Aus dem Tritt kommen

Ein Dachsplitter durchschlug meinen Gartenschlauch. Ich merkte es erst heute, als das Gärtchen zu wässern war. So ist mitten zwischen den Bäumen eine Sprinkelquelle entstanden. Die großen Bäume, die die Wände des Unterrichtsgebäudes eingedrückt haben sind von großen Maschinen in anderthalb Stunden abgeräumt worden. Ihre Kronen fehlen nun am Himmel.

Aus dem Wirbel um die Wetterschäden heraus, möchte ich auf Rolle 10 nun endlich wieder neue Fragen aufwerfen. Das sollte mir mit meiner Zeitmaschine gelingen, mit der ich Strukturen aus der Vergangenheit in die Zukunft transferieren kann. Dort begegnen sie später dem Material, dessen Entwicklung jetzt beginnt.

Wenn ich die zeitliche Kontinuität außer Kraft setzte, hoffe ich zu anderen Antworten zu kommen, als bisher. Ein solches Vorgehen kann auch die Starrheit der Figurenfriese auflösen, die sich auf Rolle 10 im Gleichschritt aneinanderreihen.

Windhose

Am Freitag hat eine Windhose auf dem Tevesgelände große Schäden angerichtet. Auch mein Gärtchen und mein Atelier haben einiges abbekommen. Scheiben gingen zu Bruch, Leitern flogen durch die Luft und durchstießen unser Dach, in dem nun große Löcher klaffen. Bäume wurden entwurzelt oder brachen an der Basis ihres Stamms und krachten in das Gebäude, in dem sich Unterrichtsräume befinden. Die Oberlichter der Restaurantküche sind geborsten und überall liegen die asbestverseuchten Dachtrümmer herum.

Es fällt mir schwer, in diesem Chaos zu arbeiten. Eigentlich würde ich mein Gärtchen gerne aufräumen. Das muss aber nun eine Spezialfirma machen, die die ganzen Dachbrocken verpackt. Auf dem ganzen Atelierboden sind Glassplitter verteilt, auf den Arbeitstischen und in den Regalen. Eines der Eternitfragmente flog diagonal durch den Raum, nachdem es ein Fenster durchschlagen hatte. Davon hat auch Rolle 10 ein Loch bekommen.

Die Buchmalereien haben in den letzten 3 Tagen auf diese Situation reagiert, sie haben das Wetter nachgebildet und die Geschwindigkeit der Geschosse, die Wirbel der Windhose und die vertrackte Trümmerarchitektur. Es ist gut, das auf diese Weise loswerden zu können. Am Tisch sitzend bebt mein Inneres. Der zerschossene Garten beugt sich zu meinen Händen.

Schauspielpremiere

Die erste Premiere im Schauspiel Frankfurt sahen wir gestern. Mateja Koleznik inszenierte Molieres „Der Geizige“. Ich Erinnere mich an „Yvonne die Burgunderprinzessin“ von ihr – ein hoch artifizielles Kunststück. Diesmal fehlte Schärfe, die zunächst der Text hergeben müsste. Er war aber wolkig weich von der Dramaturgin neu zugeschneidert. Im Programmheft gab es keinen Hinweis auf die Übersetzungen, auf denen dieser Text basiert. In der Situation, in der die KI sich ungefragt bereichert, ist das ein großes Versäumnis. Peter Schröder, der Hauptdarsteller, bekam frenetischen Applaus. Das rührte ihn sehr. Mich ließ die Inszenierung etwas kalt. Da war ich der Spielverderber auf der Premierenfeier.

Die Reihung der Umrisse wurde auf Rolle 10 weitergeführt. Heute will ich das aber brechen, rückwärts rollend auf dem Transparentpapier durchzeichnen und mit der Richtungsänderung mehr Spannung aufbauen. Es kann nicht immer nur um Verdichtung gehen. Und noch einmal fallen mir die Zwischenräume ins Auge. Sowohl die der Buchmalereiumrisse als auch die zwischen den Skulpturen der Altarwände des Klosters in Lalung.

Im Foyer der Schauspiels traf ich den neunzigjährigen Karlheinz Braun, wach und freundlich im Gespräch. Er erzählt von seinen Buchprojekten… Das ist großartig.

Kette von Suchbewegungen

Durch Reisen, Termine und andere Ablenkungen wird die Arbeit nicht vollständig unterbrochen. Anknüpfungspunkte von Vortag, durch die ich die Buchmalereien fortführen kann, reihen sich zu der Kette von Suchbewegungen auf, die meinen Arbeitsalltag bestimmt.

Die Umrisse aus den Büchern, die auf Rolle 10 erscheinen, möchte ich flexibeler nutzen. Bisher war mir die Sichtbarkeit der groben Komposition der kleinen Formate wichtig. Das will ich nun, zugunsten einer spannungsvolleren Reihung der Transparentpapierfriese, aufgeben. Das soll durch freiere Kombinationsmöglichkeiten der Figuren geschehen. Vorgestern entstand in der ersten Malerei ein Paar, das sich dafür eignet, mit anderen Umrissen von anderen Tagen zu interagieren.

Auch will ich mich an die skulpturalen Silhouetten und deren Zwischenräume der Altarwände vom Kloster in Lalung annähern. Damit lässt auch ein Rückgriff auf die Arbeit, die vor 4 oder 5 Monaten entstanden ist, bewerkstelligen. Mit der abermaligen Spiegelung von älterem Material in die Zukunft der Transparentpapierrolle, also in de Nähe ihres Endes, komme ich wieder zum Entgoldungsprojekt zurück, für das ich noch ein paar Reliefs anfertigen möchte.

Verbindungslinien I Gründerpreis

Manchmal erscheinen die Linien, die ich im Durchgang zum Hauptraum vom Kloster Tabo nachempfunden habe, abgewandelt in den Buchmalereien. Diese groben Striche, ohne eine wichtige Bedeutung, werden für mich, neben den verschlungenen Schwanzfederornamenten, die Verbindungslinien in die Zeiten der Ausmalung der Klöster.

Am späteren Nachmittag begann gestern die Vergabe des Gründerpreises der Stadt Frankfurt, der von der Wirtschaftförderung vergeben wird. Wie immer, bin ich eingeladen, weil ich vor ein paar Jahren die Preisfigur gestaltet habe. Im Römer werde ich zu dieser Gelegenheit mit einer völlig anderen Welt konfrontiert. Vertreter der Stadtpolitik und der Wirtschaft begegnen mir da.

Aber auch kreative Gründer von zumeist kleinen Unternehmen sind unter den Gästen. Gestern lernte ich auf dem Mainschiff, wo die Party stattfand, eine Designerin kennen, mit der ich mich über unsere Produktionsmethoden unterhalten habe. Dabei ging es auch um die Transparentpapierrollen als Experimentalstrecke für Ornamenterfindungen.

Energiesystem

Vor mir auf dem Tisch steht die durchleuchtete Rolle 10. Dort lösen sich aktuell die StasiDADA-Strukturen auf. Das geschieht zugunsten der tausend Jahre alten skulpturalen Schwünge der Schwanzfederornamente von den Garudabegleiterinnen aus dem Lalung-Kloster. Mit der Dichte der Überlagerungen vermehren sich die Gründe, sich in das Material zu vertiefen. Ein Energiesystem, das über tausend Jahre hinweg funktioniert.

Die Umrissfiguren auf dem Transparentpapier, die von den Buchmalereien stammen, sind etwas gleichmäßig groß. Diese Eintönigkeit kommt der Aufmerksamkeit zugute, die sich dann auf die ausfüllenden Gesträuche richtet. Das Gesamtbild bleibt aber geschwächt. Mit einer Rückrollaktion, die beim Durchzeichnen über die Umrisslinien hinweggeht, kann das verhindert werden.

Gestern besuchte ich Franz, der nach unserer Himalajareise fragte. Ich erzählte ihm vom Rinpoche von Tabo, der mein früheres Leben bei den Malern verortete, die die Klöster im Spitital ausgestaltet haben. Diesem Gedanken kann ich folgen, indem ich meine Rezeption dieser Gestaltungsformen durch weitere konzentrierte Arbeit intensiviere. So kann ich tiefer in meine Verbindung zu den alten Bildern eindringen.

Rinnsal

Immer mal, wenn der kontinuierliche Fluss der Arbeit nahe am Versiegen ist, wenn nur das dünne Rinnsal der Buchmalereien plätschert, schleicht sich etwas Lustlosigkeit zwischen die Landschaft der fordernden Augen, die mich zu umgeben scheint.

Weil einige Termine anstehen, komme ich in der kommenden Woche sicherlich nicht so recht zum konzentrierten Arbeiten. Manchmal während der Beschäftigung mit den kleinen Formaten in den Büchern, bewegen sich nur die Hände und füllen den Zeitraum mit Spuren, die nicht gedacht sind.

Die Sonne leuchtet matt hinter einer Wolkendecke, kommt nur so gefiltert durch die Glasfront des Ateliers. Nach den vielen Autostunden im gnadenlosen Licht am Wochenende, ist das erholsam. Im September erlebe ich manchmal eine Sehnsucht nach der Dunkelheit des Winters.

Handwerk

Natürlich könnte ich nun die Verdichtung auf Rolle 10, die mit dem Durchzeichnen beim Rückwärtsrollen entstanden ist, mit einem Vorwärtsrollen erneut verdichten. Das hatte ich früher schon so weit getrieben, dass durch die Wiederholungen das Papier vollständig schwarz geworden ist. Die dichten Gesträuche der letzten Tage, gelangen nun in die vergrößerten Umrisse der heutigen Buchmalereien.

Wenn ich die Kästen meiner Grafikschränke aufziehe, stoße ich auf die Arbeit, die vor vielen Jahren entstanden ist. Dort geht es ziemlich ungeordnet zu. Radierungen, Collagen, Holzschnitte, Zeichnungen und Aquarelle zu den verschiedensten Themen liegen dort durcheinander. Diese Rückblicke sind zumeist recht beglückend. Schaue ich zu unkritisch darauf?

Seit einiger Zeit habe ich mich von den digitalen Techniken verabschiedet. Der haptische Umgang mit Material ist mir wichtiger geworden. Mit Pappmache, Holz, Papier, Tusche, Aquarellfarben, Graphit und Schellack fühle ich mich wohler. Da Sonnenlicht, das ins Atelier kommt, bestätigt dieses Vorgehen, indem es die Wirkung des Materials, das durch meine Hände gegangen ist, aufleuchten lässt. Das Handwerk scheint dort auf.

Rückwärtsrollen

Um mich während der Tagebucharbeit etwas zu ordnen, mache ich zwischen dem Malen und dem Schreiben zumeist eine kleine Pause. Dann gehe ich auf die Wiese oder ins Gärtchen, um zu schneiden, zu flechten oder zu räumen. Das Betonschlagloch auf dem Platz, das ich als Vogeltränke nutze, befreite ich heute vom Flugsand, der von der Baustelle angeweht wird. Das Wasser ist nun wieder klar.

Gestern rollte ich die Transparentpapierrolle etwa 45 cm rückwärts und verdichtete zeichnend die durchscheinende Struktur. Manche der Figuren doppeln sich dabei dicht beieinander. Das kommt daher, dass der hintere aufgerollte Teil die Hälfte des Durchmessers wie der vordere hat. Beim Rückwärtsrollen kommen so die Motive nach einer zweimaligen Umdrehung etwa dort an, wo sie nach einer Drehung von vorne nach hinten wieder erscheinen. Diese Dopplung in dem Gesträuch verweist deutlich auf seine Ordnung.

Beim Besuch einer Ausstellung von Fotos und Installationen von Martha Rosler, fiel mir insbesondere der Raum zwischen Bildern und zugeordneten Worten auf. Das ist etwas, worauf ich innerhalb meiner Arbeit noch mehr Augenmerk legen sollte.

Neue Gesträuche

Besonders wenn ich mit der Holznadel Gravuren in die Seiten der Tagebücher grabe, tritt mitunter eine Linienstruktur auf, die den Bleistiftzeichnungen der Siebzigerjahre ähnelt. Über 50 Jahre lang haben motorische Codes in mir überlebt, die ich mir damals antrainiert hatte. Mein Körper stellte die Verbindung zu dem, was ich sah und zu Papier bringen wollte, her und fand so etwas, wie einen Stil. Wenn der heute wieder hervortritt, sucht er andere Verbindungen.

Die neuen Gesträuche, die entstehen, setzen sich aus den Schwüngen des Schwanzgefieders der Garudabegleiterinnen aus Lalung, den Abriss-Strukturen des Palastes der Republik und den Tonbandprotokollen des IM „Lutz Lange“ zusammen. Alls das konnte ich als ich 1977 an der Waldbahnstrecke zwischen Waltershausen und Sundhausen den blattlosen Strauch zeichnete, noch nicht wissen. Aber diese Zeichnung bildete die Architektur, die das aufnehmen konnte, was dann kam.

Sichtbar wird das nun auf Rolle 10. Gestern vergrößerte ich die Umrissfiguren der ersten Buchmalerei vom Morgen und zeichnete sie auf zwei Transparentpapierbögen. Das war die Grundlage für die Übertragung auf die Transparentpapierrolle, um das ins Werk zu setzen, was ich oben beschrieben habe.

Kein Federlesen

Unter etwas Zeitdruck kommen die Buchmalereien schneller auf den Punkt. Es geht gröber zu, Umrisse werden einfacher, geradliniger und kantiger. Keine verspielten Schwünge, eher Baustelle und nicht viel Federlesen. Der Kontrast der vielgeschwungenen Garudabegleiterinnen von Rolle 10 sollte die Collagen auflockern.

Tobias Kruse schickte ich meine Auswahl der Portraitfotos. Bei der Vorbereitung eines Leihvertrages mit dem Humboldt Forum korrigierte ich eine Angabe auf der Anfrage: die Transparentpapierrolle ist nicht 500 cm lang, sondern 5000 cm. Bislang sind keine Reliefs angefragt. Nur ihre entwurfsmäßige Entstehung auf Rolle 10 wäre sichtbar.

Damit bin ich noch nicht ganz zufrieden und denke an eine Aktion, die meine Reliefs mit dem Porzellanrelief im Restaurant konfrontiert. Darüber sollte ich noch mit den Kuratorinnen reden. Vielleicht wäre auch eine Veranstaltung denkbar, die das Projekt Stasi DADA zum Inhalt hat, oder eine abermalige Zusammenarbeit mit Tobias Kruse…

Saisonstart in Frankfurt

Gestern sahen wir uns den Saisonstart der Frankfurter Galerien an. Das Bild ist auf eine seltsame Weise kontrastarm. Vieles erscheint von lebensverbundenen Arbeitsweisen losgelöst. Es geht um wenig und kommt etwas steril rüber. Mit meinen Arbeitsweisen hat das alles wenig zutun.

So erscheint das Ankommen am Montagmorgen im Atelier erholsam. Auch im Zweifel an meinem Tun fühle ich mich wieder zu Hause. Die Collagenreihe wird etwas verändert fortgeführt und findet mit den kleinen Texten ins Netz. In den Buchmalereien sind die Befindlichkeiten aufgehoben, besser als in den Worten.

Tobias Kruse wartet auf meine Bilderauswahl seiner Aufnahmen, die ich vorgestern gemacht habe. Und das Humboldtforum will einen Leihvertrag für die Transparentpapierrolle machen. Ich muss mir einen Preis für die 50 Meter lange Rolle voller Zeichnungen ausdenken…

Übergang

Nun beginne ich mich mit den Figuren des Goldenen Klosters in Lalung zu beschäftigen. Aus der Fülle wählte ich zunächst zwei Vogeldarstellungen mit Menschenköpfen und langem ornamentalen Schwanzgefieder aus. Sie flankieren die Hauptpersonen der Friese. Zwei von ihnen zeichnete ich auf Transparentpapierbögen, um mich damit weiter auf Rolle 10 beschäftigen zu können.

Vor einem guten Monat beendete ich dort zunächst das Stasithema. Jetzt kann ein Übergang zu anderen Gegenständen der zeichnerischen Beschäftigung geschaffen werden. Die Überlagerungen werden die Richtung angeben, die dann eingeschlagen wird.

Natürlich bekommt die Arbeit an den Buchmalereien hier im Atelier neuen Schwung. Am offenen Rolltor, mit Blick in den kleinen Dschungel des Gärtchens, zu arbeiten ist etwas anderes als an den Hoteltischen oder im Flugzeug. Aber auf dem Dach von Tachis Haus in Lalung sind Linienkompositionen entstanden, die von Tabo inspiriert wurden. Damit ließe sich auf Rolle 10 ebenfalls etwas entwickeln. Wenn der Ringpoche, mit dem wir gemeinsam gegessen haben, schon meint, ich könne in meinem vorigen Leben vor tausend Jahren ein Maler der Klöster gewesen sein, spornt mich das schon etwas an!

Portrait

Am Morgen flocht ich ein paar Triebe der Weide zu Ringen, aus denen dann Triebe sprießen, die wieder zu Ringen geflochten werden können. Dabei sang ich vor mich hin: “Valentines Day“ von David Bowie.

Es fällt nicht ganz leicht nach vier Wochen Himalaja in die Atelierarbeit zurück zu finden. Die Suchbewegungen sind vage und führen über eine zurückhaltende Farbigkeit in den Buchmalereien zu den Collagen, die weniger kontrastreich ausfallen. Das ist die Vorsicht im Porzellanladen! Aber es gibt 900 Fotos und einige Zeichnungen, die ich in den tibetischen Klöstern gemacht habe. Das ist Material für Rolle 10.

Tobias Kruse hat die Fotos geschickt, die er von mir hier im Atelier gemacht hat. Ich soll aussortieren. Dabei kann es nicht um Qualität gehen, denn die ist gleichmäßig hervorragend. Es muss um die Zielrichtung gehen, für die die Aufnahmen stehen sollen. Und da scheint mir der Raum um mich, in dem meine Arbeit entsteht, fast wichtiger als mein Portrait zu sein, oder er ist ein wesentlicher Teil eines Bildes von mir. Dabei geht es um Materialität, Natur- und Kunstlicht und auch um die entstehenden Arbeiten um mich herum.

Müdigkeit

Die Buchmalereien tragen Müdigkeit in sich. Sie entstehen trotz des wenigen Schlafes. Am Morgen hilft mir mein Zahnarzt. Er erklärt viel von dem was er mit meinen Zähnen tut und wie ich mich danach verhalten soll.

Mich von meiner Arbeit hier zu trennen, fällt mir leicht. Mir ist dieser tägliche Arbeitszirkus, die Unabwendbarkeit dauernden Produktion, die Forderung nach der stetigen Erfindung neuer Konstellationen und Zusammenhänge, zu viel geworden.

Woher soll die Kraft dafür kommen? Habe mir Ingwertee gemacht. Es herrschen 17° im Atelier, ein paar letzte Mails und dann machen wir uns auf die erste Etappe unserer Reise bis nach Shimla. Dann in die Berge…

Buchmalereien

Mit den Gewindegängen einer Holzschraube setzte ich heute den Anfangsakzent meiner Buchmalereien. Diese Struktur, die einer Kreuzschraffur ähnelt, hob ich mit Gelbgrün, Indigo und Kobaltgrün hervor. Die hellen Linien der Gravur bleiben dann stehen und werden leuchtend sichtbar.

Dann entwickelte sich die Dynamik aus Handballenabdrücken, deren Umrisszeichnungen, aus Gravitationsschwüngen und wolkigen Konturauflösungen. Die Farbigkeit folgt dem Instinkt, der die Zusammenstellung der Töne schon voraussieht. Wichtig für das Ergebnis ist dann noch der Zusammenklang der drei Bilder.

Etwas mutiger könnte ich bei den Collagen werden, die den Malereien folgen. Dort kann ich, ähnlich wie mit den Handballenabdrücken in den Büchern, Bildelemente vervielfältigen und verändern. Das will ich nun gleich probieren.

Beschleunigung des Spiels

In den sich wiederholenden Umrissen innerhalb der 3 Buchmalereien eines jeden Tages, entdecke ich Mechanismen der alltäglichen Wahrnehmung der verschiedenen Umgebungen. Erinnerungen und Projektionen vermischen sich zu den Konstruktionen, die das Hirn collagiert. Die Zusammenhänge verschiedener Figuren, die zwillingshaft erscheinen, sind Erfindungen, Konstruktionen aus den Sinneseindrücken.

Immer öfter verliere ich während der Herstellung dieser kleinen Formate die Kontrolle über irgendeine Planung der Vorgänge, die zu den 3 zusammenhängenden Bildern führen. Geschöpfe, die menschlichen Figuren ähneln, entstehen von alleine. Das gleicht den Verläufen der Spiele, die mein Enkel Armin spielt. Auch die beschleunigen sich und führen zu einer Intensivierung, die Lautstärke und Einfallsreichtum steuert.

Der Monsun im Norden Indiens durchweicht die Verkehrsadern, auf denen wir uns in den Himalaja bewegen wollen. Das beeinflusst mein Nachdenken über die Dinge, die in das Reisegepäck wandern sollen. In der ganzen Zeit werden wir von ein und demselben Fahrer begleitet. Auf ihm lastet in der Situation, in der viele Straßen durch Erdrutsche verschüttet sein werden, eine große Verantwortung.

Besuch

Die Reliefs, die ich gestern mit Anne und Armin abgegossen habe, trockne ich nun mit einem Heizlüfter, weil das Pappmache, als wir es in die Form drückten, sehr nass war. Nun aber wird mein Enkel seinen Hirsch mit nach Hause nehmen können.

Nachdem wir gestern die Römerausstellung im Archäologischen Museum gesehen hatten, fahren wir heute zur Saalburg, einem rekonstruierten Römerlager am Limes im Taunus.

Gestern waren wir den ganzen Nachmittag im Atelier. Wir haben während unserer gemeinsamen Zeit kein Glück mit dem Wetter und müssen deswegen meistens in Innenräumen sein. Mit meinem Einbaum auf Rädern fuhr ich meinen Enkel über den regennassen Beton des Geländes. Mit Anne sprach ich über unsere Produktionsbedingungen beim Kunstschaffen und über meinen Nachlass.

Rabe und Hirsch

Bevor meine Tochter Anne mit ihrem Sohn Armin zu Besuch kam, versah ich die Kraftfeldform mit einer weiteren Schicht Schellack. Durch die häufige Benutzung wird ihre Struktur in Mitleidenschaft gezogen und kann etwas mehr Schutz gebrauchen. Mit Pappmache formten wir zwei Figuren, den Raben und den Hirsch ab, die nun trocknen und vielleicht morgen bemalt werden können.

Am Bahndamm holten wir Holz, mit dem wir ein Feuer entzündeten. Durch den Regen der letzten Wochen, war es ziemlich nass, wodurch wir einiges Geschick und viel Arbeit daran setzten mussten, um es in Gang zu bekommen. Später gab es Würste, Gemüse und Käse zum Grillen.

Im Atelier kann man sich natürlich prima beschäftigen. Es gibt eine Hobelbank, Holzbearbeitungswerkzeuge, Holz und genügend anderes Material, mit dem etwas anzufangen ist.

Reduktion

Nachdem es die ganze Nacht geregnet hatte, spielt nun wieder das Sonnenlicht im Garten und lenkt mich ab. Eigentlich bin ich, im Gegensatz zu meinen farbschwelgerischen Gedanken gestern, auf Reduktion aus. Wenige zartfarbige Flecken und deren Konturen sind zu kultivieren. Das tendiert wieder in Richtung Transparentpapierrolle, die ich mir aber erst nach der Reise zeichnend wieder vornehmen werde.

Das Pensum, das ich mir auferlegt habe, fordert mich so, dass ich mich öfter ausgelaugt fühle. Dann hoffe ich mit dem Beginn der Buchmalerei am Morgen, wieder Kraft tanken zu können. Das gelingt oft, aber die energetische Ausbeute schwankt.

Kurz vor größeren Reisen allerdings, gehen die in Gedanken schon zu den Abenteuern, die uns erwarten. Dann ist die Verbindung zu den Stoffen, an denen ich arbeite nicht mehr so eng. Eher bin ich schon im musikalischen Lärm der indischen Straßen, zwischen den Gerüchen der Küchen und Friseurbretterbuden.

Struktur und Materialität

Am Morgen, nachdem ich einen Supermarkteinkauf erledigt hatte, war im Atelier Zeit für Farben. Diese Seite meiner Arbeit, stand selten im Vordergrund. Nun stelle ich mir vor, einfach in Farben zu schwelgen. Die Konstitutionen der Materialien spielen dabei fast die Hauptrolle: trockene Stifte, Wasserspiele auf strukturiertem Papier, Reliefpappe durch Grundierungsschichten stabilisiert, Leinwände, Firnisse, Ölfarben.

Neugierig bin ich auf die Fotoauswahl, die mir Tobias Kruse schicken wird. Ein Fokus unserer Gespräche lag ja auf Struktur und Materialität. Es wäre gut, wenn davon etwas in den Portraits auftauchen würde. In seinem Buch „Deponie“, das er mir schenkte, ist viel davon zu sehen.

Den August werde ich mit einem neuen Buch beginnen, das ich auch mit nach Indien nehmen werde. Hoffentlich schlagen sich die dortigen Atmosphären darin nieder. Respekt habe ich vor den dichten Menschenmengen in den Städten.

Am Seegrund

Durch etwas großzügige Handballenabdrücke sind mir die Buchmalereien aus dem gewohnten Format gerutscht. Vielleicht ist das ein Impuls, der mich in andere Richtungen denken und malen lässt. In der zweiten Malerei erscheinen Unterwasserwelten, ein schlammiger Grund eines Sees. Die ganze Umgebung hört sich gedämpfter an: Güterzüge, Straßenreinigungsfahrzeuge, Gabelstapler, Ringeltauben, die A5, der Flughafen, der Wind, der Regen und das Rascheln der Blätter, alles wie unter einer Lasur.

Genau schaue ich hingegen in mein Gärtchen und registriere scharf sein Aufatmen in der feuchten und kühlen Atmosphäre der letzten Tage. Sogar die Weide, die schon gelbe Blätter bekam, treibt neues Grün.

Auf Rolle 10 schrieb ich gestern den Satz: „Er lebt so in den Tag hinein.“ mit meinen „Geheimzeichen“ zu Ende. Es entsteht das Gefühl, mit Stasi – DADA fertig zu sein. Sicher stelle ich noch den Relieffries „Entgoldung“ zu diesem Thema fertig, aber inhaltlich ist es von mir nun erst einmal genug bearbeitet worden.

Eruptionen

Manchmal während der Buchmalerei, schaukelt mein Oberkörper etwas, als folgte er einem Singsang tief in die Kinderseele, dem Ort der größten Einsamkeit. Die entstehenden Strukturen folgen direkt den kleinen Eruptionen, die vom Aufeinanderreiben der Innereien und Knochen an die Oberfläche treten.

Diese krakeligen Formen, die sich in das Papier graben, durch Farbschraffuren hervortreten, mit dem sanften Druck des nassen Handballens vernebelt werden, wieder und wieder durch Schraffuren auftauchen, die sich dann auflösen bis das Papier nachgibt, geben meine innere Bewegungsstruktur wieder.

Auf den Autobahnen 4 und 5 sprachen wir über den künftigen Einfluss der Künstlichen Intelligenz (irreführender Begriff) auf die Künste. Ich glaube, dass die Tiefe menschlicher Kunstproduktion mit den Hervorbringungen der KI nicht verglichen werden kann. Wendungen in den Kontinuitäten meiner Arbeit, die meinem Körper entspringen, Abfolgen die aus meinem Kopf kommen, gibt es nur durch mich.

Gemeinsamkeiten

Gerade ist Tobias Kruse wieder gefahren, der mich zweieinhalb Stunden lang fotografiert hat. Wir haben richtig viel gearbeitet. In dem Gespräch, das wir führten, stellten sich einige Gemeinsamkeiten heraus, die künstlerisches Sehen betrafen. Er meint ebenfalls, dass in der Ausstellung im Humboldtforum, die Reliefs mit sichtbar sein sollten.

Auf Rolle 10 schrieb ich gestern das Wort TAG in einer Geheimschrift und füllte die Umrisse dieser Buchstaben schon mit dem Stasi – DADA – Material. Trotz der vielen Dinge, die gestern zu erledigen waren, schaffte ich mein ganzes Arbeitsprogramm. Genau wie heute folgte aus der Zeitknappheit Reduktion und erhöhte Konzentration. Spartanische Buchmalereien, schnelle Collagen und Federzeichnungen.

Moos ist von einem Unwetter vom Dach gespült worden. Wenn es getrocknet ist, werde ich es zusammenfegen und mein Gärtchen damit auffüllen. Seit dem frühen Morgen regnet es und die Wiese saugt das viele Wasser auf, wie ein Schwamm.

Korsett

Die 3 Malereien des Vormittags fielen heute etwas karger aus, weil ich überraschend Besuch bekam und dennoch an meinem Zeitplan festhalten wollte. Eine Angewohnheit, die mich manchmal behindert. Aber heute ist mein 140. voller Arbeitstag dieses Jahres. Deswegen kann ich mich etwas zurücklehnen.

Vorhin erklärte ich zwei jungen afghanischen Männern mein aktuelles Projekt mit all seinen Schichten. Damit überprüfe ich die Schlüssigkeit dieser Arbeit. Menschen, die kaum etwas mit Kunst zutun hatten, verstehen die Zusammenhänge. Das sollte zwar nicht das vordringliche Ziel sein, kann aber nicht schaden, wenn der Prozess der Bildfindung dadurch nicht behindert wird.

Ich werde froh sein, wenn ich aus dem Stasi – DADA – Korsett befreit bin, und auf Rolle 10 wieder einfach drauflosarbeiten kann. Die Verbindung von Buchmalerei und Transparentpapierzeichnung, wird wichtiger für mich. Ich merke das jetzt, weil diese Verbindung gerade unterbrochen ist.

Neu kultiviert

Während der Buchmalereien an diesem Sonnabendvormittag, am Zeichentisch vor dem Gärtchen, höre ich „So What“ von Miles Davis in der Sendung „Klassik Pop etc.“ im DLF, die heute von Klaus Leggewie moderiert wird. Er ist etwa 4 Jahre älter als ich und spielt viel Musik, die auch zu mir gehört.

Gestern zeichnete ich an dem Fries, der ein Satz ist, weiter. Manche meiner Geheimbuchstaben wiederholen sich naturgemäß und verraten sich dadurch schon ansatzweise. Nur die durchgezeichneten Füllungen ihrer Umrisse sind immer anders. Es entstehen harmonische Zeichen.

Wenn der Satz in dieser Weise fertig geschrieben ist, möchte ich auf der Transparentpapierrolle wieder mit den Umrissen der Buchmalereien arbeiten. Weil ihr Zusammenspiel mit den Federzeichnungen auf Transparentpapier über 2 Monate unterbrochen war, entwickelte sich ihr Charakter in eine andere Richtung. Die Farben werden im Zusammenklang mit den Strukturen und im Spiel untereinander neu kultiviert.

Malträtiertes Material

Weiterarbeit am Fries. Die Geheimschriftzeichen, die für diesen einen Satz notwendig sind, lade ich aus der Stasi-DADA-Datei auf den Klappbildschirm und zeichne von da aus auf Transparentpapierbögen durch. Dabei korrigiere ich die ausgefransten Umrisslinien und harmonisiere damit das Gesamterscheinungsbild. Es unterstützt den heiteren Grundton des Ganzen. Manchmal erinnern Schwünge an das Rankenwerk mittelalterlicher Buchmalereien.

In den Collagen blieben diese abstrakten Figuren eher Fremdkörper. Heute gelang es mir, sie in das Geschehen der Malereien und vorausgegangenen Collagenstrukturen, besser zu integrieren. Über die Dokumentation dessen, woran ich parallel arbeite hinaus, kommen manchmal Aspekte zutage, die mir während der Arbeit nicht auffielen.

Auf das Papier der Tagebücher übe ich manchmal zu viel scharfkantigen Druck aus. Das malträtiere Material wirft sich auf, bildet Falten und behindert damit meine Weiterarbeit an den Motiven. Etwas mehr Vorsicht wäre angebracht. Die leichten Wandlungen aber, die die Malereien auf der langen Strecke durchmachen, bestärken mich in der Fortführung dieses täglichen Unterfangens.

WEITERMACHEN!

Auf Rolle 10 arbeitete ich an dem Fries weiter, und plötzlich bekommt er einen heiteren Charakter, als würde ich mich über die Stasiüberwachung lustig machen. Ganz anders ist das bei den Entgoldungsreliefs, die mit ihren Lasuren eine düstere Stimmung erzeugen, ein Kohlenkellergefühl.

Seit einiger Zeit liegt auf dem Zeichentisch eine Holzschraube herum, deren Kopf abgebrochen ist. Ihre scharfkantigen Gewindegänge drückte ich heute, mit einer Holzleiste von oben pressend und rollend, in das Papier. Bewege ich die Schraube mehrmals hin und her, verändert sie langsam ihre Richtung und die Gravuren zeichnen diese Bewegung mit einer Kreuzschraffur nach. Das ist ein neues Mittel.

Diese organisierten Flächen mit den parallel laufenden oder sich schneidenden scharfen Linien bilden einen willkommenen Kontrast zu der Schwüngen, Konturen und wolkigen Auflösungen der anderen Strukturen. WEITERMACHEN!

INDENTAGHINEINLEBEN

Die ersten 3 Buchstaben, ER und L, des Satzes: „Er lebt so in den Tag hinein“, zeichnete ich mit meinen Geheimschriftbuchstaben auf Rolle 10. Die Umrisse dieses abstrakten Figurenfieses füllte ich mit den Fragmenten des Tonbandprotokolls, wie sie bis in den Mai dieses Jahres auf der Rolle entstanden sind.

Dieser eine Satz des Berichtes erscheint auf den ersten, heutigen Blick etwas belanglos. Aber im Kontext der strengen Arbeitspflicht im Sozialismus ist ein solches INDENTAGHINEINLEBEN eine Provokation. Und so entpuppt sich der Bericht meines IM „Lutz Lange“, mit seinen subtilen Hinweisen, als explosiv. Die Umwandlung des Satzes in einen Geheimschriftfries, führt mich tiefer in die Erinnerungen hinein. Gleichzeitig hoffe ich den Dialog mit meinem toten Berichterstatter weiter intensivieren zu können.

Das Spiralelement in den Buchmalereien stammt aus den Achtzigerjahren. Damals begann ich damit Figurenumrisse auszufüllen, die oft während Schauspielproben entstanden sind. Heute funktioniert es eher als Verbindungselement zwischen verschiedenen Konturen, was dadurch zu einem Energiefeld wird.

Alphabet

Den Zeichen meines Geheimalphabets, das ich aus dem Stasi-DADA-Material entwickelt habe, ordnete ich nun die deutschen Buchstaben zu und bezeichnete die Dateien entsprechend. So kann ich nun einfacher mit diesen Figuren umgehen. Heute erschienen die ersten des Satzes „Er lebt so in den Tag hinein“, den Heinz Werner über mich zu Protokoll gegeben hatte, schon in den Collagen. Dann werde ich beginnen, diese Worte auf Rolle 10 zu bearbeiten.

Ich habe nun wieder ein paar Tage, in denen ich alleine bin. Eine solche Situation führte in letzter Zeit öfter zu einer sehr intensiven Arbeitsphase, bei der ich mich leicht verausgaben konnte. Jetzt aber bin ich schon etwas in einem Sommermodus, während die Hängematte im Gärtchen zwischen zwei Bäume gespannt ist.

Im Himalaja herrscht in der Gegend, die wir bereisen wollen, derzeit noch Monsun. Das macht die Wege unsicher, Erdrutsche können die Reiseroute verändern. Es wird wahrscheinlich noch abenteuerlicher, als eine solche Reise ohnehin schon ist.

Pionierportraits

Am Wochenende hatte ich die Idee, mir die Pionierportraits von 2015 noch einmal vorzunehmen. Während unseres Grillfestes mit den Kolleginnen von „YOU&EYE“, hatte ich von der Gästetafel aus größerer Entfernung den ganzen Abend auf mein Selbstportrait als Siebenjähriger im Blick, das ich in einer Raster-Lasurtechnik gemalt habe. Diese Technik hat mehr Potential, kann mit weitren malerischen Aspekten angereichert werden. So würde ich das Lasieren ernster und dichter betreiben und die Portraits mit Figuren aus den Buchmalereien oder von Rolle 10 konfrontieren.

Die Arbeit an den Reliefs geht derzeit nur langsam voran. Den ganzen Komplex, vom Kraftfeld bis zur Entgoldung, stellte ich den Gästen vor, mit denen wir den Abend des Samstags am Grill unter dem großen Vordach verbrachten, denn es regnete.

Innerhalb der Buchmalereien stelle ich die entstehenden Konturen in unterschiedlichen Konstellationen nebeneinander. Aus den Räumen dazwischen entstehen mitunter neue Figurationen. In der zweiten Malerei füllte ich eine solche mit karminroten Schwüngen aus, die wie Energielinien hin und her springen, sich kreuzen und kreiseln.

Die Gelenke der rechten Hand

Der Lorbeer hängt voll Kirschen, Birkensamen regnen in die Wasserbottiche und die winzigen jungen Eidechsen flüchten vor ihren gefräßigen Eltern. Die rennen oft mit Stummelschwänzen herum, denn die Elstern sind aufmerksam und ein Falke streift durch unseren Himmel. Meine Bewegungen im Gärtchen sind langsam und knapp, um die Sonnenbäder der Reptilien nicht zu stören, damit die scheuen Ringeltauben zum Trinken kommen und die Schwebfliege ihr Revier bewachen kann.

Vier junge Frauen entladen ihre Autos und tragen Kisten und Backsteine (?) in das Günestheater. Ich sehe die schwarzen T-Shirts, die sich über ihre Rücken spannen. Sind es Laienschauspielerinnen, die zu einem Gastspiel gekommen sind?

Die gezeichneten Schwünge der Buchmalereien biegen die Farblinien über das kleine Stück Papier, etwa ein Drittel einer A5 Seite. Das kommt aus den vielen Gelenken meiner rechten Hand, die mein Denken strukturieren will.

Koleka Putuma

Koleka Putuma ist eine südafrikanische Autorin, deren Performance wir gestern im Mousonturm sahen. Sie präsentiert ihre Lyrik in einer Mischung aus darstellender und bildender Kunst. Gesprochenes Wort, Soundcollagen und Projektionen verbinden sich zu einem Gesamtkunstwerk. Das Bühnenbild ist sparsam – eine kleine beleuchtete Kiste, ein Treppchen und zwei schmale Hänger als Projektionsfläche. Als solche funktioniert auch ihr Körper für Wortcollagen und schwarze Sängerinnen. Am Rande der Vorstellung trafen wir viele Theaterleute, die wir schon sehr lange kennen.

Die Untermalung des sechsten Entgoldungsreliefs stellte ich gestern fertig. Daran werde ich in dieser Woche nicht mehr weiterarbeiten, weil zu viele andere Dinge anstehen und zu erledigen sind. Eine Arbeitspause bis zur kommenden Woche.

Die Amseln baden mit unterschiedlichem Geschick zwischen den Seerosen oder auf dem Speichenrad, das halb im Wasser in einem Bottich klemmt. Stets sind sie sehr aufmerksam, reagieren auf jede Bewegung mit Flucht. Manche von ihnen sehen zerzaust aus, wie von Ungeziefer geplagt.

Lärm

Vor meinem Garten sitzend, versuche ich nach einem „YOU&EYE“ Treffen, einen klaren Gedanken zu fassen. Zumeist komme ich schnell in die Buchmalereien, weil ich Papiergravuren aufnehme, weiter führe, schraffiere und mit meinem feuchten Handballen den Beginn eines zweiten Miniaturformates setze. In den entstehenden Flecken entdecke ich manchmal Figuren oder abstrakte Architekturen. Wenn die Konkretion die Oberhand übernimmt, mache ich mit Wasser und meiner Hand ein paar Wolken drum herum.

Gestern kam Franz mit seiner Mundharmonika und blies zu meinem Gitarrenlärm auf ihr. Wir spielten zwei unterschiedlich lange Improvisationen. Das läuft für meinen Geschmack noch zu wenig aufeinander bezogen. Aber das Gespräch darüber stellte die Verbindungen zu unserer bildnerischen Arbeit her.

Frau Schnabel vom Humboldtforum hat die Ausstellungskommunikation an Frau Falentin weiter gegeben, die ich schon von unserem langen Gespräch in Berlin kenne. In einer Mail beschrieb sie mir das Konzept, innerhalb dem meine Transparentpapierrolle gezeigt werden soll. Alles Weitere wird in den kommenden Monaten besprochen.

Schneller auf dem Punkt

Mit der Vorzeichnung und Untermalung des sechsten Entgoldungsreliefs habe ich gestern begonnen. Der Textteil des Tonbandprotokolls streckt sich an manchen stellen und wird an anderen gestaucht. Das hat eine zähflüssige Anmutung.

Die Buchmalereien sind heute sehr knapp ausgefallen. Wegen eines Einkaufs war weniger Zeit. Manchmal führt diese Situation dazu, dass ich etwas schneller auf den Punkt komme. Die Deutlichkeit wird mit dieser Reduktion größer. Auch die Collagen verändern sich dadurch. Zu ihnen gesellten sich auch die ersten Teile der Untermalung des aktuellen Reliefs.

Morgen in der Frühe, um 8 Uhr, findet ein Termin von „YOU&EYE“ in der Hindemithschule statt. Heute Abend kommt Franz zum Musizieren, am Wochenende ist eine Grillparty bei mir und morgen gehen wir ins Theater. Dann gibt es noch verschiedene andere Termine in dieser Woche. Meine Aufmerksamkeit in diesen Phasen ganz in der Gegenwart zu halten, ist die Aufgabe.

Der Prozess der Erinnerung

Das neue grundierte Entgoldungsrelief hängt an der großen gespannten Leinwand über den ersten 5 Exemplaren, die nun fertig bemalt sind. Nach einem Wochenende auf heißen Autobahnen, mit Blick vom Zeichentisch in mein Gärtchen, gibt es da auch eine Hängematte, in der ich mich von den anstrengenden Fahrten erholen kann, komme aber nicht umhin, mich weiterhin mit den Erinnerungsvorgängen zu befassen. Erstmal keine Hängematte!

Der Prozess begann mit dem Rückbau des Palastes der Republik und den vielen Fotografien davon, die mir Ingrid Voss immer wieder aus Berlin mitbrachte, die ich selber machte oder von meiner Tochter geschickt bekam. Diese Strukturen wanderten auf die Transparentpapierrollen, mischten sich dort mit meinen aktuellen Buchmalereien zu neuen Figurationen. Dann folgte die Beschäftigung mit dem Porzellanrelief, das nun vom Palast in das Humboldtforum gewandert ist, und seinen Vergoldungen, die von meinem IM „Lutz Lange“ stammen.

Seine Tonbandprotokolle führten nun zum Schluss zu den Stasi-DADA-Reihen auf Rolle 10 und schließlich zum Entgoldungsprojekt. Aus ihm gehen die Reliefs mit den Umrissen der Vergoldungen hervor. Dieser Prozess ist mit wichtig bei der Präsentation der Arbeit.

Textfragmente I Köpfe I Kontext

Das Relief ist nun vollständig in der Form getrocknet, aber mit der Grundierung habe ich noch nicht begonnen. Mit diesem Arbeitsgang möchte ich auch die Risse, die ich schon von hinten geschlossen habe und deren Ränder aufrecht stehen, glätten. Diesmal besteht die Untermalung, die dann folgt, aus einem etwas vollständigeren Textfragment des Protokolls der Tonbandaufzeichnungen meines IM „Lutz Lange“. Das kann ein Schlüssel für die Einordnung der anderen viel bruchstückhafteren Buchstabenreihen sein.

Von der Kraftfeldseite her, die ich dem Porzellanrelief gegenüberliegend imaginiere, beherbergt das Entgoldungsobjekt die Köpfe eines anatolischen Amuletts und einer Aborigini Felsmalerei, die ich mir kulturell angeeignet, verflochten und übermalt habe.

Mit Freude und Interesse las ich im Humboldtforum – Newsletter, dass sich eine Veranstaltung mit der Überwachung des Palastes der Republik durch die Stasi beschäftigt. Dieser wichtige Faktor der Erinnerung ist nun platziert, wodurch meine Arbeit am Entgoldungsfries kontextualisiert werden kann.

Nasse Pappe

Als ich gestern auf den Altkönig stieg, besichtigte ich die Westflanke des Berges, wo es vor etwa 3 Wochen gebrannt hatte. Kurz vor dem Gipfel, an einem der keltischen Steinringe, wurde das Feuer gestoppt. Zwei Hektar vertrockneter Wald sind von der wahrscheinlichen Brandstiftung betroffen. Vielleicht können nun die Gehölze wachsen, die sich von alleine ansiedeln.

Vor meiner Wanderung besserte ich noch die Risse am Relief aus, die entstehen, wenn die nasse Pappe in der Form trocknet und sich dabei zusammenzieht. Nach einer weiteren Stabilisierung durch mehrere Grundierungsschichten, beginne ich mit der Stasi-DADA-Untermalung in der kommenden Woche.

Die Reliefstrukturen haben sich in den Collagen vor die Buchmalereien geschoben. Parallel dazu machen die Malereien einen Intensivierungsprozess durch. Sie laufen nicht nebenher und werden am Morgen schnell abgehakt, sondern es findet wieder eine konzentrierte Suche nach Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung statt.

Stasi-DADA-Kraftfeld

Den nächsten Vergoldungsumriss schnitt ich aus Pappe aus und drückte ihn nass in einen oberen Bereich der Kraftfeldform. Dabei achtete ich darauf, dass das Netz der Motive immer senkrecht zur waagerechten Ausrichtung der Umrisse liegt. So können sich die Stasi-DADA-Strukturen mit dem Kraftfeldnetz besser verbinden.

Bei der autofiktionalen Literatur zur DDR-Vergangenheit, geht es oft um Recherchen und Befragungen durch die Nachgeborenen. Sie treffen nicht selten auf das Schweigen derer, die die wichtigste und prägendste Zeit ihres Lebens damals in diesem Staat verbracht haben. Mit meinen Eltern kann ich auf eine gemeinsame Geschichte zurückgreifen. Aber auch da gibt es weiße Flecken, wie z.B. die Zeit meines Vaters als Aufseher im Zuchthaus Brandenburg. Es gibt Ereignisse, Kausalitäten und Strukturen, die beschwiegen werden.

Nachdem ich sie eine Weile nicht gespielt habe, entdeckte ich nun meine Gitarre wieder. Sie bleibt so etwas, wie ein Notausgang für die Gefühle und schließt sich somit direkt an die Buchmalereien an. Die Strukturen der Papiergravuren, Schraffuren und Wirbel korrespondieren tatsächlich mit dem Sound, den ich mit dem Instrument und seinem Effektgerät entwickle.

2 Kilometer

Dass die Entgoldungsreliefs seit gestern dunkler geworden sind, kommt dem Eindruck, dass sie im Braunkohlenkeller lagerten näher. Nun will ich weitere Pappumrisse in Form der Vergoldungen des Porzellanreliefs im Humboldtforum in die Kraftfeldform drücken, damit ich sie nach der Grundierung mit der Tuscheuntermalung des Stasi-DADA von Rolle 10 versehen kann.

In der vergangenen Nacht träumte ich von einem Dschungel, in dem ich Objekte baute. Diese wurden zu Räumen, ähnlich von Bühnenbildern. Mich erinnerte das an meinen Taunuspfad und möchte nun den Hang am Altkönig besuchen, der vor kurzem gebrannt hat. Am vergangenen Sonntag hatten wir einen Blick von etwa 2 Kilometern Entfernung auf diese Stelle.

Weil die Beschäftigung mit der DDR gerade einen Boom erlebt, ist es für mich richtig, etwas Abstand einzunehmen, um die Vorgänge aus der Entfernung (von etwa 2 Kilometern) zu betrachten. Dafür wechselte ich meine Lektüren und hoffe, dass das Auswirkungen auf die Arbeit hat.

Dunkelheit

Auf meine veränderte Handschrift schauend beginne ich den Faden der letzten Woche wieder aufzunehmen. Die Existenz des ersten kleinen Reliefs, das ich für den Entgoldungsfries angefertigt hatte, entging mir. Also habe ich bereits 5 von 9 Vergoldungsumrissen des Porzellanreliefs in Entgoldungsobjekte umgewandelt. Die Farbigkeit hat sich bei der Weiterarbeit verändert. Das will ich auf die ersten 3 Reliefs erweitern.

Carola Hilmes erzählte ich gestern, während eines Taunusspazierganges, von diesem Projekt und bemerkte, wie anstrengend das für mich ist. Es gleicht zunehmend einem Abstieg in den Braunkohlenkeller der DDR. Das Atmen wird schwerer. In diesem Zusammenhang scheint mir eine weitere Eindunklung der Reliefs folgerichtig. Mit Tusche, Graphit und Holzkohle, was ich alles mit Schellack mische, werde ich vorsichtig weiter lasieren.

Gedanken schweifen ab in das lichte Spiti – Tal. Ich werde das Skizzenbuch der ersten Himalajareise dorthin mitnehmen, weil darin noch viel Platz ist. Manchmal denke ich mir die tibetischen Berggötter in die Landschaften hinter den Tempelwänden, die ihre Schreine beherbergen.

MEHR

Gestern wurde die Bemalung des 4. Entgoldungsreliefs fast fertig. Es dauerte danach eine Weile, bis ich mich davon erholt hatte. Das gelang mir aber in der Hängematte in meinem Dschungel, wo ich mit Aleida Assmanns Intervention zur Erinnerungskultur zum Schluss kam. Davon brauch ich noch mehr! Und endlich habe ich nach Berlin berichtet, wo die Arbeit nun angelangt ist.

Deutliche Veränderungen gibt es nun die Werktagscollagen. Mit dem gesamten Material gehe ich nun freier um, füge kräftige Dunkelheiten ein und verwandele die Reliefbemalung in eine changierende Schicht. Vielleicht sollten die Buchmalereien etwas mehr in den Hintergrund treten.

Die Arbeit am „Entgoldungsfries“ strengt sehr an. Manchmal kann ich die Stasitexte nicht mehr sehen. Auch ihre Verwandlungen in Stasi-DADA drängen mich in das Fühlen meiner letzten DDR-Jahre. Im Spiegel, dachte ich, schaue ich mir beim Zeitreisen zu.

Zorn

Gestern beendete ich die Tuscheuntermalung des aktuellen Entgoldungsobjektes. Erforderlich ist eine disziplinierte Arbeitsweise, um die Wirkung der Miniatur auf der Transparentpapierrolle in eine größere Form zu bringen und sie dennoch nicht schwächer werden zu lassen. Die Unsicherheit des Strichs kann dabei hilfreich sein.

Das wirklich Schöne an dieser Arbeit kommt aber erst jetzt. Es ist die Schichtenmalerei mit Tusche, wenigen Wasserfarben und Schellack. Das ist eine Lasurtechnik, die das innere Leuchten der Bilder ermöglichen kann, indem ich immer tiefer in die Dunkelheit der Erinnerungen hinabtauche.

Aber wo bleibt der Zorn? Findet er sich nur in der Geste des Entgoldens, in der Gegenüberstellung der banalen Porzellandekoration mit den Schichten der Aufdeckung von Verantwortungen meines Mentors Heinz Werner alias „Lutz Lange“? Weil ich die Arbeit in erster Linie für mich mache, versäume ich es, den Kuratorinnen im Humboldtforum davon zu berichten. Das muss aber getan werden.

Akribie

Der Versuch von Akribie bei der Tuscheuntermalung auf dem neuen Relief, schlug fehl. Zu sehen ist die Bemühung, etwas von den Schreibmaschinentypen der Tonbandprotokolle in die unebene Landschaft zu übertragen. Aber auch der Tonfall der Berichte zeugt von Unsicherheiten und von Vorsicht. Da wollte mir jemand vielleicht nicht allzu sehr schaden.

Zwischendrin habe ich eine der großen Papprollen, die ich lange aufgehoben habe, in einen Bottich mit Wasser gestellt. Sie soll sich so langsam von unten her auflösen und zu Pappmache werden. Damit will ich an der Kraftfeldform weitere Versuche starten.

Gestern hatte ich einen langen Abend mit Franz. Mitten auf den Platz vor dem Atelier stellten wir den Grill und das Feuerfass, das ich schon vor Wochen mit klein geschnittenem, trockenem Holz gefüllt hatte. Es war auch genügend Wein da, dass wir es lange aushielten. Er meinte, dass auch meine Rachegefühle meinem IM „Lutz Lange“ gegenüber Platz in meinem Projekt haben sollten. Mit Blick auf die Fortführung der „Entgoldung“, ist das ein bedenkenswerter Aspekt. In den letzten Wochen schwebte mit eher eine Versöhnungsgeste vor. Vielleicht gehört aber die andere Seite mit dazu.

Dialog mit einem Toten

Zum dialogischen Erinnern fehlt mir mein Partner Heinz Werner, der schon vor ein paar Jahren gestorben ist. Deswegen lasse ich die Kunstgesten und Schriftzeugnisse aufeinander treffen: seine Vergoldungen auf meine Entgoldung. Sie stützt sich auf seine Tonbandberichte, die mir für die Zwiesprache reichen müssen.

Das nächste Objekt dieser Reihe, gleicht in seinem, vom Porzellanrelief abgenommenen Umriss, einer Sprechblase. Textfragmente der Tonbandprotokolle und Liniengeflechte sind teilweise schon von Rolle 10 übernommen worden. Bei diesem Arbeitsschritt nähere ich mich eher der Tuschzeichnung auf dem Transparentpapier, lasse Freiräume, die für den Zusammenklang der Schichten des Kraftfeldes und der Protokollfragmente zur Entgoldung hin, notwendig sind.

Ich möchte der Wirkung dieser Arbeit als eine Abrechnung mit meinem IM entgegenwirken. Somit muss dem Dialog der Kunstwerke eine größere Bedeutung zukommen. Indem ich versuche, seine Perspektive als Künstler einzunehmen, kann ich versuchen, mit dem Toten in diesen speziellen Dialog der Erinnerung zu kommen.

Vor 50 Jahren

Durch meine Erinnerungskonstruktionen entsteht das Gebäude, in dem die Wahrnehmungen wohnen, die die eigenen Prognosen bilden. Die Erwartungen, die ich an das Klassentreffen hatte, das das 50. Abiturjahr feiern sollte, kamen aus der Verfestigung bestimmter Wortwechsel, die vor 20 Jahren in der gleichen Runde stattfanden.

Wenige Jahre nach der Wende waren damals noch viele Wunden offen, deren Schmerzen mir, als einem von 2 Wessis in der Runde, überreicht wurden. Ich war plötzlich der Kolonisator, war mitschuldig an den Brüchen, die die Biografien meiner Mitschüler durchzogen. Und das nur, weil ich schon 5 Jahre vorher die DDR verlassen hatte und auf der anderen Seite der Grenze wohnte. Davon war nun Vorgestern keine Rede mehr.

Vielmehr erinnerten wir uns an das vielleicht wichtigste Ereignis unserer wenigen gemeinsamen Jugendjahre, einer Meuterei in einem Lager der vormilitärischen Ausbildung. Weil ein Mitschüler aus politischen Gründen von der Schule verwiesen worden war, formierten wir einen Protestzug als Schweigemarsch rund um den Exerzierplatz des Militärgeländes. Das war eine heikle Situation, auch für unsere Ausbilder, die in diesem Fall unsere militärischen Vorgesetzten waren. In unserer Berufsschule wurden wir dann festgesetzt, nicht mit Nahrung und Getränken versorgt und einzeln verhört. Unsere Mitschülerinnen versorgten uns mit Lebensmitteln, die sie uns in den offenen Fenstern des zweiten Geschosses zuwarfen. Dieser ganze Vorgang, der nun 50 Jahre her ist, hätte alle Zutaten für den Gründungsmythos einer Vereinigung zur Aufklärung dieses und ähnlicher Vorfälle von staatlicher Willkür in der DDR.

Byzantinisch

Auf der Wiese sprach ich mit einem türkischen Liedermacher, der gerade seine Heimat verlassen hat. Dann hörte ich, während der Buchmalereien, seine Lieder im Netz. Zu den durchgedrückten Linien des Vortages entwickelten sich Konturen von Resonanzkörpern, die zu Saiteninstrumenten gehören könnten. Die Zwischenräume rückten dann in den Vordergrund, wie der musikalische Klang.

Die Weiterarbeit an der Bemalung des „Entgoldungsreliefs“, führt in die Formensprache byzantinischer Mosaiken. Der Moment ist gekommen, an dem die lang ersehnte Wiederaufnahme der Lasurmalerei beginnt. Die Folge ist, dass der Akt der Entgoldung keine Dekonstruktion mehr beinhaltet, sondern eher eine Aufwertung der vergoldeten Partien des Porzellanreliefs. Das Blattgold allerdings, wird ersetzt durch das Schreinergold Schellack, das sich mit den Fragmenten der MfS-Tonbandprotokolle und den Linien des Kraftfeldreliefs zu einem dialogischen Erinnerungsparcour schichtet.

Was die Verdichtungen dieser Arbeitsphase noch zutage fördern werden, wird dann bei der Bearbeitung des „Geheimalphabets“ aufgehoben. Morgen fahre ich, passend zur gegenwärtigen Beschäftigung, zu einem Klassentreffen nach Thüringen.

Verschiedene Zielrichtungen

Der durch das Kuratorinnenteam abgesteckte Erinnerungsrahmen im Bezug auf das Projekt „Der Palast der Republik ist Gegenwart“, löst bei mir entgegengesetzte Zielrichtungen aus. Zunächst verengt sich der Blick auf das Porzellanrelief im Humboldtforum und dort auf die Gestaltungsanteile meines IM „Lutz Lange“, die Vergoldungen. Ich spiegele ihre Umrisse und versehe die Oberfläche dieser eigenen Reliefs, die aus dem Projekt „Kraftfeld“ stammen und sich mit dem Porzellangegenüber vermischen, mit einer Schicht der Verarbeitung der Tonbandprotokolle des MfS.

Schon dieses Spiel ist dialogisch und fügt der eigenen Erinnerungsperspektive den Blick auf eine zweite hinzu. Weitere Drehungen der Perspektivrichtungen ergeben sich aus der Veröffentlichung des künstlerischen Forschungsmaterials. Hier kann sich zeigen, ob diese Verbildlichung des Erinnerungs- und Verarbeitungsvorgangs verallgemeinbar sein kann. Das ist der Beitrag meines Projektes „Entgoldung“ zur kollektiven Erinnerung der sich gegenüberstehenden Gruppen.

Die Malerei, die ich gestern fortgeführt habe, bleibt davon unberührt. Vorsichtig begegne ich der eingegrenzten Farbpalette von Schellack, Graphit und Tusche mit Blautönen, die aus den Buchmalereien auf die Reliefs hinüberwechseln.

Zögern

Im Netz sah ich ein Interview und eine Podiumsdiskussion mit Aleida Assmann zum Thema der Erinnerungskultur. Parallel dazu lese ich in ihrem Buch weiter, nehme mir Zeit, nach den langen Monaten der Produktion, die Inspirationskammern wieder mit neuen Verknüpfungen aufzufüllen.

Die Arbeit an einem der kleineren Reliefs, die bereits mit Aquarellfarben bearbeitet worden sind, habe ich gestern fortgeführt. Mit Schellack vermalte ich zunächst die Graphitschraffuren zu kompakteren, geschlossenen Flächen. Danach fügte ich noch mehrere Lasuren des „Schreinergoldes“ (Schellack) hinzu.

Es geschieht nun also, dass sich die verschiedenen Techniken aus den Buchmalereien und den Transparentpapierrollen, auf den Reliefs vermischen. Das lange Zögern hatte seine Gründe, weil sich die Techniken nicht so leicht verbinden lassen. Nun geht es aber langsam wieder hinein in die verdichteten Schichten.

Mehr Experimente!

Die Situation, in der ich erinnere oder das Erinnerte durch meine Arbeit sichtbar wird, beginnt eine zunehmende Rolle zu spielen. Die Leistung eines Betrachters, sich der bildgewordenen Rückschau zu nähern, anonym im Netz oder in einer geografisch rückkoppelnden Umgebung, beeinflusst den Entwicklungsprozess dieser Forschung. Das habe ich zuvor viele Jahre lang ausgeschlossen.

Tobias Kruse hat sich gemeldet, um mich für das PdR-Projekt im Humboldtforum zu fotografieren. Er möchte das mit Naturlicht in meinem Atelier machen. Ich glaube, dass er einen Umgang mit Strukturen entwickelt hat, der der Ateliersituation mit der aktuellen Arbeit zugute kommen wird. Ich würde mich freuen, wenn ich ihn dazu inspirieren könnte, Teile der Reliefs mit aufzunehmen.

Am Morgen begann ich auf einem Exemplar der Reliefs, das ich schon begonnen hatte mit Farben zu bearbeiten, mit Graphit zu schraffieren. Das möchte ich danach noch mit Schellack vermalen und mit anderen Techniken vermischen. Es bedarf noch mehr an Experimenten.

Fragen nach Struktur

Meine Überprüfung der Arbeitsstruktur, richtet sich nach innen. Von dort aus kann die Blickrichtung gewechselt werden. Dieser Wechsel ist das Entscheidende, das der Struktur einen produktiven Energiekern verschaffen kann.

Ein Beispiel dafür ist die Beschäftigung mit den Tonbandprotokollen des MfS. Sie berühren eine Verfassung, die sich aus der persönlichen Enttäuschung über den Verrat eines Vertrauten entwickelte. Das ist die Bewegung nach innen, die auf Rolle 10 zu finden ist. Ihre Umkehrung besteht in der Konfrontation der beiden Reliefs im Humboldtforum („Entgoldung“) und die Überführung der eigenen Erinnerungsperspektive in eine dialogische und letztlich kollektive Erinnerung. Das empfinde ich als meinen Beitrag zum Projekt „Der Palast der Republik ist Gegenwart“.

Mit der Frage nach Struktur taucht die der Arbeitsgeschwindigkeit auf. Ich habe den Wunsch sie zu senken. Wenn ich das manchmal tue, treten in den Buchmalereien Verknappungen auf aus deren zurückhaltenden Gesten eine gewisse Eleganz herrührt. Sie sind dann aber schon ausgereizt und lassen sich, beispielsweise auf den Transparentpapierrollen, nur noch schwer weiterentwickeln.

Neue Entgoldung

Ganz nebenher entstand eine neue „Entgoldungsarbeit“. Ich fuhr mit meinen Farbstiften, die wasservermalbar sind, durch die Vertiefungen eines grundierten Reliefvierecks mit einer Kantenlänge von etwa 20 cm und ging mit einem nassen Pinsel hinterher. Die veränderte Farbstimmung führte auch zu einer anderen Zeichenstruktur. Sie kommt zwar immer noch von den Durchzeichnungen der Tonbandprotokolle auf Rolle 10, erscheint nun aber etwas lichter und freundlicher.

Die Autoren meiner derzeitigen Lektüren sind Aleida und Jan Assmann. Die Texte, die um Schriftkultur und Erinnerung kreisen, ergänzen sich und haben direkt mit meiner derzeitigen Arbeit zutun. Ihre Erkenntnisse beeinflussen die Entwicklung der Projekte. Der Begriff des Erinnerungsdialogs konturiert meine Inhalte neu. Die Begegnung der Reliefs entwickelt sich auch dadurch für mich spannend.

Die Buchmalereien blieben heute etwas schütter. Ich würde die Strukturen der Handballenabdrücke gerne weiterentwickeln, ihnen eine größere Bedeutung zumessen. Auch die Reliefs können durch die Berührungen der farbbenetzten Haut gewinnen.

Freundlicher Blick

Sehr zeitig habe ich heute die Buchmalereien abgebrochen, weil es mir um die Figurationen, die am Beginn der Arbeit auftreten und dann von den folgenden Schichten abgedeckt werden, leid tut. Außerdem finde ich die sparsamen Kompositionen manchmal reizvoller, als die starken Verdichtungen.

Von der Arbeit an der Rekonstruktion des Kraftfeldes, die in das Projekt „Entgoldung“, die Beschäftigung mit dem Palast der Republik und meiner Stasiüberwachung, übergegangen ist, habe ich mich in den letzten Tagen erfolgreich fernhalten können. Das hat zur Folge, dass mich die Bemalungen der Reliefs jetzt schon etwas freundlicher anschauen. Das beruht aber auf Gegenseitigkeit.

Ich denke darüber nach, wie ich die kleineren Relieffragmente der „Entgoldung“ mit den großen Tafeln der Rekonstruktion so verbinde, dass die Teile wieder leicht voneinander lösbar bleiben. Es müssten kleine Halterungen aus Pappmache gebastelt werden, in die man die Reliefs einhängt. Morgen beginne ich ein neues Tagebuch. Das ist Nummer 161.

Tove-Projekt im Schauspiel Frankfurt

Amseln holen sich Erde aus meinem Gärtchen. Mit Klumpen davon fliegen sie davon. Das ist rätselhaft. Manchmal pfeife ich mit ihnen. So unterhalten wir uns. Sie singen auch gerne zur Klaviermusik von Glenn Gould.

Im Schauspiel Frankfurt sahen wir gestern das „Tove-Projekt“. In der anspruchvollen Hauptrolle arbeitete Sarah Grunert schwer und erfolgreich. Der unaushaltbaren Weite der Bühne, hatte sie nur die Behauptung ihrer künstlerischen Existenz als Figur und als Schauspielerin entgegenzusetzen. Zwischen den Rollen der Ehefrau, der Schriftstellerin und der Mutter, zerrieb sich der sensible Charakter, hin und her geworfen. Eins schöner Abend, mit ein paar Längen, aber mit einer großen Schauspielerin.

Mal wieder sehne ich mich nach einer feuchtwarmen Luftströmung aus Südwesten, mit Schauern, Gewittern, dampfenden Wäldern und schwirrenden Insekten überall. Das ortsfeste Hoch beschert uns aber stetig trockenen Ostwind. Ich kann nur mein Gärtchen wässern und ein paar besondere Pflanzen auf meiner Wiese mit der Gießkanne versorgen. Und wir haben im vergangenen Jahr unseren Energieverbrauch um ein Drittel gesenkt!

Schichtungen

Mir fiel ein, dass ich die Reliefs des Entgoldungsfrieses direkt mit einem großen Kraftfeldexemplar kombinieren könnte. Da sie aus derselben Gipsform abgegossen worden sind, können die deckungsgleichen Stellen übereinander geschichtet werden. Das ist eine weitere Variante neben der Reihung der Objekte in einem waagerechten Fries.

Die Freude bei dieser Arbeit beizubehalten, ist eine der Herausforderungen des Projektes. Allzu oft pralle ich vom Anblick der Reliefs zurück, werde von den Buchstaben abgestoßen. Hier steht mir mein Streben nach Kontinuität im Weg. Ein wenig mehr Mut zur Pause oder zur Abwechslung wäre gut.

Ein Rinnsal Wasser plätschert in einen der Bottiche des Gärtchens. Durch die offenen Tore zieht die Sommerluft. Samen der Kräuterwiese, auf der ich als Kind Ski fuhr, gehen in meinen Frühbeeten auf. Ich werde sie später auf meine Wiese setzen.

Entgolden

„Entgoldungsfries“ ist der etwas sperrige Arbeitstitel, der die Reliefs umfasst, die ich derzeit anfertige. Das „Entgolden“ bezieht sich auf die Vergoldung des Porzellanreliefs, das im Humboldtforum hängt. Was bisher entstand ist noch etwas steif, als müsste ich erst warm werden mit dieser Arbeit. Als Teil des Prozesses lasse ich diese ersten 3 Reliefs aber gelten.

Ganz anders geht es in den Buchmalereien zu. Dort interessiert mich eher die kosmische Gravitation. Paralleluniversen entstehen als Wiederholungen. Manchmal wird das Geschehen von einem Kulissenteil eingerahmt und wird so zu einer Bühnenszene. Würde ich den „Entgoldungsfries“ zu einer Bühnendekoration machen, könnte ich den szenischen Prozess der Nutzung der Strukturen, vom Zuschauerraum aus beobachten. Ich wäre nicht der Akteur, sondern Bühnenbildner. Das Publikum kann zwischen den Kulissen umhergehen, die vom Regisseur aufgestellt worden sind. Er hat freie Hand, damit umzugehen. Ich lehne mich zurück.

In diesem Sinne schaue ich auch auf die Entwicklung des „Geheimschriftfrieses“ (auch so ein Arbeitstitel). Dessen Buchstaben werden nun noch auf Rolle 10 weiterentwickelt. Eine Arbeit mit weit offenem Ausgang. Ich muss nur die Entwicklungsarbeit aufrechterhalten.

Staub

Die Bemalung der Reliefs hat begonnen. Die unterschiedlichen Strukturen, d.h. die dreidimensionale Oberfläche und die Zeichnungen von Rolle 10, dabei übereinander zu bekommen, ist etwas mühsam. Es hat sich bewährt, die Schichten zuvor im Rechner übereinander zu legen.

Die Erinnerungsarbeit konsequent fortzuführen, ist anstrengend. Es ist, als würde diese abgelagerte Trockenheit der Stasiakten, auf meinen Körper übergehen. Ein anhaltendes Durstgefühl entsteht. Der Staub ist mit der DNA der Schreibtischtäter kontaminiert, die sich die Maßnahmen zur „umfangreichen Aufklärung des Persönlichkeitsbildes“ ausdachten und solche, die mir das Leben schwer machen sollten. Sie betonierten damit allerdings, mein festes Vorhaben, die DDR zu verlassen, umso mehr.

Nun möchte ich in dieser Auseinandersetzung eine Veränderung der Herangehensweise herbeiführen. Das soll geschehen, indem die Malerei einfach Spaß macht. Ich möchte die Materialien genießen und somit immer wieder gerne an dieses Thema herangehen können.

Unterhaltungen I Friese

Die Tage sind still. Es gibt das Gespräch mit den Buchmalereien, mit dem Werkzeug, beispielsweise einem Bossierpinsel aus der Porzellanmanufaktur Meißen und mit meiner rechten Hand. Unterhaltungen gibt es auch mit Eidechsen, mit den vielen Vögeln, den Schwebfliegen und Wildbienen. Es bleiben aber nur wenige Worte zwischen uns.

Die erste Umrissform der Vergoldung des Porzellanreliefs, die mein IM entworfen hat, nähert sich mir. Diese kleine Reliefscherbe ist der Ort, auf dem die Auseinandersetzung mit meiner Überwachung zur Energie wird. Nur ein paar Linien und Zeichen sind darauf unterzubringen, die sich mit den Strukturen des Kraftfeldes schneiden werden. Außerdem sind noch 5 weitere, größere Vergoldungsfiguren abzuformen, damit der Fries vollständig wird.

Danach widme ich mich dem „Geheimalphabet“. Es ist noch nicht klar, wie es mit den anderen Arbeitsschichten verknüpft wird. Aber einen Satz des MfS – Tonbandprotokolls, möchte ich damit schreiben und mit der Kraftfeldform einen Objektfries daraus herstellen.

Archäologie

Mit dem Boot kehrte ich zum Ort meiner Unterwasserarchäologie in der Nidda zurück. Langsam lernt mein Blick, viel versprechende Steinmetzarbeiten aus der Gründerzeit unter der Wasseroberfläche und dem Schlamm, der Details überdeckt, zu erkennen. Mit den Fingern durchdringe ich dann die Schlammschicht und ertaste die Oberfläche des Gesteins: Fugen, Hohlkehlen, rechte Winkel, Blattformen, Kugeln usw.. So nehme ich einen direkten Kontakt mit den Handwerkern dieser Zeit auf.

Dann startet der Versuch, das schwere Material näher an die Oberfläche zu bugsieren, wodurch sich die Eignung des Blocks für den Transport klärt. Ist er mit der Kraft meiner Hände ins Boot zu hieven und reizt mich seine Gestalt, nehme ich ihn mit. Die ursprüngliche Funktion der 2 Steine, die ich gestern ins Atelier trug, will ich noch näher erforschen.

Diese Fahrt hat mir so gut getan, dass ich dachte, gleich heute wieder aufs Wasser zu gehen. Das hängt etwas von der Kraft und der Arbeit ab. Gestern arbeitete ich kaum, was ich mir ausdrücklich vornehmen und dann durchhalten muss. Heute ist es anders.

Überwindung

Auf dem Weg ins Atelier traf ich Mujdat Albak vergnügt vor seinem Theater. Gedämpft erklärte er mir, dass drinnen eine Kindervorstellung läuft. Endlich, nach 20 Jahren, etwas Richtiges. Ich soll das aufschreiben!

Jetzt sitze ich am Tisch vor den geöffneten Rolltor und trinke beim Schreiben Kaffee. Schwebfliegen halten Wache in ihrem Revier, die Dachdecker auf der Baustelle singen Balkanlieder, die sich mit den Rufen der türkischen Schauspieler mischen.

Gestern formte ich den nächsten Goldumriss des Porzellanreliefs mit eingeweichter Pappe in der Kraftfeldform ab. Die ausgeschnittenen Umrisse sind eher nachempfunden als maßstabsgerecht dupliziert. Mich kostet die Herstellung dieser Objekte etwas Überwindung. Es ist, als würde ich meinem persönlichen IM Heinz Werner einen Gefallen tun. MfS – DADA, Goldkitsch und Geheimschrift, mit Schellack, Tusche, Graphit, Wandweiß, Tapetenleim und Pappe – kaum Materialkosten!

Spannung zwischen Faktischem und Nachfühlen

Am Nachmittag, als die Schüler gegangen waren, las ich über Erinnerungskultur bei Aleida Assmann. Diese Lektüre hilft mir über manche Phasen stockender Produktion hinweg. Der emotionale Druck, unter dem ich diese Arbeit mache, wird über die Zeit hinweg deutlicher spürbar. Die Empfindungen beim längeren Abschied von der DDR, vor meiner Ausreise 1984, während der Arbeit im Atelier, im Dresdner Schauspiel oder beim Zusammenarbeiten mit Freunden, werden wieder aufgerufen.

In der „Geheimschrift“ findet die bildnerische Bearbeitung dieser Zeit ihre bisher stärkste Abstraktion. Wenn ich es schaffe, diese Buchstaben im Liniennetz des Kraftfeldes wieder zu finden, oder sie mit Ihm verbinden kann, erreiche ich eine nochmalig verdichtete weitere Schicht.

Es wird deutlich, dass die Spannung der Erinnerungsarbeit zwischen dem Faktischen, das sich in den MfS-Tonbandprotokollen zeigt, und dem Nachfühlen dieser Zeit, wächst. Entscheidend bleibt für mich die Form, in die sie eingegossen wird.

Titel finden

Die ersten 4 Exemplare der neuen Reliefreihe sind abgeformt und einmal grundiert. Um mir die abermalige Beschreibung der komplizierten Vorgänge zu sparen, sollte ich Titel finden, mit denen ich die einzelnen Reihen des Projektes bezeichne. Es sind Umwandlungen durch Verschmelzungen und Spiegelungen von Erfahrungsgedächtnissen. Das IM-Gold auf dem Porzellanrelief wird vom Kraftfeld des Zielobjekts absorbiert. Das schafft die Energie, die in die Zukunft reicht.

Durch die Verbindung der Erfindung meines eigenen „Geheimalphabets“ aus den Tonbandprotokollen des MfS, mit den täglichen Collagenerarbeitungen, ist der Tagebuchprozess vorübergehend um eine Schicht reicher geworden. Morgen werde ich fertig damit sein. Dann sind alle Buchstaben des deutschen Alphabets mit einem neuen Zeichen versehen.

Heute kommen meine Schüler, um die Reliefs zu bemalen, die sie beim letzten Treffen abgeformt haben. Dann endet unsere gemeinsame Zeit zunächst. Ich hoffe, dass ich einige von ihnen im Herbst wieder sehen werde.

Reliefgeflecht und Schriftfragmente

Die Füllungen der Goldbemalungsumrisse des Porzellanreliefs, die auf Rolle 10 aus den verschiedenen Phasen der Tonbandprotokollverarbeitungen entstanden sind, bilden das Ausgangsmaterial für die Bemalung der Pappschablonen ebendieser Umrisse, die ich nun in die Kraftfeldform gedrückt habe. Das Reliefgeflecht, das die Form bietet, verbindet sich dadurch mit den Schriftresten und Figuren.

In Gedanken zeichnete ich außerdem die äußeren Linien meiner „Geheimbuchstaben“ hinter die letzten Porzellanfigurationen auf die Transparentpapierrolle und füllte sie mit dem vorausgegangenen Material. Was aus allen Ideen werden könnte, bleibt spannend, auch wenn sie nicht alle umgesetzt werden.

Die Hoffnung auf Erlösung durch Erinnerung, auf gemeinsames, vertrauensvolles Wenden und betrachten der Geschehnisse aus den Perspektiven von Tätern und Opfern, im Zusammenhang mit der Arbeit an „Der Palast der Republik ist Gegenwart“, erzeugt diese Form von Selbstverpflichtung, die ich mir auferlegte. Mit der Bearbeitung der Zeugnisse meiner Überwachung durch mich als Betroffener, übernehme ich auch einen Teil der Erinnerungsarbeit aller Täter.

3 Gestaltungslinien

Nun habe ich endlich begonnen, mich mit den Abformungen zu beschäftigen, die mit den Umrissen der Porzellanbemalungen auf die Kraftfeldform treffen. Die Reliefs entstehen nicht aus Pappmachemasse, sondern aus ausgeschnittenen Flächen, die ich einweiche und in die Form drücke.

Es hat mich etwas Überwindung gekostet, das Material der so sehr verschiedenen Reliefs in dieser Weise zu konfrontieren. Nun ist es verwoben und vermischt und ich fühle mich dadurch erlöst. Das spornt mich an, daran weiter zu arbeiten.

Während dieser Auseinandersetzung mit meiner MfS-Überwachung, sind verschiedene Gestaltungslinien entstanden: die Verbindung des Fluchtvokabulars der ukrainischen Jugendlichen mit den Worten der IM-Tonbandprotokolle, die Schriftfragmente, die sich zu meiner eigenen „Geheimschrift“ entwickelten und die Begegnungen der Reliefs in den Abformungen.

Macbeth

Gestern sahen wir „Macbeth“ im Schauspiel, in der Inszenierung eines Russen, die Bezüge zum gegenwärtigen Krieg gegen die Ukraine aufwies. Eine alte Übersetzung, eine solide Regiearbeit und ein sehr begabter junger Darsteller in der Hauptrolle. Zweieinhalb Stunden ohne Pause gingen schnell vorüber, keine Löcher, keine Langeweile.

Nun will ich beginnen, die Pappen mit den Umrissen der Porzellanreliefbemalung aus dem Humboldtforum, herzustellen. Die Arbeit an diesem Thema ruhte eine Woche. Das wirkt sich zwiespältig aus. Das regelmäßige Arbeiten erzeugt eine Stabilität im Alltag, aus der eine Energie erwachsen kann.

Ich stelle mir die Zeichen, die ich gefunden habe, auf Rolle 10 vor. Wohin die Arbeit mit ihnen führen könnte, kann ich mir nur vage vorstellen. Es erinnert mich an die Scherbengerichte des Väterprojektes, an dem ich sieben Jahre arbeitete. Die Zeichen können sich mit den Fragmenten der Tonbandprotokolle verbinden…

Ausgangspunkt

Die Texte, die zu meiner Person gesammelt wurden, sind nun der Ausgangspunkt für eine neue Schrift oder für einen Figurenfries. Der Stasitext ist also kein Endpunkt, sondern stellt Material zur Verfügung, mit dem ich Bilder in die Zukunft hineinformen kann.

Die Arbeitsweise von Elfriede Jelinek, in deren Textflächen Wortimpulse vorhanden sind, die in eine andere Zeit- oder Handlungsschicht führen, hilft mir, die Arbeit auf den Transparentpapierrollen in einer ähnlichen Weise weiter zu führen. Immer wieder treffe ich dabei auf dieselben Bilder, die sich aber langsam verändern. Ich versuche sie zu verdichten, vielleicht in räumliche Gestaltungen zu verwandeln. Die neuen Sinnzusammenhänge, die so entstehen, müssen mit dem Ausgangsmaterial nichts mehr zutun haben.

Es entsteht eine neue Energieform, schwarze Skulpturen, die Schrift sein können, aber auch Unterwasserlebewesen in einem der Ozeane der Jupitermonde.

Zeichenskulpturen

Jedem, der aus den MfS-Tonbandprotokollen entwickelten, Zeichen kann ein Buchstabe des deutschen Alphabets zugeordnet werden. Sie werden in Ton als Relief oder als Vollplastik modelliert. Von jedem wird eine Form gegossen. Aus dem, auf diese Weise vervielfältigten, neuen Alphabet werden dann Sätze zusammengestellt, die aus den IM-Protokollen stammen. Wie z.B.: „Er lebt so ein Künstlerleben in den Tag hinein.“

Das Grün meines Gärtchens wird undurchdringlich. Auf den Regalbrettern neben meiner Korbsesselnische, liegen die Sachen, die mich inspirieren: geschmolzenes Glas mit Einschlüssen von Holzkohle, eine handgemalte Porzellanscherbe, stark verwitterte, gesägte Knochenstücken, Schnur, Muscheln, Federn, geschlemmter Ton in einem Blecheimer, rote Lavasteine, Lochziegel, Dornenverzweigungen, Tontöpfe mit Samen, ein Handfeger und ein altes Frotteehandtuch in einem Weidenkorb, Sägeblätter, Arbeitshandschuhe, Gießkannen, Schraubdeckelgläser – alles durchsetzt von einem feinen Gespinst.

Eigenständige Buchmalereien vom Morgen. Ich benutzte den Aquarellkasten, Bambuszeichenfedern, Stifte, Haare, Holznadeln, Pigmentstaub. Kratzen, wischen, schraffieren, Handkantenstempel, Umrisszeichnungen… Dann der richtige Zeitpunkt für den Schluss.

Swing-By

Bisher fand ich 9 Zeichen auf Rolle 10, die ich bereits in die Collagen eingefügt habe. Sie sind die vorläufige Essenz aus der Beschäftigung mit den MfS-Tonbandprotokollen. Ich stellte sie mir auf den Kraftfeld-Relieffragmenten, die Umrisse der Porzellanreliefbemalungen meines IM haben, als große, schwarze, über die Reliefstruktur hinweg ausgebreitete, fremde Buchstaben vor.

Hier finden sich die Schichten der beiden Reliefs zusammen, überlagern sich, verschmelzen womöglich miteinander zu einem Erinnerungsgegenstand. Sein Sinn klärt sich erst später. Mit den handwerklichen Möglichkeiten der Verschränkung von Materialien und des Wachstums in den Raum, werden hoffentlich neue Perspektiven eingenommen werden können.

Die Begegnungen mit den auftauchenden Themen empfinde ich oft wie die Begegnung mit Planeten, die meinen Raumsondenflug mit ihrer Gravitation beschleunigen und lenken. Dieser Vorgang heißt bei den Raumflugexperten „Swing-By“. Und es gibt komplizierte Gleichungen, mit denen man die Bahnen der künstlichen Flugkörper auf diese Weise vorbestimmen kann.

Intimität und Monumentalität

Die kleinen Zeichen, die ich gestern und vorgestern inmitten des Gesträuchs der Tuschelinien auf Rolle 10 gefunden habe, stellte ich mir als überdimensionierte, freistehende Skulpturen vor. Diesem Reiz der Gegensätze von Intimität und Monumentalität, begegnete ich in meiner Arbeit schon mehrmals. Aus winzigen Details entwickeln sich Reihen neuer Motive.

Für die kommende Woche habe ich mir die Pause vorgenommen, die schon seit einiger Zeit als notwendig anstand. Lediglich das Arbeitstagebuch, die Collagen und vielleicht noch ein paar Zeichen aus dem Sta-DA-si-DA – Gesträuch sollen eine Rolle spielen.

Jetzt achte ich auf die Bremsgeräusche der landenden Maschinen und auf die Musikalität der sich überlagernden Rückwärtsgangsignale von der Baustelle. Von meiner Nische im Gärtchen aus beobachte ich seit einiger Zeit eine Wildbiene, die sich im Boden unter meinen Holzstapeln eingerichtet hat. Auf den Begrenzungssteinen, die nach Südosten ein Mäuerchen bilden, sonnen sich 5 Mauereidechsen.

Regen und Feuer

Wenn Ich meine Handkante auf das farbfeuchte Papier meines Tagebuches presse, spüre ich, wie meine Haut das Ultramarin oder Ocker aufsaugt, damit es in die vorhergehende oder nächste Malerei übertragen werden kann. Die Farbkrümel, die beim Anspitzen der Stifte anfallen, bilden auf dem Papier mit Wasser und Handballenabdrücken, schöne Wolken. Wenn ich das auf die Bemalung der Reliefs übertrage, muss ich das an die Grundierung und auch an den Gesamtklang anzupassen. Vielleicht muss ich auch die Grundierung verändern.

Beim Einrichten der heutigen Collagen entstand eine Arbeitsweise, mit der ich die Zeichen finden kann, die in den vergangenen Wochen bei der Beschäftigung mit den Stasitexten entstanden sind. Mit den 3 ersten sind die heutigen Collagen schon angereichert worden. Sie sind aus einer Tuschezeichnung vom 9.5. von Rolle 10 entnommen. Es könnte sein, dass ich alle Zeichen aus diesem größeren Liniengesträuch entwickle.

Die Schüler haben gestern ihre Reliefs aus der Form geschält und grundiert. Dann sind wir raus gegangen, um den Gartenschnitt, der sich den Winter über angesammelt hatte, in der Feuertonne zu verbrennen. Weil es regnete machte das Anzünden etwas Mühe. Dann aber wurden die Flammen und das Blech so heiß, dass die fallenden Tropfen schon in einiger Entfernung verdampften. Wir merkten in der Hitze nicht, wie uns der Regen durchnässte.

Überrollt

Die Umrisse der Goldbemalungen des Reliefs aus Meissner Porzellan, aus dem Jahr 1974, das jetzt im Deli Humboldt hängt, sind nun vom Geflecht der Bearbeitungen der IM-Tonbandprotokolle der Jahre 1982/1983, die ich in den vergangenen Wochen hergestellt habe, auf Rolle 10 überrollt worden. Dabei sind 9 Elemente entstanden.

Nun kann das Experiment mit diesen Umrissen beginnen, die ich zunächst für vergrößerte Pappschablonen nutze, beginnen. Die werden in die Kraftfeldform gedrückt. So begegnen sich die Reliefs aus Meißen und aus Frankfurt. Es sollen Objekte entstehen, die einen skulpturalen Charakter haben werden.

Mir kommen auch die eingeritzten Buchstaben aus Ellis Island in den Sinn, aus denen ich dreidimensionale, digitale Objekte gemacht habe. Ähnliches geht mir durch den Kopf, wenn ich an die Weiterverarbeitung der Bilderschrift denke. Diese, schon vollständig gescannt, muss aber erst gesichtet werden. Dann entstehen Umrisse davon, die auf Rolle 10 eine Verwandlung erleben werden.

Zäsur

Mitten im „Futur II“ sitzend, dem Experimentalaufbau, in dem unterschiedliche, voneinander entfernte Areale der Rolle 10 übereinander gelegt werden können, sehe ich dieselbe transparente Schichtenkonstellation, wie schon einmal am 14.04.. Gestern aber zeichnete ich andere Teile des Tonbandprotokolls vom 24.05. 1982 in die Umrisse durch.

Nun sollen Stellen der Übergänge vom Tonbandprotokoll zur Bilderschrift in die Goldumrisse des Porzellanreliefs gelangen. Dann wird das Ganze vom fortlaufenden Zeichnungsgeschehen überrollt. An dieser Stelle auf Rolle 10 angekommen zu sein, ist eine Zäsur.

Nun werde ich an die Bemalung der Reliefs gehen, die ich schon die ganze Zeit vor Augen hatte. Außerdem mache ich das, was ich mir vor etwa 4 Wochen vorgenommen hatte: “Wenn ich eine Struktur aus der Vergangenheit in die Markierung in der Zukunft eingefügt habe, werde ich mich, dort angekommen, anders an diese Struktur erinnern.“ Das ist nun so. Dieser Kreis hat sich geschlossen. Ich sehe die entstandenen Bilderschriften nun anders!

Die Annäherung an die Goldumrisse des Porzellanreliefs, die ich am 11.04. auf der Rolle weiter hinten, also platzierte, kommt nun an den Punkt, wo sich die Strukturen des aktuellen Voranarbeitens mit denen aus der Vergangenheit, die in die Zukunft transferiert waren, begegnen. Zuvor kann ich noch, mit dem Aufbau der Konstruktion „Futur II“ wenige Übergangselemente der Bilderschrift aus der Vergangenheit in die Umrisse zeichnen.

Die breit angelegte Experimentalstruktur hinterfrage ich mit Blick auf ein effektiveres Vorgehen. Kann ich schneller auf den Punkt kommen oder sind die entstehenden Materialmengen notwendig, den Prozess möglichst ergebnisoffen zu halten.

Dem Objektcharakter der bemalten Relieffragmente, widme ich mehr gedankliche Aufmerksamkeit. Es geht um die Größe der Porzellanumrisse, die wenn sie dem Original ähnelt, einen Prozess des Wiederkennens begünstigt. Geht es mir darum? Wird der Prozess des Erinnerns dadurch eher angestoßen?

Aus der Drehung

Das thematische Motiv der Gravitation oder einer Kraft, die alles Gedachte und Gezeichnete verdichtet, zieht weitere Experimente nach sich. Die Begegnung der zwei Reliefs beispielsweise, die sich gegenüberliegend umkreisen und ihre Grenzen verwischen, wenn die Geschwindigkeit zunimmt. Dann kommt es zu einer Neuordnung der Formen. Die goldenen Porzellanteile ordnen sich beispielsweise aus ihrer luftigen Verteilung zu einer strengen Zeile, auf der sie das Innere umkreisen. Die Bildschrift, die sich aus den Tonbandprotokollen entwickelte, findet sich durch die beschleunigte Drehung auf den Oberflächen der Kraftfeldfragmente wieder und verbindet sich dort mit den Porzellanformen.

Ich komme nicht dazu, alle gedachten Vorgänge vollständig parallel zu verwirklichen. Es stehen sich verschiedenen Arbeitsweisen gegenüber. Es gibt das freie Fahren in den Gewässern des Erinnerns, was oft genug zu überraschenden Ergebnissen geführt hat. Es gibt die fokussierte Weiterentwicklung des Forschungsfeldes, durch weglassen unnötiger Arbeitsschritte. Beides steht sich gegenüber, wie die beiden Reliefs.

Die Arbeitsweisen kommen, je nach Perspektive, zur Anwendung und sollten sich ergänzen. Es wäre sicherlich auch richtig, das konkrete Ziel der bemalten Reliefs, mal wieder aus den Augen zu verlieren. Der Nachmittag wird zeigen, wohin es mich aus der Drehung verschlägt.

Ein Wirbel

Die Buchmalereien sind besinnungslos, schnell und rhythmisch entstanden. Sie wachsen alle 3 zugleich und sprechen dabei miteinander. Die sich überlagernden Zeichen nähern sich der Gestalt der Transparentpapierrollenarbeit, den Buchstabenbildern. Die Schriftzeichen könnten von der Rolle auf ein Rollsiegel übertragen werden. So entwickelt sich die nächste Verdichtung, wenn das ganze gedachte Material zusammengeschmolzen wird.

Das Zusammentreffen der beiden Reliefs aus Meißner Porzellan und aus Pappmache sollte eine Fusionsenergie bereitstellen, die die Verflechtung der Linien und die Schichtung der Flächen in eine Rotation versetzt, die mit zunehmender Geschwindigkeit immer neue Bilder erstellt.

Der Loop greift auf die Sprengung und den Wiederaufbau des Schlosses, den Bau und Rückbau des Palastes der Republik und die Erstellung des Kraftfeldreliefs, seine Zerstörung und seine Rekonstruktion zu. In diese Rotation wird nun das Porzellanrelief mit hineingezogen. Die Kraft dieser Gravitation kann noch mehr an sich ziehen und somit verwandeln.

Pausieren als Kraftakt

Meisen schwirren im Gärtchen, baden im Seerosenbottich und jagen sich. Aus meinem Wintergarten stellte ich den letzten Pflanztopf raus. Es gibt nur wenige Insekten, nachdem die Wildbienen ihre Nester fertig gebaut haben. Und die Mauereidechsenpopulation scheint sich auch verkleinert zu haben.

Durch die Arbeit mit den Schülern ist meine eigene Produktion ins Stocken geraten. Heute will ich an der Form noch einige, kleinere Reliefs ausformen. Auf diesen Untergründen probiere ich dann, das auf Rolle 10 entstandene, Material aus. Dennoch wäre etwas mehr Abstand zu den Erinnerungsthemen gut, denn es macht sich eine gewisse Müdigkeit breit.

Das Unterbrechen der selbstverordneten gleichmäßigen Arbeit, die aus den Arbeitstagebüchern und Transparentpapierrollen resultiert, ist ebenfalls ein Kraftakt. Er ist aber notwendig.

Spartenübergreifend

Die ukrainischen Schüler und Schülerinnen haben gestern Relieffragmente ihrer Wahl ausgeformt. Ich unterbrach meine Arbeit an Rolle 10 und war wieder mit der Kraftfeldform konfrontiert. In den nächsten Tagen werde ich ein paar kleinere Teile abformen, die schon mit den Formen des Porzellanreliefs zutun haben werden.

Am Vormittag hörte ich ein 3 Berichte von Künstlerinnen, die am Projekt „YOU&EYE“ mitarbeiten. Jede konnte auf ihre Weise mit den Teilnehmern tief in das Material ihrer speziellen künstlerischen Entwicklungen eindringen. Teilweise arbeiten sie sogar spartenübergreifend. Genau so hatte ich mir immer unsere Arbeit vorgestellt.

Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich solche Arbeitsweisen initiieren muss. Vielleicht werden ja auch die Kooperationsprozesse auf diese Weise selbstverständlicher, die wir schon in kleinerem Maß begonnen hatten.

Zwei Reliefs

Trotz meines Vorhabens, die Figurenumrisse von gestern spannungsvoller auf die Transparentrolle zu übertragen, gerieten sie mir zu gleichmäßig. Aber nun sind die Flächen erreicht, die sich auf die Goldbemalung meines IM`s „Lutz Lange“ beziehen. Im fortlaufenden Geschehen kündigt sich ein Höhepunkt in Form des Zusammentreffens meines verwandelten MfS – Protokollmaterials mit den Porzellanrelieffragmenten an.

Dafür möchte ich eine weitere Verdichtung erreichen, indem ich das Ausfüllen der Umrisse erweitere und das ganze Material, auch um die Figuren herum, durchzeichne, ihre Grenzen damit sprenge. Ein weiterer Schritt dahin kann das Durchzeichnen im Zurückrollen von Rolle 10 sein, wenn die Porzellanumrisse ausgefüllt sind. Aktuelle Ergebnisse werden auf diese Weise in die Vergangenheit transferiert und überlagern die bis dahin entwickelte Struktur. Vergangenheit verändert sich dadurch in diesem Experiment.

Mehrere Varianten der Bemalung und Ausformung des Kraftfeldreliefs erscheinen mir nun möglich. Eine davon ist es, die Blütenformen, die der Blätter und Goldbemalungen, als äußere Begrenzung von Relieffragmenten anzuwenden. Damit kann sich die Rekonstruktion des Kraftfeldes direkt auf das andere Relief beziehen. Ich stelle mir eine Reihe von Blattformen vor, in der die Einzelteile losgelöst sind vom Bildzusammenhang der beiden Vorgängerreliefs.

Zeichnen und schreiben zugleich

Die Umrisse der Handkantenabdrücke, das Gewicht der Farben in ihren Zwischenräumen und die fehlende Spannung der Flächengrößen, die entstehen kann, wenn ich so besinnungslos vor mich hin male, beschäftigten mich am Morgen. Bei einer Übertragung auf Rolle 10, muss ich Flächen zusammenfassen und teilen, um den Mangel zu beheben.

Die Buchmalereien sind aber nur Teil des Prozesses, der mit dem Anfüllen der Umrisse aus dem, fortgeführt wird. Die Strukturen, die aus den Kopien der Tonbandprotokolle entstanden sind, mischen sich mit den Geflechten der Umrisslinien. Die Arbeit ist dann zeichnen und schreiben zugleich. Es gibt fließende Zeilen und Felder mit geometrischen Gebilden, die alle zusammenhängen.

Die Arbeit auf der Rolle fortzuführen, bis ich bei den Porzellanformen des Reliefs aus dem Palast der Republik angekommen bin, hält quälend lange an. Immer noch einen Schritt weiter und noch einen, um die Überwachungstexte möglichst gründlich in Zeichen zu übertragen, die sich aus der Enge der DDR-Vergangenheit befreit haben.

Von der Rolle zum Buch

Zeichen entstehen ohne Nachdenken, ohne Bezug zu einem Gegenstand, sie bilden sich wie von selbst. Dieser Vorgang im Buch ist ein anderer als auf der Rolle, dennoch folgt er ihm. Von der Rolle zum Buch. Holzhaarnadelgravuren drücken sich von der Seite des Vortages auf die heutige durch. Durch Schraffuren werden sie sichtbar. Über mehrere Arbeitsvorgänge hin, können sie zu Bildzeichen werden. Die Entzifferung folgt erst nach der Erfindung. Es ist der umgekehrte Vorgang, wie bei der Verbilderung der Schreibmaschinentypen der Tonbandprotokolle.

Die Räume zwischen den hervorgehobenen Umrisslinien in den Buchmalereien, können zu eigenen Motiven werden. Aus einem leeren Raum wird dann eine Figur der Abwesenheit. Ich stelle mir eine Musikalische Komposition vor, die nur aus Pausen anderer Musikstücke besteht. Man hört nur das Ausklingen des Tones, nicht den Anschlag. Ein Stück aus lauter Zwischenräumen.

Mir wird es nun wichtiger, dass die Phase der Zeichenentwicklung auf der Transparentpapierrolle abgeschlossen wird. Es sind noch etwa 70 cm bis zu den Goldumrissen, die ich vor ein paar Wochen aus dem Porzellanrelief herausgezeichnet, und in einer Reihe an dieser Stelle der Rolle platziert habe. Vielleicht erreiche ich diesen Vorgriff noch in dieser Woche, kann diese Felder ausfüllen und bin dann im Besitz des Materials, mit dem ich die Reliefs des Kraftfeldes bemalen werde.

Vom Buch zur Rolle

Ohne Zögern setzte ich die Umrisse der gestrigen Malereien vergrößert gleich auf Rolle 10 und begann sie auszufüllen. Die Verbilderung der Schrift der Tonbandprotokolle betreibe ich nun zielgerichteter und versuche ganze Passagen ohne abzusetzen zu zeichnen, sodass der Vorgang dem Schreiben von Schreibschrift ähnelt. Bis zur Hälfte, also etwa 40 cm weit bin ich mit dem Ausfüllen gekommen, wieder ein Stück näher an die Goldumrisse des Porzellanreliefs im „Deli Humboldt“.

In den heutigen ersten zwei Collagen legte ich die Federzeichnungen der Rolle etwa deckungsgleich über die Ausschnitte der Buchmalereien, die ich gestern dort einfügte. Wenn sich Aquarell und Zeichnung überlagern zeigt sich der Prozessschritt vom Buch zur Rolle.

Die heutigen Malereien sind etwas verspielt, fast kindlich. Der Start bestand aus einem hufeisenförmigen Kringel in der 2. Malerei, der sich von gestern durchgedrückt hatte und von Farbschraffuren sichtbar gemacht wurde. Ich wiederholte ihn viermal mit unterschiedlichen Farben in allen 3 Formaten.

Schiftbilderschriften

Der erste Schwarm Mauersegler kreist unter den Regenwolken über dem Atelierdach. Alle Bäume im Gärtchen treiben Blätter, Blüten gehen auf und die Wiese wächst durch den ganzen Regen in einer Vielfalt, wie noch nie.

Durch die Buchmalereien komme ich aus der Ferne wieder in meinen Arbeitsprozess. Die Denkpause ist vorüber und ich stelle mir alle drei Buchmalereien in Umrissen schon auf Rolle 10 vor. Eine Schlängellinie von rechts oben nach links unten, taucht dreimal auf. Dadurch wird die Weiterverfolgung des Themas der sich in unterschiedlichen Rhythmen wiederholenden Motive möglich.

Es ist als würden sich rituelle Erinnerungen in verschiedenen Zeitabständen und somit in unterschiedlichen Situationen, wie die Motive der Buchmalereien mit denen der Schriftbilder und Bilderschriften auf Rolle 10, immer wieder neu begegnen. Mich erinnert das an Musikstrukturen der Technoszene, in denen sich die Themen mit verschiedenen Wiederholungsgeschwindigkeiten, neu überlagern.

Goldblätter

Das Defilé der Figuren, die aus Papiergravuren und Handkantenabdrücken entstehen, sind nicht nur Bühnendarsteller, sondern kommen auch aus anderen Zusammenhängen, wie Straßenszenen, Domportalen, Rokokogemälden oder Traumsequenzen.

Gestern übertrug ich die Umrisse aller drei Buchmalereien auf die Transparentpapierrolle. So reihten sich 11 Figuren auf, von denen ich bereits 8 mit den Zeichenfragmenten und Strukturgesträuchen der Vortage angefüllt habe. Es geht schneller vorwärts als ich dachte. Noch anderthalb Meter bis zu den Goldblättern meines IM „Lutz Lange“.

Mit einer spitzen Rohrfeder krakele ich das nach, was aus dem Untergrund der Transparentpapierschichten heraufsteigt. Dann schaue ich es mir aus etwas Abstand an, entdecke einen schwebenden Engel aus einem meiner Holzschnitte zum Kloster Bebenhausen. Noch mache ich mir keinen Reim darauf, will aber den jetzigen Zustand der fragmentierten Zeichen, in Teilen schon in die Goldblätter einfügen. Vorher sollte ich sie mit Schellack, dem Gold der Schreiner, beschichten.

Umdeutung

Die kleinen Gesten haben im Atelier die Oberhand. Emotionen teilen sich mit Trippelschritten durch Tusche auf Papier mit. Es ist ein ameisenhaftes Gewusel durch die Gesträuche der Zeichen.

An einem bestimmten Punkt kehrt sich der Vorgang der Abstraktion der Buchstaben der Tonbandprotokolle um. Irgendwann entstehen gegenständliche Bezüge, die den ursprünglichen Inhalt umdeuten. Ich frage mich manchmal, ob ich es zu weit treibe, mich verstricke und wünsche mir einen Befreiungsschlag. Der kommt aber erst, wenn ich so lange dran geblieben bin, bis ich einen neuen Level erreicht habe.

Die Buchmalereien von heute verbinden sich in ihrem reduzierten Erscheinen schon mit den fortlaufenden Zeichnungsreihen der Transparentpapierrolle. In der Folge will ich den Vorgang der Übertragung von Motiven von einer zur anderen Malerei und zurück aus meinen Büchern, auf der Rolle sichtbar machen. Dazu sollte ich die Umrisse aller drei Bilder von heute nacheinander übertragen. Die Wiederholungen des Durchzeichnens innerhalb der Umrisse verbinden sich so mit denen aus den Malereien.

Bilderschrift

In Wroclaw sah ich deutsche Inschriften, die an Häuserfassaden mit Meißelhieben unkenntlich gemacht wurden. Vor mir auf dem Zeichentisch wird die Transparentpapierrolle, die dort mäandernd aufgerollt steht, von der Sonne durchschienen. In den Zeichenfragmenten wird die schwankende Tektonik der oft durchgezeichneten Schreibmaschinentypen deutlich. Der Inhalt wird verschliffen und löst sich auf.

Die entstehenden expressiven Zeichen übertragen die Widersprüchlichkeit der Bewahrung durch das Auslöschen, des Auslöschens durch Bewahrung und des Erinnerns durch das Vergessen. Die sich verändernden Perspektiven, aus denen wir den Zeitraum durchschreiten, bestimmen die sich wandelnden Inhalte.

In der Beobachtung dieser Vorgänge schleicht sich die Gefahr der Ungenauigkeit des Blickes ein. Deswegen muss bei der Verwandlung der Schreibmaschinentypen in abstrakte Zeichen, Genauigkeit walten. Während ich die Buchstaben wieder und wieder, leicht verändert durchzeichne, werden sie Gegenstände. Es entsteht eine Bilderschrift.

Aushub I Unkenntlichkeit I Geduld

Im Erdaushub der benachbarten Baustelle, der allenthalben auf unserem Gelände landet, finde ich Scherben aus den zerbombten Haushalten des 2. Weltkrieges. Neben meinem Buch, in das ich schreibe, liegt ein handbemalter Tellersplitter mit einem indigofarbenen Rankenwerk, das mich an romanische Ornamente der Bildhauerei erinnert.

Auf der Rolle 10 entwickeln sich meine Zeichen weiter. Langsam und vorsichtig lasse ich die Unkenntlichkeit wachsen, die aus den IM -Tonbandprotokollen hervorgeht. Dabei warte ich auf die neuen, erweiterten Bedeutungen, die aus ihnen entspringen, wenn sie auf die Reliefs übertragen werden.

Kann sein, dass dieser Prozess mehr Zeit benötigt, als meine derzeitige Geduld hergibt. Aber die Arbeitsergebnisse sind nicht erzwingbar. Schon leuchten die Umrisse der Reliefgoldbemalung des Pozellanreliefs meines IM`s durch die Schichten der Transparentpapierrolle. Nach etwa 2 Metern werde ich dann mit der aktuellen Arbeit an dieser Stelle, die ich am 11.04. gezeichnet habe, angelangt sein. Ich schätze, dass das in zwei Wochen sein wird.

Abstraktion

Auf den Transparentpapierrollen entwickle ich meine Formen des Erinnerns und des Vergessens. Das Durchzeichnen der Tonbandprotokolle des MfS vereint beide Vorgänge. In den Federzeichnungen entstehen, durch das wiederholte Kopieren stetig wachsender Unschärfen, Fragmente, die Auswirkungen auf den Fundus der Bilder zwischen meinen Synapsen haben.

Die Intensität der Beschäftigung mit den Berichten des IM „Lutz Lange“, lässt Emotionen schwinden. Die Wut macht der Neugier Platz und die Enttäuschung der Tendenz zum Vergeben. Die fragmentierte Schrift erzeugt Zeichen, die das Geschehen verdichten und in eine übergeordnete Form transformieren. Aus diesem Material entstehen dann, in Verbindung mit den Reliefs, Bilder allgemeiner Gültigkeit.

Gestern zeichnete ich den Umriss der zweiten Buchmalerei vom 19.04. auf ein Stück Transparentpapier. Die Entstehung dieser Figuren unterliegt einem Abstraktionsprozess. Er stellt das heraus, was für die Weiterverwendung auf Rolle 10 notwendig ist. Bei der Übertragung auf die Rolle gibt es weitere kleine Veränderungen. Dieser Prozess wird sichtbar, wenn die Buchmalereien mit ihren Umrisszeichnungen in den Collagen zusammentreffen.

Trennungen und Wanderschaft

Meine Art der Erinnerung wird durch meine Bewegung durch die Welt und durch die Bewegung der Menschen um mich herum beeinflusst. Assoziationen, die aus den Erinnerungszeichen migrantischer Gesellschaften erwachsen, suchen nach vergleichbaren Figuren im eigenen Erleben. Um die Ecke befindet sich ein Restaurant mit dem Namen „Mogador“, der verschiedene Bedeutungen haben kann. Orte, Schiffe oder levantinische Erzählungen sind mit dieser Insel der Erinnerungen verbunden.

Ein marokkanisches Geschichtsnetz trifft auf meine preußisch – schlesischen Prägungen. Der wandernde Schreiner Fitzner, der mit einem Modell des Breslauer Domes auf einem Plattenwagen mit Holzspeichenrädern in Deutschland unterwegs war, ist mein leiblicher Großvater, der sich in Berlin bald aus dem Staub gemacht hat. Dieses Abschneiden von familiären Bindungen, Verpflichtungen und die Rigorosität, mit der solche Entscheidungen durchgezogen werden, ist Teil meiner Prägung. Ich erinnere die Trennungen und die Wanderschaften, ohne sie erlebt zu haben.

Familien, die sich an diesen Ramadanabenden im „Mogador“ versammeln, haben eine sehr patriarchale und traditionelle Ausstrahlung. Die Frauen tragen Kopftücher, die Männer Bärte und die kleinen Töchter sehen aus wie Prinzessinnen. Alkohol wird grundsätzlich nicht ausgeschenkt. Ich denke an meine Reisen durch Südspanien und Marokko, denke mir meinen Großvater mit seinem Modell in Tanger…

Dynamisches Perspektivnetz

Die Gruppe von Menschen, die zum Themenkreis „Palast der Republik“ interviewt wurde, ist offensichtlich sehr uneinheitlich und kann sich innerhalb noch einmal in Sektionen gruppieren. Wenn ich mir die Ausrichtung der verschiedenen Erinnerungsperspektiven als zweidimensionales Netz vorstelle, an dessen Kreuzungspunkten die unterschiedlichen Haltungen aufeinander treffen, sich vielleicht verknoten und somit richtungsmäßig abgelenkt werden können, zeigt es eine dynamische Struktur.

Kommt eine dritte Dimension hinzu, vielleicht in Form eines schwerwiegenden Ereignisses, das mit seinem Gewicht in dieses Netz fällt, werden die Knotenpunkte auf die Probe gestellt, verrutschen oder reißen gar. Das Kontinuum der kommunizierenden Perpektivschnüre wird gestört und würde sich danach neu ordnen. Dieses Bild des Perspektivnetzes lässt viele weitere Gedankenexperimente zu.

Auf Rolle 10 zeichnete ich mit dem Umriss der dritten Buchmalerei von gestern weiter. Die Texte der Tonbandprotokolle des MfS fragmentieren sich langsam und bekommen die Struktur, die die inhaltliche Entzifferung schwieriger werden lässt. Langsam entstehen so die Formen, mit denen ich auf den Reliefs weiter arbeiten kann.

Kollektives Erinnern

Während der Arbeit mit den Erinnerungen an den Bau des Palastes der Republik tauchte ein neuer Aspekt auf. In den Veröffentlichungen zum Thema auf der Seite des Humboldt Forums, fällt die Verschiedenheit der Wertungen auf, die je nach Perspektive eine Identifikation oder eine Ablehnung der Funktion dieses Gebäudes beinhalten. Dabei kommen Emotionen auf, die sich aus dem jeweils Erlebten speisen. Das Vorhaben der Ausstellung will, soweit ich das überblicke, all diese Haltungen zur Geltung bringen. Handelt es sich dabei schon um eine kollektive Erinnerung, die in die Zukunft getragen werden soll?

Durch meine Abkommandierung zum Bau, bin ich 1974 dem Dienst an der innerdeutschen Grenze entronnen. Somit stand meine dortige Tätigkeit unter einem glücklichen Stern, auch wenn ich keine emotionale Verbindung zum Volkspalast aufbauen konnte. Die eine Seite meiner individuellen Erinnerung ist also durch die Arbeit an der Errichtung des Gebäudes geprägt.

Ein anderer Aspekt, wurde durch das überraschende Auffinden des Porzellanreliefs im Deli Humboldt sichtbar. Die Installation eines Kunstwerkes, das ein ehemaliger IM mitgestaltet hat, der über mich und meine Arbeit Berichte für das MfS verfasst hat, sowohl im Palast, als auch im Humboldt Forum, stieß eine intensive künstlerische Beschäftigung mit diesem Fall an. Im Nachhinein ist meine Abneigung dem Haus und seiner Repräsentativfunktion gegenüber dadurch noch einmal bestätigt worden. Das soll sich nun mit dem neuen Schloss nicht wiederholen.

Weiterzeichnen

Mit einer großen Stehleiter habe ich gestern meinen Experimentalaufbau für „Futur II“ hingestellt. Ich platzierte sie so auf dem Arbeitstisch, dass der Transparentpapierstreifen von Rolle 10 über die Sprossen umgelenkt werden kann. So können alle Motive, die voneinander entfernt auf der Rolle entstanden sind, übereinander gelegt und ineinander gezeichnet werden.

Die Figurenumrisse, die mit Teilen des Tonbandprotokolls angefüllt sind, sind 4 Meter in die Zukunft gewandert. Dort finden sie sich in den Goldbemalungsumrissen des Pozellanreliefs wieder. Aus meiner derzeitigen Perspektive erscheinen mir die Ergebnisse dieses Zusammentreffens mit dem Wort „Auswurf“ gut umschrieben.

Ich merke, dass mich das Nachdenken über meine Erinnerungsperspektiven allein nicht weiter bringt. Nur mit dem Weiterzeichnen, der anhaltenden Wiederholung der Schreibmaschinenprotokolle, in Verbindung mit meinen täglich auftauchenden neuen Figuren und dem Porzellanrelief, kann ich zu einem vorläufigen Endergebnis kommen.

„Futur II“

„Futur II“ ist die Zeitmaschine, die aus Rolle 10 und einem Umlenksystem besteht. Mit ihr kann ich zeichnend auf dem Zeitstrahl hin und her wandern und die Geschehnisse voneinander entfernter Zeitpunkte übereinander legen. Die Goldbemalungsumrisse des Porzellanreliefs, mit denen ich eine Stelle irgendwo in der Zukunft markiert habe, kann ich nun mit unterschiedlichen Erinnerungen füllen. Sie können aus Fragmenten der Tonbandprotokolle und Geflechten der Figurenumrisse bestehen.

Wenn ich eine Struktur aus der Vergangenheit in die Markierung in der Zukunft eingefügt habe, werde ich mich anders an diese Struktur erinnern. Werde ich mich anders erinnert haben, fallen die weiteren Markierungen dadurch in der ferneren Zukunft verändert aus. Diese Experimente können nur mit der zeichnerischen Praxis vorankommen.

Gestern nahm ich mir ein Tonbandprotokoll meines IM vor, das vom 24.5. 1982 stammt. Teile davon zeichnete ich in den Umriss der ersten Buchmalerei vom 12.4. 2023. Als nächstes werde ich dieses Material mit meiner Zeitmaschine in die Markierungen, die 4m entfernt sind, eintragen. Dazu kommen dann die Rückbaustrukturen des Palastes der Republik. Bin ich mit der fortlaufenden Arbeit an dieser Stelle auf dem Streifen angelangt, sollte sich ein Kreis geschlossen haben, eine Erzählschleife.

Vor und zurück

Die Goldumrisse des Porzellanreliefs im Deli Humboldt, die wahrscheinlich von Heinz Werner stammen, habe ich auf Rolle 10, vier Meter in ihre Zukunft, verschoben und dort neu aufgereiht. Es ist derselbe Abstand, um den ich mich vorgestern in die andere Richtung orientierte, um die Strukturen vom 3. März dieses Jahres aufzunehmen und in die Umrisse, die ich einen Tag zuvor gezeichnet habe, einzufügen. Mit der Linie, die die erste Buchmalerei von gestern umschreibt, begann ich mich langsam auf die 4 Meter entfernte Zukunft zu zubewegen.

In diesem Feld mische ich nun die stark fragmentierten Stadasida-Elemente und neue durchgezeichnete Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“. Mit Rück- und Vorgriffen wird das 4 Meter entfernte Szenario eingeholt, bzw. jetzt schon mit Splittern der Gegenwart bespielt. Damit unterwandere ich die zeitliche Kontinuität der Transparentpapierrolle noch einmal.

Blicke ich durch die Struktur des 3. März auf die Umrisse, die von dort aus etwa 8 Meter entfernt leer liegen, hoffe ich die Blickachse spiegeln zu können. Somit nähme ich eine Rückblickperspektive in der Zukunft ein. Das gelingt aber zunächst nur auf dem gedachten Zeitstrahl der gezeichneten Rolle.

Annäherung an eine Zukunftsperspektive der Erinnerung

Auf Rolle 10 arbeitete ich mit den Umrissen der Goldbemalung des Porzellanreliefs im Humboldt Forum weiter. In mehreren Lagen legte ich den Transparentpapierstreifen übereinander, indem ich ihn mit mehreren Papprollen umlenkte. So konnte ich Motive, die ich vor mehreren Wochen gezeichnet hatte, in die Umrisse übertragen. Damit ist die Kontinuität der sich gleichmäßig wiederholenden Motive unterbrochen. Der Rückgriff beachtet das Material, das dazwischen liegt nicht.

Ein symmetrischer Vorgang würde auf der Zeitachse entstehen, wenn die Umrisse um dieselbe Strecke in die Zukunft wandern und dort, entfernt auf der Rolle, wiederholt würden. Sie werden dann von der langsam fortgeschriebenen Arbeit eingeholt. Vor einiger Zeit machte ich das schon einmal mit den Porzellanblattumrissen. Ob sich dieser Vorgang aber tatsächlich einer Zukunftsperspektive der Erinnerung annähern kann, werden nur weitere Experimente untersuchen können.

Die gestrigen Zweifel an der Textarbeit haben sich relativiert, weil meine Rezeptionsvorlieben keine Vorschriften für die Betrachter meiner Arbeit auf meiner Seite sein können. Der Zweck dieser Aufzeichnungen ist es beispielsweise auch, der Übertragung der Ergebnisse von malerischer, zeichnerischer und gedanklicher Entwicklung, auf die Reliefs zu ermöglichen. Das wird durch die Texte vorbereitet.

Erklärungen

Obwohl Lennie Tristano seit vielen Jahren zu meinen Jazzfavoriten zählt, las ich bisher nichts über ihn. Seine Voraussetzungen, Ideale, Grundsätze seiner Lehrtätigkeit und was ihn antrieb, erfuhr ich erst an diesem Morgen bei Wikipedia. Seine Abneigung der Kommerzialisierung der Kunst gegenüber, sein Beharren auf der Freiheit der künstlerischen Entwicklung, stimmt mit meinen Meinungen weitestgehend überein. Das habe ich in seiner Musik schon lange gespürt.

Hier deckt sich ein Widerspruch auf, dem ich bisher nicht so klar begegnet bin. Ohne Wissen von der Entstehungsgeschichte und dem Umfeld, konnte ich die Bedeutung des Musikers für mich erkennen. Ähnlich geht es mir beim Betrachten von Bildern anderer Künstler. Ich komme zumeist ohne Erklärungen aus. Was ich aber täglich mit meinen Texten produziere, sind Erklärungen der Entstehung meiner Bilder.

Schon öfter in den vergangenen Jahren nahm ich mir vor, das zu ändern, also eine andere Textform zu finden, die sich von der Beschreibung der Vorgänge in einer Weise entfernt, die der Erweiterung der Inhalte zuträglich ist, ohne etwas vorzuschreiben. Das würde die Entwicklung eines neuen eigenständigen Arbeitsstranges fordern.

Erinnerungsgesträuche

Gestern nahm ich die Arbeit an Rolle 10 wieder auf. Zunächst extrahierte ich 5 Figuren aus dem vorausgegangenen Liniengeflecht, mit dem ich mich zunächst von der Fragmentierung der Stasitexte entfernen wollte. Anschließend zeichnete ich die Umrisse der Goldbemalung des Porzellanreliefs im Deli Humboldt in einer Reihe dahinter. Die Formen rollte ich von hinten her, gegen den Zeitlauf auf und zeichnete die durchscheinenden Linien in die Goldblattfigurationen. In der Folge wurden auch die 5 Figuren, die sich von STADASIDA abgewendet hatten, von diesem Material kontaminiert.

Nun werde ich mir wieder die Tonbandprotokolle meines IM „Lutz Lange vornehmen und sie beginnen, in das Wachstum der Erinnerungsgesträuche einzubinden. Ich hoffe, mit den eigenen Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit, den IM-Berichten, den späteren Transparentpapierrollen und Buchmalereien, Vorgängen meiner Erinnerung auf die Spur zu kommen.

Ich frage mich, ob mein vertrauter Mentor, der seiner Verpflichtung, mich zu überwachen nachgekommen ist, dies später bereut hat. Bestimmt war ich nicht sein einziges Beobachtungsziel. Das systemkritische Potential meiner Arbeit sorgte ja damals für öffentliche Diskussionen in offiziellen Gremien, die mich mit Kunstwerken beauftragt hatten. Ich beharrte aber auf meinen Aussagen.

Morgengesang

Am Morgen sang ich mit Glenn Gould die Goldbergvariationen und erinnerte mich dabei an die Zeit meiner Stadtwanderung in Wien. Und dann bemerkte ich dass ich, mit dieser Musik so nahe an meinem Ohr, anders mit dem Vorgang der Buchmalerei atmete. Die aggressiven Linien des Klavierspiels prägten sich über die Holzhaarnadel in meiner rechten Hand in das Papier. Ruppige Schwünge mit scharfen Wendungen. Und die Partien, in denen das leise Klavierspiel fast anzuhalten scheint, werden von einem Bleistift aufgenommen, der die zarten Handballenabdrücke vorsichtig umrandet.

Keine Arbeit führte gestern weiter in die Entwicklung der Transparentpapierrolle. Auch die Reliefs blieben unberührt. Stattdessen ging ich wieder mit der Gartenschere an den Bahndamm, um die Brombeerranken zurück zu schneiden. Es entsteht ein kleiner Platz, der von Götterbäumen umstanden ist. Ihre großen Blätter werden ihn schirmen. Dieser Ort steht in Beziehung mit zwei anderen Stellen, an denen ich eine neue Aufenthaltsqualität schaffen will. All das findet rund um die Wiese statt.

Die kleinen Schritte, die wieder in die Arbeit führen sollen, werden einfach den formalen Faden auf Rolle 10 wieder aufnehmen. Zunächst vielleicht ohne die Fortführung des STADASIDA Themas. Das kommt dann von alleine wieder.

Kleine Schritte

In die Nische meines Gärtchens, in der der alte Korbstuhl steht, scheint die Sonne. Der weiße Tisch blendet beim Schreiben. Aber das Licht tut not. Die Methoden, neu in die Arbeit einzutauchen greifen nicht richtig. Ich sollte von der Kontinuität der Routine ausgehen, die verlässlich Neues entdecken lässt. Aber der Tod von Hans, vor zwei Tagen, forderte eine Pause. Am ehesten helfen nun kleine Schritte der Rückbesinnung, keine großen Gesten.

Das strahlend kalte, trockene Ostwetter löst die Regenwochen ab. Und ganz schnell etabliert sich die Befürchtung, dass nun wieder, wie in den Sommermonaten der vorausgegangenen Jahre, eine Dürre einsetzt.

Als ich mich gestern nicht auf die Arbeit konzentrieren konnte, ging ich mit der Gartenschere an den Bahndamm und in die Büsche, die an die Wiese grenzen. Dort schaffe ich Räume, die durch den Radius meiner Arme dimensioniert werden. Es ist, als schüfe ich eine Architektur von Aufenthaltssituationen oder Angeboten, hier einen Stuhl hinzustellen, der ein Blätterdach bekommt. Eine kleine Platane könnte auch eine Gitterkonstruktion tragen, die mit Folienmaterialien ein dichtes Dach bildet. Dann wird sie von den Ästen umschlungen.

Rotierender Avatar

Mein gedachter Avatar schwebt über der Museumsinsel und dreht sich in seiner Längsachse, mal die Horizonte, mal dem Himmel und mal die Steine unter sich vor Augen. In dieser langsamen Rotation sieht er die Zeitschichten wie Schalen um sich herum, ein nussförmiger Projektionsraum. Transformiere ich diese Figur über das Kraftfeldrelief mit seinen Tonbandprotokollen, entstehen fragmentarische Buchstabenschichten um sie herum.

Umgeben von Pappmachereliefs, zieht mich die haptische Welt in mein reales Atelier. Fest auf dem rutschfesten Industrieboden stehend, fühlt sich das Material zwischen meinen Fingern wohltuend und tröstlich an. Das entfernt mich vom dem virtuellen Traum des Schwebens und zwingt mich an die Arbeitstische.

Schon der mäandernde Transparentpapierstreifen, den ich gestern mit seinen durchscheinenden Tuschestrukturen aufstellte, schafft eine neue Perspektive auf den Verlauf der Erinnerungsvorgänge. Das soll auf den Reliefs ebenfalls sichtbar werden.

Abkürzungen

Auf eine Fläche im Atelier platzierte ich Rolle 10 stehend und ließ den Streifen zwischen den aufgerollten Enden um Küchenpapierrollen mäandern. Um diese Installation kann man herumlaufen, wie um eine Skulptur. Und die immer neuen Blicke darauf zeigen die, sich auf verschiedene Weise wiederholenden, Motive. Von dieser Situation machte ich mehrere Fotos und ein Video. Beides will ich zusammen mit Scans von der Rolle nach Berlin schicken.

Schon gestern sah ich die Buchmalereien unter dem Aspekt des Weiterzeichnens auf Transparentpapier. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich die Arbeit nach den neuesten Entwicklungen weiter gestaltet. Zunächst bekomme ich im Zusammenhang mit STADASIDA Lust auf Abkürzungen, wie PdR (für Palast der Republik), R 10 (für Rolle 10) und WT (für Werktagebuch). Es sind Begriffe, die immer wiederkehren.

Nun soll die Arbeit nicht zielgerichtet auf eine bestimmte Präsentationssituation ausgerichtet werden. Vielmehr will ich frei davon das Material so entwickeln, dass sich ein eigener Arbeitsblock zur Rekonstruktion des Kraftfeldes entwickelt.