Kleine Form

Am Rand meines Gartens, dem Ufer der Oase, im Atelier, sind es am Morgen 27°C. Aber die Temperatur steigt schnell.

Bakteriologisch durchbrochene Nacht nach einem Fernsehbericht aus dem Südsudan. Die dünnen Arme der Kinder befinden sich an dicken Bäuchen. Der Reichtum der Stammeskönige stammt aus den Spenden Europas. Wer noch die Kraft hat, flieht. Neben den sterbenden Kindern verrohen die Gesellschaften.

Mitten in die Tintenlinien, die die Gravitationszentren der Gewalt auf Rolle 6 verbinden, setzte ich Vorgestern mein Kinderportrait nur mit Tintenumrisslinien. Gestern füllte ich die Rasterpunkte mit einer vorsichtigen Bleistiftstruktur und deckte diese dann mit einer Schelllackschicht ab. Der Gesichtsausdruck nimmt das nun folgende Geschehen voraus. Ahnungslos werde ich Buchstabenzeichen und deren Verbindungen lernen.

Kurz zuvor war ich noch mal einen Sommer in Westberlin. Im Fundus der Erinnerungsmaschinerie liegen die Pottwalbäuche der in Tempelhof landenden Propellermaschinen, die himmelhohen Luftschaukeln, Funktürme, Kaugummiautomaten … Alles für mich alleine, dem Jungen vom Land.

Trotz der Länge von Rolle 6, die wie alle anderen, 50 Meter misst, ist sie ein Produkt der kleinen Form. Die Erzählung fügt sich Motiv für Motiv aneinander, versehen mit Entstehungsdaten. Das ist wegen der häufigen Rückblicke und Querverbindungen in den Tagebüchern sehr hilfreich.