Abkürzungen

Auf eine Fläche im Atelier platzierte ich Rolle 10 stehend und ließ den Streifen zwischen den aufgerollten Enden um Küchenpapierrollen mäandern. Um diese Installation kann man herumlaufen, wie um eine Skulptur. Und die immer neuen Blicke darauf zeigen die, sich auf verschiedene Weise wiederholenden, Motive. Von dieser Situation machte ich mehrere Fotos und ein Video. Beides will ich zusammen mit Scans von der Rolle nach Berlin schicken.

Schon gestern sah ich die Buchmalereien unter dem Aspekt des Weiterzeichnens auf Transparentpapier. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich die Arbeit nach den neuesten Entwicklungen weiter gestaltet. Zunächst bekomme ich im Zusammenhang mit STADASIDA Lust auf Abkürzungen, wie PdR (für Palast der Republik), R 10 (für Rolle 10) und WT (für Werktagebuch). Es sind Begriffe, die immer wiederkehren.

Nun soll die Arbeit nicht zielgerichtet auf eine bestimmte Präsentationssituation ausgerichtet werden. Vielmehr will ich frei davon das Material so entwickeln, dass sich ein eigener Arbeitsblock zur Rekonstruktion des Kraftfeldes entwickelt.

Geschichte des Ortes und STADASIDA

Nach der Reise nach Berlin, komme ich erst an meinen Arbeitstischen im Atelier wieder richtig zur Besinnung. Am Morgen versuchte ich, die Gemeinsamkeiten zwischen den Arbeitsweisen der Kuratorinnen vom Humboldt Forum / Geschichte des Ortes und meinen zu rekapitulieren. In einem intensiven Gespräch erörterten wir Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Ich stellte die Zusammenhänge zwischen Buchmalereien, der Transparentpapierrolle und der Rekonstruktion des Reliefs „Kraftfeld“ dar, und wie das alles mit den Palast der Republik zusammenhängt. Mir wurde die Intention der Ausstellung, sich mit dem Thema Erinnerung im Bezug auf den Palast auseinander zu setzen und vieles andere, dargelegt.

Gemeinsam arbeiten wir kontinuierlich daran die Diskontinuität von Erinnerung sichtbar zu machen. Wenn wir das durch die Veränderungen der Perspektiven, Blickachsen und Raumbeziehungen zeigen können, haben wir uns an das Ideal angenähert, das mit der Schönheit der Wahrheit zutun hat.

Gestern fotografierte ich noch einmal das Porzellanrelief im Deli Humboldt, das Heinz Werner mitgestaltet hat. Ich legte mein Augenmerk insbesondere auf die Goldbemalung, die er als Spezialist für Dekor am ehesten verantwortete. Deswegen will ich mich im nächsten Arbeitsschritt mit diesen Details auf Rolle 10 beschäftigen. Ich kann die Umrisse, mit Schellack gefüllt, weiter hinten auf der Rolle in einer Zeile aufreihen. So gehe ich in der Zeit auf dem Transparentpapier voraus und fülle dann die Lücke mit der weiteren Entwicklung von STADASIDA. Diese Fragmente treffen dann auf die Umrisse und füllen sie.

Das Grauen im Slapstick

In den Kammerspielen sahen wir „Mein Lieblingstier heißt Winter“ nach einem Text von Ferdinand Schmalz. Das war ein erfrischender und engagierter Abend eines jungen Teams, in dem wieder die Kunst im Mittelpunkt stand. Das ist hoffnungsvoll. Auch die Abgründe des österreichischen Autors und seinen Humor nutzte die Inszenierung für das Grauen im Slapstick.

Auf dem Müllfeld hinter den einfallenden Baracken, hier auf dem Tevesgelände, fand ich vorgestern einen kleinen schwarzen Koffer. Als ich ihn öffnete, war zwar kein Geld drin, aber eine schöne Schreibmaschine. Nun steht sie auf einem meiner Arbeitstische und wartet darauf benutzt zu werden.

Auf der Premierenfeier in der Theaterkantine erinnerten wir uns wieder an unsere eigene gemeinsame Theaterzeit. Aber wir stellten fest, dass es genau für uns richtige war, diese abgeschlossene Welt zu verlassen, um andere Arbeitsbereiche kennen zu lernen, und dort der eigenen Kreativität mehr Raum zu geben.

Stadasida

Am Vormittag haben wir Künstler, die wir gemeinsam mit Jugendlichen arbeiten, uns im Anna – Freud – Institut getroffen. Für mich ist es immer angenehm, die Leute zu sehen und mit ihnen über die Dinge zu sprechen, die wir mit unseren Schülern erleben.

Nun warte ich, entgegen meiner Erwartung, wieder mit den Textfragmenten der Tonbandprotokolle des IM „Lutz Lange“ zu arbeiten. Die Bemalung der Reliefs mit diesen Buchstaben hat eine Dada-Anmutung, ist aber Stadasida. Die kleinen Reliefs haben das richtige Format für diese Schrift. Das ist stimmig. Nun will ich das auch für die großen Reliefs hinbekommen.

Gerade lernte ich einen Kulturanthropologen kennen, der mit Gestaltungsprozessen im öffentlichen Raum arbeitet. Wir hatten uns sofort eine Menge zu erzählen. Außerdem ist er Schreiner, wie ich. Wir sprachen über Hausbegrünungen mit Gittern in Form von Zeichnungen und über einen großen Tisch auf den Gustavsburgplatz.

Materialstapel

Seit längerer Zeit bin ich wieder auf den Altkönig gestiegen. Die knorrigen, vom Wind klein gehaltenen Bäume tragen an ihren Stämmen und Ästen Moosflechten wie Kleider. Berührt man sie mit seinen Händen, ist es als hielte man einen Körper. Die 300 Höhenmeter fielen mir leicht. Ich will das nun wieder einmal in der Woche steigen.

Die Sammlung von Arbeitsmaterial, das ich in Berlin zeigen will, soll meine Vorgehensweise zeigen. So fotografiere ich Arbeitstische mit dem teilweise gestapelten Material. Beim Durchsehen der Collagendatei dieses Jahres, war ich überrascht, wie aussagekräftig sie mir erschien. Das kann natürlich an meinen Erinnerungen liegen.

Mein Arbeitsrhythmus, der mir ansonsten eine verlässliche Richtschur für jeden Tag ist, ist nun unterbrochen. Das lässt mir Zeit, um während der Sichtung der letzten Arbeitsphase, Abstand zu den Bildern zu bekommen. Das ist eine Voraussetzung, um die Produktion noch einmal zu verändern.

Himmel über der Insel

Bei der Sichtung der Transparentpapierrollen, unter dem Aspekt des Rückbaus des Palastes der Republik, stoße ich auf spannende Überlagerungen oder Kombinationen. Es gibt Blumenornamente, die ich in Indien gesehen habe, die sich mit dem Stahlskelett verbinden. Ein Hochbunker in Wien, ein Flakturm aus dem 2. Weltkrieg, ist ebenfalls mit dieser Struktur ausgefüllt. Und immer wieder gibt es Ballettfiguren, ethnologische Figurenzitate und Buchmalereiumrisse, die Verbindungen mit der Stahlkonstruktion eingehen.

Immer übte der Ort, an dem ich monatelang in meiner Uniform Ziegelsteine abgeladen habe, ein Richtfest mitfeierte und in täglich im Gleichschritt in der Marschkolonne zum Essen in das Ahornblatt lief, eine Anziehung auf mich aus. Wenn ich in der Stadt bin, will ich zumindest einmal dort sein, um den Himmel über dieser Insel zu sehen.

Mein Arbeitskonzept, das die Geschehnisse verschiedener Zeiten und Orte als Schichten übereinander legt, erscheint mir dem Ort, an dem nun das Humboldt Forum steht, angemessen. Wenn die Kuratorinnen, die ich in der kommenden Woche treffen werde, das auch so sehen, kann man über ein weiteres Zusammengehen nachdenken.

Der große Bogen

Den Nachmittag verbrachte ich gestern ausschließlich draußen und pflegte die Wiese, in dem ich Brombeerranken entfernte, ging mit der Gartenschere ins Gärtchen und an den Bahndamm, hielt mich so von der Arbeit fern, um mich etwas zu regenerieren. Das wollte ich eigentlich die ganze Woche durchhalten. Nun aber habe ich eine Mail bekommen, die das ändert.

Auf meinen Bericht, dass ich seit ein paar Monaten zum Thema „Der Palast der Republik ist Gegenwart“ arbeite, wurde ich nun zur Sichtung dieser Arbeit in das Humboldt Forum eingeladen. Zwei Kuratorinnen werden sich mit mir treffen.

Dafür will ich nun Material zusammenstellen, das die Zusammenhänge zwischen den Einzelthemen deutlich machen kann. In erster Linie soll das die Transparentpapierrolle leisten, weil sie den laufenden Arbeitsprozess festhält und das Material entwickelt, das letztendlich auf den großen Relieftafeln eine Rolle spielen wird. Der große Bogen „Keramik“ verbindet die Ziegelsteintransporte auf die Baustelle des Palastes mit dem Porzellanrelief im Deli Humboldt, seine Meißner Porzellanblüten mit den Stasiprotokollen des IM „Lutz Lange“ und die Stahlkonstruktion des Rückbaus mit den Fluchtvokabeln der Ukrainischen Jugendlichen. All das wird im neuen Kraftfeld sichtbar.

Tribut

In dieser Woche soll eine Arbeitspause stattfinden. Dabei wird die Tagebucharbeit vollständig weiter geführt. Alles andere soll heruntergefahren werden. Wenn es gelingt, wächst die Energie, die für die Fortführung der Dinge notwendig ist, die anstehen.

Schon die Buchmalereien folgen einem anderen Rhythmus, einem Takt von Eingebungen, der sich beschleunigt, abgebremst wird, pausiert und wieder Fahrt aufnimmt. Manchmal werden das Tempo und die Färbungen auch durch Musik bestimmt. Die Anker für das Ausharren in leichtem Wellenschlag sind derzeit Messian, Ravel und Weill.

Gestern wurde der alte Zitronenbaum, der seit 30 Jahren, seit er in Griechenland in einem Joghurtbecher aus einem Kern spross, nur Ärger gemacht hat, stark zurückgeschnitten. Äste und Wurzelwerk sollen zu einem Bonsai reduziert werden. Der Tribut dafür ist eine Wunde am rechten Daumen, die ich mir mit der Gartenschere beibrachte und deswegen das Werk bis jetzt auch nicht beenden konnte.

Strömungsabriss I Mantelmodell

Der Abbruch des Stromes von mustergefüllten Figurenumrissen ging in den Versuch über, möglichst viele dieser leeren Umrisslinien übereinander zu zeichnen. Auf Rolle 10 ist ein etwa 30 cm langer Streifen entstanden, der nun wieder unzählige Figuren durch die Überschneidungen der Linien in sich trägt. Solche Neuanfänge erlebe ich als Veränderung des Experimentalaufbaus und Anfangs einer kleinen neuen Schöpfung.

Trotzdem möchte ich die großen Reliefs mit den Erinnerungsthemen noch fertig stellen. Aber dabei beziehe ich mich auf bereits entwickeltes Material, das eingefügt werden soll. Seine genauere Sichtung auf Rolle 10 steht noch aus. Sie kommt während der Produktion immer zu kurz.

Rateb habe ich das Müttermantelprojekt vorgestellt. Bevor wir aber beginnen, den Stamm auszuhöhlen, wollen wir ein Modell herstellen. Dafür suchten wir ein Stück Holz, das wir jenseits des Bahndammes fanden, wo vor einiger Zeit eine Eiche stark zurückgeschnitten wurde. Die Reste blieben liegen, wie ein 30 X 10 cm großes Aststück, das wir entrindeten und es anfingen zu behauen.

Schwebend

Die Kontinuität der Gleichförmigkeit, die das Neue nur langsam wachsen lässt, wurde gestern unterbrochen. Auf meinem alten Grafikschrank, der mein Gesellenstück aus den Achtzigerjahren ist, liegen die Transparentpapierbögen mit den Bleistiftumrissen der Buchmalereien übereinander. Aus diesen Schichten treten neue Formen hervor. Und ein paar Tuscheflecken auf Rolle 10, die ich mit Schellack auseinander fließen ließ und dann zusammenrollte, sind ein weiteres Ereignis, inmitten des disziplinierten Zeichnens, das eine neue Phase der Arbeit einläutet.

Das löst ein schwebendes Gefühl aus, als würde der feste Boden, auf dem ich in den letzten Monaten gestanden habe, weggezogen. Gleichzeitig verschwinden die Buchstaben der Stasitexte und werden unwichtiger. Auch die Themen um den Palast der Republik werden blasser. Dieser Moment fühlt sich wie eine Befreiung an.

Mein afghanischer Schüler Rateb arbeitet gerne etwas handfester. Mit Meißeln, Hohleisen und Stechbeiteln, die er mit Gummihammer, Fäustel oder Klüpfel in die verschiedenen Materialien treiben kann, kommt er seinem Bedürfnis körperlicher Ausarbeitung näher. Es gibt ja den Pappelstamm, der nun trocken ist. Er könnte mir helfen, ihn auszuhöhlen, um den Umhang einer Mantelmadonna zu formen.

Das zu erwartende Neue

Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, die Buchmalereien voranzubringen, versuche ich die Muster alter Gesten zu durchreisen. Dabei geht es weniger um die entstehenden Bilder, als um die Erkundung der damaligen Stimmungen. Chunqing, mit der ich mich gestern getroffen hatte, meinte man müsse mehr malen und weniger denken.

Die Umrisse der ersten Malerei vom 13.03. sind auf Rolle 10 vollständig von den zurückliegenden Strukturen angefüllt. Das anziehende dieser Arbeitsweise des Durchzeichnens von mehreren Schichten gezeichneten Materials, ist das zu erwartende Neue in der stets gleich bleibenden Tätigkeit.

Dabei bleiben die Schrifttafeln, über die es zur Gestaltung der großen Reliefs kommen soll, liegen. Skulpturale Weiterentwicklungen des Reliefmaterials erscheinen als ein weiterer logischer Arbeitsschritt. Aber auch ein Ausbruch aus der anhaltenden Kontinuität kann produktiv sein…

Sprünge

Ab und zu kommt der Gedanke auf, Rolle 10 nicht nur mit der Schwärze der Tusche zu bearbeiten. Sie mit der bernsteinfarbenen, auflösenden Tendenz des Schellacks zu konfrontieren, könnte die Beschäftigung mit den Tonbandprotokollen der Staatssicherheit aus den Achtzigerjahren in den Hintergrund verschieben.

In die heutige Buchmalerei floss die Gesträuchrhythmik meiner Zeichnungen der Siebzigerjahre ein. Taucht eine Anmutung davon auf der Transparentpapierrolle auf und mischt sich mit den Schellackwolken und den Schriftfragmenten, ist das ein Grundstein für neue Bildfindungen. Sie werden durch die Sprünge in die verschiedenen Jahrzehnte möglich.

Die Strauchstruktur ist mit den Handkantenlinien verwandt, die bei dem analogen Duplizieren von Figurationen in den Malereien entstehen. Die Verstärkung dieser hellen Striche mit Holznadelgravuren oder mit dunklen Aquarellstiften führt zu den körperlichen Strukturen, die letztlich auch in der Motorik des Zeichnens zu finden sind.

Zustimmung

Dem Gedankenfluss folgend fügte ich die Federzeichnungen der Transparentpapierrolle in die Collagen von vorgestern ein. Heute wurden sie mit den neuen Buchmalereien beschichtet, deren Umrisse nun wieder auf die Rolle gezeichnet werden. Welle auf Welle erreicht somit das Ufer und formt es langsam um.

Als ich meinen Schülern unser Vorhaben, dessen Inhalt sich während der letzten Monate konkretisierte, am vergangenen Donnerstag noch einmal vortrug, fragte ich sie nach ihrer Zustimmung zu unserem Vorgehen. Insbesondere meinte ich damit die Gemeinsamkeit, die es zwischen uns gibt. Sie besteht aus der Nachwirkung der Sowjetzeit auf unsere unterschiedlichen Leben. Sie begriffen es und stimmten zu.

Die Umrisse auf Rolle 10 füllen sich mit dem sich langsam verändernden Material. Am interessantesten ist die verbogene und fragmentierte Schrift. Der Fortgang der Arbeit vergrößert den Abstand zu den Geschehnissen, die mit der Überwachung meiner Person zutun haben. Dadurch kann ich sie besser beurteilen.

Surfen

Der Sprung von den Buchmalereien zu Rolle 10 hat eine Produktionsdynamik, die einer Surfwelle ähnelt. Dabei stellt die Übertragung der Umrisse auf das Transparentpapier die Wasserbewegung dar. Wenn die später gefüllten Tuschefiguren in den Collagen wieder auf die Buchmalereien treffen, von denen sie herrühren, überschlägt sich die Welle, um jener Platz zu machen, die am nächsten Morgen mit der Herstellung der neuen Buchmalereien wieder heranrollt.

Die Umrisse der ersten Malerei von gestern sind nun schon teilweise auf Rolle 10 von den Strukturen der Tuschzeichnungen der Vortage gefüllt. In den heutigen Collagen überlagern sich die deckungsgleichen Figuren mit ihren unterschiedlichen Innenleben.

Auf der Transparentpapierrolle finden sich alle wesentlichen Arbeitsschritte zum Gesamtkomplex des Palastes der Republik, mit den Rückbaustrukturen, Wanderungsspuren, den Stasitexten im Zusammenhang mir dem Porzellanrelief und den Fluchtvokabeln der Schüler. Sie ist leicht transportierbar und eignet sich deshalb am besten, um die Arbeit in Berlin zu zeigen.

Gemeinsamkeiten

Umrisse mit der Rohrfeder zu zeichnen, dauert etwas länger als mit den Farbstiften. Dadurch verändern sich auch die Charaktere der Figuren. Es ist, als hätten sie die Kostüme gewechselt und damit auch ihre Haltung. Der Meister dieser Verwandlungen auf unserer Schauspielbühne, ist für mich Christoph Pütthoff. Er ist ein Vertreter des stetig ruhigen Spiels, auch wenn er laut wird.

Die Schüler arbeiteten gestern weiter an der Bemalung der Reliefs. Sie stimmten mir zu, dass wir Gemeinsamkeiten in Bezug auf das Erleben russisch – sowjetischer Beeinflussungen unserer Leben, zum Gegenstand unserer Arbeit machen sollten. Die Mädchen beschrifteten ein größeres Relief mit ihren Fluchterinnerungen. Es soll den dunklen Gegenpart zum stark farbigen Relief von Mark bilden. Die Jungs begannen eines der großen Reliefs zu bearbeiten. Wir nähern uns einer konkreten Ausformung von Teilen unserer gemeinsamen Erfahrungen.

Ein Figurenfries von über einem Meter Länge kam in der vergangenen Woche auf Rolle 10 hinzu. Es wurde deutlich, wie sehr die Bühnenfiguren, die ich im Schauspiel erlebe, diese Formationen beeinflussen. Mit ihrem Innenleben weisen sie aber darüber hinaus. Indem die Verbindung zum Erleben der realen Alltäglichkeit, durch das Auffüllen ihrer Umrisse mit den vorausgegangenen Mustern von der stetig weiter gezeichneten Rolle hergestellt wird, werden sie zu den Trägern fortlaufender, vergangener und zukünftiger Zeugnisse des Geschehens um mich herum.

Kostüme

Die Bühnengesten in den Buchmalereien werden durch die Kostüme verstärkt. In ihnen kann sich niemand verstecken. Sie betonen die Körper oder ziehen wallend die Gesten zu großen skulpturalen Vorgängen zusammen. Es gibt Schauspieler, die das mit der Art ihrer Bewegungen besonders gut bedienen können.

Im Gärtchen fand ich ein paar Lehmbrocken, die aus einer geologischen Kernbohrung zur Untersuchung des Baugeländes in der Nachbarschaft stammen. Der Regen hat sie aufgeweicht, wodurch sie formbar werden und in meinen Händen gleich zu einer Figur werden wollen.

Aus neu entstandenen Szenen auf Rolle 10 entnahm ich einen 4 cm hohen Streifen aus der Hüfthöhe der Figurengruppe und zeichnete einen ersten Kassiber auf Transparentpapier. Ich schmuggle ihn auf Rolle 2 in das Jahr 2007 und warte dann auf Antwort. Diese führt dann zum weiteren Verschwinden der Stasitexte, die jetzt in einem Auflösungszustand sind, in dem sie gut auf das Stahlgerüst des Palastes der Republik, auf die großen Reliefs, projiziert werden können. So wird das Gebäude noch einmal aufgelöst.

Gruppenumrisse

Die Figur in der ersten Malerei von heute, die ganz rechts steht, nahm meinen Zeichnungsrhythmus der Siebzigerjahre, in dem ich mich wohl und zu Hause fühlte, auf. Eigentlich steht sie nur ganz vorne an erster Stelle, aber die drei Bilder eines Tages entstehen parallel im Tagebuch.

Am Ende des gegenwärtigen Zeichnungsverlaufes auf Rolle 10, steht nun ein Figurengruppenumriss aus einer gestrigen Buchmalerei. Diese Versammlungen kommen mir öfter wie Schauspielergruppen auf der Bühne vor. Die Weiterentwicklung folgte dem üblichen Verfahren, dessen Methode weiter vertieft werden soll.

Maya kam gestern mit dem Relief ins Atelier, das unser gemeinsamer Schüler Mark stark farbig bemalt hat. Er tat das mit großem Aufwand in mehreren Schichten. Nun fehlt noch das Gegenstück, das düster die Erinnerungstexte der geflüchteten Schülerinnen enthalten soll. Mit Maya sprach ich auch über die Amtssprachen der Kunsträuber, Stasispitzel und der Beteiligten an der Mordmaschinerie der deutschen Nazis.

Kassiber

Eine Bildforschung zum Thema „Kassiber“ ging mir durch den Kopf. Sie lässt sich mit den Zöglingsportraits verknüpfen und mit dem Gefühl der Gefangenschaft, das mit meiner Kindheit im Jugendwerkhof Gerode begann. Das Behütende der Klostermauer wechselte in das Beengende, als die Fischteiche, Gärtnerei, Apfelplantage und die Kirchruine des ehemaligen Klosters nicht mehr reichten und sich das ganze Land wie ein Gefängnis anfühlte.

Kassiber auf Transparentpapier werden, in die Vergangenheit geschickt, ihre Nachrichten wir Testsonden platzieren und die Strukturen mit aufnehmen, die zu dieser Zeit, beispielsweise auf Rolle 2, sichtbar sind. Zurückgekehrt fügt sich das aufgenommene Material auf Rolle 10 in die Gegenwartsmuster ein.

Einen Figurenumriss der ersten Malerei von gestern, bildete eine Gruppe von Figuren, die die Projektionen der Vortage annahmen. Sie erschien auch erwartbar in den Collagen, in denen sich die Bilder mehr und mehr in Einzelteile auflösen und vermischen, ähnlich wie es mit den Handballenabdrücken in den Malereien passiert.

Übergänge

Die Morgenmalereien kamen noch aus dem Halbschlaf, formierten die Nachtfiguren erst im Tageslicht, als drängte sich die Finsternis in die wachsende Helligkeit. Die Deutung dieses Vorgangs und der Figurationen bleibt aus. Manchmal sind es waldartige Formationen, die Wiederholungen in sich tragen, wie genetische Muster, die von den Vortagen vererbt wurden.

Auf der Transparentpapierrolle werden die vagen Figuren der Buchmalereien dann konkreter. Die Tuschelinien verlangen klare Entscheidungen für die Umrissformen der Übergänge zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Diesen Vorgang der Verwandlung möglichst deutlich sichtbar werden zu lassen, ist ein Ziel der gegenwärtigen Arbeit.

Auch die Fragmentierungen und Auflösungen von Texten, Worten und Buchstaben entsprechen diesem Vorgehen. Manchmal läuft das ganz unbewusst ab. Dann aber kann das spätere Betrachten dieser Bilder zu Erkenntnissen und Interpretationen führen, die während der Entstehung und kurz danach noch nicht deutlich sein konnten.

Traumnovelle

Ganz langsam beginnt es zu regnen. Vielleicht wird die kalte, trockene Ostluft von feuchtwarmen südwestlichen Schwällen abgelöst. Früher war die Freude weniger, wenn es wochenlang regnete…

Gestern sahen wir die Premiere einer Dramatisierung der Traumnovelle von Arthur Schnitzler, in der Regie von Sebastian Hartmann. Dem, was wir unter Traum verstehen, ist das Ensemble sehr nah gekommen. Der künstlerische Mut war deutlich spürbar und ist in seiner Kompromisslosigkeit auch sehr anzuerkennen. Allerdings führte das auch zu Begegnungen von Musik und Choreografie, die sich gegenseitig illustrierend, die Energie nahmen.

Wir trafen wieder Chunqing mit ihrem Mann. Ich spreche gerne mit ihr, fühle mich auch künstlerisch mit ihr verbunden. Schade, dass die Premierenfeiern immer so laut sind und man sich deswegen so schwer versteht.

Unsere gemeinsamen Worte

Die Weiterentwicklung der Schrifttafeln mit ihren aufgelösten Sinnzusammenhängen, den abstrakten schwarzen Flächen, Strukturen und den tiefliegenden Linien wird zur wichtigsten Arbeit in diesen Tagen. Die meiste Arbeitszeit fließt in den Arbeitstagebuchkomplex, der sich auch auf Rolle 10 ausweitet. Das aber sind letztlich alles Vorbereitungen der Bemalung der Relieftafeln.

Die Farben und Muster in und zwischen den heutigen Figuren erzählen die Atmosphären der Räume außerhalb der Körper. Graubraun fegt der Kaltwind in der zweiten Malerei aus RechtsOsten. Von einer senkrechten Kraft wird er etwas abgelenkt, kann aber dem widerständigen gelben Leuchten der Figur nichts anhaben. Die Personen am rechten Rand von 3 sind in die Wirbel des farbigen Luftstromes verwickelt. Es ist, als würden sie die kreiselnden Bewegungen der Farbstifte auslösen.

Der schnell ziehende Hochnebel spielt mit der Sonne, die ihn bald auflösen wird. Erst kommt Licht in die Sache und dann lösen sich die Textwolken auf! Die Verbindung der Erinnerungsworte der Schülerinnen und Schüler mit meiner Arbeit an der Aufarbeitung der Überwachung durch meinen IM „Lutz Lange“, schafft eine generationsübergreifende, allgemeingültige Aussage über die Auswirkungen der Sowjetzeit. Die Worte vermischen, den Sinn fragmentieren und alles neu zusammensetzen. So sollten wir es machen!

Wie von allein

An jedem Morgen geht die Beschreibung dessen, was die Arbeitsergebnisse des Vortages waren, in die aktuelle Produktion und ihre Erläuterung über. Jetzt fällt die Tendenz zur Einbindung von Figurengruppen auf, sowohl auf Rolle 10, als auch in den Buchmalereien. Indem die durchgedrückten Linien des Vortages durch Schraffuren aktuell hervorgehoben werden, setzt sich in den Büchern das Thema des Vortages fort. Eine dieser Formationen vom 26.02. wiederholte sich bis heute in Variationen und Veränderungen.

Nun hängt das zweite große Relief mit der hervorgehobenen Stahlkonstruktion auf gleicher Höhe, eng neben dem ersten. Und eine größere Schrifttafel ist begonnen. Das kommt nun ganz einfach zustande, weil viel abgeformtes und grundiertes Material im Atelier herumliegt, das ich mit vornehmen kann. Dann nimmt es, wie von alleine, die Themen auf, die sich gerade im Raum bewegen.

Heute, am Donnerstag kommen wieder die Schülerinnen und Schüler. Der geänderte Rhythmus dieses Tages und die Begegnung, machen aus ihm einen besonderen in der Woche. Die eigene Arbeit verbindet sich intensiv und selbstverständlich mit der der jungen Menschen. Nach der Tagebucharbeit wird der Arbeitsraum für diese Situation vorbereitet. Gegen 13 Uhr kommen die ersten und die letzten gehen etwa 15.30 Uhr. Rateb, aus Afghanistan, bleibt meistens die ganze Zeit. Zwischendrin spielen wir manchmal Frisbee auf der Wiese.

Schmaler Grad

Die Produktion läuft. Morgens die Malereien, Texte, Scans und Collagen, in die ich Schrifttafeln der letzten Woche einfügte. Der Umriss einer Gruppe aus einer Malerei vom 10.2., die aus 7 Figuren in 2 geschlossenen Formationen besteht, fand seinen Platz auf Rolle 10, hinter den Textscherben der Stasiberichte. Die ersten 3 Figuren füllten sich mit dem fragmentierten Überwachungsmaterial, was Eingang in die heutigen Collagen fand.

Am späteren Nachmittag wurde ein kleines grundiertes Relief Träger von Buchstabenkonstellationen und Tuschekonstruktionen, die von den Scherben auf Rolle 10 stammen. Mehr malerische Struktur bekam die Arbeit durch Graphitschraffuren, die mit Schellackschichten angelöst werden können. Auch die Tusche löst sich darunter an. Mehr dieser Experimente müssen noch gemacht werden, bevor es an die großen Reliefs geht.

Eine Zusammenfassung der Arbeitsvorgänge für die Kuratorinnen des Humboldt Forums begann gestern zu entstehen. Das fällt nicht so leicht, weil die Prozesse im Formieren und im Wandel sind. Und die Arbeitstagebucheinträge sind zu spontan, als sie dafür übernehmen zu können. Beschreibungen der Vorgänge der Entstehung von Bildern gehen auf einem schmalen Grad zwischen Entzauberung und Illustration.

Schrifttafeln

Weitere kleine Schrifttafeln sind entstanden. Wortfragmente, verbogene Buchstaben und abstrakte Strukturen übertrage ich mit Tusche auf die grundierten Pappmacheabformungen. Dabei schaue ich auf das, was in den letzten Tagen auf Rolle 10 entstanden ist. Bislang bleiben diese Experimente noch sehr grafisch und deswegen etwas DADA-verbacken. Abhilfe können ein paar Schichten Schellack und verwischte Tusche schaffen, etwas mehr malerischer Raum also.

Noch keine der letzthin entstandenen Buchmalereifiguren sind bisher nach den Stasitextscherben auf Rolle 10 erschienen. Ihr Zusammenspiel mit dem Schriftmaterial würde eine weitere Schicht bilden, die ich verarbeiten kann. Aber auch die malerischen Atmosphären, Abdrücke und Verwischungen der Malereien sollten in die anderen Materialien überführt werden, mit denen ich auf den Reliefs arbeite.

Eines der Flüchtlingsmädchen wird demnächst von einen Fernsehteam aufgenommen. Ihr Weg würde auch in mein Atelier führen. Es soll gezeigt werden, was sie bei mir macht. Ich war mir zunächst nicht sicher, ob ich da mitmachen sollte. Nun habe ich aber Sendungen der Redaktion zu diesem Thema gesehen und habe keine Bedenken mehr.

Gedankenlos

Am kleinen, runden, weißen Tisch schreibe ich in der Sonne, windgeschützt vor der Ateliertür. In den Buchmalereien, die ich drinnen machte, entwickelten sich viele Figuren. Sie gehen Verbindungen mit gegenstandslosen Motiven ein, existieren in einer Zwischenwelt, die sich weiter ausdehnt. Das geschieht gedankenlos, wie von allein, durch handwerkliches Ausprobieren.

Veränderungen im Daumen meiner rechten Hand, ziehen ein anderes Schriftbild in den Büchern nach sich. Wenn das Schreiben schmerzlich wird, verliert es an Ästhetik. Vielleicht verändert sich dadurch auch der Inhalt. Beim Betreten des Ateliers am Morgen, überraschte mich die Arbeit, die auf den Tischen liegt. Ich hatte sie am Wochenende in Marbach und Heidelberg vergessen. Heidelberg erschien mir etwas fade so voll von jungen Menschen auf der Suche nach Vergnügen. Im Literaturarchiv in Marbach hingegen, habe ich mit Zuneigung und Interesse die Ausstellungen angeschaut, die in dem schönen Bau eingerichtet waren. Schillers Handschrift wieder!

Im Gärtchen möchte ich die Weide zurückschneiden, die mir im vergangenen Sommer fast vertrocknet wäre. Ihre Wurzeln, die sie durch einen Spalt im Beton getrieben hat, reichten irgendwann nicht mehr bis zum Grundwasser, das auch durch die tiefen Baugruben, in denen ein Stahlwald von Kränen wächst, abgesenkt wurde. Nun hoffe ich, sie dennoch retten zu können.

Scherben von Schrifttafeln

Über 20 weitere Scherben entstanden auf der Transparentpapierrolle. Innerhalb einer musikalischen Komposition sind sie wie kurz angeschlagene Töne mit denen das Thema langsam verschwindet. Neben den schwarzen Tuscheflächen, zerfließt die Schrift und gibt langsam ihren Geist auf.

Auch die Buchmalereien werden destabilisiert. All zu deutliche, banale Teile überlagere ich mit weniger eindeutigen Strukturen. In den Collagen kommt es zu einer Choreografie von Einzelteilen zweier zuvor getrennter Gruppen. Sie singen in der Bewegung immer die gleiche Sequenz und vermischen sich so. Man muss sich die Handlung zusammensuchen.

Auf einer kleinen Relieftafel begann ich mit meinen zerflossenen Stasitexten zu improvisieren. Das entwickelt eine neue Welt oder eine weitere Schicht. Die Schüler, die heute mit ihren Erinnerungstexten weiter arbeiten werden, sollen sich daran ein Beispiel nehmen. Aus unseren Schrifttafeln entwickelt sich dann die Gestaltung der großen Reliefs.

Abhanden gekommene Sinnzusammenhänge

Aus den Strukturschichten der Rolle 9 extrahierte ich die ersten 9 Scherben mit Schreibmaschinentypen, Figurenumrissen und Porzellanformen. Wegen der langen Beschäftigung mit den Scherbengerichten des Väterprojektes und dem Vertrauen das ich zu diesem Prozess aufbauen konnte, fühle ich mich in diesem Arbeitsschritt sehr zu Hause. Die abhanden gekommenen Sinnzusammenhänge der Stasitexte durch Buchstabenverzerrungen und Zersplitterungen, ironisieren den Überwachungsvorgang etwas. Das schafft den Abstand, den ich zur Deutung der Zusammenhänge benötige.

Das Kraftfeldrelief kann nun die Spannung zwischen den Erlebnissen der Flüchtlingskinder und meinem Erleben des Sowjetsystems aufnehmen. Die Form, in der sich diese verschiedenen Ebenen übereinander lagern habe ich noch nicht vor Augen.

Wenn ich beginne, kleinere Fragmente des Kraftfeldreliefs mit den fragmentierten IM-Tonbandtextstellen zu versehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Inhalte und Materialien zusammenspielen, kann das ein Vorbild für die Arbeit der Kinder sein, wenn sie ihre eigenen Worte auf das Relief schreiben. Diese poetische Arbeitsweise soll uns weiter helfen.

Schreddern?

Das Zeugnis, das mir mein IM „Lutz Lange“ ausstellte, strahlt auch zurück auf ihn. Durch die Fragmentierungen, die ich auf Transparentpapier zeichne, schärft sich das Bild der Gesamtsituation. Interessant wäre, die näheren Umstände der Beauftragung des Gestalterkollektives der Porzellanmanufaktur Meißen, mit einem Relief für den Palast der Republik zu kennen. Die Entwürfe müssten zur selben Zeit entstanden sein, als ich, gemeinsam mit 4 anderen Soldaten, per Hand Ziegelsteine für den Bau des Gebäudes ablud und im Lustgarten stapelte. Der hierarchische Abstand zwischen Spitzel und der Person, die Ziel der Beobachtung war, würde deutlich.

Die Umrisse einiger Porzellanblütenblätter, die ich weiter hinten auf Rolle 10 platzierte, habe ich nun beim Voranzeichnen mit den Text- und Figurfragmenten der Tonbandprotokollbearbeitungen erreicht. Die zerstückelten Sinnzusammenhänge und verschwimmenden Buchstaben beschreiben die Vorgänge der Verarbeitung dieser Geschichte.

Nun steht der nächste Schritt hinter meinen Augen bereit. Es wird darum gehen, dass sich aus den Überlagerungen der verschiedenen Umrisse aus Figuren, Blütenblättern und Schreibmaschinentypen, ein neues Scherbengericht formiert. Die weitere Vorgehensweise ist ungewiss. Schreddern?

Verwischter Text

Montag, Sonne, Atelierpflanzen im Gegenlicht, gießen, warm geblendet. Julia war da, um mich zu fragen, was ich am Tag ihrer Geburt, dem 2.4. 2014 gemalt habe. Ich zeigte ihr die Verwischungen und sprach über die GPS-Wanderungen, die ich in diesen Tagen auf der Ackermannwiese zwischen den imaginären Zwangsarbeiterbaracken gemacht habe.

Auf der Leiter steige ich mit der Wasserkanne ganz hinauf bis zu den Spinnenweben der Atelierdecke, unterhalb der, auf einem Regalbrett ein Ficus, japanischer Klee und viele Sukkulenten vor der Glaswand nach Südosten stehen. Draußen davor, im Gärtchen, wachsen aus den geflochtenen Weidenringen die hellen Kätzchen.

Ich stelle mir verwischte Texte vor, die ich vorlese. Die Lücken zwischen den Buchstaben oder Worten werden gezischt, Sätze im Wind. Das wächst sich zu einem Schweigen aus, das ein Sehnsuchtsort wird. Darin flackert ein Blätterschatten auf dem Sammelsurium aus Pflanzenresten, eingeweichter Pappe, Gips, Schellack. Wieder von vorn beginnen.

Zusammenspiel

Während meines kurzen Vortrags heute im Anna Freud Institut über die derzeitigen Inhalte meiner Arbeit, wurde mir der Zusammenhang zwischen den Erinnerungsworten der Schüler zu ihrer Flucht und den Worten aus den Abschriften der Tonbandaufzeichnungen meines IM „Lutz Lange“ noch einmal deutlicher.

Weitere Interpretationsschichten werden durch den kürzlich wieder gefundenen Text von Susanne über das Kraftfeld aufgedeckt. All dies kann nun in den wiederholt abgeformten Reliefs gezeigt werden. Eine Entdeckungsreise in immer anders neue Welten.

Mark und Rateb schrieben gestern ihre Fluchterinnerungsworte mit Graphit auf weiche graue Pappe. Dies bildet nun das erste Archiv der Vokabeln, die dann in den Umriss des Rückbaustahlgerüstes des Palastes der Republik geschrieben werden. Außerdem füllten sie die vertieften Linien innerhalb dieser Figur mit Tusche, so dass sie sich nun deutlich vom hellen Hintergrund abhebt.

Thematischer Zusammenhang

Die sich auflösenden Stasitext-Porzellansplitter auf Rolle 10 kommen nun zu einem Zusammenspiel mit den abgeformten Scherben des Kraftfeldes. Sowohl die Tonbandprotokollabschriften meiner MfS-Akte, als auch die Fluchtroutenstationen meiner Schüler, finden Platz zwischen den jeweiligen Liniengeflechten auf dem Transparentpapier und auf den Reliefs. Die Bezüge von Volkspalast, Bespitzelung und Umsiedelung bilden einen thematischen Zusammenhang. Die alte Sowjetunion, im Ukrainekrieg ins Visier genommen, baut den Palast noch einmal ab.

Das Thema bekommt also vor dem Hintergrund der russischen Expansionsbemühungen eine besondere Brisanz. Mir kommt die DDR-Parole: “Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ in den Sinn. Die Identifikation mit dem Bau und dem Erhalt des Palastes erscheint mir umso problematischer. Auch die Versatzstücke, mit denen das Humboldt Forum sich schmückt, sind mir zunehmend suspekt.

Aber das Kraftfeld ist dafür da, sein Labyrinth für einen Ausweg zur Verfügung zu stellen. Die Schüler können nun die Stationen ihrer Flucht in den Umriss der Palaststahlkonstruktion schreiben. Diese Politisierung des Rekonstruktionsprojektes, die mir schmerzlich ist, scheint für die Freisetzung der Energie des Kraftfeldes ein notwendiges Übel zu sein.

Abzweigung

In Bezug auf meine Arbeit am Kraftfeld schrieb Susanne: „Das Handwerk versetzt dem Nachdenken große Schübe…“. Ich lese ihre Sätze aufmerksam noch einmal, jetzt nach etwa 10 Jahren. Dann gehe ich an die Bemalung des Reliefs mit Schellack, zunächst auf weißem Grund. Dann immer mehr Schichten, auch von weißen Höhen dazwischen, die irgendwann leuchten sollen, als helle Wegzeichen im Raum. Später kommen dann Graphit, Tusche und die Kinderschrift, in orientalisch-arabisch-kyrillischen Buchstaben, hinzu. Ein Gekritzel des Gedenkens an die Fluchtstationen, die Namen der Zurückgebliebenen und Toten.

„Die Zeit kann auf der Pergamentrolle verändert werden, es gibt Möglichkeiten zu Diskontinuitäten, um einen Zeitstrahl mit einem Element zu verbinden, das erst später in Entstehung kommt.“, heißt es im Kraftfeldtext. So habe ich die Blütenblätter des Porzellanreliefs behandelt, sie vor ein paar Tagen weiter hinten auf die Rolle gezeichnet, wo sie jetzt von den Stasitexten aus dem Jahr 1982 eingeholt werden. Dort zerbröselt alles zum Ornament des vorzeitigen inneren Rückbaus des Palastes der Republik.

Die Reliefs erleben nun in eine neue verdichtende Phase der Rekonstruktion. Das geschieht auch mit dem alten aufgefundenen Text. Es wird auch eine Verbindung zur Arbeit „Mein Leben in Deutschland“ gezogen, die ich in den Neunzigerjahren auf Packpapier auf Nessel gemalt habe. Dieser Bezug zur Fortsetzung der Arbeit im Kraftfeld, bildet nun eine Abzweigung auf meinem Weg zur Rekonstruktion. In einer Schleife geht es dann zurück zum Weg, der steil auf den Pass führt.

Susannes Text

Vor ein paar Tagen fand ich in einer Hängeregistermappe 2 Blätter mit der ausgedruckten Reihe des Kraftfeldes. Dabei lag eine sechsseitige Beschreibung des Frieses. Alle Einlassungen sind mit der Kenntnis meiner Biografie und meiner Arbeitsweise verfasst. Es ist der Text von Susanne Winnacker, den sie in der Kälte des alten Holzlagers, eingepackt auf einem Stuhl sitzend formulierte. Ein Glücksfall für mich, dass ich dieses Schriftstück, das mich wieder sehr berührt hat und funktioniert wie ein Gravitationsfeld, nach langer Zeit wieder gefunden habe.

Gestern arbeitete ich an den zwei rekonstruierten Relieftafeln, die insbesondere das Stahlgerüst, das fortlaufend in einer Endlosschleife von einem in das nächste Format hinüber wächst, hervorheben. Sie werden ein einziges Bild, dessen Rapport einen Rhythmus vorgibt, der zu einer Beschleunigung führt.

Susannes Worte erlauben mir, meine Arbeit wieder aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu können. Selbst die Möglichkeiten, Zeitkontinuitäten auf der Transparentpapierrolle, auf der ich den Fries entworfen habe, außer Kraft zu setzen, hatte sie damals schon gesehen. Jetzt leuchten mir die weiteren Möglichkeiten, die das Liniengeflecht bietet, ein. Übermorgen werde ich versuchen, die Schüler mit dieser emotionalen Beschleunigung anzustecken.

Ufo

Das Treffen mit Mario Venzago gestern und sein Konzert mit dem Frankfurter Museumsorchester in der Alten Oper, waren wie eine Ufolandung in dem Garten unserer Zurückgezogenheit. Er ist stetig in der ganzen Welt, die verschiedensten Orchester dirigierend, unterwegs und ist fünf Jahre älter als ich! Am Pult verkörperte er die Musik skulptural, mit seinen Armen, seinen Händen und mit seinem Blick. Er schuf für die Kompositionen von Webern, Mozart und Brahms Räume, in denen sich die Klänge verdichteten. Wir konnten das gut sehen, weil wir seitlich hinter dem Orchester saßen. Das gemeinsame Essen danach war vergnüglich und ziemlich lang.

Figuren festigen und bündeln die auseinanderstrebende Energie in meinen Buchmalereien. Ihre Beziehung zu den Strukturen und untereinander führen zu erzählenden Szenen. Ich möchte sie nicht aufschreiben, weil sonst die Energie der Bilder geschwächt wird, die ich noch benötige.

Zum Beispiel für die weitere Bearbeitung der Reliefs. Sie kommt zum Sonnenlicht hinzu, das das ganze Material im Atelier durchdringt. Das belebt meine Lust, mich mit den unzähligen Relieffragmenten zu befassen, die überall herumliegen. Aber wichtiger sind mir jetzt die zwei großen vollständigen Reliefabformungen, die ich mit den Schülern und ihren Wanderungsgeschichten gestalten will.

Stationen

Die Schüler begannen gestern Stationen ihrer Flucht mit dicken Graphitstiften auf ein Stück graue Pappe zu schreiben. Kabul, Taschkent, Rostow usw., in ihren jeweiligen Schriftsprachen. Sie bekamen die Aussicht, dass dieses Relief, an dem wir gerade arbeiten, ein Bild mit ihren Erinnerungen wird. Leider waren die Mädchen bei Hannah zu einem Tanzworkshop. Aber das kann ja ein Grundstein für eine Kooperation werden.

Ich begann die Stahlkonstruktion innerhalb des Liniengeflechtes hervorzuheben. Weil sie das Format auf der rechten Seite verlässt und auf der linken wieder hereinragt, benötigt es zwei abgeformte Formate, um den vollständigen Ablauf der Konstruktion in ihrem Zusammenhang wahrnehmen zu können.

Einen Stasitext zeichnete ich noch auf Rolle 10 durch. Je öfter ich dieselben Worte Runde für Runde, beim Zusammenrollen des Transparentpapiers mit Tusche nachziehe, umso unkenntlicher werden die kleinen Buchstaben. Das liegt auch an dem Gewicht meiner rechten Hand, das bei dieser Arbeit zunimmt. Hinzu kommt eine Zersplitterung durch die wechselnden Konturen der Buchmalereien und der Porzellanblütenblätter, die zu füllen sind.

Abgelegte Energie

Die Verknüpfung der Tonbandprotokolle meiner Stasiakte mit den Figurenumrissen auf Rolle 10, schließt eine neue Dimension auf. Sie beginnt sich zu erweitern und meine Arbeit entsprechend zu beeinflussen. Das wird in den Collagen sichtbar. Gestern zeichnete ich mit schwerer Hand diese Schreibmaschinenzeilen auf das Transparentpapier. Dabei ist mir, als würde das Gewicht aus mir heraus dort als kinetische Energie liegen bleiben. Dieser Speicher kann nun zum Aufladen genutzt werden.

Einige der MfS-Kopien liegen auf der Kraftfeldform. Dort gehen sie Verbindungen mit den Linien ein, die Wanderungssymbole umschreiben. Heute kommen die Schüler, mit denen ich an dem Wanderungsthema weiterarbeiten will. Es soll um Wege und Erinnerungsworte gehen, die wir in den jeweiligen Sprachen auf Pappe schreiben können.

Verschiedenes Material, bemalt, bedruckt oder anderweitig bearbeitet, in die Form zu pressen, ist ein neuer Arbeitsschritt. Das Kraftfeld bekommt dadurch andere Wirkungsrichtungen.

Alte Strukturen

Mit lauter anderen alten Menschen sahen wir gestern die Chagall Ausstellung in der Schirn. Für diese etwas altmodische Veranstaltung kauft man sich nicht einfach eine Eintrittskarte, sondern einen Zeitabschnitt für den Aufenthalt, der von grobschlächtigen Naturen misstrauisch begutachtet wird. Es sind die Bilder eines, trotz der Schrecknisse seiner Zeit, freundlich gebliebenen Malers.

Auf Rolle 10 zeichnete ich zwei weitere Figurenumrisse und begann die Leerflächen in den anderen Gestalten mit weiteren Texten aus meiner MfS-Akte zu füllen. Die gewisse Schwere, die beim Nachzeichnen der Schreibmaschinentypen auf mir lastet, schwindet mit jedem Strich etwas.

Auch die Buchmalereien kehren in diese Zeit zurück. Die Strukturen der Haut des Handballens, werden zu den Gesträuchen, in denen ich damals meine Räume und Figuren gefunden habe. Die Rückkehr dahin geschieht aber mit dem Material im Rücken, das in den vergangenen 40 Jahren entstanden ist. Das Warten auf die Neuerung, die daraus erwächst, wird schnell belohnt.

Überspringen

Eine zeichnerische Struktur aus der fernen Vergangenheit begann sich am Morgen der Buchmalereien zu bemächtigen. Sie verdrängte die Versuche mit Konturen und deren Verwischungen aus den letzten Tagen. Es entsteht der Impuls, dieses Bauen, Verflechten und Krakeln in die Zukunft zu projizieren.

Auf Rolle 10 kann ich ein paar Meter leeren Raum überspringen, um dahinter ein paar Umrisse von heute zu platzieren. Somit ließe ich die Stasiblütenblätter erst einmal hinter mir. Gestern wiederholte ich den Umriss mit den Struktur- und Textfüllungen. Somit kamen die Porzellanblütenumrisse näher und können nun mit diesem Material ausgefüllt werden.

Spätestens während des Fototermins, der mir vom Kuratorinnenteam des Humboldt Forums angekündigt worden ist, werde ich meine Beschäftigung mit dem Stasithema kundtun. Dann bin ich gespannt, wie die Reaktion ausfällt.

Anschlüsse

Die Schüler, die allesamt Fluchten hinter sich haben, könnten Spuren der Wege in die Vertiefungen der Reliefs projizieren. Auf den Höhen dazwischen erscheinen die Erinnerungsworte vom Unterwegssein, vom Verlassen ihrer Welt und von dem, was dann kam. Ich frage mich, ob es möglich ist, diese Worte gemeinsam in einem Sprechgesang zu rezitieren, um sie dann innerhalb des Reliefs auf die Stahlkonstruktion des Palastes zu schreiben.

Die Umrisse auf Rolle 10 sind weiter mit Stasitextfiguren gefüllt. In einer Wiederholung desselben Motivs werde ich die verbliebenen Lücken mit Texten des Ministeriums für Staatssicherheit füllen. Dann trifft dieses Material im weiteren Verlauf des Transparentpapierstreifens auf die Porzellanblüten des „Schöpferkollektives“ der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen.

Die Buchmalereien führen mich nach dem Wochenende wieder Schritt für Schritt, Kontur für Kontur, mit Verwischungen, krakeligen Papiergravuren, Schraffuren und Handballenabdrücken, in den Anschluss an die Arbeit der vergangenen Woche. Mich interessiert der Wechsel zwischen den aufrechten, kurvigen Linien, den Räumen dazwischen und ihren Strukturen als ein Gestaltungsmittel, mit dem ich weiter fortfahren will.

Alter Rhythmus

Am Morgen entfernte ich das zweite Relief, mit einem vieleckig-unregelmäßigen Umriss, aus der Kraftfeldform. Das Objekt trage ich nun im Atelier herum, platziere es an verschiedenen Stellen, um herauszubekommen, wie ich mit ihm weiter verfahre. Wenn ich ein drittes in dieser Weise abforme, kann ich einen Dreiklang herstellen, dessen Dynamik den Prozess intensivieren wird.

Den Umriss der ersten Buchmalerei von gestern begann ich auf Rolle 10 mit den Stasitextfiguren, die in den vergangenen Tagen entstanden sind, auszufüllen. Die Schüler haben begonnen, ihre großen Reliefs mit Schellack zu bemalen. Damit werden die Vertiefungen in mehreren Schichten ausgefüllt, bis ein solider Grund entstanden ist. Dann werden die Höhen mit Weiß noch weiter angehoben. Ich könnte mich nun dafür entscheiden, dass sie das Stahlgerüst des Palastes, das beim Rückbau hervorkam und einen Teil des Kraftfeldgeflechtes bildet, mit einem Schellack-Tusche-Gemisch hervorheben.

Die zweite Malerei von heute ist ein Berlinmotiv, das aus der Zeichnung vom Dach des Palastes, die ich 1974 machte, herrührt. Der grafische Rhythmus, dem ich folgte, stammt auch aus dieser Zeit. Auch in der ersten und dritten Malerei verbindet er sich mit den Linien, die durch die Handballenabdrücke entstanden. Bekomme ich diese Arbeitsweise in die Bemalung der Reliefstreifen, schließt sich der Kreis.

Überdruss

Bei der Übertragung der Schreibmaschinentypen einer Tonbandabschrift vom 21.04. 1982, die ein Gespräch mit dem IM „Lutz Lange“ über mich betraf, auf das Transparentpapier von Rolle 10, kamen mir Zweifel an meiner Vorgehensweise, was den Effekt dieser Arbeit für mich angeht. Vielleicht lässt sich der Stellenwert dieser Bildforschung später abschätzen.

Wegen der Ermüdungserscheinungen und einem gewissen Überdruss gegenüber dem Gegenstand, sollte ich den Aufbau des Experimentes verändern. Dafür brachte ich einen Teil des Reliefs, das ich mit den Schülern abgeformt hatte zu Maya, um die Strukturen des Objektes mit der Buntheit ihres Ortes zu konfrontieren.

Auf Rolle 10 überlagerte ich die Porzellanblütenblätter durch das Zusammenrollen und im Durchzeichnen von hinten her, gegen den Uhrzeigersinn, also aus der Zukunft zurück in Richtung Gegenwart. So bewegen sich diese Formen meinen jetzigen Figuren entgegen, die sich von jetzt nach rechts in die Zukunft ausbreiten. Buchmalereien, Reliefstreifen und Transparentfiguren sind die Grundelemente, die sich immer enger miteinander verzahnen.

Innenleben

Am Morgen löste ich den ersten Reliefstreifen mit seinem „konstruktivistischen“ Umriss aus der Kraftfeldform. Der zweite muss noch weiter trocknen. Die Objekte muten etwas wie aus den Fünfzigerjahren an – Nachkriegsmalerei…

Auf Rolle 10 reihte ich die IM – Porzellanblütenblätter auf. Ich schob sie etwa einen Meter in die Zukunft, also nach rechts. Gleichzeitig platzierte ich eine Figurenreihe vom 27.1. in das fortlaufende Geschehen. In den Umrissen erscheinen Fragmente der zwei übereinander eingerichteten Reihungen, die ich zuvor auf dem Transparentpapier mit Teilen des IM-Textes versehen hatte. Weil ich davon noch mehr in die Umrisse übertragen möchte, wiederholte ich die 5 Figuren mit ihrem Innenleben noch einmal. Mit diesem Überwachungsmaterial arbeite ich mich dann langsam auf die dekorativen Porzellanblütenblätter zu.

Immer öfter kommt mir, während der Arbeit an den Buchmalereien, meine zeichnerische Arbeit aus den Siebzigerjahren in den Sinn. Dieser krakelnd-suchende Strich, der sich in Gesträuchen verdichtete, schuf dort konkrete Räume.

Wenig Zeit

In die Kraftfeldform modellierte ich gestern einen weiteren Streifen, quer über das Liniengeflecht hinweg. Wenn man will kann man darin wieder Figuren entdecken. Man kann es aber auch bleiben lassen und dem Temperament in abstrakte Richtungen folgen.

Während der Buchmalereien scheine ich heute etwas zu viel Energie für die kleinen Formate gehabt zu haben. Die Auswirkung dessen spiegelt aber meinen Zustand an diesem Morgen. Es ist etwas wenig Zeit für die Tagebucharbeit. Andere Alltagsdinge schieben sich drängend dazwischen.

Morgen bringe ich Maya einen Teil des Reliefs das die Schüler am vergangenen Donnerstag grundiert und eine Woche vorher abgeformt haben, damit es bei ihr bemalt wird. Den anderen Teil behalten wir bei uns und gestalten ihn auf meine Weise. So haben wir dann den direkten Vergleich der unterschiedlichen Herangehensweisen.

Abformungen

Am Sonnabend formte ich bis in den Abend das Relief aus, das ich vor drei Tagen auf der Kraftfeldform begonnen hatte. Es handelt sich um einen Streifen mit Figuren, wie er in den Buchmalereien, aber auch auf Rolle 10 vorkommt. Dafür benutze ich Pappmachemasse, die ich gemeinsam mit Rateb hergestellt habe. Den gleichen Streifen möchte ich noch einmal mit einer glatten, geschlossenen Bahn eingeweichter Pappe, die ich in die Form drücke, abformen.

In den letzten Tagen habe ich zusammenhängend, ohne jede Ablenkung arbeiten können. Dabei sammelte ich Energie, mit der ich mein Verhältnis zu meiner Vergangenheit und ihrer Umgebung genauer untersuchen will. Nur über diesen Weg des Blicks nach innen, scheint es mir möglich, Ergebnisse zu formulieren, die in irgendeiner Weise allgemeintauglich sein können.

Mit meinen Eltern habe ich am vergangenen Wochenende versucht, mich zu erinnern. Das lief wenig zielgerichtet und ging von meinem stetig wiederholten Satzbeginn:“ Ich erinnere mich an…“aus. Das sollte die Geschichten, die bei ihnen aus der Umgebung meiner Szenen haften geblieben sind, aktivieren. Ich zeigte ihnen meine Stasiakte und las ihnen daraus vor. Sie staunte über viele Dinge, die ich erlebt hatte, von denen sie nichts wussten.

Figuren- und Splitterumrisse

Während der Buchmalereien hörte ich am Morgen das Album „Eventually“ von Jonathan Nagel. Die Einzelbilder wollte ich zunächst bestimmten Kompositionen zuordnen, kam aber nach einigem Hin und Her davon ab.

Gestern begann ich ein neues Kraftfeld-Relieffragment abzuformen. Ich arbeite mich in einem Streifen vom linken Rand der Form, wo ich eine Figur entdeckte, nach rechts vor, indem ich die Formen, die mir unterwegs begegnen aufsammle. Eine langsame Arbeit, deren vorsichtiges Tasten ich während des Wachstums des Objektes genieße.

Diese Beschäftigung drängt die Scherben des Meißner Porzellans etwas in den Hintergrund. Die Buchmalereien zielen teilweise wieder auf ihre Weiterverwendungen auf Rolle 10 und in den werktäglichen Collagen. Dem erneuten Scherbengericht, das in der Zukunft von Rolle 10 beginnt und sich rückwärts in die Zeit streckt, begegne ich mit den Figurenumrissen der gegenwärtigen Buchmalereien. Sie kommen, die IM „Lutz Lange“ Texte rezitierend, den Pozellansplittern entgegen. Schwer vorhersehbar, was dann folgt! Aber die Reliefrekonstruktion verbindet sich mit dem kleinen Fries, den ich gerade begonnen habe, endlich wie von alleine mit dem Geschehen auf Rolle 10, wie ich es lange vorhatte.

Dekoration

Mit den Schülerinnen und den Schülern grundierte ich gestern ein vollständig abgeformtes Kraftfeldrelief. Das in der vergangenen Woche entstandene große unregelmäßige Zufallsformat bekam ebenfalls einen ersten Anstrich. Den möchte ich zu Maya in ihren Malort bringen, damit er dort Farben bekommt.

In meinem Kopf probiere ich immer neue Experimentalkonstellationen zum Humboldt Forum Thema. Die Blütenblätter des Wandreliefs aus Meißner Porzellan, will ich aus ihrer gefälligen Anordnung herausführen, um sie weiter hinten, also in der Zukunft des Zeitstrahls von Rolle 10, hintereinander aufzureihen. In dieser Weise, für meine Zwecke geordnet, lassen sie sich beim Zurückrollen und Durchzeichnen, übereinander stapeln und so, mit den sich kreuzenden Linien, zersplittern. Die Scherben werden dann mit Textfragmenten des IM „Lutz Lange“ gefüllt.

Die Nennung des Klarnamens, der mir durch die Zusammenhänge schon lange bekannt ist, möchte ich bei der zuständigen Behörde nun offiziell beantragen. Der Zusammenhang zwischen der Dekoration des Staatsvolkspalastes und den Texten der Bespitzelung der Bevölkerung, scheint mir die Aushöhlung der Legitimation dieses Gebäudes vorangetrieben zu haben. Der Abriss war die logische Folge.

Energieumwandlung

Die gefälligen Blattformen des Porzellanreliefs kann ich weit hinten auf die Transparentpapierrolle 10 setzen, um die Umrisse dann, gegen den Uhrzeigersinn rollend, übereinander zu zeichnen und dadurch zu zersplittern. Ähnlich wie bei den Scherbengerichten des Väterprojektes. Diese Splitter können dann Textfragmente des IM „Lutz lange“ aufnehmen. Mit meinen Figuren werde ich dann dieses Material, aus der Gegenwart heraus, überrollend überlagern.

Der Zusammenklang der geschwungenen, makellosen Porzellanblütenblätter und der verstaubten Schreibmaschinentypen der Stasi-Tonbandprotokolle, bietet ein Spannung, die ich für in eine Kraft umwandeln möchte, die mich von diesen Geschehnissen der Vergangenheit entlastet. In diese Richtung schreiten schon die Figuren, die ich gestern in zwei Reihen übereinander auf Rolle 10 gezeichnet habe.

Es ließe sich nun noch vieles aus dieser Zeit recherchieren, das aber den Gesamteindruck wahrscheinlich nur weiter bestätigen würde. Zu anderen Erkenntnissen hoffe ich eher durch ein Zusammenspiel der Formen zu kommen, dessen Ergebnisse im Ungewissen liegen. Es geht um die Konstruktion von künftiger Energieumwandlung durch mediale Überlagerungen. Am Morgen überlegte ich, die Tonbandprotokolle aus meiner Stasiakte zu sprechen.

Gewicht der Fakten

Die Direktheit der Verbindungen zwischen dem „IM-Wandrelief“ aus Meißner Porzellan, dem Stahlgerüst des Palastes und dem Stasitext aus meiner Akte, habe ich etwas relativiert. Dafür zeichnete ich zwei Umrisse von Figurenreihen auf Rolle 10 und füllte sie mit dem unvermeidlich harten Material. Nun haben meine Gestalten die Oberhand und verweisen das Geschehene auf seinen Platz im Gefüge meiner Erinnerungen.

Die Figurenreihungen stammen einerseits aus einer Zeichnung zur Leipziger Inszenierung von „Medea Stimmen“, 1997 von Wolfgang Engel. Und die anderen zeichnete ich vorgestern in die erste Buchmalerei. Diese Übernahme des Geschehens funktioniert als Umwandlung der vergangenen Vorgänge in eine Energie, die auf Rolle 10 schleifenartig in den Raum nach vorne wächst.

Franz, den ich gestern besuchte meinte, dass ich diese Zusammenhänge, in Verbindung mit dem Projekt des Humboldt Forums, öffentlich machen sollte. So werde ich das Gewicht dieser Fakten los.

Tonbandmitschrift

Den Text eines Blattes meiner Stasiakte, eine Tonbandmitschrift meines IM „Lutz Lange“, benutzte ich, um die Porzellanblattformen des Wandbildes im Restaurant Wilhelm & Alexander im Humboldt Forum, die ich auf Rolle 10 übertrug, zu füllen. Jetzt geht die Rückbaustruktur dort in den Stasitext über.

Lange hat das Material in Schränken gelegen. Die intensivere Beschäftigungen damit, fördern verschiedene Stimmungen herauf. Einerseits begegnen mir die Gefühle wieder, die mich vor 40 Jahren in der DDR beherrschten, andererseits treten Enttäuschung und Wut, die dem Informanten gelten hervor. Diese Person erhielt nach der Wende beispielsweise eine Ehrenbürgerschaft, und bis heute scheint seine Stasitätigkeit dabei keine Rolle zu spielen.

Bei der Offenlegung dieser Vorgänge und ihrer künstlerischen Verarbeitung muss es aber um allgemeine Verhaltensweisen gehen, die von den spezifischen Handlungen der Täter und der Opfer ausgehen. Mir wurden in dieser Zeit mehrere Aufträge storniert, die schon unterschrieben waren. Ich hatte mich mit meinem „Mentor“ über sie unterhalten, wie über viele fachliche und private Dinge.

Widergänger

Die Buchmalereien begann ich heute mit farbigen Abdrücken eines glatt durchgeschnittenen Lavasteins. Aus ihnen kamen lauter Figuren hervor, eine Versammlung von Widergängern, die an ihre Geschichten erinnern wollen. Möglicherweise sind sie vor 500 Jahren schon einmal gezeichnet worden und drängen sich nun durch die malerischen Strukturen wieder in den Vordergrund. Ihre Waffen und Attribute, mit denen man sie ihren Gruppen zuordnen könnte, ließen sie zurück, um neue Verbindungen eingehen zu können.

Gestern habe ich mich noch einmal systematischer mit meiner noch unvollständigen Stasiakte beschäftigt, las das Anschreiben genauer, das die verschiedenen Quellen entschlüsselt.

Etwas kurios ist die Sprache, mit der die offiziellen Schriftstücke formuliert sind. Die der inoffiziellen Mitarbeiter ist wechselhaft. Sie bemühen sich um den angemessenen Amtston, verfallen dann aber in eine Mischung mit ihrer Privatsprache. Das wird besonders bei den Mitschriften, der auf Tonband gesprochenen, Geschichten deutlich. In diesem Fall macht die geringe Distanz zum Berichtenden den Ton verletzlicher. Wenn im Stasideutsch von „dem Reinecke“ die Rede ist, berührt das weniger.

Treffen

Die großen unregelmäßigen Flecken, die die Jugendlichen gestern in der Kraftfeldform mit Pappmache ausgefüllt haben, nehme ich nun in ihrer Zufälligkeit als die Umrisse, die grundiert in Mayas Werkstatt wandern sollen. Dort werden sie sicherlich starkfarbig bemalt. Dann sind sie als Einzelobjekte als Bühnendekorationen verwendbar.

Vormittags fand im Anna-Freud-Institut eine Zusammenkunft von Künstlern statt, die am YOU&EYE Projekt beteiligt sind. Ich stellte die Erlebnisse des Jungen aus Kabul in den Raum und fragte, wie man damit umgehen kann. Sehr hilfreich waren die Erfahrungen der Fachfrauen und bestätigten mich in meinem Verhalten. Ich bin froh, in dieser heiklen Situation intuitiv richtig reagiert zu haben, indem ich die aufkommende Panik mit Korrekturen seiner deutschen Ausdruckweise unterbrach.

Mit Sina, die ich seit langer Zeit wieder sah, ging ich dann noch einen Kaffee trinken. Wir erzählten uns von unserer aktuellen Arbeit und von unseren Vätern. Es gibt immer spannende Themen, die wir austauschen können. Von da aus ergeben sich für mich stets kleine Veränderungen meines Herangehens an die anstehenden Projekte.

IM „Lutz Lange“

Meine Stasiakte liegt nun auf meinem Zeichentisch. Ich versuche mich mit ihrer Hilfe intensiver daran zu erinnern, welcher Art meine Beziehungen zu den Verhältnissen in der DDR waren. Die Art, wie die „Aufklärung des Reinecke“ unter der Überschrift: „Wer ist Wer“, organisiert und durchgeführt wurde, hat meinen Abstand zu diesem Staatswesen noch einmal deutlich vergrößert. Bei der Beschäftigung mit diesem Material geht es also nicht in erster Linien um die Enttarnung des IM „Lutz Lange“, so seine interne Bezeichnung, sondern um ein tieferes Verständnis meiner Gefühle und Handlungen in dieser Umgebung.

Gestern zeichnete ich ein paar Umrisse des Wandreliefs aus Meißner Porzellan aus dem Palast der Republik, das nun im Humboldt Forum hängt, auf Rolle 10 und begann sie mit den vorausgegangenen Strukturen des Rückbaus zu füllen. Es kostete mich etwas Überwindung, diese mir fremden, weißen, geschwungenen Blütenblätter auf mein Transparentpapier zu übertragen. Aber Ihre Verwandlung wird mich entschädigen.

Aber emotionslos läuft die Erinnerung nicht ab. Immerhin hatte ich zu meinem IM ein gewisses Vertrauen aufgebaut. Er war mir, als junger Künstler, vom Rat des Kreises / Abteilung Kultur als Mentor zur Seite gestellt worden, beriet mich fachlich (er war Professor an der Hochschule für Gestaltung Burg Giebichenstein) und half mir bei organisatorischen Fragen.

Doppeltagebuch

Lesend in meinem Tagebuch von 1979 – 1980, gleiche ich die Texte mit denen der Stasiüberwachung aus dieser Zeit ab. Das sind teils handschriftliche Tonbandmitschriften, Gedächtnisprotokolle und Einschätzungen meiner Person durch die Führungspersonen des IM. Die Identität des Inoffiziellen Mitarbeiters ist aus den Zusammenhängen zweifelsfrei ermittelbar. Es handelt sich um einen Menschen, dem ich sehr vertraut hatte und dessen scherbenartiges Wandbild aus Meissner Porzellan aus dem Palast der Republik in ein Restaurant des Humboldt Forums gewandert ist. Seit langer Zeit kenne ich seinen Namen. Nun habe ich gelesen, dass Professor H. W. 2019 gestorben ist.

Weil ich mich mit dem Humboldt – Forum – Komplex beschäftige, wäre es eine schwer zu begründende Unterlassung, diese Tatsache nicht in die Arbeit mit einfließen zu lassen. Diskretion wäre in diesem Fall unangebracht und kontraproduktiv.

Meine Überlegungen gehen dahin, dass ich einzelne Scherbenumrisse auf Rolle 10 zeichne, um sie mit dem verdichteten Abrissmaterial des Palastes zu füllen. Im nächsten Schritt würde ich dieses mit den durchgezeichneten Berichtstexten meiner Überwachung ersetzen oder sie in die Strukturen einfügen.

Familienbild

Passend zu meiner Romanlektüre „Im Menschen muss alles herrlich sein“ von Sascha Marianna Salzmann, in dem die postsowjetischen Familienkonstellationen und Charaktere von verschiedenen Frauengenerationen beschrieben werden, liegt unter der Glasplatte meines Zeichentischs ein Familienbild. An einem Esstisch in einer Ostberliner Wohnung sitzen meine festlich gekleideten Eltern und mein Bruder und ich in Schlafanzügen. Hinter meinem Ohr, in einem niedrigen Regal, hebt ein Porzellanelefant seinen Rüssel, während ich, sehr nah bei meinem steifen Vater, aus einem Glas trinke. Es ist die Zeit der Passierscheinregelungen für Westberliner, die ihre Verwandten im Osten besuchen wollten.

Auf Rolle 10 beendete ich die Monster-Palast-Sequenz und ließ eine Figurengruppe folgen, die aus dem Umriss der 3. Buchmalerei vom 11. 01. stammt. Die füllte ich mit den Strukturen des Zusammentreffens von Knochenfragmenten und Stahlkonstruktionen. Die entstandenen Figuren fügte ich nun einzeln in die heutigen Collagen ein.

Die Arbeit an den Relieftafeln, auf denen ich das große Abriss-Stahltor des Palastes der Republik hervorheben will, schiebe ich vor mir her. Es bedarf noch einiger Vorbereitungen, damit ich damit beginnen kann.

Auswege

Es ist, als gerieten die Buchmalereien in eine Sackgasse. Ich steige auf eine Leiter, um nach einer Hibiskusblüte zu schauen, die in den nächsten Tagen aufgehen müsste. Diese Perspektivänderung ermöglicht den Blick auf einen der Auswege. Pflanzen machen einen nicht geringen Anteil vom Leben in diesem Atelier aus. An ihrem Wachstum wird sichtbar, dass das Licht täglich um etwas 3 Minuten zunimmt.

Mit dem Jungen, der von seinen Erlebnissen in Kabul berichtete, sprach ich auch über das Berliner Stadtschloss, über den Palast der Republik und das Humboldt Forum. So begann ich, ihm ein wenig über deutsche Geschichte zu erzählen.

Heute möchte ich die Palast-Monster-Sequenz auf Rolle 10 zu Ende zeichnen, um mich dann um die nächste Relieffigur kümmern zu können, die ich mit den Schülern anfertigen möchte. Außerdem sollte ich langsam mit der Malerei beginnen, die bei einem Foto das für das Humboldt Forum gemacht werden soll, eine Rolle spielen wird.

Kabul

Die Schüler erschienen gestern zu unterschiedlichen Zeiten. Dadurch zog sich der Nachmittag mit ihnen etwas in die Länge. Mittags stand ich am Formentisch, um unsere Arbeit mit den kleinen Reliefs vorzubereiten. Wir bemalten eine Gruppe von 60 Exemplaren, indem wir die vertieften Linien mit Tusche ausfüllten.

Als erster, gegen 13 Uhr, kam ein afghanischer Junge, der schon dreimal da war. Unser Gespräch kreiste um seine Herkunft und darum, dass er seit etwa einem Jahr hier in Deutschland ist. Er begann von den Ereignissen beim Einmarsch der Taliban in Kabul zu erzählen. Er beschrieb Bombenanschläge, bei denen seine Mutter einen Splitter ins Gesicht bekam, Bombenanschläge auf seine Schule und auf das Büro seines Vaters. Die Familie mit 4 Kindern hat alles überlebt und flüchtete über den Flughafen der Stadt nach Europa. Im Verlauf des Berichts beschleunigte sich sein Sprachduktus. Bis die anderen Schüler eine Stunde später lärmend erschienen, hielt sein Bericht an. Beim Abschied fragte er, ob er am kommenden Donnerstag wieder früher kommen könne, um mit mir zu sprechen.

Mit einem sehr harten Bleistift erinnerte ich mich am Morgen an meine Zeichnungen von Gesträuchen in den Siebzigerjahren. Daraus entwickelte ich die heutigen Buchmalereien. Mit Schraffuren hebe ich manchmal die durchgedrückten Linien vom Vortag hervor, um ihre Richtungen aufzunehmen und fortzuführen.

Senkrechte Schnitte

Zwischen den Kuben der Stahlgerüstumrisse auf Rolle 10 entstehen Abfolgen von Zeichen, die einer Schrift ähneln. Sie gleichen manchen Felsgravuren aus der Kalahari und erscheinen beim Durchzeichnen der Linien und Flächen unabsichtlich. Wegen des geraden Verlaufs der Stahlträger und dem Abstand den ich zu diesen Linien beim Durchzeichnen halte, ordnen sie sich in schräg aufsteigenden Zeilen. Falls sie irgendwann entzifferbar werden, wird der Blick in eine neu entstandene Dimension sichtbar. Aus ein paar Metern Abstand treten die Verbindungen, die die größeren Formen eingehen, deutlicher hervor. Die Querfortsätze der Wirbelsäule aus YOU MADE ME A MONSTER bilden sich wiederholende Strukturen.

Der Wind in dem Musikstück „For Us“ von Jonathan Nagel streicht mein Gehör und wird auf meinem Papier von geraden Senkrechten durchschnitten. Diese Funktion wird im darauf folgenden Stück „Interlude (Not Much Of A Moon)“ von Sprache übernommen.

In den letzten Tagen dachte ich daran, mit meinen Schülern, die heute kommen, ein ausgefranstes Querformat von der Kraftfeldform abzunehmen. Das sollte dann grundiert und stabilisiert zu Maya in den Malort wandern, wo es von Mark bemalt werden kann. Er tat das schon sehr erfolgreich mit 3 kleineren Exemplaren.

Mehr Material

Scheinbar fallen die Umrisscharaktere aus YOU MADE ME A MONSTER und die des DDR-Palastgerippes ganz auseinander. Sie müssen ineinander gezwungen werden, um sich zu verbinden. Geschieht das oft genug hintereinander, wie bei mehrmaligen Umdrehungen der Transparentpapierrolle mit kontinuierlicher Durchzeichnung der durchscheinenden Linien, wachsen die Knochen mit dem Metall zusammen. Inzwischen fand ich noch mehr Material zur choreografischen Arbeit und zum Rückbau.

Wünschenswert wäre, wenn sich die technisch konstruktiven Gestaltungen mit den Buchmalereien zusammentun würden. Das ist eine Vorausschau auf die nächsten, schon sichtbaren Tage. In der 3. Malerei von heute tritt eine abstrakte Figur auf, die aus einem Handballenabdruck hervorging. Sie würde sich dafür eignen.

Keine Musik an diesem Morgen, aber eine Einladung von Jonathan Nagel zu einem seiner Konzerte in Amsterdam. Dort treffen Bass – Spiel und Tanz zusammen. Es wäre eine Gelegenheit, so etwas wieder zu zeichnen…

Schwebende Architektur

Gestern entstand die Stahlkonstruktion der Nordseite des Palastes der Republik auf Rolle 10, wie sie während des Abrisses sichtbar wurde. Diesmal übernahm ich nicht die Variante, die 2007 entstanden war, sondern suchte das entsprechende Foto heraus, zeichnete es formatfüllend und schloss eine 180° Drehung aller Linien direkt an. Beide Baukörperzeichnungen aneinander, sehen wie eine schwebende Architektur aus, wie ich sie mir für diesen Ort gewünscht hätte.

Die Verbindung mit den vorausgegangenen Strukturen, die aus den Schattenumrissen des Projektes „You Made Me A Monster“ von Bill Forsythe stammen, erscheint nun folgerichtig. Der Leichnam des Gebäudes wird zerpflückt und anders zusammengesetzt. Eine Figuration der fremden Trauer.

Probeweise rollte ich Rolle 10 von hinten her auf, um zu überprüfen, wie sich die Architekturstrukturen überlagern. Dann erschien mir die Bewegung im Uhrzeigersinn aber die richtige. So zeichnen sich die wahllos zusammengesteckten Knochenumrisse der Skelettmodelle deutlicher zwischen den Kuben des Rückbaus ab.

Um 180° gedreht

Im Tagebuchtext vom 22.08. 2007 ging es um die Verbindung zwischen den Abriss-Strukturen des Palastes der Republik und der skythischen Grabbeigabe des Hirschmedallions, das in der Hüfte um 180°, wodurch die Hinterläufe in den Himmel ragen. Somit drehte ich die Architekturfragmente, auf der damaligen Transparentpapierrolle, ebenfalls auf den Kopf. Außerdem gab es Jugendbanden, die mein Gärtchen verwüsteten und sich auf Teves West festsetzen wollten.

Am späten Vormittag befinde ich mich noch einmal in den Musikstücken von Jonathan Nagel, um den Wind und den Wellenschlag am Strand zu spüren. Das röhrenförmige Abspielgerät liegt zwischen meinem Oberkörper und dem Buch, in dem ich schreibe. Es liegt auf Rolle 10, die sich wiederum auf dem Tisch befindet, der von der Kraftfeldgipsform gebildet wird.

Am frühen Morgen dachte ich noch einmal an Malereien, die mit den ausgeformten Kraftfeldreliefs verbunden sind. Dabei spielte zunächst die eingeübte Farbigkeit von weißem Grund, Schellack und Tusche eine Rolle, wich dann aber hinter meinen Augen einer starkfarbigen Ölmalerei.

Rhythmisierte Bildstruktur

Bevor ich vorgestern Besuch bekam, las ich in dem Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“ von Sascha Marianne Salzmann. Die vier Frauengenerationen, die da einander begegnen, haben viele der Erfahrungen gemacht, die auch mich bis zu meinem 30. Lebensjahr prägten. Dieser Text über das geschehene Ostleben nimmt mich zunehmend gefangen. Auch die Sprache besitzt einen seltsamen Sog.

Ich schrieb ein Toitoitoi an Jonathan Nagel, der in der kommenden Zeit eine Serie von Auftritten in Berlin und Amsterdam hat. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an meine Performances mit dem Tanzensemble in Heidelberg. Fotografien davon habe ich kürzlich ausgegraben. All das fließt ein in die Bildbewegungen, die sich aufstauen.

In den heutigen Malereien verbinden sich verschiedene Strukturen zu Verdichtungen von Geschichten aus Atmosphären, Energien und Figuren. In die Zwischenräume der Szenen springt Jazz aus den 50er Jahren. Die Songstruktur rhythmisiert die Bildelemente.

For Us

Ich höre das Stück „For Us“ von Jonathan Nagel. Gestern dachte ich dabei sofort an Claude Debussy, an das hörbare Meer. In den folgenden Stücken spielt es, wenn auch in der Ferne, eine gewisse Rolle. Die Tanzvideoschleifen, die dazu laufen, lenken mich etwas ab, aber bei den Bassklängen kann ich mich ganz gut konzentrieren. Neben allem Atmosphärischen, haben sie auch eine meditative Qualität.

Etwas spät im Atelier, widmete ich mich lange und mit mehr Aufmerksamkeit den Buchmalereien. Figuren, die aus den Umrisslinien hervortreten oder in den Farbflecken versteckt sind, hebe ich manchmal etwas hervor. Sie setzen dem abstrakten Kontext Widerstand entgegen. Außerdem erscheinen sie als Ankerpunkte und Impulse für Szenen, die erzählt werden können.

Interessant für mich ist, welchen Bilderfahrungen die Figurationen entspringen. Das sind Mischungen aus Rokokokostümfilmen, Tanzfiguren der Bühne, Kentauren halb Mensch halb Stahlkonstruktion, Spielkarten, Mikrobiologie und James Webb Teleskop. Die Übergänge fließen.

Echos

Während der Arbeit an den Buchmalereien, dachte ich heute an die Seenlandschaften bei Bischoffen. Ein abwechslungsreiches Gelände voller kahler Sträucher, wie gezeichnete Strukturen, die in den Raum wachsen. Die geflochtene Weide biegt sich nun blattlos vor dem Atelier über den Beton. Das Echo der Prügelstrafen des Vaters in ihnen, mit dem „Ausklopper“, ist nur für mich spürbar.

Wieder kommen die flach scheinenden Sonnenstrahlen durch die südöstliche Glasfront des Ateliers. Es ist spät am Vormittag. Deshalb sind die Projektionen der Pflanzen von den Reliefs an der Wand in die Regale gewandert, wo sie sich verlieren. Auf den Tischen vermischen sie sich mit den Transparentpapierrollen. Ich stelle fest, dass ich schon 2007 Spiegelungen der Motive hergestellt habe. Weil sie etwas unregelmäßig zusammen geschoben und überlagert sind, geht die eindeutige Symmetrie verloren.

Jonathan Nagel bringt mit seinen Basskompositionen etwas Abwechslung in meinen akustischen Strom. Zunächst erscheinen sie ganz ruhig, entwickeln aber durch Schichtungen von gestrichenem Material eine beunruhigende Wucht. Bildlich sind sie mit einer sich wiederholenden diagonalen Drehung einer Tänzerin unterlegt. Mir gefällt das!

Aus dem Kokon

Auf einer Transparentpapierrolle aus dem Jahr 2007 stieß ich auf eine Zeichnung aus dem Jahr 1997, die ich dahin überführt hatte. Sie trägt den Titel „Aus dem Kokon“. Sequenzen davor und danach beschäftigen sich mit Strukturen des Palastes in Verbindung mit Fragmenten des Pergamonfrieses. Die inhaltliche Verdichtung überdauerte die Jahrzehnte und erreicht mich heute noch leicht. Mit solcherlei Rückgriffen kann ich einer aufkommenden Skepsis, hinsichtlich der Weiterarbeit, begegnen.

In den Buchmalereien der vergangenen Zeit suchte ich nach passenden Umrissen für die Fortführung der Transparentpapierarbeit. Der Verdacht kommt auf, dass ich heute solche Umrisse produziert habe, weil ich sie gestern vermisste. Dennoch war es kein Vorsatz.

Erst in der Dunkelheit begann ich heute mit den Tagebucharbeiten. Vormittags war ich mit lästiger Büroarbeit beschäftigt, die zu nichts führte.

Knallerbsen und Pferdekarussell

Unter der Lampe auf dem Zeichentisch im Atelier bin ich auf der Suche nach Atmosphären. Durch Wasser wandern Strukturen auf dem Papier in den Hintergrund. Mit seinem nebligen Aggregatzustand weicht es die Klarheit auf. Stur setzen sich Linien um Linien immer wieder davor und mit der Zeit entsteht Raum.

Die Sonne streicht durch meinen Winterdschungel und wirft seinen Schattenriss an die Wände, wo er sich mit den Reliefs mischt. Während ich schreibe geschieht das in meinen Augenwinkeln, in denen die Bilder vom Hirn vervollständigt werden. Der Blick verengt sich mit Müdigkeit, gewinnt aber an Tiefe.

Während eines kurzen Neujahrsspaziergangs, bin ich auf einer Kreuzung auf Knallerbsen getreten. Daneben war ein Laufkarussell für Pferde, in dem sie im Uhrzeigersinn und dagegen, in gleichmäßigem Tempo traben. Diese zwei Zeichen am Anfang des Jahres, sind nun in den kommenden Monaten in ihrer Vieldeutigkeit zu entschlüsseln.

Rachel Cusk I Vorausschau

Jetzt, wo sich der Jahreskreis fast schließt, beginne ich, in ein neues Buch zu schreiben. Vorher füllte ich die Schale, die neben der Wiese im Dornengesträuch hängt mit Sonnenblumenkernen für die Vögel. Und zwischen dem Malen und Schreiben wässerte ich die Pflanzen, die ich ohne Leitern erreichen kann.

Gestern Nachmittag las ich Essays von Rachel Cusk. Eine Entdeckung großer Tiefenschärfe, die ich B. verdanke. Geradezu beglückt las ich ihre Alltagsbeobachtungen und sagte öfter laut JA! dazu.

Ähnlich euphorisiert kratze, kritzle und wische ich an meinen Buchmalereien herum. Währenddessen denke ich manchmal schon an ihre Eignung für die Collagen, die sich an die Scans anschließen werden. Umrandungen von zarten, durchscheinenden Farbfeldern, machen die Formen, die ich freistelle oder ausschneide, klarer. Fortschritte, wenn überhaupt, geschehen sehr langsam. Und dann ist auch nicht klar, nach welchen Kriterien sie zu bewerten sind. Eines aber ist hinzugekommen: Welche Vorausschau macht das Bild möglich?

Totes Reh

Bei Bad Hersfeld verläuft die Autobahn auf dem Horizont eines Berges nach rechts. Die Fahrzeuge, die aus der Gegenrichtung kommen, sehen aus, als würden sie die Straße überqueren. Ich dachte gleich an Tiere, die in einem Waldgebiet in den Verkehrsfluss geraten, der es durchschneidet. Ich stellte mir ein großes von ihnen vor, das mir vor die Räder läuft. Etwa eine Minute später sah ich neben der rechten Betonbegrenzung ein totes Reh liegen.

Mein Hirn ordnet diese Geschichte in meine Arbeitsvorhaben auf Rolle 10 ein. Wenn verschiedene Faktoren, die in einem Moment zusammenwirken, eine Situationsprognose möglich machen, die sich bis zu einem gewissen Grad als richtig erweist, so sollte es möglich sein, ähnliche Situationen der Vorausahnung künstlich zu schaffen.

Die Arbeit an der Durchdringung von zeichnerischen Strukturen aus der Vergangenheit und der Gegenwart, deren Spiegelung und Projektion auf eine Zukunftsfläche, bleibt zunächst bis zu einem gewissen Grad theoretisch und abstrakt. Es sollten dabei Modelle entstehen, deren Interpretationen in die Zukunft weisen. Im Vordergrund steht dabei das Spiel und nicht der Nutzen.

Fingerabdrücke

In den vergangenen 9 Tagen hatte ich bei den Buchmalereien das Haar weggelassen. Heute ist es wieder da und zeigt die Vielfalt seiner Möglichkeiten. Ein paar sich kreuzende Schwünge auf der linken Seite von 1, übertrug ich mit dem rechten Zeigefinger auf die linke Seite von 3. Zwei Abdrücke ziehen das Motiv durch etwas Abstand auseinander und fragmentieren es durch die Hautstruktur. Fingerabdrücke spielen eine zunehmende Rolle. Sie bilden die Köpfe vager Figuren oder weichen harte Strukturen auf.

Über den letzten Arbeitstagen des Jahres liegt eine spannungsvolle Ruhe, deren Augenmerk auf dem Beginn der neuen Arbeit auf Rolle 10 im neuen Jahr ruht. Ich muss mich zurückhalten, um damit nicht gleich anzufangen, denn ich benötige eine längere zusammenhängende Arbeitsphase dafür.

In der Computernische des Ateliers liegen die Fotos, die mir Ingrid Voss vom Abriss des Palastes der Republik mitbrachte. Das freundliche Geschenk von ihr nutze ich nun, um weitere Strukturen für die Transparentpapierarbeit zu finden. Schade, dass sie das nicht mehr erleben kann.

Vorausgreifend

Wind trieb Regen gegen meinen Gang ins Atelier. Und dort spielt das Treiben der Nässe mit den Buchmalereien. Die trockene Wärme über ihnen am Arbeitstisch, spendet mir eine alte Glühbirne.

Die Bewegung zu Fuß, im Schlaf, mit dem Auto, dem ICE, den U-Bahnen, treiben die Geschwindigkeit in den Blutbahnen an, die Kreisbewegung der Drehbühne beschleunigt sich. 198 Dreiergruppen von Collagen habe ich in diesem Jahr bisher gemacht. Auf dem Kalender sehe ich, wie viel Arbeitstage mir bis Neujahr noch bleiben.

Der Impuls, in die weitere Zukunft zu arbeiten folgt einem Wunsch nach Lebensverlängerung oder Unsterblichkeit. Ich schlage der ablaufenden Zeit ein Schnippchen und fülle den Kalender vorausgreifend mit strukturiertem Material. Die Umsetzung dieser Idee gibt es bislang nur in Ansätzen auf den Transparentpapierrollen. Im kommenden Jahr werde ich ernstlich beginnen, daran zu arbeiten.

Im Brunnen

Wie in einen Brunnen falle ich in die Buchmalereien. Er ist mit farbigen Strukturen gefüllt, aus denen ich in den runden weißen Himmelsausschnitt auffliegen kann. Alles ist mit Klängen gefüllt, die auf den Zeitstrahl vorauseilen. Manchmal schalte ich ein altes Radio, das kaum noch einen Sender empfängt ein, nur um in das räumliche Rauschen des analogen Äthers hineinhören zu können.

Heute lösten sich die Figuren von gestern auf. Wo sie sich zu deutlich manifestierten, ging ich mit dem rechten feuchten Zeigefinger tupfend darüber. So verziehen sie sich dann.

In der Schirn Kunsthalle sahen wir gestern die Fotoausstellung der indischen Künstlerin Gauri Gill. Sie ist eine weitere Fotografin, die mit Langzeitprojekten eine andere Intensität entwickelte, als man sie normalerweise in diesem Genre antrifft. In der langen Zeit baut sich ein Vertrauen zu ihren mitarbeitenden Modellen auf, das offene Gesichter und Haltungen zur Folge hat. Am Abend sahen wir uns eigene Indienfotos von 2010 an. Eine gewisse kompositorische Sicherheit, während der Betätigung des Auslösers, machte das zu einem Vergnügen.

Drehbühne

In Berlin sahen wir im Deutschen Theater eine Inszenierung des „Sturm“ von Shakespeare in einer neuen Übersetzung. Sie folgte der Satz- und Wortzusammensetzungsstruktur des Originals, wodurch ein neues Gefühl für das Stück entstehen konnte. Gegen dieses formale Vorgehen brachten die Schauspieler, unter Jan Bosse mit Wolfram Koch in der Hauptrolle, das Stück direkt und distanzlos auf die Drehbühne. Ein großartiger Abend.

Eine Abendfahrt mit einem ICE nach Frankfurt mit einer halben Stunde Verspätung, wegen eines Signalschadens auf der Strecke voraus.

Vor meinen Augen entstehen Transparentpapierzeichnungen auf Rolle 10, in deren kreisendem Wachstum ihr weiterer Verlauf vorausgesagt werden kann. Die Figuren wandern durch Farbabfolgen, schrumpfen und verdichten sich nützlich, gemein, unnötig, schön, edel, gut, nützlich… Sie nehmen überhand, drängen durch die Szenen auf der überbevölkerten Drehbühne, die auf Beschleunigung programmiert ist. Wer sich nicht gegen die Fliehkräfte halten kann, bleibt am Rande liegen, zwischen Kostümen, Requisiten und Ausstattungsteilen.

Linke Hand

Eine Handoperation am Vormittag. Eine Sehnenverkürzung des linken kleinen Fingers wurde beseitigt. Dafür aber wurde ich nackt in einen OP-Kittel gesteckt und auf einen Tisch gelegt. Dann eine örtliche Betäubung, zwei Schnitte, die Hand wurde gestreckt und verbunden.

Bevor dann die Schüler kamen, aß ich im Startorante Fisch. Sie entfernten alle kleinen Reliefs aus der Form und grundierten sie einmal von beiden Seiten. Weil sie dann gelärmt und sich gestritten haben, schickte ich sie nach Hause. In die linke Hand kam dann langsam wieder ein Gefühl.

Es ist schwierig auf eine Leiter zu steigen oder andere alltägliche Dinge zu tun, wenn die linke Hand nicht richtig benutzt werden kann. Heute hätte ich auf Rolle 10 ausprobieren wollen, was ich mir gestern überlegt hatte. Aber ich schaffe es an diesem Arbeitstag nicht mehr…

Spekulation

Die Fortführung der Malerei auf den Relieffragmenten bekommt ein Eigenleben. Die Bezüge zu den Buchmalereien fallen weg. Was entsteht, befindet sich außerhalb dessen, was ich ansonsten mache. Vorsichtig taste ich mich an die Farbigkeit heran, unterbrochen von Schellacklasuren und Weißhöhungen. Gegen den Honigton des Lacks, setze ich mattes Blaugrün. Die Effekte der Trocknungsränder an den Haarschwüngen entlang, lasse ich weg.

Die Rückkopplungsideen sind auf Rolle 10 weiter zu entwickeln. Paradoxerweise glaube ich, dass ich durch das Durchzeichnen beim Rückwärtsrollen des Transparentpapiers, Schichtungen zeichnen kann, die eine Spiegelung in die Zukunft möglich erscheinen lassen.

Die Überlagerungen der Erinnerungen mit den seither gemachten Erfahrungen können, symmetrisch umgedreht, den Blick nach vorne entschleiern. Das lässt sich auch mit den Collagen machen. Es ist eine Möglichkeit von 1974 in das Jahr 2070 spekulativ vorzudringen.

Brennpunkt

Kleine Relieffragmente stabilisierte ich gestern mit Schichten weißer Grundierungen. Die unregelmäßig geformten Formate wurden mit Schellack und Tusche bearbeitet, dass in den Vertiefungen eine dominante, dunkle Struktur entstand. Ich dachte mir dann mehrere Objekte in Reihen, mindestens zu dritt und würde ihnen zuguterletzt einen verbindenden Farbaspekt zuordnen. Ich fühlte mich am Morgen gleich verbunden mit ihnen und fügte ein paar Weißhöhungen hinzu.

Im Zusammenhang mit dem Erinnerungsprojekt des Humboldt Forums, sehe ich die Zeitspiegelungen, über die ich in den letzten Tagen nachgedacht habe. Wenn ich die verflochtenen Strukturen der Berlinlandschaft von 1974 und die der Rückbauarchitekturen in einer Transparentpapierzeichnung von 2022 in das Jahr 2070 projiziere, und sie dort von einem Spiegel zurückgeworfen wird, stellt sich ein Rückkopplungseffekt ein.

Stelle ich mir die Gegenwart als Brennpunkt dieses Vorgangs vor, wird die entstehende Energie die Zeichnung in einen anderen Aggregatzustand versetzen. Wie dieser aussieht, was er mit den Strukturen macht, lässt sich nur im fortlaufenden Experiment ergründen.

Tägliche Mittel

Am Morgen während der Buchmalereien befinde ich mich unversehens in besinnungsloser Verstrickung. Schritt für Schritt geht es mit den täglichen Mitteln der Motorik, den Zeichentisch im Blick, dem Ende des Unterfangens entgegen. Nach der Trocknung fällt manchmal noch eine Farbbemerkung.

In den Jahren zuvor habe ich mehr Werktage für die Herstellung von Collagen aufgewandt. Das kann ich leicht anhand ihrer Anzahl feststellen. Wenn ich mich anstrenge, komme ich in diesem Jahr auf 600 Collagen. Etwa 60 weniger als vorher. Was mich zu diesem seltsamen Ehrgeiz treibt, kann ich mir nur aus meiner Arbeitserziehung heraus erklären.

Während der Lektüre über Buddhismus geht mir auf, dass man ihm mit Worten nicht beikommen kann. Es gehört vielmehr performatorische Phantasie, Improvisationsgeist und intuitives Vorgehen dazu. Nahe scheine ich dem, ein wenig in meiner Arbeit zu kommen.

Kreisbewegung

Mit der Zeichnung von 1974 arbeitend, überspringe ich den Zeitraum von 48 Jahren. Wenn ich mit dem gegenwärtigen Ergebnis genauso viel Zeit in die Zukunft überspringe, lande ich mit dieser Projektion im Jahr 2070. Mein Ahornbaum, den ich in den Sommern wässere und mich manchmal mit dem Rücken an ihn lehne, wird dann etwa 160 Jahre alt sein.

Aber was bedeuten die Zeitsymmetrien für meine Gegenwart? Wie wird sich die Projektionsentfernung von 48 Jahren auf die Zeichnung auswirken? Von der Beantwortung dieser Fragen ziehe ich mich zunächst auf den Text HERAKLES 2 ODER DIE HYDRA von Heiner Müller, der eigenen Blutspur folgend, zurück. Über diesen Umweg beschreibe ich eine kreisförmige Bahn, an deren Start- und Zielpunkt die Jahre 1974 und 2070 zusammenfallen. Indem ich den Kreis schließe, vollendet sich die Zeichnung.

Die Bäume, die ich aus südlichen Regionen in unsere unwirtlichen Gefilde transportiert habe, und die noch draußen stehen, die Feige und den Olivenbaum, umgab ich mit Schilfmatten. In die so entstandenen Zylinder füllte ich reichlich Laub, von dem es viel auf dem Boden meines Gärtchens gibt. Das soll sie schützen in der kalten Fremde.

Lagrangepunkt

Die Flächen und Linien bedingen einander. Ihre Verteilung folgt den Gravitationskräften. Die Bewegungen der Hand kommen aus den rückgekoppelten Körperreaktionen. Die Wahrnehmung ist zwischen den Gegenpolen gefangen und sucht den Lagrangepunkt, wo sie zur Ruhe kommt und die Vorgänge im Bildraum beobachtbar werden.

Auf Rolle 10 übernahm ich weitere Umrisse vom 21.12. 2005. Würde ich noch einmal 17 Jahre überspringen, um in der Mitte des Zeitraums zu sein, gelangte ich in den Dezember 2039. Das ist die Zeitkugel um mich herum. Die Zeichnung ist der Blitz, der in alle Richtungen projiziert.

Ziele ich auf Räume jenseits meines Todes, wird mein Aktionsradius mit dem Abstand zur Vergangenheit, größer. Somit ist die Arbeit mit der Landschaftsskizze von 1974 der Versuch, einen weiteren Zeitraum zu erschließen, in dessen Mitte ich mich befinde.

Aus Gammablitzen

Mit den Schülern formte ich gestern etwa 80 unregelmäßige Vierecke von der ungefähren Größe von 10 X 10 cm von der Kraftfeldform ab. Die können am kommenden Donnerstag grundiert und bemalt werden. Mark brachte 3 unregelmäßig geformte Reliefteile, die er zu Mayas Kurs mitgenommen hatte, wieder mit. Er hatte sie dort wild und starkfarbig bemalt. Das gefällt mir!

Außer den Buchmalereien und Collagen am Vormittag, habe ich nichts Neues mehr zustande bekommen. Ich besserte die Fehlstellen der Reliefs der Schüler aus und arbeitete sie noch ein wenig nach.

Heute löste sich eine Frauenfigur in der ersten Malerei auf, die ich aus der 3. per Handballenabdruck übertragen hatte. In 1 spielt sie eine, im Tanz wirbelnde, Apsara. In 3 aber steht sie mit klassisch gebieterischer Geste inmitten der Schlacht der Elemente. Auch 2 ist durchwirbelt, aber streng. Figuren verdichten sich aus Farbnebeln von Haarschwüngen durchkreuzt. Alles kommt aus der Gravitation ferner Gammablitze.

Partitur

Auf Rolle 10 zeichnete ich das erste Motiv der Schattenrisse aus YOU MADE ME A MONSTER fertig. Teilweise um 180° gekippt, wiederholen sich die Motive aus verschiedenen Schichten in unterschiedlichen Abständen. Das hat etwas von einer mehrstimmigen Partitur und ist nur nach und nach erfassbar. Vielleicht sollte ich Auszüge für verschiedene Instrumente herauszeichnen, damit es gespielt werden kann.

Von 2005 gibt es weitere Schattenumrisszeichnungen aus diesem Projekt. Mit denen weiterarbeitend, möchte ich eine erneute Verbindung zu choreografischer Arbeit finden. Es geht um die Übertragung von Tanz in die Gegenwart und um die Produktivität dieses Vorgangs.

Die Buchmalereien sind wieder ruppiger geworden und nicht so fröhlichfarbig, wie gestern. Oder sollte ich sagen: nicht so bunt? Die vagen Figuren, die auftauchen, sind nur Gegengewichte zum abstrakten Gewusel aus Haaren, Stahlkonstruktionen und Magnetfeldern.

Disketten

Nachdem ich das Relief gestern beiseite gelegt hatte, legte ich auf die frei gewordene Fläche eine Glasplatte und darauf Rolle 10. Die Verschneidung der Erinnerungsstrukturen vom Palast der Republik mit der Zeichnung zu YOU MADE ME A MONSTER, führen zum Thema der Choreografischen Objekte. Auch Oliver Tüchsen meint, dass wir damit im Rahmen von YOU&EYE an diesem Thema arbeiten könnten.

Mit einem externen Diskettenlaufwerk bin ich dabei, alte Animationen auf die Festplatte meiner Rechner zu überspielen. Dabei fällt mir Material vor die Augen, an das ich mich lange nicht erinnert hatte. Da gibt es Videocollagen zu DER RISS IST DIE PASSAGE oder VERKOMMENES UFER MEDEAMATERIAL LANDSCHAFT MIT ARGONAUTEN, oder Aufnahmen von Philip Glass in meiner Projektion in einer Installation in Heidelberger Kunstverein. Wir arbeiteten damals gemeinsam mit Doris Lessing an einer Oper.

Das Vorrücken der Baustelle auf unser Gelände hatte zur Folge, dass das Drahtseil, an dem meine geflochtenen Weidenobjekte hingen, gekappt worden ist. Ärgerliche Sache, um die ich mich nun kümmern muss!

Choreografische Objekte

Beim Durchsehen aller digitalen Collagen dieses Jahres, die im Arbeitstagebuch auftauchen, stellte ich fest, dass meine emotionale Beteiligung mit dem Herannahen der gegenwärtigen Arbeit zunimmt. Am meisten berühren mich die Überlagerungen von Tuschelinien aus Rolle 10 und Buchmalereien. Aber auch die Buchmalereien alleine führen bei mir zu Rückkopplungsschleifen.

Ich denke über choreografische Objekte nach, die der tänzerischen Bewegung Richtungen verleihen. Die Relieffragmente, wie sie heute in den Collagen erschienen, können dabei auf dem Tanzboden liegen, gelesen und in Bewegung übersetzt werden.

Die Jugendlichen die bei Hannah, der Choreografin und bei mir arbeiten, bilden die Verbindung zwischen uns. Sie werden Reliefobjekte herstellen, die beim Tanz eine Rolle spielen können. Was aus dem Ballettsaal zurückkommt und hier im Atelier weiter verarbeitet werden kann, Videos zum Beispiel, wird man sehen.

Pflanzen

Ein Pflanzenmorgen. Ich ging an einem Blumenstand vorbei, dessen Blattformen in die Buchmalereien fanden. In dem 3. Format bilden sie einen Jugendstilpavillon, unter dessen fragilen Bögen ich mich geborgen fühlen würde. Bei meinem Gang über die Frankenallee, schaue ich auf das entkleidete Astwerk der alten Bäume und auf die Adern der Blätter am Boden, die die Baumkronen nachahmen. Dann warte ich auf eine Reaktion meines Gemüts in der grauen, feuchten Kälte.

Bei Hannah löst die Rückkopplungsidee eine neue Runde aus. Ich erinnere mich an Pete Townshend, der mit seiner Gitarre die Nähe des Verstärkers suchte, um die Anlage auf der Bühne aufheulen zu lassen. Wenn das Tempo der Schwingungen nachlässt, bleibt nur ein Schnarren oder ein rotierendes Windgeräusch übrig.

Die Baustelle rückte heute früh mit einer tobend rüttelnden Verdichtungsmaschine und einer Betonsäge auf unser Gelände vor. Hinter der Absperrung rasseln die Panzerketten der Bagger. Das alles ist die falsche Musik am Morgen, passt nicht zu den Pflanzen.

Rückkopplungen

Wenn ich die Schwünge der Haarlocken mit denen der Zeichnungen der Farbstifte oder Schreibfedern gegenüberstelle, ist das keine Konkurrenzveranstaltung. Die gezeichneten Linien lassen, wie die Locken verschiedene Rückschlüsse auf den körperlich-neurologischen Zustand zu.

Wie die Choreografin Hannah, gehe ich von meinem Körper, in meinem Fall der Feinmotorik aus und entwickle daraus im Zusammenspiel mit den Haarschwüngen meine Szenen. Dabei stelle ich mir Rückkopplungen vor. Die gezeichneten Strukturen wirken auf meine Psyche und die findet wiederum ihre grafische Ausprägung auf dem Papier. Somit ist Runde für Runde ein neuer Level erreicht.

Gehe ich mit dem GPS-Aufzeichnungsgerät los, um die Bögen zu vergrößern, verlasse auch ich die Feinmotorik. Auch meine Handballenlinien in den Farbabdrücken innerhalb der Buchmalereien sind für diese Körperarbeit hinzuziehbar. Wenn ich Hannah von meinem Zugang zu YOU MADE ME A MONSTER erzähle, kann sich ein gemeinsamer Arbeitsansatz entwickeln.

Widerspenstiges Material

Das Malereimaterial war heute widerspenstig. Besonders störrisch verhielt sich die lärmende Tinte. Selbst mit dem Einsatz von Kobaltblau konnte ich sie nicht ganz zum Schweigen bringen. Sicher haben mich die süßlichen Lieder der Supremes abgelenkt. Sie aber konnte ich mit Debussy ganz abschalten. Aber auch der störte mich. Dann blieb nur die Stille, über die die Flugzeuge hinweg starteten.

Ein Feigenkaktus, der noch draußen stand, zerbrach mir während des Transportes in das Atelier. Weil ich aber Schwierigkeiten habe, Pflanzen wegzuwerfen, bekommt das abgebrochene Stück seine Chance an Rolltorfester. Vielleicht wird es ein neues Exemplar.

Collage Nummer 550 aus 2022

Hannah hat mir gestern ihre Hypnosestimme gezeigt. Damit bringt sie die aufgeregten, übermotivierten Jungs ihres Tanzkurses zur Ruhe. Einer von ihnen ist auch bei mir. Er trägt ein Kettchen mit einem Anhänger, der den Länderumriss von Eritrea zeigt.

YOU&EYE

Am Ende des Treffens der Künstlerinnen und Künstler, die im YOU&EYE Projekt vereint sind, hatte ich noch viele Fragen und Gesprächsbedarf. Wir gingen dann noch in ein Café, und tauschten uns weiter aus. Mich interessiert Hannas choreografischer Ansatz, Inhalte aus dem Körper heraus zu gestalten. Und ich finde, dass sie diesen Gedankengang den Schülern zumuten kann, die sich bei ihr bewegen wollen.

Und mit Oliver stellte ich per Zuruf in den Raum, für das Tanzprojekt ein Bühnenbild mit Objekten zu gestalten. Die Masken, die er mit seinen Schülern aus Alltagsmaterial baut, würden sich bestimmt dafür eignen. Man könnte auch die Reliefs, die wir herstellen in den Raum hängen.

Mit den Schülern grundierte ich gestern unser erstes Reliefexemplar. Dafür gab ich ihnen kleinere Borstenpinsel, damit sie kleinteiliger und gründlicher arbeiteten. Aber ich habe da noch eine Menge nachzubessern. Sie sind alle stolz auf ihre Herkunft und tragen entsprechende Insignien als Schmuck an ihrem Körper. Diese Dinge interessieren mich im Zusammenhang mit den zu entdeckenden Figuren im Liniengeflecht.

Nach 40 Tagen

Nach 40 Tagen ging die Arbeit an Rolle 10 gestern weiter. Ich übertrug und füllte den Umriss aus „YOU MADE ME A MONSTER“. Das Wesentliche tritt erst zum Vorschein, wenn der Streifen ein paar Meter aufgerollt ist und die Veränderung der Motive, nach jeder Umdrehung und Durchzeichnung, sichtbar wird.

Mit der kreisenden Gravur einer Holzhaarnadel, begannen die Buchmalereien heute in dem 3. Format. Mit ebenfalls kreisenden Farblinien hob ich sie hervor. Die Farben mischen sich auf eine spezielle Weise, weil die Arbeitsgänge abwechselnd wiederholt werden. Das greift auf Vorgänge bei der Lasurmalerei zurück.

Das Relief, das die Schüler begonnen haben auszuformen, ist nun vollständig getrocknet. Heute kommen sie wieder zu mir ins Atelier und können anfangen, es zu grundieren. Danach möchte ich mit ihnen wieder kleinere, fragmentierte Formate herstellen.

YOU MADE ME A MONSTER

Gestern verließ ich das Produktionsband der Reliefabformungen und widmete mich den alten Transparentpapierrollen. Beim 9.12. 2005 blieb ich stehen. Ein größerer Umriss einer abstrakten Figur wiederholte sich zweimal, davon einmal kopfstehend. Es handelt sich um einen Schattenriss aus einem Trauerstück von Bill Forsythe für seine verstorbene Frau. Unter dem Titel „You Made Me a Monster“ wurde damals eine Installation aus Pappmodellen menschlicher Knochen in das Bockenheimer Depot gebaut. Schatten der ineinander verschränkten Skelettfragmente wurden auf Tische geworfen, auf denen Papierbögen und Bleistifte lagen.

Das Publikum war aufgerufen Zeichnungen der Schatten anzufertigen, die von dem Tanzensemble als Partitur für kleine Improvisationen genutzt wurden. Mich begeisterte das damals und ich übertrug etwas von dem Material, das ich selbst gezeichnet hatte, auf meine damalige Transparentpapierrolle.

Nun werde ich diese Umrisse auf Rolle 10 übertragen, um sie dort mit der Gustavsburgplatz-Wanderung zu überlagern. Dann könnte ich versuchen, das Material wieder, mit einem GPS-Gang auf den Platz zu bringen. So existiert die Erinnerung an die Trauer in Bewegung weiter.

Zwischen den Räumen

Während des Malens verläuft das Denken in anderen Bahnen. Es nähert sich dem Träumen. Die Bewegungen übernehmen den Rhythmus des Unterbewussten. Die entstehende Unruhe kann nur vom Weitermachen besänftigt werden. Selten stehe ich zwischendrin auf, bleibe lieber bei den Gebilden, die zwischen den verschiedenen Räumen wandeln.

Es ging malerisch – weich zu, an diesem Morgen, dass ich mit geraden Linien eingreifen musste. Die dunkle Tinte sprengt den Farbrahmen. Sie sitzt unversöhnlich im Gefüge, lässt sich schwer zurückdrängen. Nach dem Schlusspunkt decke ich sie mit Ocker und Rosa etwas ab. Andere Dinge, die mir ins Auge fallen, korrigiere ich nicht mehr, weil es dann schnell zu konkret wird.

Das Reliefexemplar dieser Woche habe ich gestern fertig ausgeformt. Es benötigt noch 2 Tage, um vollständig zu trocknen. Die Bemalung, die nach dem Grundieren folgt, ist noch fern. Aus der Gestaltung der Fragmente im abgelaufenen Jahr, lernte ich in der lückenhaften Betonung der vertieften Linien, die dem Zeichnungsgeflecht entsprechen, neue Figuren zu finden. Gerne würde ich diesen Prozess gemeinsam mit den Schülern fortsetzen.

Sehen und reagieren

Die heutigen Buchmalereien sind reduziert, durchlässiger, weisen mehr offenen Raum auf und haben nur vage ausgearbeitete Stellen. Zu heftige Strukturen werden manchmal mit dem feuchten Handballen oder der Zeigefingerkuppe aufgelöst. Wieder legte ich die Haare mit klarem Wasser auf das Papier, tupfte dann noch Feuchtigkeit weg und ging dann erst mit Farben in die Kreuzungspunkte. Das erzeugt klare Linien.

Ich kümmerte mich zwar nicht um Figuren, aber dennoch traten sie von selber auf. Mein Hirnspeicher wird nach Vergleichbarem durchsucht. Die Haarschwünge dagegen scheinen neutral zu wirken, reizen meine Erinnerung nicht. Vielleicht rührt das Desinteresse von ihrer Perfektion her. Die gezeichneten Spiralen rufen nach einer Kerngeraden oder einer Umfassungslinie, die dann interpretationswürdige Gebilde schaffen. Auch die Handballenabdrücke haben solche Reaktionen zur Folge.

Das Relief ist fast trocken. Die Form aber ist noch nicht vollständig ausgefüllt. Das muss heute geschehen, damit meine Schüler am Donnerstag mit der Grundierung beginnen können.

Mit meinen Attributen

Aus der Winkelkonstruktion in 1 schwebt ein Fisch. Er fängt seine Beute mit einem Gravitationsfeld vor seinem weit aufgerissenen Maul. Er ist mein Geschöpf, besetzt mit meinen Attributen – mit Haut und Haar.

In 3 setzen sich die Formen aus Atmosphären zusammen. Figuren gruppieren sich vor Landkarten und klügeln räuberische Strategien aus. Dabei hilft ihnen die Erkenntnis, dass alles Sichtbare und Spürbare nur unserem Geist entspringt. Leuchtete diese nur in engen Kreisen, so tritt sie nun kraftvoll heraus und setzt soldatischen Mut frei. Sie töten sich in ihrer Nichtexistenz leicht. Das geschähe im Raum hinter der 3. Malerei, wenn ich ihn nicht in ein Klavierstück umwidmen würde. Debussy durchquert den Hintergrund. So leicht geht das!

Gestern arbeitete ich an der Reliefausformung. Eigentlich müsste ich einen Text fertig schreiben, oder an Rolle 10 weiter arbeiten. Das Füllen der Form ist zwar eintönig aber erholsam! Ich sehe, wie leicht es vorwärts geht.

HAND RAUM KITSCH

Mit dem rechten Zeigefinger setze ich Fingerabdrücke auf die senkrecht ovalen Farbfelder. Gleich entstehen durch diese frisierten Köpfe Figuren. Sie erinnern an Körper, die mir täglich begegnen. Das kleine Format besitzt eine feinmotorische Körperlichkeit. Die Hand, die ein Arsenal von Erinnerungsstrukturen bereithält, formt mit dem Ballen, den Fingergliedern und der Haut skulpturale Wesen. Kommt das Haar hinzu, steigert sich diese private Körperlichkeit und bildet den Gegenpart zu den linearen Konstruktionen.

Der Raum hinter diesen Bildern schichtet sich innerhalb der Collagen bildhaft. In den Texten, die parallel zu den kleinen Bildern entstehen oder sich direkt auf sie beziehen, Geschichten des Davor und Danach erzählen oder den Figuren Worte in den Mund legen, bildet sich der Sprachraum, der das Gemalte möglichst kontrastieren sollte, die Illustration vermeidend.

Wenn Musiker, die ich oft höre, in den Kitsch abgleiten, dann stört mich das beim Arbeiten. Es gibt eine solche Tendenz bei Brad Mehldau, den ich ansonsten sehr schätze. Dann verführt er mich, die Interpretationen der alten Beatlessongs zu hören, wegzudriften in die seichten Gewässer der Belanglosigkeit. Und dann hört es auf zu stören.

Der Raum hinter der Malerei

In dem Text, der die Verbindungen meiner Arbeit mit dem Ort, wo nun das Humboldt Forum steht, zeigen soll, fehlt noch ein Absatz über die gegenwärtigen Collagen. Sie verbinden die zeichnerischen Bezüge zum Palast mit der Buchmalerei. Aber auch die winkligen Linien in den gemalten Miniaturen spiegeln Bruchstücke der Stahlkonstruktion wieder, die vom Asbest befreit in den Himmel ragten.

Die pinselförmigen Farbflecke schließen die Schwünge ein, die von den Haaren kommen, die ich in die feuchte Farbe drücke. Die Linien enden an den Trocknungsrändern und ihre Richtungen werden vom benachbarten Fleck wieder aufgenommen. Der Raum zwischen den Farbfeldern wird vom schauenden Hirn gefüllt. Die weißen Korridore führen die Bilderzählung in den Raum dahinter.

Aber warum schreibe ich das auf? Wo führt der Versuch, den Raum hinter der Malerei mit Sprache zu füllen hin? Wird die Arbeit dadurch sogar entwertet? Die Informationen über das Denken dessen, der malt, engen vielleicht das Sehen ein. Zumindest wird es gelenkt. Aber mit den Linien und Farben lenke ich den Blick auch!

Zusammenspiel

Die Abbildungen, die ich in den Text für das Humboldt Forum einfüge, sind weit verstreut. Sowohl die Zeiträume als auch die Arbeitsthemen liegen voneinander entfernt. Eine besondere Rolle spielen die kürzlich entstandenen Transparentpapierzeichnungen und die Collagen, in denen Strukturen des Rückbaus und Teile der Landschaftsskizze vom Dach des Palastes mit gegenwärtigem Material zusammenspielen.

Alte Animationen, die in der Performance „In the Forest“ an die Wand projiziert wurden, beginne ich in Formate zu konvertieren, die heute abzuspielen sind. Daraus erhoffe ich mir Standbilder, mit denen ich auf Rolle 10 weiterarbeiten kann.

Die starken Lichtwechsel, die der Himmel heute Vormittag vorgibt, beeinträchtigen meine Konzentration etwas. Ich will mit den Gedanken bei den Buchmalereien bleiben, für die ich heute feinere Haare von mir, mit dem Wasserfarbenpinsel zu bändigen versuchte. Mit dem Ockerstift beschwichtige ich Dissonanzen und verschiebe durch geschwungene Gravitationslinien die Gewichte. Mit der feuchten Fingerkuppe kann ich harte Linien zu Wolken auflösen, woraus manchmal vage Figuren entstehen, die man aber schnell wieder aus dem Blick verlieren kann.

Volumen einer Diskette

Bei der Betrachtung von Fotografien einer Tanzperformance, die ich mit dem Heidelberger Ensemble der Neunzigerjahre aufführte, frage ich mich nach der heutigen Bedeutung der Bilder für mich. Das untersuche ich, indem ich eines in die Collagen einfügte. Die Computeranimationen dieser Zeit interessieren mich wegen ihrer Speicherbegrenzung auf das Volumen einer Diskette. Ich hatte mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aus diesem Zugang zu dem, was mich damals beschäftigte, lässt sich der Bezug zur gegenwärtigen Arbeit herstellen. Meine Reaktionen auf die Entwicklungen in der Welt außerhalb meines Gehäuses, lassen sich somit aus einem anderen Blickwinkel überprüfen. Dafür bin ich auf der Suche nach einer Bildsprache.

Zu den mannigfaltigen Beziehungen meiner Arbeit zum Ort des Humboldtforums soll ein neuer Text entstehen. Die Ideen- und Erinnerungsflut muss kanalisiert werden.

Das heißt, dass ich nicht dazukommen werde, Rolle 10 weiterzuführen. Die Malereien bleiben vorerst im Buch und den Collagen eingeschlossen.

Dichterinnen und Kunst

Ein Link zu einem Radiobeitrag vom Deutschlandfunk mit dem Titel „Rachel Cusk und die Kunst – Der Trost der Bilder“, führte mich in die Forschungen zur Verbindung von Literatur und bildender Kunst. Dabei wird von der Autorin beklagt, wie einengend die Sprache sei, im Gegensatz zu den Möglichkeiten, die etwa ein Maler mit seiner Leinwand hat. Das führte uns zu unserer Frage danach, wie Kunst und Übersetzen kooperieren könnten.

Im Kino sahen wir einen Dokumentarfilm über Elfriede Jelinek. Er heißt im Untertitel „Die Sprache von der Leine lassen“. Auch sie vergleicht ihre Arbeit mit der Kunst Skulpturen herzustellen. Das ist vor dem Hintergrund einer Knödel mampfenden Bäuerin in Österreich, die dabei von den Judenerschießungen 1945 erzählt, ein Trost.

Je kunst- und wissenschaftsfeindlicher sich der Mob gebärdet, umso wichtiger werden Forschung und Bilder. Nach dem Kino war ich etwas niedergeschlagen. Mich berührte der Kontrast der energiereichen Sprache einer verletzlichen Person auf der einen Seite und dem populistisch-faschistoiden Gebrüll auf der anderen, das sich gegen die Dichterin wendet. Aber sie ist stark!

Angenehme Leere

Mit mir allein, etwas Schlaf und einem Zahnarzttermin vertrödelte ich den Vormittag. Durch dieses seltene Ereignis stellte sich eine gute Stimmung ein und eine angenehme Leere. Und nun mache ich meine Tagebucharbeit erst am Nachmittag. Die Buchmalereien werden etwas selbstsicherer, vielleicht nicht besser, aber farbiger und vielfältiger.

Gestern formte ich das Relief, das ich mit den Jugendlichen begonnen hatte, weiter aus. Eine langwierige Angelegenheit mit kleinen, lange eingeweichten Pappfetzen. Ich hoffe, dass sich die Abformungsergebnisse verbessern.

Beim Blättern in alten Fotografien fiel mir eine Serie in die Hände, die Gudrun Holde Ortner von mir in den Neunzigerjahren im Malsaal des Heidelberger Theaters gemacht hatte. Und ich fand Bilder von Performances mit dem Tanzensemble in der Heidelberger Schokofabrik und mit dem Shakespeare Swui Ensemble im Gallustheater.

Ukrainische Schüler

Das geschlossene, verflochtene System der Zeichen des Kraftfeldes, zeigte ich am Morgen ukrainischen Schülern. Dafür ging ich mit ihnen auf den alten Holzboden, wo die zerstörten Reliefteile liegen. Ich versuchte die verschiedenen Figuren zu erläutern. Haben wir eine Weile zusammengearbeitet, werden wir Zeichen ihrer Wanderung im Geflecht entdecken und dann zeichnerisch hinzufügen.

Der Schüler, der in der vergangenen Arbeitsphase von YOU&EYE die schönsten Reliefs angefertigt hatte, von denen eines seit Monaten über meinem Grafikschrank hängt, und ich es täglich gerne anschaue, ist wieder mit dabei. Auch Vandad, der die Organisation des Projektes macht und sie hergebracht hatte, war kurz da.

Es gibt viele Dinge, die gleichzeitig gemacht werden sollen. Dafür muss ich mir Arbeitsplätze einrichten, an denen ich parallel zugange sein kann. Mir fehlt es, Bildideen auf Rolle 10 weiter zu entwickeln. Strukturen der Buchmalereien sind mir zu wichtig, als dass sie nur in den Collagen vorkommen und dort verschwinden. Auf den Transparentpapierrollen komme ich am ehesten auf den Punkt.

Strenge Ordnung

Die Zusammenhänge zwischen meiner Beteiligung am Bau des Palastes der Republik und den vielen bildnerischen Arbeiten, die zu den Themen Aufbau, Rückbau, TRIXEL PLANET und Kraftfeld entstanden, sind in einem knappen und verständlichen Text schwer unterzubringen. Es gibt viel zersplittertes Material, dessen Entstehungsablauf sich nicht leicht in eine logische Geschichte einfügen will. Die Parallelitäten zwischen den Vorgängen im städtischen Kontext und meiner persönlichen Arbeit, lassen sich nur innerhalb einer strengen Ordnung aufzeigen, die im Kontrast zu den Arbeiten steht.

Beim Schreiben des Textes entdecke ich immer neues Material, das ich schon vergessen hatte. GPS-Gänge mit Vinzenz in Berlin beispielsweise, auf der Wiese an der Spree, wo der Palast stand. Die gelaufene Figur bezieht sich auf den Grundriss des abgerissenen Baus und die Kuppel des Domes.

Das Kraftfeld-Relief, das ich am vergangenen Wochenende abgeformt habe, ist nun trocken. Die Struktur der aneinander klebenden Pappfetzen, die in die Vertiefungen gedrückt wurden, ist gleichmäßig. Die sich abzeichnenden Ränder werden von der nun folgenden Grundierung geglättet, so dass das Relief als geschlossenes, verflochtenes System sichtbar wird.

Erklärungen

Die Zusammenhänge der Stationen Palastbau, TIXEL PLANET, Palastrückbau, Kraftfeld und dessen Zerstörung, klar zu definieren, bedarf eines zielgerichteten Textes, der mit Abbildungen versehen ist. Die Loops und ihre formale Parallelität, sollen sichtbar werden. Das geschieht inhaltlich auch in der aktuellen Arbeit. In den Collagen werden die gegenwärtigen „Haut- und Haarkompositionen“ mit den älteren Bildfindungen verbunden. Und das geschieht mit der Zielrichtung auf Rekonstruktion der alten Kraftfeldarchitektur und ihrer gleichzeitigen Neuerfindung.

In den vergangenen Tagen versuchte ich dafür weitere Voraussetzungen zu schaffen. Die Reliefherstellung rückte dabei in den Vordergrund. Aber was sich in den letzten Wochen auf Transparentpapier entwickelte, ist wesentlicher. Deshalb werde ich das Zeichnen auf Rolle 10 parallel fortführen.

Am Nachmittag treffe ich Alexander, um mit ihm über die Fortführung unserer Vorhaben zu sprechen. Das ist deswegen notwendig, weil die Herstellung einer geschweißten eisernen Zeichnung für eine Außenwand, viel Aufwand ist.

Chaos

Ungelenk stolperte ich am Morgen in die Buchmalereien. Sie begannen unsicher in der Suche nach Konstellationen der Formen. Der Impuls, Figuren zu umranden, um damit Farbgleichgewichte zu schaffen, fehlte. Jetzt, während des Schreibens, korrigiere ich das.

Das Wochenende habe ich durchgearbeitet. Das mit einer Kaschurtechnik ausgeformte Relief, ist nach dem Trocknungsvorgang nicht stabil genug. Ich muss noch einmal drüber gehen, die einzelnen Felder fester miteinander verbinden.

Hinter dem Ateliergebäude ist die Straße seit fast einem Jahr aufgerissen. Die Kratzspuren der stählernen Maschinen rund um die mehrfach ausgehobenen und wieder zugeschütteten Gruben sind wie die Ränder einer nicht heilen wollenden Wunde. Alle Versorgungsleitungen der alten Wohnhäuser, der Großbaustelle und der Neubauten verlaufen in Schichten übereinander. Ein Gewirr von Röhren sehr unterschiedlichen Durchmessers, Strängen von Stromleitungen, provisorischen Wasserleitungen und Drähten in Plastikkanälen. All das verflechtet sich zu einem chaotischen Gesträuch. Daneben wird eine Baugrube von 50 X 30 Metern wieder mit Erde zugeschüttet. Alles ähnelt der 3. Buchmalerei von heute.