auf die ich dann eine neue, lasierende Linienschicht aufbringen kann, um die Komposition zu verstärken, mehr Kontrast zu schaffen und mehr Dichte.

Am Morgen habe ich schon das Blatt 108 der „Synaptischen Kartierungen“ hervorgeholt, um mich auf eine Arbeitsweise zu orientieren, die sich aus den Verdichtungssequenzen der Transparentpapierrollen und dieser Serie aus dem Jahr 2011 speist. Vielleicht ist es sogar möglich, Strukturen und Farbigkeiten der Buchmalereien mit in diese Arbeit einzubeziehen.

Eigene Spuren

Mit Buchmalereiumrissen, die am 15.8. 2023 in Tabo entstanden sind, setzte ich die Arbeit auf Rolle 11 fort. In Papiergravuren sind dort erstmalig Spuren der Beschäftigung mit den abstrakten Linien aus dem Kloster sichtbar. Die sinnliche Annäherung an die Verfasstheit der Maler, die vor tausend Jahren dort arbeiteten, ist in diesen Malereien spürbar.

Während der Arbeit am Morgen merkte ich, dass die Buchmalereien dieser Reise noch nicht vollständig gescannt sind. Indem ich das nun nachhole, ergibt sich die Möglichkeit, mich noch einmal genauer mit meiner eigenen Reaktion zu beschäftigen.

Nachher fahre ich nach Neckargemünd, um mit einigen Vertretern der dortigen ökumenischen Gemeinde zu besprechen, wie die Objekte in ihrem Gemeindezentrum, die ich vor fast 40 Jahren anfertigte, nun erneuert werden können. Durch die Vielzahl der Möglichkeiten zerstreuen und verdichten sich meine Gedanken daran wellenweise. Es handelt sich um wichtige Gegenstände für die Gläubigen, mit denen ich entsprechend verfahren will.

DEEP CLEAN

Gestern Nachmittag besuchte mich Vandad, um mir die Ausstellungsstücke aus dem Museum für angewandte Kunst zurück zu bringen. Wie sprachen über den Fortgang von YOU & EYE: Dabei stießen wir auf ein Forschungsthema, das Entwicklungen innerhalb dieser kollektiven Arbeit betrifft: Wie wirkt sich die Zusammenarbeit mit den Schülern und den Künstlern untereinander auf ihre Arbeit aus?

In diesem Zusammenhang sprach ich das Verhalten von Trishi an, der auf einem Heimweg von hier, alle Flaschen, die am Rand der Zufahrt weggeworfen lagen, in ihrer Mitte mit aller Kraft zerschlug. Weil ich das mitbekam, räumte ich zunächst mit den Schülern alle Scherben beiseite. Bei unserem nächsten Treffen machten wir eine gründliche Reinigungsaktion in diesem Bereich und applaudierten im Halbkreis den Müllkutschern, die zufällig im Moment, als wir fertig waren, unsere Säcke direkt in ihr Müllfahrzeug warfen.

In der Folge sammelte ich dort täglich alles auf, was neu fallengelassen wurde. Eine saubere Straße entstand. Diesen Vorgang erweiterte ich nach und nach auf meinen ganzen Weg von zu Hause ins Atelier und zurück. Der Grünstreifen der Frankenallee änderte sein Aussehen auf etwa 500 Meter Länge. Müllfreie, klare Räume entstanden. Dann begann ich den alten Müll in den Sträuchern aufzuspüren. Das Projekt „Deep Clean“ begann. Ich sprach mit Passanten, Straßenkehrern, Grünpflegern, Trinkern, Schülern, Obdachlosen und mit alten Migrantinnen. Das mache ich seit etwa 4 Monaten. Langsam ändert sich das Verhalten und die Leute achten mehr auf den Raum, in dem sie sich bewegen. Ohne YOU & EYE und Trishis Gewaltaktion, gäbe es das nicht.

Arche

Übermorgen fahre ich nach Neckargemünd bei Heidelberg, wo im ökumenischen Gemeindezentrum „Arche“ mein Ensemble aus Ambo, Kreuz und Altartisch steht. Die Farben haben durch die Jahrzehnte im Sonnenlicht gelitten und sollen aufgefrischt werden. Das wird nicht ganz einfach, weil das Lindenholz farbig gebeizt und mit einer Lackschicht überzogen ist. Da kann ich nicht einfach drübermalen, ohne dass das Ganze einen anderen Charakter bekommt.

Eine Konservierung nach fast 40 Jahren, im Entwicklungsstand meiner Arbeit von damals durch mich, wäre ein Rückschritt für mich. Wenn es aber möglich wäre, meine gegenwärtige Arbeitsweise bei der Erneuerung der Skulpturen einzubringen, ergäbe sich eine gewinnbringende Aufgabe für mich. Das kommende Gespräch wird zeigen, ob ich diese Richtung einschlagen kann.

Zunächst müssten die Flächen vorsichtig abgeschliffen werden, ohne dass die geschnittenen Kerblinien darunter leiden sollten. Das könnte die Schreinerei übernehmen, mit der ich damals zusammengearbeitet habe. Mit Frottagen auf Transparentpapier würde ich dann die Linien aufnehmen, mit Tusche verstärken und in der Weise verdichten, wie ich es jetzt in der Tabosequenz mache. Die Struktur würde ich dann mit Schellack als Lasur vom Transparentpapier auf eine farbig vorbereitete, gebeizte Fläche übertragen. Die Dichte und Dunkelheit des Liniengesträuchs würde beim Kreuz zum Boden hin zunehmen. Der Gekreuzigte würde also aus der Dunkelheit auferstehen.

Breslau

Mit Anne war ich ein paar Tage, auf den Spuren meines Großvaters in Breslau. Zuvor, per Bahn, das Eintauchen in die samten graue Finsternis der polnischen Weite, in das lichtlose Dickicht und die fahlen Flächen. Die Unschärfe, die mit der Dunkelheit zunimmt, verwischte die spärlichen Szenen mit den wenigen Menschen im horizontalen Raum.

Anne recherchierte die Aufenthaltsorte der beiden Brüder, die sich gemeinsam aufgemacht hatten, zu Fuß mit dem Dommodell auf dem Karren, die ganze Welt zu bereisen. Ihre ehemaligen Adressen waren gehend zu erreichen. Das Raumgefüge, in dem sie sich bewegten, wurde lebendig. Keller, Treppenhäuser, Flussinseln, Werkstätten und immer mit dem Blick auf den Dom. So kamen sie uns näher.

Darüber hinaus bekamen wir ein Gefühl für ihre Lebensverhältnisse, aus denen ein Teil des Impulses bestand, diese Wanderung aufzunehmen. Oscar schien eher in bescheidenen bis ärmlichen Verhältnissen gelebt zu haben. Mit dem Text der Dommodellpostkarte, ging ich eine Figur vor dem Hauptportal des Domes, Wort für Wort, Schritt für Schritt.

Fluchtraum

Um den Lärm der Baustelle zu dämmen, setze ich Kopfhörer mit den paradiesischen Chören von Palästrina auf. Sie sind mein Fluchtraum. Auch am Mainufer, wo wir gestern einen Spaziergang machen wollten, erzeugte die Fanmeile der Fussball-EM sehr viel Lautstärke. Das Stadtgebiet war durchlärmt und mit Menschenmassen angefüllt.

Mit Anne begebe ich mich morgen auf die Spuren der Fitznerbrüder in Breslau. Vielleicht finden wir ihr Wohnhaus oder die Werkstatt, in der sie das Modell des Breslauer Doms im Maßstab 1:33,3 gebaut haben. Ich gebe mich der Stadtführerschaft meiner Tochter anheim…

In den Buchmalereien der letzten Tage treten wieder Figuren auf. Mich reizt es, sie in das Geschehen auf Rolle 11 einzufügen. Was mich daran hindert, ist eine schöpferische Müdigkeit, die meinen Arbeitsrhythmus unterbricht.

Tabo Berlin Breslau

Vor mir auf dem Arbeitstisch, der aus der aufgebockten Kraftfeldform und einer Pappauflage besteht, steht aufrecht Rolle 11. Der Ausschnitt zeigt 20 gefüllte Umrissformen, die das Ergebnis der TABOSEQUENZ 2 sind. Gestern zeichnete ich sie fertig und fand damit eine Zäsur.

Von den Handschriftfragmenten ist nicht viel geblieben. Deswegen werde ich Teile der Texte meines Interviews zum Bau des Palastes der Republik noch einmal handschriftlich auf die Linienstruktur aus Tabo legen. Vielleicht ist das der Beginn der TABOSEQUENZ 3, die sich dann mit dem HANDPRINT BERLIN verbinden kann.

Aber in der kommenden Woche fahre ich erst einmal mit Anne nach Breslau. Ich überlege, ob ich dort mit den Textgangexperimenten beginnen sollte. Dafür würde ich das GPS-Gerät mitnehmen und den Text, den die Breslaubrüder auf die Postkarte drucken ließen, auf der ihre Portraits und das von ihnen gebaute Breslauer Dommodell abgebildet sind. Draußen vor dem Atelier versuchte ich Worte davon mit meinem Gang zu verbinden. Das ging ganz gut. Es ist eine Form, diese Inhalte mit dem Körper aufzunehmen.

Aushub

Durch die Reduktion auf eine Umrisszeile aus 15 Figuren und deren Füllung mit den Tabolinienverdichtungen der letzten Tage, kam ich gestern sehr schnell zu einem konkreten Zwischenergebnis. Dafür rollte ich das Transparentpapier zum Durchzeichnen rückwärts auf. Im nächsten Schritt fülle ich die restlichen 4 noch leeren Umrisse mit den Handschriftfragmenten und dem Überlagerungsmaterial, das sich im Juni angesammelt hat.

Aus dem Aushub für die Abwasserleitungen habe ich Schlackenstücke, Porzellan- und schönfarbige Glasscherben und einen Blechlampenschirm gelesen, gewaschen und draußen auf einem Brett aufgereiht. Diese Zeile erzählt eine Geschichte, eine Vervollständigungserzählung von einer Tischsituation. Die unregelmäßig gebogene Glasscheibe besitzt eine dunkelgelbe Farbigkeit und auf ihrer Oberfläche befinden sich schillernde Schichten. Der emaillierte Lampenschirm ist auf seiner Oberseite grün und die weiße Unterseite weist ein Netz feiner Sprünge auf, das meinen Linienverdichtungen ähnelt.

Ähnlichkeiten bestehen auch zwischen den Hautlinien meiner Handballenabdrücke in den Buchmalereien, dem Liniennetz der Verdichtungen und den Sprüngen auf der weißen Unterseite des Lampenschirms.

Zeit-Ökonomie

Einen halben Meter unter dem Beton des Ateliervorplatzes, den die Bauarbeiter aufgesägt haben, um Abwasserrohre zu verlegen, gibt es eine Schicht mit Schieferplatten, von denen ich ein paar Stücken aus der Grabenwand gezogen habe. Vielleicht vor etwa hundert Jahren sind sie zum Dachdecken der Industriebauten von Teves benutzt worden. Das wurde dann bombardiert und zu einer Schuttlage mit Brandspuren gewalzt.

Weitere Tuscheschichten zeichnete ich auf Rolle 11 und arbeitete mich mit ihnen zurück in Richtung Gegenwart. Ich beschloss, die Umrisse der TABOSEQUENZ 1 noch einmal zu zeichnen, um sie mit den verschiedenen Materialien aus den entgegengesetzten Richtungen zu füllen. Dafür arbeitete ich gestern bis in den späteren Abend, da mir der Vormittag im Rittersaal entglitten war.

Häufig denke ich an die Zusammenhänge meiner parallel laufenden Projekte. Sie miteinander zu verbinden und zu überlagern ist einerseits ein Gebot der Zeitökonomie, bildet aber auch die Entwicklungsmethode, die von den Buchmalereien ausgeht und sie dann mit den anderen Außenimpulsen verwebt. In dieser Weise begegnen sich die Tabosequenzen, Handprint Berlin und andere Raumerkundungen mit Sprache, Bewegung und Zeichnung.

Raum und Dichte

Im Rittersaal des Deutschen Ordens, einem finsteren Ort, an dem sich die Zeit dehnt und gleichzeitig davon stielt, fand die Auswertungssitzung des diesjährigen Projektes YOU&EYE statt. Ein Lichtblick bleiben die Kollegen. Maya brachte ich ein Interview mit Stefan Selke, einem Transformationswissenschaftler mit. Er lobt die Kunst, die sich „explorativ mit dem Neuen beschäftigt“, als Partner der Wissenschaft.

Auf Rolle 11 verdichtete ich gestern stundenlang die TABOSEQUENZ 2. Während des Festhaltens an den Arbeitsschleifen, zweifelte ich an dem, was ich da tat. Allerdings siegte die Überzeugung, dass nur durch die stetige Fortführung dessen, der Raum mit der Dichte meditativer Energie gefüllt werden kann, die vor tausend Jahren zu diesen Linien führte.

Die Wiese auf der ehemaligen Schotterfläche ist deswegen so artenreich gewachsen, weil ich sie 20 Jahre lang von Brombeeren befreit und ansonsten geschützt habe. Das Experiment zur gemeinschaftlichen Müllvermeidung auf dem Grünstreifen der Frankenallee gelingt nur, wenn ich stetig, ohne nachzulassen, über einen langen Zeitraum, fallen gelassenen Müll aufsammle.

Tabosequenz 2

Anstatt gleich an der Tabosequenz 2 weiter zu arbeiten, legte ich eine Pause ein, um den nächsten Arbeitsschritt zu überdenken. Danach sieht es nun so aus, dass die Tabolinien noch einmal weiter hinten auf dem Zeitstrahl von Rolle 11 eingefügt werden. So kann ich sie im Rückwärtsrollen durchzeichnend verdichten und dann in die Umrisse aus der ersten Sequenz damit zu füllen. Die andere Möglichkeit, mit den Umrissen der Buchmalereien weiter zu zeichnen, habe ich verworfen. Dieser Vorgang hätte mich aus der Konzentration auf die Linien herausgebracht.

Peter van Ham, wir versuchen uns seit längerem zu verabreden, hat mich zu einer Ausstellung eingeladen. Große Tabo – Fotografien von ihm zusammen mit meiner Arbeit. Das wäre natürlich eine Ehre für mich… Es gibt eine Kuratorin, die meine Arbeit kennt und schätzt und diese Ausstellung einrichten wird.

Die Buchmalereien verhalten sich abwartend, vorsichtig tastend, leise und unabhängig heute. Nur ein Handballenabdruck mit einem Indisch Rot reicht für ein starkes Gewicht innerhalb der Kompositionen.

Fortführung der Tabosequenz

Die Umrisse der Leerstellen zwischen den dichten Linienbündeln am vorläufigen Ende der Tabosequenz, vom Mai dieses Jahres, nahm ich wieder auf. Ich zeichnete sie auf Rolle 11 einmal in Richtung des Zeitstrahles und einmal, oben drüber, in Gegenrichtung, dass eine Zeitkontinuität in diesem Fall von vornherein aufgehoben ist.

Mit einem weißen Bogen Papier, den ich mit einrollte, reduzierte ich das durchscheinende, vorgelagerte Material auf den handschriftlichen Text, den ich auf die Tabolinienzeilen geschrieben habe. Da ich ihn auf der Hinterseite der Rolle in die Umrisse durchzeichne, beschäftige ich mich mit meiner seitenverkehrten Handschrift. Ich brenne darauf, das alles schnell zu verdichten, damit ich bald neue kraftvolle Figurationen zur Hand habe.

Gestern buchten wir Fahrkarten für eine Reise nach Breslau. Ich werde dort mit Anne zwei Tage verbringen. Sie möchte für ein Projekt über die Fitznerbrüder recherchieren. Mich interessiert ihre Arbeitsweise mehr, als das Thema.

Traum

Beim Sichten des Materials, das ich in Alchi und Tabo gesammelt hatte, also Aufzeichnungen, Skizzen, Buchmalereien und Fotografien, lassen sich weitere Schichten und Dimensionen im Zusammenspiel der verschiedenen Dokumentationen und Verarbeitungen erkennen. Peter van Ham hatte seinen Besuch gestern kurzfristig und nachvollziehbar verschoben, so dass ich Zeit hatte alles in Ruhe zu studieren. Der zweite und dritte Blick auf die Ebenen, führt dann weiter zu den Collagen und auf die Linienverdichtungen auf Rolle 11. Gerade diese will ich noch einmal mit verschiedenen Arbeitsschritten untersuchen.

In der Nacht sah ich in einem Traum in der Ferne mein Atelier lichterloh brennen. Ich wachte auf, während ich darauf zu rannte, begriff aber nicht gleich, dass es das Ende eines Traumes war. Die Erleichterung stieg nur langsam in mir auf.

In der letzten Arbeitsstunde widmete ich mich gestern einer lästigen Arbeit, die immer nach einer Reise ansteht. Ich scannte einen Teil der Buchmalereien, die ich in Karins Garten in La Muela gemacht hatte. Die zweite Hälfte ist heute dran.

Zukunftsschichten

Geografische Schichten auf der Berliner Insel zwischen den Spreearmen reichen bis in die ferne Zukunft, die in Annes Roman HINTER DEN MAUERN DER OZEAN aufscheint. Die gesicherten Wege ihrer Protagonisten werde auch ich im HANDPRINT BERLIN begehen.

Gestern nahm ich mir Zeit für Kommunikation. Mit Anne sprach ich über unsere Reise nach Breslau, Frau Schnabel erzählte ich von meiner aktuellen Arbeit und mit dem Ökumenischen Zentrum ARCHE habe ich einen vor Ort Termin in Neckargemünd, an dem ich mir meine fast 40 Jahre alten Kunstwerke ansehen werde, die etwas im Licht gelitten haben und deswegen restauriert werden müssen.

Heute Abend besucht mich Peter van Ham, der die schönen Fotobücher von Alchi und Tabo gemacht hat. Ich möchte ihm meine Arbeit zu den Tabolinien zeigen. In den heutigen Collagen spielen sie als Handschriftpartikel eine Rolle. Bei meiner Beobachtung dieser Arbeit, sind mir die Collagen etwas aus dem Blickwinkel geraten. Dabei sind die Verdichtungen der Linien aus Tabo auf Rolle 11 durchaus präsent, wenn auch nicht bestimmend.

Halluzination

Verschriftlichte Texte, die ich gesprochen habe und die sich in der Ausstellung „Hin und weg.“ befinden, übertrug ich gestern handschriftlich auf Rolle 11, indem ich die Tabolinien als Zeilenstruktur aufnahm. Mit gesetzten Typen erzeugt die etwas schnodderige und lückenhafte Sprache eine größere Verfremdung, als wenn ich sie mir wieder mit meiner Handschrift zurückhole.

Mittlerweile bin ich mir fast sicher, dass die Linien in Tabo aus halluzinogen – visuellen Erfahrungen meditierender und fastender Mönche stammen. Abstrakte Figurationen sehr alter Felsmalereien, schamanistischen Ursprungs weisen ähnliche Strukturen auf und sind Visualisierungen von Trancezuständen.

Die Kollision mit den Texten zum Palast der Republik könnte man auf den ersten Blick als willkürlich bezeichnen. Aber der die Mischung aus logistischer Konzentration beim Bau, Ideologie, Ablehnung dessen und Zwiespältigkeit in dieser geografisch aufgeladenen Situation, schafft auch Energien aus einer konsequenten, konzentrierten und kontinuierlichen Beschäftigung mit dieser Konstellation.

Zwiespältige Offenheit und elegante Form

In zwei Wochen im schönen Haus und stillen, anmutigen Garten von Karin in La Muela, haben die Buchmalereien zu einem versöhnlichen und sanften Ton gefunden. Heute aber, angekommen in meinem Garten, im Chaos meines Ateliers, hat sich das abrupt verloren.

Ich habe den Bewegungen, die aus meinem Körper über Schulter und Arm in die Hand übertragen werden, freien Lauf gelassen. Die Zwischenräume, die von den Konturlinien eingrenzend geformt werden, transportierte ich mit dem feuchten Handkantenballen von einem in das andere Format. Ihr Eigenleben habe ich nicht weiter ausformuliert oder eingeengt. So behielten sie eine zwiespältige Offenheit.

Auf dem Weg ins Atelier holte ich ein Paket im Kiosk auf der Frankenallee ab. Es war eine Sendung vom Humboldt Forum mit dem Belegexemplar der Publikation HIN UND WEG zur Ausstellung „Hin und weg.“. Auf der Seite 135 ist ein Ausschnitt von Rolle 10 als fünfte von fünf Erinnerungsstücken abgebildet. In zwei Texten darunter, wird beschrieben worum es mir ging. Der Hinweis auf den Zusammenhang meiner Stasiakte mit meinen Mentor und dem Porzellanrelief, ist eine hintergründige Information, die dem Schreiben zwischen den Zeilen in der DDR ähnelt. Dies führt manchmal zu eleganten Formen, wie in diesem Fall.

Zeitklang

In der ersten Malerei von heute, ließ ich die Dopplungen, die durch die Handkantenabdrücke entstehen, sichtbar. Das geht mit den Unsicherheiten bei der Zeitvorstellung einher, die mich beschäftigen. Die parallel laufenden Ereignisse in leicht abgewandelten Formen, verwachsen mit anderen Gestalten. Das Wabern der verwischten Gegenstände auf dem Papier, des Lichts das in das Atelier tritt und die Töne der Renaissancechöre, die aus meinem Lautsprecher kommen, benötigen keine zeitinterpretatorischen Drehungen. Sie stehen für sich und klingen zusammen.

Die zweite Malerei begann ich mit den aufrechten Parallellinien-Strukturen der Schraubengewindegravur, die ich durch Schraffuren sichtbar machte. Die folgen den Bewegungsrichtungen eines Krampfes in der rechten Hand, dessen Sehnenverkürzung die Finger nach innen, zum Körper hin zeigen lassen.

In „3“ stilisierte ich diese Zeigerichtungsschraffur durch einzelne Linien, die die Hauptrichtungen anzeigen. Figurenanmutungen werden in allen 3 Kleinformaten nicht vermieden, aber auch nicht gesucht. Sie tauchen einfach auf und verschwinden manchmal wieder in den weichen Farbverläufen, die durch rhythmisches Schlagen mit der geballten Handkante auf die feuchte Fläche entstehen.

Konzepte und Malvorgänge

Meinen zweiten Atelierschlüssel gab ich einer Nachbarin, damit sie sich um meine Pflanzen und das Gärtchen kümmert. Es herrscht eine gute Stimmung auf dem Gelände. Für die weitere konzeptionelle Ausrichtung der Zusammenarbeit hat sich die AG 4.1 gebildet. Dabei geht es darum, die Funktion des Geländes als kulturelles Zentrum für die Zukunft zu festigen.

Meine Arbeit konzentriere ich ganz auf die Buchmalereien und die daraus entstehenden Collagen. In der zweiten Malerei von heute ließ ich ganz rechts einen Profilkopf mit einer Strauch – Turm – Frisur zu, der von dort aus auf die Mitte der Szene blickt. Dort geht es aber ganz vage zu. Eine grüne Umrisslinie hält das Geheimnis ihrer Vollständigkeit aufrecht. Auf ihrem Areal formiert sich aber schon eine weitere Figur und wartet auf die Zutaten für ihre Konkretion.

Die erste Malerei scheint eher einem Aquarium entnommen zu sein. Fremde Geschöpfe, Strukturen meiner Handballenabdrücke und die parallelen, hellen Furchen der Schraubengänge treffen auf blaues Leuchten in einem ocker-orangefarbenen Nebel. In 3 bricht dagegen eine Ordnung auf oder zusammen, das ist nicht ganz klar. Linien behaupten ihre Klarheit im Gewirbel der Reaktionen warmer Verläufe mit kalten Strichen. Ganz fremd ist die linke Seite. Ich muss mich zwingen, sie nicht mit Wasser und meiner Hand auszulöschen.

Langzeitprojekte

Die Langzeitprojekte, die meistens Zwischenstadien erzeugen, eigentlich erst mit dem Tod enden und eher den Prozess abbilden als zu Ergebnissen zu kommen, sind das, was sich in meinen letzten Arbeitsjahrzehnten, als die mir eigene Arbeitsweise, herausgebildet hat.

So ist es mit den Transparentpapierrollen. Sie sind zwar nach 50 Metern Aneinanderreihung von Zeichnungen an ihrem Ende angelangt, dann kommt aber gleich die nächste Rolle. Die zeichnerisch aufeinander folgenden Ereignisse zeigen das Fließen, für das wir den Begriff Zeit verwenden.

Die Buchmalereien werfen Fragen auf. Es ist, als würden sich die abstrakten Figurationen unterhalten und Lösungen suchen. Vielleicht geht es dabei um die Möglichkeit des Wachstums in eine Gegenständlichkeit. Wie im Frühstadium des Zellwachstums, muss erst noch die Form des Zusammenspiels gefunden werden. Es ist vieles möglich in dieser Phase, was an sich schon beglückend ist.

Zielorientierungskonglomerate

Einer Einladung in die Mechanische Arena des Humboldt Forums, die ich gestern bekam, kann ich leider nicht folgen, weil der Termin mitten in unserem lange geplanten Urlaub liegt. Ich sollte über meine Rolle 10 und über ein weiteres Objekt sprechen. Vielleicht lässt sich ja ein späterer Termin finden, an dem ich auch über meine gegenwärtigen Arbeitsschritte sprechen kann.

Die Tabolinien denke ich mir als ein Muster, in das die Zeilen meiner Texte, die in der Ausstellung vorkommen, eingefügt werden. Vielleicht können die Linien wie eine Formel oder eine allgemeingültige Struktur funktionieren, die Material aufnimmt, das aus verschiedenen Welten, so wie der Quantenmechanik und der Gravitation stammt.

Über Kolkata schrieb ich 2010, dass die Menschenmassen nur Statisterie seien in der Inszenierung sich verdichtender Blöcke von Zielorientierungskonglomeraten. Dann ging es um das Sichtbarmachen solcher Verdichtungen durch das Übereinanderlegen von gelaufenen GPS-Händen. Im Shivatempel dieser energetischen Stadt arbeitet der Großvater von Trichi, der an meinem YOU&EYE Kurs teilnahm.

Im Garten der Zufriedenheit

Die Ausstellung die wir gestern im Museum für Angewandte Kunst sahen, trug den Titel „Im Garten der Zufriedenheit“. Zu sehen waren chinesische Tuschmalereien in zarter Kolorierung. Von ihnen sind meine heutigen Buchmalereien beeinflusst.

Für diese Woche nahm ich mir vor, weniger zu arbeiten. Die stetige Beschäftigung mit Form, Raum, Struktur und Farbe, lässt die Gestaltungskraft an Grenzen stoßen. Gerade war ich schon mit der Schere in den Gärten, um den Zugang zu spannenden Blühpflanzen leichter zu machen. Auf der Wiese öffnen sich die Samenkugeln des Riesenbocksbarts, der aussieht, wie eine sehr große Pusteblume. Gerne würde ich davon mehr ansiedeln, weiß aber noch nicht ob meine Aussaat in Pflanzschalen gelingen wird.

In meinen Eintragungen vom 03.06. 2010 lese ich, dass ich mich damals mit Musikkomposition aus gewanderten Ringen beschäftigt habe. Aus den Linien sollte ein Kompositionsprogramm Noten erstellen. Leider habe ich das nicht weiterverfolgt. Wahrscheinlich fehlte mir ein Spezialist, wie Karl Kliem.

Vor der Natur

Auf Rolle 11 übertrug ich den Umriss der dritten Buchmalerei von gestern. Durch den Rückblick in das Jahr 2010 verändern sich die Motive. die Umrisse werden härter und die stärkeren Kontraste bündeln die Kraft. Gleichzeitig aber kommen auch weiche neue Gestaltungsweisen auf. Zwischen den senkrechten Schraubengwindeabdrücken bilden Tuschepinselspuren neue Figuren.

Vor mir liegt nun eine Pause, die ich mir noch gar nicht vorstellen kann. Zwar nehme ich meine Tagebuchutensilien mit auf Reisen, bin dann aber von meinem Blog und der Weiterarbeit an der Transparentpapierrolle abgekoppelt. Schon in der kommenden Woche möchte ich eher das Atelieraufräumen und andere Arbeiten machen, als meine Projekte weiterentwickeln.

Immer wieder denke ich an das Gehen mit dem Text oder an das Schreiben im Gehen. Dabei muss ich an eine Geschichte unseres Vermieters in Heidelberg denken. Er sprach von seinem Vater, der zwar ein Steinmetz war wie er, aber auch ein Naturlyriker. Er schrieb auf einem Bauchladen im Wald, den er durchstreifte, seine Gedichte. Das erinnert mich an mein Aquarellieren im Freien, mit dem ich Jahrzehnte lang Landschaft, Architektur und Natur besser verstehen wollte. Heute geht es nicht mehr so sehr um die Außenwelt, sondern um das, was nicht sichtbar ist.

Elliptische Bahn

Ein blaues Herz entstand, mit schwarzen Blutgefäßen auf seiner linken Seite. Die Malereien waren heute von denen beeinflusst, die ich vor vierzehn Jahren gemacht habe. Diese alten Malereien sind ein Schatz, ebenfalls die Aufzeichnungen. Ich schrieb von gewanderten Kreisen auf dem Altkönig, dem schönsten Berg der Welt, die ich in Notenschrift umwandeln wollte, damit man sie singen kann, wie vielleicht die fremden Buchstaben, die in das weiche Gestein in Sanchi geschlagen wurden. Das würde sich ähnlich wie der Gesang der bedröhnten Polin unter dem Blätterdach der Frankenallee vorgestern anhören.

Auf Rolle 11 sollten sich nun die Schichten des Interviewtextes, der Sanchiornamente und der rätselhaften Tabolinien im Stadtplan von Berlin stapeln. Aber ich zögere, weil ich mir noch mehr Aufklärung über die Linien im Durchgang zum Hauptversammlungsraum im Kloster Tabo von Peter van Ham erhoffe. Sicher hilft es, noch einmal die Höhle der beringten Tauben im Humboldtforum näher zu betrachten.

Die Gravitation des Ortes zieht immer mehr Material an. Ich bin von dieser Kraft auch erfasst. Vieles von dem, was ich produziere, wird von da aus auf eine elliptische Bahn gezogen. Das Gewicht der Schichten, die aufeinander lasten presst auch die Steinstapel zusammen, mit denen wir 1974 aufmüpfig im Lustgarten ein Manhattanmodell auftürmten.

Verschiedene Rhythmen

In die Collagen fügte ich heute neben Handprintmaterial von Rolle 11 und den Buchmalereien von heute, auch Buchmalereien ein, die ich am 24.02. 2010 nach den Besuch von Sanchi gemacht habe und die die Texte der Beschreibung der Stupas und Tore umrahmen.

Eine bedröhnte Polin, ging gestern langsam und in unterschiedlichem Tempo auf dem Grünstreifen der Frankenallee entlang. Sie rief laute Beschimpfungen in verschiedene Richtungen des Raumes unter den Bäumen. Die Art ihrer Artikulation im Gehen interessierte mich. Schritte und Worte waren verschiedene Rhythmen, die manchmal aufeinander abgestimmt zu sein schienen und manchmal nicht. Das erzeugte eine Spannung

Ob sich der Text meines Interviews dafür eignet, ihn in die Wege zu schreiben, die ich für den Handprint Berlin gehen werde, weiß ich erst, wenn ich es probiere. Auch die Worte im Tagebuch von 2010 sind Material für ein solches Vorgehen. Sie würden die Ornamente begleiten, die ich in Sanchi aufnahm und gegebenenfalls als GPS-Spuren gehe.

Erlebnisstapel

Jetzt fand ich den Text, den ich am 24.02. 2010 über den Besuch in Sanchi geschrieben habe. Die Buchmalereien, die den Bericht einrahmen, tragen die Intensität der Erlebnisse, unterwegs auf den Indischen Strassen, in sich. Schriftgravuren, die ich dort an den Steintoren fotografiert habe, begann ich auf Transparentpapier zu übertragen. Der Umfang der Stupa dort, hat etwa die Größe von dem Platz hinter der Kopie des Steintores am Humboldt Forum.

Maya besuchte mich gestern, um gemeinsam über ein Projekt zusprechen, das mit Bewegung im Stadtraum und künstlerischem Austausch zutun hat. Wir verabredeten, das Vorgehen mit praktischen Tests zu entwickeln. Das Gehen und Sprechen spielte auch wieder eine Rolle.

Einen Handprint, den ich in Bhopal, in der Nähe von Sanchi gelaufen bin, ging ich zwischen Kartoffellastern. Transportarbeiter schleppten die Säcke von einer Ladefläche auf die andere. Während des Gangs fotografierte ich das alles. Am Nächsten Tag fuhren wir nach Bhimbekta, um die dortigen steinzeitlichen Feldmalereien anzuschauen. Diese Erlebnisschichten stapeln sich zu einem Material, das sich immer wieder neu kombiniert.

Sanchi

Auf Rolle 11 zeichnete ich eine erste Variante des HANDPRINT BERLIN, so wie er in die Stadtlandschaft eingefügt werden könnte. Das kam mir dann, für einen kürzeren Zeitraum, zu groß vor. In ostwestlicher Ausrichtung vom Alexanderplatz über die Siegessäule hinaus. Es kommt darauf an, wie viel Zeit ich habe, oder ob eine kleinere Variante, die nur die Umgebung des Humboldt Forums einbezieht, realistischer ist.

Außerdem dachte ich an meine Umrundung der großen Stupa in Sanchi im Jahr 2010 und an die Aufnahmen der Ornamentik, die auch teilweise an dem rekonstruierten Tor neben dem Schloss im Sandstein zu sehen sind. Außerdem fotografierte ich damals an den Steintoren Inschriften. Mich würde nun interessieren, wie die Kollisionen von gewanderten GPS-Ornamenten aus Sanchi mit dem Spreeufer und der Brücke aussähen. Vielleicht wäre auch die Kreisgestaltung um das Marx-Engels-Denkmal gut einbeziehbar…

Beim Abgleich der Fotografien von Sanchi mit den Tagebuchtexten, stieß ich auf sehr expressive Buchmalereien mit einem reichen Figurenarsenal, gezeichnet mit einem schwarzen Tuschepinsel und mit Aquarellstiften koloriert. Das Material ist sehr von den Erlebnissen der Indischen Städte inspiriert, überhaupt von dem ganzen spiritistischen Alltag dort.

Experimentalaufbau

Mein Handumriss beginnt nun eine wichtigere Rolle zu spielen. Er grenzt Felder in den Collagen ein und tritt in Beziehung zu den Buchmalereien. Aus diesen Arbeitsbereichen möchte ich mich nun langsam an die Berlinwanderung herantasten. Die Handprintwanderungen der vergangenen Jahrzehnte, sind einfacherer Natur gewesen. Sie waren nicht so mit Geschichte aufgeladen und folgten spontanen Eingebungen.

Ich erinnere mich an eine Stadtwanderung, die ich mit Interessenten vom Deutschen Architekturmuseum gemacht habe, in der die Schilder der Wasserversorgung, die manchmal an Laternenpfählen Hinweise fremder Art bereit halten, eine Rolle spielten. Wir lasen diese abstrakten Buchstaben-Zahlen-Folgen wie dramatische Texte.

Zunächst benötige ich einen Überblick über das Textmaterial, das ich dem Humboldt Forum für die Ausstellung „Hin und weg“ und für das Stück „Bau auf! Bau ab!“ zur Verfügung gestellt habe. Seine Verbindung mit dem Stadtraum, der von der Umrisslinie der rechten Hand definiert ist, bildet meinen Part eines Experimentalaufbaus, der noch weitere Schichten mit einschließt, die von anderen Menschen mit anderen Professionen beigesteuert werden können.

BILDBESCHREIBUNG

Wenn ich mir vornehme das Gestische in den Malereien zu reduzieren, etwas Dichte wegzunehmen, geling mir das nur schwer, wie heute. Am ehesten entsteht diese Leichtigkeit, wenn ich nicht viel Zeit habe. So bleiben die heutigen Buchmalereien etwas unentschlossen und können sich aber später auf Rolle 11 als Umrisse bewähren.

Textarbeit im Gehrhythmus oder in dem von Tanz, stelle ich mir für den neuen HANDPRINT vor. Eine geeignete Form sind sicher die Sprechgesänge des Hip Hop. Aber auch die chorische Inszenierung von Interviewauszügen, wie in „Bau auf! Bau ab!“ eignen sich für den Textgang. Vor vielen Jahren in Heidelberg, inszenierte ich mit Jan Pröhl in dieser Weise „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller. Mit einer festgelegten Schrittfolge bewegte sich der Schauspieler um eine Stufenpyramide, auf der das Publikum saß.

Mein Interviewtext träfe im Wegenetz der Stadt auf eine Struktur, die ihn umformt. Voneinander entfernte Sätze können aufeinander treffen und neue Beziehungen eingehen, damit andere Aussagen und Inhalte entwickeln. Wenn ich mit einem bestimmten Satz an einer bestimmten Stelle in der Stadt erscheine, tritt er in Beziehung mit der Umgebung, verändert sie und sich.

Kraftfeld YOU&EYE

Für das Zusammenspiel der vielen Künstler, die sich heute aus Anlass der letzten YOU&EYE – Supervision dieser Saison, im Anna – Freud – Institut getroffen haben, habe ich angesichts der Ideenfülle wieder den Begriff Kraftfeld einfließen lassen. Mich dauert es immer wieder, dass das Potential der Zusammenarbeit meistes brach liegt.

Anke Schnabel hat mich mit ihren Worten zu meiner geschriebenen Sprache, ermutigt, den Zusammenhang zwischen Gehen und Sprechen mehr in den Focus zu nehmen. Wege, die Sätze aufnehmen, Worte, die Wege bilden und wie an Kreuzungen neue Sinnzusammenhänge entstehen. Die Sprache als Motor für HANDPRINT BERLIN, das Gehen als Motor für die Sprache von KRAFTFELD II.

Bei einem Treffen mit Maya in der kommenden Woche, soll es um ein Projekt gehen, das auch mit Bewegung im Raum zutun haben soll. Es könnte ein Testlauf für den Umgang mit neuen GPS – Gang – Strategien sein. Am späteren Nachmittag will ich dem Atelier von Franz einen Besuch abstatten.

Fortführen

Es ist schon Nachmittag. Ich bin erst jetzt ins Atelier gekommen, weil ich am Vormittag noch einmal in unserer Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst war und die Transparentpapiere, Reliefs und Weidengeflechte einmal in Ruhe fotografierte. Die Schüler waren mit ihren Lehrern anwesend und auch die Kollegen. Das Treffen mit ihnen ist immer das Beste bei solchen Terminen.

Wir kennen uns ja teilweise schon ganz gut durch die Supervisionen und von anderen Zusammenkünften. Manche berichten von interessanten Projekten, an denen sie arbeiten, und wir loten Gemeinsamkeiten aus, die Grundlagen für Kooperationen bilden könnten.

Immer mal gibt es auch Nachsätze zu den Ereignissen in Berlin und viel Freude darüber, was geschafft worden ist. Auf Rolle 11 möchte ich ausloten, wie ich diese Arbeit fortführen kann. Bin aber gestern nicht dazugekommen. Wenn die Vormittage belegt sind und ich erst am Nachmittag die Tagebucharbeit machen kann, fehlt mir die Energie für solche Entwicklungsarbeit. Aber mir kam der Gedanke, den HANDPRINT BERLIN mit den Tabolinien zu verbinden. Das wäre eine Kontinuität, die eine erweiternde Wirkung haben kann.

YOU&EYE im MAK Frankfurt

Gerade war die Eröffnung der Ausstellung YOU&EYE im Museum für Angewandte Kunst hier in Frankfurt. Yana Tsegay hat das ganze schön eingerichtet und Ina Hartwig hat es mit einer kleinen Rede eröffnet. Und alle Künstler, ein gut gelauntes Team, waren da, mit denen ich gerne weiter zusammenarbeiten möchte. Ich versuchte ganz praktisch Kooperationen zwischen Tanz, Zeichnung und Dichtung anzustoßen. Die Arbeiten von Sina und den Tänzerinnen haben mich sehr beeindruckt.

Sina Ahlers erzählte ich von meinen Texten die in „Bau auf! Bau ab!“ gesprochen wurden. Sie meinte, dass die chorische Wucht bei weitem nicht mit jedem Text entwickelt werden kann.

Dominique Falentin schrieb, dass während der Feiertage noch mal 2000 Besucher in unserer Ausstellung waren. Sie begleitet das Publikum der nächsten Aufführungen von „Bau auf! Bau ab!“ und will mir von den Gesprächen berichten, die sie während der Gänge von A nach B haben wird. Auch meine Arbeit an HANDPRINT BERLIN kann nun Anlass unseres weiteren Austauschs werden. Schon gestern füllte ich auf Rolle 11 einen Handabdruck mit dem stark vergrößerten Handballennetz und den anderen Gesträuchen die ich davor auf Rolle 11 zeichnete. Der Umriss liegt auf der Seite, sodass der Zeigefinger, wie in den Collagen, in die Vergangenheit weist.

Dank

Am Morgen, bevor ich ins Atelier gegangen bin, habe ich mich in einer Mail bei Anke Schnabel, „meiner“ Kuratorin im Humboldt Forum, bedankt. Ich hoffe, dass unsere Zusammenarbeit weitergeht.

Heute werde ich auf Rolle 11 beginnen, die neuen Ideen weiter zu entwickeln, bildlich nach Ansätzen und Themen zu suchen. Mein Kopf ist frei. Zu beobachten ist nun, ob sich in den Buchmalereien Entwicklungen beobachten lassen, die schon in die Richtung von KRAFTFELD II weisen. Verdichtungen der Schichten unterschiedlicher Geflechte und darüber die kreisenden Engel und Apsaras. Den HANDPRINT BERLIN könnte ich ebenfalls, wie KRAFTFELD FRANKFURT, in Ton modellieren, um dann eine Gipsform herzustellen. Das Liniengeflecht bestünde diesmal aus den gelaufenen GPS – Spuren innerhalb des Handumrisses, andererseits aber auch aus den Wanderungsspuren, die sich darin verstecken. Wieder kann das Relief mehrfach mit Pappmachè abgeformt und bemalt werden. Wie beim Väterprojekt können weitere Themen auf den Flächen erscheinen, die immer wieder auf die Wanderungsspuren im Humboldt Forum hinweisen.

Gerne hätte ich es, wenn das eine Gemeinschaftsarbeit mit mehreren Gewerken würde, wenn diese Leute mit eigenen Ideen das Projekt voranbringen würden.

HANDPRINT BERLIN – KRAFTFELD II

Das Stück „Bau auf! Bau ab!“ hat mich sehr inspiriert, neue Dinge anzugehen. Auslöser sind meine, vom Ensemble chorisch gesprochenen, Texte. Das sie diese blockhafte Stärke entwickeln können, war mir vorher nicht klar. Im Zusammenhang mit dem HANDPRINT BER LIN – KRAFTFELD II kreisen meine Gedanken um das Sprechen im Rhythmus der Schritte. Gehen, zeichnen, sehen und fotografieren, Pflaster, Fluchttunnel, hämmern, kriechen, schreien, wühlen in die Schuttschichten von Tod, Prunk und Abfall.

Die gesprochenen Sätze werden von Tieren, Panzern und Baumaschinen zusammengepresst, zerrissen und neu zusammengesetzt, wie beim Stampfen, Schlurfen, Swingen auf dem Grundriss des Palastes im Raumspiel mit Kathrinem.

Die Richtung, in der ich meine Hand auf die Stadtkarte von Berlin legen will, werde ich in Abänderung der bisherigen Handprints, gegen den Uhrzeigersinn um 45° verschwenken. Das ist die Richtung in die ich damals meine Zeichnung vom Dach des Palastes aus gemacht habe, also von Osten nach Westen. Beim Gehen könnten die Sätze, die Melina von Gagern für das Stück ausgewählt hat, zum Ausgangspunkt für eine neue Textentwicklung werden, die sich in die Linien der Stadtwanderung einschreibt.

HIN UND WEG – BAU AUF! BAU AB!

In dem Trailer zum Theaterspektakel „Bau auf! Bau ab!“ wird ein Kraftfeldtext aus meinem Interview verwendet: AN DIESER STELLE, IM ZENTRUM VON BERLIN, DAS SAG ICH DIR, DA WAR ENERGIE. DIESER BAU, SO SUSPEKT ER MIR MANCHMAL WAR – EIN KRAFTFELD. Dann der Satz aus „Der Bau“ von Heiner Müller: WARUM ZERTRÜMMERT IHR DAS FUNDAMENT? Auch im Stück waren viele Texte von mir. Sie bekamen durch Verschriftlichung und erneutem, diesmal chorischem Sprechen, mehr Wucht.

Eine andere Entwicklung von Präsenz erfuhr meine Rolle 10. Die Fotografie von ihr, die ich in die erste Collage eingefügt habe, ist von Dominique Falentin, die mich in der Zeit der Vorbereitung der Ausstellung sehr unterstützt hat. Mein zartes Transparentpapierobjekt, an einer sehr schönen Stelle des gestalteten Raums, spricht ganz leise aber stetig, gleich neben dem Gebrüll von Willi Sitte, auf seinem roten Fahnenbild. Was kann man mehr wollen?

Aus diesem Spannungsbogen heraus, beginne ich nun über HANDPRINT BERLIN – KRAFTFELD II nachzudenken. Verbindungen der GPS – Wanderung mit dem Humboldt Forum sind zunächst die vielen Wanderungsspuren, die in den Ausstellungen zu finden sind. Wenn sich ihre Umrisse mit den Figuren verbinden lassen, die ich in der Stadt laufe, ist das der Ausgangspunkt, mit dem sich die Arbeit durch verschiedene Gewerke ausweiten ließe: Soziologie, Archäologie und Geschichtsforschung beispielsweise.

Ausstellungen

Während ich gestern auf Vandad wartete, der die Arbeiten meiner Schüler für eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst abholen wollte, saß ich im Garten, ordnete meinen Kalender und dachte über die Ausstellung in Berlin nach. Innerhalb des erinnerungskulturellen Zusammenhangs fühle ich mich grundsätzlich an der richtigen Stelle mit meinem Stasi DADA. Und sicherlich machte ich mir noch nicht gründlich genug klar, dass die unterschiedlichen Ansätze, die Geschichte des Ortes zu erkunden, ein großer Vorteil der Veranstaltung ist. Ich sollte genau zuhören, was die Ostalgiker zu sagen haben.

Von dem Theaterstück „Bau auf! Bau ab!“ gibt es einen Trailer im Netz. Ich schaue es mir am Freitag an, wenn die Eröffnung für das Publikum ist. Aus meinem Interview, das vor einem Jahr gemacht worden ist, werden dort Fragmente mit anderen Textteilen verwendet. Auch in einer Soundinstallation innerhalb der Ausstellung sind Teile davon zu hören.

Am Müttermantel habe ich gestern weiter gehauen. Öfter denke ich, dass ich diese Skulptur alleine mit den Händen, ohne Maschinen, nur mit Hohleisen und Klüpfel, nicht schaffen werde. Aber Lust auf eine Kettensäge habe ich nicht. Auch das Dechseleisen hat sich bislang nicht bewährt.

Vorsicht, Müttermantel

Zwischen den Blättern des Gärtchens hängen Muscheln, bewegen sich leicht im Licht der Fensterreflektionen. Das Grün zittert und wedelt, die Meisen pfeifen um die Wette, Insektenschatten folgen meinen Linien auf dem Papier. Im alten, braunen Laub, das den Boden bedeckt, tarnen sich ornamentale Nachtfalter vor den wachsamen Augen der Eidechsen, denen Schönheit egal ist.

Die Morgenmalereien fertigte ich vorsichtig an, schreibe langsam. Hinter den Augen wandern die Zählreime der Bluesstrophen hin und her. Wenn die Gitarre gestimmt ist, kann ich den Song „Der Rabe Ralf“ von Christian Morgenstern singen:

„Der Rabe Ralf,

will will huhu

dem niemand half,

still still du du

half sich allein am Rabenstein…“

Einer Hebamme erzählte ich von meiner Müttermantelskulptur. Sie verstand nicht, wie ich als Mann zu diesem Thema komme. Außerdem tat sich eine Dualität auf: die Schwere des Mantels ist die Last, die eine Mutter trägt oder die, die eine Mutter ist.

Chaos, Rabe und Raum

Ineinandergreifende Chaosstrukturen werden durch die Reaktionen aufeinander, zu einer ordnenden Kraft. Diese Vorgänge finden in den Buchmalereien und im Garten statt. Die Wirkungen von Gravitation, Geist und Verwesung ziehen Situationen nach sich, durch die Wesen, Erinnerungen oder Bühnenszenen entstehen.

Mit dem Inhalt der von den Schülern geöffneten Keksrolle, füttere ich einen kleinen Raben. Wir teilen uns die Plätzchen. Gestern schon bekam er Kuchen von mir, was seinen großen, alten Konkurrenten nicht verborgen blieb. Es bedarf einer Strategie, ihn zu bevorzugen, denn ich möchte ja „meinen“ Raben hier in meiner Nähe haben.

Die Gerüste der Nachbarbaustelle, südwestlich von unserem Gelände, weisen beängstigen weit in den Himmel. Im Winter wird das Areal völlig verschattet sein. Vielleicht ist das der Beginn seines Endes, das unsere AG 4.1 verhindern will. Räume freundlich und gut bespielbar zu gestalten, hängt nicht zuletzt an den Inhalten, für die die Leute stehen, die sie beleben.

Langzeitwirkung

Unter dem Blätterschirm des Gärtchens atmen die Lichtflecken in sanften Luftwirbeln. Nach der kühlen Nacht ist das Leben der Kleintiere noch nicht richtig erwacht. Zu Himmelfahrt heute, habe ich mir einen Gartentag geschenkt. Die Baustelle ist still, die Sonne scheint und die nächsten Verabredungen sind erst am späteren Nachmittag.

Besuchs- und Sitzungstermine strengen mich mehr an als früher. Gestern die Kuratorin der YOU&EYE Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst und die Arbeitsgruppe (AG 4.1), die die Zukunft des Tevesgeländes in ihren Blick nehmen will. Nur die Geduld, mit der ich lange Strecken gehe, wird bei mir größer mit dem Alter.

Das Auflesen der Bonbonpapiere etc. auf meinen Wegen ins Atelier und zurück, also viermal am Tag, hinterlässt eine sichtbare Wirkung. Die sauber strukturierte Fläche zum Gehen und zum Schauen wird einladender. Die Menschen, die mit mir unterwegs sind, reagieren auf mein auffälliges und häufiges Tun. Aus unterschiedlichen Gründen könnten sie auch genervt sein. Für mich aber ist es ein erhebendes Gefühl, wie sich der Raum und das Verhalten in ihm verändert.

Lennie Tristano

Lennie Tristano – kein Gewässervergleich möglich, eher der einer Felsformation mit Geröllhalden und unterschiedlichen Gesteinsschichten. Sie werden durch das Gewicht manchmal zerquetscht, wie flexibles Material eines Zwischenaggregatzustandes, werden angehoben, aufgebrochen und von Frost und Regen abgetragen. Die Improvisation als Beben, Selbstbehauptung und Vision.

Mit seinen Improvisationen von 1946 bin ich am Morgen nicht zu ruhigen Bildern gekommen. Die Diagonalen verwerfen den wandernden Blick. In der ersten Malerei ließ ich sie weg und behielt an dieser Stelle eine ruhige Dualität.

Eine solche probierte ich auch, indem ich den Teil dieses Scans negativ einstellte. Den kopierte ich und fügte ihn deckungsgleich wieder in den unveränderten Scan ein. In dem Moment, wo ich die Negativschicht auf 50% Durchlässigkeit einstellte, verschwand sie in einem grauen Feld. Diese obere Schicht leicht verrückend, entsteht ein Reliefbild. Diese Technik kann ich für die Collagen der Zukunft nutzen.

Palestrina

Palestrina – seine Musik lässt sich mit einem See, geschützt zwischen Bergen, vergleichen. Er hat einige kleine Zuflüsse, Untiefen und aus ihm entspringt ein größerer Fluss, der die Klänge dem Ozean zuträgt.

Bewegungen, die heute am Vormittag auf dem Papier festgehalten wurden, sind von innen und von außen angestoßen. Die Wellen des Lichts und der Töne, der kosmischen Strahlung und der Vibrationen des Körperinneren. Figurendopplungen bilden Gegenklänge, die ein Gleichgewicht suchen.

Ich schaue auf die Malereien des Sommers 2009. Die Papiergravuren, die ich mit den hölzernen Haarnadeln gemacht habe, sind von Figuren überlagert, die mit Tusche gezeichnet wurden. Einem Mädchen aus der Hindemithschule zeigte ich die Malereien, die ich an ihrem Geburtstag, am 22.08. 2009 gemacht hatte und erzählte die Geschichte der Szenen. Sie war nur einmal bei mir, aber vielleicht merkt sie sich diesen Tag.

Monteverdi

Ein ruhiger Fluss mit Strömungen, Wirbeln und gekräuselten Flächen, die sich verschieben, aber eigene Felder auf der Wasserfläche bilden. Dieses Bild fällt mir ein, wenn ich Monteverdi höre. Mit dieser Musik stieg ich am Morgen in die Buchmalereien ein.

Rechts unten auf den heutigen Seiten, in der dritten Malerei, entstanden sich kreuzende, in das Papier gepresste Gewindegravuren. Zwischenschraffuren mit den Aquarellstiften differenzierten die Schichten. Durch die Feuchtigkeit des Handballens wurde die kompakte Farbfläche durchlässiger, und die folgenden Abdrücke in den anderen Formaten, blätterten noch einmal durchscheinender die Arbeitsgänge auf.

Indem die Buchmalereien so ihre eigene Entstehung erzählen, bilden sie aber außerdem eine Handlung ab, die aus den nicht technischen Voraussetzung eine Geschichte formt. Fragmentierte Figuren stehen einem kosmischen Geschehen gegenüber und folgen den Unschärfen der Vorgänge, deren immer wieder neue Konstellationen die Unendlichkeit andeuten. Dieser Prozess hält meine suchende Arbeit in Gang.

The Kinks

The Kinks – eine Hörreise in die Sechzigerjahre, in meine verzweifelt hoffnungslose Zeit im Gefängnis DDR. Nur die Musik konnte mich da rausholen! Nun bin ich schon länger in Freiheit als in dieser Gefangenschaft. Durch mein Gärtchen schleicht ein Fotograf mit seinem Kind, seinem geliebten Modell.

Gestern auf Rolle 11 versuchte ich den Umriss des Handballenabdrucks mit dem vorausgegangenen Material zu durchdringen. Das gelang mir nicht gut. Ich wollte dieses aggressive Gesträuch in die Struktur hineinzwingen. In der kommenden Woche mache ich einen erneuten Anlauf.

In der ersten Malerei von heute gibt es einen Abdruck meines Daumenballens. Die Liniengeflechte versuchte ich zu erweitern. Denselben Abdruck kann ich mehrmals hintereinander in unterschiedlichen Qualitäten machen. So komme ich in andere Dimensionen, Paralleluniversen, die die Hoffnungslosigkeit der Sechzigerjahre von der anderen Seite her verdoppeln und somit aufheben. Ich denke an Tanz, Malerei und Musik im Zusammenspiel.

Charaktere der Hand

Die Umrisse des Handkantenabdrucks der 2. Malerei vom 26.04. übertrug ich, stark vergrößert, auf einen Bogen Transparentpapier. Es handelt sich um ein stacheliges, zweidimensionales Gesträuch, um eine aggressive Sperre, die nicht durchdrungen werden will. Wenn ich sie auf Rolle 11 übertrage, wird sie aber dem Schicksal der Durchdringung und Verflechtung nicht entgehen.

Einen anderen Charakter besitzt der Abdruck des Daumenballens. Eine Arthrose, die ich mir dort durch Bildhauerei zugezogen habe, veränderte den Muskel, wodurch hier die Haut parallel laufende Faltenstrukturen bildet. Diese Linien laden zu ihrer Erweiterung und architektonischen Weiterverwendung ein. Dort wächst dann eine Architektur, wie in der 2. Malerei von heute.

Durch die Benutzung des Füllers als Zeichengerät, schleichen sich fragmentarische Figuren ein, die durch die angedeuteten Umrisse von Strukturfeldern entstehen. In die Verwischungen, die ich vor genau 10 Jahren in den Buchmalereien gemacht habe, zeichnete ich schon damals konstruktive, gerade Linien, deren Ursprung auch in den Handabdrücken zu finden ist.

Übergänge und Wandlungen

Die Linien meiner rechten Hand, insbesondere die der Handkante und des Daumenballens, mit denen ich Farbabdrücke mache, bilden nicht nur verschiedenen Richtungen ab, sondern tragen auch eigene Stimmungen in sich. Das tritt zutage, wenn ich die Kompositionen mit den Stiften erweitere, verdeutliche und dadurch unterschiedlich dynamische Tendenzen abbilde. Diese Energie kann sich in tänzerische Bewegung wandeln oder sich in Schichten ablagern.

Andererseits kann ich mit ihnen Verbindungen zu anderen Dimensionen eingehen, wie den Tabolinien, Architekturen aufbauen, aber auch Zeiträume auf Rolle 11 erkunden. Lassen sich auch die Tabolinien tanzen? Haben die Tanzfeste in den Vorhöfen der Klöster im Himalaja etwas mit den Übergangslinien im Durchgang zum Gebetsraum, die den Eintritt in eine andere Dimension anzeigen, zutun?

Viele dieser Gestaltungen und Möglichkeiten befinden sich in den heutigen Malereien. Sie lassen sich erweitern, kombinieren, fragmentieren und als Umrisse auf Rolle 11 übertragen. Während des Schreibens zeichnete ich an den Motiven mit dem Füller weiter. Der Übergang vom Schreiben zum Zeichnen und zurück war fließend und selbstverständlich.

Eingeschlossen im Klang

Was unsichtbar und von mir nicht zu spüren, in mir und neben mir wohnt, hat dennoch einen Einfluss auf mich. Das Wissen um kosmische Teilchen, die meinen Körper durchdringen, verändert mein Denken. Es treibt auch das Zeichnerische in den Malereien an, dessen Richtungen einem unendlichen Raum entspringen. Dieser Gedanke erzeugt eine Energie, die mich in Bewegung versetzt, und die Stimmen der Bauarbeiter verwandeln sich in Stasi DADA.

Die Linien des Handballens treffen auf die Gewindegravuren, reagieren mit ihnen und entwickeln daraus eine Tabolinienstruktur. Die Schreie der Gerüstbauer, Gesänge der Mönche, startende Flugzeuge und die lärmenden Aggregate, die die Kanäle im Untergrund reinigen, sind der Klang, in den die Malereien eingeschlossen sind.

Eigentlich müssten die Mauersegler schon da sein. Stattdessen kriechen die Mauereidechsen aus ihren Ritzen, wo sie sich scheu, bei jeder Bewegung wieder verstecken. Unterbrochen von Auslegerschwenks der Kräne, die Bretterbündel über die Dachkanten hieven, wärmt Licht meine Wangen im Gärtchen, wo ich schreibe.

Gartenschere, Farbkomposition, Zeitpfeil

Auch im Gärtchen vor dem Atelier versuche ich die Gesträuche zu verdichten. Ich stellte weitere Pflanzen nach draußen zwischen die Bäume, die auf dem flachen Stück Erde über dem Beton wachsen. Mit der Gartenschere allerdings, lichte ich die Brombeergesträuche am Bahndamm, um eine Aufenthaltsqualität für unsere Gäste und für uns zu erhalten und meiner Seele etwas Ausgleich zu verschaffen.

In der ersten Malerei entstand heute eine Farbigkeit, die tastend versuchte, den Klang zu treffen, der mit vorschwebt, wenn ich an eine ideale Farbkomposition denke. Auch die Leichtigkeit, die dazugehört, klingt an. In der Kleinheit des Bildes steckt dennoch differenzierte Emotion.

Heute will ich an Rolle 11 weiter arbeiten. Den rückwärts gerichteten Zeitpfeil werde ich bald wieder herumdrehen, weil sich in der 2. Stufe der Verdichtung derzeit nur erwartbare Strukturen ergeben. In der 2. Malerei vom 26.04. gibt es ein kleines Stück Handballenabdruck mit deutlichen dunklen Linien. Das möchte ich vergrößern und auf der Rolle einen weiteren Bezug zu den Tabolinien herstellen.

Dunkle Schichten

Heute stehen in den Malereien die verschiedenen Zeichen in einer offenen Situation. Es sind einzeln erkennbare Ausdeutungen meiner Handballenlinien in ihrer Verwandtschaft mit den Tabolinien. So reduziert, bekommt das Material eine deutlich strengere Note.

Chunqing erzählte heute in der Zusammenkunft der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler des YOU&EYE – Projektes eine Geschichte, die uns allen unter die Haut ging. Ein Schüler, der seine Tuschepinsel auswaschen sollte, bespritzte eines der Werke, die im Atelier hängend auf eine Ausstellung warten, mit der Restfarbe aus seinen Malgeräten. Er wedelte die Pinsel mit der Tusche vor dem Bild aus. Es handelt sich bei der Reihe, um eine Serie, die sich insbesondere mit dem Weiß des Papiers auseinandersetzt. Ein Anschlag, der unser aller Entsetzen auslöste. Ich weiß nicht, ob wir dieser Kultur unsere Ateliers öffnen dürfen.

Auf Rolle 11 bin ich in die 2. Stufe der Verdichtung gegangen. Es handelt sich dabei um das Durchzeichnen der Tuschfederstrukturen beim Rückwärtsrollen. Während der 3. Stufe rolle ich den Streifen dieser intensiven Schichtungen wieder zurück und füge so eine weitere, noch dunklere Schicht hinzu.

Drehen des Zeitpfeils

Gestern drehte ich den Zeitpfeil auf Rolle 11, wodurch sich die Zeichnungen von gestern mit den vorigen im Rückwärtsrollen überlagerten. Je länger ich die Szenen in dieser entgegengesetzten Richtung durchzeichne, umso inflationärer wird die Verdichtung. Diese Geschwindigkeit nimmt noch einmal zu, wenn ich die Richtung wieder auf die Gegenwart zu wechsele.

Mit der Zunahme der Verdichtungsgeschwindigkeit komme ich aber immer langsamer vorwärts. Die absolute, nicht mehr steigerbare Dichte, also das Schwarz, entsteht, wenn ich auf der Stelle trete. Am selben Ort immer weiter zeichnend, beginnt eine andere Dimension zu wachsen.

Die Überlagerung verschiedener Handlungen entspringt dem erlebbaren Alltag. Unterschiedliche Schwingungen oder Wellen treffen aufeinander und bilden Interferenzen. Eine Schnur, mit der ich einen Essigbaum an einen Ziegelstein band, ihn somit in Richtung des Bodens bog, ist gespannt, wie eine Saite. Wenn ich sie anschlage, so vibriert der Baum mit seinen neuen Ästen, die aus dem gebogenen Stamm nach oben wachsen.

Kontrapunkt

Mich auf den gestrigen Gedanken zur „Kunst der Fuge“ verlassend, begann ich den Transparentpapierstreifen mit der Umrisslinie der zweiten Buchmalerei von gestern zu versehen. Um die Kompositionen der Durchzeichnungen innerhalb der Umrisse zu verändern, habe ich die Möglichkeit der Rolle rückwärts, der Gegenbewegung auf dem Zeitstrahl. Es reicht eine kurze Strecke zurück auf dem Streifen, um einen Akzent der Rückbesinnung zu setzen oder einen Kontrapunkt.

Von einer Variante dieser Kompositionstechnik ging ich auch bei der Anfertigung der heutigen Buchmalereien aus. Die parallel laufenden Gewindegravuren, kreuzen sich in verschiedenen Winkeln und schaffen dadurch klingende Überlagerungen, beschreiben vielstimmige Gesänge, wie sie in der Chormusik Palestrinis zu hören sind, oder in der „Kunst der Fuge“ zwischen den Buchdeckeln.

Wirbelnd suchende Bewegungen treffen auf geradlinige Schraffuren, finden aber keine Konkretionen oder Gegenständlichkeiten. Nur die Abdrücke eines Lavasteines sind der sichtbaren Welt entliehen und bilden einen Ankerpunkt im kosmischen Gesang. Die Rückgriffe auf alte Zeichentechniken und die veränderte Weise, in der sie wieder auftreten, war auch in einem Gespräch mit Franz, der mich gestern besuchte, Thema.

Gegensatzpaare

Wenn sich in den Schichten der Buchmalereien chaotische und ordnende Strukturen abwechseln, ist das auf das Ziel zurückzuführen, das Gegensatzpaar zusammenzufügen. Im Idealfall fände die Überlagerung so statt, dass sich gegenseitig auslöschten, wie die Gegenfarben auf dem Farbkreis, wenn sie sich durch gleichstarke Lasuren übereinander neutralisieren.

Ein ähnliches Spiel läuft zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion ab. Beide gehen ineinander über, kämpfen aber auch manchmal um die Vorherrschaft. Die erscheinenden Figuren sind mir manchmal nicht ganz geheuer und bei ihrem Auftreten oft etwas banal. Das kann nur mit der Gegenbewegung, die das allzu deutliche Geschehen wieder fragmentiert, behoben werden.

Mehrere Tage habe ich jetzt an Rolle 11 nicht weitergearbeitet. Das hat Gründe in der schwächer werdenden Spannung innerhalb des kontinuierlichen Kompositionsstreifens. Die Pause dient dazu, dem durch das Nachdenken über andere Mittel, Abhilfe zu schaffen. Nach diesem Satz trug ich das Tagebuch, in dessen aufgeschlagenem Zustand der längliche Lautsprecher lag, aus dem die „Kunst der Fuge“ kam, zum Scanner. Und ich überlege nun, ob ich in Anlehnung an dieses Musikstück, die Arbeit auf dem Transparentpapier besser fortsetzen kann.

Skulpturales Zeichnen

Größere Umrisslinien in den Buchmalereien ergeben oft Mantelfiguren, Erscheinungen aus märchenhaften Erzählungen aus dem Orient. Zauberer, Händler und die strengen Sprecher der Herrschenden. Ihnen stehen abstrakte, sperrige Konstrukte gegenüber, die aus einer zerborstenen Architektur hervortreten. Ordnende Linien finden sich eher im Untergrund, über dem sich das Chaos stapelt. Der Versuch, es zu bändigen, bleibt auf halber Strecke stecken.

Immer wieder wirbelt die suchende Hand mit den farbigen Aquarellstiften über die schon bestehenden Liniengeflechte, um irgendwann eine Konkretisierung entstehen zu lassen. Es ähnelt skulpturaler Arbeit mit Schlagrichtungen, Spänen und der, im Holz verborgenen, Figur. Die leichten, fliegenden Holzstücke bilden auf dem Boden wieder Konstellationen, die an Gegenstände erinnern. Ich fege sie zusammen und streue sie in den Garten.

Auch das Schraubengewinde, mit dem ich die parallel laufenden Linien in die Seiten grabe, zerfasert das Holz mit dem ich es hin und her rollend in die Flächen drücke. Schichten aufbauen und abschleifen, neu stapeln und schauen, was übrig bleibt. So sieht meine Recherche in meinem inneren Archiv aus.

Schwirren

Die zeichnerischen Strukturen der Buchmalereien erinnern mich an meine Bleistiftzeichnungen in den Siebzigerjahren. In den Liniengeflechten, die vor der Natur entstanden, suchte ich nach meiner eigenen Handschrift. Der Gestus orientierte sich an impressionistischen Linienführungen, schwirrenden Bewegungen beim Ansehen der Vorgänge um mich herum.

Die jetzige Suche ist eine andere. Aus den Linienzusammenballungen, die wie von alleine entstehen, treten jetzt Atmosphären, Figuren und Gegenstände hervor, die meine inneren Bewegungen nach außen bringen. Ich sitze nicht mehr vor der Natur draußen, sondern im Schwirren meiner Synapsen.

Dadurch klären sich abstrakte Befindlichkeiten, werden handfeste, mit den Augen ablesbare Handlungen. Verwirbelungen bringen einen Körper hervor, der dann verwischt wird. Die Spur dieser Sekunde lebt in einem Handabdruck im nächsten Bild wieder auf, schafft ein schmales Wesen, das zart einer harten Umrisslinie gegenübersteht. Aus einem Wirbel daneben schert eine Konstruktion aus, die eine neue Figur berührt…

Fragen

In der abgelaufenen Woche habe ich fleißig gezeichnet und schaffte währenddessen etwa 3% von Rolle 11 also 150 cm. Zahlen… Inhaltlich pendele ich hin und her, oder ich gehe von einem Raum in den anderen. Unterwegs vermischen sich die Bilder.

Kräftige Balken entstehen aus den schütteren Tabolinien. Bei den Übertragungen auf Transparentpapierbögen und auf die Rolle, präzisieren sich die Kompositionen. Die einzelnen aneinander aufgereihten Formate sollen eine fortlaufende Handlung ergeben, wie ein Musikstück. Die Tonbandstimme meines IM mischt sich mit den Gebeten der buddhistischen Mönche. Ich stelle mir die Tonbandprotokolle als religiösen Gesang vor.

Heute halten sich die konstruktiven Elemente zurück. Wenig brachial treten Figuren aus den Nebeln. Die Musik ist leise und tänzerisch. Mit den Handballenlinien stellen sich Fragen an die alten Maler in Tabo. Wie habt ihr eure abstrakten Linien gemeint? Sind, die Abdrücke des Körpers und eure gemalten Geflechte verwandt?

Tabo-Stasi-DADA-Sequenz

In meine konzentrierte Atelieratmosphäre brach gestern die Schülergruppe von „YOU&EYE“ ein. Sie bemalten die Masken, die sie letztens mit Pappmaché ausgeformt hatten. Die trockenen Teile holten sie vorsichtig aus den Formen, wobei sich Trichy geschickter anstellte als ich! Dann wurden sie weiß grundiert und mit schwarzer Farbe bemalt. Rateb machte sich mit seinem Freund am Müttermantel zu schaffen. Zwischendrin wurde Lärm auf der Elektrogitarre geschlagen.

Aus der ersten Buchmalerei von gestern entwickelte ich einen dynamischen Umriss für Rolle 11, den ich in die „Tabo – Stasi – DADA – Sequenz“ einfügte und mit den vielschichtigen Zeichen der letzten Woche anfüllte. Dabei versuchte ich die verschiedenen Schichten durch unterschiedliche Strichstärken zu zeigen. Das gelang noch nicht so gut, ist aber eine ausbaubare Technik.

An Abend eröffnete Deniz Alt eine Ausstellung im alten Holzlager unter dem Dach. Veranstaltet wurde das von einem neu gegründeten Bahnhofsviertel – Kunstverein. An Hand der Werke, sprach mein Nachbar über sein Künstlerleben und die Erkenntnisse daraus.

Klartext

Von der Stasiunterlagenbehörde kam gestern ein Anruf. Sie haben die Informationen zum Klarnamen meines IM „Lutz Lange“ an die alte Heidelberger Adresse geschickt. Den Umschlag, der zu ihnen zurückkam, bekomme ich wenn ich einen schriftlichen Antrag auf Decknamenentschlüsselung mit der aktuellen Adresse und meiner Unterschrift schicke. Die erste Anforderung der Daten habe ich einfach mit einem Kontaktformular gemacht.

Gut, dass das so schnell geht. So habe ich bei der Eröffnung von „Hin und weg“ im Humboldt Forum einen sicheren Rückraum, wenn ich mich gegen die sich steigernde Ostalgie wehren muss. Die vorsichtigen Anmerkungen zum Porzellanobjekt aus dem Palast der Republik und seinem Zusammenhang zu meiner Überwachung, kann ich mir dann sparen und Klartext reden.

Auf Rolle 11 arbeitete ich mit zwei Buchmalereien von vorgestern und gestern. Die durchscheinenden Schichten der Transparentpapierrolle reduziere ich mit einem weißen Bogen, den ich dazwischen rolle. So bestehen nur noch zwei bis drei Schichten Material, das ich durchzeichne. Dadurch wird die Veränderung der Motive deutlicher und die Sequenz bekommt eine größere Dynamik.

Hin und weg

In der Ausstellung „Hin und weg“ im Humboldtforum erscheinen nun an verschiedenen Stellen Beiträge von mir. Im Theaterstück „Bau auf! Bau ab!“ sind Textfragmente meiner Interviews verbaut. Das Portrait von mir, das Tobias Kruse hier im Atelier gemacht hat, hängt innerhalb eines Klanginstallationsraumes, in dem ebenfalls Interviewteile von mir zu hören sind. Und dann ist da natürlich noch Rolle 10 in einer Extravitrine. All das rückt wieder näher an mich heran.

Auf Rolle 11 zeichnete ich den Umriss einer Vergoldung aus dem Porzellanrelief, das vom Palast in das Forum gewandert ist, mit seinem Stasi DADA – Innenleben. Dann verschnitt ich diese Figur mit den letzten Arbeitszuständen der Tabosequenz. Die Malermönche und mein IM. So wächst zusammen, was in mir wohnt.

Die Buchmalereien werden heute von dissonanten Farbstimmungen behaust. Das sind die Reaktionserscheinungen, die durch die Zugabe der verschiedenen Zugaben in den Reagenzraum hervorgerufen werden. Und die Architekturen die dafür entstanden sind, erinnern mich an Hochbunker, wie die Flaktürme in Wien. Mit dem Bauleiter von der Palastbaustelle sprach ich über das Gerücht, dass an der Kläranlage unter dem großen Saal eine Mini – U – Bootsanlegestelle für die Parteibonzen gebaut wurde. Er lachte!

In die Vergangenheit

Nach den Veranstaltungen im Humboldt Forum wächst meine Unsicherheit, meine Ausstellungsbeteiligung, mit ihrem subtilen Charakter, so laufen zu lassen. Die Menschen, die ich kennen gelernt habe, waren allesamt mit dem staatstragenden Bauwerk innig verbunden. Umso wichtiger erscheint mir nun, die Arbeit doch noch fortzusetzen, um die Chance zu wahren, meine Perspektive auf die Geschichte deutlicher zu zeigen.

Das heißt aber, dass ich wieder zurückkehre, die Tabosequenz mit Stasi DADA verbinde und erneut Kontakt mit der Behörde für die Aufarbeitung der Stasiakten aufnehme. Vor meinem Besuch in Berlin hatte ich nur mit dem Gedanken gespielt, jetzt bin ich mir sicher, damit ein Gegengewicht bilden zu müssen.

Auf der Umrisslinie des Palastes fand am Sonnabend eine choreographierte Raumkomposition statt. Gehend, swingend, schlurfend und stampfend folgten 25 Teilnehmer und einige Gäste einer roten Umrisslinie des Gebäudes. Sechs Raummodule: Rechteck, Kreis, Linie, Dreieck, Hexagon und Trapez, waren von der Architektur des Baus entlehnt und bildeten Klangaktionsräume. Das war eine konzentrierte Arbeit auf den Punkt. Gott sei Dank!

Erinnerungsexperimente

Das Theaterstück, das aus Anlass der Ausstellung zum Palast der Republik inszeniert wird, hat auf der Website des Humboldtforums eine Ankündigung mit dem Porzellanrelief, das meiner Arbeit zu Stasi DADA zugrunde liegt. Morgen möchte ich an Ort und Stelle probieren, das Thema produktiv zu machen. Der Vorgang der Enttarnung meines IM, wäre eine Fortführung des Projektes während der Ausstellungsdauer.

Auf Rolle 11 ist die Verbindung der Tabolinien mit dem Fluss meiner eigenen Arbeit gelungen und somit die Annäherung an die vor tausend Jahren arbeitenden Maler. Anders als mit den Versuchsaufbauten meiner Arbeit wären mir die Erinnerungsvorstöße beim Väterprojekt, bei der Stasiaktenarbeit und bei den Tabolinien nicht gelungen. Zu sehen sind immer nur Zwischenergebnisse des Prozesses, denn der Variantenreichtum der Verdichtungen, der von den Reaktionsergebnissen der Vermischung der unterschiedlichen Materialien abhängig ist, ist unendlich.

Ich bin gespannt, wie die Erfahrungen, die ich in den Erinnerungsprojekten gemacht habe, die konkrete Weiterarbeit beeinflussen. Die Gitterobjekte, die aus TRIXEL PLANET, den Tabolinien und Stasi DADA entstehen, sind ein Teil der Antwort.

Heute von weiteren Diensten befreit

Weil ich mir am Morgen vorgenommen hatte, Rolle 11 heute unbearbeitet liegen zu lassen, waren die Buchmalereien von weiteren Diensten befreit. Das sollte ich ihnen öfter gönnen und auf der Transparentpapierrolle auf anderes Material zurückgreifen. Von zu Hause habe ich mir meinen neuen Tablettrechner mitgebracht, von dem ich mir neue Arbeitsimpulse erwarte.

Am Sonnabend steht ein Treffen im Humboldt Forum im Kalender. Es kommen die Interviewpartner und Ausstellungsbeteiligten des Projektes zum Palast der Republik. Vielleicht treffe ich alte Bekannte aus der Kaserne „Magerviehhof“ in Friedrichsfelde Ost. Gespannt bin ich dann auch, wie im Mai Rolle 10 im Zusammenhang der Ausstellung präsentiert wird.

Auf Rolle 11 arbeitete ich gestern mit dem Umriss der ersten Buchmalerei des Tages weiter. Im Verlauf dieser Sequenz zerfällt die Dichte und Geschlossenheit der Elemente weiter. Die Energie, die beim Zusammentreffen der unterschiedlichen Zustände entsteht, konzentriert sich auf kleineren Flächen. Schon liegt das Skizzenbuch vom Spitital aufgeschlagen auf dem Arbeitstisch. Die Zeichnungen darin sind zumeist etwas fragmentarisch. Das kommt den Möglichkeiten der Weiterverarbeitung entgegen.

AG 4.1

Während eines Treffens gestern erfanden wir den Arbeitsgruppennamen: AG 4.1 – Zukunft Teves West. Wir versuchen ein Konzept für die Weiterexistenz des Geländes zu gestalten. Dabei wollen wir das, was wir in den vergangenen Jahrzehnten gemacht haben, zusammentragen und als Fundament für eine Weiterentwicklung nutzen. In diesem Zusammenhang suchte ich in meinen Tagebüchern nach den Anfängen der Arbeit hier.

Mit den Umrissen der ersten Malerei vom 7.4., fand die Arbeit an der Tabosequenz auf Rolle 11 ihren Fortgang. Die Struktur öffnet sich von einer sehr hohen Dichte zu lockere Balkenkonstruktionen, die an die Linien erinnern, die ich im Spitital in mein Skizzenbuch aufnahm. Manchmal schaue ich sie mir wieder an, um mich nicht zu schnell davon zu entfernen.

Heute gibt es weder auf Rolle 11, noch in den Buchmalereien figurenähnliche Umrisse. Dafür spielen die zerfransten Formen der Lavasteine eine umso wichtigere Rolle. Sie kontrastieren die geraden Linien, die eine strenge Ordnung vorgeben. Die spannendsten Anblicke bieten die Überschneidungen der sehr verschiedenen Gestaltungsweisen.

Didaktik I Traum I Tierheim

Der Müttermantel ist eine Arbeit, von deren Umfang und körperlicher Anforderung ich eingeschüchtert werde. Manchmal glaube ich dass es für mich nicht mehr zu schaffen ist. Der knochentrockene Pappelstamm bietet einen überraschend großen Widerstand. Er befindet sich im überdachten Durchgang aus dem Gelände hinaus, der von relativ vielen Menschen benutzt wird. Gestern, als ich dort mit der Arbeit beginnen wollte, stand da eine Frau mit ihren zwei Töchtern und besichtigte diesen Arbeitsplatz, den Anfang der Aushöhlung mit den herumliegenden Spänen. Sie konnten nicht wissen, welcher Gegenstand dort entsteht. Aber ich erzählte es ihnen – wieder Didaktik!

Nach einem Lebensmitteleinkauf am Morgen, fiel ich gleich tief in die Buchmalerei, wie in einen Traum. Die Beziehungen, die ich zwischen den Lavasteinen, meinen Handabdrücken und den Tabolinien herstelle, sind die Grundlage für Szenen, die sich daraus entwickeln. Es entstehen Wesen, die aus einer Architektur zu wachsen scheinen, welche durch Linienstrukturen entstand. Verdoppelte Figuren treten in unterschiedlichen Konstellationen auf.

Das lässt mich an die Performance denken, zu der ich vor ein paar Tagen eingeladen worden bin. Sehr stilisierte und verfremdet animierte Figuren wurden von Hunden durchsprungen. Die Form der Arbeit hatte viel mit meinen Gestaltungsweisen zutun gehabt, war mir nahe. Ein realistischer Aufführungsort für den Text wäre der Käfig eines Tierheims.

Zutun

Während meines Gangs über die Wiese oder den Grünstreifen der Frankenallee habe ich zutun. Auf der Wiese entferne ich die Brombeeren, auf der Allee sammle ich den Müll in die Papierkörbe, von denen es viele gibt. Dann blicke ich zufrieden zurück. Es ist ein ähnlicher Blick, den ich auf die vielen Tagebücher mit den sich ändernden Malereien oder auf die Transparentpapierrollen mit meinen Zeichnungen werfe.

Die Schwünge der Haarlocken sind aus den Buchmalereien verschwunden. Harte Linienbündel werden von Umrissen im Zaum gehalten. Das Material eignet sich wenig, um es auf Rolle 11 weiter zu verwenden, aber es entspricht meiner Stimmung. Am Morgen hatte ich keine Lust auf meine Arbeit, was sehr selten vorkommt. Immer mal bastele ich an den Dreiecksgitterobjekten herum, nicht sehr ernsthaft, eher vergnüglich herumprobierend. Die Pappe aus der ich das Pappmaché herstelle, eignet sich auch gut zum Kaschieren von Flächen.

Am Wochenende nutzen die Krähen die bewegungslosen Kräne als Aussichtstürme. Dort sitzen sie beieinander, suchen Beute und blicken auf mich herab, schauen zu, wie ich beginne die Pflanztöpfe hinaus zu stellen, deren Anzahl mir über den Kopf wächst. Gern wäre ich mit einer von ihnen befreundet.

Verschwistert

Wenn ich während der Goldbergvariationen hinaus ins Gärtchen gehe, so weiß ich wenn ich zurückkomme, wie viel Klavierspiel in meiner Abwesenheit vergangen ist. Eine Maßeinheit, die sich zwischen meiner Arbeit entwickelt hat. Auch ohne mein Hören war die Musik da, wie die Bilder mit denen sie eine Verbindung eingegangen ist.

Eine Entdeckung machte ich während der Buchmalereien am Morgen. Ich sah, während ich mit den Tabolinien und Handballenabdrücken umging, dass die Struktur meiner Hautfalten eine Ähnlichkeit mit den Linien aufweisen, die vor 1000 Jahren in den Durchgang zum Versammlungsraum gezeichnet worden sind. Dass diese Linienähnlichkeit schon in mir wohnte, sieht man an den heutigen Malereien.

Auf Rolle 11 fügte ich den Umriss der dritten Malerei von gestern ein und begann ihn mit dem Geflecht anzufüllen, das vorausgegangen ist. Die Rolle steht nun auf dem Arbeitstisch und wird von hinten durchleuchtet, daneben liegen die Dreieckskonstruktionen. Diese Elemente klingen zusammen, als seien sie auseinander hervorgegangen oder verschwistert.

Verbindung

Am Morgen dachte ich darüber nach, wie ich nun mit der Tabosequenz auf Rolle 11 fortfahre. Mit der Beendigung der Verdichtung des Liniengeflechts, steht ein neuer Schritt an. Da das vorausgegangene Material ausschließlich aus den Stapeln der verschobenen und gespiegelten Tabolinien besteht, erscheint es mir jetzt sinnvoll, eine Verbindung zu meinem Zeichnungsduktus herzustellen.

Weil ich das am Morgen schon im Kopf hatte, als ich mit den Buchmalereien begann, dachte ich die ganze Zeit an diese Form ihrer Weiterverwendung. Das hat die Zeichnungsstruktur natürlich beeinflusst. Dadurch sind die Malereien weniger eigenständig geworden.

Möglichkeiten der Weiterarbeit an den alten Dreiecksgitterskulpturen probierte ich vor zwei Tagen. Verschiedene Papierqualitäten verwendete ich für Kaschuren, mit denen ich die Holzstäbe und die Dreiecke, die sie bilden, überspannte. Das erfordert noch einige Übung. Aber ein Farbauftrag stabilisiert die Flächen und zieht die Konstruktionen optisch zusammen.

Linie, Takt, Blick, Licht

In der Tabosequenz auf Rolle 11 schloss ich die zweite Verdichtungsphase ab. Sie fand innerhalb einer Zeitspiegelung statt, die mir jetzt ganz natürlich vorkommt, denn alles Schauen geschieht über den Zeitspiegel. Wenn wir die Sonne anschauen, sehen wir 8 Minuten in der Zeit zurück… Somit befinden sich alle Dinge, so wie ich sie jetzt sehe, in der Vergangenheit.

Auch zwischen den Elementen der Buchmalereien spielen sich diese schnellen Zeitspiegelungseffekte ab. Ihre hohe Frequenz erzeugt sichtbares Licht verschiedener Farben. Verlangsamt sie sich, entsteht ein hörbarer Ton. In den Collagen entstehen die Zeiträume durch Schichtungen, die wie Sedimente die Bedingungen konservieren, in denen sie entstanden sind. Vor einem Jahr waren sie von mehr Figuren durchsetzt. Heute dominieren die Strukturen, zwischen deren Gegensätzen sich die Spannung aufbaut.

Vorgestern besuchten wir einen Tanzabend der Frankfurt Dresden Dance Company, die von einem ehemaligen Forsythetänzer geleitet wird. Vom epochalen Stil des Meisters ist nicht viel geblieben. In all dem narrativen Gewimmel fehlen mir klare, konstruktive Elemente, die ein Gerüst bilden, in dem man sich orientieren kann: Linie, Takt, Blick, Licht.

Aufräumen I Kaschieren I Formen

Am Eingang des Tevesgeländes lassen die Kunden der Schnellrestaurants ihren Verpackungsmüll mit Speiseresten und benutzten Servietten regelmäßig aus ihren Autos fallen. Und ein liebevoll, mit verschiedenen Schablonen gestaltetes Plakat wurde zur Hälfte vom Pfeiler der Eisenbahnbrücke abgerissen. Ich habe diese fehlende Hälfte gefunden und wieder an ihre Stelle tapeziert. Auch den fallen gelassenen Müll räumte ich weg. Eigentlich ist das eine deprimierend erniedrigende Tätigkeit. Bei mir aber löst sie Zufriedenheit aus, die sich mit einem Überlegenheitsgefühl paart und mir einen Wohlfühlvormittag beschert.

Von dem Leimwasser mit dem ich das Bild wieder an seinen Platz klebte, ist noch einiges übrig, was mich auf den Gedanken bringt, die alten Dreiecksgitterskulpturen, die ich von den Regalen heruntergeholt habe, mit Papierstücken zu kaschieren. So entstehen zwischen den offenen Dreiecken geschlossene Flächen, die bemalt werden können. Einerseits ist das die Fortführung der Tabolinien-Sequenz. Andererseits werden dadurch auch die Buchmalereien mit einer dritten Dimension erweitert.

Auf einem meiner Heizkörper steht eine Schüssel mit klumpiger Pappmachemasse zum Trocknen. Auch daraus lassen sich in weichem Zustand skulpturale Gegenstände formen, die die Tabokonstruktionen bereichern könnten.

Dreidimensionalität

Konstruktives Geplänkel wird in den Buchmalereien von Wischwolken aufgelöst. Das wiederholt sich gleich mehrmals an derselben Stelle. Zuvor sicherte ich aber die Konstruktion per Abdruck an eine andere Stelle der drei heutigen Formate mit meinem feuchten Handballen. Dort arbeitete ich mit den Linien weiter, änderte Farben und Längen… und versuchte nicht daran zu denken, dass ich das Material in den Collagen wieder aufnehme. Dort spielt die Verdichtung von Rolle 11 eine zunehmende Rolle.

Von den hohen Regalen angelte ich ein paar alte Dreiecksgitterkonstruktionen herunter, um am ihnen weiter zu arbeiten. Das ergänzt die Beschäftigung mit den Tabolinien, die ich auf diese Weise in eine Dreidimensionalität bringen kann. Meine Hoffnung ist, dass dies die kontinuierliche Tuschelinien-Verdichtung auf dem Transparentpapier verändert oder zumindest einen Einfluss nimmt.

Mit einem großen Hohleisen arbeitete ich mich weiter in die Höhlung des Pappelstammes, in den „Müttermantel“ hinein. Meine Schleifmaschine für die Holzwerkzeuge funktioniert nicht mehr so richtig. Deshalb bat ich Roland, den Holzbildhauer, um einen seiner Schleifböcke.

Rückrollen der Spiegelung

Den „Klarnamen“ meines IM „Lutz Lange“ kann ich bei der Stasiunterlagenbehörde bestätigen lassen. Die Stasi-DADA Arbeit rückt mir näher, als mir lieb ist. Dadurch verbindet sie sich mit der „Tabosequenz“. Das kann ich kaum verhindern, wenn ich das, was mich beschäftigt direkt in meine Arbeit einfließen lassen will. Die Schreibmaschinenprotokolle der Tonbandberichte des IM sind dem Text meines Interviewausschnittes in der Publikation des Humboldt Forums sprachlich-strukturell ähnlich. Während der Entwicklung meines „Geheimalphabets“ aus den Typoskripten, traten Linienstrukturen auf, die denen aus Tabo ähnelten. All das spielt zusammen, wenn es um meine Spiegelungen der Zeit geht.

Die offensichtlich schamanistischen Zeichen, die im Durchgang vom Vorraum in den Versammlungssaal des Klosterns Tabo sichtbar sind, spielen in dem Buch von Peter van Ham über die Anlage, keine Rolle. Der Durchgang mit seinen vorgelagerten plastischen Figuren aber schon.

Gestern fuhr ich mit den Verdichtungen auf Rolle 11 fort. Es tritt eine Intensität zutage, die auf eine neue Qualität zuläuft. Vor ein paar Tagen hatte ich den Mut schon sinken lassen und wollte diese Arbeitsphase beenden. Jetzt bin ich froh, dass ich das Rückrollen der Spiegelung fortführe. Bevor ich mich entscheide, wieder andere Elemente von außen hinzu zu nehmen, werde ich das noch weiterführen und schauen, was passiert.

Trennung der Schichten

Über Stasi DADA hinaus denken, heißt zunächst zwei Schritte zurücktreten, um die Schichten klar zu trennen, die sich derzeit stapeln. Wenn ich meinen IM und Mentor in der Öffentlichkeit mit seinem Namen nenne, sollte ich ihn offiziell als ehemaligen Mitarbeiter der Stasi bestätigt bekommen haben. Der Gedanke, erst dann mit dieser Arbeit fertig zu sein, drängt sich auf. Dazu kommt die Schicht der Kraftfeldfragmente, die die Form der Vergoldungsfelder auf dem Porzellanrelief im Humboldt Forum angenommen haben und Tonbandprotokollfragmente aufweisen.

Was wäre aber, wenn ich diesen ganzen Komplex mit dem Versuch der Zeitspiegelung in der Tabosequenz verbinde. Die Rückschau und Konstruktion der Vergangenheit während des Zurückwanderns in die Zeit, kann die unterschiedlichsten Erinnerungssplitter zusammenfügen. Die Erkundung des Weges 50 Jahre zurück, kann mir den Blick 1000 Jahre in die Vergangenheit begleiten oder erst konkreter werden lassen. Diese Parallelität kann ich mir innerhalb des künstlerischen Prozesses leisten.

Nicht zu vernachlässigen sind die Buchmalereien in diesem Zusammenhang. Flüchtig gewischte und geprägte Farbmuster mischen sich derzeit mit konstruktiven Elementen, die auch an die abstrakten Tabolinien erinnern. Sie kommen in den Collagen als ausgeschnittene Formen besonders zur Geltung.

Stasi DADA , kein Ende

Wir sahen zwei Stücke im Schauspiel Frankfurt, „Die Ehre der Katharina Blum“ und „Don Carlos“. Letzteres war ein sehr gelungener Abend auf der großen Hauptbühne mit einem großartigen Ensemble. Sara Grunert, die eine der Hauptrollen spielte, erkenne ich oft wegen ihrer Wandlungsfähigkeit nicht gleich. Gestern hatte ich das Gefühl, dass sie ihren Laserblick minutenlang, an der Seitenbühne sitzend, auf meine Augen gerichtet hatte. Wie machen das die Leute nur!

Die Gelassenheit der Glockengießer, die ich vorgestern erleben durfte, will ich mir zum Vorbild für meinen Alttag nehmen. Das probierte ich am Morgen beim Frühstück machen und versuche es auch jetzt während der Arbeit.

Die Tatsache, dass der Zusammenhang meiner Arbeit über die Stasitätigkeit meines Mentors und IM mit dem Wandrelief aus Porzellan im Humboldt Forum nicht explizit hervorgehoben wird, sein Name nicht genannt wird, ist Anlass neuer Überlegungen meinerseits. Die Frage des Umgangs mit dem Unrecht der SED-Diktatur in der Ausstellung zum Palast der Republik, an der ich dort teilnehme, möchte ich noch einmal genauer beleuchten. Gegebenenfalls ist die Beschäftigung mit diesem Thema doch noch nicht vorüber.

Glockenguss

Seit dem Jahr 1590 ist die Werkstatt, in der wir gestern einem Glockenguss beiwohnten, im Besitz der Familie Rincker. In einem Arbeitsgang wurden 3 Glocken gleichzeitig aus einer Charge Bronze gegossen. Um die Todesstunde Christi finden freitags seit 500 Jahren dieselben Arbeitsgänge in einer festgelegten Choreografie statt. Eine halbe Stunde vor dem Guss wurden die Zinnbarren von den Männern in einer fließenden Kreisformation mit den Händen in den Schmelzkessel geworfen, der mit einer ungeheuer lauten Flamme beheizt wurde. Es herrschte heiliger, unaufgeregter und routinierter Ernst.

Dann wurde das dünnflüssige Metall in die Kanäle, die zu den drei Formen führten, gegossen und einen Moment aufgestaut. Erst als die Schlacke obenauf schwamm, wurde eine um die andere Barriere entfernt, um eine Form nach der anderen aufzufüllen. Die Entlüftungskanäle spieen grün brennendes, fauchendes Gas. In der staubigen Werkstatt verlor die große Hitze ihren Maßstab.

Der Besitzer, der gleichzeitig die Arbeitsgänge taktete, erzählte emotional, was gerade passierte, welche Zeichen die guten Zeichen sind, das der Guss gelungen ist. Eine Woche lang müssen die Glocken nun abkühlen und werden dann langsam ausgegraben. Danach werden sie aufeinander abgestimmt. Eine schon fertige hing am Kran und wurde erstmalig angeschlagen. Später brachte ich sie mit meinem Knöchel zu leisem singen, ein ziemlich innerlicher Vorgang. Zwei Tropfen des Metalls, die daneben gespritzt waren, schenkte uns Herr Rincker zum Andenken – ein Herz und einen Pottwal.

Müttermantel I Teves I Glocke

Zugunsten einer ernsthafteren Weiterarbeit am Pappelstamm, der der „Müttermantel“ werden soll, blieb Rolle 11 gestern unberührt. Aber ich kann mit dem schweren Holzklüpfel und dem großen Hohleisen nicht gleich mehrere Stunden am Stück arbeiten, sondern mich langsam wieder daran gewöhnen, wie damals, als ich den Einbaum für den „Handprint Frankfurt“ gemacht habe. Es ist ein langer Weg.

Auf Einladung von Klaus Sudhof traf sich gestern die Tevesrunde. Wir beschlossen eine Arbeitsgruppe einzuberufen, die ein Konzept für die Weiterarbeit auf dem Gelände über das Jahr 2030 hinaus erstellen soll. Ich habe schon viele Jahre immer mal wieder darüber nachgedacht und glaube, dass eine Art von Zusammenarbeit zwischen den Akteuren dem Klima hier gut tun würde.

Die Buchmalereien entstanden heute unter etwas Zeitdruck, denn wir sind in den Ort Sinn zu einem Glockenguss eingeladen und machen uns gleich auf die Reise dorthin. Für die evangelische Kirche in Dillenburg ist dafür eine Form in die Erde versenkt worden, die nun mit flüssiger Bronze gefüllt werden soll.

Ausbruch

Auf der Transparentpapierrolle Nummer 11 befinde ich mich auf dem Weg, hin zum Ende einer Sackgasse. Die Frage ist, ob ich vorher wende, oder bis zu dem Punkt vordringe, an dem es nicht weitergeht…

In dem Moment, in dem die durchsichtigen, geklappten Wände in den Buchmalereien auftauchen, beginnen wieder die Bühnenerzählungen. Ausstattungsteile, Requisiten und Effektmaschinen kommen zum Einsatz. Längliche Pinselspuren werden zu Figuren, deren Umrisse die Charaktere beschreiben. Ausgefranste Konturen entstehen durch die Gravitationsschwünge, die die Protagonisten aufbrechen oder einschnüren. Manchmal ordnet sich das Chaos durch Unschärfen oder Verwischungen. Der nasse Handballen klärt die Situation auf der Tagebuchseite, indem er Abstand schafft zu den scharfen, verworrenen Linien und Abdrücken.

Das sind die Mittel, mit denen ich der herannahenden Singularität, im Wirbel der Rolle 11, entrinnen kann. Nach der quälenden Langsamkeit, die durch die steigende Geschwindigkeit der Linienverdichtung hervorgerufen wird, nach diesem Stillstand kommt der Ausbruch, die finale Begegnung mit den alten Malern.

Singularität

Im Korbstuhl, der umgeben vom Gartenregal, mit der Lehne an einem der Atelierrolltore in der Sonne steht, schaue ich meiner entstehenden Schrift zu, blicke auf die Spitze der Feder. Manchmal stockt der Tintenfluss oder das Papier der Tagebuchseite wölbt sich, was zu Unregelmäßigkeiten führt. Aber meine Hand ist auch nicht mehr so sicher und geschmeidig.

Das ist auch auf Rolle 11 sichtbar, wo ich die Tuschlinien stetig verdichte und mit den durchscheinenden Gesträuchen die reservierten, hellen Flächen umschließe. Im rückwärts rollenden Durchzeichnen ergibt sich noch einmal eine Verdunklung. Durch die dreifache Wendung des Materials ( Spiegelung, Wiederholung und Rückwärtsrollen ), gerät der Zeitstreifen in Verzerrungen und schließlich in einen Stillstand. Diese Schwärze nenne ich jetzt: meine Singularität. Nur durch Impulse von außen komme ich da wieder heraus. Die ist der Ort, an dem die Buchmalereien mit ihren Umrissen wieder ins Spiel kommen.

Die Vietnamesin aus der Spülküche steht mit einer Kaffeetasse auf der Restaurantterrasse und raucht. Ihr Kopf dreht sich langsam der Baustelle zu, wo sich die Kräne drehen und die Bauarbeiter sich zurufen – wie von einem Berg zum anderen. Aus irgendwelchen Lautsprechern erklingen manchmal Balkanschlager. Lautstark wachsen zunächst die Gerüste in den Himmel und dann die Betonwände.

Detektieren

Ein Besuch bei Franz im Atelier am gestrigen Nachmittag. Mir scheint, dass er in einen sehr weiten Raum ruft und auf ein Echo wartet. Aber man braucht eine entsprechende Sensortechnik, um nach längerer Zeit dieses Flüstern zu detektieren. Und am Morgen dachte ich, dass die Leerstellen von unfertigen Bildern die Membran dafür besitzen. Dort kann das, was zurückgeworfen wurde aufscheinen, fragmentiert, verbogen und vervielfältigt.

Auf Rolle 11 gibt es diese Vorgänge. Dort übertrage ich die Lücken, die zwischen den Verdichtungen entstehen und spiegele sie. Dort drinnen erscheinen dann die Schichten der tieferen Zeit, die durch die Spirale des zusammengrollten Transparentpapiers einer Gravitation unterworfen sind, die sie komprimieren. Auch die Schichten von Müll, die ich auf der Zufahrtsstraße auf das Tevesgelände sammle erzählen mir Geschichten: Stahlband von Palettenladungen, Lachgummitüten mit „Nutriscore“, Tampons, Bäckertüten und immer wieder weggeworfene Servietten.

Weil ich die Tagebucharbeit am Vormittag beenden möchte, aber beim Zahnarzt und im Supermarkt war, mussten die Buchmalereien heute schnell gehen. Und in Waltershausen muss wohl erst was richtig Gravierendes passieren, bevor die Leute aufwachen.

Gewalt, Lautstärke und Abfall

In meiner ehemaligen Heimatstadt Waltershausen intensiviert sich die Gewalt der Faschisten, die sich gegen die Mitglieder eines Bündnisses richtet, das sich gegen Rechts gebildet hat. Wenn sie sich einschüchtern lassen, haben die Gewalttäter die Oberhand. Das sollte nicht passieren!

Auf meinem Weg ins Atelier sammele ich, besonders auf dem Grünstreifen der Frankenallee, aber auch auf der Zufahrt zum Tevesgelände, wieder Müll ein. Es geht mir besser damit, nicht dauernd mit den Folgen solchen Verhaltens konfrontiert zu sein, sie aus dem Blickfeld zu räumen. Gewalt, Lautstärke und Abfall scheinen in der Öffentlichkeit zuzunehmen.

Rolle 11 liegt wieder auf dem Zeichentisch. Dort werde ich versuchen, mich weiter in die Vergangenheit vorzutasten. Bin gespannt, was mir auf diesem Weg in den Spiegel begegnet. Alte Einträge in das Arbeitstagebuch fand ich unter GRAB=BLICKSPIEGEL. Dort klingt das Thema schon an. Noch sehe ich davon ab, die Buchmalereien wieder in diesen Prozess einzubinden, obwohl der Wunsch danach größer wird.

Gewimmel

Zwischen den Resten der Holzstapel, die von den Dachtrümmern, die der Sturm durch den Himmel hob, umgeworfen worden sind, entdecke ich Fäden der Pilzgeflechte, die sich im Lauf der Jahre bildeten. Die Schichten aus Laub, Erde und Holzkohle sind der Lebensraum vieler Asseln, Würmer und Insekten. Das Gewimmel freut mich!

Auf dem Weg ins Atelier sammelte ich heute Müll auf und warf ihn in die Papierkörbe, die überall dafür bereit stehen. So bekommt der Grünstreifen der Frankenallee einen anderen Charakter. Man wird nicht andauernd an das asoziale Verhalten der Fastfood – Konsumenten erinnert, die eine Papierserviette nach der anderen vor sich auf den Boden fallen lassen. Zwar bin ich ihren höhnischen Blicken ausgesetzt, Trage so ein Gutmenschenbild vor mir her, bekomme aber auch anerkennendes Lächeln dafür.

Die Malereien fanden heute mit gedämpftem Temperament statt. Ganz langsam überlegte ich, was ich ausprobieren könnte. Spiegelungen die zwischen den anderen Alltäglichkeiten stattfinden, interessieren mich gerade besonders. Auf Rolle 11 machte ich die Spiegelung der Zeit zum Hauptgedanken der Tabosequenz. Dieses Vorgehen folgt der unbefangenen Bemerkung des Rinpoche über mein voriges Leben als Künstler in Tabo.

Spiegelungen

Auf Rolle 10 sollte es möglich sein, die Spiegelung der Zeit zu simulieren. Wenn Teile der Tabosequenz spiegelverkehrt wiederholt werden, setzen sich auf diese Weise die Muster fort, indem sie in die Vergangenheit eintauchen, aber dennoch nach vorne weiter gezeichnet werden. Es ist nur im praktischen Experiment erfahrbar, wie sich auch die Unschärfen dieses Vorgangs auswirken.

Solche entstanden auch heute innerhalb der Buchmalereien, indem ich Steinabdrücke direkt auf Papier solchen gegenüberstellte, die ich erst auf meinen Handballen und dann auf die Buchseite druckte. Es ist der Beginn der, die Zeit spiegelnden, Arbeit. Die Farben haben dabei bislang nur die Aufgabe, die Strukturschichten auseinander zu halten. Der Klang, der entsteht, ist zufällig und unbewusst.

Mit den Schülern will ich heute Masken ausformen und Frottagen mit Formen des Väterprojektes machen. Gestern kaufte ich Material ein und es ist nun genug Transparentpapier für ein ganzes Jahr vorhanden. Unsere Straßenreinigungsaktion habe ich fortgeführt. Die Zufahrt zum Gelände macht jetzt einen freundlichen und einladenden Eindruck.

Parallelen

Stoisch zeichne ich Umdrehung für Umdrehung auf Rolle 11. Die Umrisslinien der Lücken übertrug ich auf einen Extrastreifen Transparentpapier. So versuche ich einem Umschlag in eine andere Qualität zu finden. Die transparenten Schichtungen, die aus der Spiralbewegung der Rolle entstehen, verweisen auf einen architektonischen Raum, der durch die Übereinanderschichtung der Umrisse entsteht.

An der Außenhaut einer solchen Skulptur bilden sich neue Zeichnungen ab, die von den Linien geformt werden, die den Rand der Umrisse berühren. Diese lassen sich wieder auf die Transparentpapierrolle zeichnen und überlagern, wodurch dann, mit den neuen Umrissen, der Raum dieser neuen Dimension entsteht.

Am Nachmittag wollen wir ein Fotobuch über Tabo von der Bibliothek abholen, das Peter van Ham gemacht hat. Dadurch erhoffe ich mir eine Vertiefung der Arbeit an der Tabosequenz. Parallelen ergeben sich aus dem Zusammenspiel der abstrakten Linien der Tuschezeichnungen auf Rolle 11 und den Buchmalereien in den Collagen bei mir und den kleinen gemalten „Buchmalereiszenen“ an den Innenwänden des himalayischen Klosters und dem Strichmuster im Durchgang zum Hauptraum.

Tabosequenz

Der Zusammenhang zwischen Echo, Spiegelbild und Erinnerung hält die Dynamik des kontinuierlichen Durchzeichnens auf Rolle 11 aufrecht. Die Strukturen überlagern sich bis zur Unkenntlichkeit. Zwischen den Verdichtungen befinden sich helle durchscheinende Felder, die von keinen Gesträuchen angefüllt, ganz leer blieben. Bevor sie nun auch versinken, will ich sie auf einem Extrastreifen aufheben. Das ist Material, das sich für eine Projektion in die Zukunft, also ein paar Meter weiter hinten auf der Rolle, eignen würde.

Bei all diesen Varianten, die „Tabosequenz“ voranzutreiben, hadere ich mit der Beschränkung der Mittel. Die Strenge, die sie in der Kontinuität ihrer Einhaltung fordert, ist so anstrengend, wie eine lang anhaltende Meditation sein kann. Die Einbeziehung der Buchmalereien oder die Verwischungen, wie sie mit Schellack entstehen können, sind Arbeitsweisen, die noch nicht hinzukommen, vielleicht auch ganz außen vor bleiben werden.

Von den vorausgegangenen Themen, die Auf Rolle 10 in Berlin lagern, und demnächst im Humboldt Forum ausgestellt werden, habe ich mich gründlich entfernt. Mein Abstand dazu wird sich darin zeigen, wie fremd mir das Material bei der Eröffnung am 16.5. sein wird.

Zustände I Energien

Die Vorgänge auf Rolle 11 sind eher mit physikalischen Fragestellungen verwandt. Es geht um die Wellenlängen verschiedener Materien, deren Überlagerungen und gegenseitige Beeinflussung. Neue Fragen entstehen durch die Muster, die sich ergeben. Zustände bestimmen die verschiedenen Richtungen, in die sich die Wahrnehmung anderer Wellen ausrichtet.

In den Malereien werden verschiedene Farben durch unterschiedliche Materialien sichtbar. Wasser und gebundene Pigmente werden von Steinen, Stiften und Haarlocken gelenkt. Neben diesen Bindungs- und Abstoßungsenergien, gibt es aber noch die Aggregatzustände des Geistes. Ein instabiler Film hält alles zusammen oder lässt es in großer Fluidität gelöst schweben. Ein Hin und Her zwischen verschiedenen Stabilitäten.

Eine trockene Struktur auf der linken Seite der zweiten Malerei bildet einen Zustand ab, der nur eine Millisekunde zwischen flüssig und fest andauert. Entsprechend schütter sind die Zusammenhänge. Linien zerfallen in Punktreihen, und eine kleine Verwischung verschiebt den Charakter in eine noch größere Flüchtigkeit.

Das Zählen der Zeitabschnitte

Sonnabend – das Zählen der Zeitabschnitte: 9 Umdrehungen der Flächenmotive auf Rolle 11, am 55. Arbeitstag des Jahres. Nun setzt das Rückrollen ein, das Echo, das in die Vergangenheit zurückgeworfen wird, wo sich die Bewegung wieder umdreht, bis sich die neuen hellen Flächen schließen und in den Zwischenräumen die neuen Welten entstehen.

Die ersten Mauereidechsen lassen sich sehen. Wildbienen suchen in den Löchern, die Rateb in die Baumstämme gebohrt hat, Unterschlupf für ihre Gelege. Auf der Wiese sprießen die Pionierpflanzen und ihre Gäste. Darüber kreisen Bussarde und starten nach dem Flughafenstreik wieder Maschinen. Darunter lärmt ein Hubschrauber und die Baustelle ruht.

Es wäre ganz schön, gäbe es einen Künstlerstammtisch von den YOU&EYE Teilnehmern. Das Synergiepotential ist sicherlich groß. Unsere Treffen im Anna-Freud-Institut inspirieren und erfrischen mich immer.

Erfolgserlebnis

„“Als Gruppe,“ sagte ich gestern meinen Schülern, „haben wir auf dem Tevesgelände einen schlechten Ruf.“ Der Grund dafür ist das viele zerschlagene Glas auf der Zufahrtsstraße, das einer von ihnen vor einer Woche dort zerdeppert hat. Die Auszubildenden der Nachbarwerkstatt haben die Scherben zusammengefegt und entsorgt. Dann fragte ich, wie wir unseren Ruf verbessern könnten. „Wir hätten das selber aufräumen müssen.“, meinte der Verursacher. Also schnappten wir uns Besen, Schaufeln und Abfallsäcke, gingen zum Eingang und begannen den Müll, der sich seit Jahren dort auf der etwa 70 Meter langen Straße angesammelt hatte, zu beseitigen. Als wir die Säcke nach einer Dreiviertelstunde in einen Restmüllcontainer geworfen hatten, kam zufällig und sehr passend die Müllabfuhr, um genau diesen Container zu leeren. Wir bedankten uns im Chor – ein Erfolgserlebnis!

Die Schüler haben mich gestern munter gemacht, nachdem ich in den letzten Wochen der kontinuierlichen und etwas eintönigen Kunstanstrengung, etwas müde geworden war.

Auf Rolle 11 werde ich nun noch 2 Umdrehungen mit dem kleinen Rollendurchmesser vorwärts zeichnen. Dann habe ich 9 Wiederholungen der kleinen schwebenden hellen Flächen. Die Tabolinien hatte ich auch neunmal wiederholt und somit das Ausgangsmaterial für die vielen Überlagerungen und die Verdunklung geschaffen.

3 Songs

Auf Rolle 11 entsteht der rituelle Rapport der Inseln aus dem schwarzen Tuschemeer. Seine brachialen Brecher geben das Licht am Saum seiner Brandung frei. Und aus dem Schaum treten die strahlenden Partikel, die sich neu zusammenballen werden, bis auch ihre Gravitation ein Licht schluckendes Monster auf die Fläche presst.

Bis dahin bleiben aber am Wegesrand Erscheinungen oder deren Erinnerungen stehen. Aktuell sind das kleine Konstruktionen, die sich auf dem Transparentpapierstreifen notorisch wiederholen. Der gleichmäßige Rapport kann nur durch ein rückwärts rollendes Durchzeichnen unterbrochen werden.

Der lichteren Phase auf der Rolle folgt auch die Aufhellung der Collagen. Am 9. November 2022 begannen sie in die Finsternis zu kippen. Deutlich ist, dass die Strukturen der Buchmalereien vorher eine größere Rolle spielten. Die von heute sind wieder in einem Zug, ohne viel Nachdenken entstanden. Keine Komposition aus 3 Sätzen – eher 3 ähnliche Songs.

Lichtflächen

Meistens fallen mir die Malereien leichter als heute. Ich hatte Ruhe und Mühe und wollte mehr. Ob das nun gelungen ist, kann ich erst später beurteilen. Der Vorgang ist im Moment noch präsent und wichtiger als das Ergebnis. Das kehrt sich erst später um.

Nach mehrfachem Hin- und Herrollen, während des Durchzeichnens auf Rolle 11, ist die Arbeit an einem kritischen Punkt angelangt. Das leuchtende Material, das für die Ergründung dessen, was die Tabolinien mit mir zutun haben, also für die Weiterarbeit wichtig ist, nimmt an Masse ab. Die Dunkelheit der Tusche beginnt zu dominieren. Der Moment des Umschlags, der darin besteht, dass die Schwärze zurück bleibt, kommt näher. Aus der verdichteten Masse treten dann die Lichtflächen heraus, die das Ausgangsmaterial für die neuen Formationen, die sich bilden werden, sind.

Ich bin gespannt, wann sich das neue Material wieder mit den Umrissen der Buchmalereien verbinden, überlagern und verflechten wird. Es wäre die Rückkehr zu der Arbeitsweise, die sich in den letzten Jahren etabliert hat. Handelnde Figuren bleiben bisher noch eingeschnürt, können das Geschehen innerhalb der gemalten Szenen nur beobachten und höchstens kommentieren.

Vermischungen, Überlagerungen

Wenn ich die eingefärbte, glatt geschnittene Fläche eines Lavasteins auf meinen Handballen drücke und den dann auf die Buchseite, dann vermischen sich die Konturen der Gasblasen und der Umriss des Steins mit meinen Handlinien. Um das aber gut zur Geltung zu bringen, bedarf es noch einiger Übung. Beide Strukturen können durch Zeichnungen verstärkt werden.

Die dunklen Flächen auf Rolle 11 setzen sich nun langsam zu einem Zug von kubistisch anmutenden Figuren zusammen. Sie aber sind es nicht, mit denen ich dann auf dem Streifen weiter arbeiten möchte. Vielleicht bildet ihre Abwesenheit, im weiteren Verlauf, leere Zwischenräume, die die Figuren umgeben, die aus den kleinen, transparent gebliebenen Flächen entstehen werden. Alles das geht auf die Tabolinien zurück, die vielleicht schamanistischen Ursprungs sind.

Am Bauzaun fragte ich einen Transportarbeiter, ob das Holz, das am Bauzaun neben den Abfallcontainern liegt, noch gebraucht wird. „Das brauchen wir.“, meinte er, fuhr dann aber mit seinem Gabelstapler los und holte mir andere 3 Balkenabschnitte, etwa 30 Zentimeter lang. Am Donnerstag können die Jungs beginnen, daraus Figuren zu schnitzen.

Formender Fluss

Häufig kommt ein Lavastein, dessen glatt geschnittene Fläche die Silhouette einer Figur aufweist, als Farbstempel bei den Buchmalereien zum Einsatz. Heute tauchte ich die Steine im Wasser, bevor ihren Schnittflächen mit Farben versehen wurden. Wenn ich zu den Malereien keinen Abstand halte, wie heute, werde ich von ihrer Gravitation in einen Raum gezogen, in dem sich die Ereignisse multiplizieren. Die Orientierung braucht dort viel Energie, und es ist nicht leicht, den Ausgang, den Schluss zu finden.

Auch die Arbeit an Rolle 11 sollte langsamer fließen. Die Verdichtung der Tuschekonstruktionen zu spitzwinkligen, schwarzen Flächen, möchte ich aufmerksamer und genussreicher entwickeln. Arbeitspausen, in denen die besinnungslose Produktion stockt, schaffen die Distanz dafür. Beim Blick auf die letzte Arbeitsphase entsteht der Gedanke, wie lange die Ausweitung der dunklen Flächen noch sinnvoll gesteigert werden kann, damit dann mit den Umrissen der transparenten Areale eine Entwicklung neuer Dinge möglich wird.

In den Malereien tauchten heute zwei Frauenfiguren auf. Sie stehen einem chaotischen Experimentalaufbau gegenüber, in dem Elemente so zusammengefügt werden sollen, dass sie mit ihrer Vielgestalt einen kompakt formenden Fluss bilden. Manchmal erscheinen weitere Wesen, die eine Verwandtschaft aufweisen, bleiben aber unkonturiert. Das kann sich beim Zuschneiden für die Collagen ändern ( siehe obere Abb.).

Eigenleben

Draußen auf der Baustelle lärmen die Rüster mit den Metallstangen und den klappernden Stegen, mit denen sie ein luftiges Gebäude in die Höhe wachsen lassen, das dann von einem Kubus aus Betonwaben ausgefüllt wird. Bienen schwärmen in der Weide, an deren Ästen sich die Kätzchen aufgeplustert in die Sonne räkeln.

Bei meinen Versuchen, tief in die Tuscheliniengeflechte zu schauen, scheue ich vor dem ganz langen Blick zurück, als würde ich darin etwas Erschreckendes entdecken können. Lieber zeichne ich blind weiter, bis alles eingedunkelt ist. Ich selbst stelle das tiefe Schwarz her, vor dem ich mich fürchte. Aber die Dichte bekommt ein Eigenleben, in dem sich etwas abzeichnet, was ich vorher nicht erreicht hatte.

Die Malereien richteten sich heute nach den Strömungen des Körpers aus. Es herrschen Schräglagen vor. Längliche Pinselflecken, Linien der Farbstifte und die Gravuren aus den rollend eingedrückten Windungen der Schraube aus Kaza in das Papier, neigen zu Diagonalen. Nur die Haare beharren auf ihrer Spannung. Sie geben die eigenen Bewegungen zu ihren Bögen vor, selbst wenn sie sich widerwillig gegen eine Last der durchtränkten Lavasteine sperren wollen und es nicht schaffen.

Besen

Die Leute werfen Dinge weg, die vermeintlich nicht mehr nutzbar sind. Aber sie haben vielleicht nur einen kleinen Schaden davon getragen, sind etwas abgenutzt, verbraucht, korrodiert oder nicht mehr schön genug. Oft genug kann ich meinem Wunsch, sie zu retten, nicht widerstehen. In dieser Weise haben sich bei mir zum Beispiel einige Besen angesammelt, unterschiedlicher Materialität, für das Haus oder die Straße. In einer Pause zwischen den Malereien, sammelte ich die Birkenreiser auf, die im Laufe des Winters trocken in das Gärtchen fallen. Ein Drahtknäuel, das ich auf dem Gehweg gefunden hatte, entwirrte ich und band sie zu einem Besen zusammen, den ich mit einem Stiel aus einer Ecke des Ateliers versah. Zum Laubfegen funktioniert er besser als die anderen.

Gestern waren die Schüler da, sieben Jungs aus der siebten Klasse. Wir arbeiteten am Müttermantel, höhlten also den Pappelstamm weiter aus, entfernten ein paar Hängepflanzen aus der Dachrinne in 4,50 m Höhe, hackten Holz auf einem Klotz, spielten Frisbee, bemalten Reliefs und wachsten Maskenformen ein, um sie am kommenden Donnerstag mit Pappmaché zu füllen.

Die erste Buchmalerei habe ich heute sehr bedacht angefertigt. Alle Elemente sind kalkuliert eingesetzt, keine Spontaneität, kaum Zufälle. Anders bei Nummer 2 und 3. Da ließ ich mich von den Bewegungen treiben, die von der Gravitation und ihrem Gegenteil ausgelöst werden.

Die Zeit pendelt

„Verschärfte Wettbewerbsbedingungen – Heidi Hoh“, das ist ein Hörspiel von René Pollesch. Ich hörte es gestern und fragte mich, wie ich diese kompositorische Kraft des Textes und der Regie für meine Arbeit umwandeln kann. Die unterschiedlichen Mittel krachen aufeinander, die banalen Sinnzusammenhänge werden in einer Weise verkettet, verflochten und rapportiert, dass sich der Raum dahinter öffnet.

Die erste Malerei von heute ist Farbe, Abdrücke vom Handballen und Lavagestein mit einer zitternden Pinselspur, die an den Umrissen der Abdrücke entlang krabbelt. Im Zentrum befindet sich ein etwas verwischtes Blau, das verdünnt und gestempelt in den anderen Formaten wieder erscheint.

Auf Rolle 11 pendelt die Zeit hin und her. Am 27.2. rückwärts, am 28.2. vorwärts, wodurch die Verdichtungen wachsen. Sie verstecken eher, was erscheinen kann: Konstruktionen, Figuren oder Inseln in einem schwarzen Tuschemeer, deren Formationen Geschichten beherbergen.

Pollesch

Auf dem Bildschirm meines Telefons erschien gestern die Nachricht, dass Renè Pollesch gestorben ist. Die Abende seiner Anfangszeit besuchten wir in Oggersheim, dann kam er zu uns nach Heidelberg, wo er im Studio arbeitete und dann sah man seine Inszenierungen der eigenen Texte bald an großen Häusern. Für mich war er immer einer von den Jungen. Umso trauriger, dass er so früh starb. Mir geht durch den Kopf, dass es für mich richtig war, das Theater zu verlassen. Mit meinen Bildern traue ich mir eher zu, eine gewisse Tiefe zu vermessen, denn ich habe kein Publikum, von dem ich abhängig bin. Ein Team aber, wäre manchmal gut.

Getrost konnte ich mich gestern der Verdichtung der Tabostrukturen widmen. Ihr Echo wurde mit einer größeren Wellenlänge zurückgeworfen. Durch die Überlagerungen der unterschiedlichen Rhythmen, in denen sich die Sequenzen rückwärts wiederholen, nimmt das Tempo der Verdunklung zu. Die Linien werden von Umdrehung zu Umdrehung dichter. Heute werfe ich dieses Material wieder nach vorn in die Richtung des vorgeblichen Zeitkontinuums, vom Verlauf der Rolle vorgegeben.

Mit den drei Morgenmalereien habe ich heute gekämpft. Sie dauerten lange und zeichnen sich nicht gerade durch Reduktion aus. Ab und zu muss ich durch ein solch barockes Gewusel durch, um mehr Klärung zu bekommen.

Disharmonie

9 Wiederholungen des „Taborapports“ reihte ich gestern auf dem Streifen der Rolle 11 an den vorausgegangenen Zug der Linien. Dann setzte ich mit dem rückrollenden Durchzeichnen das Echo in Gang, das sich pro Umdrehung der größeren Spiralbahn verstärkt. Aus der Beschleunigung der Rücküberlagerungen verdunkelt sich das vorausgegangene Geschehen. Belohnt von stets neuen Verdichtungsfigurationen, kann ich das Zeichnen nur schwer unterbrechen.

Das einzige Mädchen in meiner Schülergruppe, die an jedem Donnerstag mein Atelier belagern, wurde auf dem Weg hierher von zwei anderen Schülern rassistisch beleidigt. Deswegen, oder weil sie das einzige Mädchen war, bleibt sie nun fern und geht in das Projekt von Oliver. Die zwei Jungs wurden ausgeschlossen. Die Frage der Lehrerin, ob das für mich in Ordnung sei, kam mir rhetorisch vor. Schade, dass ich von diesem Vorgang nichts mitbekommen habe!

Wilde Buchmalereien am Morgen. Es ist, als seien sie aus dem Korsett der Wiederverwendung auf Rolle 11 befreit und tobten sich nun gedankenlos aus. Aber da gibt es ja noch die Collagen, und das Aufeinandertreffen von strengen Tabolinien mit den ausschweifend tänzerischen Bewegungen der Gravitationsschwünge, den ruppigen Handliniengesträuchen und der Wasserfarbenfluidenz, ist disharmonisch.

Rotation

Am Wochenende führte ich den Rapport der Tabostruktur weiter. Die 5 Wiederholungen reichen mir aber noch nicht. Für eine Verdichtung, die durch das zurückrollende Durchzeichnen entsteht, benötige ich mehr Linienmaterial. Mit den unterschiedlichen Rhythmen der Überlagerungen füllen sich Zwischenräume. So verdunkelt sich der Raum. Auf anderen Rollen führten solche Arbeitsgänge zur fast völligen Einschwärzung des Transparentpapiers. Aber das kann diesmal nicht das Ziel sein, denn es sollen Felder entstehen, die aus den Lücken zwischen der Tusche stehen bleiben. Diese sind die Bausteine für weitere Figurationen.

Die Gravitation, die sich aus der zeitlichen Entfernung und der Rotation der Zeichnungsvorgänge ergibt, formt meine Regungen, die wiederum die Erscheinungen des Materials beeinflussen. Die Buchmalereien entfernen sich von dem Pfad der in die Gestaltungen auf dem Transparentpapier führt. Sie stehen jetzt wieder für sich alleine. Die Umrisse greifen nicht in das Geschehen auf der Rolle ein.

Die Buchmalereien versuchte ich in den letzten Tagen zu verknappen. Das gelingt mir besser, wenn weniger Emotionen mit ihrer Herstellung verbunden sind. Gestern, am Sonntag ging das gut. Heute bewegte ich mich mehr.

Alter Text

Den Umriss der zweiten Malerei von gestern zeichnete ich, wie geplant, in das Gesträuch der Tabolinien. Diese Verflechtung erfüllte mich mit einer gewissen Euphorie. Auf irgendeine stärkere Reaktion habe ich bei der Begegnung meiner Zeichnungen mit denen der alten Maler gewartet.

Den Bereich der rückwärts laufenden Verdichtungen der Tabolinien übersprang ich dann, um hinter ihrer einfachen Wiedergabe, neu anzusetzen. Das geschieht mit der erneuten einfachen Fortführung der Überlagerungen der Linien, welche zu einem einfachen Rapport führen. Wenn der lang genug in Richtung meiner Handschrift ausgedehnt ist, beginnt die Verdichtung durch Zurückrollen. Durch weiteres Hin- und Herrollen, lassen sich immer neue Zusammenballungen erzeugen. Wenn das die Einschwärzung des Streifens beginnt, nehme ich die wenigen hellen Löcher und schaue, was sie in der Folge ergeben. Dann stellt sich heraus, wie nah ich an die Welt der alten Maler herankommen kann.

Beim Kramen gestern fand ich einen lange verschollenen Text von Susanne zum Kraftfeld, den sie vor vielen Jahren geschrieben hat. Ich erinnere mich daran, dass sie warm eingepackt im alten Holzlager vor dem aufgehängten Fries saß und schrieb. Sehr beeindruckend, wie hellsichtig sich das heute liest. Carola kam, um meine aktuelle Arbeit zu besichtigen. Nachdem wir zu dritt was essen waren gingen wir noch zu einem Wein in unsere Wohnung. Dort erzählte sie sehr beeindruckend von ihren Forschungen zu den Frauen des Ghettos in Lodz.