Sprachklang

Bevor an diesem klarblauen Morgen die Sonne den Balkon erreicht, sitze ich trotz der Kühle, es ist um die dreizehn Grad, draußen. Der Schatten des Hauses wandert an der hellen Nachbarwand nach rechts. Es dauert nicht mehr lange, bis mich das direkte Licht erreicht haben wird.

Ein Jagdschloss, das Tenneberg heißt liegt über der Stadt Waltershausen am westlichen Ende des Burgberges. Es beherbergt ein Puppenmuseum, in dem mein Bruder arbeitet. Der Innenhof hat einen kleinen Arkadengang, der an seinen Bögen Ornamente trägt, die schon klassizistisch anmuten, obwohl es sich um einen Barockbau handelt. Jedes Mal, wenn ich diesen Raum sehe, blicke ich mit anderen Augen auf ihn. Er ist wie ein Spiegel meines ästhetischen Empfindens, das immer neue Orientierungspunkte anpeilt. Man braucht ein paar solche Orte, die den Zustand des inneren Diskurses filtern. Sie sind wie Messpunkte an denen die Bewegung des Denkens verfolgt werden kann.

Dort war gestern ein Fest mit den bekannten Familiengesichtern. Zunehmend gewinnen Rückblicke an Bedeutung, die die Fehlstellen abgelaufener Lebenszeit einspinnen. Diese Kokons enthalten die Dinge, die man hätte tun können, solange man die Kraft dafür noch hatte. Die Schwester meiner Mutter nahm sich eine Zeit lang mein tägliches Zeichnen zum Vorbild, wollte auch Tagebuch schreiben, schrieb aber Gedichte, die jemand vom Bund der Vertriebenen absurderweise ins Schlesische übersetzen wollte. Schlesisch aber, sagt sie, sei keine tote Sprache, sondern würde noch in der ostsächsischen Lausitz gesprochen. Dort sollte man mal auf den Klang dieser Sprache hören und spüren, was er einem zu sagen hat. Außerdem schunkelte und tanzte man zu einem ärgerlichen Stehgeiger, der es besser wissen müsste, d.h. besser spielen könnte – eine andere Kultur.