Zeichnung und virtuelle Bildhauerei

Es ist nicht leicht, wieder in einen Arbeitsfluss zu kommen. Manchmal hilft ein Gespräch mit einem Kollegen.

Mit Niklas Klotz sprach ich gestern, in seinem Atelier, beispielsweise über den Zusammenhang vom Zeichnen vor der Natur und den Strukturen der digitalen skulpturalen Arbeit. Die Figuren, die beim Zeichnen durch die Verbindungen der Kreuzungspunkte der Gravitationsschwünge entstehen. Die Ellipsoidsegmente, Polygone und deren Kombinationen, sind die Elemente, mit denen ich jetzt weiterarbeiten kann. Wenn er mal kommt, könnten wir weitere Gemeinsamkeiten aufdecken.

So mache ich mich wieder zunächst innerhalb der Buchmalereien an die Arbeit. Körper entstehen, deren Ausformungen auf dem Bildschirm gelingen könnten. Wieder ein weites Feld, dieser Zusammenhang zwischen Handzeichnung und virtueller Bildhauerei.

Draußen herrschen 30°C. Ein Fall für Cool Jazz im Atelier.

Am Abend kommt Besuch hierher, dem ich einiges aus meiner letzten Arbeit zeigen möchte.

Tangenten

Weiß nicht so recht, wie ich nach der Reise wieder ins Arbeiten kommen soll. Eine etwas lähmende Stimmung schleicht sich ein.

Das Wässern der Gärten von mir und meinem Nachbarn dauert am Morgen etwa eine halbe Stunde. Gestern schon gab ich ihnen viel Wasser, denn sie hatten es nötig. Ja der Garten lenkt ab, ist zwar schön da was zu gestalten, aber zum Zeichnen komme ich so nicht.

Und wie immer, wenn ich etwas leer bin, verlasse ich mich auf die täglichen Buchmalereien, die den Motor zumindest im zweiten Gang laufen lassen. Die haben sich in Andalusien wieder um einiges verändert. Manchmal sind sie zart und zurückhaltend, mit wenig Aufwand gemacht. Das wirkt dann meistens etwas poetisch. Innerhalb der Gitternetze habe ich gestern erstmalig die Dreiecksform verlassen. Ich zeichnete nur die Tangenten, die die Schnittpunkte der Gravitationsschwünge verbinden. Nebenher entstehen so auch Kreissegmente, mit denen ich schon während der Reise experimentierte. Das wäre ein Ansatz für die Arbeit auf Rolle 6.

Deniz Alt hat im „Balken“ eine schöne Ausstellung gehängt. Alles Malerei, eher entspannt. Gut, dass er das macht.

Schönschriftübungen

In den asymmetrischen Kriegen im Orient und in Europa sterben unbeteiligte Kinder. Was ist Vernunft?

Im Ausstellungsraum Balken habe ich meine Arbeiten am Morgen abgehängt. Dann ist es dort unter dem Dach noch nicht so heiß. Dennoch eine schweißtreibende Angelegenheit. Die Reliefs des „Frankfurter Kraftfeldes“ haben noch immer eine energetische Ausstrahlung. Während mir mein großes Bild, an dem ich zehn Jahre malte, eigenartig schwach vorkommt.

Große Schlucke aus dem Wasserglas. Erinnere mich daran, wie ich als Kind an heißen Sommertagen mein Gesicht in das kalte Wasser eines vollen Waschbeckens tauchte und trank.

Die Buchmalereien von heute, fielen etwas finster aus. Hinter dunklen Farbwolken verschwinden die scharfen Spuren der Gewalt. Beschwichtigung durch die Schwünge der Rohrgeflechte und die Verwischungen meines Handballens. Die Schönschriftübungen hellen die Atmosphäre auch nicht auf.

Überhang an Performance

Die Suche mittels bildkünstlerischer Mittel, nach einer Annäherung an Wahrheit, steht einem Trend gegenüber, der auf darstellerische Fähigkeiten setzt. Sich als bildender Künstler darzustellen, ersetzt dabei eine Suche nach sich selbst oder nach einem Prozess der Fragestellungen nach dem, was außerhalb von mir existiert und mich aber auch durchdringen kann. Die Ironisierung von Haltungen durch eigene äußere Erscheinungsbilder, scheint mir einen Mangel an Sicherheit der eigenen Orientierung zu zeigen. Es besteht ein Überhang an Performance.

Gestern Teamsitzung im Museum. Alle stellten dar, was sie im vergangenen Jahr gemacht haben. Es ging auch um neue Ideen für eine museumspädagogische Zukunft. In diesem Zusammenhang stellte ich mein Landmarkenprojekt in einen Zusammenhang mit Erwachsenenbildung. Man könnte auch mit dem „Insassen“ der Hochhäuser Teamarbeit machen… Muss man nur ein wenig nachdenken.

Am Nachmittag werde ich den Teil meiner Ausstellung für die „Nacht der Museen“ abbauen, damit Deniz den Raum für ein Ausstellungsprojekt nutzen kann. Sicher wird es unter dem Dach sehr warm werden, sodass ich die Aktion vielleicht in den Abend verschiebe.

Ansonsten schalte ich so langsam in einen Ferienmodus.

5 Jahre

Immer noch liegt ein Zettel auf dem Schreibtisch, auf dem das Wort Totenbuch steht. Es erinnert mich an den ursprünglichen Impuls, mit dem ich an das „Scherbengericht“ herangegangen bin.

Und gleichzeitig denke ich über die Arbeit mit meinen Schülern nach, die nicht von meinen eigenen Bildinhalten zu trennen ist. Immer hatte ich meine eigenen Themen für den Ausgangspunkt der Tätigkeit mit ihnen genutzt. Meine Arbeitsweise hat auf die meisten abgefärbt. Und die besteht im unaufhörlichen Weiterentwickeln von Techniken und Inhalten. Dieses Fließen bildet die Dynamik ab, mit der wir über fünf Jahre gemeinsam unterwegs waren.

Oben ist ein Auszug aus Rolle 6 zu sehen. Er zeigt mein Rasterportrait mit den Rohrgeflechtüberlagerungen. Auch daraus kann sich nun noch viel entwickeln.

Ungleichgewicht

In der dritten Buchmalerei von gestern, gab es eine neblig graue Farbfläche, die etwas versteckte Zeichen in sich verbarg, zart gezeichnet oder verwischt. Daneben setzte ich einen deutlich abgehobenen Ornamentakzent, der im scharfen Kontrast zu der Fläche steht. Eigentlich wollte ich die ungleichgewichtige, übergroße Spannung abmildern, indem ich das Ornament noch mal etwas verändert in die Fläche setze, ließ es aber. Es ist neu, dass ich ein solches Ungleichgewicht gelten lasse.

Die Malereien entwickelten sich in den letzten Tagen vielfältig. Sie sind verschiedener als sonst. Ich habe Lust auf die verschiedenen Mittel. Bleistift kommt vermehrt hinzu, Tinte, Tusche mit Aquarellfarben.

Durch den Holzworkshop, den ich in der vergangenen Woche gehalten habe, bin ich nicht so richtig zur Arbeit an der Rolle 6 gekommen. Lediglich eine weitere Variante des Kinderportraits von mir als Sechsjähriger ist entstanden. Und ich weiß noch nicht, was daraus werden wird.

Morgen gibt es ein Treffen im Architekturmuseum, für das ich ein paar Workshopbilder zusammensammeln will. Das aber mache ich erst morgen, denn heute ist Sonntag…

Fernstraße

Im flirrenden Schatten meiner Birke bin ich vor der stechenden, steil in der klaren Luft stehenden Sonne geschützt. Der Efeu, der meine Füße umspielt, beginnt nun die Atelierwand zu erklimmen. In seiner Deckung jagt die in diesem Jahr große Anzahl von Eidechsen.

Der Verkehr auf der A 5 klingt im Westwind wie die Atlantikbrandung in der Ferne. Fernstraße – auch ein altes Wort.

Ich erinnere mich daran, dass wir als Jugendliche mit unseren Fahrrädern auf die Autobahnbrücke gefahren sind, um das Fernweh zu spüren. Westautos fuhren Transit nach Westberlin und von dort aus auf der Gegenspur nach Westdeutschland, in die Welt, in der es keine Grenzen gibt, die einen wirklich aufhalten können. Das Reisen war mir also nicht in die Wiege gelegt. Dennoch schlummerte in mir die Sehrsucht nach der Ferne, die einen ziehenden Schmerz auslöste.

Und dann, in meinem neunzehnten Lebensjahr machte ich mit meinem Freund eine Tramptour nach Bulgarien. Ein schmaler Korridor war das, der bereist werden konnte: Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien.

Loops

Die Portraits, die ich von meinen Kinderaufnahmen in vergrößerten Rasterabbildungen zeichne, sind wie Zwiegespräche mit dem kleinen Jungen. Und während dieser glaube ich manchmal, dass wir die Rollen tauschen könnten, damit ich noch mal von vorne beginnen kann.

Auch das Kreisen in den Rohrgeflechten schickt mich in die Vergangenheit zurück. Ich kreise wie ein Tänzer und alles dreht sich um mich. Umdeutung der Rohrgeflechtgravitationen.

Ich denke an eine Soundinstallation von Karl Kliem, der einen Song auf einen Zeitstrahl setzte. Auf ihm konnte man hin und her fahren und die jeweiligen Tonsekunden in Loops laufen lassen.

Wenn ich das auf meine Transparentpapierrollen übersetze, dann heißt das, dass Bilderausschnitte zu Endlossequenzen zusammengesetzt werden können. Die Weiterentwicklung des Sequenzen Zeichnens aber, die ich gestern unternahm, würde die einzelnen Loops in fortschreitenden Improvisation zu freieren Kompositionen entwickeln.

Die Buchmalereien enthalten auch Elemente dieser Fortschreibung von bestimmten Elementen oder Zitaten aus dem vorhergehenden Motiv. So bleibt alles in Gang.

Rohrgeflechtsstrukturen

Bei der Fortsetzung der Gewaltsequenz auf Rolle 6 fügte ich mein gerastertes Kinderportrait ein. Es wird von locker gezeichneten Rohrgeflechtsstrukturen durch durchzogen. Dabei nahm ich mir mehr Freiheiten heraus, als bei den vielen Sequenzen, die ich vorher gezeichnet hatte, denn die durchscheinenden Linien waren nur noch Angebote oder Inspirationen für das, was ich dann als Gesträuch entwickelte. Zeichnerisch gesehen könnte das aus meinen Achtzigerjahren stammen, aber der Vorgang bedeutet etwas wirklich Neues. Denn wenn ich diesen Schritt weiterdenke, kann ich nun mit den Sequenzen völlig andere, aufeinander folgende Zeichnungen anfertigen, die zwar immer auf der vorherigen fußen, sich aber deutlich weiterentwickeln können.

Bin immer noch mit dem Holzlehrgang beschäftigt. Das strengt an und hält mich weiterhin von der Arbeit ab.

Adressaten einer Gewaltandrohung

Gestern Holzwerkstatt mit Raumausstattern. Im Schreinerüberschwang kein Gedanke an eine künstlerische Arbeit.

Heute bin ich aber bei den Buchmalereien, die ich ergänzend auch für den gestrigen Tag nachholte, zum Thema Angst gekommen. Ein dunkles Flirren, das in die Länge gewischt wird. Erwartung einer Purpurwand aus heißem Plasma. Der Augenblick des einsetzenden Schmerzes erlöst dieses dumpfe Gefühl, löst die Panik ab.

Ein Blick fällt auf die zusammengerollte Sequenz der Rohrgeflechtsornamente. Sie alleine haben noch nicht die Kraft und Spannung, die ich mir von dem Projekt erhoffe. Was in der Farbigkeit der Buchmalereien gelingt, kann in der Transparentpapierzeichnung entweder mit den weichen Schelllackverläufen erreicht werden, oder mit einer inhaltlich – gegenständlichen Hinzunahme von Jungpionierportraits, als Adressaten einer Gewaltandrohung.

Die Arbeit an diesen Gegenständen kann erst im Sommer, wenn ich mehr offene Zeitflächen zur Verfügung habe, richtig Fahrt aufnehmen.

Aber mit meinem Gesicht des Sechsjährigen Schulanfängers, in das ein Fotoentwicklungsfehler, ein Staubfaden, geprägt ist, kann ich mal beginnen, Rasterabbildungen und starke Vergrößerungen herzustellen.

Ätherisch

Montag. Noch ist es still auf dem Gelände. Die Lüftung des Restaurants summt jetzt sanft. Manchmal tönen ferne Signalhörner von den Rangierloks auf den Gleisfeldern oder von Polizeiautos auf den Straßen.

Öfter blüht in den Buchmalereien etwas Frühjahrsfarbigkeit auf. Die Gärten senken mir das schlingende, üppige Grün in mein Reproduktions-Sehen. Es wird mitunter von scharlachroten Linien durchkreuzt. Dann aber setzt wieder blattloser Winter ein.

Bleistiftgrau, Tintenblauschwarz mit etwas Rosa.

Am Sonntag saß ich alleine im Café gegenüber von meinem Balkon in der Frankenallee. Eigentlich hätte ich mit jemandem sprechen wollen. Alle aber sprachen in fremden Zungen miteinander. Und so genoss ich meine babylonische Heimat, lockerte meine Seele mit einem Glas Riesling und spürte, wie ich mich alternd verändere und wie das auch von außen zu mir zurückkommt.

An verschiedenen Stellen auf Teves versuche ich das nun üppig sprießende Wachstum zu gestalten. Die Heckenrosen bekommen Nischen, in die man einen Stuhl hineinstellen kann. Mit den Gartenkräutern kochte ich mir gestern ein einfaches aber sehr wohlschmeckendes Mittagessen. Danach kam ich mir ätherisch vor. Das will ich auch heute wieder probieren.

Lärm, Schwüle und Apfelwein

Aus der Zurückgezogenheit und Konzentration brach ich gestern aus und besuchte den Wochenmarkt auf der Konstablerwache. Lärm, Schwüle und Apfelwein. Dazu deftiges hessisches Essen für die vielen Besucher. Der Gegensatz zum Atelier und seinem Garten.

Hier gibt es jetzt nur die Unterhaltungen der Ringeltauben und den zaghaften Beginn des sonntäglichen Glockenläutens. Kaum hörbar ist manchmal das Gezirpe der Meisen, als hätten sie was zu verheimlichen. Sie halten sich gerne im alten Gehölz meines Trockengesträuchs auf, in dem sie reichlich Futter finden.

Oben ein Auszug aus der Sequenz, die ich vorgestern auf Rolle 6 zeichnete. Unter dem Transparentpapier liegt ein Foto vom Großvater und seinem Bruder in Grinzing. Nun habe ich sie in die neuen Strukturen verstrickt, aus einem Gefühl heraus, dass mich das in dieser Arbeit weiterbringen könnte. Zumindest ist wieder eine Brücke zum Väterprojekt gespannt.

Die Buchmalereien werden ruppiger. Keine feinen kleinen Gespinste. Schwere Strukturen des Kreisens, der Dreiecksverbindungen und der Verwischungen.

ICH will sehen!

Auf Rolle 6 begann die Arbeit an „Schönschrift und Gewalt“. Ich zeichnete ein Rohrgeflechtornament mit Tinte, Tusche und Bleistift. Dann entwickelte ich ein zusätzliches Muster aus den Linienkreuzungspunkten und den sie verbindenden Strecken. Daraus wurde eine leichte und noch offene Überlagerungssequenz. Ich verdichtete sie nicht weiter, weil ich die lockere Struktur sehen will.

ICH will sehen!

Durch mein Gärtchen flog am Morgen ein grüngolden leuchtender großer Käfer, wie ich ihn noch nicht sah. Jedenfalls nicht in mitteleuropäischen Breiten.

Eine Eidechse fütterte ich mit Asseln, die in Mengen unter den Blumentopfuntersetzern sitzen. Eine Weile ließ sie mich nahe heran. Dann aber wurde es ihr zu stressig, und sie ging selber auf die Jagd.

Am Bahndamm ging eine Mohnblüte auf. Es ist feuchtwarm, alles wächst schnell. Auch die Brombeertriebe schießen aus der Wiese. Aber sie werden meine täglichen Kontrollgänge nicht überleben!

Preisverleihung

Eine der Buchmalereien von heute, die dritte in der Reihenfolge, spinnt ein filigranes Netz. Punkte, Geraden und Schwünge tendieren zu einer Choreografie und beginnen den Raum zu erkunden und zu tanzen.

Im Kaisersaal des Römers fand gestern die Verleihung des Gründerpreises der Stadt Frankfurt mit meiner Preisfigur statt. Der Chef der Wirtschaftsförderung, die die Zeremonie und die ganze Vergabe organisiert, sprach überraschend ausführlich über meine Figur. Mich kannte dort unter den vielleicht zweihundert handverlesenen Gästen fast niemand, sodass meine Verlegenheit nicht auffiel. Nur die überall anwesende Fotografin Barbara Walzer entdeckte mich und machte ein Foto mit den Preisgewinnern, meiner Figur und mit mir. Ein Sektempfang und ein reichliches Buffet rundete die Veranstaltung ab. Ich war mir über meine Teilnahme nicht ganz sicher gewesen, bin nun aber froh, trotzdem dort teilgenommen zu haben.

In der warmen sternenlosen Nacht saßen wir noch etwas auf meinem Balkon über der Frankenallee. Und schauten auf die dichter werdende Bewegung in unserer enger werdenden Umgebung.

Nun regnet es auf meine Gärten und die Wiese, die ich mühsam von Brombeeren befreie. Das ist eine tägliche Mission, die meinen Blick für kleine Schösslinge dieses produktiven Gewächses geschärft hat. Meine Sehnsucht nach dem Landartpfad im Taunus, sucht sich nun hier Linderung. Gerne würde ich auch am Bahndamm ein paar Weinreben pflanzen.

EXTRUCTION OF A MINOR SPECIES

Jacopo Godani hat mit seiner Dresden Frankfurt Dance Company das neue Stück EXTRUCTION OF A MINOR SPECIES herausgebracht. Der Höhepunkt des Abends war, dass ich Cyril Baldy von der ehemaligen Forsythecompany mit seinen Eltern traf.

Dass Godani mal bei Forsythe getanzt hat, kann man an seinen Arbeiten nicht erkennen. In fleischfarbenen Badeanzügen gaben die begabten Tänzerinnen und Tänzer ein konturloses Bild ab. Das Stück hatte, außer Licht an Licht aus, keine spürbare Struktur. Die Choreografie war konventionell, einfallslos und mit wenigen überraschenden Momenten versehen. Die Musik langweilte, bis auf einen Moment in dem ein Pianist ein atemberaubendes Solo hinlegte. Der spielte die Tänzer glatt an die Wand. Fazit: Godani das Frankfurter Ballett zu überlassen, bleibt verantwortungslos.

Ich mühe mich redlich, in meinen Buchmalereien, das aufzuholen, was ich derzeit bei der anderen Arbeit versäume. In diesen Zeitzwischenräumen, beginne ich kein längerfristiges auf Kontinuität ausgerichtetes Projekt. Das verschiebe ich in die zweite Junihälfte, in der ich eine lange, ungestörte Zeit vor mir habe.

So kümmere ich mich jetzt um meinen Garten, setze nun die restlichen, im Frühbeet gezogenen Blumen nach draußen in ein Beet neben mein Rolltor. Im Unterholz jagen die Eidechsen, und ich bepflanze die mittleren Etagen meines trocken gestapelten Gesträuchs.

Pyramidenraum

Die fertig gedruckten Gründerpreisfiguren haben auf ihren Dreiecken, mit denen ihr Volumen umschrieben wird, Binnenzeichnungen, die vom Schichtenaufbau der Skulpturen herrühren. Somit ist durch die Technologie ein zusätzliches, zeichnerisches Element hinzugekommen.

An diesem Morgen sitze ich im Garten und denke an eine Raumbeschreibung, die ich gestern in der Abendsonne geschrieben habe. Wesentlicher Ausgangspunkt sind die Eckpunkte aus denen sich die Strecken, die Dreiecke und dann die Pyramide bilden. Diese Punkte sind zunächst alleine inhaltlich aufgeladen, zeigen die Folgen von Handlungen. Dies kann eine vernarbte Schnittstelle an einem Bäumchen in meinem Garten auf dem Beton sein. Sie verweist auf die Hortensie, die durch den Beschnitt mehr Licht bekommt, und auf die Gartenschere, die in einem Kästchen liegt, das in dem Regal steht, welches ich im Frühjahr für die Gartenutensilien eingerichtet hatte. Ich nehme mal die Schraube, die die Scherenblätter zusammenhält als den zweiten Punkt an. Der dritte entsteht gleich, wenn ich diesen Satz beendet habe in meinem Buch, das auf dem Gartentisch liegt. Darüber, im Raum über meinem Kopf befindet sich das Ende eines Astes, meines trockenen Gesträuchs, das gerade von den Kletterpetunien erklommen wird. Mit diesem Endpunkt des trockenen Astes ist nun ein Pyramidenraum entstanden, der viele Bewegungen, Geschichten und vielleicht Ausgänge in andere Dimensionen umschließt.

Die Eidechsen wärmen sich nach der kalten Nacht auf den sonnenbeschienenen Pflastersteinen für die Jagd. Die Insekten halten sich in Bodennähe auf, und ich beginne nun mit den Buchmalereien.

Echo des Schmerzes in Linienstrukturen

Schon liegen die ersten Bleistiftzeichnungen unter dem Transparentpapier von Rolle 6. Nun beginnen die Sondierungen der ferneren Zeiträume außerhalb der Buchmalereien. Die Vorbereitungen auf der Rolle führen dann wahrscheinlich zu irgendeinem größeren Objekt, von dem ich noch nicht wissen kann, wie es aussehen wird.

Jetzt allerdings muss ich los, um die Figuren für die Preisträger des Gründerpreises abzuholen, damit ich sie im Atelier signieren kann, wie es verlangt ist.

Dann aber tauche ich hoffentlich gleich wieder ab in die Schriftlichkeit der Erinnerungen, die Spuren der Zeichnungen, die mich zu den Stimmen und Gefühlen der Toten führen. Die Echos ihres Schmerzes finden Gehör in den Linienstrukturen, mit denen ich Schicht um Schicht tiefer grabe.

Zeitauffassungen

Auf einem der Tische liegt Rolle 5. Sichtbar ist eine Episode, in der sich choreografische Kontrapunktstudien mit synaptischen Kartierungen und einer Überlagerungssequenz begegnen. Es treffen verschiedene Zeitauffassungen aufeinander. Die Choreografiestudie zeigt aneinander gereihte Schnappschüsse von stilisierten Tänzern und den Verbindungslinien zwischen ihnen. Die Möglichkeiten improvisierter Bewegungsabläufe im Raum werden getestet und auf einem Timecode fortgeschrieben. Die synaptische Kartierung gelingt mit viel Schelllack und Tusche ineinander geschüttet und zusammengerollt in Sekunden, während die Überlagerungssequenz einer GPS Aufzeichnung, sich zu einem sehr dichten und großen Tuscheliniengeflecht entwickelte. Das muss viele Tage gedauert haben. Entstanden sind die ineinander greifenden Zeichnungen zwischen dem 28.2. und dem 22.3. 2011. Zwischen den drei verschiedenen Strukturen besteht eine Spannung, die ich nun im nächsten Projekt aufnehmen möchte.

So kann ich nun auf Rolle 6 mit den ornamentalen Bambusgeflechten der Teppichausklopfer und den Schönschriftübungszeichen Sequenzen erstellen. Verbindungen zwischen ihnen können, wie in den Buchmalereien, die Kontrapunktlinien sein, die die Schnittpunkte der Schwünge verbinden. Diese formalen Experimente führen zu neuen Inhalten, mit denen ich das Biografieprojekt weiterentwickeln kann.

Im MMK sahen wir Animationsfilme von Ad Atkins. Gestern konnte ich mich dieser Arbeit nicht öffnen. Der stilisierte Ekeleffekt war mir zu laut.

Schönschrift und Gewalt

Auf Teves West gestern die Nacht der Museen. Großer politischer Bahnhof zur Aufwertung des Gallusviertels und unseres Kulturstandortes.

Von 19 bis 24 Uhr habe ich fast ununterbrochen geredet. Dabei nahm das Thema „Schönschrift und Gewalt“ gedanklich Fahrt auf. Dafür sind solche Termine zumindest gut. Andere Folgen bleiben abzuwarten. Immerhin waren bestimmt tausend Menschen auf dem Gelände, davon bestimmt ein Viertel in meinem Atelier.

Am Nachmittag davor habe ich fast alle Kletterpetunien, die noch hinter meinen Scheiben standen, raus in den Garten gepflanzt. Jetzt ist es recht warm und feucht, genau das richtige Wetter, damit die Pflanzen ohne große Verluste angehen.

Oben habe ich nun den Teil eines Fotos von meiner Einschulung in die Collage eingefügt. Ich erinnere mich, wie ich damit begann, die Rasterportraits der Jungpioniere zu zeichnen. Damals war ich gespannt, was sich daraus ergeben könnte. Nun hat sich gezeigt, dass dieser Ausgangspunkt zu einer ganzen Reihe von vielleicht weit über tausend Arbeiten geführt hat. Auch das Projekt „Schönschrift und Gewalt“ speist sich daraus. Und es hängt nun entscheidend mit den täglichen Buchmalereien zusammen. Dort entwickelt sich der malerisch- emotionale Bereich der Arbeit.

Naturstudium

Unter den spielenden Schatten auf dem weißen Tisch im Garten dehnt sich die Zeit in diesem Augenblick. Minutenzoom, was einen anderen Blick erlaubt. Die Schattenlinien mit den unterschiedlichen Rändern fließen ineinander. Schmale, scharfe Linien tauchen in bauschige Grauwerte.

Das gibt es auch in den Zeichnungen Malereien und Collagen. Ich erinnere mich an mein Naturstudium in den Siebzigerjahren, das ich mit aller Ernsthaftigkeit auch später manchmal noch betrieb. Damals konnte ich mir kaum vorstellen, ohne das auszukommen. Nun kommt fast alles nur aus mir.

Mit Paulo habe ich das große Bild, das über ein Jahrzehnt in meinem Atelier stand, ausgerollt und aufgehängt. Auch ein paar Reliefs hängen im Ausstellungsraum. Das alles wegen der Nacht der Museen, die heute auch auf Teves stattfinden.

Gerade rollte ich Rolle 5, die ich 2011 machte. auf. Die Zeichnungen springen mich an und machen mir Herzklopfen. Kontrapunktlinien und Synaptische Kartierungen…

Komplizenschaft von Held und Sänger

Kann man Dinge bis zu ihrem Ende Denken?

Ich zeichne – nie zu Ende – gestern zwei verschlungene Figuren, deren Schnittpunkte mit Kontrapunktlinien, die mit dem Lineal gezogen wurden, verbunden sind und Dreiecksgitterfiguren bilden. Diese Zeichnung versah ich mit dem Titel:

Komplizenschaft von Held und Sänger.

Das Blatt liegt auf einem Tisch am Fenster, neben einem, das ich 1983 auf einer Probebühne in Dresden aquarellierte. Zwei Frauenfiguren sitzen eng beieinander, fast innig in gelbem Licht. Es sind aber Brunhilde und Kriemhild aus der Inszenierung von Hebbels „Nibelungen“, in der Regie von Wolfgang Engel. Durs Grünbein war Regieassistent. Immer noch hegt er eine Beziehung zum Theater. Da trafen wir uns auch kürzlich hier in Frankfurt wieder.

Am Nachmittag habe ich für die Nacht der Museen, die auch bei uns auf Teves stattfinden wird, ein paar Formate im Ausstellungsraum aufzuhängen. Keine große Sache, ein paar Reliefs vielleicht aus dem Frankfurter Kraftfeld und vielleicht das große Malereiformat, das ich abgespannt habe.

Zeitlosigkeit

Nach drei Tagen fast durchgehendem Regen, kam nun erstmalig wieder, wenn auch nur kurz, die Sonne raus, um den Boden des Gärtchens auf dem Beton zu wärmen.

Das Interview, das in der vergangenen Woche hier im Atelier aufgenommen wurde, ist nun in Auszügen gesendet worden. Im Fernsehen konnte ich gut sehen, wie alt ich geworden bin.

Am Abend las ich in den Planetenwellen von Bob Dylan, herausgegeben und übersetzt vom Kenner Detering. Das Amerikanische beim Poeten und Performer, ist mir zuweilen fremd. Besonders, wenn es um eine gewisse schnörkelige Naivität geht, die sich mitunter mit den vielen anderen kulturellen Schichten verknüpft.

Die neuen Transmissionslinien in den Buchmalereien, stammen aus den Mühlenräumen in der Pfalz, in denen wir mehrere Jahreswechsel in Einsamkeit verbracht haben. Das ist ein neues Motiv, das sich zum choreografischen „Counterpoint Tool“ von Forsythe hinzu entwickelt hat. Die Beziehungen zwischen den Körperpunkten sind nicht mehr nur Linien, die sich dehnen und sich bewegen, sondern rotierende Kraftübertragungen in einem Mühlenkomplex.

Die 3d Druckfirma in Großgerau gestern zu besichtigen, war ein Erlebnis für mich. Nun wird meine fünfzehn Jahre alte Figur dort wieder erstehen. Somit hat sie schon eine gewisse Zeitlosigkeit erreicht.

Schotter

Grünschnitt am Bahndamm übertönt die Güterzüge. Schreddernde Benzinmotoren, die Arbeiter schreien und kommen schnell voran. Brombeeren wuchern, ein Waschbär treibt sein Unwesen, beißt eine Ratte tot und lässt sie liegen. Die große schwarze Katze schleicht an dem Kadaver vorbei. Sie hat keine Eile.

Die Tage sind mit Organisation und Terminen verstellt. Es bleiben die Buchmalereien und eine Bleistiftzeichnung gestern. Sie versuchen Erinnern und Vergessen in der Waage zu halten.

Ich denke an die Struktur des alten bröselnden Putzes an den thüringischen Häusern. Manche Fassaden sind ganz mit grauem Schiefer, der im Wind klappert, belegt. Aufgemalte Fenster, wo das Empfinden welche sehen will. Eine Form von Gestaltungsluxus – keine lange leere Wand bleibt im Blick. Was wird da vorgetäuscht?

Regengebiet um Regengebiet durchnässt meine Wiese, die immer noch karg und niedrig auf dem Schotter wächst. Ich beginne die schwarzgrauen Steine von der Oberfläche herunter zu sammeln, schichte sie auf einen Haufen, wie damals auf meinem Pfad im Wald, der mir fehlt.

Gleichgültig kreisende Schwärze

Im Hamburger Bahnhof zeigt Vinzenz im September poetische Darstellungsformen. Er ist von Olafur Eliasson eingeladen, mit anderen dort zu arbeiten. Sein Schritt ins Immaterielle erscheint mir jetzt logisch. Nachdem er viele stark haptische Arbeitsphasen durchlief, kann das eine Befreiung sein. So ähnlich geht es mir mit dem Transparentpapier, wenn die Arbeit damit bildnerisch auch nicht so radikal zurückgenommen ist.

Meine Konzentration finde ich in den Buchmalereien, mit denen ich über mein Gedächtnis nachdenke. Wie ornamentale Tätowierungen, die wieder entfernt wurden, finden die Handballenabdrücke in den Nebel des Vergessens.

Den Kleinstadtraum in Waltershausen, den ich auf, seit über fünfzig Jahren erinnerten, Pfaden nächtens durchschritt, hallte wider vom Kindergeschrei der Schlitten fahrenden Toten. Die Zeit verformte sich unter der gleichgültig kreisenden Schwärze.

Ich denke an den Sternenhimmel, den ich mit Colin Walker und Susanne Thaler aus mit Packpapier beklebtem Schleiernessel herstellte, indem wir mit großen Messern, weit ausholend, Durchstiche machten, hinter denen dann auf der Szene starke Scheinwerfer standen. Das war der schönste Bühnensternenhimmel, den ich sah. Er ging über einer Biergartenszene bei „Kasimir und Karoline“ von Horvath auf.

Klassentreffen

Warm ist es nicht draußen, etwa zehn Grad. Vom Himmel kommt ein scheinbar länger anhaltender Regen. Der ist nicht nur für meine Wiese gut. Auch wegen der vielen Tiefbaustellen ist der Grundwasserspiegel beträchtlich gesunken.

Meine Heimfahrt aus Thüringen ging gestern noch an staubigen Feldern vorbei einer gleißenden Abendsonne entgegen.

Ein nächtlicher Spaziergang durchquerte, unter einem Sternenhimmel, der bis zum Horizont hinab ging, meine „Schulstadt“ Waltershausen. Unterwegs machte ich in einer Kneipe in einer abschüssigen Straße halt, die uns vor über fünfzig Jahren als Rodelbahn diente. Gleich konnte ich mit den Leuten dort, beim billigen gezapften Bier, über diese Zeiten sprechen, als kennten wir uns. Die Wege meiner Kindheit sind nur noch in ihren Strukturen erkennbar. Vieles ist ganz neu geworden, herausgeputzt, dennoch leer.

Das Klassentreffen hielt, was es versprach, die selbstverständliche Nähe, das Vertrauen aber auch die Trauer um die vielen von uns, die schon gestorben sind, die Angst um die, die an schweren Krankheiten leiden.

Garten | Skulpturauftrag | Fernsehen

Joana hat sich die gezogenen Blumenkeimlinge im Frühbeet vorgenommen, hat sie vereinzelt und in Extratöpfe gepflanzt, die nun die erste kalte Nacht im Freien verbringen mussten. Ist gut gegangen. Sie kann sich vorstellen, Gärtnerin zu werden.

Die Beauftragung für die Figur ist nun mit fast allem Drum und Dran da. Ich kann also in der kommenden kurzen Woche diese Arbeit erledigen. Ich hätte gerne eine Anmutung von rohem, unglasiertem Porzellan.

Dann ein fünftägiger Holzworkshop mit Auszubildenden in der Nachbarschaft. Es gibt glamouröseres, aber eine Erinnerung an diese Basis meiner Arbeit, ist auch eine erfrischende Sache.

Überraschend war ein Aufnahmeteam vom Hessischen Fernsehen da. Sie machten ein Interview und Aufnahmen vom Atelier und meiner Arbeit. Das wird am kommenden Dienstag 18 Uhr gesendet. Sie stellen das Tevesgelände im Rahmen einer Vorschau für die Museumsnacht vor.

Gleich fahre ich zu einem Klassentreffen nach Waltershausen in Thüringen. Eine Reise in die Vergangenheit.

Fremde Küsten

In der Morgensonne in meinem Gärtchen ist Lord Nelson, die Brieftaube, gerade zum Frühstück eingetroffen. Aus der Starre der kalten Nacht erwachen Insekten und die Eidechsen, die sie jagen.

Der Kunstnachmittag mit meinen Schülern hat sich in den letzten Wochen und Monaten etwas reduziert. Heute kommt Joana, die treueste von allen, um an ihren Wachsobjekten weiter zu arbeiten.

Mich interessieren derzeit am meisten meine Buchmalereien und die täglichen Collagen. Was sich jetzt zwischen verflochtenen Schwüngen und kristallinen Strukturen entspinnt, ist neu. Die Räume, die entstehen treten zunächst aus dem Vergessen heraus, um dann wieder verwischt zu werden. Es erscheint mir, wie der Aufenthalt auf einem Schiff, das von Nebelbänken umgeben ist, zwischen denen sich die Konturen fremder Küsten abzeichnen und dann wieder verschwinden.

Der Aufwand, die große schreitende Skulptur als Preisfigur zu drucken, erhöhte sich noch mal, seit wir gestern bei der Wirtschaftsförderung zusammen saßen. Nun kommt noch ein Schriftzug hinzu und eine Verpackung. Außerdem soll ich meine Signatur einfügen.

Datensätze | Unterwelt

Neues zeichnerisches Material entsteht nur halbherzig. Rolle 6, auf der ich diese Dinge normalerweise entwickle, liegt unangetastet an ihrem Platz. Aus geflochtenen Bambusrohrschwüngen und Dreiecksgitterkonstruktionen ist ein Blatt entstanden, auf dem sich wieder 3 Konglomerate aufeinander beziehen. Mich erinnern diese Kompositionen an die des Counterpoint Tools auf Syncronus Objects, der Website, in der es um „One Flat Thing Reproduced“ von Bill Forsythe geht.

In den Buchmalereien tauchen fremde Schriftzeichen auf, die ich entziffern will, um zu schauen, wohin es geht. Vielleicht in die Unterwelt.

Währenddessen beschäftigt mich die Preisfigur für den Gründerpreis der Wirtschaftsförderung. Nachdem die alte Figur, die ich vor vielen Jahren an der HfG fräsen ließ, nun als gescannten Datensatz habe, kann ich unendlich damit spielen. Aber die Daten müssen ständig umformatiert werden, damit ich die Figur weiter modellieren kann und damit sie mit einem Lasersinterverfahren dann neu erstellt wird. Die Preise für das Herstellen der Figuren addieren sich mit meiner Arbeit und ihrem Kunstwert. Das ist alles heute am Abend zu besprechen.

Nelson, meine zugeflogene Brieftaube hat eine einbeinige Freundin. Sie sind öfter mal unterwegs, kommen aber bislang immer wieder an ihren Futternapf.

Der Meister in der Festhalle

Folge ich mit meinen Augen dem Auf und Ab der dunklen Linien meiner Schrift in die Räume unter der dünnen Oberflächenschicht der Gegenwart, gelange ich über Teppichmuster in die Zimmerfluchten meiner Mütter und Väter.

Zu Fuß gingen wir gestern über den Neuen Boulevard zu einem Dylankonzert in die Festhalle. So nahe bei uns hatten wir ihn und seine Band noch nicht. Der Abend ging ohne Pause schnell vorüber. Aber das Bühnengeschehen war von einer Klarheit und Energie, die nun in Ruhe nachwirken kann. Die Stimme des Meisters spielte variantenreich mit den Genres amerikanischer Songs, wie nie. Die Band spielt mit einer geradezu gefesselten Ausrichtung auf die musikalischen Ideen ihres Chefs. Und er selbst hielt sich gerne zwischen Schlagzeug und Bass auf, tänzelte manchmal etwas gut gelaunt, schräg den Mikrofonständer haltend. Auch seine Band wird zusammen mit ihm älter. Die liebevolle Hinwendung zu alten Zeugnissen des American Songbooks passt dazu.

Die Buchmalereien sind gestern etwas zur Ruhe gekommen. Ich versuchte der Schrift zu folgen, die auch Bild sein kann. Abwärts geht es damit in das Reich der Toten. Wenn sie in der Zukunft aufstehen, um meinen Bildern zu folgen, stellt sich ein Ziel meiner Arbeit ein.

Lord Nelson, die mir zugeflogene Brieftaube muss ihren Fressnapf offensichtlich mit einem Raben teilen. Erschrocken sitzt sie auf dem Dachfirst des Restaurants. Immerhin ist sie wieder geflogen.

Dauergespräch

Auf dem Zeichentisch liegt ein Blatt, das ich gestern mit Bleistift und einem roten Aquarellstift machte. Ist das der lange hinausgeschobene Anfang einer neuen Reihe? Ich übernahm die Schwünge aus den Buchmalereien und fügte ihnen Dreiecksgitterstrukturen hinzu, die sich zwischen den Kreuzungspunkten der Gravitationslinien, die ich mit Punkten verstärkt habe, entspinnen. Drei Linienverdichtungen stellen solche Beziehungen untereinander her, wie sie zwischen Sternenhaufen bestehen können.

Die Eröffnungsveranstaltung von „Frankfurt liest ein Buch“ fand gestern in der Nationalbibliothek statt. Es geht um den Roman „Benjamin und seine Väter“ von Herbert Heckmann, der schon in den Sechzigerjahren entstanden und damals vom Fischerverlag herausgebracht wurde. Jetzt ist er neu aufgelegt vom Schöfflingverlag, der auch federführend für diese Veranstaltung ist..

Das Dauergespräch mit den lebenden und toten Vätern wird auch durch dieses Buch in Gang gehalten. Die Kindheit eines Jungen ist davon geprägt, dass er seinen Vater nicht kennt. Der unbekannte, ferne Mann, der sich vielleicht in Amerika aufhält, ersteht in der Phantasie des Jungen immer wieder anders. Das ist jedenfalls mein Eindruck, nachdem ich die übliche, vielköpfige Lesung am gestrigen Abend gehört hatte.

Heute Abend spielt Bob Dylan mit seiner Band in der Festhalle. Wir haben Karten und sitzen ziemlich weit vorne.

Spur der Schönschrift

Die Spur der Schrift, z.B. der Gravur, der Tinte oder der Bilder, egal wie sie sich materialisiert, führt durch die Räume aus Zeit. Um die Teppiche meiner Kindheit richten sich Wände auf mit Türen durch die Gerüche hereinwehen. Über Wegen, die ich gegangen bin, wölben sich Stadträume mit Geräuschen auf.

Jetzt, als ich eine CD in das Laufwerk meines Rechners schob, war ich nicht darauf gefasst, dass das Programm die Musik gleich von alleine abspielt. Deswegen setzte sie überraschend ein und es entstand die Wiener Wohnung in meinem Hirn, in der ich zwei Monate gelebt habe, während ich den „Handprint Wien“, eine Wanderung in der Form meines Handabdrucks auf der Stadtkarte, durch die Straßen wanderte.

Meine Gastbrieftaube, die ich auf den Namen Lord Nelson taufte, hat wieder ihre Reise angetreten. In den letzten Tagen lief sie mir hinterher und wollte mit Hartkäse gefüttert werden. Dann kam ich mit Sesam, den sie verschmähte und nun das Weite suchte. Die Fortsetzung ihres Fluges passt besser zum Taufnamen, als wenn sie sich weiterhin bei mir durchgefressen hätte.

In den Buchmalereien führt mich die Spur der Schönschrift und der Rohrgeflechte immer weiter in die Kindheit hinab. Am kommenden Wochenende werde ich zu einem Treffen der Schulklasse fahren, mit der ich fast zehn Jahre verbrachte.

Erinnerungsorbit

Ein eingeübter Umgang mit den Erinnerungen besteht im Kreisen der Schwünge der Rohrgeflechte der Teppichausklopfer. Die Bilder, die dadurch entstehen befinden sich nun meistens innerhalb der Buchmalereien. Dort werden sie verwischt, abgespalten, werden zum Medium der Erinnerung, Gravitationsschwünge in einem Bilderinnerungsorbit.

In den Wohnungen, die ich als Kind mit meinen Eltern bewohnte lagen Teppiche. Ich erinnere mich an den Staubsauger, der die Form einer länglichen Bombe hatte. Er lag mit seinem Rüssel auf dem Teppich im Flur der Wohnung in Gerode, als mich mein Vater schickte, den Teppichausklopfer zu holen. Die Mutter verschwand im Nachbarzimmer.

Jetzt höre ich Chat Baker und Tom Waits. Es ist ein grauer, kalter Sonntag, der schon mit vielen Dingen angefüllt ist, die erledigt werden sollen. Das Stundenraster verstellt mir die Zeit. Ihr Fluss stockt rhythmisiert, was ich vergessen will zugunsten der Schwünge der Behaglichkeit.

Dann gieße ich die Pflanzen, die ich im Atelier für das Gärtchen gezogen habe, füttere die Brieftaube, die es sich so langsam in Gärtchen meiner Fürsorge einrichtet.

Songlines des 3d Druckers

Als benötige er Songlines für seine skulpturalen Schichtungen, singt der 3d Drucker eine dreidimensionale Partitur nach, die ihm die Wege der einzelnen Schichten weist. Diese Arbeit an der Figur für den Gründerpreis der Stadt Frankfurt macht Spaß, dauert aber. Ich habe mich zunächst wieder in diese Technik und in die Veränderungen einzuarbeiten, die die neuen Softwaren mit sich bringen.

Eine kleine Probefigur habe ich bereits ausgedruckt. Eine zweite ist in Arbeit. Die kubistische Struktur, die ich anstrebe, wird eigentlich von den Bearbeitungswerkzeugen vermieden. Da muss man Tricks anwenden, um sie zu behalten. Bei den größeren Exemplaren, die dann von Spezialisten ausgedruckt werden sollen, wird das sicherlich besser. Ich dachte schon, die Abstufung der Preisfiguren vom 1. bis zum 3. Preis, mit der Dichte der Auflösung des Dreiecksgitternetzes zu verknüpfen. Wenn ich die Dreiecke ganz stark reduziere entstehen wieder ganz andere abstrakte Gebilde. Dazu ließen sich längere Versuchsreihen herstellen mit seriellen Ergebnissen.

Die Lust zu zeichnen treibt mich um. Die aktuellen Arbeiten halten mich ab, worüber ich aber nicht traurig bin, denn die Erfahrung lehrt, dass es nicht falsch ist, manchmal etwas abzuwarten, bis sich zusammengeballt hat, was dann nach längerer Zeit zur Form wird.

Gebrüll

Eine Funktion von Drama ist Totenbeschwörung – der Dialog mit den Toten darf nicht abreißen, bis sie herausgeben, was an Zukunft mit ihnen begraben ist.“

Das ist aus den „Gesammelten Irrtümern 2“ von Heiner Müller.

Mit geht ein Interview mit einer türkischstämmigen Wählerin durch den Kopf, in dem sie sagt, Erdogan hätte einen Charakter aus Gold. Die Demokratiefähigkeiten des Wahlvolkes scheinen sich zurückzuentwickeln. Die Lautstärke rassistischer, wenig gebildeter und nationalistischer Menschen ergreift fähnchenschwenkende Massen. In den migrantischen Parallelgesellschaften, deren Kultur mit Abschottung viel zutun hat, keimt eine Haltung, die dem Faschismus immer breiteren Raum einräumt. Ich komme mir eingekreist vor. Überall nimmt das Gebrüll wenig reflektierter Parolen zu.

Ich freue mich auf die digitale skulpturale Arbeit an der gescannten Figur. Vorher will ich weitere Tische abräumen, um Platz für die verschiedenen Ansätze der Weiterarbeit zu schaffen.

Eine Brieftaube hat sich auf der Wiese niedergelassen und weiß nicht so recht wohin. Ich habe sie etwas gefüttert, weil sie recht zutraulich ist.

Gerstl

In der Schirn Kunsthalle sahen wir gestern die Bilder des Wiener Malers Richard Gerstl, der sich im Alter von fünfundzwanzig Jahren spektakulär das Leben genommen hatte. Seine letzten Werke zeugen von einem großen Weitblick. Finanziell unabhängig konnte er sich ganz dem Experiment widmen und tat dies auch. Und das ist, aus heutiger Sicht, sein großes Verdienst, dass er aus dieser Situation wirklich Neues geschaffen hatte. Wir schauten lange auf diese letzten Bilder, die von der grausamen Energie sprechen, die er letztlich gegen sich selbst richtete. In den Bildern gilt der expressive Gestus den Figuren eines Freundeskreises um den Komponisten Schönberg. Zu seinen Kollegen hatte er keinen Kontakt, ein einsamer Sonderling mit Weitblick. Dazwischen aber auch versöhnliche Freiluftmalerei, wie sie mir aus den Achtzigerjahren aus meiner eigenen Arbeit an die Oberfläche kommt.

Ich habe die Werkbank leer geräumt. Das soll der Beginn von Aufräumarbeiten sein, die mir mehr Platz verschaffen. Wofür ich den brauchen werde, ist noch nicht sichtbar.

Eine Scanfirma wird meine Figur scannen, um mir dann die Datei zuzuschicken. Ich kann dann damit weiterarbeiten, um sie für einen Ausdruck für die Wirtschaftsförderung fertig zu modellieren. Ein neuer 3d Anlauf.

Ansonsten Organisations- und Transporttage, die keine Zeit für bildnerisches Arbeiten übrig ließen. Außer den Buchmalereien natürlich. Oben, eine gewischte Zunge. Beinahe wäre sie dem Weitermalen zum Opfer gefallen.

Archäologie

Nordostwind, Schneefall, Temperatur knapp über Null. Aber es ist April, und gleich kann eine Wolkenlücke dafür sorgen, dass sich das Atelier schnell erwärmt und Bewegung in die Eidechsenhemisphäre des Gärtchens kommt.

Organisationstag gestern. Ich muss mit Zeit nehmen für die letzten Schritte eines Förderantrages, mich mit Alexander treffen. Die Gründerpreisfigur, die ich vor über zehn Jahren entwarf und deren Datei nicht mehr existiert, soll nun vervielfältigt werden. All das ist zeitaufwendig. Firmenbesuche, Besprechungen, Transporte usw.. All das verträgt keinen Aufschub mehr.

Derweil schwingen die Gravitationslinien der Schönschreiberinnerungen und Rohrgeflechte innerhalb der Buchmalereien ineinander, werden verwischt, um sich wieder neu zu organisieren. Eine Struktur, die das Zeug hat, sich zu verdichten. Das ist Archäologie, graben nach Erinnerungen.

In der Collage entstand durch Zufall eine kleine schwarze Figur, die meinen alten Oryxantilopenzeichnungen ähnelt. Sie würde sich für den Ausgangspunkt einer plastischen Figur eignen.

Schönschrifterinnerung

Atelier. Am Zeichentisch. Kalter Morgen.

Über die Ostertage gab es keinen Grund, ein Arbeitstagebuch zu führen. Die Buchmalereien, die ich in der Zwischenzeit gemacht habe, entwickelten Binnenzeichnungen, Linien, die die Kreuzungspunkte der Schönschrifterinnerung mit denen der Rohrgeflechte verbinden. Das ist auch oben in der Collage sichtbar, zusammen mit einem Stück Landschaft aus einer Animation zu „Bildbeschreibung“ von Heiner Müller.

Feiertage verlangsamen die Bilderproduktion, mit der ich über mein Gedächtnis nachdenke.

Zwischen den zaghaft sprießenden Seerosen in der Zinkwanne, schwammen die Reste einer jungen Amsel, die wahrscheinlich von einer Elster dort zerteilt und gefressen wurde. Ein paar von ihnen belagern das Gelände.

Eine vergleichsweise belebte Arbeitswoche steht an. Ein erster Termin ist aber schon auf morgen verschoben. Ich kann alles ruhig angehen.

Die Türken in Deutschland haben einmal mehr unter Beweis gestellt, dass bei ihnen die Uhren schneller rückwärts laufen, als in ihrer Heimat. Mit deutlicher Mehrheit haben sie für die Verwandlung ihrer schwierigen Demokratie in eine offene Diktatur gestimmt. Das ganze Fähnchenschwenken von Menschenmassen befremdet mich deutlich.

paste and copy

Ein Aquarell vom Januar 1984 liegt auf dem Zeichentisch. Ich habe auf diesem Blatt drei Figuren in einer Probebühnendekoration angedeutet. Es ist auf den Proben zu Nibelungen in Dresden am Staatsschauspiel bei Wolfgang Engel entstanden, zwei Monate vor meiner Ausreise in den Westen. Oft treffen sich weiche Formen, hier vom Bühnenlicht nur schwebend angedeutet, mit den klaren konstruktiven Linien einer Gegenwelt.

Solche Konstellationen tauchen auch immer wieder in den täglichen Buchmalereien auf, wie z.B. gestern. Mit den konstruktiven Strichen nahm ich die Linien der Haut meines Handballens auf, den ich dazu benutze, Farbflächen per Abdruck von einem zum anderen Format zu übertragen (paste and copy). Auch diese etwas verwaschenen Abdrücke sind zumeist schwebende, weiche Formen, denen Klarheit gegenübergestellt wird.

Unversehens gerate ich wieder in die Bereiche der 3d Scantechnik und der drucktechnischen Vervielfältigung von Skulpturalem. Gestern im Einkaufszentrum MyZeil besuchte ich einen Bodyscanladen, der die Scanergebnisse ausdruckt. Es entstehen zumeist schrecklich anzuschauende Figürchen von realen Personen. Dort kann jedoch meine kleine Figur nicht vervielfältigt werden.

Für mich aber sollte ich wieder die Arbeit an virtuellen Reliefs aufnehmen, die aus Zeichnungen entstehen. Die könnte ich dann mit meinem kleinen 3d Drucker herstellen und zu Mosaiken zusammensetzen. Die Rohrgeflechtornamente wären ein Gegenstand für eine solche serielle Komposition.

Alte Animationen

Die alten Animationen, die ich nun wieder anschauen kann, sind aus dem Mangel von Speicherkapazität reduziert und konzentriert auf das Wesentliche entstanden. Diese Form der Gestaltung bietet meiner heutigen Produktion Anstöße, denen ich genauer nachgehen sollte.

Es hat einen besonderen Reiz, sich des alten Materials mit den aktuellen Herangehensweisen zu bemächtigen. Ich könnte mir vorstellen, Auszüge davon auszudrucken und auf Transparentpapier zu übertragen. Dann würde sich erweisen, welches Potential für eine Weiterentwicklung und Verdichtung der gegenwärtigen Arbeit darin liegt.

Besprechung des neuen Vorhabens mit dem Fosterhochhaus und Landmarken, die man von den oberen Etagen aus sehen kann, im Museum, Überlegungen eine alte, in der HfG gefräste Figur zu exhumieren und als Preisfigur für den Gründerpreis der Wirtschaftsförderung zu nutzen und ein Holzworkshop mit Jugendlichen, sind ein paar Ablenkungen von meiner eigentlichen Arbeit, die ich mir ganz gerne gefallen lasse. Etwas Abstand kann produktiv sein.

Meine innere Bereitschaft zur Präsentation meiner Arbeit schwankt. Diese Instabilität will ich erst einmal vorbeigehen lassen. Vielleicht ist das aber auch nur Bequemlichkeit.

Floppy Disk

Unter der späten Einspielung der Goldbergvariationen von Glenn Gould tritt die Stimme des Pianisten wie ein Echo aus seinem Untergrund hervor. Das Versmaß des Gehens verlangsamt sich, als möchte es die Zeit zum Anhalten bringen oder zumindest ihren Lauf verzögern, die Sanduhr waagerecht stellen.

Und die morgendlichen flachen Sonnenstrahlen vom Horizont durchdringen meine Haut bis in die Schichten der verborgenen Deformierungen. Deren Bewegungen verlangsamen sich in den warmen Wellen. Flechtmusterringe treten wie überwucherte Einschlüsse an die Oberfläche der Haut. Manchmal liegen Eidechsen in solchen Mustern auf den Steinen meines Gärtchens und erinnern mich.

Bei der Suche nach einer alten Datei, die ich an der HfG zu einer Skulptur fräsen ließ, stieß ich auf ein Werkzeug, mit dem ich meine alten Animationen wieder zum Leben erwecken kann. Also stöpselte ich mein Floppy Disk Laufwerk ein, staubte die Kiste mit den Disketten ab, und speicherte das Material zu Bildbeschreibung, das ich in den Neunzigern inszenierte, zur Oper, an der ich mit Glass und Lessing arbeitete, zu andere Opern, zu Ballett und Schauspiel auf meine Festplatte. Ich schaute gespannt auf die Ergebnisse dieser sehr produktiven Phase meines Lebens. Eine Quelle der Inspiration bis heute.

Während der Morgengänge ins Atelier schaue ich auf die Baustellen, speichere täglich ein Bild ab, das ich irgendwann im Gehirn mit allen anderen zu einer Animation verbinden kann.

Nachkriegskindheit

Ein Telefonat mit meinem Vater mündete gestern in Erzählungen aus seiner Nachkriegskindheit. Er sprach über die Abwesenheit seines trinkenden Stiefvaters und darüber, dass er mit seiner Schwester währenddessen Lebensmittel organisiert hat. Straßengangs aus den zerbombten Vierteln Berlins, Güterwaggons voller Kartoffeln und Zuckerrüben, alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde bei Altwarenhändlern oder auf dem Schwarzmarkt versetzt für Essen. Sicherlich hatte diese Welt eine abenteuerliche, spielerische Seite. Andererseits prägte die Gnadenlosigkeit dieser Mangelwelt den Alltag. Seine Schwester verbarg stets ihre Herkunft. Auch mit ihren Kindern sprach sie nicht über die Lebensumstände dieser Zeit, derer sie sich bestimmt geschämt hätte.

Die Liebe der Großmutter zu dem fahrenden Handwerker Oskar, der sich bald wieder, nachdem er zwei Kinder mit ihr gezeugt, aus dem Staub gemacht hatte und die „Versorgungsehe“ mit Paul, dem trinkenden, oft abwesenden Buchhalter, mit dem sie zwei weitere Söhne zeugte, sind Eckdaten einer nach Familienhalt suchenden Existenz.

Den Sonntag verbrachten wir im Gärtchen, lesend, Tonscherben zerschlagend, pflanzend und trödelnd. Das Refugium wird zu einem Rückzugsraum.

Über der Kuppel der Eidechsenhemisphäre taumelt ein großes, schwarzes Insekt auf der Suche nach Futter und einer Höhle für die Nachkommenschaft.

Assoziationskolonnen wiederkäuen

Nachts wehen Worte vorbei. Wenn ich sie einfange, klingen sie wie:

Zwischen dunklen Eiben schimmern matt Scheiben Schnee.

Warum sie da ein Reim aufhält ist, bleibt mir verborgen. Vielleicht erschien ein memoriender Laufrhythmus. Erinnern im Schrittmaß.

Nämlich die Gespenster schlafen nicht

Ihre bevorzugte Nahrung sind unsere Träume.“

So zitiert Aleida Assmann in ihrem Buch über Erinnerungsräume, Heiner Müller aus „Mommsens Block“.

Übrig bleiben die Assoziationskolonnen, die wiedergekäut werden, wie alte Geschichten, die jeder zu kennen glaubt.

Jetzt lieber Gartenarbeit. Es ist Sonntag und es ist der wärmste Tag seither in diesem Jahr.

Träume waschen Maschinen

Von den Linien der letzten Bleistiftzeichnung, die ich machte, als benötigte ich einen Anker in der Leere, geht eine Suggestion aus.

Schlafmaschinen waschen die Träume.

Wäsche träumt den Schlaf.

Träume waschen Maschinen.

Gerede um Kopf und Kragen. Ich schalte Musik ein und gönne mir eine fast zehn Jahre alte Klangerinnerung an die Morgen in Wien, an denen ich zwei Monate lang die zwei bekannten Einspielungen der Goldbergvariationen von Glenn Gould gehört habe, die er 1955 und 1981 aufgenommen hat.

Dann nehme ich mir die Flusslandschaft vor, die ich 1981 radiert habe, die mit einer kleinen Malerei von mir zusammenhängt, die Grau in Grau an einer der Atelierwände hängt. Kein jugendlicher Schwung, wie Goulds Einspielung von 1955. Es ist, als hätte es den bei mir nie gegeben.

Wenn ich tiefer in die Schichten grabe, die vor 1981 liegen, kann ich das mit meinen Tagebuchaufzeichnungen machen. Doch es erscheint mir mühselig, die Texte des jungen Mannes zu lesen. Leichter ist es, über andere Erlebnisse, an das Vergrabene heranzukommen.

Ornamental

Nach einer Pause, begann ich nun ernsthaft mit den Gravitationsschwüngen der Rohrgeflechte zu arbeiten. Es kostet immer etwas Überwindung, diese Formen kreisen zu umschreiben, sie deutlich aufs Papier zu bringen, um sie dann durch verwischen oder durch Hautabdrücke des Handballens abzuschwächen, übereinander zu schichten und dann wieder zu verstärken.

Gestern machte ich auch an der Frottage des Teppichausklopfers auf Leinwand weiter, verdichtete sie mehrfach. Und es entstand eine Bleistiftzeichnung auf Papier, aus der noch eine Reihe von Arbeiten münden kann. Die Art des Zeichnens stammt noch aus Naturstudien der Achtzigerjahre.

In der Nacht entstanden auch Blätter vor meinen Augen, die mit diesen Ornamenten so verfahren, wie die „Synaptischen Kartierungen“. Also Schelllackflächen, Graphitzeichnungen und Tuscheornamente übereinander, alles feucht in feucht. Dann wird das Ganze schnell zusammen und wieder auseinandergerollt. Die Schlieren, die entstehen, verdrängen die narbigen Linien teilweise oder ganz. Zunächst könnte ich das auf Rolle 6 ausprobieren, wie das schon seit Jahren übliche Praxis ist.

Angelegt habe ich das alles in den Buchmalereien, in denen auch heute Vormittag Hautstrukturen und Rohrgeflechtlinien zusammengeführt werden.

Schichten malträtierter Haut

Auf die Spitze der Feder schauend, mit der ich schreibe, verfolge ich den Fluss der Tinte auf und ab an einer imaginären Linien von links nach rechts, entsprechend meiner kleinen Handbewegungen und denen des Unterarmes. Ich sehe, wie ich denke.

Aufstehen vom Zeichentisch, ins Gärtchen schauen, Amseln verscheuchen, die meine jungen Pflänzchen der Kapuzinerkresse herauswühlen, Kaffee kochen und nach dem Wetter sehen.

Gleichzeitig kann ich beobachten, wie ich durch die Konzeptionsarbeit der letzten Tage, tiefer in die Möglichkeiten vordringe, die das Thema der Landmarken bietet. Mit Herrn Schnebel könnte ich über Weitblick und Perspektivwechsel sprechen, würde auch ganz gerne mit Erwachsenen zu diesen Gedanken arbeiten.

Die Linien der nachgezeichneten Schwünge der Rohrgeflechte, etablieren sich mehr und mehr als Abdrücke meines Handballens, der sie aufnimmt, weitertransportiert und mit der Struktur der Haut in das nächste Format der Buchmalereien einfügt. Diese Struktur zu verdichten, wäre der nächste Arbeitsschritt.

Schichten malträtierter Haut.

Treibhaus

Nach der Ruhezeit im Wineckertal, setzt eine Form der Beschleunigung ein, die vielleicht vom Treibhausklima herrührt, das auch an diesem Morgen mit flachem Sonnenaufgangslicht das Atelier auf 26° aufheizt.

Eine ganze Weile, vielleicht dreieinhalb Stunden, saß ich gestern noch an der Konzeption für das Commerzbank-Tower-Landmarkenprojekt. Und nun erinnere ich an Herrn Schnebel, einen Mitarbeiter der Bank, der im Bereich Risikobewertung arbeitet. Mit ihm traf ich mich, um über Zusammenhänge von künstlerisch / serieller- und Finanzarbeit zu sprechen. Er meldete sich auch zwischendurch noch mal. Vielleicht ist dieses Projekt zunächst etwas zu banal für unsere Gespräche, aber daraus könnte sich ja was entwickeln. Ich werde ihn mal kontaktieren.

Am Morgen dachte ich, während der Nacht der Museen, das Bild zu zeigen, das ich vor ein paar Monaten abgespannt habe. Es könnte im „Balken“ ein anderes Gewicht bekommen, als im Atelier.

Die Bilder meiner Rohrgeflechtverwischungen haben etwas von harmlosen Brezelgeschichten. Wenn ich aber die verflochtenen Linien mit denen der Haut meines Handballens beim Handabdruck vermische, bekommen die Schwünge andere Bedeutungen.

Das Leben als Projekt

Die kreisenden Rohrgeflechte gehen in eine Spiralstabwicklung über. Sie bildet den langen Griff, den man weit unten festhalten sollte, um mit viel Schwung auf den Teppich, der über einer Klopfstange hängt, einzuschlagen. Der Staub quillt dann meistens wolkig aus der Rückseite hervor. Klopfstangen waren auch Spielgeräte für uns, an die man sich dranhängen konnte.

Jetzt verwische ich diese Flechtornamente, rufe die Erinnerungen an sie wach und wische sie anschließend weg. Die farbigen Schwünge bieten innerhalb der gewischten Flächen reiche Spektren für das Vergessen.

Gestern versuchte ich mich noch mal auf das Konzept des nächsten Vorhabens zu konzentrieren. Es geht um eine thematische Gliederung des Ganzen in einzelne Wanderungs- und Gestaltungsphasen, die sich dann im Hochhaus in einer Ausstellung verknüpfen sollen.

Am Abend las ich in dem Buch, das mir meine Tochter zum Geburtstag schenkte. Die Autorin ist Künstlerin, Schauspielerin und Filmemacherin und hat sich den Künstlernamen Miranda July zugelegt. Der aufkeimende Zweifel an der analogen Existenz ihrer Person, zwischen den Flächen und Räumen der Selbstdarstellung, zeigt die Pose einer Kunstfigur, die die Protagonistin zu leben versucht. Die springt auf eine der Seinsmöglichkeiten auf, wie auf ein Motorrad einer ausgewählten Marke.

Das Leben als Projekt.

Geflechte | Gravitationsschwünge

Atelier, Montag, in meinem Gehäuse zwischen den Regalen, auf dem Korbsessel vor den Gärtchen.

Wie immer nach einer Reise, ist Arbeit nachzuholen. Die Buchmalereien der letzten Woche müssen gescannt werden. Dort haben sich Ornamente etabliert, die zwar den Gravitationsschwüngen ähnlich sind, aber die Rohrgeflechte der aus der Mode gekommenen Teppichausklopfer nachzeichnen und miteinander verschlingen. Die gelegentlichen Verwischungen möchten das Ornament auslöschen oder zumindest in den Hintergrund drängen.

Meine Frottagen, die sich mit den Bögen der Bambusrohre beschäftigen, sind noch nicht weiter gegangen. Dafür benötige ich mehr Ruhe und ausschließliche Konzentration auf dieses Thema.

Derzeit sitzt mir noch eine Projektbeschreibung im Kopf, die ich in dieser Woche weiter konkretisieren will. Es gibt viele Vermittlungsaspekte, die beschrieben werden sollten, um das Potential des Vorhabens zu verdeutlichen.

Bambusbögen

Ein Muster, das durch die Frottage des Bambusgeflechtes eines alten Teppichausklopfers, den ich im Abfall einer Haushaltsauflösung fand, entstanden ist, beginnt nun in meinem Kopf ein eigenes Bilderleben. Abgesehen davon, dass die Gravitationsschwünge, die allenthalben innerhalb meiner Arbeit auftreten, dem Geflecht ähneln, sind die offenen Enden der Bögen, die dadurch entstehen, dass die Frottage nicht zu den Stellen gelangt, die im Geflecht unten sind, weiter weisende Kräfte, die in andere Räume zeigen. Dieser viel versprechende Vorgang findet seine Weiterentwicklung zunächst nur gedanklich. Ich bin bislang noch nicht bereit gewesen das weiter zu vertiefen.

Mein Ateliervormittag begann damit, dass ich die Pflanztöpfe draußen im böigen und kalten Ostwind mit etwas Wasser versorgte. Gestern füllte ich sie mit Komposterde auf, die zu hoffentlich üppigem Wachstum auf dem Beton führt.

Dann fotografierte ich das Wachstum der Kletterpflanzen in ihrem Frühbeet, hier innerhalb der Scheiben. Manche Schösslinge können die festen Samenköpfe, in denen die ersten Blätter auf das Licht warten, nicht sprengen und enthaupten sich dann selbst. So stehen ihre grünen Rümpfe nutzlos wartend in der Erde.

Gleich gehe ich einkaufen, um dann zu kochen. Mal sehn, wie viele Kunstschüler kommen, um mit mir zu essen. Ich habe auch noch einiges an Konzeptionsarbeit für das neue Projekt zu machen.

Langsamkeit und gefiltertes Licht

Langsames Arbeiten – alle Zeit der Welt, genieße die Geräusche der Umgebung, schaue vor meine Füße im Garten. Kühler, grauer Morgen, Sonne hinter Schleiern. Kein Stress für die Pflanzen, die sich draußen nun wieder an das direkte Licht gewöhnen müssen. Eidechsen sind noch versteckt. Die Nachbarn fragen schon nach ihnen.

Das Konzept für das Landmarkenprojekt habe ich um einen Ablaufplan erweitert. Anhand des Umgangs mit einer Landmarke erläuterte ich, wie ich mir die Reihenfolge der Arbeiten vorstelle. Wir werden viel unterwegs sein. Noch mal Stadterkundungen… Dem werde ich aber auch genügend Zeit im Atelier entgegensetzen, denn die Arbeit dort läuft konzentrierter. Immerhin haben wir es wieder mit Kartierungen, Fundstücken und Texten zutun Collagen daraus können spannend werden.

Gestern habe ich begonnen, mit dem Bambusrohrgeflecht der Teppichklopfer Frottagen auf Leinwand zu machen. Zunächst benutzte ich Graphit, kann mir aber auch mit einem Lappen gewischte, etwas trockenere Tusche vorstellen.

Die Buchmalereien sind heute etwas zerfleddert. Verschiedene auseinanderstrebende Motive entstanden aus immer den gleichen Gravitationsschwüngen. Wenig äußerer Zusammenhalt. Aber abwarten, was sich bei längerem Hinschauen noch entwickelt.

Bambusrohrgeflecht

Die große Sukkulente, der schwerste Pflanzenbottich, der nach draußen zu transportieren ist, habe ich mit dem hilfsbereiten Nachbarn hinaustransportiert. Derzeit halte ich mich gerne mit diesen Arbeiten auf. Eine Lust auf körperliche Arbeit, kühle, feuchte Luft, Erde und Wachstum, hält mich im Frühling im Garten gefangen. Die wenigen anderen Gewächse, die nun noch drinnen hinter den Fenstern des Rolltores stehen, schaffe ich alleine nach draußen.

Weil das Schreiben der Texte für den Projektantrag so viel Zeit und Kraft benötigt, habe ich derzeit keinen Raum mehr für andere künstlerische Arbeiten. So halte ich mich an den Buchmalereien fest, die in steter Regemäßigkeit an jedem Vormittag entstehen.

Auf einem meiner Rechner läuft eine Abfolge von etwa tausend Collagen, die ich aus der täglichen Arbeit zusammengestellt habe. Das macht mir so viel Freude sie zu sehen, dass ich manchmal skeptisch bin, meine Arbeit nicht kritisch genug zu betrachten. Aber ich finde die meisten Formate voller Spannung und mit vielen Geschichten angefüllt. Das wird besonders deutlich, wenn man sie in einer „Diashow“ nacheinander, in Ruhe anschauen kann.

Das Geflecht eines Teppichausklopfers, mit seinen ineinander verschlungenen Schwüngen, wäre ein passendes Objekt, um das Doppelportrait der Väter, per Frottagen dieser Bambusverschlingung, das Marterinstrument der Kindheit, auf die große Leinwand zu bringen.  Nur eine von vielen Ideen. Ich probiere das mal auf den Leinwandresten, die auf einem der Tische liegen, aus.

Landmarken

Die erste Version eines Konzeptes für das „Landmarkenprojekt“ habe ich gestern ans Museum geschickt. Nun sind noch die pädagogischen Seiten der Arbeit zu finden und zu formulieren. Ich kann mich dabei an die konzeptkünstlerische Struktur halten, um tiefer in die Vorgehensweisen vorzudringen. Die einzelnen Ansatzpunkte, die nacheinander zur Geltung kommen, bergen Erfahrungsschätze, die noch nicht formuliert oder gedacht worden sind.

So kann man beim Zeichnen Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden lernen. Dem Wichtigen verschafft man durch Kontraste und Komposition die entsprechende Aufmerksamkeit. Die Zeichner der Romantik können hier Pate stehen. Perspektiven, Strukturen und Gegensätze von moderner Architektur und Landschaft, verschaffen differenziertere Blicke auf Probleme, die mit dem Wachstum der Stadt zusammenhängen.

Wenn man die einzelnen Arbeitschritte als Strukturpunkte festlegt, kommt es darauf an, mit den Verbindungslinien zwischen ihnen, die nächste Dimension aufzumachen. Und die weiteren Verknüpfungen sorgen für den umschriebenen Raum, in dem die Arbeit stattfindet. Die Fähigkeiten, die hiermit erworben werden, sind in alltäglichen Situationen abrufbar. Das muss beschrieben werden.

Am Abend nach der Konzeptionsarbeit stellte ich alle restlichen Pflanzen aus den Regalen nach draußen in den Garten vorm Atelier. Dort regnet es nun kühl auf sie herab. Auch die Regale, die den ganzen Winter vor den Fenstern standen, stehen schon draußen in der einen Rolltornische und rahmen meinen Korbstuhl ein.

Zeichnend beschreiben

Landschafts- und Architekturzeichnungen, die sich mit Horizonten, Konturen, Wegen, Sichtachsen, Perspektiven und Materialität beschäftigen, spielen im neuen Projekt eine Rolle, das ich mit „meinem“ Museum unternehmen möchte. Gegensätze von Innen und Außen, von Nähe und Ferne und von unterschiedlichen Größen, sollen die Spannung erzeugen, die der Arbeit ihre Energie verleihen. Ein Element der Nähe, sind die Fundstücke, die zu Füßen des Commerzbanktowers und an den Landmarken zu finden sind, die von dort aus angesteuert werden. Die fernsten Elemente sind dabei die Horizonte, die Wolken darüber und die sichtbaren Planeten.

Eine Arbeitsweise, die der Landschaftszeichnung vorausgehen kann, ist die sprachliche Beschreibung dessen, was ich sehe. In welcher Reihenfolge ordne ich die Dinge in meinem Blick, wie wandern meine Augen von Punkt zu Punkt? Was spielt sich unter all den Dächern dort unten ab?

Gestern, am späten Nachmittag räumten wir weitere Pflanzen aus dem Atelier in den Garten. Er wächst jährlich etwas und in seinem Inneren, zum Rolltor des Ateliers hin, entsteht dadurch etwas mehr Bewegungsraum, dass ich die Pflanztöpfe weiter in die Peripherie rücke. Die Tonscherben, die sich durch zerbrochene Gefäße angesammelt haben, wurden mit einem Hammer auf einem großen Pflasterstein zu kleinen Stücken zerschlagen, die wir unter die Pflanzerde mischen wollen. Das soll mehr Feuchtigkeit halten.

Verwischte Worte

Jetzt im Atelier.

Zuvor waren wir am Main spazieren und sahen die Wolken schnell nach Osten davonschwimmen, den landenden Flugzeugen entgegen.

Mir ist nicht nach schreiben.

Schrift aber beginnt in den Buchmalereien eine Rolle zu spielen. Das kommt ab und zu vor. Was passiert mit dem Wort, wenn es verwischt wird?

Ajanta und Ellora in Maharashtra gehen mir durch den Kopf. Vielleicht fahren wir noch mal dorthin, um uns die Höhlen erneut anzuschauen. Nach all dem, was wir seit unserem letzten Besuch dort sahen, würde sich dies, wegen des veränderten Blicks, noch mal lohnen. Der Naturschützer, mit dem wir auf einem alten Elefantenweg in Rajastan wanderten, sprach vom ältesten Gebirgszug der Welt, der sich zwischen Mount Abu und Hampi erstreckt. Dazwischen liegen die berühmten Höhlen.

Reorganisation

Mein Kopf ist leer.

Ich höre Avo Pärt, als könnte der mich erlösen und meine Versuche, mich auf das neue Projekt zu konzentrieren, unterstützen. Dabei freue ich mich auf die neue Arbeit, sogar auf die Mittelbeschaffung dafür. Ich schreibe derzeit nur Assoziationsketten auf leere Bögen, aus denen ich dann die Texte ernähren will, die ich schon in der kommenden Woche ins Museum schicken sollte.

Reorganisation.

Der Kalender war in den letzten Wochen geschlossen geblieben. Die Arbeit am Väterprojekt hatte mich ganz und gar besetzt. Das strengte mich sehr an, wie ich jetzt merke.

Die Buchmalereien werden zarter und minimalistischer. Als müsste ich die wenige Kraft einteilen, die mir nach den Anstrengungen geblieben ist. Die Farbpalette schränkt sich ein, wie auch der Aufwand an zu verwischenden Linien.

Mir fehlen die Choreografien von Bill Forsythe. Jeder Abend steckte voller knisternder Kreativität der Akteure. Ohne die Company ist das Leben ärmer.

Sind die Gärten ein Trost?

Kunstschule

Bevor die vorhergesagten Regen- und Sturmwolken heranziehen, sitze ich noch mal in der Sonne vor dem Atelier. Außer den Buchmalereien, der Collage für den Arbeitstext und der Konzeptentwicklung im Freien draußen, unternahm ich gestern keine weiteren Kunstanstrengungen.

Mit meiner neuen Teleskopheckenschere stieg ich aber auf die große Aluminiumleiter, um die Buschwindrosenhecke noch mal so weit zurück zu schneiden, dass der Essigbaum, dessen Stamm ich schon mit Mühen vom Gesträuch befreite, nun auch Platz hat, um eine schöne Krone auszudehnen. Natürlich macht das Gärtnern besonders in diesem nettem Frühlingswetter Spaß. Bei der Kräutermauer entsteht ein Sitzplatz, dem vielleicht noch ein Tisch fehlt.

Ab und zu dachte ich daran, nach dem großen Väterprojekt, auch noch eines den Müttern zu widmen. Begonnen habe ich ja schon, denn die Rasterabbildung des Portraits meiner Mutter zeichnete ich mehrfach in den verschiedensten Konstellationen. Unter anderem versah ich eine Tigermaske damit.

Heute ist Kunstschule. Eingekauft habe ich schon. Gleich schäle ich Kartoffeln und mache dazu eine Hackfleischsoße mit Erbsen und Tomaten. Letzten Freitag gab es Hühnergeschnetzeltes mit Spitzkohl und Reis. Ich hatte eine riesige Portion gekocht, die gerade so gereicht hat. Ich freue mich auf meine Schüler und ihren Hunger.

Gärten | Landschaftszeichnungen | Konzept

Mit meinen Eltern sprach ich gestern über die Arbeit, die ich vorgestern zu einem vorläufigen Ende gebracht hatte und über die Familiengeschichten, die damit zusammenhängen. Weil sie etwas von meiner Arbeit sehen wollen, werde ich ihnen eine Reihe von Blättern ausdrucken, die die Schritte, die zu diesem Ergebnis geführt haben, erklären. Das könnte auch zu einer Ausstellungskonzeption führen.

An diesem sonnigen Morgen sitze ich wieder im Gärtchen. Um meine Füße herum finden quirlige Revierkämpfe der verschiedenen Eidechsenmännchen statt. Auf einen Blick zähle ich vier von ihnen, weiß aber, dass noch viele andere unterwegs sind. Ach, es zieht mich dauernd nach draußen vor das Atelier. In einem Frühbeet säte ich die Samen der Kletterpetunien aus, die im Sommer mein trockenes Gesträuch überwuchern. Da hinein, zwischen die brüchigen Schichten von Ästen, Gräsern und dornenreichen Ranken, steckte ich zwei der Farne, die ich aus La Palma mitgebracht habe. Ich glaube, dass sie es ganz gerne ein wenig luftig haben. Die Petunien will ich an verschiedenen Stellen des Geländes auspflanzen.

Aber gestern habe ich auch begonnen, das Konzept für das Landmarkenprojekt zu entwickeln. Das geschieht mit Zeichnungen und Wörtern. Vielleicht sollte ich das etwas lustvoller gestalten, mit Collagen aus den verschiedenen Elementen. Das könnte ich auf Transparentpapier machen, das mit verschiedenen Schichten Schellack zusammengehalten wird, zwischen denen Frottagen und Fundstücke zu finden sind.

Landschaftszeichnungen – eine schöne Aussicht. Ich gehe gleich mal mit einem Stift und Papier raus und probiere das so, wie früher.

Zusammenführung

Noch liegen die Materialien der Totenbücher, der Doppelportraits, der Scherbengerichte und des großen Re-Inkarnationsblattes auf dem Zeichentisch. Die letzten 164 Blätter, auf denen ich die einzelnen Scherben des Scherbengerichts IV weiterentwickelte und mit Nährflüssigkeiten aus Schelllack und Tusche versorgte liegen nun, wie die benutzte Hülle eines geschlüpften Schmetterlings auf einem lockeren Stapel, benutzt und abgearbeitet, in der Vergangenheit angekommen.

Nun ist das große neue Doppelportrait, die letztendliche Zusammenführung von Vater und Großvater, fertig geworden. Weitere Arbeitsschritte will ich nun noch nicht machen. Aber das Blatt hat schon eine Ausstrahlung, die nicht so leicht zu beschreiben ist. Welche Wirkung das aus wilden Konstellationen der Einzelscherben entstandene Bild über einen längeren Zeitraum entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Heute habe ich ein neues Buch für meine Aufzeichnungen angefangen. Es ist das einhundertfünfundzwanzigste. Vielleicht sollte ich sie tatsächlich durchnummerieren.

Die nächsten Vorhaben kann ich nun unbelastet angehen, kann die Mittel dafür überlegen und austesten. Es wird wieder um Stadtwanderungen gehen, um Fundstücke und um Landschaftszeichnungen, in deren Mittelpunkt eines der Hochhäuser des Stadtkerns stehen wird. Welches das sein kann, muss ich nun mit dem Museum klären. Am liebsten wäre mir der Fosterturm, in dem die Commerzbank residiert.

Gesträuche | Wurzeln

Die Prozesse, die zu den Liniengeflechten führen, aus denen Reliefs, Zeichnungen und Malereien bestehen, ziehen sich über viele Jahre hinweg. Im Rückzug auf diese Arbeit, entsteht ein stilles Werk. Bei näherem Hinschauen beginnt nun die Dichte zu blühen. Es ist als säße ich in einem der Gesträuche, die ich seit Wochen mit der Gartenschere forme. Es ist auch die Erinnerung an die Zeichnung „Gesträuch“, die ich vor vierzig Jahren vor einem kahlen Busch zwischen Waltershausen und Gotha anfertigte. Jetzt weiß ich, dass ich damals das Thema meines Lebens gefunden hatte.

Jetzt am Morgen nahm ich am kleinen runden Tisch hinter einem aufgeschichteten Gesträuch in der Morgensonne meines Gärtchens Platz. Vor mir liegt ein Tag, der noch keine Unterbrechungen bereithält. Ich kann mich dem Gesträuch widmen, das derzeit aus der Reinkarnation des Väterdoppelportraits besteht. Vor und nach einem Besuch gestern, zeichnete ich daran weiter und hoffe, das Blatt heute fertig zu bekommen. Erst dann glaube ich, mich auf die nächsten anstehenden Projekte konzentrieren zu können.

Am Kräutergarten schnitt ich die trockenen Pflanzenskelette vom vergangenen Jahr ab und schaffte so dem treibenden Grün der winterharten und mehrjährigen Kräuter mehr Licht. Eine zweite Weide setzte ich vor dem Atelier auf einen Spalt im Beton und hoffe, dass sie sich bald mit ihren Wurzeln in die Tiefe drängt.

Kletterpetunien

Nicht so streng, konzentriert und durchgehen arbeitete ich das ganze Wochenende durch. Immer unterbrochen von der lustvollen Arbeit auf der Wiese und im Gärtchen. Jetzt am Montag habe ich nicht das Gefühl, die Woche zu beginnen, eher wird das Frühjahr fortgesetzt.

Spaziergänger wurden gestern Zufallsgäste im Atelier. Ich nahm sie als Probanden und zeigte ihnen die Arbeitsschritte zum derzeitigen Stand meines gegenwärtigen Projektes. Das hat ihnen gefallen. Aber was wäre geblieben, wenn sie das Reinkarnationsblatt irgendwo gerahmt gesehen hätten? Dafür aber ist die Zeichnung auch nicht entstanden. Sicherlich würde sie dennoch einer längeren Betrachtung standhalten. So sollte es sein!

Wichtiger sind mir aber gerade die Kletterpetunien und ihre Samenkapseln, die ich gestern eingesammelt habe. Ich werde sie bald säen und dann an verschiedenen Stellen auf dem Gelände auspflanzen. In irgendeiner Ecke des Geländes, erinnerte ich mich, muss es noch einen saftigen Kompost geben. Den fand ich dann auch und vermischte ihn mit etwas sandigerem Boden. Das ergibt dann eine neue, weitere Schicht auf dem Beton vor dem Atelier.

Bald stehe ich wieder vor der Frage, wann der vertikale Garten hinter meinen Rolltoren aufgelöst und raustransportiert werden kann. Weniger frostempfindliche Pflanzen sind schon draußen. Denen könnten jetzt schon der große Drachenbaum und andere Palmen folgen. Etwas mehr Platz sollte in diesem Jahr f

Auflösungstendenzen

Sonntag.

Wolkenlos, etwas Ostwind, Flugtag. In veränderlicher Dichte starten die Maschinen über das Viertel. Besonders spürbar an einem Sonntagmorgen.

Gartenarbeit gestern. Eine Ecke der Wiese musste noch von trockenen Samenständen und Brombeeren des vergangenen Jahres befreit werden. Rosenhecken und Essigbäume treiben ineinander verflochten. In eine Hecke habe ich einen Tunnel geschnitten, durch den man sie nun passieren kann. Ein Berg von brennbarem Gartenschnitt hat sich wieder angesammelt…

Als die Sonne sank, zeichnete ich weiter am Reinkarnationsblatt, in dem sich die Väter begegnen. Dabei genieße ich die willkürlichen Auflösungstendenzen, die durch die Lücken der neuen Scherbenfüllungen als deutliche Zeichen der Erneuerung entstehen. Die Folgen bleiben offen. Bedeutungen bleiben zunächst nur für mich relevant. Falls andere Menschen diese Verdichtungen und Fragmentierungen betrachten, werden sie andere Assoziationen finden. Und wenn diese Arbeit kein Mensch mehr zu Gesicht bekommt, hat sie dennoch ihre Funktion erfüllt.

Vielleicht zielt die Begegnung der Väter ja auch auf den im Entstehen begriffenen Enkel. Wer weiß…

Träume | Pflichten

Mich zieht es hinaus ins Gärtchen, an den weißen Tisch in die Nähe meiner Eidechsen. Unter der Acrylkuppel sitzt die größte und wahrscheinlich älteste von ihnen auf den Steinen in der Sonne.

Gestern zeichnete ich die Splitter des Scherbengerichtes III auf das dritte Viertel des reinkarnierten Doppelportraits. Es ist, als wären die Atome noch in einer Orientierungsphase, würden sich nur zeitweise zu alten Mustern zusammenfügen und dann wieder voneinander streben. Das Spiel der Begegnung der Väter scheint ein komplizierter Prozess zu werden. Die Erfüllung des Wunsches des Sohnes, seinem Vater zu begegnen, könnte verkrampfte Härten lösen. Im Kontakt zu diesen Vorgängen, beginnt während des Zeichnens eine Suche nach Beziehungen der Träume des Großvaters zu den Pflichten des Vaters.

Joana hat gestern wieder eine großartige Wachsskulptur hergestellt. Wenn diese zarte, dennoch voluminöse Struktur von der Sonne durchschienen wird, mystifiziert sich die plastische Form. Fotos davon sah Vinzenz in unseren WhatsApp Verlauf und reagierte erfreut.

Ich bin so begeistert von dem schönen Wetter, dass ich das Zeichnen, das ich mir vorgenommen hatte, verschiebe und lieber etwas Gartenarbeit werkele.

Neue Sprache

Erstmalig in diesem Jahr sitze ich zum Schreiben draußen. Auch die Eidechsen wagen sich raus in die Sonne.

Ein Frühlingstag.

Gestern blieb ich lange im Atelier und zeichnete bis die Konzentration nachließ. Das reinkarnierte Doppelportrait beginnt nun ein Eigenleben zu führen. Die Strukturen erzeugen ein Bild, das viel mitzuteilen hat. Es spricht eine Sprache, die mir noch nicht verständlich ist. Die Gegenständlichkeit oder Erkennbarkeit des Motivs, bleibt ein Gang auf Messers Schneide.

Die erste Hummel brummt im Gärtchen, die Stimmen der Nachbarn treten auf und schallen, als handelte es sich beim Tevesplatz um eine Bühne aus Beton.

Heute kommen meine Kunstschüler. Ich hoffe dennoch, am neuen Doppelportrait weiterarbeiten zu können. Ich möchte es an diesem Wochenende fertig bekommen, um mich in der kommenden Woche um neue Projekte zu kümmern. Am meisten brennt mir da ein Vorhaben unter den Nägeln, bei dem es um die Blicke aus einem Hochhaus auf Landmarken geht.

Fehlstellen

Bisher bin ich in dieser Woche noch nicht richtig zum Zeichnen gekommen. Zwar begann ich gestern Vormittag die Splitter des dritten Scherbengerichtes in das neue Reinkarnationsmosaik einzufügen, kam aber nur bis zur Mitte in die Zwanzigernummern.

In den ersten etwa zehn Scherben einer jeden Überlagerungssequenz, sind die Binnengeflechte etwas schütter, was an der Technologie des Durchzeichnens zusammengerollter Linienstrukturen liegt. Das führt dazu, dass besonders in den dunklen Zonen des Portraits auffällige Lücken entstehen. Wenn diese Fehlstellen zunehmen passiert es, dass das Doppelportrait unkenntlich wird. Wenn sich aber die Lücken die Waage halten mit der intakten Reststruktur, entsteht dort das Entscheidende. Diese Bewegung fragmentiert den Gegenstand in der Weise, dass eine Chance entsteht, Neues innerhalb der lange bearbeiteten Linien der neu zusammen geschobenen Gesichter zu erkennen.

Dieser Prozess dynamisiert hoffentlich meine Weiterarbeit, deren Kontinuität durch äußere Umstände in den letzten Tagen, etwas litt.

Neues Gesicht halb sichtbar

Das alte Problem, dass Arbeitstage nicht vollständig für die künstlerischen Themen zur Verfügung stehen, holt mich wieder ein. Es geht dabei nicht um Termine, die ich mit der Arbeit einhalten muss, sondern um Konzentration. Und es bleibt eine andere Konzentration, wenn ich drei Tage ungestört durchzeichne, als wenn sich ständig irgendwelche Unterbrechungen dazwischendrängen. Die Arbeit genießen, heißt in diesem Falle, lange konzentriert dranbleiben zu können.

Gestern wurde ich mit dem zweiten Viertel der Reinkarnationsportraits fertig. Das war diesmal die richtige Zäsur für einen Besuch am späteren Nachmittag. Eine gewisse Rolle spielt beim Umfang der Arbeit an den einzelnen Vierteln, die Anzahl der Splitter, die sie beherbergen. Das variiert etwas, aber nicht bedeutend, nur etwa um den Faktor 20. Wesentlicheren Einfluss hat die Größe der einzelnen Scherben. Wenn die Fläche eines Teils des Doppelportraits eher schwarz ist, also von wenigen Lichtpunkten durchsetzt ist, dann weisen die Scherbenumrisse die maximale Fläche auf. Dort können sich dann mehr Geflechte einnisten, als in kleineren. Der Aufwand des Zeichnens erhöht sich also. Und das wird nun beim nächsten, dem dritten Viertel, das die linke untere Wangen- und Kinnpartie umfasst, der Fall sein.

Ich konnte mir ja nicht vorstellen, wie das reinkarnierte Doppelportrait aussehen wird. Nun habe ich das Blatt mit der fertigen oberen Hälfte aufgehängt und bekomme eine ganz gute Ahnung davon, wie sich das Rasterbild etwas auflösen und somit verändern wird. Letztlich geht aus der ganzen Arbeit ein neues Gesicht hervor.

Immer deutlicher stehen mir nun Überlagerungssequenzen mit dieser Mosaikformation vor Augen, die sich mit Synaptischen Kartierungen verbinden können.

Wurzelgeflechte

Gestern kam ich nicht zum Reinkarnationsportrait, weil ein Besuch den Tag dominierte. Aber mein Musikstecker am Rechner ist dadurch repariert, was ich gleich am Morgen ausnutze. Es gab Gespräche über die Framestapelstruktur und skulpturale Umsetzungen.

Bei einem Besuch mit meinem Gast in der Kaschemme bemerkte ich meinen meilenweiten Abstand von dem, was ich dort gearbeitet habe. Interessant ist aber die kurzzeitige Begeisterung an einem banalen Vorgang und an der arbeitsaktiven Verbrüderung mit den Trinkern.

Anstatt nach dem Besuch zu zeichnen, ging ich auf die Wiese und riss die alten buschartigen Pflanzen des Vorjahres, meistens mit ihren Wurzeln heraus. Auch mit Brombeeren hatte ich wieder zu kämpfen, deren Geflechte teilweise weit unter die Steine der alten Packlager, über die jetzt Gras wächst, reichten. Ich musste die Spitzhacke zu Hilfe holen, um das zu bekämpfen. Anfangs dachte ich nicht darüber nach, wie weit ich kommen würde. Dann aber bearbeitete ich die ganze Fläche mit meinen Händen, Armen und Beinen, so dass ich am Abend Muskeln und Knochen spürte. Manchmal übernehme ich mich bei solchen Arbeiten in letzter Zeit, weil ich annehme, dass ich noch genauso bei Kräften bin, wie vor zwanzig Jahren.

Der Morgen ist hell und ich komme ausgeschlafen und flüssig in den Tag. Gleich werde ich am großen Blatt weiter zeichnen, die neuen Scherben weiter zusammensetzen, die Begegnung der Väter ermöglichen.

Banalisierung

Nach zwei hintereinander liegenden Theaterabenden, hatten wir gestern einen freien Sonntag. Spaziergang unter schnell wechselnder Bewölkung im frischen Westwind am Mainufer. Von dort aus unternahmen wir einen Abstecher zu der Baustelle, auf der westlich vom Dom ein Stück mittelalterlicher Altstadt rekonstruiert wird. Das reine Disneyland, das bald, wenn es fertig ist, ein einziger Kuckucksuhrenladen sein wird. Die Banalisierung der Alltagsumgebung kommt mir im Zusammenhang mit dem wachsenden Phänomen der Vereinfachung komplizierter Vorgänge, gefährlich vor.

Nach dem Spaziergang gingen wir ins Atelier, um etwas zu zeichnen, zu malen und zu schreiben. Oleander und Olivenbäume stehen schon wieder draußen. In der Nachmittagssonne unter der Acrylkuppel im Gärtchen sah ich die zweite Eidechse in diesem Jahr. Sie lag auf einem dunklen Stein und wärmte sich nach dem langen Winter.

Manchmal habe ich schon das Gefühl von einem Dasein mit weniger Arbeit. Das zunehmende Alter lehrt, Wichtiges besser zu erkennen. Dazu gehört der Spaß an den Buchmalereien, den Kunstschülern und den langfristigen Projekten.

Für die Raumausstatterlehrlinge bin ich eingeladen, einen fünftägigen Holzworkshop zu machen. Das stößt schon an eine Grenze, denn es hält mich von meiner Arbeit ab, ist auf eine Art anstrengend, der ich nicht mehr so gewachsen bin.

„Drei Tage auf dem Land“

Ein britischer Autor konzentrierte Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“ zu einem Stück mit dem Titel „Drei Tage auf dem Land“. Ein dichtes Destillat. Der Regisseur Andreas Kriegenburg machte daraus wieder eine breit angelegte etwas behäbige Landschaft. Er verdünnte die Arbeit und führte uns so ein Nullsummenspiel vor. Seine Mittel sind schön, aber vorhersehbar und frei von Überraschungen. Ein fast realistisches Bühnenbild, schwache musikalische Einlagen streckten das Ganze noch weiter. Wir kennen uns ja aus alten Zeiten aus Frankfurt an der Oder, aber ich bin kein Fan von ihm. Das Stück, dessen deutsche Erstaufführung wir sahen, ist beim Rowoltverlag. Deswegen war auch Nils da – nettes Wiedersehen.

BIRDLAND

Simons „Birdland“ sahen wir in einer Produktion des Schauspiels Frankfurt im Bockenheimer Depot. Die Übersetzung ist ziemlich vollständig gespielt worden. Die Figur des Rockstars Paul war einer Figurenentwicklung unterworfen, die so nicht im Stück steht. Es bezieht sich auf einen Text von Patti Smith, in dem es um die Verkennung der eigenen Sterblichkeit geht. Der Narziss Paul, meint, dass er wegen seiner Genialität nicht sterben kann. Der plötzliche Sturz der Figur ereignet sich in dem Moment, da ihr klar wird, dass das Geld, in der sie schwimmt von der Plattenfirma geliehen ist, die es wiederhaben will. Der Star findet sich am Boden der Hölle wieder, wo er als Marionettenmaschine zu funktionieren hat.

Vor und nach der Premiere kamen Kerstin Specht und Karlheinz Braun zu uns, mit denen wir nicht nur über dieses Stück sprachen.

Joana goss gestern im Atelier ihre bisher spektakulärste Wachsfigur. Sie wächst, wie eine große, bleiche Koralle aus dem Grund. Die Arbeitsweise hat noch viel Potential, vor allem, wenn sie mit dem Ausschmelzverfahren kombiniert wird.

Ich habe Gartenerde auf die Beete gehäuft und weitere trockene Pflanzen des vergangenen Jahres abgeschnitten. Manchmal sollte ich mir für die Gartenarbeit mehr Zeit nehmen.

Spannung

Seit über einem Jahr hängen die Pionierportraits in meinem Balkonzimmer in der Frankenallee. Auch, wenn ich sie täglich sehe, werden sie nicht schwächer. Genau das dachte ich auch schon vor einem Jahr am 03.03. 2016.

Damals machte ich mir auch über die Verbindungen von Buchmalereien und dem Biografieprojekt Gedanken. Die stellte sich wenig später von ganz alleine ein, denn die Gravitationsschwünge, die in den Büchern eine große Rolle spielten, bekamen diese dann auch in den Totenbüchern, die sich zum Scherbengericht entwickelten. Auch gestern zeichnete ich mit Feder und Tusche die Liniengeflechte auf das große Reinkarnationsblatt, die aus den Überlagerungen der vielen Scherben entstanden sind, deren Kantenformen von den Gravitationsschwüngen herrühren.

Die Weiterentwicklung der Biografiearbeit wird nun vom reinkarnierten Doppelportrait ausgehen. Daran zeichnete ich die ganze Woche und habe ein Drittel geschafft. Nun stehen mir die Techniken der Überlagerungssequenzen und der Synaptischen Kartierungen zur Verfügung, falls ich beim Material Transparentpapier, Tusche und Schelllack bleiben will, wovon ich ausgehe. Das Potential der sich dem Stillstand nähernden Langsamkeit der stark verdichteten Überlagerungen und der flinken Verwischungen, sich abstoßender Flüssigkeiten wie Wassertusche und Spiritusschelllack vor Augen, kann ich die Arbeit in dieser Spannung ruhig weiterführen.

Heute kommen meine Schüler. Joana wird an ihren Wachsausschmelzverfahren weiterarbeiten und die Jungs bleiben wohl bei der Vervollständigung der Kartierung der Biografiestadt.

Zeitaufwand | Toaster

Die täglichen Malereien Collagen und Texte zum Arbeitstagebuch dauern unterschiedlich lange. Am Beginn eines neuen Monats müssen verschiedene neue Dateien und Ordner für die Bilder und Berichte angelegt werden. Das Zusammenstellen der täglichen Collage benötigt den unterschiedlichsten zeitlichen Aufwand. Für alles zusammen brauch ich manchmal nur anderthalb Stunden, manchmal aber auch eine Stunde länger.

Die Splitter des „Scherbengerichts I“ sind nun mit ihren neuen Binnenstrukturen auf das erste Viertel des ersten Reinkarnationsblattes gezeichnet. Etwas davon befindet sich in der Collage oben.

Welcher der beiden Vorgänge, die Zusammenführung der beiden Männergesichter, die sich nie sahen, oder die Wiederauferstehung des Doppelportraits, der wichtigere ist, kann ich gerade nicht entscheiden. Ist vielleicht auch egal.

Weitere Möglichkeiten der Entwicklung der Strukturen lägen in der Weiterverarbeitung in neuen Überlagerungssequenzen des veränderten Doppelportraits. Durch diese Arbeitsschritte würde eine weitere Quelle für andere Rückblicke gespeist.

Die Morgensonne scheint in einen Spiegel und wärmt meinen Kopf von zwei Seiten, wie ein Toaster.

Tatoosplitter | Gartenschnitt

Die ersten zusammenhängenden Quadratzentimeter des Reinkarnationsblattes sehen zunächst etwas ornamental aus. Die Zeichen könnten von Tatooschablonen stammen. Der zweite Blick zeigt allerdings, dass alle Linien bald abbrechen. Zusammenhänge erscheinen dann erst wieder, wenn die sich wiederholenden Strukturen der Überlagerungssequenz von Rolle 6 erkannt werden. Aus der Ferne werden dieselben vier Gravitationsschwungfomate sichtbar, mit denen das Raster des Doppelportraits viermal gleich zersplittert worden ist.

Beim Zeichnen der bisher etwas über vierzig neu ausgefüllten Scherben, konnte ich gleich an die Konzentration anknüpfen, die meine Arbeit in den letzten Monaten an den Einzelscherben bestimmte. Das verschafft mir ein Gefühl weiter andauernder Kontinuität und Sicherheit. In Zukunft kann ich weitere Blätter in dieser Arbeitsweise anfertigen und somit die Art des Zeichnens und nicht die Zeichnungen selbst in den Vordergrund rücken.

Im Sturm schaffen die zerfetzten Regenwolken schnelle Lichtwechsel, deren nervöses Spiel besonders auf meinem Zeichentisch stören könnte.

Die Feuerschale mit weiterem Gartenschnitt habe ich aus dem Regen genommen und unter das Vordach gestellt. Am späteren Nachmittag, wenn das Material durch den Wind getrocknet ist, werde ich es anzünden. Am Abend wollen wir in die Schirnkunsthalle.

Reinkarnation im Viererrhythmus

Ganz locker konnte ich gestern mit dem ersten Reinkarnationsblatt beginnen. Auf ein Quadrat mit einer Kantenlänge von etwa 60 cm habe ich die ersten zusammengefügten 300 Scherbenumrisse, zunächst nur mit Bleistift gezeichnet. Nun kommen die nächsten Arbeitsgänge. Welche Materialien zum Einsatz kommen ist klar. Außerdem will ich das Papier von vorne und hinten bearbeiten.

Die Vierteilung des Formates wird nun auffällig. Viermal wiederholen sich dieselben Gravitationsschwünge, indem sie allerdings auf unterschiedliche Rasterkonstellationen treffen. So entstehen Scherben mit gleichen und verschiedenen Umrissen. Der Viererrhythmus erzeugt im Quadrat eine neue Dimension, von der ich noch nicht weiß, wie sie das Thema erweitern kann.

Die sich auf dem Bildschirm abspulenden Collagen der letzten Jahre fesseln immer wieder meinen Blick. Sie spornen mich an und versorgen mich mit einer Erfindungsenergie. Ich hätte Lust, einige von Ihnen auszudrucken und zu Rahmen, um ihre Langzeitwirkung zu überprüfen.

Gleich hat sich ein serbischer Künstler bei mir angemeldet, der in Deutschland arbeiten will. Die „simple“ Frage ist, wie er das machen soll…

Totenbuch | Scherbengericht | Tod den Vätern

Eine spezielle Ginstersorte, die der Nachbar gepflanzt hatte, blüht schon gelb strahlend. Die Asche von gestern kann ich nun unter die Erde mischen, die ich gestern schon anreicherte mit den Überresten des großen Feuers vor dem Wochenende.

Für den Vormittag habe ich mir wenig vorgenommen. Nur die Buchmalereien, und das Nacharbeiten der Arbeitstagebuchdatei. Das reicht für diesen Wochenbeginn. Mal sehn, was der Nachmittag bringt. Etwas aufräumen, zaghaftes Vorbereiten der neuen Arbeitsschritte…

Oder ganz pausieren, Materialeinkäufe machen, Ausstellungen anschauen, lesen oder Kontakte pflegen.

Mit Franz sollte ich nun über die Ausstellung sprechen. Die kann „Totenbuch“ heißen oder „Scherbengericht“, oder einfach „Tod den Vätern“. Manchmal denke ich, dass Objektrahmen für die Blätter des Scherbengerichtes richtig wären.

Musiktempel

Wir hatten Gäste und sprachen mit ihnen über Architektur und Akustik. Ich dachte dabei, man könnte einen Raum für nur ein Musikstück bauen, der genau dem Klang dieser Komposition entspricht. Spielt man dann in diesem Konzertraum andere Stücke, so werden sie im Stil der ursprünglichen Komposition gebrochen. Vielleicht kann man sogar mit einer veränderbaren Architektur und nur einem Ton komponieren. Das Haus als Instrument.

Wenn man Tempel für Götter errichtet, kann man solche auf für einzelne Musikstücke bauen.

Sonntagsspaziergang an der Roten Mühle. Danach saßen wir vor dem Atelier in der Sonne des Gärtchens am Tisch. Ich schnitt trockene Pflanzen des vergangenen Jahres ab, zerkleinerte sie und verbrannte das Material am Abend.

Verzierungen | Götter | Erdvorräte

Die Sonne lockt mich in meine Gärtchen. Durch das Schneiden der großen wilden Rosen entsteht eine Höhlung, in die man Stühle und Tische hineinstellen kann, ein neuer Platz mit neuen Ausblicken, Funktionen für andere Denkperspektiven. Immer wieder schneide ich an diesen Büschen und verbrenne dann am Abend das abgeschnittene Material. Dann, wenn später die Güterzüge auf dem dunklen Bahndamm langsam vorüberpoltern, die Holzkohle glimmt, meine Klamotten und Haare völlig durchräuchert sind, kommt eine kleine Erinnerung an Abendteuer auf. Ich schaffe so, ganz langsam, verschiedene Plätze für mich und auch für die anderen. Das gefällt mir.

Schriftfragmente, Vignetten und Verzierungselemente erscheinen in den Buchmalereien und werden in die Vergangenheit gewischt, wo sie herkommen. Andere Versuche mit den alten Materialien aus den „Synaptischen Kartierungen“ liegen auf dem Zeichentisch. So bewege ich mich langsam aus der Strenge der Produktion hinaus, drifte etwas davon und versuche das zu genießen. Etwas Ruhe ist nötig, um wieder Anlauf zu nehmen für das nächste größere Experiment.

Uns kamen gestern Abend die Erlebnisse in den tibetischen Klöstern Sikkims in unsere Erinnerungsgespräche. Die gefährlichen, monströsen Götter, die in den gewaltigen Bergmassiven hausen, die wir täglich vor Augen hatten, wurden, je weiter man die Etagen der Tempelbauten erklomm, um so schreckenserregender. Manchmal erscheint es mir so, als würden uns erst jetzt die Erlebnisse mit der Wucht treffen, die wir uns während der Reise etwas vom Leib hielten.

Die noch warme Asche von gestern Abend schüttete ich mit meinen Erdvorräten zusammen, mit denen ich meinen Garten auf dem Beton erweitern werde.

Reinkarnationsproben

In der Sonne auf dem Zeichentisch liegt der erste Versuch des Scherbenzusammensetzens, der erste Reinkarnationsversuch. Die Struktur, die dabei entstanden ist ähnelt einem Stadtplan. Sie könnte die innere Kartierung des Doppelportraits von Vater und Großvater darstellen oder die Wege ihrer Begegnung.

Die Tage plötzlich ohne die tägliche Scherbenproduktion zu verbringen, fällt mir nicht leicht. Ich spiele herum, unternehme Experimente, die sich mit Strukturen beschäftigen, die mit Graphit, Schelllack und Tusche auf Transparentpapier möglich sind.

Neben eine Hauschuppe legte ich ein Haar von mir auf ein Blatt. Beides goss ich in Schelllack ein. Als er durchgehärtet war, machte ich ein Frottage davon und überstrich sie wieder mit dem bersteinfarbenen, durchsichtigen Material. So könnte es weitergehen. Mich führt das wieder zu den Anfängen des Biografieprojektes, als ich mich mit den Jungpionierportraits beschäftigte.

Am Morgen dachten wir über meinen Wunsch eines Indienaufenthaltes nach. Gerne würde ich eine Zeit in Kerala verbringen, in der ich nicht herumreise, sondern an einem Ort bleibe. In dieser Zeit könnte ich auch auf Transparentpapier arbeiten. Die Materialien, die ich dafür benötige sind leicht zu transportieren. Vielleicht würde ich mich aber auch in traditionellen indischen Techniken ausprobieren.

Abwarten!

Eine Hautschuppe aus meinem Nacken, ließ ich auf ein Stück Transparentpapier fallen und schloss sie mit Schelllack ein. Mich interessiert, was passiert, wenn ich das mit einzelnen Haaren mache, eine Frottage davon probiere und mich weiter treiben lasse.

Deutlich wird, dass ich mich dem nächsten Arbeitsschritt mit leichter Hand nähern sollte. Komme ich sofort in der strengen Produktionsdynamik der Scherbenblätter zu den „Reinkarnationsexperimenten“, werden die Schrauben zu stark angezogen.

Zunächst möchte ich probieren, nur die Liniengeflechte, die sich innerhalb der Scherbenumrisse befinden, zusammenzufügen und schauen, was dabei herauskommt. Mit diesem Beginn stehen mir weitere Experimente offen, weil die Form nicht abgeschlossen, im Gegenteil, sehr offen ist. Dieser neue Schritt ist zu weitreichend, als dass ich ihn mit der, in den letzten Monaten eingerissenen Strenge gehe.

Gestern suchte ich die Blätter mit den Totenbuchzeichnungen, d.h. die zusammengesetzten Scherben ohne ihr späteres Innenleben, heraus. Es sind vier quadratische Formate, die ich alle am 13.06. 2016 gezeichnet habe. Nun liegen sie zum zerscherbten Doppelportrait aus ineinander geschobenen Rasterpunkten, im Viereck geordnet, unter einer Acrylglasscheibe auf dem Zeichentisch.

Abwarten!

Kleine Pause

Alle 166 Blätter des Scherbengerichtes Nummer IV sind nummeriert, mit einem Datum versehen und signiert. Ich habe die vier Stapel der vier Scherbenblätter – Sammlungen in die untere Schublade des Schreibsekretärs gelegt. Dort warten sie nun auf ihre Auferstehung.

Gegen 16 Uhr war ich mit dem Arbeitsgang der Vereinzelung der über 600 Scherben und ihrer Anreicherung mit Binnengeflechten fertig. Zum Trocknen blieben die letzten 20 Blätter auf dem Zeichentisch liegen. Mich zog es dann hinaus zu einem Spaziergang zum Rebstockweiher und einem Besuch im Atelier von Niklas Klotz. Wir sprachen über Portraits, und natürlich erzählte ich im vom Scherbengericht.

Mit Franz, der leider nicht da war, möchte ich nun die Ausstellung besprechen. Die Arbeit wird nur fragmentarisch ausstellbar sein, denn es würde uns überfordern, alle Blätter zu zeigen. Vielleicht kann man sie aber stapeln.

Nach dieser kleinen Pause gestern, drängt es mich nun doch schneller, als ich es gedacht hatte dazu, das Atelier aufzuräumen, um einen Arbeitsplatz für die „Reinkarnationsarbeit“, das Zusammensetzen der neuen Scherben auf einem Blatt, zu schaffen.

Die Buchmalereien springen aus der Gelassenheit der Verwischungen in die Unruhe der Vereinzelung von Zeichen und Strukturen. Ruppige Korrekturen harmonischer Klänge, Zufallsflecken an der Peripherie und das frühe beenden der Arbeit an einem Motiv, werden wichtiger und heben den Gleichklang hinweg.

Fortsetzungen

Als erstes am Morgen signierte ich die Blätter bis 174 des Scherbengerichtes IV. Das heißt, dass ich mit den Einzelblättern der Gesamtserie heute Nachmittag fertig werde.

Vielleicht mache ich, bevor die 600 Scherben wieder zusammengesetzt werden, eine kleine Pause, damit ich den folgenden Schritt leichter gehen kann. Ein wenig fürchte ich mich davor, mit den Einzelblättern aufzuhören, denn sie begleiteten mich jetzt 3 Monate an jedem Arbeitstag. Mir wird etwas fehlen.

Am Morgen habe ich mich schon etwas gebremst, um die letzten zwanzig Blätter in Ruhe zu zeichnen, es herauszuzögern und zu genießen. Damit ich diese Arbeitsweise, die mir so entspricht, in ähnlicher Weise fortführen kann, dachte ich mir, das nächste Projekt, das ich zusammen mit dem Museum machen will, mit Fundstücken zu gestalten, die ich mit Schelllack und Tusche auf Transparentpapier präparieren kann.

Mit den Scherbenblättern, die den Blick in die Vergangenheit vertiefen, fällt ein Ereignis zusammen, das wiederum in die Zukunft über mich hinaus reicht. Seit einiger Zeit schon bin ich damit konfrontiert, dass ich Großvater werde. Ich glaube, dass die Art der Scherbenblätter mit ihren Nährflüssigkeiten, formal etwas mit diesem erfreulichen Vorgang, der emotional schwer fassbar ist, zutun haben könnte. Seit wenigen Tagen weiß ich, dass es dabei um einen männlichen Nachkommen geht…

Nostalgische Fingerübung – keine Fortsetzung

Auf meinem Balkon in der Frankenallee steht ein neuer Kulissentisch, den ich gestern in mein Zimmer holte, um an ihm, am Abend mit einem Glas Wein zu schreiben.

Jetzt aber, sitze ich wieder im Atelier bei Wasser und freundlichem Licht am Zeichentisch. Noch beschäftigt mich die Ausstellung, die wir gestern im Städel sahen. In Heidelberg noch, hatte ich Schablonendrucke zu einem Stück von Marivaux gemacht, die sehr von Glöckner beeinflusst waren.

Als wir die Freitreppe des Museums beim Hinausgehen schon hinter uns hatten, lief ich noch mal zurück, die Treppe hinauf. Dort sprach ich ein Ensemblemitglied des Frankfurter Schauspiels zu „Ich ein Anfang“ an, das wie in der vergangenen Woche gesehen hatten, und das mir immer noch nachgeht. Ich mache das öfter, dass ich Künstlern sage, wie mir ihre Arbeit gefallen hat.

Jeden Tag gehe ich viermal an der Kaschemme mit meiner Wandzeichnung vorbei und ging nicht mehr hinein. Das ist eine abgeschlossene Episode einer nostalgischen Fingerübung, die keine Fortsetzung haben wird.

Das serielle Konzept des „Scherbengerichts“, das es mir ermöglicht, in einer langen Reihe, vielen verschiedenen Dingen auf den Grund zu gehen, konzentriert die Produktion jetzt noch mal wesentlich.

Herrmann Glöckner | Nichte

Heute am Sonntag sahen wir im Städelmuseum noch mal mehrere Arbeiten von Herrmann Glöckner. Dabei waren auch zwei Blätter mit gezeichneten Schwüngen, die meinen Gravitationslinien ähneln, mit denen ich die Rasterpunkte des Doppelportraits der Väter zerschnitten habe. Die Ausstellung schöpft scheinbar aus einer reichen Sammlung seiner Arbeiten, die von der Deutschen Bank angelegt wurde. Die Verquickung dieses Museums mit den Banken macht mir öfter ein unangenehmes Gefühl. Die Kunst kommt mir dann angeschmutzt vor.

Das wenige, das ich in Dresden von Glöckner gesehen hatte, beeinflusste einige meiner Arbeiten, die ich später in Heidelberg anfertigte. Er war ein alter, produktiver Langstreckenläufer.

Für vierundzwanzig Stunden hatten wir die Nichte zu Besuch. Wir hatten uns viel zu erzählen, waren ausgiebig persisch Essen und saßen bis in die tiefe Nacht am Küchentisch. Vor einiger Zeit, während ihres mehrtägigen Aufenthaltes in meinem Atelier, übte sie mit ihrer Bratsche ein Barockstück von Zelter. Dazu habe ich eine Überlagerungssequenz gezeichnet.

Im Atelier schaute ich mir noch mal den großen Stapel von Einzelblättern aus der vergangenen Woche an. Ein gutes Gefühl. Eine Pause jetzt, wäre nicht schlecht.

Zahlen, Rhythmus und Beschleunigung

Die Gravitationsschwünge im Scherbengericht haben mich in die Zentrierung meiner Erinnerung gezogen. Ihre Funktion, das Doppelportrait der Väter zu zerschlagen, spielt mir die Möglichkeit zu, aus der bildlichen Begegnung der Männer, die sich nie sahen, eine Erneuerung zu bauen, indem ich die veränderten Scherben wieder zusammensetze. Die sich wiederholenden Arbeitsgänge beim Zeichnen der 600 Einzelblätter mit den veränderten Scherben, führen zum Weitergehen, um fremde, mir noch unbekannte Episoden zu erforschen oder zu erfinden.

So werden die zwei Fitznerbrüder, die wandernden Schreiner, zu denen, die meine gegenwärtigen Schritte zur Annäherung an die Ereignisse meines Lebens vorwegnahmen.

In diesem Zusammenhang bin ich mir nicht sicher, ob mich mein vierzigjähriges Tagebuch nicht eher an die alten Erfahrungen bindet, als mich frei zu lassen, um neue Erfahrungen zu machen.

Auf dem Zeichentisch liegen die Einzelblätter mit den neu gefüllten Umrissen des Scherbengerichtes IV, mit den Nummern 105 bis 125. Nun hätte ich an diesem Nachmittag noch Zeit, diese Blätter, die noch ohne die Schelllack- und Tuscheschichten sind, fertig zu machen. Das hieße, dass ich in dieser Woche 125 Einzelblätter fertig gestellt hätte – ein Scherbengerichtsrekord.

Zahlen, Rhythmus und Beschleunigung.

Zahlen

Im sonnigen Atelier, gegen 9 Uhr, etwas spät, versuche ich in die Konzentration zu kommen. Ein großes Glas Leitungswasser hilft dabei. Das beste Lebensmittel! Später eine Tasse Kaffee.

Der Text von Marianna Salzmann geht mir nach. Ein heimatloses Schweben, das den Worten misstraut. Manchmal erscheinen auch mir manche, wie Erfindungen. Ich bin mir nicht sicher, wenn ich denke: heimwärts, zeithin und unterschliffen. Ich traue meinem Hirn die Erfindungen zu, aber nicht die Erinnerungen.

Stille jetzt im Atelier. Nur die Blätter auf dem Zeichentisch, 21 quadratische Formate mit einer Kantenlänge von 16,3 cm, wölben sich transparent im wärmenden Licht. Temperatur steigt auf 22,7°C. Gestern habe ich das Scherbengericht IV bis zur Nummer 83 fertig gezeichnet. Wirklich schöne Blätter. Bernsteinfarbene, im Kreis strömende Flüsse schlagen mit einer ausblühenden Brandung an die starren Inseln aus Vogelkot, mit schwarzem Strassen durchzogen. Stickstofflager für die bleichen Tomaten, die in südlichen Wintersonnen zu früh reifen oder zu spät. Kein Ring des Jahres gilt.

Vorbereitet habe ich dann noch die Scherbenblätter bis zur Nummer IV / 104. Die kann ich mit dem glatten Bernsteinozean ummalen, gleich bevor meine Schüler kommen.

„Ich, ein Anfang“

Von Sasha Marianna Salzmann sahen wir gestern „Ich, ein Anfang“ in einer Regie von Bernadette Sonnenbichler in den Kammerspielen des Frankfurter Schauspiels. Eine aufwühlende Geschichte unter anderem von Gewalt gegen Kinder und der Heimatlosigkeit danach.

Ein Scherbengericht!

Auf dem Zeichentisch stehen die offenen Gläser meiner Arbeitsflüssigkeiten, die ich als Nährböden in Schichten auf Transparentpapier aufgetrage. Unterschiedliche Dichten des Schelllacks erzeugen Trocknungsstrukturen, die Höhenlinien hinterlassen, Kartierungen der archivierten Gefühlslandschaften. Die Tusche sammelt sich in deren Tälern und lässt Bernsteinhöhenzüge auftauchen. Orientierung wird möglich.

Seit Mai 2016 beschäftige ich mich nun mit diesen Scherben, die ich noch in diesem Monat zusammenzusetzen beginnen werde. Der in vier Felder geteilte Bogen kann dann von hinten und von vorne bearbeitet werden. Die Schichten können also, teilweise unabhängig voneinander, aufgetragen werden. Vielleicht spielen auch dort die Höhenlinien neben den Tuschegeflechten eine Rolle.

Diese Arbeitsgänge verbinden sich mit immer mehr alltäglichen Geschehnissen, die ihr Echo in den vielen hundert Blättern wieder finden.

Schönschrift

Über den Dächern der alten Tevesgebäude aus den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts steigt die Sonne auf und beleuchtet die Olivenblüten hinter den Scheiben des Rolltores. Fast könnte man schon, in diesem Morgenlicht, draußen sitzen, wie gestern Mittag im Korbsessel.

Gestern besichtigten wir den Inhalt der zusammenfallenden Baracken. Der besteht in erster Linie aus den Hinterlassenschaften unserer anatolischen Freunde. Die Kosten des Abtransportes und die Arbeit, die das Aussortieren des Mülls verursacht, sind eine Zumutung.

Die gezeichneten Schleifen innerhalb der Buchmalereien bekommen eine Anmutung von einer alten Handschrift. Es leuchtet die alte Schönschriftdisziplin durch, wie wir sie in den kreideverstaubten Klassenzimmern der Grundschule übten. Eine Einladung zu einem Klassentreffen ist gekommen. Auf diese regelmäßigen Termine in Waltershausen freue ich mich immer, denn ich kann den Erinnerungen nachgehen, die neuerdings für meine Arbeit viel wichtiger geworden sind.

Mit dem Scherbengericht IV kam ich gestern soweit, dass nun ein Ende abzusehen ist. Noch etwas 100 Blätter, dann habe ich es erst einmal geschafft. Heute widme ich mich zunächst den schon weit gearbeiteten Blättern 43 bis 62, und dann am Nachmittag bereite ich bis etwa Nummer 80 vor.

Lichtintensität | Liniengeflechte | Unabhängigkeit

Durch die Verwischungen haben die Buchmalereien manchmal etwas Unterseeisches. Es entstehen Lebensformen der Tiefsee, neu entdeckt und unerforscht.

Die Lichtintensität, von der ich die ganze trübe Zeit geträumt hatte, ist heute von der ersten Minute des Morgens da. Nun kann der kraftspendende Treibstoff nicht nur meinen subtropischen Vertikalwald hinter den großen Fensterscheibenflächen der Rolltore blühen lassen.

Unbeschwert und gestärkt kann ich mich also den 21 Blättern widmen, die ich gestern gezeichnet hatte. Tuschliniengeflechte in Splitterumrissen, die bis IV / 42 nummeriert sind. Nach den Buchmalereien und der Arbeitstagebuchdatei, werde ich zunächst Schelllackschicht und dann die Tuschekreise um die Scherben legen.

Auf einer Bank in der Sonne sitzend, stellten wir am Sonntag fest, dass Künstler nur glücklich sein können, wenn sie sehr erfolgreich sind, oder in einer Unabhängigkeit arbeiten können, wie ich. Wenn ich die Verrenkungen beobachte, die Künstler gegenüber Galeristen machen, sich jahrelang von ihnen hinhalten lassen, dann bin ich froh, meinen Weg eingeschlagen zu haben.

Mit diesem Gedanken mache ich mich jetzt erneut ans Werk und will mit den Scherben bis zum Ende des Monats fertig sein.

Disziplin

Ein etwas unsicherer Montagmorgen. Weiß nicht, ob mir die Arbeit nun Kraft geben wird oder nur solche kostet. Der kalte Ostwind macht mich etwas mürbe, zerrt an den Jacken und an den Nerven. Dazu die nebelige Trübnis. Aber die Auguren versprechen mehr Licht.

Aus dem kalten Einerlei heben mich die Buchmalereien heraus. Meine Motivation, das Scherbengericht nun zügig zu Ende zu führen, muss ich mutwillig erhalten. Das ist nicht immer leicht. Der Elan kommt nicht mehr von alleine. Die Dynamik der Kontinuität der Produktion ließ in der vergangenen Woche nach. Vielleicht motivieren mich die Zahlen der täglichen Scherbenblätter wieder.

Die barocken Schwünge, die ich mit den Aquarellstiften zeichne, liegen formal auf der entgegengesetzten Seite der spröden Scherben, die ja auch aus den schwungvollen Gravitationsschwüngen hervorgegangen sind.

Heute werde ich die ersten einundzwanzig Blätter des vierten Scherbengerichtes fertig zeichnen. Es sind nur noch die Tuschekreise um die Splitter herum zu malen. Alles andere habe ich schon in der vergangenen Woche angelegt. Dann kann ich beginnen, die morgige Produktion vorzubereiten, indem ich die Blätter zuschneide und vielleicht schon mal die Umrisse zeichne.

Treibstoff

Für die Lammkeule, die wir unseren Gästen gekocht hatten, vergrößerten wir unseren Wohnzimmertisch um sein, aus der Versenkung aufklappbares, Tischsegment. Gläser, Bestecke, Geschirr, Speisen, Wasser und Weine.

Auf diesen Tisch habe ich nun, an diesem neuen Morgen, meine Utensilien für das, was ich gerade schreibe und die dann folgenden Buchmalereien, gelegt.

Nach unserem Taunusspaziergang nachher, wollen wir gemeinsam ins Atelier gehen, wie am vergangenen Sonntag. Wir entdecken den Raum als gemeinsamen Aufenhaltsort.

Langsam beginne ich die ersten Pflanzen rauszustellen. Die Olivenbäume vertragen nun schon die Nächte, deren Temperaturen nicht mehr so tief sinken werden. Und mittags kommt manchmal eine milde Sonne hervor.

Die Buchmalereien nehmen neue barocke Wendungen. Sie tarieren mein seelisches Gleichgewicht in den Zeiten der strengen Scherbengerichte, die mich anstrengen. Die Disziplin braucht ein Ventil und auch Treibstoff.

Die Nesselreste, von der Bespannung des großen Rahmens, kann ich für Experimente nutzen, die dem Verhalten der Materialien Schelllack, Tusche und Graphit auf ungrundiertem Stoff gelten sollen. Wie gehe ich mit dickeren Schichten um, wenn die Leinwand abgespannt und zusammengerollt wird?

Flugträume

Der gleiche Bericht seit Monaten: wie viele Blätter habe ich für das Scherbengericht am Vortag gezeichnet. Zahlenrhythmen, Disziplin, Zerstörung und Erneuerung.

Motown Sound am Morgen in der Küche. Auch der war ein Magnet, der meine Ausrichtung nach Westen gedreht hatte. Die ganzen Lügen und Halbwahrheiten der so genannten „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ und dieses unechte, verlogene Oktoberklubgesäusel konnten mir nicht so viel anhaben. Mein Gefühl leitete mich woanders hin. Und jetzt noch fühle ich den Triumph, im März 1984 mit der Eisenbahn die Grenze überrollt zu haben, diesem verstaubten, klebrigen Knast entronnen zu sein. Das habe ich später nie bereut.

Beim Gitarrespielen begegnen mir manchmal Erinnerungen an Flugträume, die mich weit fort trugen, nach Westen.

Das disziplinierte Zerscherben der Väterportraits wurde die ganze Zeit von den kleinen, wilden Buchmalereien begleitet. Sie waren das Gegengewicht, ohne das ich die Bearbeitung der vielen hundert Scherben nicht durchgehalten hätte. Es wird Zeit, dass ich fertig werde!

Letzte Überlagerungssequenz

Unter dicken Wolkenschichten finde ich in der grauen Finsternis zu wenig Inspiration, um mich an meinem Zeichentisch heimisch zu fühlen. Die Flugzeuge starten gegen einen kalten Ostwind über das Pultdach des Ateliers.

Rainer Bock, (er ist überall!) spielt in einem Film, der sich um die erste Generation der RAF drehte, einen Anwalt. Ein deprimierendes Stück Geschichte. Für das Fernsehen gedreht 2010.

Heute kommen die Kunstschüler. Das ist eine Gelegenheit, die Konzentration, die mich immer fester umklammert hält, zu lockern. Ich spüre nun diese Anstrengung der letzten Monate. Gestern machte ich die vierte und letzte Überlagerungssequenz des Scherbengerichtes fertig. Es wird Zeit, dass diese Arbeit zu Ende geht.

Eine halbe Stunde sah ich mir gestern eine Diashow meiner täglichen Collagen an. Ab und zu ist es mal gut, wenn ich mir darüber bewusst werde, was alles im Laufe der Jahre ohne Öffentlichkeit entsteht. Die täglichen Buchmalereien sind ein Arbeitsgang, ein Ankerpunkt, ohne den es nicht geht.

Gestern sprachen wir darüber, uns im Frühjahr mal auf eine Bank auf dem Spielplatz zu setzen, um den Kindern dort zuzuschauen. Kinder, vertieft in ihr Spiel, sind ein tröstlicher Anblick.

Geschwindigkeiten

Für den Weg ins Atelier am Morgen nahm ich mir heute Zeit, sammelte trockene Samenkapseln eines fremden Baumes, mit Löchern zum Auffädeln darin, sah zu, wie die Segmente eines Baukrans zusammengesetzt wurden und trödelte einfach ein wenig. Der kalte Ostwind und das niedrige Licht der Sonne, deren Aufgangsposition sich derzeit rasant ändert, ließen die Augen tränen.

Im Zusammenhang mit den anstrengenden Arbeitstagen der letzten Wochen dachte ich über die Geschwindigkeiten meines Lebens nach, die ich selber regulieren kann. Meistens beeile ich mich, als würde ich für Langsamkeit, auf die eine oder andere Art bestraft.

Wichtig aber ist, dass ich einen Rhythmus beibehalte, der meiner Produktivität entgegenkommt. In den letzten Tagen habe ich es mit der Dauer des Zeichnens übertrieben.

Mit der Überlagerungssequenz des vierten Teils des Scherbengerichtes werde ich spätestens morgen fertig sein. Die dann folgenden zwei Wochen gehören den 166 Einzelblättern, worauf das gerasterte und überlagerte Doppelportrait von Vater und Großvater wieder, aus etwa 600 Scherben zusammengesetzt werden kann. Dann habe ich die beiden, die sich nicht kannten gründlich vereinigt! Wie lange dieser Arbeitsgang dauert, weiß ich nicht. Länger als zwei Wochen aber kaum. So könnte ich nun mit Franz wegen einer Ausstellung sprechen.

Formenzusammenhänge

Echos aus zeitlicher Ferne und Vorstellungen davon vermischen sich mit den Linien der neuen Überlagerungssequenz auf Rolle 6. Sie weisen die Konstruktionslinien des Sperrholzmodells des Breslauer Domes vom Großvater Fitzner aus den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts auf, die nun wieder mit den Balkenlagen zutun haben, die die Zimmermannslehrlinge mit meinem Vater 1950 zu einem Dach zusammenfügten. Auch die Wegstrecken scheinen sich darin zu verbergen, die die Fahrenden Brüder Fitzner zwischen Breslau, Berlin und Wien mit ihrem 8 Zentner schweren Modell auf einem Plattenwagen zurücklegten.

Die Linienmuster innerhalb der Scherbenumrisse ordnen die Erinnerungen zu realen Formenzusammenhängen. Es entstehen darüber hinaus Räume, in denen Gefühle und Sinneswahrnehmungen stattfanden, die jetzt neue Bedeutungen bekommen. Das sind die Erinnerungsstrukturen, deren Empfindungen stetig auf Schritt und Tritt mitlaufen.

Im Netz fand ich eine Dissertation über Erinnerungskultur in Breslau. Es geht um Architekturvermittlung im gebauten und medialen Raum.

Gestern zeichnete ich die 156 Umrisse des Scherbengerichtes IV auf das Transparentpapier der Rolle 6. Ich schaffte bis in den Abend zwei Überlagerungsschichten, deren Liniendichte sich schon langsam an die anderen 3 Scherbengerichtssammlungen angleicht. Jetzt kommt noch eine dritte Schicht hinzu, dann kann ich mit den Einzelblättern beginnen.

Beschleunigung

Die langen drei Reihen des Scherbengerichtes IV hatte ich gestern auf eine Extrarolle Transparentpapier fertig gezeichnet. Von hier aus kann ich die Splitter nun einfach auf Rolle 6 übertragen, um dann die Überlagerungssequenz zu beginnen, die für die neuen Muster innerhalb der Scherbenumrisse verantwortlich sein wird.

Manchmal komme ich mir vor, als überdeckte mich eine solche Scherbenschicht. Diese Verglasung ist der Anzug, der bei jeder Bewegung neu splittert, um dann im Schlaf wieder neu zusammenzuwachsen.

Die Arbeitsgeschwindigkeit nimmt mit dem näheren Ende dieser Arbeitsphase des Scherbengerichtes zu. Am Abend zeichnete ich bis zu einer Belastungsgrenze. Dabei denke ich an die Beschleunigung des Textes „Herakles II oder die Hydra“ von Heiner Müller. Das ist die Schlacht!

Auf der Frankenallee ist das Dylankonzert vom 24.04. dieses Jahres in der Festhalle plakatiert, für das wir schon lange Tickets haben. Im August 1969 trennte sich Dylan von seinem Manager, seiner Vaterfigur und Landlord Albert Grossman, er ließ einfach den Vertrag auslaufen und verließ das Haus in Woodstock, das er wie selbstverständlich bewohnt hatte.

Vaterfiguren verlieren sich immer mal. Eine solche von mir, meinen Mentor als junger Künstler verlor ich, weil sie mein Stasispitzel war, was ich erst viel später erfuhr und ihm in seiner gehobenen Position nie zugetraut hätte.

Ateliersonntag

Ateliersonntag gestern. Ich zeichnete die ersten Umrisse des Scherbengerichtes IV. Das geschieht, indem ich die Splitter einzeln in einer Dreierreihe und in regelmäßigen Abständen auf eine gesonderte Transparentpapierrolle zeichne. Diese lange Dreierreihe ist dann die Grundlage für die nächste Überlagerungssequenz auf Rolle 6. Diese zwei Vorgänge werde ich hoffentlich Mittwoch abschließen können. Dann kann ich mit den Einzelblättern beginnen. Dieser Schritt dient mir zunächst dafür, die Einzelscherben mit ihren neuen Binnenzeichnungen in einer Weise weiterzuentwickeln, dass die Linien gleichmäßiger und die Muster dadurch klarer werden. Wie sich das dann auf das erneute Zusammensetzen der Scherben zu dem Doppelportrait auswirkt, werde ich sehen.

Gestern hatte ich die Gelegenheit das Projekt mit knappen Worten jemandem zu erklären, der es noch gar nicht kennt. Dabei fiel mir auf, dass das Konzept und seine Folgerungen nun deutlicher hervortreten. Alle Aspekte der Erinnerung, die damit zusammenhängen, weisen über das Familiäre hinaus in die Zusammenhänge allgemeiner Übereinkünfte oder Konflikte, die aus dem Erleben ganzer Gesellschaften entstanden sind.

Immer öfter treten innerhalb der Buchmalereien Achsen auf, um die herum sich die Gravitationsschwünge gruppieren. Das Kreisen der Erinnerungen schafft bei jeder neuen Umrundung eine Veränderung der Verhältnisse. Sie entstehen durch Verwischungen und dann folgenden Wiederholungen von Bewegungen auf denselben Bahnen, auf denen die wechselnden Farben laufen. Der Dreiklang, den der Austausch von Motiven und Handballenabdrücken unter den drei täglichen Malereien erzeugt, schafft die nächste Dimension. Sie öffnet sich zu den Scherbengerichten.

Sieben gegen Theben / Antigone

Ein Sonntagsspaziergang, wie ihn Männer meines Alters machen: Hände auf dem Rücken, ab und zu stehen bleibend, um dann auf einer Bank in der Sonne zu sitzen. Mein ferneres Ziel dieses Gangs war das Atelier, das ich nun auf Umwegen erreicht habe.

Das Licht spielt zwischen den Pflanzen. Musik geht durch den Raum, Lärm schleppt sich nach mit den alten Maschinen in die Wolken nach Nordosten, und die gefährliche tiefschwarze Katze sprang aus meinem Gärtchen einer Amsel hinterher, die ich aufgescheucht hatte, lag dabei in etwa 1,60 Meter Höhe in der Luft und verfehlte sie nur knapp.

Im Bockenheimer Depot sahen wir „Sieben gegen Theben“ von Aischylos in einer Texteinrichtung von Durs Grünbein zusammen mir der „Iphigenie“ von Sophokles. Regie hatte Ulrich Rasche geführt, dessen Inszenierungen immer viel mit dem Vorgang und dem Rhythmus des Gehens zutun haben. Das präzise Sprechen dieser klaren und gut verständlichen Übersetzung steigerte sich Schlag auf Schlag und Schritt für Schritt, unterstützt von einer Begleitband mit zwei Posaunen, Schlagwerk und Elektrobass. Mir erschien der Abend sehr gelungen. Ein klares Konzept ging in einer durchgehenden Form auf.

Im Foyer trafen wir noch Boris Hruschka, an den wir uns noch am Vorabend auf dem Sofa erinnert hatten. Wir kennen ihn aus unserer Heidelberger Theaterzeit, und nun ist er gerade dabei, auf Rügen ein Minitheater zu erfinden.

Zeichnen läuft voraus

Materialeinkauf: Schelllack, Tusche, Pinsel, Papier und Wachs.

Jetzt bin ich bei den Buchmalereien, wie sie nach Gedanken an die Reihen von Vätern, bis hin zu Abraham, von der Hand gehen.

Joana arbeitete gestern weiter an den biografischen Hohlformen im Wachsausschmelzverfahren. Ich brachte das dritte Viertel des Väter – Scherbengerichtes zu Ende. Es besteht nun aus 164 Einzelblättern, die jetzt im Schreibsekretär lagern.

Ließen sich die Gedanken an eine künftige Arbeit, die sich in ähnlicher Weise den Müttern widmen könnte, jetzt schon zeichnen, liefe die Zeit schneller und würde die Uhren in ihre Schranken von nur einer Wahrheit verweisen.

Meine konzeptionellen Werkblöcke haben sich stark entfernt von der Arbeit, die ich damals mit Helge Leihberg, Cornelia Schleime und Ralf Kerbach gemacht habe. Sie, die Kollegen von damals, sind sich, nach allem was man im Netz besichtigen kann, treu geblieben. Ich fühle mich meilenweit entfernt von dieser Tradition. Das hat sich aber erst hier in Frankfurt entwickelt.

Serielles Pensum

Nummer 140 des zweiten Scherbengerichts zeichnete ich gestern Vormittag noch. Alles war gut vorbereitet, und trotz einer Verspätung schaffte ich mein Pensum, das ich mir vorgenommen hatte.

Während eines Gesprächs bei Roland am Nachmittag mit einer Kostümbildnerin, die ich aus dem Museum der Weltkulturen kenne und einem französischen Bildhauer, bemerkte ich beim Erzählen, dass mich Philip Glass, der vorgestern achtzig Jahre alt geworden ist, damals während unserer Zusammenarbeit in Heidelberg, ziemlich beeinflusst hat. Das serielle Element gab es ja schon in den Achtzigerjahren bei mir. Damals entstanden insbesondere längere Reihen von Monotypien, die immer aufeinander aufbauten. Das hat sich dann in den Neunzigern aber noch mal verloren und dann aber, mit dem Erleben der Choreografien von Bill Forsythe, vertieft und verändert.

Nun sind die Serien oft ein Mittel, mit dem ich andere kompakte und konzentrierte Arbeiten vorbereite. Das gilt auch für das Scherbengericht. Zunächst will ich mit den neuen Scherben ein neues Doppelportrait auf Transparentpapier zusammensetzen. Je nach dem, wie dieses Ergebnis ausfällt, werde ich dann versuchen, dieses Bild auf dem großen Leinwandformat weiterzuentwickeln. Dafür habe ich aber noch einige handwerkliche Vorbereitungen zu machen, während derer ich ausprobiere, wie sich die ungrundierte Leinwand unter der Verwendung verschiedener Materialien verhält. Muss auch mal schauen, wie das Motiv dann überhaupt noch funktioniert. Der Grad der Abstraktion interessiert mich dann auch. Wann erkenne ich den Gegenstand, wie wichtig ist das dann noch…?

Erhöhung der Konzentration der Bezüge zwischen den Geschehnissen

Ich hatte mir für den Vormittag viel vorgenommen. Auch deswegen, weil eine, für den Nachmittag anberaumte, Tevesanrainer – Zusammenkunft mir viel meiner knappen Arbeitszeit wegnehmen wird.

Die Zeiteinteilungen meiner gegenwärtigen Arbeitsvorgänge sind so optimiert, dass ich Verzögerungen kaum noch wettmachen kann.

Gestern zeichnete ich wieder zwanzig Blätter fertig und bereitete weitere zwanzig schon bis zu einen fortgeschrittenen Stadium vor. Bei der Beschleunigung der Arbeitsvorgänge spielt auch die Erhöhung der Konzentration eine Rolle. Die vielen Stunden, die ich intensiv mit den Scherben zutun habe vertiefen die Einblicke in die Erinnerungsarchive Tag für Tag.

Stetig komme ich weiter voran, wenn es um die Vernetzung der Geschehnisse der Biografien geht. Die Galerie von kleinformatigen Fotografien neben meiner kleinen klaustrophobischen Arbeitsnische hilft mir, Bezüge zwischen vergangenen Ereignissen herzustellen.

Gestern ein Film über Hannah Arendt. Ich erinnerte mich an meine Arbeit zum Stück „Bruder Eichmann“ von Heinar Kipphardt am Staatsschauspiel in Dresden. Damals kam ich erstmalig mit ihren Gedanken in Kontakt. Ihre Bücher aber waren in der DDR nicht zu haben.

Paradies Periskop

Ein Blick durch mein „Paradies Periskop“ zeigte mir die nächsten Seiten meines Buches bereits beschrieben und mit Buchmalereien versehen. Zwischen den Tagesaufzeichnungen klafften Lücken, als fehlten in der Zukunft Erinnerungen.

Während meines Fußweges am Morgen erinnerte ich mich an Florian Schwinn. Nur sein Name fiel mir nicht gleich ein. Langsam entwickelte er sich aus Moritz Schwindt etc. Er war mal in meinem Atelier und reichte mich gleich weiter zu Barbara Henke, die mit mir auf Hr2 ein Interview machte. Seine Geschichten sind mir noch lebhaft in Erinnerung. Sie drehten sich um die polnische Gewerkschaftsbewegung der Achtzigerjahre und die Frankfurter Spontis.

Keine Ablenkung! Ich tappe jetzt nicht in die Zerstreuungsfalle. Treu und konzentriert bleibe ich bei meinen Scherben.

Von denen umgab ich gestern weitere zwanzig mit der bewährten Nährflüssigkeit aus Schelllack und Tusche. Sie ist angereichert mit meinen gelösten, fluiden Erinnerungen. Das Brüllen und leise gefährliche Töne erscheinen aus meinem Archiv. Ich stehe neben mir, lausche und schaue dieser Beschleunigung der Arbeit zu, die mir kaum noch Zeit für andere Dinge lässt. Das habe ich nun zu akzeptieren.