Am Morgen dachte ich an die Mauer. Wahrscheinlich hat sich das Bild dieses Datums direkt mit solchen aus dem Grenzzusammenhang verbunden. Ich erinnere mich an einen französischen Sänger, der während eines Auftritts im Palast der Republik das harmlose Liedchen vom Butterfly sang, dabei aber die Zeile „die Mauer muss weg“ in seiner Heimatsprache einfügte. Ganz gegenwärtig ist mir auch das ohnmächtige Gefühl der Vergeblichkeit gepaart mit der Sehnsucht nach der unermesslichen westlichen Freiheit hinter dieser Grenze. Ich wusste, dass meine Altersgenossen mit Interrailtickets und wenig Geld durch ganz Europa fuhren.
Gestern stand direkt am Rhein über dem Webeschild eines Immobilienhändlers die gekritzelte Parole: „Islam statt Demokratie“. Dass ich darauf so vehement reagiere, liegt sicherlich an meinen Jugenderinnerungen. Dennoch überraschen mich die Radikalität und der Fanatismus der dritten Einwanderergeneration immer wieder.
Am Abend hörte ich während ich in der Dämmerung meine Pflanzen am Atelier wässerte, barocke geistliche Chormusik aus Spanien und dachte dabei an den sanften Moselwein des Nachmittags.