Alter Text

Den Umriss der zweiten Malerei von gestern zeichnete ich, wie geplant, in das Gesträuch der Tabolinien. Diese Verflechtung erfüllte mich mit einer gewissen Euphorie. Auf irgendeine stärkere Reaktion habe ich bei der Begegnung meiner Zeichnungen mit denen der alten Maler gewartet.

Den Bereich der rückwärts laufenden Verdichtungen der Tabolinien übersprang ich dann, um hinter ihrer einfachen Wiedergabe, neu anzusetzen. Das geschieht mit der erneuten einfachen Fortführung der Überlagerungen der Linien, welche zu einem einfachen Rapport führen. Wenn der lang genug in Richtung meiner Handschrift ausgedehnt ist, beginnt die Verdichtung durch Zurückrollen. Durch weiteres Hin- und Herrollen, lassen sich immer neue Zusammenballungen erzeugen. Wenn das die Einschwärzung des Streifens beginnt, nehme ich die wenigen hellen Löcher und schaue, was sie in der Folge ergeben. Dann stellt sich heraus, wie nah ich an die Welt der alten Maler herankommen kann.

Beim Kramen gestern fand ich einen lange verschollenen Text von Susanne zum Kraftfeld, den sie vor vielen Jahren geschrieben hat. Ich erinnere mich daran, dass sie warm eingepackt im alten Holzlager vor dem aufgehängten Fries saß und schrieb. Sehr beeindruckend, wie hellsichtig sich das heute liest. Carola kam, um meine aktuelle Arbeit zu besichtigen. Nachdem wir zu dritt was essen waren gingen wir noch zu einem Wein in unsere Wohnung. Dort erzählte sie sehr beeindruckend von ihren Forschungen zu den Frauen des Ghettos in Lodz.

Schwebend

Die Kräne auf der Baustelle nebenan, fahren im starken Wind rotierende Schalwände durch den Raum. Unten warten die behelmten Bauarbeiter. Die brüllenden Eisenflechter sind schon weiter gezogen.

Auf Rolle 11 wird sich als nächstes der Körper der überlagerten Buchmalereiumrisse in das Gesträuch der Tabolinien schieben. Ein Hirsch, Geweih voran, rennt ungebremst in die Sträucher am Waldsaum.

Wieder war ich während der Buchmalerei mit meinen Gedanken beim Transparentpapier. Die Bilder sind leichter und nicht so dicht wie sonst. Wenn sich beim Malen das Denken einmischt, sind die Formen schon gebändigt. Das Gefühl, aufhören zu müssen, kommt dann eher. Dadurch wir alles übersichtlicher. Die Sparsamkeit der Mittel führt zu größerer Konzentration. Die Formen wirken skulpturaler, schweben im Raum wie die Schalwände an den Seilen der Baukräne.

Unspektakuläres Aufeinandertreffen

Den Umriss der 2. Malerei von gestern nutzte ich auf der Transparentpapierrolle für das Aufeinandertreffen der geraden Linien aus Tabo mit der Mischung aus Schwüngen, schwarzen Flächen und Liniengittern aus der gegenwärtigen Produktion. Sie wird derzeit von den Formen eines durchgeschnittenen Lavasteins dominiert, den ich als Wasserfarbstempel benutze. Die Kammern, die bei der Erstarrung des flüssigen Gesteins entstanden sind, bilden Figürchen mit deutlichen Köpfen, Schultern und amorphen Körpern.

Die Begegnung der unterschiedlichen Strukturen geschah eher unspektakulär. Ich hoffe, dass es ein Potential gibt, dessen Produktivität mich bei der Suche nach meiner Beziehung zu den Tabolinien noch eine Weile mit Energie versorgt. Ich misstraue der Mutwilligkeit, mit der ich mir das Material anverwandle.

Die Malereien von heute folgten verschiedenen Zielrichtungen. Sie entstehen derzeit nicht so besinnungslos, wie in der Zeit davor. Das zweite und das dritte Format sollten sich für die Verwendung auf der Rolle eignen. Das erste hingegen ist ganz frei von diesen Gedanken und hat auch eine andere Qualität.

Begegnung

Auf der Transparentpapierrolle kommt es heute zur ersten Begegnung der Tabolinien mit den Umrissen der Buchmalereien. Sie haben sich nun auf dem Streifen so weit vorgeschoben, dass sie die ersten durchscheinenden Strichgeflechte erreichen, die ich am 7.2. und 8.2. in etwa 5 Meter Entfernung auf die Rolle (in die Zukunft) zeichnete. Eine Parallelität ergibt sich daraus, dass die Maler, die die Räume des buddhistischen Klosters vor 1000 Jahren ausgestaltet haben, auch von der Buchmalerei her kamen.

Ich bemerkte bei der Arbeit auf Rolle 11, dass sich große Umrisse mit kleineren geschlossenen Binnenformen, wie auf der 1. und 2. Malerei von gestern, gut für die kommende Überlagerung der Strukturen eigenen. Ich kann dann jeweils, mit den durchscheinenden, sehr unterschiedlichen Linien aus beiden Richtungen des aufgerollten Transparentpapierstreifens, die verschiedenen Felder füllen.

Die Interpretation der Linienkompositionen als schamanistische Gestaltungen, die aus visuellen Erlebnissen meditierender Mönche während des Übergangs in eine andere Welt herrühren, verändert meine Suche nach ihren Auswirkungen auf mich und meine Arbeit. Zunächst hat mich das eher von ihnen entfernt.

Was gelang, was nicht?

An jedem Vormittag steht am Ende der Buchmalereien die Frage: „Was gelang, was gelang nicht?“. Und dann ist die Versuchung, der ich oft widerstehe, groß, weiter zu machen. Freilich gibt es manchmal noch wenige Striche mit der Tinte meines Schreibgerätes, um ein paar Konturen noch einmal hervorzuheben.

Die Wahrnehmung von Material hat sich in den letzten Tagen gesteigert. Dazu gehören auch Ideen und die Nähe zur Musik, die ich ebenfalls als einen Stoff empfinde, den ich für die Beeinflussung meiner Arbeit einsetzen kann. Während ich mich auf die leisen Gesänge von Glenn Gould, mit denen er sein Klavierspiel begleitete, konzentrierte, kamen mir Pappmachefigürchen in den Sinn, die an den Verbindungspunkten der Dreiecksgitterkonstruktionen sitzen. Aber mehr noch würde mich interessieren, Musik direkt in Farben und Strukturen zu übersetzen. Das ist aber ein Thema, das ich nicht nebenbei bearbeiten kann.

Auf einem kleinen digitalen Bildbetrachter laufen gerade Buchmalereien und Collagen des vergangenen Jahres. Beim Hinschauen stelle ich fest, dass ich mich schon intensiv mit den Tabolinien befasst hatte. Diese Ergebnisse könnte ich nun auf Rolle 11 weiterentwickeln. Es gibt viele Erkenntnisse, die wieder im Dunkel verschwinden. So lohnt es sich also, ab und zu zurück zu schauen.

Übergang

Einer Nachbarin, von der ich im Atelier besucht worden bin, zeigte ich, weil wir über buddhistische Praktiken sprachen, meine Tabolinien. B. hat in Schönböken einer Freundin davon erzählt, die meinte, dass es öfter solche schamanistische Zeichen des Übergangs gäbe. Ein interessanter Gedanke, von dem ich aber befürchte, dass er mein Einlassen auf diese Welt etwas einengen könnte. Im Vorraum der Versammlungshalle der Mönche, befinden sich gemalte Frauenfiguren, die auf eine ältere matrilineare Gesellschaft hindeuten. Im Durchgang zum Gebetsraum, in dem sich die Linien befinden, passiert man eine Grenze, was mich an die Arbeit „Der Riss ist die Passage“ aus den Neunzigerjahren erinnert.

Der Sonntag war trödelig und lang. Ich machte zwar ein vollständiges Arbeitstagebuch, pausierte aber mit Rolle 11. Ich muss wieder etwas warten, bis es damit konzentriert weitergehen kann. Aber dadurch staut sich Energie an.

Mittlerweile treffen in den Buchmalereien viele Arbeitsweisen aufeinander. Somit ballen sich in den kleinen Formaten so viele Strukturen zusammen, dass ich den Eindruck habe, sie strebten voneinander weg, um einzeln erscheinen zu können. Manchmal reduziere ich die Mittel, wie am 17.02.. Dann erscheinen die Handlungen übersichtlicher und ruhiger. Auch am 16.02. war mehr Harmonie als sonst vorhanden. Heute erschien eine ruppige Körperlichkeit auf dem Papier, die mehr wollte.

Sog

Mit meinem Bruder spazierte ich gestern durch einen schlammigen Wald bei Haina. In einer Ruine besichtigten wir kyrillische Gravuren im Putz. Jemand aus Omsk war dort stationiert. Wir befanden uns auf einem ehemaligen Übungsgelände der Roten Armee.

Ich denke darüber nach, wie ich mich von dem Arbeitssog etwas entfernen kann. Von einer inneren Verpflichtung zur Leistungsbereitschaft getrieben, beschleunigt sich das Arbeiten. Davon zeugen die zigtausend Buchmalereien und die 500 Meter gezeichneter Transparentpapierrollen. Wie auf einer Wanderung durch eine unbekannte Landschaft, gehe ich von einem Aussichtspunkt zum nächsten, nur um zu schauen was dann dahinter kommt. So laufe ich dem Ende meiner Zeit entgegen, fülle mein Totenbuch mit der Reihe von Seelenzuständen und Szenen.

Die Struktur von Rolle 11 ist bisher zu spannungslos. Die Aneinanderreihung von Umrissen aus den Buchmalereien gerät zu einem gleichförmigen Zug. Da muss etwas geschehen!

Annäherung

Sehr langsam entstanden heute die Malereien. Ein glatt durchgeschnittener Lavastein diente mir als Farbstempel und als Gewicht, um die Haarlocken auf dem Papier in den Farbpfützen zu fixieren. Mit Aquarellstiften, Tinte und Tusche verstärkte ich Konturen, d.h. Umrisse und Haarlinien im Binnenbereich der Farbflecken. Daraus entstehen oft Figuren, die auf das abstrakte Spiel in ihrer Umgebung schauen, als erwarteten sie von dort Gesellschaft.

Die zweite Buchmalerei von gestern nutzte ich für die Weiterarbeit an Rolle 11. Die zerklüfteten Inseln boten entsprechend bewegte Umrisslinien. Eine Linienkomposition, die am 9.2. in Erinnerung an die Wandmalereien im Kloster Tabo im Spitital entstanden ist, spielt in den Tuschelinienschichten der Gegenwart eine entscheidende Rolle. Und wenn ich genau hinschaue, dann scheinen schon die Linien, die ich 5 Meter in die Zukunft gezeichnet habe, ganz leicht durch.

Gestern waren für zwei Stunden meine Schüler da. Sie haben so viel Kraft, die sich in Bewegung austoben will, dass ich manchmal Mühe habe, sie zu bändigen. Auf der Wiese haben wir trockenes Material abgeschnitten und für die Feuertonne zerkleinert. Danach erst haben sie an ihren Reliefobjekten weitergearbeitet.

Erster Impuls

Mit dem handschriftlichen Tagebuch beginne ich einen Umriss in der ersten Buchmalerei mit Tinte nachzuziehen. Der erste Impuls aber war am Morgen die Schraffur, die aus Brustkorb und Schulter auf das Papier übertragen wurde. Diese Struktur setzte ich per Handballenabdruck in die zweite Malerei, verdichtete sie dort und schwächte sie wieder mit Wasser und dem Handballen ab und übertrug sie nach 1.

Vor mir auf dem Tische stehen die zwei Zylinder, zwischen denen sich der Transparentpapierstreifen aufspannt, etwa 35 cm, den ich gestern mit Tusche und Rohrfeder auf Rolle 11 zeichnete. Er besteht aus 3 Umrissen, die ich aus der 2. Buchmalerei vom 12.2. extrahierte, auf einen Bogen zeichnete, um sie dann in den Streifen einzugliedern. Er funktioniert wie ein Totenbuch. Seine Liniengesträuche zeichnen die Emotionen auf, die in den langen Konzentrationsphasen in mir sind.

Für mich vermischte sich heute die Malerei deutlich mit den Goldbergvariationen von 1981 durch Glenn Gould eingespielt. Die erste Variation nach „Aria“, mit der Bezeichnung „1a1“, schlägt nach dem ruhigen Gang des ersten Stücks, brutal zu. Ich würde mich an dieser Stelle jedes Mal erschrecken, kennte ich das alles mittlerweile nicht schon ziemlich genau.

Einstieg

Mit den Buchmalereien habe ich die Möglichkeit meinen Einstieg in den Tag mit dem eigenen Tempo zu gestalten. Ich vergesse die Schwere des Schlafs, des Körpers und des Geistes. Die Transparentpapierrolle, die mich an den gestrigen Nachmittag erinnern würde, verschwindet neben mir aus meinem Gesichtskreis. In ihm befinden sich nur die zwei Seiten, auf die ich die drei Malereien mache, die auseinander entstehen und somit Verwandte sind.

Rolle 11 ist gestern um 45 Zentimeter weiter gezeichnet worden, wieder näher an die Tabostrukturen heran. Aus der auffälligen dritten Malerei vom 9.2. extrahierte ich Umrisse und übertrug sie auf das Transparentpapier. Der Zug der Liniengesträuche, auf die ich zuarbeite ist deutlich zu spüren.

Morgen kommen die Schüler. Das stört meine Konzentration und durchmischt meine Gedanken. Manchmal möchte ich, dass sie ihrem Lärm eine bildliche Gestalt geben. Gern würde ich sie auch auf Dreieckgitterobjekte orientieren, die mit Relieffragmenten verbunden sind.

Nahe und entfernte Struktur

Nach den Buchmalereien saß ich etwas in der Morgensonne, will aber den Tagebuchblock am Vormittag fertig bekommen, um mich dann auf andere Dinge konzentrieren zu können. Beispielsweise auf die Fortführung der Arbeit an Rolle 11. Dort habe ich gestern die Umrisse der 3. Malerei des 8.2. hinter die Figurenreihe gesetzt, mit der ich diesen Transparentpapierstreifen begann.

Aber ich möchte variantenreicher fortfahren, andere Umrissformen finden als die Figurenanmutungen. Mit einem weißen Bogen Papier, den ich zwischen die zusammengerollten Schichten legte, reduzierte ich das dichte Angebot von sich überlagernden Linien. Innerhalb der Umrisse kommt es deswegen zu Lücken der Struktur, was dem Gesamtbild gut tut.

Die Buchmalereien von heute folgen wieder den seismischen Linien, die aus dem Inneren über den Bewegungsapparat und die Aquarellstifte auf das Papier übertragen werden. Die kreisenden Papiergravuren und Haarlockenabdrücke, verweisen auf die wechselnde Statik der emotionalen Tektonik. So gehe ich mit langsamen Schritten auf die Tabolinienstruktur zu, die sich in vielleicht 3,5 Meter Entfernung befindet.

Gewalt

Der Rückzug in das Atelier rettet mich vor den Zumutungen der Außenwelt. Das Gebrüll der Leute, die nur noch mit den Informationen versorgt werden, die in ihr Weltbild passen, dessen Lautstärke die anderen Meinungen übertönt. Gewalt, wo man hinschaut!

In meinen Buchmalereien blüht mein Fühlen aus, die Aquarellstiftschraffuren treffen auf die sich kreuzenden Linien der Handballenabdrücke und verstärken sie. Die rechte Schulter und der dazugehörige Arm nehmen die Schwingungen des Brustkorbs auf, die Hand hält nur den Stift fest, der die Bewegung sichtbar macht. Farbbezeichnungen blitzen kurz auf, sichtbare Strukturen kommen im Denken nicht vor, sie entstehen vorher auf dem Papier. Nur das Wort „Schluss“ schlägt plötzlich zu. Es ist das wichtigste merkbare Zeichen, das direkt aus dem Hirn kommt.

Wir sahen eine Komödie auf der großen Bühne unseres Schauspiels. Wolfram Koch, eine zum Schreien komische Rampensau, in der Hauptrolle – schrecklicher Beruf! Wir trafen alte Freunde, unsere Kulturdezernentin und das Premierenpublikum, das immer da ist. Eine schöne Gewohnheit!

Zeichnungserinnerungen

Meine Sensorik schärft sich etwas und ich spüren Materialien anders als sonst, habe viel Lust auf handwerkliches Arbeiten, auf das Zeichnen, das auf die Entdeckung der Dimensionen der tiefen Räume der Erinnerungen ausgerichtet ist: Zeichnungserinnerung.

Parallel dazu entdecke ich neue Bereiche der elektronischen Musik. Sie unterstützt mich, bei zunehmender Empfindsamkeit mehr Tempo aufzunehmen. All das hängt auch mit der Beschäftigung mit den Tabostrukturen zusammen. Die Gravitation scheint sich aus der Kreisbewegung der Rolle 11 zu entwickeln und nicht umgekehrt. So entsteht das Gewicht der gestapelten Tuschezeichnungen. Wegen verschiedener Termine komme ich nun insgesamt drei Tage nicht dazu, an der Rolle weiter zu arbeiten. Das Material staut sich auf, bevor ich am Montag weitermachen kann.

Die Buchmalereien sind heute von den Emotionen mitgerissen worden und haben ihren Rahmen etwas gesprengt. Die zurückgehaltene Energie will raus. Aber heute gibt es eine Premiere im Schauspiel, morgen noch einmal Theater und ein Treffen mit Freunden…

Mehrdimensional

Beim Treffen im Anna-Freud-Institut stellte ich eher Fragen in den Raum, als über meine Arbeit zu berichten. Es wurde vehement geantwortet, so dass ich nur kurz zu Wort kam. Aber die Diskussionen, die sich entwickelten, haben mir gefallen.

Bei der Verdichtung der Tabostruktur begegnete mir ein bedrohliches Bild. Die Verdichtung des Gesträuchs durch zeichnerische Schichtungen, entwickelt eine mehrdimensionale Gravitationen. Die vielen kleinen Räume zwischen den hintereinander gestaffelten Linien, ziehen den Blick in die Tiefe. Der Wirbel des aufgerollten Transparentpapierstreifens verschlingt rotierend alle Bilder. An seinen Wänden befinden sich die Untiefen der Tuschelinienschichten. Das ist der mehrdimensionale Experimentalaufbau, der die Denkmodelle der Maler, die vor tausend Jahren die Wand eines Durchgangs zu einem Gebetsraum mit abstrakten Strukturen füllten, aufdecken soll.

Es wäre schön, wenn ich ihnen meine Experimente zurücksenden könnte, damit ihnen aufgeht, was sie bei mir ausgelöst haben. Langsam beginnt sich diese Arbeitsrichtung deutlich auf die Buchmalereien auszuwirken.

Aufeinandertreffen unterschiedlicher Zeitkontinuen

Durch den Ausfall der Heizung musste ich vorübergehend den Rhythmus meiner Arbeit variieren. Und was das Zusammenspiel meiner persönlichen Arbeit mit dem Projekt YOU&EYE angeht, so kam es zu einer Unterbrechung. Entfernt vom Chaos des Ateliers, versuche ich die Situation zu Hause produktiv zu halten.

Gestern arbeitete ich auf Rolle 11 aus zwei Richtungen auf einen Punkt zu, an dem sich die zwei verschiedenen Zeitkontinuen begegnen „werden“. Während ich die Tabostruktur noch zwei mal von rechts nach links wiederholte, achtete ich auf die Erzählungen in den Zwischenräumen, in denen sich weitere gemeinsame Dimensionen öffnen können.

Aber auch in dem Bereich, der die Gegenwart markiert, fuhr ich mit dem Wachstum des Buchmalereigesträuches fort. Dabei komme ich nicht umhin auf spannungsvolle Verläufe von Rhythmen der Flächen, der Leere und der Tuschelinien zu achten. Indem ich dieses Material auf die Begegnung mit der schriftartigen Tabolinien-Verdichtung vorbereite, präpariere ich meine Bilder, indem ich sie durchlässig und aufnahmebereit für das halte, was ihnen nun entgegenkommt. Die zu erwartende Schwierigkeit dieses Aufeinandertreffens wird derzeit in den Collagen deutlich.

AUFEINANDER ZULAUFENDE BEWEGUNGEN

Den Umriss der ersten Malerei vom 5.2. übertrug ich in den zeitlich kontinuierlichen Ablauf von Rolle 11. Das wirkt dort wegen der ähnlichen Größen der Figuren und ihren ähnlichen Abständen, etwas eintönig. Entweder suche ich mir spannungsreichere Kompositionen aus, oder ich fertige die zeitkontinuierlich ausfüllenden Durchzeichnungen nicht gleichmäßig aus. Um das zu erreichen, kann ich die vorigen Schichten mit weißen Papierbögen abdecken oder nur selektiv durchzeichnen. Aber geht es bei dieser Arbeit überhaupt noch um spannungsvolle Kompositionen?

Im Atelier kann ich wegen der defekten Heizung derzeit nicht arbeiten. Aber hier zu Hause kann ich sowohl das Arbeitstagebuch schreiben, als auch an Rolle 11 arbeiten. Beide fortlaufenden Zeichnungsstränge laufen aufeinander zu. Bei der zeitrückläufigen, schriftartigen Überlagerung der Tabolinien kommt es vielleicht nicht so sehr auf ihre Begegnung mit den Buchmalereistrukturen an, sondern darauf, diese Verdichtung weiter zu verfolgen, bis sie aus sich heraus spricht. Beide Linien kann ich verfolgen und dabei schauen, wo ich entscheidend weiterkomme.

In den Collagen stoßen sich diese unterschiedlichen „Aggregatzustände“ eher ab. Die kristallinen Verdichtungen der alten, geraden Linien und die aquarellartigen Erscheinungsbilder der Malereien aus den Tagebüchern, verbinden sich bisher nur schwer zu einem weiterführenden Klang.

Annäherung an das „Tabo-Echo“

Ich schreibe schon wieder zu Hause, weil die Heizung im Atelier seit Tagen nicht funktioniert. Ungehalten über diese Art der Missachtung, versuche ich dennoch die regelmäßige Ruhe, aus der die Entwicklung der Bilder resultiert, nicht zu unterbrechen.

Gestern beschäftigte ich mich hier zu Hause mit den tausend Jahre alten Linien aus Tabo, die ich in die Zukunft des Zeitstreifens von Rolle 11 gesetzt habe. Das Echo, das ich zeichnerisch rückwärts in Richtung Gegenwart aussende, Bestand zunächst aus einer einfachen Überlagerung von 2 Linienschichten, die ich 4 x mit dem Durchzeichnen im Rückwärtsrollen wiederholte. Dann wickelte ich die Rolle vorwärts, mit dem viel kleineren Anfangsradius zusammen und zeichnete die Struktur nach vorne durch, wodurch sie sich entscheidend verdichtete. Durch die engeren Intervalle wird der rhythmische Fluss verstärkt. Die konsequente Fortführung dieses Arbeitsganges, führt zur Verdunklung des Gesamteindrucks.

Während dessen bewegt sich der Figurenreigen der Buchmalereiumrisse auf der Rolle vorwärts und trifft somit demnächst auf die verdichteten, dunklen, schriftartigen, quadratischen Felder des „Tabo-Echos“. Diese werden dann von den Umrissen eingegrenzt, mithin fragmentiert, durch weiteres Hin- und Herrollen und Durchzeichnen verändert. All das geschieht mit dem Wunsch einer Annäherung an die alten Maler.

Space // Heads

Sigi Am Thor und Oliver Tüchsen arbeiten gemeinsam in einem Atelier. Gestern sahen wir sie bei ihrer Ausstellungseröffnung „Space // Heads“ im Haus der Stadtgeschichte in Offenbach. Dort zeigen sich zwei sehr verschiedene Charaktere. Olivers Arbeiten erscheinen aggressiver und gefährlicher. Seine tiefen Perspektiven möchte ich oft nicht betreten. Bei Sigi ist das anders. Ihre abstrakten Portraits laden zum gemeinsamen Erfinden der Geschichten hinter den Maskierungen ein. Die Einladung zu dieser Veranstaltung ging auch an alle teilnehmenden Künstler der Projekte YOU&EYE, aber ich war als einziger gekommen.

Heute schrieb ich zu Hause, weil ich mich vor dem kalten Atelier fürchtete, dessen Heizung nun schon seit 4 Tagen nicht läuft. Dabei habe ich mit Rolle 11 einiges vor und am Donnerstag kommen die Schüler wieder… Ich erinnere mich mit Grausen an den Oktober und den November, als ich im Atelier auch so fror.

Jetzt hier im Atelier bewege ich mich hin und her, steige auf die Leitern, um die Pflanzen zu gießen und halte mich auf alle erdenkliche Weise warm. Aber an konzentriertes Arbeiten ist kaum zu denken. Immerhin sind die Buchmalereien, die ich am Morgen in der Wohnung gemacht habe kraftvoll und auch auf Rolle 11 weiter verwendbar.

Tabostrukturen

Gestern Abend, während ich mit zunehmender Routine an Rolle 11 weiter arbeitete, wuchs das Bedürfnis, die zeichnerischen Vorgänge zu ändern. Auf dem Heimweg dachte ich mir, dass die Tabostrukturen, die ich 5 Meter in die Zukunft gesetzt habe, nun schon bald eine Rolle spielen sollten. Deswegen möchte ich nun im Rückrollen weiter durchzeichnen und dabei das Rückzeichnen beschleunigen. Um schneller in der Gegenwart anzukommen.

Mir gingen auch andere fragmentarische Figuren aus dem Skizzenbuch, das ich mit im Spitital hatte, für ihr Erscheinen auf der Rolle durch den Kopf. So beschäftigt mich die Begegnung mit dem Rinpoche Serkong Tsenshab im vergangenen Jahr in Tabo weiter. Die Annäherung an die Maler, die vor 1000 Jahren das Kloster ausgestalteten, geht nun durch das Aufholen der voraus gezeichneten Linien weiter.

Gestern geschah das mit den Umrissen der 2. und 3. Buchmalerei. Die Routine verlangte, dass ich die entstandenen Inseln mit dem Vorausgegangenen Material füllte. Nun soll das Ganze aber umgedreht werden, um die Echos aus der Zukunft einzufangen und die Umrisse damit zu füllen.

Fröhlicher Lärm

Fröhlich arbeiteten meine Schüler gestern an ihren seriellen Objekten, flechteten weitere Ringe in den Weidenbaum im Gärtchen und grundierten die ausgeformten Pappmachemasken, die sie später bemalen werden. Es geht laut zu, wenn sie da sind, und es scheint so, dass ihr Lärm noch eine Weile anhält, wenn sie schon gegangen sind.

Nach einer Stunde Rückbau in meinem Atelier, begann ich dann den zweiten Buchmalereiumriss von gestern, auf Rolle 11 zu übertragen. Dort entstehen daraus Landkarten mit fremden Meridianen, deren Inseln mit fortschreitender Arbeit eine zerklüftete Oberfläche bekommen. Die Freiheit, die Umrisse bei ihrer Übertragung auf Transparentpapier etwas umzudeuten, führt dort zu den Szenen, die aus den Buchmalereien fortgeschrieben werden. Mit sechs Trassen wird Madagaskar an die Seite von Spanien geschleppt, das seitenverkehrt erscheint. Grönland nähert sich dem großbritannischem Blob. Viele Geschichten werden in den Geländen bereitgehalten.

Die, in den letzten Tagen gewonnenen, Stilerkenntnisse wollte ich in den heutigen Buchmalereien fortführen. Das geschieht mit Blick auf Rolle 10. In dieser Weise beginnt die Produktion wieder an die Arbeit des vergangenen Jahres anzuknüpfen, es fängt an, wieder rund zu laufen.

Haut und Haar

Die letzte Erzählung aus dem Band „Das Lachen der Götter“ von Aleš Šteger mit dem Titel „Ikarus“, erweiterte meine Vorstellungen von den Zeitwahrnehmungen. In der 3. Malerei von heute gibt es Entsprechungen dafür. Die Recyclingwirtschaft des Geistes lässt die Bilderfragmente wie schmerzenden Abfall umherirren. Der Sturz ins Meer ist nach dem ewigen Kreisen wie eine Erlösung. Mit dem Zusammenklang von Haut und Haar und Bewegung komme ich diesen Empfindungen näher.

Auf meinem Gang ins Atelier traf ich meine Schüler, die mich freundlich grüßten: „Bis nachher!“ Und der Fischlieferant des Supermarktes, der aus seinem Auto sprang, teilte mir auf Anfrage lächelnd mit, dass er Lachs dabei hat… Die „Goldbergvariationen“, 1981 von Glenn Gould eingespielt, müssen heute dafür herhalten, mich geradewegs in eine produktive Konzentration zu führen.

Mit der Reduktion der ersten beiden Malereien des Morgens, möchte ich klarere Aussagen machen. Nicht inhaltlicher sondern nur formaler Art. An den Grenzen der Farbflecken enden auch die Spuren der Haarbögen. Das Auge hüpft von Insel zu Insel und verfolgt die verschwundenen Linien.

Rollen

Gestern begann ich Rolle 11 zu zeichnen, weil ich es nicht weiter hinausschieben wollte. Auf den etwa 5 Meter auseinander gerollten Streifen zeichnete ich die Linien aus Tabo, mit denen ich mich an die alten Tempelmaler annähern möchte. Vielleicht befinden sich die Linien nun etwa 14 Tage in der Zukunft auf dem Zeitstrahl aus Transparentpapier.

Bei den Buchmalereien ging ich heute etwas langsam und vorsichtig vor, weil die Vereinzelungen der Motive gestern nicht gelang. Das geschieht im Hinblick auf die Verwendbarkeit der Elemente auf Rolle 11. Erst jetzt, nach der Fertigstellung von Rolle 10, habe ich das Gefühl, dass die Arbeit wieder stockungsfrei laufen kann.

Nach einiger Zeit werden die aktuellen Zeichnungen auf die Rhythmen aus Tabo stoßen. Dann werde ich sehen, was das Ergebnis dieses Experimentes sein wird. Die starken Verdichtungen der Gesträuche passieren immer, wenn ich die Rolle beim Durchzeichnen der vorausgegangenen Linien oft hin und her rolle.

Reduktion

Am Morgen versuchte ich reduzierter an die Buchmalereien zu gehen, einfach weniger zu machen. Mir schwebten einzelne Elemente vor, die sich unabhängig voneinander im Format befinden. Ich kam darauf, als ich mir die 2. Malerei vom 27.1. anschaute, die so ähnlich funktioniert.

Es kam jedoch anders. Zwar blieb es bei einer gewissen Sparsamkeit, aber die Elemente zogen sich eher zusammen. Die fehlenden Umrisslinien lassen die Spannung zwischen den Haarlinien und den Farbflecken besser zur Geltung kommen. Also werde ich morgen noch einmal probieren dieses kleine Vorhaben umzusetzen, ohne mich von einer Emphase davontragen zu lassen.

Noch einmal probierte ich mit einem Animationsprogramm die Werktagscollagen so zusammenzusetzen, dass die drei Stapel mit den aufeinander folgenden Schichten, eigenständige Bewegungsvorgänge bilden, die die Entstehung der Arbeiten erzählen. Dabei unterlaufen mir immer mal Fehler, die zu neuen Möglichkeiten der Montagen führen können. Die Dateien sind nicht sehr hoch aufgelöst, sind deswegen leicht handhabbar und sollen auch die Grobheit dieser digitalen Arbeit zeigen.

„STEIN SCHERE PAPIER“ „QUINTETT“ „SCARBO“

Gestern hörte ich „Stein Schere Papier“ von Heiner Goebbels, mit der Stimme von Heiner Müller, der einen Sisyphostext sprach, dessen Fragmente zerschnitten in das Musikstück eingefügt sind. Eine Stimme aus einer verlorenen Zeit.

Eine weitere Stimme von dort ist die von Kevin Bryars mit dem Song „Jesus Blood never failed me yet“, der als Loop 25 Minuten hinter dem Stück „Quintett“ von Bill Forsythe lief. Diese Musik wird im Tanzstück „Scarbo“, vom Choreografen Ioannis Mandafunis und der Tänzerin Manon Parent zitiert, das wir gestern im Bockenheimer Depot sahen. Ich verstand am Anfang, dass in dem Soloabend ein elfjähriges Mädchen dargestellt wurde, was sich durch einen Text in der Mitte des Stücks bestätigte. Ich konnte mit dieser Arbeit viel anfangen und bin froh, nun wieder mit der Frankfurter Tanzwelt verbunden zu sein.

Gestern saß ich Tagebuch schreibend vor der Ateliertür in der Sonne. Argwöhnisch beobachte ich die Bauarbeiten in der Nachbarschaft und versuche abzuschätzen, wie weit ich von dort aus, durch die wachsenden Gebäude, verschattet werde. Je weiter man sich im Westen des Geländes befindet, desto mehr Chancen auf Sonne sind vorhanden.

Pläne

Der Vorgang, mit den Buchmalereien am Morgen die Arbeit zu beginnen, folgte heute, im Gegensatz zu dem vorausgegangenen Herangehen, einem Plan. Ich wollte die verschiedenen Mittel, die ich in den letzten Jahren entwickelt habe, in den 3 Formaten getrennt anwenden. In 1 dominieren die Umrisse, in 2 die Farbflecken mit den eingefärbten Haarlinien und in 3 die schraffierten Gewindegravuren. In 1 und 3 konnte ich die Beschränkungen nicht ganz durchhalten, will aber dieses Vorgehen morgen weiter verfolgen.

So wie ich mir das in den Vortagen gedacht hatte, setzte ich gestern mit den Kindern unsere serielle Arbeit fort. Im Zentrum verschiedener Pappumrisse sollen nun die immer selben Partien der Reliefform stehen. Jedes Kind wählte sich drei Stellen aus und schnitt sich Pappen mit unterschiedlichen Konturen, um sie einzuweichen und an den entsprechenden Stellen in die Form zu drücken. Obwohl ich versuche, den Vorgang deutlich zu erklären, stürzen sie sich etwas besinnungslos in das Unternehmen und merken erst am Ende, was sie vollbracht haben.

Die große ausziehbare Stehleiter trugen wir nach draußen und stellten sie so nahe wie möglich an den Weidenbaum im Gärtchen. Dort flochten wir Ringe in die obersten Triebe des Baumes. Weil in den vorausgegangenen Jahren aus solchen Ringen Äste ausgetrieben sind, können sie nun weitere Kreise an den Peripherien bilden, die sich auf diese Weise multiplizieren. Es ist interessant zu beobachten, wie viel Überwindung es manche Kinder kostet, die obersten Stufen zu ersteigen, sie es aber immer wieder ehrgeizig probieren. Das einzige Mädchen der Gruppe, hat es sich zur Aufgabe gemacht, bei jedem Besuch, die Pflanzen auf den obersten Gesimsen vor den Atelierfenstern zu gießen.

Aufräumen

Gestern räumte ich das Atelier etwas auf. Diese Pause deckt Arbeitslinien auf, die sich im verlauf der Zeit nicht weiter durchgesetzt haben. Mehrschichtige Transparentpapiercollagen beispielsweise, mit Tusche–Schellack–Verläufen, Zeichnungen und Pflanzenteilen. Manchmal sind es Versuche, mit denen ich die Schülerbesuche vorbereite.

Gestern grundierte ich Maskenabgüsse und eigene Relieffragmente, die immer dieselbe stelle der Form abbilden, aber mit unterschiedlichen Umrissen. Das wird die Weiterentwicklung unserer seriellen Experimente in eine neue Richtung lenken. Auch die Maskenformen bilden den Ausgang für die etwas weniger strenge Beschäftigung mit Abformung und Bemalung. Für die Jungs, die etwas zu viel Kraft für diese Beschäftigungen haben, liegt draußen unter dem Dach der dicke Stammabschnitt der Pappel, die vor ein paar Jahren gefällt worden ist. Er soll mit Hohleisen zu einem Mantel verarbeitet werden.

Lange Arbeitstage stecke ich nicht mehr so leicht weg. Gestern auf dem Heimweg nach 18 Uhr, fühlte ich mich etwas ausgelaugt. Die Buchmalereien sind Spiegel der Stimmungen und der Kraft. Derzeit zwinge ich mich zu einer Arbeitspause und möchte den Beginn der Arbeit an Rolle 11 etwas hinauszögern, um für den Start Energie anzustauen.

Zeitexperimente

Aus den Werktagscollagen des vergangenen Jahres stellte ich gestern Animationen zusammen. Für diese eintönige Arbeit muss es automatisierte Möglichkeiten der Zusammenstellung geben. Bisher mache ich das Bild für Bild mit jedem Übergang einzeln. Die Ergebnisse sind allerdings spannend.

Die Zweite Malerei von heute sieht aus, wie eine Collage. Das liegt daran, dass ich die Haarschwünge nur partiell sichtbar gemacht habe, indem ich die Locken mit abgegrenzten Pinselspuren aus Farbwasser auf dem Papier bändigte. Danach färbte ich die Linienbögen mit Tusche oder konzentrierter Aquarellfarbe ein. Die Formen sehen wie ausgeschnitten aus. Die figürlichen Anmutungen habe ich auf 2 nicht durch Umrisslinien verstärkt, wohl aber auf 3.

Nach wie vor beschäftigt mich das Thema zeichnerischer Zeitexperimente. Damit komme ich aber nur weiter, wenn ich mit Rolle 11 beginne. Der Start wird aus einem Rückgriff bestehen, den ich in die Zukunft projiziere, um ein Echo zu entwickeln, dessen Rhythmus vom Umfang der ganzen Rolle abhängig ist. Mit dem Durchzeichnen im Rollen im Uhrzeigersinn geht es von der enger werdenden Gegenwart nach vorne in die Zukunft. Gegen den Uhrzeigersinn geht es nach hinten aus der Gegenwart in die Vergangenheit oder aus der Zukunft auf das Jetzt zu. Auf dem 50 Meter langen Transparentpapier – Zeitstreifen ist genug Raum für das Experiment.

Animationen

Mit einem Animationsprogramm setzte ich gestern aus den Collagenreihen des letzten Jahres Filme zusammen, in denen die Bilder durch langsame Übergängen miteinander verbunden sind. An jedem Arbeitstag entstehen 3 Collagen in denen sich die erste, zweite und dritte aus der jeweiligen ersten zweiten und dritten Collage des Vortages entwickeln. Somit entstehen 3 Animationsstränge.

In diesen bewegten Bildern ist die Entwicklung der Arbeitsweisen, der verschiedenen Mittel in den Buchmalereien und Transparentpapierzeichnungen nachzuvollziehen. Die langsamen Veränderungen zeigen die Entwicklung der Arbeit eines Zeitraumes, wie eine Geschichte. Mit den langen Reihen meiner gescannten Bilder will ich diese Arbeitsweise weiterentwickeln. Das Erzählerische wird so konzentrierter verdeutlicht.

Für die Buchmalereien habe ich nun wieder die geschnittenen Lavasteine aus Fuerteventura als Farbstempel hervorgeholt. Die mischen sich mit den schraffierten Gewindegravuren, den Haarstrukturen und mit meinen Handabdrücken. Franz hat mich besucht und das alles begutachtet…

Sprache und Bewegung

Gestern sahen wir im Frankfurt LAB einem Tänzer bei der Arbeit zu. Er nahm die Struktur des Raumes zunächst mit seiner Sprache auf und beschrieb, was er sah. Daraus entwickelte er eine Erzählung, die er mit seinem Körper illustrierte und weiterentwickelte, was dann wieder auf den Text zurückwirkte.

Ganz ähnlich geht mein Enkel bei seinem Spiel mit seinen Figuren und deren Fahrzeugen vor. In der Bühnenversion dieses Spiels gingen Text und Bewegung mit einer ähnlichen Geschwindigkeit und einem ähnlichen Duktus ineinander über. Das hatte zur Folge, dass sich öfter beide Ebenen nivellierten, was eine gewisse Spannungslosigkeit der Dramaturgie nach sich zog.

Ein Lichtblick in der anhaltenden politischen Düsternis, waren die großen Demonstrationen gegen den Rechtsradikalismus in seinen rassistischen und nationalistischen Ausprägungen in Deutschland. Wer hätte gedacht, dass die Bewohner des flachen Binnenlandes von Nordamerika mit den Thüringern, zwischen ihren Hügeln, eine solche Schnittmenge haben.

Freie Improvisation

Das Himalayische Skizzenbuch liegt neben dem Tagebuch. Geöffnet habe ich die Seite mit den Linien aus dem Kloster Tabo. Folgender Kommentar steht daneben: „Ist wie freie Improvisation. Lässt sich nach 1000 Jahren noch nachempfinden.“ Einen Ausschnitt der Struktur habe ich in die Buchmalereien übernommen, um mich auf die Spur dieser Maler zu begeben. Diese zeichenhaften Äußerungen würde ich gerne näher untersuchen und auf Rolle 11 Experimente damit anstellen. Vielleicht eignen sich diese alten abstrakten Malereien dafür, sie in die Zukunft zu projizieren, von wo aus sie eine Reflektion in die Gegenwart schicken können.

Das ist ein Thema, das ich der Beschleunigung der Wahrnehmungen entgegensetzen kann und der Einebnung des Denkens.

An dem Roque de las Muchachos in La Palma wurde ein Observatorium eingerichtet, dessen Teleskop Gammastrahlen detektieren kann. Sie scheint von der dunklen Materie zu kommen, die den größten Teil unseres Universums ausmacht. Dieser Raum kann nur durch die Abwesenheit anderer Strukturen, den Leerstellen also, kartiert werden, denn eine Blick hinein ist derzeit nicht möglich.

Striche hörbar machen

Am Mittwoch liefere ich die Transparentpapierrolle im Humboldt Forum ab. Damit ist dieses Kapitel zwar noch nicht abgeschlossen, aber ich widme mich schon anderen Inhalten. Gestern sah ich mir ein paar Collagen an, die sich mit der Linienstruktur aus dem Kloster Tabo befassen und ähnliche Strukturen aufweisen. Ich frage mich, ob man diese rhythmischen Striche hörbar machen kann.

Aufschluss über dererlei Möglichkeiten erhoffte ich mir aus dem Technomuseum an der Hauptwache. Aber der gestrige Besuch war eher enttäuschend. Über die Geschichte dieser Form hinaus, gab es kaum tiefer gehende Erläuterungen und Einordnungen dieses Genres in die Geschichte der Kunst.

Ich denke dabei an Clemens von Brentano, an Paul Klee oder an die Gesänge der buddhistischen Mönche im Spitital. Die Verbindungen zu den Fantasie- Comicwelten verflacht diese Kunstäußerung meiner Meinung nach. Auch die Welt der Visuals, die spontan zur Musik gemischt werden, war nicht sichtbar.

Before Bach

Das Ende der Arbeit an der Transparentpapierrolle öffnet wieder andere Beschäftigungsräume. Ich kann an Experimentalaufbauten denken, die zu anderen Ergebnissen führen. Als Metapher für die Erinnerung an das eigene kurze Leben erscheinen mir die Blicke durch das James Webb Teleskop in die Vergangenheit bis nahe an die Entstehung unseres Universums. Mit welchen Techniken komme ich auf die Spur der frühesten Bilder oder Empfindungen, die ich empfangen habe oder komme ich darüber hinaus, wie der Ringpoche in Tabo meinte?

Auf den Transparentpapierrollen kann ich in die Zukunft zeichnen, indem ich die zeitliche Kontinuität der sich aneinanderreihenden Szenen verlasse und einfach weiter hinten Figurationsmarken setze, die dann später vom Zeichnen in der kontinuierlichen Zeit eingeholt werden – ein praktisches Gedankenexperiment.

In dem Klavierstück „Before Bach“ von Brad Mehldau spiegelt sich für mich Ahnungslosigkeit als Vision. Sie ist ähnlich wenig konkret, wie die bruchstückhaften Erinnerungen an das eigene frühe Leben. Fülle ich aber die Zwischenräume auf und spiegele sie, begebe ich mich über die Spekulation hinaus in den konkreten Raum, aus dem ein Echo der Vergangenheit als Zukunft erscheint. Auf diese Weise können Objekte entstehen, die die Lebenszeit überspringen, die verschwundene Erinnerung spiegeln, die aus der Zukunft kommt, wie dann im weiteren Verlauf des Albums „After Bach“ bei Brad Mehldau.

Gleichgewicht

Gestern gegen 17 Uhr beendete ich die Arbeit an Rolle 10. Vorher war ich etwas nervös, konnte dann aber die letzten Striche genießen. Dann hob sich sofort mein verengter Blick, um alles anzuschauen, was mich im Atelier umgibt, und ich begann die Pflanzen zu schneiden. Wieder bin ich von einer Last befreit, die ich zuvor nicht als solche erkannt hatte, weil sie einfach dazugehörte.

Dann stelle ich mir die Frage nach dem Rhythmus, in dem ich seit 20 Jahren arbeite. Ist dessen Existenz vielleicht auch eine Last? Oder ist es das Gewicht, das die Waage hält zwischen der Schwere und dem Glück der Produktion? Rolle 11 werde ich nicht gleich beginnen. Es gibt zwar Themen, die mir dafür durch den Kopf gehen, aber ich will erst mal pausieren.

Die geraden Linien, die die Figuren aufrecht durchziehen, lassen sie oft wie Stabpuppen erscheinen. Oder es sind Versteifungen, die aufgeschäumte Gebilde stabilisieren. Während des Schreibens ziehe ich auch noch ein paar Konturen nach, um das Personal der Szenen fester zu fügen. Es geht um Gleichgewicht, um die Spannung zwischen spielerischer Auflösung und belastbarer Architektur.

FORMENBLÜHEN

Die aktuellen Tuschezeichnungen auf Rolle 10 sind nun noch 60 Zentimeter von der Figurengruppe entfernt, die die Schlusssequenz bildet. Dann ist der 50 Meter lange Transparentpapierstreifen zu Ende. Wenn alles gut geht und die Konzentration anhält, kann ich es heute schaffen, diese Arbeit fertig zu bekommen.

Bei den Handballenabdrücken entstehen innerhalb der Buchmalereien oft ausgefranste Ränder der Farbflächen. Wenn ich sie mit einer Linie hervorhebe, bekommen sie den Anschein einer kommunikativen Geste. Sie suchen Kontakt zu den benachbarten Figurationen. Manchmal gehen von diesen wabernden Konturen auch Ausbrüche aus, die denen von außerirdischen Vulkanen ähneln oder die neue Formen zum Aufblühen bringen.

Weil wir in der kommenden Woche nach Berlin reisen, könnte ich die Transparentpapierrolle schon in die Obhut der Kuratorinnen des Humboldt Forums geben. Dann hätte ich sie nicht mehr in Blickweite und könnte mich besser auf eine andere Arbeit konzentrieren.

Überlegter, langsamer, kontrollierter

Beim Schreiben des Datums kann ich mich schnell mal um 10 Jahre vertun, rückwärts oder vorwärts. Aber Vorsicht! Die Räume sind nur schwer abzuschätzen. Beim Zeichnen auf Rolle 10 beispielsweise, scheinen nun schon, vom Ende her, die Umrissfiguren durch die transparenten Schichten des dünnen Restzylinders. Der Schluss ist abzusehen. Aber die Arbeit bis dahin streckt sich: zwei Schritte nach vorn, einer zurück, Zögern.

Die Buchmalereien ging ich überlegter und langsamer, um nicht zu sagen vorsichtiger an. Insbesondere die Haarschwünge versuchte ich kontrollierter anzulegen, die Lücken zwischen den Wasserfarbenfeldern deutlicher zu machen und die geschwungenen Linien mit Tusche zu verstärken. Die Figuren korrespondieren mit dem Geschehen auf dem Transparentpapier.

Und nun beginne ich diese Vorgehensweisen auf ein Pappmachefigürchen zu übertragen, das ich weiß grundiert habe. In warme Aquarelltöne lege ich die Haare, die am Wasser haften. Die Wasseransammlungen an ihren dünnen Körpern entlang, verstärke ich mit schwarzer Tusche. Letztlich könnte ich auch Handballenabdrücke, wie in den Buchmalereien, auf das Volumen platzieren.

„Grün fehlt!“

Durch die hohe Fensterfront tritt das Morgenlicht ein, passiert die Kräne der benachbarten Baustellen, die Bäume des Ateliergärtchens und die Pflanzen auf den Gesimsen, Tischen und Regalen. In diesem durchleuchteten Grün lassen sich tropische Blüten fotografieren.

Kurz zeichnete ich gestern noch auf Rolle 10 weiter, d.h. etwa 20 Zentimeter. Die Splitter ballen sich zu mittelgroßen Gebilden zusammen. Sie bilden Inseln aus Kanalgeflechten, schwarzen und weißen Feldern, die sich auf die finalen Figurenumrisse zu bewegen, die ihr Ende besiegeln und dem Spiel Einhalt gebieten werden.

Stockend entstanden die Buchmalereien, und immer noch schaue ich auf sie, als müsste ich daran weiterarbeiten. So füge ich noch eine zarte Schraffur lichten Olivgrüns hinzu, die ich mit etwas Wasser anlöse und mit der Zeigefingerkuppe noch an andere Stellen tupfe. Das verändert ganz unauffällig den Klang erheblich. Ich denke an den Satz von Monika Henrich, die nun schon ein paar Jahre tot ist: „Grün fehlt!“

Verlangsamung zum Ende hin

In der Nacht sorgte ich mich um den 120 jährigen Ahornbaum vor unseren Fenstern zur Allee hin. Vor und hinter ihm stehen temporäre Halteverbotsschilder, wie sie üblicherweise vor einer größeren Baumschnittaktion aufgestellt werden. Im vergangenen Jahr wurde auf der anderen Seite gegenüber eine große, gesunde, alte Platane gefällt. Durch die häufigen Blicke aus dem Fenster und auch durch das aufwendige Gießen im Sommer, bin ich verbunden mit diesen Bäumen. Jeder alte Baum, der fällt, ist mir ein Verlust.

Der Vormittag ging mit Einkäufen und Besorgungen vorüber. Unruhig saß ich im Wartezimmer meiner Hausärztin, wartete auf meine unterschriebene Bescheinigung, dass ich am Leben bin und dachte dabei über sein nahendes Ende und seine damit zusammenhängende Verlangsamung nach.

So fertigte ich meine Malereien am Nachmittag an und bilde mir ein, dass die unterschiedlichen Tageszeiten auch einen Einfluss auf ihre Gestalt haben. Die 7 Umrisse der Figuren vom Anfang der Rolle, zeichnete ich gestern noch einmal an ihr Ende…

Arbeitstage

Am gestrigen Sonnabendnachmittag bin ich nicht mehr ins Atelier gegangen. Vorher führte ich bis zum Mittag ein ausführliches Arbeitstagebuch. Die Unterscheidung zum Tagebuch ist die, dass es über die handschriftlichen Aufzeichnungen und die Buchmalereien hinausgeht. Der Text wird reduziert und in eine Datei geschrieben. In diesem Ordner landen auch die Scans und die Collagen, die dann im Blog mit den drei Textteilen zusammengefügt werden. In gewisser Weise wird das auch durch die Transparentpapierzeichnungen ergänzt, die ebenfalls datiert sind und zur selben Zeit in den Collagen landen.

Das alles zählt dann, nach meiner Definition, als vollständiger Arbeitstag, von denen ich im Jahr 2023 insgesamt 222 gefüllt habe. So können auch die Sonntage, wie dieser heute, zu Werktagen werden.

Nun ging ich auf Rolle 10 zu ihrem Anfang zurück, um zu schauen, womit ich sie im Mai 2022 begonnen hatte. Es handelt sich um 7 Figurenumrisse, mit Binnenzeichnungen, die entweder von Rolle 9 stammen und aber auch mit Strukturen gefüllt sind, die von den nachfolgenden Figurationen stammen. Nun werde ich sie noch einmal am Ende der Rolle einfügen und dann mit den Splitterkonglomeraten von jetzt konfrontieren, um dann mit Rolle 11 zu beginnen.

Linien durch die Tage

Schon am frühen Morgen hatte ich mir für die Buchmalereien wieder Figurenumrisse vorgenommen. Für die Geschichten, die innerhalb und zwischen den Malereien entstehen, sind sie ab und zu notwendig. Diese Arbeit ging heute nicht so flott von der Hand, wie an den ersten Tagen des Jahres.

Scheinbar ohne Unterbrechung ziehe ich Linien durch die Tage. Es sind Verkettungen von Strukturen, Tönen, Lichtwellen und davon ausgelöste Aggregatzustände der Seele. Übergänge von kristallinen Aneinanderreihungen auf Rolle 10 bis zu mehrgliedrigen Figurationen, hin zu Wasserfarbenschwemmen und Haarlocken in den Buchmalereien, die in den Collagen ein neues Spiel beginnen.

Das stetige Aufnehmen und Sortieren der vorausgegangenen Formen beim Durchzeichnen auf der oberen Rundung der Transparentpapierrolle, habe ich noch nicht unterbrochen. Ich will diesen Fluss noch nicht gegen eine andere Arbeitsweise tauschen. So oder so rückt das Ende der Rolle 10 näher, und dann ist die Chance da, dass ein neues Fließen aus dem was sich aufgestaut hat, entsteht.

Widerpart im Inneren

Die abgebrochenen Schwünge und Farben der Buchmalereien finden einen Widerpart im Befinden, Übereinstimmungen eher im Zeichnerischen: warten, zählen, verwerfen aber nicht ändern. Die fröhliche Farbigkeit erricht das Innere nicht.

In einer Pause flocht ich dünne Zweige der Weide im Gärtchen zu verschlungenen Kreisen, aus deren Biegungen wieder gerades Holz treibt, wenn die Geflechte nicht absterben, weil sie mit der Versorgung der Enden durcheinander kommen.

Gestern arbeitete ich lange an Rolle 10, ließ die Splitter fliegen, setzte sie wieder neu zusammen und färbte einige schwarz ein. Das ist der Weg zum Ende dieser Rolle hin. Die Dunkelheit wird zunehmen, keine Impulse mehr von außen, nur noch ein atmendes inneres Brodeln. Es ist auch eine Option vom End her zu arbeiten, rückwärts zu zeichnen mit Figurationen vom Anfang, um das Ganze abzurunden.

Auflösung und Neuformationen

Aus ein paar Tagen ohne Verabredungen ergibt sich oft eine etwas überhitzte Arbeitssituation. Sie führt dazu, dass ich zu lange im Atelier bin und durcharbeite. Vorbeugend versuche ich einen Gang zurück zu schalten.

Gestern richtete ich die Tagebuchordner für die Arbeit im neuen Jahr ein und zeichnete nach fast dreiwöchiger Pause wieder an Rolle 10 weiter. Dort setzte ich das Spiel der gleichzeitigen Auflösung und Neuformation der Strukturen fort. Dieser Prozess bildet auch Denkstrukturen nach, die ein angebotenes Arsenal an Formen immer wieder neu verknüpfen. Der Variantenreichtum der Fragmentierungen, Zusammenballungen, Verkettungen und Vereinzelungen soll möglichst weit ausgeschöpft werden.

Nun fügte ich diese Transparentpapierzeichnungen neben den Buchmalereien auch wieder in die Collagen ein, was bei der Weiterarbeit zu einer anderen Tiefe führt, denn die harten Kontraste der Federzeichnungen leuchten noch lange aus dem Untergrund hervor.

Änderungen erzeugen

Den Linien folgend, die die Feder auf dem Papier hinterlässt, frage ich mich, ob ich mit ihnen noch etwas für die Buchmalereien tun kann. Dabei bemerke ich die Veränderungen in meiner Handschrift, die auf den Zustand meiner rechten Hand und den dazugehörigen Armmuskeln zurückzuführen sind. Damit verändern sich auch die Zeichnungen, und falls diese sich auf das Denken auswirken, verändert es sich ebenfalls.

Wieder legte ich Haarlocken auf die parallel verlaufenden Gewindegravuren und tupfte Farben in die nassen Areale, vorzugsweise auf die Kreuzungen der Haarlinien. Das Nebeneinander der mechanischen Striche und der natürlich gelockten Schwünge, erzeugen eine Spannung in mir. Auch das Zusammentreffen der Handlinienstrukturen mit diesem Material bleibt spannend.

Wenn ich den Zeichnungen eine emotionale Tendenz gebe, sei es Trauer, Pessimismus, Sehnsucht oder Freude, Aufgeräumtheit und helles Strahlen, müsste sich mein eigener Zustand dadurch verändern lassen. Aber gelingt es mir, beispielsweise in den Buchmalereien, eine andere Stimmung zu erzeugen, als die, von der ich gerade ergriffen bin? Und wenn ja, hat sie die Intensität einer Wirkung auf mich?

Klarspülen

Statt des neuen Filmes von Wim Wenders, das Kino war uns zu voll, sahen wir die ausufernden Videoinstallationen von John Akomfrah in der Schirn Kunsthalle. Das mehrheitsfähige Designmaterial löste in mir eine Skepsis aus. Leicht durchschaubare Kombinationen von jeweils 3 Projektionen aus Dokumentararchiven. Davon gibt es 3 Triptychen, von denen wir 2 gesehen haben, mit den Themen: – Ein Schwarzer kommt in die weiße Mehrheitsgesellschaft- und – Die Ausbeutung der Meere-. Leider nichts Neues, aber viel Archivbombast.

Mein verklebtes Hirn versuchte ich am Morgen klarzuspülen. Ich schichtete Lagen unterschiedlicher Techniken so lange übereinander, bis ein dichter, tiefer Raum entstand. Diese Form der Bildproduktion verschafft mir einen sicheren Stand.

In der dritten Malerei legten sich eine Gravur der Gewindegänge der Schraube aus Kaza im weißen Blatt, kreisende farbige Linien, die mehrfach übereinander gestapelt, den Untergrund für die nassen Haare bildeten, deren Bögen mit Wasserfarben auf dem Papier verstärkt wurden. Am Schluss setzte ich noch einmal Gravuren des Gewindes über verwischte Areale des Zentrums und schraffierte sie leicht mit Indigo, um sie sichtbarer in den Vordergrund zu rücken.

Plan übererfüllt

Von den Schwüngen der Haare ausgehend, die ich mit Wasserfarben und Pinseln, auf dem Papier schwimmend fixiere, sie aber auch herum schieben kann, fand ich heute die Gegenparts der Linien und Gravuren für die Kompositionen der Buchmalereien. Farblich klingen sie gedämpft und Umrisslinien spielen eine marginale Rolle.

Nach den vielen Familienzusammenkünften muss ich mich erst wieder an die Stille des Ateliers gewöhnen. Außerdem greift eine Müdigkeit nach mir, die Faulheit und geistige Trägheit begünstigt, wie sie „zwischen den Jahren“ nicht ungewöhnlich sind. Am Nachmittag sollte ich mich aber noch mit einem Bericht über die Arbeit mit den Schülern befassen und die ganzen Buchmalereien scannen, die ich während der Feiertage angefertigt habe.

Für mich ist heute der 221. Arbeitstag des Jahres. Somit habe ich den Plan übererfüllt. Es bleibt aber der Ehrgeiz, morgen noch einen hinzuzufügen, damit die endgültige Zahl aus drei Zweien besteht.

Vergegenständlichung

In der Ruhe des Morgens führt Bewegung in die Malerei. Oder wie soll ich das nennen, was mein erster Arbeitsschritt des Tages mit ist? Was ist das, was ich mit einer Schraube, einer hölzernen Nadel, mit Haaren und auch mit Farben mache? Aus den Kreuzschraffuren entstehen die Strahlen dunkler Sterne.

Die Klarheit der Kunst der Fuge wird von einem Streicherensemble aufgelöst in vielfach schwingendes Material. Ich versuche die Schallwellen in Lichtwellen zu verwandeln, die den optischen Raum aufbrechen. Dann lösen sich die Schwingungen der gemalten Szenen. Die Sterne beginnen zu vibrieren und schicken ihre Strahlen zu den lichten Schwüngen der Haarlocken. Es beginnen die Vorgänge des Anziehens und Abstoßens, die die Frage nach dem formulieren, was jenseits der Gravitation existiert.

Ich nahm einen Klumpen weichen Pappmachés in die Hand und drückte ihn zusammen. Daraus entstand ein Figürchen, das ich trocknete und weiß grundierte. Nun könnte es mit Attributen versehen und zeichnerisch vergegenständlicht werden. Die Schüler bekamen gestern eine Rolle Transparentpapier, von der sie sich Streifen abschnitten und sie einmal zusammenfalteten. Dann träufelten sie etwas Tusche und Schellack auf eine Seite, falteten und pressten beide Seiten zusammen, damit Verläufe entstanden. Diese beobachtend suchten sie nach Gegenständen oder Figuren, die dann mit Bleistift oder Tusche verdeutlicht wurden. Eine Reihe von 25 Formaten entstand.

Reaktionswärme

In der Feiningerausstellung, die wir gestern in der Schirn Kunsthalle sahen, wurde mir seine enge Beziehung zur Musik, insbesondere zur Fuge erstmalig klar. Und seine strengen Kompositionen, die wenig Spontanes haben, spiegeln das auch wieder. Viele andere Facetten seines Werkes waren mir zwar nicht neu, rückten aber näher, so dass ich Lust zu Malen bekam. In den letzten Jahren seines Lebens fertigte er kleine aquarellierte Zeichnungen an, die im Format meinen Buchmalereien ähneln.

Mein Thema an diesem Morgen war das Zusammenspiel von Aquarell, Haarlocken, Gravuren und Schraffuren. Die Schwünge, die von den Haaren markiert werden, lassen sich nur bedingt steuern. Manchmal färbe ich sie schon vorher ein und manchmal lege ich sie nass in eine Schraffur, die ich vorher mit einem oder mehreren Aquarellstiften gemacht habe. Dann verstärke ich bestimmte Areale mit intensiven Farben.

Die Erzählung beginnt, wenn ich andere Elemente hinzuzeichne, die im Raum schwebend eine Verbindung eingehen wollen. Auch mehr oder minder geerdete Figuren bieten ihre Energie für einen symbiotischen Austausch. Diese Durchmischungen erzeugen eine Kraft, die dann zwischen den Buchseiten eingeschlossen ist. Am nächsten Morgen versuche ich einen Teil davon wieder aufzunehmen und gebe die „Reaktionswärme“ der neuen Malereien an die digitalen Collagen weiter.

218

Am Morgen konnte ich mich über die entstandenen Buchmalereien freuen. Wenn ich mich mit der geschichteten Dichte zurückhalte, entstehen klarer geordnete Bilder. Diese Arbeitsweise gab es schon manchmal in den letzten zwanzig Jahren, sie hat sich aber in den letzten Tagen wieder neu etabliert.

Die ersten Arbeitstagebucheinträge, die ich im Netz gemacht habe, entstanden im Jahr 2011. Seither hat sich diese Arbeit verändert und vor allem intensiviert. Heute ist dies der 218. Eintrag dieses Jahres und somit sind in dieser Zeit 654 Collagen entstanden. Sie bebildern die alltägliche Suche.

654

Am Nachmittag wollen wir eine Feiningerausstellung in der Schirn besuchen, denn es ist Hochzeitstag. Ich werde also am Nachmittag nicht mehr arbeiten. Morgen kommen die Schüler noch einmal und dann kann es Weihnachten werden.

Modellieren

Gestern in den Läden der kleineren Einkaufsstraßen der Stadt und in den S-Bahnen, den U-Bahnen dazwischen, verdichteten sich im Gedränge die vielen Gesichter der Bewohner der Stadt zu einer zähen Masse. In der Erinnerung kann ich sie formen, wie das halbtrockene Pappmaché aus dem man Figuren modellieren kann.

Wieder versuchte ich, was mir nicht ganz gelang, mich mit der Verdichtung der Buchmalereien zurückzuhalten. Ich schaue zurück in das Jahr 2009, lese was ich schrieb und schaue mir die Figuren an, die ich in das Tagebuch zeichnete. Das soll mir helfen, mein Denken zu ordnen, in die Zusammenhänge der fortlaufenden Aufzeichnungen einzufügen.

Manchmal gehe ich auch hinaus und schaue auf die Großbaustelle. Die Kräne stehen gerade still. Aber über dem frischen Beton wuseln die Arbeiter und messen die Ingenieure. Es sieht so aus als arbeiteten sie in getrennten Welten. Über allem schwebt ein trüber Himmel. Nach der Schreibpause, wenn ich versuche meine Gedanken wieder zu finden, kehre ich manchmal zum Geschehen in den Malereien, die gerade entstanden sind, zurück. Im Zusammenspiel der Linienbewegungen und dem Klang der Farben finde ich Experimente, die zu Schwebezuständen unbewussten Daseins führen. Dennoch entwickeln sich darin zumeist auch Geschichten.

Mehr Raum

Im Historischen Museum sahen wir gestern eine Ausstellung mit Fotografien von Barbara Klemm. Es ging in den Bildern einzig um Frankfurt. Und wir merkten, dass wir nun schon fast 30 Jahre in dieser Stadt sind.

Die Buchmalereien des Morgens waren eher ein Experiment dessen, was ich alles weglassen kann. Ich habe oft das Gefühl, zu viel zu machen. Dann kann es passieren, dass sich die Dichte der Strukturen gegenseitig aufhebt. Bleibe ich aber bei einer sparsameren Begegnung verschiedener Mittel, wird die Suche deutlicher. In der dritten Malerei kombinierte ich eine schraffierte Gravur eines Schraubengewindes aus Kaza mit Haaren und Wasser. Allem ließ ich etwas mehr Raum. Manchmal entsteht durch die Intensität der Schichtungen eine Enge, die an die Einteilung eines vollen Tages erinnert.

Nun habe ich beschlossen, Rolle 10 in diesem Jahr nicht mehr fertig zu zeichnen. Mit etwas mehr Zeit sollte die Arbeit ruhiger zum Ende kommen. Vom Humboldt Forum kamen Informationen zum Theaterspektakel „Stein auf Stein“. Die Zielsetzung des Projektes ist meinen Intentionen zunächst nicht sehr nahe.

Bewegung der Musik

In der Nachmittagsdämmerung im Atelier steuert die Bewegung der Musik, es sind Choräle von Bach, die Buchmalereien. Im Netz suche ich nach Bearbeitungen dieser Kompositionen für andere Instrumente, um das Material weiter zu fassen und vielleicht tiefer ausloten zu können.

In den Kammerspielen des Schauspiels sahen wir „BILDER DEINER GROSSEN LIEBE“, nach Wolfgang Herrndorf. Auch dieser Abend hatte dieses Schweben, von dem ich gestern schrieb. Konkrete Videobilder trafen auf Textlesungen und zart gespielten Szenen. Ein Stück wurde dadurch mein Glauben an die Möglichkeiten, das gegenwärtige Theater als ernsthafte Kunst zu betreiben, wiedergewonnen.

Ich denke an Sinas Bericht über die Arbeit mit den Schülern zum Thema „Fallen“. Sie bauen Installationen, die sie dann einreißen, das auf Video aufnehmen und sprachlich reflektieren. Dann erst im zweiten Teil dieser YOU&EYE Saison kommt es zum Schreiben. Ein sehr schöner, vielschichtiger Ansatz, wie ich finde!

In der Schwebe

Im Anna Freud Institut fand vorhin die erste Zusammenkunft der YOU&EYE Künstler der 6. Saison statt. Die Künstlerinnen erzählten von Ihren Projekten, die immer mehr Experimenten ähneln, in denen sie Fragestellungen ihrer eigenen Arbeit erörtern. Das, finde ich, ist eine sehr gute Entwicklung.

Meine Schüler, es handelt sich um 7 Jungs und ein Mädchen, bemalten gestern ihre kleinen, seriell abgeformten Reliefs und arbeiteten an der Aushöhlung des Baumstammes weiter, die einst der „Müttermantel“ werden soll, in dessen stehende schwere Hülle man eintreten und ihn mit den Schultern anheben kann, wenn man es schafft.

Als sie weg waren zeichnete ich an der abstrakten Erzählung auf Rolle 10 weiter. Dort tanzen Splitter der vergangenen, gezeichneten Zeit in einem Vakuum, und die Gravitation unterschiedlicher Systeme halten sie in der Schwebe. Auch ich befinde mich zwischen den Bewegungen meines Körpers, der Musik der Kunst der Fuge und den Buchmalereien in Raum gehalten. Erstmalig vermischte ich die schraffierten Papiergravuren und Haarlockenspuren übereinander. Auch ein schwebendes System.

Schichten, Wucherungen, Umrisse

Zu meinen derzeitigen Lektüren gehört „Die Wahrheiten meiner Mutter“ von Vigdis Hjorth. Die Protagonistin des Romans ist eine Malerin, die sich ganz von allem trennen musste, um ihren Wusch, Künstlerin zu werden, gegen die Familie durchzusetzen. Dabei laufen mir Formen der Konflikte über den Weg, die aus meiner Geschichte stammen könnten. Glückversprechungen und Bedrohungen eines solchen Vorhabens erreichen so große Amplituden, dass die Entscheidung, ernsthaft sein Leben so zu verbringen, im kleinbürgerlichen Milieu als unverantwortlich bewertet wird.

Die violetten Haarstrukturen aus der dritten Malerei des Morgens, konnte ich erstmalig per Abdruck mit der feuchten Zeigefingerkuppe in die anderen Malereien übertragen. Es entstanden feine, lückenhafte Lockenlinien. Krakelige Gravurstrukturen überlagerte ich mit Tuschfedergesträuchen. Die Wucherungen wachsen aber oft in feste Umrisse von Möbel-, Figuren und Architekturfragmenten. Abdrücke der Fingerkuppen muten mitunter auch an, wie Röntgenaufnahmen vom Innenleben der, aus den Strukturen wachsenden Körpern.

Auf Rolle 10 zeichnete ich wieder Verdichtungen, setzte die Scherben neu zusammen, aus den vage durchscheinenden Linien weiter unten / hinten liegender Schichten. Schwarze Felder entstehen und gleichzeitig der Wunsch, alles wieder zu zersplittern. So geht es hin und her.

Das Gespräch endet

Die Vielzahl der Informationen zu einem Geschehnis, dessen Grund, Verlauf und Ergebnis nicht nur unterschiedlich interpretiert, sondern auch faktisch verschieden wahrgenommen wird, zersplittert den Zusammenhalt der Gesellschaften. Und insofern ich mich deswegen nicht mehr als gesellschaftliches Wesen begreife, fehlen mir die Gründe für eine Auseinandersetzung mit denen, deren Überzeugungen auf anderen Wahrheiten beruhen, als auf meinen. Das Gespräch endet.

Einzig in den Arbeitstagebüchern komme ich derzeit zum Fortschreiben von Beschäftigungslinien. Aber was gibt es dort zu entwickeln? Gehe ich von der ersten künstlerischen Bewegung des Tages, den Buchmalereien aus, so könnte ich an den entstandenen Strukturen einen produktiven Zusammenhang zwischen Bewegung und Gedächtnis ablesen.

Die fließenden Farbstrukturen aus Wasser, Pigment und Haaren, verhalten sich zu den Schraffuren, Gravuren und Verwischungen, wie Botschaften aus einer anderen Welt. Und es ist die Frage, ob diese unterschiedlichen Gestaltungsmuster gewinnbringend miteinander interagieren, sodass ein neuer Sinn entstehen kann.

Frankfurt

Nach einer Fahrt nach Thüringen ist etwas Zeit nötig, um mich wieder einzuordnen. Wenn auf der Rückfahrt Frankfurt in Sicht kommt, meinst sind es seine Lichter unter einem Abendhimmel, wird mir leichter. In die andere Richtung durch die Wetterau, die Röhnausläufer und schließlich in die Thüringer Berge, ist es eine wellenförmige Bewegung in die Vergangenheit. Von der Autobahn geht es dann durch gedrungene Dörfer mit hockenden Kirchtürmen, durch die, wie ewig erscheinenden, bedrückenden Maßverhältnisse.

Am vergangenen Sonntag folgten wir mit Kerzen einem Aufruf der Frankfurter Kultureinrichtungen an das Mainufer, um eine Lichterkette gegen Antisemitismus zu bilden. Weil zu befürchten war, dass zu wenig Menschen kommen und somit die Aktion nach hinten losgehen würde, war ich erleichtert, dass es das Gegenteil der Fall war. Und so hatten wir ein schönes, ermutigendes Erlebnis in dieser Stadt.

Der helle Morgen hat sich in einen trüben Tag verwandelt. Am Nachmittag gibt es ein digitales Meeting mit den YOU&EYE Akteuren. Ist mir ganz recht, im Atelier sitzen bleiben zu können. Spannend ist, dass ein paar neue Gesichter dabei sind, aber auch die, die schon von Anfang an dabei sind, sehe ich gerne wieder.

Baum pflanzen

Auf der Wiese in Richtung Bahndamm begann ich ein Loch in den Schotter unter dem zwanzig Jahre alten Schichtenmaterial aus Erde, Sand und Pflanzenwurzeln zu graben. Es stellte sich ein Hackrhythmus gepaart mit der Neugier ein, was wohl als nächste Schicht zum Vorschein kommt. Dort möchte ich den Feigenbaum einpflanzen, der ein Geschenk meines Nachbarn Gerhard ist.

Die sonntäglichen Buchmalereien begannen heute etwas anders. Die Aquarellfarben aus meinem Blechkasten und die Nutzung von schwarzer Tusche, waren in der Kombination selten in der letzten Zeit. Sprachlich wollte ich eine ältere Haltung wieder finden und blätterte dazu in einem Materialienbuch von und über Heiner Müller und legte es enttäuscht wieder beiseite.

Mir kommen die Bohrkerne in den Sinn, die bei Bodenuntersuchungen emporgehoben und in längliche Kästen gelegt worden sind. Unter einer dicken Schwemmsandschicht kam Lehm, von dem ich noch etwas in einem Eimer aufgehoben habe. Damit wollte ich etwas formen, vielleicht eine kleine Figur. Die Gebäude, die in der Nachbarschaft entstehen, sind riesige Klötze, die mir die Sonne nehmen werden. Ich schrumpfe dabei und ziehe mich zurück in die Kleinheit der Formate.

Serielles Wachstum

Von Bach stieg ich gerade auf Techno um. Es geht mir um den Fluss der Musik, um die Illusion des Unaufhörlichen, der nicht enden wollenden Bewegungen des Tanzes und des Lichts. Währenddessen möchte ich in den langsam verändernden Rhythmen und Sounds in eine Meditation fallen, wie während der Buchmalerei, nur mit größeren Bewegungen des ganzen Körpers.

Mit den Schülern begann ich serielle Prinzipien auszuprobieren. Wir könnten oben im alten Holzlager tanzend Papierbahnen bearbeiten, die am Boden ausgerollt sind. Das ist etwas aufwendig, weil ich Malstöcke basteln muss, in die wie Pinsel oder Graphitstifte stecken können. Oder vielleicht sollten sie das selber herstellen!

Aus Rolle 10 zeichnete ich die Fortführung des Wachstums der Scherben. Sie vervollständigen sich zu größeren Flächen, die ich dann wieder neu zersplittern kann. Ich weiß mal wieder nicht, wo das hinführen wird. Aber deswegen mache ich es ja, um das herauszubekommen.

Hingabe und Glück

Das regelmäßige Arbeiten, fast immer in der gleichen Reihenfolge – Buchmalereien, handschriftlicher Text, digitale Collagen und Textdatei für den Blog – führen zur Stabilisierung meines Alltags. Das ist nicht neu. Aber führt es auch zu der Ausgeglichenheit, die man Glück nennen kann? Ich glaube, dass das, was man Hingabe heißt, einen großen Teil des Glücksempfindens ausmacht.

An jedem Morgen, an dem ich mich in meine Buchmalereien versenke, begebe ich so tief in dieses Tun, die Beziehungen der Farben, Strukturen und Volumina betreffend, dass mich kaum etwas von außen kommendes ablenken kann. Dieses Glück der Hingabe hält während des Malens an.

Das Schreiben ist eine andere Sache – bis jetzt jedenfalls. Dort wünschte ich mir auch diese Direktheit des Aufgehens in diesen Vorgang. Dem steht aber die Reflektion entgegen, die es bei der Malerei nicht in dieser Form gibt. Würde ich mich beim Schreiben auch ganz fallen lassen können, in begriffliche Assoziationen, die sich wie der Fluss der Musik aneinander reihen, hätte das mehr mit Gedichten zutun, wie ich sie als junger Mensch geschrieben habe.

Rettung durch Produktion

Etwas Musik von Bach hilft mir an diesem Morgen, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Habe nicht die Goldbergvariationen angeschaltet, sondern Orchesterstücke und mir einen Kaffee gemacht.

In den Buchmalereien treten großköpfige Umrisse barocker Figuren auf. In Gedanken bin ich aber schon wieder bei Rolle 10 und ihren Rückgriffen. Irgendwann zeichnete ich Fragmente des Pergamonaltars auf eine der älteren Rollen. Das ist die Erinnerung meiner Besuche des Museums in Uniform. Die Frage nach dem Grund, gerade jetzt diese Bilder wieder aufzurufen, beantworte ich, indem ich sie zersplittere, neu zusammensetze und schaue, was dabei herauskommt.

Während ich gestern Henning, der aus Hamburg angereist war, meine Arbeit zeigte, dachte ich, ob eine Pause gut wäre. Am Nachmittag kommen die Schüler. Der Tod meines Vaters vor einem guten Monat, der Herzinfarkt meiner Mutter vor ein paar Tagen und während dessen die laufende Produktion… Diese aber rettet mich auch!

Reduktion

Gestern führte ich die Arbeit auf das Ende von Rolle 10 fort. Dafür sind Zeichnungen entstanden, die Splitter der vorausgegangenen Strukturen zeigen. Mich erinnert das an das „Scherbengericht“ des Väterprojektes. Diesmal aber sollen die Scherben im Verlauf der letzten Meter, wellenförmig verdichtet und dann wieder ausgedünnt werden.

In den Collagen trafen diese Scherben auf die etwas schwächlichen Buchmalereien von heute, die meine Energie dokumentieren. Gleichzeitig belebt das Collagieren und hebt die Arbeit durch die Schichtungen auf einen anderen Level.

Am Nachmittag kommt Henning zu Besuch ins Atelier. In Hamburg erzählte ich ihm von meiner Arbeit und dem Vorhaben im Humboldt Forum. Das Interessiert ihn so, dass er sich das alles anschauen möchte. In diesem Zusammenhang geistert immer noch die Vorstellung in meinem Kopf herum, dass ich mit den Entwesungskammern, den Prozessen, die da in den Katakomben des Stadtschlosses stattfinden, eine neue, zusätzliche Arbeitsweise entwickeln kann. Es geht dabei um Reduktion.

Arbeitsrichtung

Vielleicht sollte man viel konsequenter auf den Tod hin leben, ihn wie die Ägypter als Projekt begreifen, seine Produktion darauf hin ausrichten, sie immer wieder auflösen. So kann ich nun mit Rolle 10 umgehen, die letzten Meter in das Nichts führen.

In der zweiten Buchmalerei reihen sich die Figuren wie eine Abfolge von Toden aneinander. Jede hat ihre eigene Form, geht aber unerbittlich nach rechts ab von der Bühne. Die helfende Begleiterin meiner Mutter aus ihrer Nachbarschaft, berichtete mir gerade, dass sie am Morgen dafür gesorgt hat, dass sie schwach und mit Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert wurde…

Nun beginnt mir mein Vater zu fehlen. Ich würde ihn gerne anrufen. Das ist die Trauer. Die Unfähigkeit über sie zu reden, beschrieb gestern der Schauspieler Edgar Selge in einem Fernsehinterview. Er meinte, dass sich diese Unfähigkeit von seiner Familie auch auf ihn übertragen hat. Daher rühre sein bisheriges Schweigen zum Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel.

Gräber

Auf dem Hauptfriedhof besuchten wir gestern Heike und Pietro. Sein Grab mussten wir eine Weile suchen und trafen auf die fremden Totenhäuser der Roma. Ihren ausgestellten Reichtum, gepaart mit einer speziellen eigenen Alltagsästhetik beginne ich gleich aus meiner gestalterischen Perspektive zu bewerten. Unweit sehe ich die Grabsteine von Siegfried Unseld mit dem schönen Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse. Ihnen fühle ich mich nah.

Nach dem Friedhofsbesuch waren wir bei C. eingeladen. Sie erzählte kurz von einem Seminar zum Thema deutsch-jüdische Erinnerungskultur. Darüber hätte ich gerne mehr erfahren, aber die Gespräche flogen in andere Richtungen. Ich scannte heute Rolle 10 und wollte dabei den Prozess des Überschreibens deutlich machen. Er soll die Arbeitsschichten des Übersetzens auf zeichnerische Weise sichtbar machen.

Am Rande meiner Beschäftigungen beginnt mich die so genannte künstliche Intelligenz zu interessieren. Dabei probierte ich Bildgeneratoren mit mäßigem Erfolg. Auch die Entwesung eines Textes gelang mir nicht. Ich würde das gerne mit dem über das Porzellanrelief machen, der sich auf der Website des Humboldt Forums befindet. Das würde heißen, alles sichtbare Leben zu tilgen.

Theatral

Seit Vorgestern atmen die Buchmalereien in einem etwas anderen Rhythmus. Das ist kein radikaler Schnitt, sondern wieder eine langsam verändernde Bewegung. Am 29.11. hatten die Strukturen noch diese krampfartige Strenge, die von den Belastungen der rechten Hand herrühren mag.

Gestern, als wir die Premiere von „Sonne/Luft“ von Elfriede Jelinek sahen, wollte ich mal wieder allem Theatralen abschwören. Ich hatte das Gefühl, dass die Szenerie den Textblock nicht so unterstützt, dass er erweitert wird. Die Dramaturgie machte mir es nicht leichter dranzubleiben.

Manchmal traue ich nur noch der konzentrierten abstrakten Bildenden Kunst über den Weg. Ab einem bestimmten Grad der Verdichtung gibt es einfach kein „Vertun“ mehr. Dann sitzt einfach jeder Strich. In diesem Zusammenhang bin ich interessiert, das Thema „Stasi DADA/ Entgoldung“ im performatorischen Sinn weiter zu entwickeln. Meine Aussage in Berlin im Humboldt Forum, dass ich am Ende von Rolle 10 von dem Thema genug habe, stimmt also so nicht ganz!

Schwere

Der morgendliche Gang zum Atelier war schwungvoll. Die Allee schien offener und heller. Ich schaue freundlich in die Welt und so schaut sie auch zurück. Die Schwere, die auf meinen Schultern war, als hätte ich meinen Vater die ganze Zeit auf ihnen getragen, ist fort.

In einem Traum wollte ich einer großen Frau begeistert meine Arbeit mit den Kindern zeigen. Aber die Tür zu einem Flur, von dem aus man das Atelier erreicht, war nur schwer zu öffnen. Als ich es geschafft hatte, war die Frau schon weg.

Gestern waren die Kinder hier im Atelier. Sie legten Blätter kreuz und quer auf die Kraftfeldform und stellten Frottagen der Linien des Reliefs so her, dass dichte Gesträuche entstanden. Dann sahen sie sich die Blätter genauer an, um Figuren oder Gegenstände in den Labyrinthen zu entdecken. Jedes fertigte mehrere Blätter an, wobei sehr expressive aber auch ganz zarte Formen entstanden. Dann suchten sie sich einzelne Felder aus, die sie mit Pappmaché ausfüllten. Diese Umrisse werden wir aus Pappe mehrfach ausschneiden, sie einweichen und in verschiedene Stellen der Kraftfeldform pressen. Wir befinden uns auf einer Expedition in eine Landschaft deren Sinn und Form wir entdecken wollen.

Noblesse / Verformung

Die Arbeit an Rolle 10 habe ich vorerst unterbrochen. Morgen transportiere ich sie nach Berlin in das Humboldt Forum, wo sie fotografiert werden soll. Ich schätze, dass ich sie dann noch in diesem Jahr fertig zeichnen werde. Dann hoffe ich, meine Konzentration wieder auf etwas anderes lenken zu können.

Auf das Gespräch über dem Umgang mit dem Klarnamen von meinem IM „Lutz Lange“, bin ich gespannt. Das Verschweigen der Stasivorwürfe an meinen Mentor, der mir anscheinend, wenn man die Tonbandprotokolle genau und zwischen den Zeilen liest, durch seine Überwachung nicht schaden wollte, könnte man einerseits als Noblesse auslegen. Andererseits kann man auch sagen, dass so die Vergangenheit verformt wird.

Nachdem gestern das vollständige Arbeitstagebuch des 200. Ateliertages erledigt war, kümmerte ich mich um meine Topfpflanzen, die langsam aber sicher, wegen der kälter werdenden Nächte, ins Atelier müssen. Über Leitern transportierte ich sie auf die oberen Gesimse und Regale vor der Fensterfront. Fast alle Goethepflanzen stopfte ich in einen länglichen Baubottich, wo sie weiter aneinander empor wuchern können. Nun gleicht das Atelier wieder einem Wintergarten.

Zahlenformalität

In der vergangenen Woche habe ich etwas zu viel konzentriert gezeichnet. Daraus entwickelte sich ein leichter Widerwillen den Buchmalereien und den Arbeitstagebuchtexten gegenüber. Heute ist außerdem mein zweihundertster Ateliertag mit seinen regelmäßigen Abläufen. Eine Zahlenformalität, von deren Abhängigkeit ich mich gerne entfernen würde.

Zahlenabhängigkeiten scheinen sich auch auf der Werbepostkarte der Gebrüder Fitzner aus Breslau niederzuschlagen. Akribisch listen die Schreiner die Arbeitsstunden und den Materialverbrauch auf, den das Modell des Breslauer Domes, das sich auf einem Plattenwagen über die deutschen Landstraßen zogen, kostete. Dieser Großvater hat mir Spuren seiner Eigenart vererbt.

Collage 600 in 2023

Die Malereien des Morgens sind wieder geprägt vom Hineinhören in den eigenen Körper. Immer öfter verkrampft sich die rechte Hand bei zeichnerischen Anstrengungen. Das wird teilweise auf dem Papier sichtbar. Solche Strukturen korrespondieren aber schon seit einiger Zeit mit der sich nach innen krümmenden Hand.

Nach innen gerichtet

In der Publikation zur Ausstellung „Der Palast der Republik ist Gegenwart“, wird die Nennung des Klarnamen meines IM in eleganter Weise gemieden. Dennoch bleibt der Hinweis auf die Inspiration durch das Porzellanrelief ein deutliches Zeichen.

Gestern scannte ich die letzten 60 cm, die ich auf Rolle 10 gezeichnet habe. Mit diesem Material und den wilden Buchmalereien des Morgens, stellte ich drei Digitalcollagen her. Heute arbeitete ich etwas ruhiger, sah genauer hin und machte weniger. Auch der stockende Fluss der Tinte zwingt mich zu langsamerem Schreiben. Indem ich es beobachte, folge ich einer Spur nach innen. Ähnlich ist es beim Zeichnen auf der Transparentpapierrolle, das oft auch wie Schrift funktioniert. Die Begegnungen der Linien aus verschiedenen Zusammenhängen werden dort fortgeschrieben.

Manchmal bekomme ich während der Arbeit einen Krampf in meinen rechten Arm, der sich bis in die Hand fortsetzt. Durch die Verkürzung der Sehnen krümmt sie sich zusammen. Das ähnelt den Schraffurgesträuchen in den Buchmalereien, die auf der Höhe des Herzens auf dem Zeichentisch entstehen und nach innen weisen.

Schüler, Rolle 10, Stasi DADA / Entgoldung

Die neue Schülergruppe formte gestern unabsichtlich, aus der Kraftfeldform ein Yak ab. Mir scheinen diese Zufälle eine Richtung der Arbeit mit den Kindern vorzugeben, eine neue Herangehensweise an die Rekonstruktion der Reliefs. Während der Arbeit sprachen wir darüber, welche Motive alle noch in dem Terrain der Form versteckt sind, das wir gemeinsam erforschen.

Auf Rolle 10 bin ich ein gutes Stück weitergekommen. In Zahlen ausgedrückt, sind es in dieser Woche bisher 60 Zentimeter. Aber ich möchte nach der doppelten Spiegelung des Buchmalereiumrisses, innerhalb dessen sich die Durchzeichnungen des vorangegangenen Materials kontinuierlich fortsetzen, nun die Zwischenräume der Figureninseln in den Mittelpunkt stellen. Es sind wenige mit größeren Abständen zueinander. Das kommt meiner Idee der finalen Auflösung der Bilder, am Ende der Rolle, durch auseinanderdriften der Motive entgegen.

Für das Auslaufen der Beschäftigung mit „Stasi DADA / Entgoldung“, möchte ich noch einmal die unterschiedlichen Perspektiven einnehmen aus denen die Geschehnisse meiner Überwachung erinnert werden können. Da gibt es auf der einen Seite die Tonbandprotokolle meines IM „Lutz Lange“, zu dessen Sprecher ich mich selbst mache, um in seine Welt einzutauchen. Auf der anderen Seite gibt es meine Tagebuchaufzeichnungen, die die gleichen Situationen, in denen ich mich mit Heinz Werner getroffen habe, beschreiben. Das erzeugt ein plastisches Erinnerungsbild.

Zeichnend erinnern

Das Pendeln zwischen dem Zeichentisch zu Hause und dem Atelier zersiedelt mich etwas. Selbst auf der Transparentpapierrolle wird das sichtbar, denn Hier zu Hause benutze ich eine andere Feder, die einen satteren Strich produziert, als die an meinem eigentlichen Arbeitsplatz. Das führt aber zu einer gewissen Dynamik innerhalb der gezeichneten Strukturen.

In der kommenden Woche bringe ich Rolle 10 nach Berlin, wo sie für eine Publikation des Humboldt Forums fotografiert werden soll. Ich plädiere dafür, sie stehend zu zeigen, weil das vielfältige Beleuchtung zulässt. Außerdem, kann so, in mäandernder Weise, mehr von dem 50 Meter langen Streifen gezeigt werden. Das verdeutlicht besser, in welcher Weise ich mich arbeitend erinnerte.

Heute kommen wieder Schüler zu mir. Der Tag ist dadurch anders eingeteilt, wodurch ich das Gefühl habe, dass mich dieser Vorgang den ganzen Tag irgendwie beschäftigt. Die Kinder sind mir aber auch wichtig. Wir werden Pappmaché herstellen und gemeinsam ein Relief abformen. Die letzte Gruppe hat unbeabsichtigt einen Fisch gestaltet.

Kopfstehend und seitenverkehrt

Gestern Abend hatte ich Besuch von einer Kunstinteressenten-Gruppe, geführt von Vinzenz innerhalb eines Volkshochschulkurses. Mein Versuch, anhand der Projekte meine Arbeitsweise zu verdeutlichen, wurde mit Neugier und netten Gesprächen belohnt. Solche Termine bilden eine Gelegenheit, unausgesprochene Vorgänge zu durchleuchten und ihren Sinn mit Worten zu klären.

Den Umriss der 2. Malerei von gestern zeichnete ich im Atelier kopfstehend und seitenverkehrt auf Rolle 10. Die folgende Überlegung, ihn noch einmal richtig herum im Anschluss zu wiederholen, zielt auf einen neuen Aspekt der repetierenden Arbeit an der Transparentpapierrolle. An einer Stelle erweiterte ich den größten der 4 Umrisse um einen hervorstehenden, barocken Möbelfuß aus der Berliner Stadtlandschaft. Zwischen den Küstenlinien der 4 Umrissinseln, bilden sich manchmal neue Figuren, wie in den Buchmalereien.

In denen versuchte ich heute noch einmal die nach innen gerichtete Struktur mit den anderen Elementen zusammenzubringen. Der Startpunkt liegt im 3. Format, von wo aus dann die Handballenabdrücke zu den anderen beiden Malereien wanderten. Dann tauchte in 2 eine Linienformation auf, die an jene erinnert, die ich in Tabo in mein Skizzenbuch abgezeichnet habe. Mit der Fortführung dieser Linienorganisation will ich mich den alten Malern weiter annähern.

Raumschaffend

Zu Hause am Zeichentisch, während ich in die Arbeit zurückfinde, geht mein Blick auf die herbstliche Allee. Unterschiedliche Durchlässigkeiten bieten dem Auge abwechslungsreiche Räume. Neben kompaktem Laub oder Baumstämmen öffnen sich Durchblicke, die erst vom Regenvorhang, weit hinten, abgeschlossen werden.

Die Zeichenprozesse auf den Transparentpapierrollen führen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Die Schichten des zusammengerollten Papiers erzeugen eine neblige Tiefe hintereinander gestaffelter Ebenen. Ganz hinten, kaum noch zu erkennen, befinden sich die Zeichnungen, die vor einer Woche entstanden sind.

Solche Vorgänge finden sich auch bei den Buchmalereien, wo sich verwischte Transparenzen mit durchscheinenden Schraffuren, Papiergravuren und Handballenabdrücken, mit mit kompakten Balken, Architekturelementen und vielen übereinandergelegten Farbschichten begegnen. An vielen Stellen bleibt die Sicht bis auf das weiße Papier frei. Und diese Prozesse werden in den digitalen Collagen noch verstärkt. Dort spielen die dunklen, transparenten Areale die raumschaffende Rolle.

Zufälle

In mir versuche ich über Körper- und Denkstrukturen nachzuforschen. Beides schlägt sich in den Buchmalereien nieder und verbindet sich dort zu dem, was hoffentlich keine künstliche Intelligenz hervorbringen kann. Nun werden mir die Irrtümer, Fehler und daraus entstehende Zufälligkeiten wichtiger. Fettige Fingerabdrücke, verwischte Tuschlinien und zittrige, unsichere Linien, Kompositionsfehler, Ungleichgewichte und Farbkombinationen, die Unwohlsein hervorrufen, suche ich, um zu erkennen, wie Motorik und Synapsen zusammenspielen.

In den zerrissenen letzten Tagen konnte ich mich nicht auf die Arbeit an Rolle 10 konzentrieren. Mein Vorhaben, mit Entgoldungsumrissen weiterzuarbeiten, löste sich bis jetzt nicht ein. Nun denke ich eher daran, mit Buchmalereien und deren Umrisslinien das Fortkommen zu probieren.

Gestern waren Schüler da, die sich ein Bild davon machen wollten, wie es sich mit mir in meinem Atelier zusammenarbeiten lässt. Wir stellten Pappmaché her und drückten es in die Mitte der Kraftfeldform. Zufällig entstand ein Fisch. Mein Freund Rateb aus Afghanistan ist wieder dabei. Außerdem ein Russe, ein Bengali, ein Rumäne, ein Marokkaner usw.. Das kann wieder lustig werden!

Nahperspektive

Manchmal habe ich das Glück, dass die Handballenabdrücke in den Buchmalereien, sowohl das Motiv, das von anderer Stelle feucht aufgenommen wurde, als auch die Linien der Haut ganz deutlich zeigen. Dieses Zusammenspiel ist mir wichtig und ich möchte es gerne näher untersuchen. Es geht also um eine eigene Körperstruktur, in der Begegnung mit den Linien, die aus der Motorik und den Erinnerungsverflechtungen hervortreten.

Das tritt im mittleren Teil der dritten Malerei auf. Ihre Reihenfolge ist eigentlich unerheblich, weil ich an allen dreien gleichzeitig arbeite. Ich versuchte die Verbindung der hellen Linien der Gravuren mit den lichten Zügen der Hautfalten mit einer Schraffur fortzusetzen. Mit dem feuchten Zeigefinger löste ich diese Härte etwas auf, was das bis dahin unbefriedigende Ergebnis verbesserte.

Aus dieser Nahperspektive heraus, entsteht die Frage, ob eine extreme Vergrößerung der sehr kleinen Buchmalereien weiterführen kann. Die Weiterarbeit mit digitalen Mitteln mündet in die Möglichkeit, einen Ausdruck auf einen Träger zu versuchen, auf dem die Strukturen malerisch weiterentwickelt werden. Die heran drängende Düsternis im zweiten Format benötigt keine Nachbearbeitung mehr.

Expansion

Einen Buchstaben meiner „Geheimschrift“, die ich aus den Tonbandprotokollen meines IM Heinz Werner entwickelt habe, vergrößerte ich und übertrug ihn auf Rolle 10. Wegen der offen-durchlässigen Struktur dieses Buchstabens, wird der vorausgegangene, kompakte Block aus Stadtlandschaft von Westberlin, Entgoldung und Stasi-DADA aufgelöst. Durch diese Fragmentierung einer Verdichtung ergeben sich neue Aussichten.

Die Buchstaben aus den Protokollen des MfS, die ich immer wieder durch zeichne, entwickeln sich zu skurrilen Zeichen zwischen Schrift und Bild. Indem ich das Material immer weiter vergrößere, hoffe ich die weiße Leere zu erreichen. Was aber, wenn in diesem gedachten Vakuum eine neue Struktur auftaucht?! Wo führt das dann hin?

Aus dieser gefährlichen Unendlichkeit retten mich meine Buchmalereien. Mit ihnen bleibe ich auf dem Boden und schöpfe die Kraft, um die Ausdehnung auf Rolle 10 weiter zu betreiben. Die Kombination der verschiedenen Arbeitstechniken bildet ein körperliches Ausdruckselement. Die verschiedenen Strukturen, Konstruktionen und Umrisse sollen Pole bilden, deren Spannung Energie freisetzt für die räumliche Expansion.

Schwarz und Weiß

Die Buchmalereien werden intensiver. Während der Arbeit schaue ich kritischer hin. Auch der letzte kompakte zusammenhängende Fries auf Rolle 10, den ich am 2. und 3.11. gezeichnet habe besteht aus einem dichten Gesträuch, in dem sich die Erinnerungen in verschiedenen Konstellationen wiederholen. Je nach Perspektive ändert sich das Erinnerte. Letztlich führen die dauernden Überlagerungen zum Vergessen. Seine Funktion hilft beim Überleben.

Mit dem Rückgriff auf die Transparentpapiermotive des Jahres, möchte ich einen neuen Raum schaffen, der sich aus der Verdichtung heraus ausdehnt und immer größere Abstände zwischen den Objekten schafft. Zu den Objekten, die auseinanderdriften gehören die Entgoldungsumrisse, die meinem IM gewidmet sind, die Buchstaben meines Geheimalphabets, das ich aus den Stasi-DADA-Elementen entwickelt habe und die aktuellen Umrisse der Buchmalereien. 3 verschiedene Perspektiven, die den neuen Raum formen.

Die gegenläufigen Bewegungen des Verdichtens und des Auseinanderdriftens haben beide, bei ihrer Fortführung bis zur letzten Konsequenz, das selbe Ergebnis, jedenfalls auf der Transparentpapierrolle. Die Verdichtung schafft das Nichts aus Schwarz, die Ausdehnung das Nichts aus Weiß.

Rolle 10, Kraftfeld und neue Kooperationsmöglichkeit

Den deutlichen Umriss der dritten Buchmalerei zeichnete ich im Anschluss an ein Stasi-DADA-Motiv, vergrößert auf Rolle 10. Vor dem Durchzeichnen der vorausgegangenen Tuschestrukturen, decke ich manchmal weiter zurückliegende Partien mit weißem Papier ab, damit die nur vage durchscheinenden Schichten mich nicht von den späteren, deutlicheren ablenken.

Es gibt Schraffuren in den kleinen Malereien, die direkt auf mein Herz zeigen, also auf die Stelle meines Oberkörpers, die während der Malerei an der Tischkante lehnt. Diese Linienformaltion weist nach innen und kommt auch aus dem Inneren. Die Linie springt hin und her, sie folgt einer Spannung und entwickelt um sich herum ein Kraftfeld. Daraus bilden sich Farbwirbel und streng parallel laufende Gravuren. Die Energie dieser Unterschiedlichkeit fließt mir dem Wasser in die Handlinien und von dort auf das Papier. Aufgefangen wird sie von den Umrisslinien.

Auf Teves habe ich den Performer Anton kennen gelernt, der mit Sina zusammen arbeitet. Falls sie ihr dramatisches Projekt in den Räumen unseres Theaters machen, dann ergäbe sich die Idealsituation für eine Kooperation zwischen uns. Der junge Mann erkennt auch die Chance, die aus der Situation kommt, in der sich so viele verschiedene Künste versammeln.

3-D Erinnerung

In der Deutschen Nationalbibliothek traf ich gestern auf einen Weiberclub: Barbara, Carola, Gudrun, Kirsten, Mona und eine Freundin von ihnen, dich ich noch nicht kannte. Wir besuchten eine Buchvorstellung : »Ich will fortleben, auch nach meinem Tod« Die Biographie des Tagebuchs der Anne Frank von Thomas Sparr. Ich traf außerdem „meine“ Kulturdezernentin Ina und auch David.

Ich berichtete Ihnen von den 3 Schulklassen, die mich gestern besuchten und denen ich meine Arbeit erklärte. Ich sah unter ihnen bekannte Gesichter, die wieder mit mir zusammenarbeiten wollen. Insgesamt waren das interessante Siebtklässler, auf deren Anwesenheit bei mir ich mich freuen kann.

Heute ist der erste freie Arbeitstag für mich seit langem, an dem ich mich wieder ganz meinen Projekten widmen kann. Misslich ist allein, dass die Heizung im Atelier seit dem Sommer noch nicht gelaufen ist. Eine allgemeine Nachlässigkeit von Seiten der Verwaltung und der Firmen. Mit Freude aber genoss ich am Morgen die Weiterarbeit an den Buchmalereien. Den Fortgang der Zeichnungen auf Rolle 10 kann ich nicht konkret vorausdenken. Die neuen Motive sind nur zeichnend zu finden. Aus verschiedenen Perspektiven versuche ich mich plastisch zu erinnern, wie mit einem 3-D Scan.

Tod

Am 30.10. rief mich meine Mutter am Morgen an, um mir zu sagen, dass mein Vater in der Nacht zuvor gestorben sei. Anderthalb Tage vorher strich ich ihm mit meiner linken Hand über den Kopf und sagte: „Mach`s gut.“ Zuvor hatte ich mir den Moment, in dem ich von seinem Tod erfahre oft vorgestellt. Aber nun fühlte ich, neben der Trauer, zunächst Erleichterung.

Auch überlegte ich oft, wie wohl mein Tagebuch an einem solchen Tag aussehen würde, insbesondere die Buchmalereien. Aber sie gleichen den vorausgegangenen. Nur mein Blick interpretiert die Elemente neu. Die Kulissenwände werden zu Pforten, die verwischten Farbfelder zu der Bewegung hinüber. In den folgenden Tagen wurden sie sparsamer. Ich vertraute den Atmosphären, die durch die Handballenabdrücke, deren Farben und Strukturen entstanden. Wenige Umrisse bilden den Kontrast zur wolkigen Szenerie.

Die Kontinuität ist nicht unterbrochen worden. Heute kamen 3 Schulklassen, um meine Arbeit anzuschauen. Ein paar Schüler hatte ich mir schon ausgesucht, mit denen ich gerne weiter an den Reliefs arbeiten würde. Aber dringend erscheint mir nun das Fortkommen an Rolle 10. Morgen kann ich damit wieder beginnen.

Unsichtbarkeit

Die Materialien, die mich im Atelier umgeben, können mich hier zu Hause nicht ablenken. Deswegen geht die Arbeit an der Transparentpapierrolle schneller voran. Die Skizze, die ich 1975 vom Dach des Palastes aus gemacht habe, übertrug ich auf ein Blatt, von wo aus ich sie leicht auf Rolle 10 übertragen kann. Durch den Verzicht auf die Originalgröße beim Durchzeichnen des digitalen Bildes, entsteht eine neue Freiheit im Umgang mit den Motiven, die miteinander verknüpft werden. Indem sich Objekte in unterschiedlichen Vergrößerungszuständen begegnen, entsteht der Eindruck von mehr Raum.

Dieser Vorgang löst die gleichmäßige Verdichtung des Zeichnungsfrieses zugunsten einer Vergrößerung des optischen Raumes auf. Die Einzelteile driften während der Expansion des Volumens über das Format der Rolle hinaus. Die Zusammenfassung der Geschichte mündet also in ihre Auflösung, in die Unsichtbarkeit.

Das alles ist aber Theorie. Der Nachweis ihrer Richtigkeit kann nun nur im zeichnerischen Experiment geschehen. Dafür muss ich nicht mehr die umständliche Konstruktion mit der großen Stehleiter auf dem Zeichentisch aufbauen, um auf die Areale der durch die Sprossen mäandernden Rolle zurückgreifen zu können, die ich vor längerer Zeit bearbeitet habe. Ich kann auf die Scans zurückgreifen, die in der Produktionszeit seit 2022 entstanden sind.

Ein Abschluss in Sicht

Die Stadtlandschaftsskizze vom Dach des Palastes der Republik, werde ich noch einmal auf Rolle 10 abbilden. Dadurch hentsteht die Möglichkeit, sie mit den Bildern der später darauf folgenden Ereignisse zu verbinden. Das wären die Abriss-Strukturen, die GPS-Wanderung auf der Wiese, die den ehemaligen Grund des Gebäudes markierte und „Stasi-DADA / Entgoldung“, was sich schon auf den Neubau und die Ausstattung des Schlosses bezieht. Das ist eine Zusammenfassung der gesamten Arbeit zum Komplex und kann ein würdiger Abschluss der Rolle 10 sein.

Auch gestern griff ich auf einen früheren Umriss zu, der aber vom 17.10. dieses Jahres stammt. Er und die Figur vom 22.10., die auf der Rolle davor erscheint, rückten so nahe aneinander, dass sie sich ein wenig an den Rändern überlagern. Zwischen ihnen geht der Blick hinab in den Zeitspalt.

Die Kulissenwände in den heutigen Malereien entspringen offensichtlich einem Ordnungswunsch. Die Räume, die dadurch entstehen, gliedern die Szenen in die auf der offenen Bühne und in die, die unsichtbar bleiben sollten. Aber es gibt Stoffe, die, je nach dem wie sie geleuchtet werden, blickdicht bleiben oder durchlässig werden. Hier wird das, was eigentlich hinter den Kulissen spielen soll, sichtbar.

Gedächtnisanpassung

Zu Hause arbeitete ich mit dem stilisierten und vergrößerten Umriss der ersten Malerei vom 22.10. weiter. Diese Kompositionen auf Rolle 10 sind normalerweise etwas steif und bieten deshalb aber erstens einen Kontrast zum vorausgegangenen chaotischen Gesträuch und zweitens genügend Raum für die Konfrontation damit.

Bin ich den digitalen Mühlen der Bürokratie entronnen, in die man etwa gerät, wenn online ein neues Konto bei einer anderen Bank eröffnet werden soll, bin ich froh über die analoge Präsenz der Malereien und Zeichnungen, die mir Sicherheit verschafft. Die Stimmungen, aus denen die Buchmalereien entstehen, kann ich nicht gleich identifizieren, denn ich bin zu sehr mit ihrem Fortgang beschäftigt. An einem späteren Zeitpunkt kann ich klarer erkennen, was mich zu den jeweiligen Färbungen veranlasst hat. Aber es gibt auch die Vorgänge der inneren Gedächtnisanpassung, von der Aleš Šteger schreibt, die eine Uminterpretation der Bilder ermöglichen.

Die Transparentpapierrolle nimmt das schon mit der Weiterverarbeitung der Elemente etwas vorweg. Ihre Übergabe an das Humboldt Forum ist nun für einen Fototermin verabredet. Bei der Gelegenheit will ich mit Anke Schnabel besprechen, welche Elemente davon wesentlich für die Veröffentlichungen zur Ausstellung „Der Palast der Republik ist Gegenwart“ sind. Nach zwei Tagen kann ich sie dann wieder mitnehmen, um sie fertig zu zeichnen.

Zu Hause

Mein Tagebucharbeitsmaterial habe ich mit nach Hause genommen, weil im Atelier die Heizung nicht funktioniert. Manchmal schreibe und male ich ganz gerne in einer anderen Umgebung. Dabei zeigen sich auch Veränderungen, sowohl bei den Texten, als auch in den Bildern.

Auch Rolle 10 nahm ich mit hierher, um fortlaufend weiter zu zeichnen. Gestern begegneten sich die Linien von Aleš Šteger mit dem konstruktiven Linienmaterial der letzten Tage. Es bedeutet einen Schritt heraus aus der Kontinuität der eigenen Konstruktionen und Figuren.

Unter einem solchen Aspekt sah ich mir auch die zwei alten Bücher an, die ich vor 50 Jahren gerettet habe. Insbesondere interessierten mich die eingefügten Stiche und die unterschiedlich großen Buchstabentypen. Außerdem gibt es viele ornamentale Verzierungen am Anfang und am Ende der Absätze. Auch eine Landkarte von Erfurt aus dem Jahr 1675 ist interessant.

Alte Bücher

Am Vormittag haben wir Pietro zu Grabe getragen. Die Trauerhalle des Hauptfriedhofs war so voll, dass die Leute noch in Reihen an den Wänden des achteckigen, hohen Raums standen. Zwei italienische Priester predigten, einer der Söhne hielt eine Rede, eine Wechsel aus pompöser und bescheidener Musik, insgesamt aber große Oper… Der Familie tat die Zuwendung der großen Trauergemeinde sichtbar gut.

Das Atelier ist immer noch ungeheizt. Der Arbeitsrhythmus friert ein. Außerdem war in den letzten Tagen auch zu viel los, als dass man sich richtig, über ein paar Tage, konzentrieren könnte. Diese kraftraubende Unregelmäßigkeit staut die Produktion.

In der Nacht dachte ich daran, aus einem Buch, dass ich während einer Räumaktion am Rande des Palastbaus in Berlin, vor dem Reißwolf gerettet habe, ein paar Fragmente auf Rolle 10 zu transferieren. Es handelt sich um eine Geschichte Erfurts aus dem Jahr 1675. Weiß nicht, wo mich diese Suche hinführt, vielleicht zur nächsten Stasiakte meiner Studienzeit in Erfurt, während der Wolf Biermann ausgebürgert wurde und wir an der Pädagogischen Hochschule Unterschriften dagegen gesammelt hatten.

Pietro

Gestern habe ich erfahren, dass unser Freund Pietro gestorben ist. 30 Jahre lang haben wir bei ihm, dem freundlichsten Menschen, den ich kannte, Pizza gegessen. Er kam mit einer Italienischen Schauspielertruppe nach Deutschland und spielte im alten Gallustheater. Sein Schalk, seine Höflichkeit, sei Lächeln und unsere Gespräche werden mir sehr fehlen. Vielleicht können wir uns vornehmen, etwas von seiner guten Laune in uns weiterleben zu lassen.

Mit der Gartenschere baute ich am Bahndamm eine Stelle auf der nun eine Bank steht und ein kleines Tischchen. Ich saß dort in der warmen Abendsonne und überlegte, ob dies ein Platz für meinen Feigenbaum wäre. Vorher lagerte ich dort das Schnittholz, das auf dem Gelände anfiel und verbrannte es dann zwei Mal im Jahr im Blechfass. Das werde ich nun etwas verlagern.

Am Nachmittag zeichnete ich auf Rolle 10 weiter. Manchmal merke ich, wie mir die Kraft schwindet, immer stetig weiterzumachen. Ich muss die Pausen ernster nehmen, damit ich alles weiterführen kann. Und deshalb zeichne ich heute auf dem Transparentpapier nicht weiter. Ist ja auch Sonntag!

Von innen nach außen

Die nach vorne gebeugte Haltung beim Schreiben und bei der Buchmalerei, weist nach Innen. Auch die Papiergravuren mit den Holznadeln und die Schraffuren gehen in diese Richtung. Handkantenabdrücke laufen durch eine leichte Drehung des Gelenks in Zungen aus, die ich oft mit Umrisslinien hervorhebe. Handlinien aus dem Inneren expandieren in den konstruktiven Formen, die aus ihnen entstehen.

Diese Konstruktionen, die aus den Handballenabdrücken erwachsen, spielen nun auf dem Transparentpapier eine größere Rolle. Dorthin übertrug ich die vom Autor Ales Steger gezeichneten Linien aus seinem Buch. Sie werden alsbald mit meinen Schichten verbunden, was mich an seine Beschreibung der Tagebucharbeit erinnert.

Dominique Falentin schickte mir einen schönen kurzen Text über meine Arbeit, den ich korrigieren sollte, es aber gar nicht machen muss. Ein Zitat aus dem Interview, das ich zum Thema gegeben habe, das sich anschließt, ist stilistisch viel spontaner und ungehobelter. Das ist aber ein ganz guter Kontrast.

„Die Götter lachen uns aus“

Auf der Eröffnungsveranstaltung der Lesereihe „Open Books“, beeindruckte mich gestern der slowenische Autor Ales Steger. Die Art seiner Suche gefiel mir so, dass ich ein Buch von ihm, mit dem Titel „Das Lachen der Götter“, bestehend aus 6 Erzählungen, kaufte. Gleich auf den ersten Seiten der ersten Erzählung, geht es um Tagebucheinträge, die der Protagonist nach einigen Jahren wieder liest, sie kommentiert und auch etwas hinzufügt. Das kommt mir wie meine Arbeit mit den Transparentpapierrollen vor.

Er schrieb als Widmung: „Für Frank, die Götter lachen uns aus, manchmal lachen wir zurück.“ Das entscheidende aber waren drei Linien, die er über die ersten zwei Seiten zeichnete, die wie Küstenverläufe aussehen. Ich will sie auf Rolle 10 mit meinem Material begegnen lassen.

Vielleicht eignen sich die Striche dafür, die ich heute bei der Weiterverarbeitung meiner Handballenabdrücke fand. Ich führte sie in Gedanken an die Malermönche aus, die vor tausend Jahren das Kloster Tabo im Spitital ausgemalt haben.

Dialogisches Erinnern

Gestern bekam ich einen Anruf von Dominique Falentin vom Humboldtforum. Wir besprachen den Stand der Arbeit. Es gibt die Idee, neben den Texten, die über meine Erinnerungsarbeit in der Vorbereitung sind, auch die Transparentpapierrolle in der Publikation zum Projekt abzubilden. Dafür sah ich die Scans durch, die ich davon habe. Es ist viel Material und ich bin mir selber nicht ganz sicher, mit welchen Themen die Arbeit an der Rolle begann.

Außerdem erzählte ich vom Projekt „Stasi-DADA / Entgoldung“. Wenn man nach Aleida Assmann geht, handelt es sich bei meiner Auseinandersetzung mit meinem IM um eine dialogisches Erinnern. Anstatt mit seiner Person, muss ich mich aber allein mit den Tonbandprotokollen als Gegenüber begnügen. Aber die intensive Beschäftigung mit seinen Worten, ermöglichte es mir, mich tief in seine Verstrickung hineinzudenken und das nachzuempfinden, was ihn vielleicht zerrissen hat.

Franz kam zu Besuch ins Atelier. Er wollte sehen, was ich in letzter Zeit gemacht habe. So zeigte ich ihm die neuesten Entwicklungen in den Buchmalereien und auf Rolle 10. Durch sein Eintreffen unterbrach ich die Arbeit daran, und war heute ganz froh, mit einem Zeichnungsfragment an die Collagen gehen zu können. Es bietet mehr Raum für die anderen Inhalte, die Schichten, die zuvor erarbeitet worden sind.

Zahlen

Sonntags ändert sich der Charakter des handschriftlichen Tagebuches. Die Malereien, die nicht in Collagen weiterverwendet werden, konzentrieren sich eher auf Strukturen als auf Umrisse. Das ist eine andere Verdichtung. Das Werktagebuch im Netz ist in diesem Jahr bisher um 178 Einträge und 534 dazugehörige Collagen gewachsen. Meiner Selbstverpflichtung von mindestens 200 vollen Arbeitstagen pro Jahr, in denen die Arbeit vorangehen soll, bin ich damit schon recht nahe.

In den Strukturen der Buchmalereien finde ich Nahrung für den Energiehaushalt, der die weitere Suche speist. Diese labyrinthische Forschung führt mich in das Dickicht meiner selbst. Die Papiergravuren und Handabdrücke, beides mit der rechten Hand ausgeführt, bilden es ab. Vor dem Erscheinen auf dem Papier leuchten die Farben hinter meinen Augen auf.

Mich beschäftigt die Möglichkeit der weiteren plastischen Bearbeitung der Pappmachereliefs. Wenn die flächigen Objekte gefaltet oder gebogen werden, treten sie weiter in den Raum. Dafür muss das Material wahrscheinlich noch einmal angefeuchtet werden.

Feuer

Am Abend zündete ich das angesammelte Schnittholz des Geländes, das ich zerkleinert und in die Feuertonne getan habe, an. In kurzer Zeit glühte das Metall und jetzt mittags, ist die Asche noch warm und unter ihr entsteht Holzkohle. Während der Aktion, die ich etwa zweimal im Jahr unternehme, versuche ich möglichst wenig Rauch zu machen, damit ich keinen Ärger bekomme.

Vorher arbeitete ich an Rolle 10. Es geht immer weiter und weiter bis das Transparentpapier aufgebracht ist. Es gelingt mir nur schwer, zu pausieren, um andere notwendige Dinge zu tun, das Atelier aufräumen zum Beispiel. Am ehesten kann mich der Garten etwas ablenken.

Die Collagen zeigen, wie es vorwärts geht. Immer mal überlagern sich Formen der Tuschzeichnungen mit solchen der Buchmalereien, die auseinander hervorgegangen sind. Heute standen Figuren im Vordergrund der Malereien. Einige von ihnen finden sich gewiss bald auf Rolle 10 wieder.

Übergang

Gerade spaltete ich den Pappelstamm ein zweites Mal auf. Die zwei Drittelteile passen in meine Altholzsammlung im Gärtchen. Dafür muss Platz geschaffen werden. Da die Frostnächte näher kommen, ist das alljährliche Rückräumen der gefährdeten Pflanztöpfe in das Atelier, nun bald notwendig. Auch dafür muss Platz geschaffen werden. Alles zusammen markiert den Übergang zum Winter.

Um 133 Zentimeter kam ich in dieser Woche dem Ende von Rolle 10 näher. Aber fließende Formen werden von den konstruktiven Linien der Stahlkonstruktionen, der gezeichneten Striche von den Wandmalereien aus dem Kloster Tabo und von den stilisierten und erweiterten Handlinienabdrücken der Buchmalereien verdrängt. Nun denke ich an eine Schellackschicht, die beim Auftragen und sofortigem Zusammenrollen, die strengen Tuschelinien anlöst und verschwimmen lässt.

Auch in den Buchmalereien schnarrt es preußisch: Rechts um, Links um, die Augen links, im Gleichschritt marsch!! Mühsam wische ich herum und lasiere, um alles aufzuweichen. Aber es schlägt immer wieder durch!

Neues Terrain

Konstruktive Umrandungselemente aus den Buchmalereien und solche, die vom Zusammenspiel der Handlinien mit Linien des Klosters Tabo herrühren, griffen gestern auf Rolle 10 ineinander. Mit der Forschung nach der Verfasstheit der Maler vor tausend Jahren und der Kombination ihrer Striche mit denen meiner Handabdrücke, betrete ich ein neues Terrain. Es beginnt sich auf dem Transparentpapier auszubreiten.

Die Kontraste zwischen den harten Geraden, den Verwischungen und den geschwungenen Farbwasserumrissen, steigern sich in den Collagen. Ihnen schenke ich mehr Aufmerksamkeit und reduziere zugleich die digitalen Effekte. Die Arbeit geschieht mit alten, rudimentären Bildbearbeitungsprogrammen. Dieses Vorgehen wendete ich schon in den Neunzigerjahren bei der Herstellung von Animationen an.

Gestern begann ich den zweiten Teil des Pappelstammes zu spalten. Das ging mit zwei Beilen und mehreren Steinen, die zwischen dem größer werdenden Spalt geklemmt sind. Das ist die reine Vergnügungsarbeit, denn ich weiß nicht, was ich mit dem Holz anfangen soll, außer mich daran körperlich abzuarbeiten.

Lichtbrechung

Lichtkaskaden fluten den Raum, lassen Reliefs flirren und mischen sich mit der alltäglichen Kriegsberichterstattung. Ich gieße meine Pflanzen, wähle meine Partei und rede mit den Nachbarn über das Wetter und die Unpünktlichkeit ihrer Auszubildenden.

Fleißig kombinierte ich gestern die Umrisse der ersten Buchmalerei vom 4.10. mit den Schwüngen aus 4000 m Höhe vom Altar in Lalung, den Stasi-DADA-Resten und den Abriss-Strukturen des Palastes der Republik. Das ist das Zusammenspiel der, sich verhakenden, Erinnerungen. Sie bilden das Muster für die neuen inneren Landschaften, die ich mit den äußeren abgleiche. Es ist, als würde mein Körper das Licht brechen, das die Bilder in mich hineintransportiert, wodurch die Ähnlichkeiten mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit zunehmen. Die tägliche Bildproduktion geschieht mit der Brechung, Zerstreuung und Wiederzusammensetzung der unterschiedlichen Wellen.

Westlich der Regalnische in meinem Gärtchen, in der ich auf dem Korbstuhl sitze, stellte ich ein etwa 2 Meter langes und 70 Zentimeter breites, abgespaltenes Pappelstammstück als Windschutz auf. Daneben bietet es Aufenthalt für holzbewohnende Insekten. Den Transport und das Aufstellen machte ich alleine mit einer Sackkarre.

Intuition und Filter

Meine gegenwärtige Beschäftigung mit „Stasi-DADA / Entgoldung“ wird von den Interventionen von Aleida Assmann zur Erinnerungskultur unterstützt. Ich lese das deswegen und weil mir neue Ansätze geboten werden.

Auf Rolle 10 arbeitete ich mit Vergrößerungen einer Zeichnung vom Abriss des Palastes der Republik und von verfremdeten Schriftstrukturen aus den Tonbandprotokollen des MFS. Die Mechanik, mit der ich das zusammenfüge und übereinander lagere, ist intuitiv. Wie ich vorgehe, sagt mir mein Gefühl. Was daraus wird, filtern meine synaptischen Verschaltungen.

Voran gehe ich am Morgen mit den Buchmalereien. Sie schaffen die Grundlagen aus Zufällen und ihren nachträglichen Weiterformungen. Das Arbeitsmaterial häuft sich auf dem Arbeitstisch, der aus der Kraftfeldform und einer Auflage besteht. Stifte, ein Gewindestück, Holznadeln, Rechner, Bücher, Farbkasten, Wassergläser und Transparentpapierbögen.

Rationales Korrektiv

Zwischen den Strukturen der Buchmalereien muss man sich heute die Figuren denken, muss sie selbst entdecken, weil ich sie nicht durch Umrisslinien kenntlich gemacht habe. Die parallel laufenden Linien drücke ich mit einem Gewindestück ins Papier, das ich in Kaza, im Himalaja, zusammen mit vielen Schmuckbruchstücken gekauft habe. All diese Dinge wirbeln mit ihren Bedeutungen in den Malereien herum.

Manchmal münden die konstruktiven Geraden in erzählende Linien, die ihr gegenständliches Gegenteil sind. Auch verschieden davon sind die Spiralen, die von der Bewegung des Verwischens oft ganz verschwinden. Farben treten zunächst zufällig nebeneinander, folgen dann aber den Emotionen und Gesetzen, die die gefühlten Zustände der zeichnerischen Elemente ergänzen.

Eine Diskrepanz ergibt sich zu Rolle 10. Die Durchzeichnungen mit Tusche dort sind distanzierter und folgen weniger der Spontaneität gezeichneter Stimmungen. Die Arbeit auf den Transparentpapierrollen schuf sich eigene Regeln, die durch das Zusammenrollen und Wiederaufnehmen der Formen und Strukturen entstanden sind. Es bildet sich ein rationales Korrektiv zur Malerei, dessen Methode dort Priorität hat.

Dunkle Akzente

Während des Schreibens zeichne ich manchmal mit dem Füller in den Buchmalereien herum, verstärke Linien und setze dunkle Akzente. Aneinandergereihte Punkte verbinden sich oder laufen langsam aus, um nicht einzeln und fremd dazustehen. Beim Scannen kann ich diese Akzente noch schärfen.

Manchmal stelle ich mir die Frage, ob die digitale Weiterverarbeitung der Buchmalereien eine noch größere Rolle spielen sollte. In den Collagen findet das ja sowieso statt. Es entsteht oft eine Grobheit aus geringer Auflösung, vor allem bei den gescannten Federzeichnungen von der Transparentpapierrolle.

Dort lassen sich die Durchzeichnungen derzeit nicht mehr von den Umrissen der Buchmalereien einengen, sondern folgen der momentanen Intuition. Mal sehen ob sich das weiter bewährt. Ganz will ich aber nicht auf die Malereistrukturen auf dem Transparentpapier verzichten.

Freies Durchzeichnen

Auf der Transparentpapierrolle zeichnete ich nur die Linien durch, die mich gerade interessierten. Dabei richtete ich mich nicht nach Umrissen aus den Buchmalereien oder anderen Zusammenhängen, also ein „Freies Durchzeichnen“. So entstanden drei spannungsvoll zueinander stehende Figuren, die ich in alle drei Collagen von heute einfügte.

In den Buchmalereien behandelte ich den Zusammenhang von Linien der Handballenabdrücke und denen der Papiergravuren. Diese Strukturen beginnen denen der Transparentpapierrolle zu ähneln. Es treten Figuren auf mit hohen eckigen Köpfen, runden Buckeln mit Schnäbeln und spitzen Füßen.

Oliver Tüchsen besuchte mich gestern. Ich zeigte ihm die Arbeiten zu „Stasi-DADA / Entgoldung“. Und wir redeten über die Überlebensstrategien mit der Kunst und den Zuständen, die uns dabei ereilen.

Kompakter Block

Gestern verbrachte ich einen halben Tag im Atelier, weder Fisch noch Fleisch. Dennoch entwickelten sich die Collagen ein Stück weiter. Ich gehe freier mit den Buchmalereien um und füge nun auch Zeichnungsfragmente älteren Datums ein. Es fügt sich alles zu einem kompakten Block.

Als es gestern wieder stürmte und regnete, fürchtete ich erneut um unser Dach, auf dem immer noch die, von der Baustelle angewehte verpackte, Leiter liegt. Wird sie erneut herumgewirbelt, können weitere Löcher in das Dach geschlagen werden. Außerdem hat der Wind nun, weil die bisher gerissenen Öffnungen noch nicht geschlossen sind, die Möglichkeit, unter die Eternitplatten zu fahren…

In den Buchmalereien kombinierte ich die durchgedrückten Papiergravurlinien von gestern mit den hellen Strichen der Handballenabdrücke und verstärkte das Zusammenspiel mit Beistrichen und Umrandungen. Aus den Linien meiner Hand hoffe ich persönlichere Strukturen schaffen zu können, die die entstandenen Formationen durchdringen.

Strukturen und Figuren

Die Strukturen der Buchmalereien, die aus Farbspielen, Papiergravuren und Beistrichen bestehen, wollte ich heute wieder mit figürlichen Anmutungen bereichern. Das geschieht auch mit Blick auf die Weiterverwertbarkeit auf Rolle 10. Täglich scheine ich etwas dazuzulernen. Auch Rückschritte verursachen Prozesse, die mich weiterbringen. Aber was ist das Weiterkommen?

Das Dach des Ateliergebäudes ist noch nicht geflickt. Auf dem Dachboden liegen nach wie vor die zerbrochenen Eternitteile, an deren Bruchkanten Asbestfasern freigesetzt werden. Sie verteilen sich im ganzen Raum, auf dem Boden, den Balken und in den Fugen der Ziegelwände. In drei Tagen soll dort oben eine Ausstellung eröffnet werden.

In die Collagen habe ich Transparentpapierzeichnungen vom Februar eingefügt, um das Thema „Entgoldung“, das sich mit meiner Stasiakte beschäftigt, noch einmal aufzurufen. Die Reihe der Reliefs, mit den Umrissen des Porzellanreliefs im Humboldt Forum, soll nun noch fertig gemacht werden.

Hamburg

Unser Freund Henning hatte uns für das vergangene Wochenende in sein Haus in Hamburg eingeladen. Das war erfrischend und sehr schön. Und natürlich besichtigten wir die Stadt, wie Touristen, liefen durch den alten Elbtunnel, stiegen auf die Aussichtsterrasse der Elbphilharmonie und aßen an jeder Ecke Fischbrötchen. An den Landungsbrücken besichtigten wir ein Segelfrachtschiff, auf dem seine Geschichte ausgestellt wurde.

Und man konnte sich für das Aufentern in die Wanten des mittleren Mastes in 35 Meter Höhe anmelden. Das war einer meiner Kinderträume und ich entschloss mich, ihn wahr zu machen. 14.20 Uhr wurde ich mit einem Klettergurt gesichert und stieg hinauf bis zur ersten Aussichtsplattform. Vor ihr musste ich in Rücklage einen Überhang überwinden. Von da aus stieg ich dann die enger werdende Strickleiter bis zur zweiten Plattform, unter der Spitze. All das forderte meine ganze Kraft und meinen ganzen Mut. Oben aber war ich glücklich und stolz.

Von dort aus machte ich zwei Fotos in die Ferne und in die Tiefe. Henning hat alles mit vielen sehr schönen Fotos festgehalten. Auch meinen Abstieg über die überhängende Stelle an der zweiten Plattform. Das sieht alles spektakulär aus, aber unten angekommen, schlotterten mir etwas die Knie und ich sah weiß um die Nase aus. Die Buchmalereien wurden danach wilder!

Strukturen nahe bei mir

Die Sonne hinter meinem zerschossenen Gärtchen scheint auf eine Holzplatte, die ich gestern auf dem Weg ins Atelier gefunden habe. Es sind verleimte Buchenstücken, die handlich unter meinen Arm passten. Jetzt liegt sie auf meinem malträtierten weißen Tisch und ich schreibe darauf.

Mein Blick auf Strukturen nahe bei mir schärft sich. Das beginnt mit meiner Haut, deren Linien sich bei Handabdrücken von Aquarellfarbe auf Papier, hell abbilden. Sie vermischen sich dort mit den lichten Linien der Papiergravuren. Beides verstärke ich zunehmend mit dunklen Beistrichen, die dann ein Eigenleben entwickeln.

Gestern zeichnete ich weiter auf Rolle 10 und vervollständigte dabei die Figur vom 24. und 26. 9.. Dann aber kümmerte ich mich weiter um die Sturmschäden. Dabei schnitt ich die geflochtene „Rokokoweide“ zurück und verarztete ihre Risse mit Klebeband, richtete sie wieder auf und hoffe, dass sie sich im kommenden Frühjahr wieder berappelt.

Asbest

Erst jetzt, da die Buchmalereien fertig sind, schaue ich nach Umrissen und Formen, die für die Weiterarbeit auf Rolle 10 interessant sein könnten, deren Strukturen ich übernehmen möchte. Gestern arbeitete ich dort mit der ersten Malerei vom 24.09., ließ das Motiv etwas kleiner, damit das Volumen einen Kontrast zu den vorhergehenden bilden kann.

Im alten Holzlager, das Deniz „Balken“ nennt, liegen noch immer die Trümmer, die vom Einschlag der „Fliegenden Leiter“ herrühren. Am Morgen habe ich eingemummt und mit einer Atemmaske versehen, meine Arbeit dort oben zusammengeräumt, abgedeckt und teilweise hinaustransportiert, damit die Teile nicht noch mehr mit Asbest kontaminiert werden, das von den gebrochenen Eternitplatten freigesetzt wurde. Bevor dieser Raum nicht gründlich gereinigt wurde, werde ich mich da nicht mehr aufhalten.

Ein Eisengestell, das im Gärtchen ein stabilisierendes Element für die vielen Insektenunterschlüpfe bildete, wurde von einem großen Dachteil getroffen, genau, wie die geflochtene Weide. Da ist vieles gesplittert und zerschlagen worden. Alles zusammen hat aber dafür gesorgt, dass nicht noch mehr Trümmer durch die Atelierscheiben flogen. Mittlerweile sind alle Dachsplitter aus dem Gärtchen entsorgt, und ich kann mit dem Aufräumen beginnen.