Bohnenkaffee | Büchner

Der Montagmorgen ist trübe. Auf den tiefgefrorenen Boden fällt Regen. Das macht das Gehwegpflaster glatt. In der Stadt rundherum hört man andauernd Signalhörner.

Kaffee im Atelier. Das ist eher eine Ausnahme. Ich kaufte im Supermarkt fünfhundert Gramm gemahlenen Kaffe und Milch, brachte eine kleine Kanne von zu Hause mit, in der ich das Pulver aufbrühen und mit einem Kolben dann, nach einer Weile, herunterdrücken kann. Ich nehme mir eine Tasse, die uns Gabi Speckbacher aus New York mitgebracht hat. Das Dekor zeigt eine Sonne, die hinter den Twintowers des World Trade Centers, rot untergeht.

Kaffee war Luxus für mich in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Den gab’s nur am Wochenende. Zwei Tassen Bohnenkaffee zum Sonntagsfrühstück. Ich erinnere mich, wie sehr ich mich damals darauf freute.

Nach einem langen Spaziergang gestern, der uns mit einem sonnigen Himmel überraschte, besuchten wir das Geburtshaus von Georg Büchner in Goddelau. Als erstes fiel mir die Enge auf. Oft bekam die Mutter Kinder und dauernd wurde umgezogen. So wenig stetig behaust, in der flachen Landschaft zwischen Rhein und Odenwald. Als wäre die Bewegung in dieser Fläche leichter, als hätte man nicht so viel Gepäck gehabt, das auf einen größeren Leiterwagen passte, den man leicht über das Pflaster ziehen konnte (Pflaster? Waren die Wege nicht eher sandig, staubig oder schlammig?).

2° weißgrau

Über die kahle Frankenallee ist ein 2 Grad kalter Himmel gegossen, weißgrau, still abwartend. Die Gehwege sind leer, die Menschen bleiben zu Hause. Uns zieht es in die Rheinauen des Kühkopfes im Hessischen Ried. Frühstück und dann los.

Mit einer gewissen Regelmäßigkeit begann ich an den letzten Wochenenden, nicht mehr ins Atelier zu gehen, um meine Arbeitsaufzeichnungen zu machen. Stattdessen sitze ich in zu Hause, schaue auf das Geschehen draußen auf der Straße, finde kaum in Arbeitsthematiken und will mich jetzt auch davon etwas entfernen. Die Scans der Buchmalereien und die Vervollständigung der Arbeitstagebuchdatei erfolgt dann am Montag. Dafür brauche ich etwas mehr Zeit, als sonst, kann dann mit dem Scherbengericht erst am Nachmittag so richtig loslegen.

Ich habe überschlagen, dass ich mit diesem Teil meines Biografiethemas im Februar fertig werden kann. Dann habe ich zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Kann dann die große Malerei stattfinden und wann geht es dann um die Mütter?

Tod den Vätern!

Mit meinen seit Monaten ungeschnitten wachsenden Haaren spüre ich einem rebellischen Gefühl meiner Jugend nach. Unsere Langhaarigkeit war ein Zeichen persönlichen Protests gegen den eingemauerten real existierenden Sozialismus. So öffentlich zu Schau gestellte Fundamentalkritik, von der Mitte bis zum Ende der Sechzigerjahre, zog den Argwohn der „Organe“ auf uns. Wir wurden beobachtet. Indem ich nun die Spitzen meiner Stirnhaare an meinen Wangen spüre, kehrt die Haltung wieder, mit der man durch eine leichte Kopfbewegung all das Haar aus dem Gesicht schwang. Schaut mich an, ich bin es, der nicht einverstanden ist. Diese Geste illustrierte Überzeugungen.

Verschiedentlich wurde ich brüllend aufgefordert, mir die Haare zu schneiden, wurde deswegen beschimpft und verraten, was mir ein Leben lang nachging. Vielleicht schmelze ich eine Wachsskulptur, der ich diese Begebenheiten zuordne.

Trotz der Ausschmelzarbeiten zur Biografiethematik gestern mit den Schülern, bin ich noch dazugekommen, weitere 20 Blätter zum „Scherbengericht II“ fertig zu stellen. Wenn ich mich ranhalte, schaffe ich es, diesen Teil der Arbeit in der nächsten Woche zu beenden. Dann folgt noch das „Scherbengericht IV“, wonach ich dann endlich das reinkarnierte Doppelportrait zusammensetzen kann.

Tod den Vätern!

Bruchkanten

Mit dem Scherbengericht will ich dem Tod allgemein zuvorkommen. Zunächst nannte ich ja die Arbeit wegen ihrer Ähnlichkeit mit den ägyptischen Grabbeigaben auf Schriftrollen „Totenbuch“. Meine Zeichen sind aber keinem Bild verpflichtet, sondern den Verflechtungen der Lebenslinien; die aus den Kanten der Scherben bestehen. Auf diesen Bahnen verbergen sich die Flüche und Taten, Erlebnisse und Verdienste, die auf der abgelebten Zeit lasten.

Dafür habe ich gestern die nächsten zwanzig Blätter mit ihren liniengefüllten Splittern fertig gezeichnet. Sie liegen trocknend auf dem Schreibsekretär und animieren mich, gleich mit dieser Arbeit fortzufahren. Es ist, als würde sie keinen Aufschub ertragen können, um die Scherbenzeichnen wieder zusammenzufügen, als hinge davon eine Erlösung ab.

Die nächsten zwanzig Formate sind schon geschnitten, und auf den ersten vieren sind schon die Umrisse gezeichnet. „Los weiter!“ ruft es.

Heute aber mache ich aber die Arbeitsflächen frei für unsere Wachsausschmelzverfahren und deren Anknüpfungen an biografische Ankerpunkte. Außerdem: Einkaufen von Fisch, Gemüse und Reis.

Die Sonne steigt über den Dachfirst des Nachbargebäudes, ich denke an die „Landmarken – Arbeit“, die als nächstes kommt, an die Glaszylinder in denen die Objekte vor den weiten Aussichten aus den Hochhäusern stehen.

Tägliche Triptychen

Gestern machte ich die Blätter 1 – 21 des zweiten Scherbengerichtes fertig. Sie liegen zum Trocknen auf dem Sekretär und müssen nur noch signiert werden. Weitere zwanzig Blätter habe ich auf 16,3 cm x 16,3 cm zugeschnitten und schon die Umrisse der nächsten Scherbenumrisse bis zur Nummer 41 darauf gezeichnet. Jetzt fehlen noch die Innenstrukturen aus der Überlagerungssequenz, die ich in der vergangenen Woche auf Rolle 6 angefertigt habe.

In die Collage oben fügte ich einen Ausschnitt des Scherbengerichtes II/2 von vorgestern ein. Und wieder habe ich einen Stapel von zehn Umrissen, von hinten durchleuchtet und fotografiert. So läuft alles sehr regelmäßig und die Konzentration vom Vorabend ist am Morgen noch da.

Die Schwünge, Linien und Kreise der Buchmalereien fungieren zunehmend als Elemente, die unter den drei täglich entstehenden Arbeiten, per wässrigem Handballenabdruck, ausgetauscht werden. Dieser Austausch führt zu einem Zusammenklang der drei Motive, die man deswegen jeweils als Triptychon anschauen könnte.

Das ist ein ruhiger Arbeitstag, an dem ich mich nun auch noch um die Finanzierung der weiteren Zusammenarbeit mit meinen Schülern kümmern will.

Zählungen | Sichtachsen

Die Umrisse von zwanzig Scherben zeichnete ich gestern auf einzelne Transparentpapierquadrate und nummerierte sie von „Scherbengericht II/1“ bis „Scherbengericht II/21“. Manchmal gibt es ein paar Ungereimtheiten in der Zählung. Die aber werden am Ende keine gravierenden Auswirkungen haben, es sei denn, sie führten mich auf einen neuen Pfad.

Ich fotografierte alle Blätter von gestern auf einem Stapel mit einer starken Rückbeleuchtung, sodass alle Umrisse, nach hinten immer unschärfer, übereinander lagen.

Vielleicht kann ich heute die zwanzig Blätter fertig zeichnen, will mich aber damit nicht hetzen, will mich nicht unter einen zu großen Zeitdruck bringen.

Im Museum habe ich gestern besprochen, dass ich für die nächste Zeit das Hochhaus – Sichtachsenprojekt weiterentwickeln werde. Der Aspekt der erneuten Annäherung an Themen der Stadtgestalt und der Rückgriff auf die Kontinuität der Raumexperimente der Vergangenheit, gaben den Ausschlag für diese Arbeitsrichtung.

In dem Fortgang der Arbeit mit meinen Schülern entsteht nun eine Lücke, die finanziert werden muss. Eine lösbare Aufgabe.

Landmarken | Framebrücke | Echo

Die Überlagerungssequenz, mit der ich die Splitter des Scherbengerichtes II auf der Transparentpapierrolle 6 füllte, ist fertig. Sechs von ihnen habe ich oben in die Collage eingefügt Jetzt kann ich mit den Einzelblättern beginnen. Dennoch sitze ich spät, erst gegen 9, am Zeichentisch. Zu hause, am Morgen gingen mir einige Dinge durch den Kopf, die sich mit einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Museum beschäftigen.

Das meiste Potential hat das Wachsausschmelzverfahren, das dem Biografieprojekt zugeordnet ist. Die Spannung zwischen innerer und äußerer Form gleicht einem Verhältnis von Erinnerung an ein Ereignis und seinem Echo. Es ist in unseren täglichen Reaktionen auf gegenwärtige Ereignisse hörbar. Wenn wir also die Skulpturen bestimmten Erlebnissen zuordnen, sie eingießen und dann ausschmelzen, werden diese in einer intensiven Weise bearbeitet. Das negative Volumen wird dann von einer neuen Form umfangen. Das erinnert an Entwicklungsschritte des Tanzes bei Forsythe, während derer die klassischen Arabesken von anderen Tanzfiguren umschrieben werden. Das Innen ist die abwesende Erinnerung, die von der äußeren Erscheinungsform gezeigt wird.

Zwei weitere Vorhaben würde ich gerne noch in den nächsten zwei Jahren angehen. Erstens das Landmarkenprojekt, das Sichtachsen von Hochhäusern in der Innenstadt zu markanten Punkten an der Stadtperipherie und von dort aus zurück thematisiert. Eine andere Idee widmet sich einer gläsernen Brücke zwischen dem Film- und dem Architekturmuseum. Der Kubus besteht aus den Schichten von Filmframes eines Kameraschwenks. An seinem Rand bilden sich die Gegenstände, Landschaften oder Kulissen ab, die den Rahmen der Leinwand verlassen. Metropolis wäre ein schönes Thema.

„Kultur aufs Land“

Aus einem purpurnen Grundton steigen die Farben der Morgendämmerung dem Apricot entgegen, das eine seltene Winterfarbe ist. Im Farbrauschen ändern sich die Wellenlängen, machen Sprünge und überlagern sich mit der akustischen Gravitation. Die Visualisierung von Tönen trifft auf den Klang der Malereien oder der Webmuster, wie sie in einer Jahrhunderte alten Tradition überliefert sind. Kompositionen, die im Weltkulturenmuseum zu hören sind, bedienen sich dieser Strukturen, machen diese Überlieferungen hörbar.

Die Streuobstwiesen bei Hochstadt, sind die Grundlage für den Apfelwein, der dort produziert wird. Wie spazierten durch die Hanglagen, die der Sonne zugewandt waren. Vor einem der Bienenstöcke zog schon eines der Insekten seine kleinen verschlungenen Bahnen. So warm fing sich das Sonnenlicht an manchen Stellen und erzeugt eine Frühlingsahnung.

Werden wir uns einst an die guten Zeiten des kulturellen Austauschs erinnern, oder sind die lauten gegenwärtigen Äußerungen der Politiker, die der Landbevölkerung ohne internationale Vernetzung, den Verlierern der Globalisierung in unseren Breiten, nach dem Maul reden, nur eine vorübergehende Erscheinung?

In der DDR ging es irgendwann mal um die Nivellierung der kulturellen Unterschiede zwischen Stadt und Land. Das war ein Programm, dem die Kulturschaffenden folgen sollten: „Kultur aufs Land!“ hieß es. Die Mitglieder einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft sahen dann den „Faust“ im Kulturhaus. Sie skandierten mit Blick auf das Verhältnis von Faust zu Gretchen: „Heiraten soller se!“.

Das skulpturale Außen und Innen

Die ersten viel versprechenden Ergebnisse der negativen Wachsausschmelzfiguren führen zu einer Vielzahl von Möglichkeiten, diese Arbeit weiter zu führen und zu optimieren. Zwei skulpturale Wertigkeiten treffen aufeinander. Da ist zunächst die äußere Form des Gipsblocks, in die die Wachsskulptur eingegossen ist. Sie besteht zurzeit einfach aus der Schüsselform des Gipsbechers, weil sie die erste nahe liegende Möglichkeit bildet. Diese kann nun aber weiter bearbeitet werden. Wir haben den Block als erstes in der Mitte durchgesägt, damit wir die zwei Teile der Wachsfüllung leicht unter Beobachtung ausschmelzen können. Nun kann man natürlich noch weitere Schnitte sägen, um andre Einblicke in die negative ausgeschmolzene Form zu bekommen. Die Höhlung tritt so in ein Verhältnis zu der Außenform. Dieses weite Feld der skulpturalen Arbeit breitet sich nun langsam vor unseren inneren Augen aus und erfüllt uns mit einer großen Erwartung.

Vom Atelier aus telefonierte ich mit meinen Eltern. Bei diesem Satz fällt mir auf, wie die Bedeutung eines Ortes, von dem aus man spricht, abnimmt. Mittlerweile kann man von den meisten Orten auf der Welt telefonieren. Es spielt eine immer geringere Rolle, wo wir uns befinden. Die Instagram – Bildersammlungen haben etwas unbehaust Nomadisches. In diesem Spannungsfeld erscheint mir meine Arbeit, die in einem Rückzug in die Stille meines Ateliers stattfindet, anachronistisch. Gleichzeitig werden hier aber Explosionen ausgelöst, die die Splitter der Biografien durch den Raum jagen lassen.

Ich erinnere mich an das deutliche Gefühl der Andersartigkeit eines Raumes hinter einer geografischen Grenze. Der Grenzübertritt bleibt für mich immer noch ein sehr emotionaler Vorgang.

Negativskulptur

Die Stahlsäulen der Notstromaggregate der Netzknoten am Bahndamm leuchten purpurn in der Abendsonne.

Die Tagesarbeit gestern bestand aus der ausgeschmolzenen Negativfigur einer Wachsskulptur von Joana. Der runde Gipsblock, der die Plastik umschloss, ist in zwei Hälften zersägt und gibt die Höhlung preis, die entstand als wir die Formteile erhitzten. Das war nur der Anfang. Mit den Erfahrungen der nächsten Versuche werden wir unser Vorgehen optimieren. Das verspricht noch spannende Ergebnisse.

Die Überlagerungssequenz des zweiten Scherbengerichts auf Rolle 6, habe ich nun etwa zur Hälfte gezeichnet, so dass ich in der kommenden Woche mit den Einzelblättern beginnen kann.

In der Mittagszeit saß ich in der Windstille auf meinem Korbstuhl im Gärtchen und spürte die Sonne heiß in meinem Gesicht. Ich schnitt dann die Bäumchen zurück und kümmerte mich noch um eine Sitznische in einem Wildrosengesträuch am Rande unserer wilden mageren Wiese.

Im Gegensatz dazu spülte die Übertragung der Amtseinführung des US-Präsidenten viel giftigen Schlamm in mein Atelier. Der Mann hat die Hitlerreden studiert und erinnert sehr an Mussolini. Was soll man nun über die Amerikaner denken, die ihn wählten?

Insel | Scherbengricht II | Ausschmelzverfahren

Die Scherbe mit der Nummer 123 des ersten Scherbengerichtes, besitzt die Form eines Messers mit einem kurzen Griff. Umgeben ist dieser Umriss von den Gezeitenlinien unter einem ovalen Tuscheschlick. Die Binnenzeichnungen sind auf ein Drittel auf der linken Seite der Klinge beschränkt. Es gibt da Diagonallinien, die sich dreimal wiederholen, wie ein Walzermotiv mit Variationen. Die Vielen anderen Linien kreuzen sich häufig miteinander und mit den Diagonalen. Es handelt sich um ein Wegesystem auf einer kleinen Insel, das nur zu Fuß begangen wird. Am südlichen Strand, auf der windabgewandten Seite, werden die Boote an Land gezogen. Dann gibt es noch eine kleine Bucht, die südöstlich ausgerichtet ist. Die ist felsig und kein Weg führt dorthin. Auf der winzigen, aber bewohnten Insel, gibt es nur eine Tanzschule, die von den Bewohnern der Nachbareilande besucht wird. Alles andere, was man für das Leben benötigt, lernt man auf dem Meer.

So ließe sich für jede Scherbe ein Szenario entwickeln. Sicher würden sie sich ähneln. Manche aber sind ganz unbewohnt, weil viel zu klein. Das sind die Stationen der Seevögel, die sie mit ihren Nestern und ihrem Kot bedecken.

Gestern widmete ich mich dem Scherbengericht II. Es besteht aus über 150 Splittern, die ich in einen Dreierreihe geordnet, mit regelmäßigen Abständen auf Rolle 6 gezeichnet habe. Als nächstes beginne ich mit der Überlagerungssequenz die Umrisse zu füllen.

Mit meinen Schülern würde ich heute gerne die abstrakten, spontan und zufällig entstandenen Wachsfiguren, biografischen Stationen zuordnen. Mit dem Wachsausschmelzverfahren kann man dann negative Volumina davon herstellen.

Giacometti | Schelllackozeane

Jede einzelne der etwa 300 Scherben mit ihren Binnenstrukturen, erscheint mir wie die Kartierung eines Landes. Sie ließen sich einzeln unter die Lupe nehmen und erforschen. Die Landschaften, Straßen und Flüsse. Mit dem Zerspringen der Doppelportraits geht die Befreiung von einer Verspanntheit einher. Ein Schuss ist auf eine Glaskuppel abgefeuert worden. Man kann sich schütteln und aufstehen.

Gestern zeichnete ich 35 Scherben mit ihren Binnenautobahnen. 20 von ihnen sind schon auf den Tuscheinseln in den Schelllackozeanen angekommen.

Da ich viermal dasselbe Muster mit Gravitationsschwüngen benutzt habe, um die vier Teile des Doppelportraits zu sprengen, gibt es da, wo die Umrisse nicht von den Rasterpunkträndern beeinflusst sind, übereinstimmende Scherbenkonturen. So könnte ich diese Scherben austauschen und falsch zusammensetzen, um verschiedene Varianten des reinkarnierten Bildes zu schaffen.

In der Kunsthalle Schirn werden derzeit Werke von Alberto Giacometti und Buce Nauman gegenübergestellt. Die Giacomettiwerke gehen mir, wenn ich sie langsam umrunde, ziemlich nahe. Es wird deutlich, mit welcher Intensität er sich der Komposition widmete. Die Maßverhältnisse erscheinen immer so, als könnten sie gar nicht anders sein. Es ist ei Glück, das sehen zu können. Die Oberflächen oder Fragmente können schwebend zu Ende gedacht werden.

Der Geruch des Zahlenschreibers

Die Wandlungen der Buchmalereien führen zu den Kräften, die innerhalb der Scherbengerichte walten und dahin, was aus ihnen erwächst. Die Energieversorgung durch die schwarzen Tuschekreise der einzelnen Blätter, fließt über die Bahnen der Binnenstruktur der Scherben hinaus in meine Erinnerungsgeflechte. Von dort aus entstehen die suchend kreisenden Gravitationslinien, und markieren den Anfang der morgendlichen Malerei.

Ich erinnere mich an das Aktzeichnen bei Frank Lehmann in Coswig bei Dresden. Dort zeichnete Ralf Kerbach, dessen Arbeit sich bis heute, soweit man das im Netz sehen kann, nicht sehr gewandelt hat, eine Figur und füllte sie mit einer Spirallinienstruktur, die er dann wieder übermalte. Dieser Vorgang war mir dann noch lange gegenwärtig und schafft bis heute mitunter eine eigene, versteckte Vielschichtigkeit der Blätter. Manchmal verdichten sich auch jetzt noch aus solchen Spiralen klarere Formen, mit denen ich dann weiterarbeiten kann. Nicht zuletzt sind die Gravitationsschwünge ein Echo davon, das ich jetzt bei Franz Konter wieder gefunden habe.

Im Schreibsekretär liegen nun über 100 Blätter des 3. Scherbengerichtes. Wenn ich die Blätter in dieses Schränkchen legen, rieche ich den Menschen, der zuvor daran gearbeitet hat – ein Zahlenschreiber, wie manche durchgedrückte Kugelschreiberlinien auf dem Furnier der aufklappbaren Schreibplatte verraten.

Das Schweben der derzeitigen Buchmalereien hat die Unentschiedenheit eines Gleichgewichts. Vielleicht ist die Suche nach der vagen Waage ihr Thema.

Akustische Gravitation

Durch akustische Schwingungen können kleine Massen in der Schwebe gehalten werden. Diese kleinräumigen Gravitationen stellen ein Gleichgewicht her. Dieses Gleichgewicht interessiert mich im Zusammenhang mit der dreidimensionalen Bildkomposition.

Die akustische Gravitation im Weltall, die etwa durch die Verschmelzung von Schwarzen Löchern entsteht, inspiriert mich unter anderem zu meinen Inkarnationszeichnungen innerhalb der Scherbengerichte. Die Energieflächen der schwarzen Kreise, die die Scherben umschließen, durchströmen mit reagierenden Substanzen ihre Binnengeflechte.

Gleichzeitig durchströmen diese hochflüssigen Stoffe meine Austauschbahnen zwischen den Erinnerungsmustern. Dieses Strömen zwischen den abgelagerten Gefühlen, die sich aus erinnerten Sinneseindrücken zusammensetzen, hat eine Wirkung, die man mit der aufscheinenden Lichtenergie vergleichen kann.

Es ist die Jahreszeit solcher Phantasien!

Am Abend verschaffte ich mir einen Überblick über die verbleibende Arbeit an den Scherbengerichten. Bisher hatte ich mich etwas verschätzt, denn die Anzahl der Scherben erhöhte sich auf fast 600. Ihre zunehmende Größe verlangt auch mehr Binnenzeichnung.

Muster

Im Museum der Weltkulturen gibt es keinen Mangel an ausstellbaren Exponaten. Die große Sammlung, die sich ja auf das Leben anderer Völker an sich bezieht, trägt aus heutiger Sicht natürlich einen Makel mit sich herum. Das ist die koloniale Haltung, mit der alles zusammengetragen und katalogisiert wurde. Aber angesichts der immer gegenwärtigen Zivilisationsverdrossenheit, gelingen uns heute wenige nüchterne Blicke auf die realen Lebensumstände der fotografierten Bewohner an den Rändern unserer Horizonte.

Der Rote Faden“ ist der Titel einer Ausstellung, die ich mir gestern dort angeschaut habe. Werkzeuge und Exponate des textilen Handwerks aus Asien und Südamerika bestritten den Hauptteil der Schau.

Textile Begriffe des Alltags bildeten die äußere Klammer für die tiefer gehenden Inhalte, die gewebte Muster als gesellschaftliche Übereinkünfte überliefern können. Es geht dabei aber auch um die Grundbausteine des Denkens, deren Muster Verhaltensweisen erzeugen. Ich bin gerade dabei, die Muster zu suchen, die das Verhalten der Väter prägen. Die, die ich während dieser Arbeit finde, erlauben es mir dann wieder, die Fäden der Erinnerungen aufzunehmen und weiter zu spinnen.

Gestern, am Sonntag, entstanden nur die luftigen Maschen der Gravitationsschwünge der Buchmalereien. Aus Hamburg bekam ich ein Bild mit einem Blick von der Aussichtsterrasse der Elbphilharmonie. Ansonsten war es ein stiller Tag.

The Who and The What | Cave

Über eine dünne Schneedecke folgte ich den Spuren in meine sonnige Höhle. Bin nicht mitgefahren zur deutschen Erstaufführung von Ayad Akhtars „The Who and The What“ in Hamburg. Wir telefonierten am Morgen. Es war ein Erfolg. Auch was jetzt schon in der Presse zu sehen ist, sieht gut aus…

Jetzt erinnere ich mich an den ansteigenden Lichtbalken in einer Höhle in Ellora, der von der untergehenden Sonne ausgehend, langsam einen Buddha erleuchtete. Eine illustrative Sonnenlichtinstallation.

Es mischt sich das flache Winterlicht mit „Skeleton Tree“ von Nick Cave, tritt durch die Pflanzenwand und flirrende Schatten werfen mir Äpfel in den Schoß. Ich schneide sie in Stücken, wodurch der Duft über den Zeichentisch hinwegschwebt in meinen Körper.

Mir begegnete das Erlebnis, dass Eltern ihre Kinder verstoßen, in einem Dokumentarfilm über das Erbe der Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR wieder. „Die Schuld der Anderen“ heißt er und stieß mich erneut an, mir den Rest meiner Akte zukommen zu lassen.

Die Durchlässigkeit der Erinnerungsschichten stelle ich mir dreidimensional vor. Ein Block aus Splittern, die in einem Plasma – Malstrom verschmelzen, um sich dann neu zu formieren.

„Eine Familie“ | Konstruktionen | Gemüsesuppe

Eine Familie“ von Tracy Letts in der Übersetzung von Anna Opel, wurde im Schauspiel Frankfurt von Oliver Reese inszeniert. Wir sahen gestern die Premiere, die zwischen zwei Zuschauertribünen stattfand. Depressive, aggressive Alltagsroutine mit großem zerstörerischem Potential. Aber kein Scherbengericht vermochte die gläserne Starre zu zersplittern, auch wenn viel Geschirr zu Bruch gegangen ist. Einzig der Song, den die tote Vaterfigur mit einer Countryband sang, verwies auf den fortlebenden Zwist, der seine Bestimmung in der Familienapokalypse finden wird. Sie kündigt sich schon in einer Verwandlung der Tochterfigur in das Bild der tablettenabhängigen Mutter an. Generationen tragen die Last der Schicksalsschläge ihrer Vorfahren immer weiter in die Zukunft.

Manchmal tragen mich Erwartungen ins Atelier. Sie kristallisieren sich bei mir in der Form, dass sie in den Buchmalereien zu sichtbaren Verflechtungen heranreifen. Die Kombination der verschiedenen Techniken des Umgangs mit den Wasserfarben, führt zu vagen Gefühlsfigurationen. Sie formulieren Konstruktionen schwebenden Glücks und begeben sich somit auf die Suche nach Schönheit.

Gestern allerdings kochte ich in Ruhe eine Gemüsesuppe für meine Schüler, mit denen ich dann einen recht ruhigen Ateliernachmittag verbrachte. Ich kam nicht zu meinem „Scherbengericht I“, aber vielleicht heute. Keine Verabredungen fürs Wochenende, eine gute Voraussetzung, in den Splittern weiter nach vergangenen Ereignissen zu suchen.

Durchlässigkeit der Erinnerungsschichten

Die19 neuen Blätter zum Scherbengericht I, von gestern, legte ich auf den Stapel aus nun 66 Scherben, weil ich Platz zum für die Buchmalereien benötige. Der Stapel vom Scherbengericht III im Schreibsekretär, besteht aus 153 Blättern. Ich merke, wie ich unter einen zeitlichen Druck gerate, der durch die ungeduldige Neugier auf das Zwischenergebnis, das die Inkarnation des Doppelportraits darstellt, ausgelöst wird.

Die Durchlässigkeit der Erinnerungsschichten erhöht sich durch die ständige Beschäftigung mit den Scherben, als lösten sich die Zeitebenen auf und vermischten sich miteinander. Ich sehe den Schreiner Pfitzner neben seinem Bruder, in das Geschirr des Plattenwagens mit dem Modell des Breslauer Doms eingespannt, eine bergan laufende Landstrasse entlanggehen. Sie unterhalten sich keuchend über ihr nächstes Ziel und die Annehmlichkeiten dort. Sicherlich haben sie Geldsorgen.

Draußen Stürmt es bei +2°, Regen und Schnee. In der kommenden Woche soll es kälter werden…

Immer öfter geht mir das große Format durch den Kopf. Das passiert ab und an, wenn ich in wichtigen Phasen irgendeiner Arbeit bin. Das entsteht der Wunsch das Material näher unter die Lupe zu nehmen.

Heute aber kommen die Schüler, für die ich zunächst kochen werde. Dann werde wir hoffentlich mit unserer Weiterentwicklung der Wachsskulpturen beginnen können.

Näher herangehen

Schon jetzt erscheint das Doppelportrait der Väter wie ein altes Menetekel, das hätte früher entziffert werden müssen. Nun will ich das Versäumnis nachholen und so weit wie möglich korrigieren. Dazu kann ich ein großes gezeichnetes Exemplar nutzen. Bei einer Größe von 3 x 4 Metern kann ich nahe an die Scherben herangehen, die neuen Zeichen innerhalb ihrer Umrisse lesen und interpretieren. Es kann ein Erinnerungsraum entstehen, der über die Zeit meiner Existenz hinaus, zurückreicht.

Ich bin gespannt auf die Begegnungen zwischen den Schichten der Tusche, des „Bernsteinlacks“ und der Graphitspiele. Mit Glück begegne ich mir, innerhalb der durchscheinenden Splitter neu.

Jetzt kann ich aber gar nichts wissen, denn alles wird während des Arbeitens passieren und innerhalb der Erfindungen, die dann dazukommen werden.

Auch bei den Buchmalereien scheint sich eine neue Schicht hinzu zu gesellen, denn die Verwischungen habe ich noch nicht ganz beiseite gelegt. Sie gehen nun Verbindungen mit den Gravitationsschwüngen ein. Neu ist eine gewisse Wildheit. Auch sie tendiert ab und an zu größeren Formaten, innerhalb derer ich mich besser austoben könnte und auch hier die Möglichkeit hätte, näher heranzugehen.

Vätergesichter

Am Abend hatte ich mir den Zeichentisch für den heutigen Morgen vorbereitet. Die Blätter zum Scherbengericht I legte ich in den Schreibsekretär zu den anderen. Weitere habe ich schon begonnen. Sie müssen nur noch mit Schelllack und Tusche umgeben werden.

Neben den Kindheitserinnerungen, die durch die Beschäftigung mit den Scherben aufsteigen, beschäftigt mich die Geschichte des Nachnamens der väterlichen Linie. Männer, die sich aus dem Staub gemacht hatten, d. h. Frauen und Kinder alleine ließen, wurden mit Vergessen bestraft. Die Namen wurden ausgelöscht, niemand redete über sie. Umso spannender erscheinen nun die Geschichten ihres Verschwindens, ihrer Verantwortungslosigkeit und ihres Willens zur Freiheit.

Pfitzner, der Großvater, zog mit einem Handwagen, auf dem das Modell des Breslauer Doms stand, durch Europa und träumte davon, mit dem Schiff nach Amerika zu fahren.

Ich frage mich, wie sich diese Träume, Taten und Katastrophen auf mein Tun auswirkten. Vielleicht werde ich darüber etwas erfahren haben, wenn das Scherbengericht fertig ist, wenn ich tat, wovon ich träumte, wenn ich die Gesichter der Väter auslöschte und wieder neu zusammensetzte.

Ein Dienst

Oben habe ich die Scherbe mit der Nummer 10 des ersten Scherbengerichts in die Collage eingefügt. Neun Blätter habe ich gestern fertig gezeichnet. Daran werde ich nun täglich weiterarbeiten.

Am Morgen ging mir eine weitere Entwicklung dieser Gesamtarbeit, als große Zeichnung von 4 x 3 Metern durch den Kopf. Ich würde sie auf die Leinwand bringen, die ich schon auf den großen Rahmen aufgespannt habe. Am liebsten wäre mir, wenn der Stoff ungrundiert bleiben könnte, damit ich mit Tusche, Graphit und Schelllack etwas Neuland betreten könnte. Ich stelle mir vor, dass direkt auf dem Stoff eine größere Direktheit zu erzielen ist, die mit anderen Mitteln, wie Frottagen oder anderen Abdrücken erreicht werden kann. Einen differenzierteren Fortgang der Arbeit will ich kaum weiterdenken, denn der sollte dann vom Tun gelenkt werden.

Dieses fragmentierte, bis zur Unkenntlichkeit zersplitterte und wieder zusammengesetzte Doppelportrait der Väter, kann die Last ihrer Taten überschreibend, verblassen lassen. Ich tue ihnen einen Dienst damit und mir auch.

Am Morgen bin ich über neuen, feuchten, klebenden Schnee hierher zum Zeichentisch gelaufen. In der gedämpften Landschaft, hörte ich jeden Schritt meiner Schulsohlen. Den Klang des Flockenteppichs, der von meinem Gewicht zusammengepresst wird, kann ich nur schwer beschreiben. Am ehesten ist es mit einem kurzen Knurren vergleichbar.

Montagmontag

In den Kammerspielen des Schauspiels gestern ein „Finanzwestern“ mit dem Titel „Der kalte Hauch des Geldes“. Die Arbeitsweise, das Stück gemeinsam mit dem Ensemble zu erarbeiten, führte diesmal zu einem harmlosen Abend, den man getrost schnell vergessen kann.

Wir hätten uns nicht einen Tag zuvor den Kleist anschauen sollen…

Obwohl ich durch den frischen Morgen ins Atelier gelaufen bin, bin ich noch nicht so recht munter geworden. Auch nicht durch die Buchmalereien, wie ich es gehofft hatte. Mit ihnen fiel ich eher zurück in alte Gewohnheiten.

Ein Montagmontag.

Prinz Friedrich von Homburg

Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ sahen wir gestern in der Inszenierung von Michael Thalheimer am Schauspiel Frankfurt. Wie so oft bei den Abenden dieses Regisseurs beherrscht ein klarer Gedanke die Form. Auf Requisiten wird weitgehend verzichtet, als störten sie nur die Konzentration auf das Wort, das in diesem Fall auch besonders wertvoll und deswegen schützenswert erscheint.

Immer wenn ich es mit diesen preußischen Denkmodellen zutun habe, kommt mir meine Kindheit in Brandenburg oder in dem Erziehungsheim Gerode in den Sinn. Ein, von einer Mauer umschlossenes Dasein, geprägt durch das Gehorchen.

Der hohe, portalbreite Zylinder auf der Drehbühne war auf einem Drittel seines Umfangs geöffnet. So konnte der Raum durch Drehung nach vorne geschlossen dastehen. Er zeigt das Denkmodell der Befehlstreue mit einer erlösenden, gleichzeitig trügerischen, sich immer wieder schließenden Lücke. Ein weiteres Bild wurde durch eine Lichtgasse mit Trockeneis auf der Vorderbühne gebildet, in die die Figuren aus der Finsternis des Hintergrundes für die Dauer ihres Textes hell hervortreten. Noch mal eine Textkonzentration.

Die Sprache kam mir vor, wie aus einer kristallinen Ornamentik gebaut, die sich zur Einheit von Rhythmik und Emotion verdichtet. Diese dramatische Beschleunigung macht die Sogwirkung des Textes aus.

Keine Seerosen

Gestern entstanden 9 Blätter zum „Scherbengericht I“. Wegen der Straffung der Arbeitsvorgänge ging es schneller als sonst. Schon denke ich daran, wann ich das Doppelportrait wieder neu zusammensetzen kann. Bin zu eilig, sollte langsamer machen, die Arbeit genießen…

Besonderen Reiz entwickeln die Einzelblätter, wenn sie von hinten durchleuchtet werden. Dann wird das Zusammenspiel der verschiedenen Schichten aus Schelllack und Tusche sichtbar. Vor allem, wenn die Lackschicht noch nicht ganz trocken ist, stoßen sich die unterschlichen Materialien etwas ab. Das erzeugt fließende Strukturen, die den abstrakten Linienmustern entgegenstehen. Das erzeugt eine gewisse Spannung.

Joana legte ich gestern zwei Gedichtbände von Uwe Gressmann hin. Sie war auf der Suche nach Texten, die sie in ihre Außerirdischensprache übersetzen kann. Als sie das dann wieder zurückübersetzend vorlas, kamen mir die Texte neu vor, allein durch dieses suchende Lesen.

Der Dichter war ein Heimkind mit schwerer Tuberkulose und hatte die Liebe zur Lyrik alleine gefunden. Seine Gedichte sind naiv bis kindlich, meist unpolitisch, fast idyllisch und erschienen dennoch 1966 und 1972 der DDR.

Schnee fällt nun in der abendlichen Dämmerung auf den kalten Boden. Die Wasserbehälter draußen sind vollständig, durch und durch gefroren. Wahrscheinlich wird es im kommenden Sommer keine Seerosen geben.

Rolle 7 | Buchmalerei

Auf dem Zeichentisch liegt eine Papprolle mit der Aufschrift: “Materialsammlung Kraftfeld 2010“. Mit meinen Splittern habe ich mich davon nun entfernt. Keine Wanderungsspuren mehr. Nur noch abstrakte Strukturen, die sich allenfalls entfernt auf Gegenständliches zurückführen lassen.

Die Überlagerungssequenz des „Scherbengerichtes I“ habe ich gestern auf Rolle 7 fertig gezeichnet. Die Dichte der Binnenstruktur entspricht der vom „Scherbengericht III“ auf Rolle 6.

Im nächsten Schritt werde ich die Einzelblätter für die neuen Splitter herstellen. Wegen der Erfahrungen mit dem „Scherbengericht III“, geht nun alles etwas schneller.

Länger dagegen dauern die Buchmalereien. Wegen der Mischung verschiedener Techniken, vervielfachen sich die Möglichkeiten, die Abdrücke, Verwischungen und Farbzeichnungen zu kombinieren. Ich versuche das immer weiter zu treiben und hoffe damit an einen Punkt zu kommen, an dem es eine entscheidende Erneuerung innerhalb meiner Arbeit hervorbringt.

Ich denke daran, diese Handballenabdrücke auch mit anderen Materialien auf einem Schelllackgrund durchzuführen. Das könnte ich mit durchscheinenden Collagen kombinieren.

Liniengeflechte

Die Utensilien des Scherbengerichts I, für diesen Arbeitsschritt, auf dem Zeichentisch, sind die Transparentpapierrolle 7, Rohrfeder und Tusche. Der Vorgang des Zusammenrollens der durchscheinenden Scherbenumrisse, zieht die Liniengeflechte innerhalb der Splitter nach sich. Mehrere solche Arbeitsgänge sind notwendig, um etwa die Strukturdichte zu erzielen, die auch im Scherbengericht III vorhanden ist.

Die passende Musik für diesen Arbeitsgang sind Bachs Cellosuiten von Pieter Wispelwey gespielt.

Ich erinnere mich an die Zeit, in der es nur möglich war, seine Lieblingsmusik zu bestimmten Zeiten, einmal in der Woche zu hören. Das waren sehr aufregende Stunden. Jetzt ist alle Musik fast immer verfügbar. Man muss sie aus einem riesigen Angebot auswählen und sich dann die Zeit für sie nehmen.

Die Buchmalereien benötigen in der letzten Zeit mehr Aufmerksamkeit. Ich verharre länger bei ihnen, weil sie sich, im Vergleich zu den letzten Jahren, derzeit schneller wandeln. Die Elemente dieser Arbeit fordern mich nun intensiver. Abdrücke, Verwischungen, kräftige und zarte farbige Linien kombinieren sich zu abwechslungsreichen Gespinsten.

Weil stärkerer Frost droht, habe ich die Olivenbäume nun hereingeholt. Der große, schwere steht auf einem Wagen, damit ich ihn bei milderer Witterung gleich wieder rausstellen kann.

Scherbengericht I

Die erste Phase des Scherbengerichtes I zeichnete ich bereits am 13. und 14.06. 2016 auf einen kleineren Transparentpapierbogen. Damals ordnete ich die Splitter erstmalig in Zeilen. Mir war auch schon klar, dass ich die Überlagerungstechnologie, die auf dem Zusammenrollen des Transparentpapierstreifens und dem Durchzeichnen der sich stapelnden Motive beruht, zur weiteren Verarbeitung des Materials benutzen würde. In dieser Weise werden die Scherben mit neuen Strukturen gefüllt.

Gestern zeichnete ich die Umrissfiguren noch mal in drei gleichmäßigen Reihen auf einen etwa 8 Meter langen Streifen. Das ist die Grundlage für die neue Überlagerungssequenz. Mit ihr werde ich die Rolle 7 beginnen, die wieder eine Gesamtlänge von 50 Metern haben wird. Meist zieht sich die Arbeit an diesen Transparentpapierrollen über mehrere Jahre hin, sodass sich die Beschäftigung mit unterschiedlichen Themen dort nacheinander abbildet. Von Rolle 7 aus wandern dann die Scherbenumrisse wieder auf die Einzelblätter, von denen es innerhalb von Scherbengericht I etwa 135 geben wird. Die Einzelblätter sind wiederum die Grundlage für die Neuzusammensetzung des Raster-Doppelportraits von Vater und Großvater.

Die letzte der täglichen drei Buchmalereien besteht jetzt manchmal zu großen Teil nur aus Abdrücken der vorangegangenen farbigen uns abstrakten Motive. Nur vorsichtiges Hinzufügen von Linien und farbigen Punkten vervollständigt die Malerei.

Mich beunruhigt der Trend zur Simplifizierung der Sprache. Sie klingt wie die der Menschen, die einfache Wahrheiten bevorzugen.

Schwarzes Lamm

Endlich wieder Im Atelier. Heizung aufdrehen, ein großes Glas Wasser und am aufgeräumten Zeichentisch Platz nehmen.

Als ich den Schreibsekretär aufklappte, lag da der quadratische Stapel des Scherbengerichtes III drin. Darunter leuchtete die nächste, nahe liegende Arbeit auf. Ich werde die ganze Arbeit des Totenbuches und der darin eingebetteten Scherbengerichte sichten und dann mit dem Scherbengericht I beginnen.

Zwölf Buchmalereien, die ich über Neujahr in der Kaisermühle am Rimbach angefertigt habe, sind nun gescannt. So kann ich sie weiter ausprobieren und beispielsweise in Collagen einfügen, wie oben. Vorhin dachte ich darüber nach, wie ich von den täglichen Zeichnungen zum Begriff Buchmalereien gekommen bin. Dabei wird deutlich, wie sehr sich die Arbeitsweisen in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Die kleine Form macht es mir leichter, Entwicklungen langsam, über weite Zeitläufe, geschehen zu lassen. Nun kehren wieder mehr zeichnerische Elemente ein. Das Verwischen hat an Wichtigkeit eingebüßt und tritt hinter die konkreten linearen Strukturen zurück. Ausgeschnittene Fragmente, die sich zu den Collagen zusammenfügen, geben die Zeichnungen nur ungenügend wieder. Darum geht es auch nicht. Mit den Collagen suche ich eine andere Kontinuität, die was anderes aufdeckt.

Vor dem Fenster der Mühle stand eine Schafherde mit einem kleinen schwarzen Lamm auf der Weide. Es probierte springend seine eigene Neuheit aus. Dieses Bild soll mich in diesem Jahr begleiten.

Scherbengericht III fertig

Das Scherbengericht III ist nun fertig. Durch eine weitere Änderung des Arbeitsablaufes, ging die Produktion gestern flüssiger voran. Es sind die letzten 17 Blätter entstanden. Der mit Schelllack angelegte Untergrund trocknet, je nach Stärke der Schicht, wie eine Landkarte mit Höhenlinien auf. Es gibt Trocknungsränder, die sich besonders unter der später aufgestrichenen Tusche abzeichnen, wie es in der Oberen Collage zu sehen ist.

Damit ist nun diese Phase des Scherbengerichtes vorbei. Im kommenden Jahr kann nun mit den weiteren 3 der 4 Teile begonnen werden. Zunächst werde ich sichten, was alles schon bei den Scherbengerichten I, II und IV an Material vorhanden ist.

Während der Arbeit hörte ich am Nachmittag „Bird Cage“ von John Cage. Eine längere Komposition mit Vogelstimmen und der des Komponisten, keine Zwitschermaschine. Das hat mich inspiriert, Erinnerungen aufgerufen und bei der Stange gehalten.

Mir kam in den Sinn, dass die Wand in der Kaschemme mit dem Scherbengericht zutun hast. Die Möglichkeiten verschiedener Gesichter, die entstehen können, sind schon zum Teil durchgespielt. Dieser Schritt auf dem Weg zum Unbekannten Ergebnis, vollzog sich unbewusst.

Am Abend sahen wir in der Kunsthalle Schirn die Ausstellung eines großen Teils des Lebenswerkes von Ulay. Vieles schien mir verwässert. Manchmal schien eine starre Behauptungswut aus fehlendem Denken hervorzutreten.

Vage Gravitation

Manchmal dauert das Zusammenfügen der Collage aus dem täglich hergestellten Material einfach zu lange. Ich kann dann mit dem Ergebnis nichts mehr anfangen, kann kaum einschätzen, ob mich das überhaupt ein Stück weitergebracht hat.

Oben fügt sich nun eine von den 8 Scherben, die ich gestern angefertigt habe, zusammen, mit einem Stück Buchmalerei von heute und dem, was noch von gestern durchleuchtet. Eigentlich verliert alles an Klarheit und eigenständiger Kraft. Geopfert wird sie, damit die Such nach etwas anderem weitergehen kann. In den Collagen ist alles in Bewegung.

Nur unmerklich verändern sich die Blätter des Scherbengerichtes III. Die Produktion läuft an solchen Nachmittagen reibungslos.

Am Morgen stellte ich fest, dass nur noch 23 Blätter anzufertigen sind, damit ich mit dieser Phase noch in diesem Jahr fertig werde. Das wäre zu schaffen, wenn ich mich an meinen zwei verbleibenden Arbeitstagen von 2016 richtig ranhalten würde. Dann aber entsteht der Druck, den ich bei dieser Arbeit nicht gebrauchen kann…

Die Buchmalereien fliegen auseinander, als müssten sie sich wieder neu zusammensetzen. Die Arbeitsweisen der verschiedenen Projekte färben gegenseitig aufeinander ab.

Fremdzeichen

Während der Weihnachtstage arbeitete ich lediglich an den Buchmalereien, die mir täglich die Gelegenheit geben, ein wenig gestalterisch zu forschen. Sie sind in der Frankenallee, in meinem Balkonzimmer entstanden, mit dem etwas ablenkenden Blick auf die Bäume, die Strasse und ihr Treiben. Es gibt klare Unterschiede zwischen dem Material, das hier und dem, was in diesem Zimmer entsteht. Die großen kreisenden Bewegungen sind zu Rotorblättern verwandelt. Es zählt eher der Motor, als die Bewegung und Kraftentfaltung. Sie versteckt sich in der flüssigen, verschwimmenden Form. Reduktion auf Kraft, ohne ihre Entfaltung – kinetische Energie.

Jetzt bin ich wieder im Atelier und traktiere das Papier des Buches, weiche es durch und drücke die Farbe in die weichen Stellen übereinander. Es ist, als zwänge sich das auf, indem es ins Material sinkt.

Der auf Teves Ost abgeladene Abfall der Sperrmüllentwickler von Teves West dient mir in Mikrodosen als Materiallieferant für kleine nebensächliche Installationen, die Raumzeichen sein können. Stühle, die langsam im Wetter zerfallen sind beispielsweise ein sehr dankbarer Materiallieferant. Auf Sperrmüllhalden abgekippte Dekorationsteile bieten kleine Billig – Pretiosen zum Aufstecken auf einen Zweig meiner Hecke. Sie ist durchsetzt von dererlei Fremdzeichen.

Ich träumte in der Nacht von einer großen, gemalten zwanzigminütigen Animation. Eine Stadtlandschaft mit Türmen und Menschen. Ein impressionistisches Gewimmel, auf dessen Gebäudefassaden die Schatten eines Sonnenuntergangs emporwuchsen.

Dynamiken

Zehn Blätter zum Scherbengericht – gestern. Langsam wächst der Stapel. Aber die Bewegung ist ansonsten minimal. Gleichklang herrscht da.

Ganz anders bei den Buchmalereien. Diese Dynamik ist ein Gegenpol. Die Ruhe der steten Verwischungen und Farbauffächerungen ist dahin. Alles wirbelt, erschafft Echos und schwingt in der Strukturen der Haut meines Handballens. Die Farben rufen nach Ergänzungen vom gegenüberliegenden Segment des Farbkreises, die sie nicht bekommen. Das schafft unangenehme Spannungen. Man möchte wegschauen, fernbleiben und zum Fenster gehen, raus aus der Höhle der Disharmonien.

Ein interessantes Experiment scheint sich an der Volksbühne in Berlin anzubahnen. Da ist ein Museumsmann berufen worden, der sich mit bildender Kunst auskennt und deswegen der richtige für die Zukunft des Theaters sein kann. Das wäre eine Gelegenheit für Vinzenz, wenn ich mir die Interviews anschaue. Kann natürlich sein, dass die Alteingesessenen unkündbaren Theatertiere der Volksbühne da was dagegen haben und das den neuen Chef auch spüren lassen.

Der leuchtende Osten!

Mit Joana würde ich heute gerne wieder Wachsexperimente machen. Vielleicht können wir eine Hohlform anfertigen…

Wandbild | Scherben | Buchmalerei

Immer öfter tauschen die Buchmalereien Elemente untereinander aus, wiederholen sie in abgeschwächter Form, oder nehmen sie zum Anlass innerhalb der eigenen Komposition etwas Neues zu entwickeln. Manchmal entstehen daraus auch wässrige Atmosphären aus denen Figuren der benachbarten Formate hervortreten.

In den Collagen kombiniere ich nun Fragmente dieser Vorgänge mit anderen Motiven, wie beispielsweise den Splittern des „Scherbengerichtes III“ meines Biografieprojektes. Oben handelt es sich um die Scherbe mit der Nummer 83.

Gestern beendete ich die Arbeit am Wandbild. Ich werde mich nun zwingen müssen, daran nicht weiter zu zeichnen. Manchmal denke ich daran, eine solche Arbeit mal hier im Atelier zu machen. Da habe ich aber nicht dieses anspornende Publikum, das mir von hinten auf die Schulter klopft.

Heute gehe ich wieder in Ruhe an das Scherbengericht. Das Wandbild hat mich doch etwas aus meiner normalen Atelierkontinuität herausgenommen. Es wird Zeit, dass ich mit den Scherben vorankomme, denn der nächste Arbeitsschritt sollte nun bald folgen, um nicht auf der Stelle zu treten. Zu aller Kontinuität gehört auch Dynamik.

Morgen kommen meine Schüler vielleicht zum letzten Mal in diesem Jahr. Ich werde aber das Angebot zwischen Weihnachten und Neujahr aber aufrechterhalten und schauen, wer kommt.

Doppeldeutig

Endlich ging die Arbeit am Scherbengericht weiter. Nachdem ich die zerborstene Frontscheibe des Sattelschleppers sah, der Vorgestern in einen Weihnachtsmarkt gerast ist, fühle ich beim Zeichnen der Splitter den Untergrund nachgeben. Die Geschichten werden doppeldeutig, fahren in die Abgründe.

Die Sonne ist heute 8,6 Stunden über der Wolken- und Hochnebeldecke. Gestern, als sie gegen 15 Uhr zu sehen war, stand sie nicht mehr weit über dem Horizont. Aber das Blatt wendet sich nun.

Bei Kayo werde ich nun noch einmal zeichnen. Dann erkläre ich die Arbeit für abgeschlossen. Lediglich eine Schutzlasur sollte ich noch darüber legen. Im Gedenken an die vielen Stunden, die ich dort zugebracht habe, an die unvergesslichen Szenen, die mit Gleichgültigkeit, Liebe, Sucht und Tod zutun hatten, ist das Werk entstanden und der Nächstenliebe gewidmet. Es kann den Titel „…aber unsere Liebe nicht“ tragen. Er wäre angemessen.

Meine Atelierarbeit, besonders die Buchmalereien, sind so weit davon entfernt und doch parallel möglich.

Höhlenzeichnung

Was ich an der Wand vom Rebstockimbiss produziert habe, ist eine Höhlenzeichnung. Gestern fünfeinhalb Stunden im Qualm und ohrenbetäubenden Lärm der Lautsprecherboxen, im Geschrei der Trinker, mit dem Kopf im Nacken, auf der Eckbank vor der Wand stehend. Die sich wiederholenden Rituale in der ausgemalten Höhle, haben nur am Rande mit den Zeichnungen zutun. Sie hangeln sich eher an Schlagertexten entlang, an Marmorstein und Eisen. Kayo hielt mich mit Schokolade und Pizza am Leben.

Steve Reich beschreibt sehr knapp und präzise seine Arbeitsweise bei „Different Trains“. Schon damals dachte er an eine „…neue Art des dokumentarischen Musik / Videotheaters…“. „The Cave“, das wir am Sonntag erlebt haben, schloss formell direkt an diese Arbeit an, bedient sich aber außer der Tonaufnahmen der Interviews, auch ihrer Bilder. Dieser grundlegende Unterschied schwächte meiner Meinung nach, durch die Aufhebung der alleinigen Konzentration auf das Gehörte, das System der Wahrnehmung.

Die Wandzeichnung bei Kayo fand unter einem zunehmenden Zeitdruck statt, weil ich mir vorgenommen hatte, bis Weihnachten fertig zu sein. Dadurch war ich gezwungen, mich zunehmend auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das hat dem zeichnerischen Rhythmus und der Klarheit gut getan. Der zurückhaltende Beginn zeigt sich auch an der dünnen Kleinheit der Figuren. Jetzt folgt ihre Größe auch dem wuchtigeren Strich, der sich im Verlauf der Arbeit befreit hat.

The Cave

Bei manchen Stücken von Steve Reich herrscht ja eine gewisse Erklärungs- und Mitteilungslust. Und passend zu diesem Gedanken, sahen wir gestern seine Komposition „The Cave“ im Bockenheimer Depot. Der Dirigent Brad Lubman, aus den USA, gilt als Experte und studierte das Stück mit dem Ensemble Modern ein.

Der Videoteil der Multimedia-Oper oder des Video-Oratoriums, der von Reichs Frau Beryl Korot stammt, ist schon sichtlich angestaubt, obwohl er erst 23 Jahre alt ist. Die Musik allerdings kommt frisch daher, auch wegen der Präzision des Orchesters. So trifft die Zeitlosigkeit der Komposition auf ein eigenartig illustrierendes Element, das aber schon vor der Musik existiert hat. Die Interviewsequenzen dienten als Grundmaterial, dem Rhythmus und Melodie folgten. Ein ähnliches Kompositionsprinzip findet sich bei dem Stück „Different Trains“, das ich allerdings nur ohne Video kenne. Es gibt wohl auch Videofassungen, die ich aber nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Denn die Bilder, die allein durch die Musik in meinem Kopf entstehen, verschaffen mir einen anderen, höheren Genuss.

Gestern nahm ich mir eine Auszeit, ließ das Arbeitsjournal liegen und fertigte zu Hause nur die täglichen Buchmalereien mit ihrem Handschrifttext an. So etwas sollte ich mir öfter einrichten.

Sonntag

Sonntag.

Keine Arbeit.

Nur die Buchmalereien zu Hause mit Blick auf die Frankenallee. Beobachtungen der Passanten, wie früher.

Stillhalten

Um den Ton des Fernsehers meines Nachbarn und das Geschrei der Videofilmer auf dem Dachboden über mir in den Hintergrund zu setzen, habe ich mir das Mozartrequiem ausgesucht, um es nun in der entsprechenden Lautstärke zu hören.

Ich verfolge voller Spannung, wie sich die Buchmalereien verändern, während von den Nachbarn Brote am Atelier vorüber getragen werden. Immer mal schaffen sich die konkreten Linien Raum und verdrängen die flächigen Farbauffächerungen. Man kann das wie einen Pendelschlag verfolgen. Die verschiedenen Funktionen des Handballens, in Verbindung mit Wasser, schaffen diese sehr unterschiedlichen Zugriffe auf Linien und Farben.

Während des Hörens des Requiems fällt mir auf, dass es eine Sehnsucht nach musikalischerem Arbeiten gibt. So wie die Handballenabdrücke die Motive verändern und vervielfältigen, werden musikalische Muster zur Wiedererkennung auf einen Zeitstrahl gesetzt. Nun sind diese zeichnerischen Kompositionstechniken schon oft und in aller Breite auf den Transparentpapierrollen zu sehen. Auch in den Buchmalereien ist es nicht neu, dass die Motive sich zumindest verdoppeln und Echos hervorrufen.

Ich warte auf den nächsten Schritt, halte still, denn dann geschieht das Wichtige.

Tauchgang

Die Lektüre meines Tagebuches von 1984 ist ein tiefer Tauchgang in die Gefühle, die ich damals während der Zeit der Ausreise mit mir herumgetragen habe. Zweifel und Unsicherheit, dass der eingeschlagene Weg mit Erfolg begangen werden kann, und Abschiedsschmerzen bei den vielen Begegnungen mit Menschen, die man wahrscheinlich nicht wieder sehen wird. Die Nervosität des Neuanfangs und der damit verbundene Aktivismus. Manchmal habe ich vor großen Reisen einen kleinen Anflug solcher Empfindungen.

Gerade haben wir für den April Tickets für ein Dylankonzert in der Festhalle gekauft. Die Preise haben deutlich angezogen, was sicherlich auf den Nobelpreis für Literatur zurückzuführen ist. Seine Abwesenheit während der Verleihung wurde von Patti Smith in dem Vortrag eines Liedes umschrieben. Ich stelle mir vor und meine es auch aus seinem Grußwort entnommen zu haben, dass ihn dieser Auftritt überfordert hätte. Ich denke dabei auch gleichzeitig an das Fernbleiben von Elfriede Jelinek, damals als sie den Preis bekommen hatte.

Am Morgen waren die Buchmalereien wieder neu. Die konkreten Linien der Gravitationsschwünge und der Dreiecksgitterkonstruktionen, werden durch die Verwischungen nicht mehr ganz beseitigt. Die Handballenabdrücke verdoppeln das Motiv manchmal in einer sanften und unscharfen Wiederholung. Dadurch kommt eine deutlich andere Qualität zustande.

Zu sprechende Collagen

Eine Einladung zum Essen am Abend.

Wir hatten Gelegenheit von unserer Indienreise zu erzählen. Nicht häufig interessieren sich die Menschen so für unsere Erlebnisse und die Gründe, warum wir immer wieder solche anstrengenden Unternehmungen auf uns nehmen.

Unser Koch zeigte uns später, nach dem köstlichen Essen, seine Vorlesungsvorbereitungen, die er handschriftlich mit Bleistift auf Papier schreibt. Aus Korrekturen entstehen Collagen aus übereinander geklebten Zetteln und so mehrschichtige Sammlungen aus Gedanken. Die Sätze werden zusätzlich von Intonationsbögen überwölbt und Worte werden durch Unterstreichungen hervorgehoben, dass vor den Augen ein zu sprechendes Gebilde entsteht. Sicherlich hat der Gesang neuer Musik seiner Frau, unserer Köchin, mit dieser Arbeitsweise zutun. In dieser schreibenden Sprechweise versucht er seinen Studenten, teilweise staubtrockene, soziologische Zusammenhänge, näher zu bringen. Er hat Erfolg damit, weil immer wieder sehr viele freiwillig zu seiner Vorlesung erscheinen.

Ich habe Sehnsucht nach Handwerk. Ich denke an Bildhauerei, an das Wachsausschmelzverfahren, denke an Transparentpapier in dreidimensionaler Form, an Schreinerarbeit, Holz, Leim und Schelllack.

Für ein weiteres Baumschnittfeuer habe ich die Eisenschale vorbereitet, um in den nächsten Tagen den Berg Gesträuch und einiges trockenes Buschwerk, das noch auf der Wiese steht, zu verbrennen.

Abstrakte Gegenstände

Die zweite der drei gestrigen Buchmalereien macht einen Raum auf. Das geschieht durch ein kleines abstraktes Möbel, das unabsichtlich konstruiert, deshalb rätselhaft erscheinend, durch seine Zartheit und Kleinheit in den Hintergrund rückt. Links davor befinden sich zwei große und wichtige Volumina aus Handballenabdrücken, die mit farbigen Schwüngen miteinander verbunden sind.

Alles schwebt in einem weißen Raum.

Es setzt eine Suche nach Gegenständen ein, wo sie nicht beabsichtigt waren. Das ist gewiss etwas mit der Arbeit an den Wänden der Kaschemme verbunden, wo ich nach Körpern, Köpfen und Gesichtern suche.

All das Gegenständliche steht im scheinbaren Gegensatz zum Scherbengericht, das die Fotoraster des Väterdoppelportraits zersplittert.

Unglücklicherweise hat Kayo seine Fenster halb mit matter Transparentfolie zugeklebt. Das ändert dien ganzen Sinn des Raumes. Einst ein offenes Zentrum, ein wichtiger Treff, wird die Kaschemme nun zu einer geschlossenen Gesellschaft. Mir fehlen die Blicke auf die Kreuzung, die Straßenbahnen, die Baustellen und auf die vielen Passanten. Ich zettele Diskussionen unter den Gästen an, um zu erwirken, dass die Folien wieder abgezogen werden.

Wenig Licht

Atelier. Am Zeichentisch – ein Geschenk, hier in Ruhe zu sitzen.

Wenig Licht. Zögerlich vergeht die Nacht.

Am Abend zeichnete ich bei Kayo, an der östlichen Innenwand seiner Kaschemme, weiter an dem, was die Gäste „das Kunstwerk“ nennen. Manchmal hätte ich gerne mehr Zeit dafür, besonders, wenn ich mich in einzelne Charaktere hineinarbeite. Durch die Zeitbegrenzung aber, komme ich vielleicht eher auf den Punkt.

Ansonsten hatte ich es mit zahmen Buchmalereien und den Steuerunterlagen zutun.

Manchmal denke ich an die Skulpturen vom Klotz, die ich im Atelier in der Idsteiner Straße sah. Vielleicht sollten Joana und ich noch mal die Arbeit mit Wachs aufnehmen. Formenbau mit Gips und Abgüsse in Beton – verlorene Formen.

Auch heute sind die Buchmalereien sehr zurückhaltend, lehnen sich nicht gegen den künstlerisch ereignisarmen Tag auf.

Am Abend aber zeichne ich wieder auf die Wand.

Alte Zeichnungen

Es geht um die Durchlässigkeit biografischer Schichten. Die spontanen Strukturen der Zeichnungen, die unter den täglichen Buchmalereien liegen, unter den Verwischungen und Handballenabdrücken, kommen aus den Siebzigerjahren. Diese Bewegungen teilen immer noch den Seelenzustand mit, der vor vierzig Jahren für den Linienrhythmus verantwortlich war. Ich spüre den Bewegungsablauf aus dem Oberkörper über die Schulter bis in die Finger.

Ich habe Bahnsteige vor Augen, über die ich zu den häufigen Nibelungenproben des Schauspiels in die Probebühne 3 fuhr. Die dichten Bühnenzeichnungen und Aquarelle hatten eine Qualität, an die ich erst viel später wieder herankam. Jetzt lege ich diese über dreißig Jahre alten Blätter wieder auf den Zeichentisch. Es ist, als hörte ich die Stimmen und den Klang des Geflüsters zwischen den Vorhängen, das plötzliche Schweigen, das manchmal wie auf Kommando einsetzte. Alles rückten einem näher auf den Leib – Luft anhalten. Von heute auf morgen konnten Karrieren, Lebensentwürfe und Existenzformen beendet sein.

Wie viele Berichterstatter befanden sich zwischen den schwarzen Wänden der Probebühne 3, der tiefen Höhle im Gestein? Die gelegentlichen Wutausbrüche des Regisseurs waren das kleinere Übel.

Eintrag vom 10.02. 1984: „Dresden ist auch eine schmutzige Stadt.“

Unterirdische Verbindungen

Mir kam in den Sinn, Teile meiner Biografiearbeit mit meinen Tagebuchaufzeichnungen zu kombinieren, um zu schauen, wie sie zusammen wirken.

Auch die gegenwärtigen Buchmalereien haben unterirdische Verbindungen in verschiedene Räume, in denen mein Leben stattfand, spielte oder gespielt wurde.

Um mich von der Geschwätzigkeit des skandalös schlechten Theaterabends von gestern zu erholen, höre ich die Kunst der Fuge, nach einem schönen Licht am Main, das metallisch und niedrig war. Sogar die Schnäbel der Kormorane glänzten wie das Silber der Fischkörper.

Auf dem Weihnachtsmarkt aß ich dann auch ein Matjesbrötchen. Dazu gab’s heißen Apfelwein.

Die Lektüre meiner Tagebucheintragungen der letzten Monate in der DDR berührte mich. Das stete Gefühl der Unsicherheit, der Angst vor der Verhaftung und der Wut auf die Macht, stellte sich wieder ein.

Biografieschichten

Auf der Straße vor meinem Atelier tanzt ein schwarzes Mädchen in rotem Nebel, den Jungs gezündet haben, die sie mit Kameras aufnehmen. Eine schwarze Hip Hop Gang, gut ausgerüstet. Als Kulisse dienen ihnen die halb zerstörten Baracken und die Graffitis darauf. Das alles soll aussehen wie ihr Werk und ihre Umgebung.

Mit meinen Schülern arbeitete ich weiter am Biografiestadtplan. Wir sprechen währenddessen über Filme, Musik und die Kunst der anderen. Die sehr neue Musik Joanas vergleichen wir mit den „Different Trains“ von Steve Reich, an die sie anknüpft.

Ein paar Blätter zum Scherbengericht sind entstanden mit den finsteren Tuscheseen, die sie nährend umgeben. Scherbe um Scherbe verschwindet und wartet in der Unterwelt auf den kommenden Aufstand.

Am Abend im Schauspiel traf ich Durs Grünbein. Ein Stück hatte in seiner Übersetzung Premiere. Wir erinnerten uns an unsere Begegnungen bei den Proben zu Nibelungen unter Wolfgang Engel 1983 und 84. Und nun forsche ich weiter in den Tagebüchern, entdecke vergessene Einzelheiten und bin verführt, Geschichten zu erfinden, die sich nicht zugetragen haben, als sei die Biografie ein Medium, durch das neue Geschichten erwachen. Die mimetischen Formen der Biografie – Stadtkartierung, die ich mit den Schülern mache funktionieren ähnlich. Formen orientieren sich aneinander und verändern langsam sich und die Erinnerungen.

Erinnerung | Schauder

Am Morgen habe ich das Glück meiner Buchmalerei. Die Hautstrukturen meines Handballens verbinden sich mit den Farben. Diese Abdrücke enthalten unbekannte Informationen, die man sicherlich irgendwann entziffern kann. Die Erinnerungen, die von vergangenen Generationen in uns schlummern, teilen sich vielleicht schon über die Abbildungen meiner sich täglich verändernden Körperstruktur mit. Die Richtungen der Hautlinien wachsen schon in die Malereien, werden von den Stiften und Pinseln aufgenommen, manchmal verstärkt und manchmal weggewischt. Was teilt sich also mit?

Gestern sprach ich mit Franz Konter und Niklas Klotz. Es ging wieder um das Thema Erinnerung, um die Brühlsche Terrasse und um Erinnerungen, die wir selbst nicht erlebten, die aber bei uns gespeichert sind.

Mir kommt wieder meine unvollständige Stasiakte in den Sinn, die mir vor vielen Jahren zugeschickt wurde. Ich habe mich später nicht mehr um die fehlenden Aufzeichnungen gekümmert, obwohl ich innerlich mehrmals dazu Anlauf genommen hatte. Die Lektüre des Fragmentes schon lehrte mich das Schaudern. Entsprechend wächst der Respekt von den restlichen Enthüllungen.

Aber auch das ist ein Teil meiner Biografiearbeit, den ich noch tun will. Es ist als weite sich das Scherbengericht aus.

Fülle der Stille

Das war gestern eigentlich gar kein richtiger Arbeitstag. Das Handschrifttagebuch am Morgen mit den Buchmalereien und der Aktualisierung der Datei des Arbeitsjournals, waren die einzigen Spuren, die ich gestern in meinem Atelier hinterließ.

Stattdessen war der Streik der Kommunikationsbasis in der Frankenalleewohnung abzuwenden. Ein langwieriges Unterfangen mit Fahrt zum Computerladen, dem Transport verschiedener Rechner in verschiedene Richtungen, um Fehlerquellen zu ermitteln.

Am Nachmittag ein Lebensmitteleinkauf, Mails, Telefonate bis in den Abend und ein Gesprächstermin in einem anderen Stadtteil. In der Straßenbahn sah ich eine unwirklich schöne Frau in einem beigefarbenen Wintermantel, roten Haaren, feinen Handschuhen und einer überaus geschmackvollen Handtasche. Ein Filmstar hatte sich in die Straßenbahnlinie 11 verirrt.

Keine Scherbenblätter, keine Wandzeichnung, keine Konzepte, Zeichnungen oder Skulpturen. Keine Fotos und Videos.

Aber in die Buchmalereien treten weitere Worte ein, die dann wieder verwischt werden. Das Verschwinden der Worte, die Abwesenheit des Denkens und die Fülle der Stille. Das war gestern.

Zeichnend denken

In die Farbverläufe Worte zu schreiben, das fiel mir gerade ein, während ich an den Buchmalereien war. Zwischendrin kommen immer mal Nachrichten auf meinem Telefon und bei uns zu Hause streikte die Telekommunikation. Das zieht Ablenkungen nach sich, aber auch Worte.

Lebensmitteleinkäufe sind auch Kunstverhinderer. Spaziergänge vielleicht nicht.

Gestern zeichnete ich fast die Hälfte der noch nicht gestalteten Wand bei Kayo voll. Es ist eine Figurengruppe entstanden, die von zwei Frauen dominiert wird. Die andern beziehen sich auf sie, gruppieren sich um sie herum. Ihre Präsenz wirk auf die anderen Personen anziehend. Es entsteht ein Gedränge.

Mich fragte jemand, was ich denke, wenn ich zeichne. Das konnte ich ihm kaum erklären – am ehesten nichts! Ich konnte ihm aber klarmachen, dass das Denken bei ihm stattfinden muss. Normalerweise zeichne ich einfach drauflos und sehe die Gesichter schon vor dem ersten Strich in der Wand. Dann entstehen Ähnlichkeiten mit Menschen, die ich schon irgendwo gesehen habe. Die kann ich dann noch unterstreichen, die Übereinstimmungen verstärken. Immer fragt auch jemand, wo im Gewimmel sein Gesicht zu finden ist. Meistens gibt es dann irgendwo eines, wo ich behaupten kann, dass dies sein Gesicht sei.

Das war gestern ein langer und produktiver Tag. Viele Scherbenblätter sind entstanden, die Buchmalereien und die Wandzeichnung.

Splitter | Zensur

Der Morgenspaziergang ins Atelier führte durch eisig herabfallenden Hochnebel. Gestern Vormittag zog er von Süden her schnell auf. Ich stelle mir die Lichtreflektion vom Flugzeug aus vor. Dunkle Berginseln, die aus dem gleißenden Meer herausragen.

Die Vereinzelung der Splitter des „Scherbengerichts III“, auf quadratischen Transparentpapierblättern, beschäftigte mich gestern in der Hauptsache. Die Lücken der Zahlenreihen auffüllend, bin ich nun bei der Nummer 47 angelangt. Das nächste Blatt trägt die Nummer 57. Das umschreibt den Umfang der heutigen Arbeit am Zeichentisch.

Außerdem aber lockt noch die Wand in Kayos Kaschemme, auf der die große Zeichnung weitergehen soll. Am liebsten würde ich sie in einem Zug fertig machen. An einem Vormittag beginnend und dann bis zum Abend zeichnen.

Im Fernsehen sah ich gestern den Film „Lauf Junge Lauf“ auf Arte. Rainer spielte wieder einen schrecklichen Nazioffizier. Interessant waren die Verstrickungen der unterschiedlichen Gruppen mit den Geschehnissen im Zweiten Weltkrieg, vor dem Hintergrund der Geschichtszensur der aktuellen polnischen Führungspolitiker. Die Filmemacher wanderten auf einem Grat. Man müsste noch mal schauen, woher die Förderung dieses deutsch-polnischen Projektes kam.

Ovid und der Blues

Die Düsternis der Buchmalereien etablierte sich gestern während eines Anrufes. Sprechen und malen, entsprechend einfärben – ein Stimmungsprotokoll. Wiederholtes Kreisen von venezianischem Rot auf feuchtem Olivgrün. Indigoflecken dringen durch das Papier auf die heutigen Seiten durch und werden erneut übermalt.

Ich las die dreißig Seiten von Detering über „Workingman`s Blues # 2“ von Bob Dylan und hörte mir den Song zweimal an. Auch diejenigen vorher und nachher auf dem Album „Modern Times“, spielte ich an. Die vielfältigen Bezüge zu Ovid, Shakespeare oder Goethe waren mir natürlich nicht bewusst. Die Verkörperung der längst verloschenen Stimmen durch den Sänger auf der Bühne, öffnet einen weiten Zeitraum. Alte Texte werden miteinander verschränkt und lassen ihre Allgemeingültigkeit durch die Zeiten hindurch erkennen. In der Koppelung von Ovid und Blues aber, entsteht das Neue.

Wir sind mit Franz Konter verabredet. Ich möchte mit ihm über das Scherbengericht und seine Präsentation sprechen, wie ich sie mir vor ein paar Tagen vorstellte. Heute werde ich weitere Scherbenblätter anfertigen. Eine gleichmäßige Fahrt auf dem ruhigen Fluss. Längst nicht alles kann gezeigt werden.

Mit dem eintretenden Morgenlicht steigt auch die Temperatur im Atelier. Hell und verheißungsvoll leuchtet der Zeichentisch, auf dem ein Glas Wasser steht.

Frankfurt Testosteron

Vinzenz sah im Deutschen Theater „Warten auf Godot“. Das Bühnenbild stammt von Mark Lammert, der eine Weile mit Heiner Müller gearbeitet hat. Ein Quereinsteiger.

Ich fühle mich gerade in der stillen Lichtflut des Ateliers wohl. Spiele wieder etwas Gitarre, versuchte Anne zu erreichen, telefonierte, schrieb, suchte einen sonnigen Platz für das Auto nach der kalten Nacht und habe sonst nichts vor. ein schöner Sonntag.

Bei Kayo entkleidete jemand gestern seinen Oberkörper, um mir seine Tätowierung zu zeigen. Ein kunstvoll gezeichneter, ziemlich großer Drache. Seine Frau sagte dazu, er solle das Ding wegmachen. Außerdem erzählte er mir von einem Film, den jemand nur mit den Frankfurter Straßengangstern gedreht hat. Er heißt „Frankfurt Testosteron“. Und er spielte da mit.

Rumänen, die alle Brüder zu sein schienen hatten einen Stick voll mit Balkanmusik mit, nach der sie tanzten. Der Hysterielevel stieg. Aber ich fühlte mich sicher und wohl. Ein Schutzraum. Ganz anders als in den Kneipen voller Deutscher, die unter sich bleiben wollen. Bei Kayo wird die Verschiedenheit zum Prinzip, das gefeiert werden muss. Er hat das im Griff.

Leitungswasser

Nach einer Fahrt nach Thüringen zu meinen Eltern, bin ich nun noch voll mit dem Summen des Motors auf der Autobahn. Ich freue mich auf ein Bier bei Kayo, das etwas Abhilfe schaffen kann.

Auf den Straßen in den Bergen herrschte Dauerfrost. Manchmal, auf Nebenstrecken, waren sie glatt vom Reif oder anderem Wasser. Sonnenschein und Nebel wechselten sich ab. Manchmal waren die Äste der Bäume und die Wiesen voller hell leuchtender Kristalle.

Mit Joana arbeitete ich gestern am Biografiestadtplan, den Vinzenz mit Noah begonnen hatte zu zeichnen. Die Grundrisse von Phantasiegebäuden werden kleinteiliger, dichter und für Architektur abwegiger.

Jetzt steht ein großes Glas voll Leitungswasser neben mir auf dem Zeichentisch. Das beste Lebensmittel für mich. Ich spiele zwischendurch Gitarre. Der Blues macht mich gelassen. Die Buchmalereien sind farbig gedeckt , aber zeichnerisch wild.

Die wandernden Orte

Mich beschäftigt das Eintauchen in die Super 8 Projektionen im Zusammenhang mit dem Scherbengericht. Abgesehen davon, dass sich hier verschiedene Biografiearbeiten ergänzen, bedeuten die Anwesenheiten von realen gegenwärtigen Figuren und ihre Verbindung mit den bewegten Vergangenheitsbildern eine Zeitreise. Wir befinden uns mitten in der Gratulationsszene der Jugendweihe im Jahr 1968 vor den Herrmann – Duncker – Haus in Waltershausen, das mittlerweile abgerissen ist. Die Szene ist in mein Zimmer in der Frankenallee verlegt und wird durch die realen Körper von Vinzenz und von mir stufenweise verlebendigt.

Ansonsten bestimmen die Scherbenzeichnungen meine Produktion. Mit etwas mehr helfender Technologie gelingt es den gleichmäßigen Fluss aufrecht zu erhalten. Gestern sind acht Blätter entstanden. Ich möchte nun etwas mehr Wert auf die Ästhetik des Einzelblattes legen. Öfter kommt es zu versehentlichen Ausrutschern, weil sich das Transparentpapier in der Trocknungsphase des Schelllacks gerne zusammenrollt. Dem kann ich entgegenwirken, indem ich die Blätter auf dem Untergrund fixiere.

Ich weiß noch nicht, wie sich Scherbengericht und die Videos von den Projektionen verbinden können. Vielleicht genügt es, sie parallel zu zeigen. Ich stelle mir das immer im Atelier von Franz Konter vor, wo ich die Arbeiten ja irgendwann ausstellen möchte.

Die wandernden Orte.

Lieber Franz! Es dauert noch…

Rückblicke

An den Scheiben der Rolltore drehe ich manchmal die Pflanzen mit ihren Rückseiten zum Licht, sodass sie in alle Richtungen in den Raum treiben. Eine der Duftgeranien, die im Sommer in die Höhe gewachsen ist, rankt sich nun weiter am Stamm eines Bäumchens empor, das ich vor vielen Jahren aus einem Samen gezogen habe, und dessen Name mir unbekannt blieb.

Die Projektionsexperimente, die Vinzenz und ich mit der Super 8 Filmen gemacht haben, befinden sich nun schon in seinen Instagram – Veröffentlichungen.

Die Scherbenproduktion läuft immer besser. Ich höre Klavierkonzerte von Philip Glass und denke ich dabei an unsere Zusammenarbeit vor über zwanzig Jahren (?) in Heidelberg.

Gestern sahen wir das Dance On Ensemble in einem Gastspiel im Schauspiel Frankfurt. Diese neue Gruppe widmet sich der Fortführung von Tanz durch ältere Akteure. Jone San Martin ist mit dabei und Christopher Roman von der ehemaligen Forsythe Company. Außer einer viertelstündigen neuen Choreografie für zwei Tänzer, blieben mir die 7 Dialoge mit einem britischen Musiker und Künstler fremd. Mir scheint, dass die Kreativität der Tänzer eine ordnende und fordernde Hand braucht. Ich hatte mir von der Reife, gerade der ehemaligen Forsythe Künstler, viel mehr erhofft. Vielleicht ist es aber zu früh, ein Urteil zu fällen.

Motor beginnt wieder zu laufen

Wieder alleine. Vinzenz ist am Morgen zurückgefahren nach Berlin. Zum Schluss haben wir noch mit einer gemeinsamen Arbeit begonnen. Wir nahmen uns in den Projektionen der Super 8 Filmen aus den Sechzigerjahren auf. So unternahmen wir eine Zeitreise. Wir waren mitten in der Schuleinführung des Vaters von Vinzenz und in meiner Jugendweihe.

Ich arbeitete gestern schon am Vormittag am Scherbengericht weiter und füge nun die fehlenden Splitter in die Reihenfolge der anderen ein. In der Collage oben ist die Scherbe mit der Nummer 10 zusehen. Gleich geht es weiter damit.

Die Buchmalereien haben ihren ruhigen Charakter aufgegeben. Sie sind nun wilder und farbig nicht mehr so homogen, wie in der Vergangenheit. Es ist vorbei mit den ruhig gewischten Farbflächen.

Der Motor beginnt wieder zu laufen. Auch die Arbeitsjournaldatei mit den Collagen wächst wieder weiter.

Heute findet ein Tanzabend mit älteren Tänzerinnen und Tänzern im Schauspiel Frankfurt statt. Jone San Martin ist auch mit dabei! Darauf freue ich mich sehr.

Licht füllt den Raum

Ein paar Tage mit Vinzenz im Atelier.

Um mich herum auf dem Zeichentisch liegen die Utensilien für die Buchmalereien und für das Scherbengericht III. Die 60 Blätter habe ich gestern geordnet, um nun die Lücken zu füllen und die vollständige Anzahl der Scherben zu zeichnen. Es sind in diesem dritten Viertel insgesamt 153. Vier davon bereitete ich gestern, nachdem ich mir einen Überblick verschafft hatte, vor. Es ist mir nun sehr wichtig, wieder in den Arbeitsfluss einsteigen zu können, um in das ruhige Fahrwasser mit meinem Boot zu kommen, das in eine weite Ebene führt. Ruhiges Dahingleiten, ein Blatt nach dem anderen.

Ein ausführliches Telefonat mit Anne gestern. Es ging um ihr Debüt mit einem Roman bei einem renommierten Verlag. Alles überraschend, spannend und ziemlich euphorisch. Das gilt auch für mich.

Mit Vinz am Abend eine Weile bei Kayo. Dort können wir gut miteinander reden. Ich sah mir dann, als Vinzenz gegangen war, noch mal intensiv meine Zeichnung an, um auch hier einen Anschluss hinzukriegen, damit ich diese Wandgestaltung bis zum Jahresende fertig bekomme.

Von den oberen Schichten des Raumes, wird das Atelier nun mit viel Licht angefüllt. Wir hören Glenn Gould und ich arbeite vor mich hin. Besser kann es nicht gehen.

Zurück

Zurück von einer Reise, vergleiche ich das Licht des vergangenen Monats mit dem am diesem Mittag im Atelier.

Nachdem ich nun die hundert Zeichnungen, die ich unterwegs in Indien machte, gescannt habe, kann ich mich nun um die Wiederaufnahme des Arbeitsfadens kümmern.

Die letzten wichtigen Arbeitsdinge hingen mit dem Scherbengericht zusammen. Vinzenz, der das Atelier hütete, ist immer noch da. Ich zeigte ihm diese Arbeit und stellte fest, dass ich sie nun wirklich bald beenden und ausstellen sollte.

In den vergangenen Tagen sahen wir die Super 8 Filme aus den Sechzigern und Siebzigern. Vielleicht bekommen wir dazu noch eine gemeinsame Arbeit hin. Ein Doppelportrait mit Projektionen in den Gesichtern z.B.

Vertikaler Garten

Der Buchmessenempfang des Fischerverlages findet seit einigen Jahren im Literaturhaus statt. Wir machten uns erst zum fortgeschrittenen Abend dorthin auf. Alle waren da, gruppierten sich aber irgendwie neu. Wir standen mit dem Rücken zur grün gestrichenen Wand und schauten auf die dicht gedrängten Menschen. Auch Ina Hartwig, zu der ich kürzlich eingeladen war, trafen wir gleich beim Eingang. Ihr Projekt, das Künstler zu Paten benachteiligter Jugendlicher machen soll, interessiert mich sehr. Ich bin froh da mitmachen zu können.

Gestern machte ich eine Zeichenpause, ging nicht in den Rebstockimbiss, arbeitete nur im Garten und an unserem Doppelselbstportrait. Wie in jedem Jahr ist die Wintergartenaktion eine besondere Herausforderung. Kalte, feuchte Erde, eisiges Wasser und schwere Pflanzkübel sorgen dafür. Nun ist aber alles für die Kälte bereit.

Jetzt will ich das Atelier für Vinzenz bereit machen, dem Hüter meines Hauses. Bin gespannt, zu welcher Arbeit er in meiner Umgebung kommt. Weil er erst am Ende des Novembers wieder zurück nach Berlin will, sehen wir uns noch fast eine ganze Woche, wenn wir aus Indien zurück sind.

Etwas gefiltertes Sonnenlicht fällt durch die Pflanzenwand des vertikalen Gartens. Nachher „Factory“ mit meinen „Schäfchen“. Vielleicht machen wir den Formenguss des zweiten Reliefs.

Magnetfelder | Wandzeichnung | Garten

Farbige Magnetfeldlinien.

Ganz verschiedene Buchmalereien an diesem Morgen.

Gestern Figurentheater an der Wand vom Rebstockimbiss. Einer der Trinker hat sich das Bein gebrochen und lärmt dort nun den ganzen Tag herum. Konzentration wird dann wieder schwieriger. Dennoch schaffte ich es, viele neue Figuren zu zeichnen.

Mit Paulo räumte ich gestern viel herum. Zunächst bauten wir vier von den sechs Außenregalen ab, reinigten sie und stellten sie auf den vorbereiteten Tisch vor die Fenster des westlichen Rolltores. Dann begannen wir die ganzen Pflanzen, die innen überwintern sollen, herein zu transportieren. Manche der großen Pflanzkübel stellten uns dabei vor schwere Aufgaben. Erstmalig möchte ich den großen Olivenbaum draußen stehen lassen. Mit den zwei Regalen, die draußen bleiben, bauten wir einen Unterstand für den Korbsessel und die Gartengeräte.

Immen mal gibt es Gespräche mit dem Nachbarn über das Projekt des Kulturdezernates. In der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen kann man ganz verschiedene Aspekte in den Vordergrund stellen. Bei mir wird es immer meine Arbeit sein, an der die Jugendlichen teilhaben können. Alle anderen Aspekte von Zuwendung, Vertrauen schaffen und gemeinsamen Arbeiten ergeben sich dann später.

Airbag

Dein Kopf ist ein Airbag in Wartestellung.“

Ein Satz, den ich in meinen Aufzeichnungen fand. Er ist über Zwei Jahre alt. Dann löste sich meine ganze Zuversicht auf. Die Arbeit stagnierte. Ich erinnere mich sehr ungern an diese Zeit. Das Lesen dieser Seiten fällt sehr schwer.

Innerhalb der Buchmalereien beschäftige ich mich mit der neuen Variante der Gravitationsschwünge.

Den Rest des Tages verbrachte ich in meinem Gärtchen, von dem ich nun einen guten Teil in die Vertikale hinter die Atelierfenster transportieren muss. Dafür fasste ich mir ein Herz und reduzierte die Pflanztöpfe, schenkte einige den Nachbarn und bot auch anderen etwas an. Ich topfte um, siebte Erde und vergrößerte die Biomasse unter meinem Gesträuch, damit dort im kommenden Jahr noch mehr wachsen kann. Zwei Weiden werde ich noch aussetzten, damit sie in eine Betonritze eindringen und die Fläche aufsprengen.

Ordnung

Am Morgen nahm ich mir vor, bis zu unserer Indienreise nur noch aufzuräumen, sauber zu machen und das Arbeitstagebuch weiter zu führen. Gerade habe ich mit Paulo verabredet, der mir morgen helfen kann, die Pflanzen reinzuräumen. Dieser Gedanke, mich in der laufenden Woche nur noch um die Ordnung im Atelier und rundherum zu kümmern, tut mir gut. Gestern begann ich schon, Bäume zurück zu schneiden und Pflanzen auszusortieren. Der Nachbar möchte vielleicht ein paar davon abnehmen.

Ein Punktmuster, das von einem der Motive der Gravitationsschwünge stammt, Habe ich gestern mit einem feuchten Handballendruck in das nächste Motiv der Buchmalereien eingefügt. Diese Punkte verband ich nun mit neuen Gravitationsschwüngen in venezianischem Rot. Dass sie sich immer wieder an den vorgegebenen Punkten kreuzen sollten, fördert eine andere Ordnung zutage. Sie sieht an ehesten Magnetfeldern ähnlich. Damit kann ich nun weiter experimentieren.

Am Abend arbeitete ich an der Wandzeichnung in der Kaschemme weiter. Mit verdünnter Tusche fügte ich lasierende Schatten in die Gesichter ein. So werden sie plastischer. Außerdem kann ich verschiedene Partien mehr in den Hintergrund rücken. Das tut der Gesamtkomposition gut. Nach der Reise werde ich vielleicht die nächste Wand mit einem Ganzfigurengewusel füllen.

Gipsbrocken

Frankfurt, Atelier.

Das sanfte Morgenlicht ähnelt dem, als gestern am Nachmittag die Sonne über der Lagune herausgekommen ist. Hier sagt man goldener Oktober dazu.

Die Reise nach Venedig war für mich eine überraschend schöne Veranstaltung. In Reisegruppen fühle ich mich ja meistens etwas fremd, weil ich kein begabter Smalltalker bin.

Der Besuch der Architekturbiennale, weswegen fast alle Mitarbeiter des Architekturmuseums diese Weiterbildungsveranstaltung mitmachen konnten, brachte unter Anderem die Erkenntnis der politischen Brisanz dieser Veranstaltung.

Mich hat freilich eine eher unpolitische Arbeit interessiert, die im Schweizer Pavillon ausgestellt war. Jemand hatte mit dem Eintauchen von Materialien in Gips eine Struktur geschaffen, die der ähnelte, die Joana in langen Versuchsreihen mit Wachs entwickelt hatte. Ein solcher Gipsbrocken wurde dann in mehrere Teile auseinander geschnitten, die alle eingescannt wurden. Dann stellte man Abgussformen her, gedruckt oder gefräst, in die dann Beton gegossen wurde. Diese Teile wurden danach zusammengesetzt. So entstand eine Großskulptur, die innen hohl und begehbar war. Man konnte durch diese karstige Höhle klettern, sich zwischen den Gebilden, die aussahen, wie die Innereien eines Wesens, Sitzplätze suchen und über den Sinn des Unternehmens nachdenken.

Biennale

Venedig

In dem riesigen Arsenal kommt mir die Architekturbiennale wie ein größenwahnwitziges Unternehmen vor. Auf dem Gelände der Länderpavillons ist das alles noch nicht so gewaltig und auch durch die Unterteilung ist übersichtlicher.

Beeindruckender bleibt aber die Stadtsituation. Die eleganten Brückchen über das stets anwesende Lagunenwasser, treppauf, treppab, immer zu Fuß in der beweglichen Gemeinschaft der wenigen Einwohner, die nie mit dem Auto fahren. Wenig Übergewicht, und Herzprobleme sind selten.

Der Herbst spendiert etwas Nebel, die er romantisch über die Lagune legt. Jetzt kann ich auf die Sonne warten und auf das damit eintretenden besondere Licht auf dem Wasser und im Dunst. Man trinkt „Spritz“. In Trauben stehen die Leute vor den angesagten Bars.

Am Abend saßen wir noch eine Weile im Kreuzgang des ehemaligen Klosters, in dem ein Brunnen plätscherte. Vollmond beleuchtete die Situation.

Nässe

Venedig.

Aus drei Fenstern blicke ich nach Westen und nach Süden. Kreuzfahrtschiffe erheben sich weit über die Häuser und sind oft höher als die Kirchen. Im gestrigen Regen war die Stadt fast schöner, als im Sonnenschein heute. Zumal weniger Menschen auf den Straßen waren.

Ich sprang von einem Hauseingang zum nächsten, verweilte in Bars und bekam dadurch einen anderen Bewegungsrhythmus. Durchnässt beruhigte ich mich dort, wo ich mich aufwärmen konnte.

In dieser Nässe war ich ganz alleine unterwegs, genoss das unabhängige Umherschweifen auf dem spiegelnden Steinboden. Die Bodenmosaiken der Basilika di San Marco glänzten von den nassen Schuhsohlen der vielen Besucher.

Vom Wasser aus sieht die Stadt noch kulissenhafter aus. Viel historisches Ornament in hellem Marmor neben blätterndem, ockerfarbenem Putz. Der Geist der Stadt wird durch die Bilder ihrer Sammlungen deutlich, der durch die Menschenmassen verdünnt wird.

In Eile

Unterwegs mit einem frühen Flug zur Architekturbiennale nach Venedig. Eine Einladung des Architekturmuseums.

Vor der Reise habe ich noch verschiedene Arbeiten fertig gemacht, wie ich es mir vorgenommen hatte, in Eile. Ein Mantra: in Eile, übergegangen in Fleisch und Blut. Dagegen: „Eile mit Weile“. Das Sprichwort habe ich lange nicht gehört. Sprache ändert sich schnell. Alte Worte, die aus dem Gebrauch gefallen sind, bemerke ich, wenn sie aus meinem Füller fließen. Oft kommen sie mir fremd vor.

Die Druckverhältnisse der Luftfahrt verändern die Worte auf ihre Weise, lassen die Tinte schneller fließen, die Buchstaben reihen sich in großer Höhe dunkler aneinander. Das Leseerlebnis wird auf diese Weise beeinflusst.

Die oberen Dunstschichten lösen sich in Licht auf, in eine gleißend blendende und alles umhüllende Helligkeit steht den schwarzen Worten. Gegenüber.

Lichtflutlicht

Lichtflutlicht gießt sich jetzt am Morgen auf den Tisch. Die Blätter zum Scherbengericht III, die ich gestern gezeichnet habe, werden davon durchleuchtet. Sie haben die Nummern 105, 108 und 111.

Auf der Heizung steht das 19. Relief des ersten Objektes zu „Biografie, ein Haus“. Heute werde ich das letzte dieser Serie abformen. Nach der Reise zur Architekturbiennale nach Venedig, kann ich dann die Form für das zweite Reliefmotiv gießen. Das dazugehörige Objekt, in das die Pappmacheexemplare montiert werden, besitzt nur zehn gleichseitige Dreiecke.

Etwas elektrisierend sind die Veränderungen bei den Buchmalereien. Die zeichnerischen Strukturen der parallel laufenden Projekte finden sich nun auch dort ein. Sie bilden Pole, zwischen denen ein Strom erzeugt wird.

Am Rande einer Diskussion über die Verwirklichung des Gastarbeiterdenkmals, lernte ich im Historischen Museum einen jungen Mann kennen, die sich an der Uni mit Erinnerungskultur beschäftigt. Er meinte, dass er mich gerne zu einer Veranstaltung einladen würde, in der ich den Stand meiner Erinnerungsarbeit vor Studenten darlegen kann.

Auch mit der jungen Theaterwissenschaftlerin aus Augsburg hatte ich einen längeren Dialog über meine Arbeit und ihre Verwandtschaft mit theatralen Vorgehensweisen. Etwas Austausch befördert die Arbeit in der Zurückgezogenheit.

Kuchenstückchen | Struktur | Ausdauer

Die Morgenmalereien in den Büchern sind manchmal lustvolle Spielereien. Jetzt gerade verändern sie sich wieder. Die Handballenabdrücke werden wichtiger, Verwischungen treten, ihnen zugunsten, in den Hintergrund und Gravitationsschwünge treten neu auf. So bekommen Die Buchmalereien etwas Collagenartiges.

Die Wandzeichnung bei Kayo ist gestern wieder um einige Gesichter und Schattierungen reicher geworden. Mir gefällt, wie sich die Leute lange die verschiedenen Charaktere anschauen. Die Ausdauer mit der sie das tun, rührt sicherlich daher, dass sie versuchen, die Gesichtszüge mit dem zu vergleichen, was sie sehen oder gesehen haben.

Eine Struktur gab es beim Runden Tisch im Kulturdezernat gestern nicht, sieht man mal vom Herumreichen von Tellern mit Kuchenstückchen ab. Das war Absicht. Mit gemeinsamen Methoden an einer Zusammenarbeit zwischen den Künsten zu wirken, scheint mir sehr kompliziert. Zunächst muss da wohl jeder seine Eigene Herangehensweise nehmen, um mit ihr zu zeigen, dass er Jugendliche begeistern kann. Die Teilnahme ist aber schon dadurch gewährleistet, dass sie ja ein Stipendium bekommen sollen. Die Arbeit in Schulen stellte sich als nicht geeignet heraus. Die Dynamik des Projektes beginnt aber mit dem Tun. Ich könnte hier in meinem Atelier sofort beginnen.

Heute Abend geht es im Historischen Museum um das Gastarbeiterdenkmal. Es wird die Frage gestellt, warum es das immer noch nicht gibt, ob so etwas überhaupt gebraucht wird oder wie ein Gedenken aussehen könnte. Ich meine dass man Migration allgemein darstellen sollte. Die Stadt ist das Ergebnis von Wanderungen.

Durch Eisenach

Eine Autofahrt durch Eisenach. Dort hatte ich ein halbes Jahr Grenzausbildung,die mich in die Lage versetzen sollte, die DDR-Bürger daran zu hindern, das Land zu verlassen. Diesem Dienst konnte ich nach Berlin, zum Bau des Palastes der Republik ausweichen. Aber ich erinnere mich an die Vereidigung auf dem Marktplatz, an dem das Museum steht, in dem ich dann später arbeitete. Die Vereidigungsformel sprach ich nicht mit, bewegte nur die Lippen. Rund um die angetretenen Blöcke der uniformierten Männer, Söhne, Brüder und Geliebten, standen die Familien, die sie lange nicht gesehen hatten, oder gingen neben den Marschkolonnen her. Ein kurzes persönliches Gespräch nach dem offiziellen Akt war erlaubt. Dann Einrücken in die Kaserne.

Die Gegend westlich von Eisenach war Sperrgebiet. Die Orte und Landschaften sah ich gestern erstmalig von der Landstrasse aus, auf die ich von der Autobahn gefahren war, weil ich noch genügend Zeit bis zur Verabredung in einem Restaurant hatte. Hinter dem immer noch heruntergekommenen Städtchen, dann die Hörselberge und der Hainich.

Die Methode des Verbatim Theatre habe ich schon seit einiger Zeit für meine bildkünstlerischen Projekte angewendet. Heute bin ich zu einem Treffen mit der Kulturdezernentin eingeladen, wo ich diese Arbeitsweise vorstellen will.

Ein Wunsch

Gestern, am Morgen, hatte ich den Wunsch, auf einem Bauernmarkt einzukaufen. Wahrscheinlich ist dies die Jahreszeit, die solche Gedanken aufkommen lässt. Als wir dann durch Zufall, mitten im Wald einen solchen fanden, kam ich mir vor wie in den Kulissen eines Filmes oder eines Theaterstücks. Mir kam die Situation des Erntedankfestes, wie für mich inszeniert vor.

Die Farbigkeit der Buchmalereien reduziert sich wieder stark. Das geschieht aber nicht zugunsten einer Verflachung, sondern schafft ihre eigene Tiefe in der Kombination von einem weichen, warmen Schwarz und dem dunklen Indigo. Das gelbliche Grün dabei, stammt aus einer anderen Jahreszeit, wie das frische Grün meiner Birke, jetzt im Oktober, das sie nach der Trockenheit trieb, in der so viele Blätter verloren gegangen waren.

Die Reduktion der Pflanztöpfe beschäftigt mich. Manche der alten Gefährten sind so groß geworden, dass sie sehr viel Platz im winterlichen Atelier besetzen werden. Aber es fehlt mir am Willen, der meine Sentimentalität überflügeln kann, die mich an diese Begleiter fesselt. Sie schränken meine Bewegungsfreiheit in vielen Hinsichten ein.

Ich wollte noch etwas über buddhistische Kunst lese, bevor wir uns auf die Reise in den Himalaja machen. Bis dahin werde ich auch meine Arbeit etwas einschränken müssen, damit vorher noch alle notwendigen Dinge erledigt werden können. Vielleicht tut mir das mal ganz gut.

Grenzgeschehen

Falk Richter schrieb ein Stück über Europa und seine Einwohner, seine Flüchtlinge, seine Geschichte und sein Meinungsmischmasch. Man sprach über alles, also über nichts gründlich. Aufgeschnappte Meinungen wurden wieder aufgesagt. Dazu tanzte ein Tanzensemble illustrative Bilder über die Flucht und die Integration. Wir sahen gesterm die Premiere in der Regie des Autors. Dieses Gemache auf der Bühne nervte mich und ging mir gegen den Strich. Das Publikum schrie und war begeistert. Conchita Wurst rammte mir an der Bar seinen Ellbogen in den Rücken, aber wir lernten auch eine ältere sehr neugierige Journalistin kennen, die uns Löcher in den Bauch fragte.

Die Theaterwissenschaftlerin schrieb mir etwas über meine Objekte, von denen ich ihr gestern Bilder schickte und stellte Fragen, die ich in der kommenden Woche beantworten will. Mich reizt das Grenzgeschehen zwischen bildender und darstellender Kunst.

Während eines Spaziergangs im Taunus gerieten wir in ein Erntedankfest auf einem abgelegenen Hof, dessen Geschichte ins 11. Jahrhundert zurückreicht. Wir sahen Buchbinder, Schmiede und Schnapsbrenner bei der Arbeit. Wir kauften Kartoffelpuffer, Apfelwein, Flammkuchen, Brot und Gewürze.

Verbatim Theatre

Oben habe ich einen Scan von einem Video von ONE FLAT THING REPRODUCED einmontiert. Dabei reizt mich das Zusammentreffen von den Bewegungen von Jone San Martin und David Kern mit der der Scanneroptik. Zeit bekommt hier eine Bildhaftigkeit zugewiesen, wie ich sie mir im Übergang zwischen unterschiedlichen Universen vorstelle.

Verbatim Theatre nennt sich die besondere Form des Dokumentarischen Theaters, über die ich mit einer Theaterwissenschaftlerin im Foyer des Staatstheaters Mannheim sprach. Sie schickte mir heute eine ausführliche Mail, die mir hilft, meine Herangehensweise an „Frankfurter Kraftfeld“ und „Biografie, ein Haus“, durch das Licht dieser Theaterarbeit erweitert zu sehen. Sie fragt nach dem Aussehen der Objekte, die gerade entstehen. Vielleicht schicke ich ihr ein Werkstattfoto.

Im Schauspiel sahen wir die Premiere eines Doppelabends. Es handelte sich um die zwei Einakter „One for the Road“ und „Der stumme Diener“ von Harold Pinter, in der Inszenierung von Jürgen Kruse. Wir sprachen eine Weile mit dem Schauspieler Isaac Dentler über diese Arbeit. Mit ihm würde ich gerne mal länger über Kunsttechniken reden.

Weil ich gestern in der Kaschemme meinen Brushpen vergessen hatte, begann ich mit Tusche, einem anderen Pinsel und Wasser die Gesichter zu lavieren. Dadurch wird das Ganze räumlich und plastisch.

Farben und Geologie

In meinen zwei Jahre alten Aufzeichnungen las ich über Versteinerungen und Farben als Gegensatz. Die Farben sollten mit helfen, aus einer Starre heraus zu finden. Jetzt schaue ich auf die zarten Übergänge in den Verwischungen der täglichen Buchmalereien und finde dort ein Gegenmittel gegen die Härte übereinander gepresster Schichten der Seelengeologie.

Draußen treiben die Birkensamen im Nordostwind über den Beton und bilden Inseln von gebranntem Ocker. Es ist als würde Sand herangeweht, der die alten Industriestrukturen langsam zudecken wird. Alles, was von den Bäumen auf mein Gärtchen herab fällt ist mit willkommen als weiche Humusschicht für meine Pflanzen. Es blüht immer noch in kalten Wind. Die kletternden Petunien und die Kapuzinerkresse strahlen mit Sommerfarben vor dem kalten Himmelsgrau.

Zum Scherbengericht III zeichnete ich die Splitter mit den Nummern 123, 126 und 129 auf kleine quadratische Einzelblätter mit einer Kantenlänge von 16,5 cm. Eine Größe die meinem Wunsch nach einfacher Handhabung entgegen kommt. Die ersten beiden Reihen von Scherben habe ich noch nicht auf Einzelblätter gezeichnet und frage mich, ob ich das noch machen soll.

Auf dem Zeichentisch liegt ein wenige Zentimeter großes Stück Zinklochband, das ein Mal gefaltet ist. Ein handliches Stück Punktraster, das sich vielleicht für Frottagen eignet. Ich könnte es auseinanderfalten. Je länger ich es anschaue, umso wertvoller kommt es mir vor.

Leuchtend

Die Blätter mit den Nummern 132, 135 und 138 des „Scherbengerichtes III“ liegen links neben mir auf dem Zeichentisch – leuchtend. Das ausgeformte Relief, das ich in die gestrige Sonne gestellt hatte, ist fast trocken. Nun steht es gemeinsam mit einer Maskenform auf der Heizung, die ich gerade angeschaltet habe.

Um Zehntelschritte steigt die Temperatur nun von 14 Grad in eine angenehme Wärme an, in der ich gut arbeiten kann. Das war nicht immer selbstverständlich hier, in den Wintern ohne Heizung.

Am Abend zeichnete ich wieder an der Wand und spielte mit den „Insassen“ des „Rebstockimbiss“ das Spiel “Wo ist mein Portrait?“. Es sind nun so viele Gesichter entstanden, dass ich jemandem, der nachfragt, eines zuweisen kann, das ihm so einigermaßen ähnlich sieht. Ich werde dadurch, dass ich mit meiner Arbeit an diesen unwirtlichen Ort gegangen bin, reich belohnt. Es handelt sich diesmal um kein didaktisches Werk, mit dem ich kunstfernen Menschen meine Arbeit näher bringen will. Ich räume lediglich zwei Dingen meiner Arbeit Platz ein: dem abgebildeten Gegenstand und den Reaktionen darauf. Ab und zu verschwinden die Gesichter in Strukturen, mit denen ich sie lustvoll in den Hintergrund dränge. Damit kann ich noch eine Weile weiterspielen.

Für heute habe ich mir nur Aufräumen, Kontaktpflege und Staubsaugen vorgenommen. Ein wenig Ordnung im Chaos.

Gesichter | Splitter | Shiva

Die Sonne wärmt das Atelier. Es sind fünfzehn Grad und draußen acht. Noch vor ein paar Tagen verkroch ich mich hier im Schatten.

Gestern nach der Tagebucharbeit, zeichnete ich vier Blätter zum Scherbengericht III. In der dreizeiligen Aufreihung der Splitter auf der Rolle 6, fing ich in der mittleren Reihe, hinten bei der Nummer 151 wieder an, ein Geduldsspiel. Dann modellierte ich das Relief Nummer 2 von Nathalie in der Reihe Biografie fertig. Jetzt könnte die Form gegossen und mit dem Ausformen dieses zweiten Motivs begonnen werden.

Ein weiteres Exemplar, das siebzehnte des ersten Reliefs, schaffte ich nicht mehr, habe aber alles bereit, um gleich damit anfangen zu können.

Vinzenz schrieb, dass er am ersten November in mein Atelier kommt. Das ist eine gute Sache.

Am Abend zeichnete ich, eingebettet in Gesichter, die Figur des tanzenden Shiva auf die Wand der Kaschemme. Drei Stunden in Rauch, Lärm und schlechtem Licht. Heute werde ich das Ganze noch ein wenig nachbessern. Die Modelle für die vielen Gesichter sitzen an den Tischen oder stehen an den Glücksspielautomaten. Die Physiognomien passieren den Filter meiner Bildproduktion. Wenn jemand danach fragt, ob ich ihn gezeichnet habe, dann kann ich auf irgendeinen Kopf zeigen, der ihm ähnlich sieht.

Regen | Lärm | Trauben

Das Geschrei der Ostdeutschen am Tag der Deutschen Einheit in Dresden, ist mir unangenehm. Vier- fünfmal so hoch wie im Westen, sei die rechtsextremistische Gewalt im Osten, meinte Wolfgang Thierse. Das schrieb er, Freund klarer Worte, den Beschwichtigern ins Stammbuch. Danke!

Die Weinberge des Rheingaus hängen noch schwer voller süßer Trauben. Als Wanderer auf den wegen der Winzer muss man sie kosten. Oben von Nierstein aus, hat man einen weiten Blick vom Taunus über die Skyline der Stadt bis zu den Auen des Kühkopfes. Viele blaugraue Regengardinen zogen über die Landschaften hinweg. Eine erwischte auch uns, und unser kleiner Schirm half zwar ein wenig, aber die Beinkleider waren durchnässt.

Ansonsten ist es ziemlich laut dort. Neben den Erntemaschinen, dröhnen die schweren Dieselmotoren der Schiffe, die der Eisenbahnen, zwischen den Reben knallen die Schreckschussanlagen, die die Vögel von den Trauben fernhalten sollen und große startende Maschinen ziehen über den Wolken in die Ferne.

Nun ist es kühl im Atelier. Die Heizung ist noch nicht angesprungen, obwohl das Thermometer am Morgen lediglich elf Grad zeigte. Und endlich hat es in den letzten Tagen reichlich geregnet. Die Wiese treibt noch einmal, die Birke hat so viel frisches Grün, wie in einem weiteren Frühling und die Eidechsen sind verschwunden.

Ich denke an den tanzenden Shiva.

BIRDLAND

Im Nationaltheater Mannheim hatte gestern „Birdland“ von Simon Stephens seine Deutsche Erstaufführung. Die Übersetzung wurde nach der Premiere allgemein gelobt, und das Werk bekam großen Applaus, als das Licht ausgegangen war. Eine schöne Inszenierung, der hoffentlich noch viele weitere folgen werden.

Vorher waren wir mit Simon und Nils bei einem Italiener. Ich erzählte ihnen von meinem Scherbengericht und wir sprachen auch über den Dokumentarfilm „Skeleton Tree“ zum gleichnamigen Album von Nick Cave mit den Bad Seeds.

Die Premierenfeier fühlte sich, seit langem wieder, wie ein Familientreffen an. Eine Theaterwissenschaftlerin erzählte von ihrem Forschungsprojekt, das sich mit einer speziellen Form des dokumentarischen Theaters beschäftigt. Dabei geht es um Interviews, die Schauspieler mit Menschen durchführen, die sie danach auf der Bühne darstellen werden. Mir erscheint diese Herangehensweise passend für die Zusammenarbeit zwischen Künstlern und benachteiligten Jugendlichen. Ich will mich weiter damit beschäftigen, um das nutzbringend für eine Initiative einzubringen, zu der ich eingeladen wurde.

Dann eine Nachfahrt über die schwarze Autobahn nach Hause.

Gewalt

Sonntagnachmittag

Birkensamen fliegen wie Insekten durch das Sonnenlicht, führen leuchtend vor Schattenwänden im Westwind, einen wilden Tanz auf. Das sechzehnte Relief steht draußen in der Form zum Trocknen in diesem Gestöber.

Ich schaue mir traditionelle Skulpturen des tanzenden Shiva an. Etwas uninspiriert zeichnete ich gestern an der Wand, auf die ich auch ihn darstellen will. Zerstörerisch allerdings erwiesen sich gestern eher die Würfelspieler. Sie droschen den Lederbecher mit den Würfeln auf den Tisch und schrieen dazu durcheinander herum. Mir gelang es kaum, mich zu konzentrieren, und ich gab nach einer halben Stunde auf.

Die düsteren Collagen bedienen sich aus den Buchmalereien und dem Scherbengericht, als wollten sie die zerstörerische Gewalt abwehren, die mich umgibt: Lärm der Baustellen, Geschrei der Trinker und ein Verkehr wie Sturm.

Gestern Abend im Schauspiel sahen wir eine Karaokeveranstaltung. Je mieser die Gesangsvorführungen waren, umso frenetischer tobte der Applaus. Unwirklich würdelos war das Ganze. Die sich auf der Bühne entblödeten, wurden gnadenlos vorgeführt. Wir hatten das Gefühl, im falschen Film zu sein und verließen die Veranstaltung vorzeitig.

Shiva

Nach einer regnerischen Nacht, ging ich am Nachmittag durch den leicht verwehten Niesel ins Atelier. Wenn ab und zu ein wenig die Sonne herauskäme, wäre dies mein Lieblingswetter.

Zwei Stunden Wandzeichnung gestern in der Kaschemme. An einer etwas versteckten Stelle entstand ein kleiner tanzender Shiva, zur Probe. Den möchte ich im Zentrum des ganzen Bildes größer zeichnen, umgeben von hunderten Gesichtern, Figuren und Tieren. Ich entwickle ein Bild der Weltzerstörung, von der ich an diesem Ort umgeben bin. Man bekommt einen Begriff, wie das Bild aussehen wird, wenn es fertig ist. Mona Lisa macht währenddessen die Bierflaschen auf.

Joana fertigte Dreiecksgittermodelle an, von denen wir ihr dann zwei Stäbe ins Kraushaar steckten. So entstanden Skulpturen, die auf dem Kopf zu tragen sind. Das wurde für die kommende Ausstellung fotografiert. Noah zeichnete gleichzeitig zylindrische Körper.

Vinzenz habe ich eingeladen, in meinem Atelier zu arbeiten. Er sagte zu. Ich hoffe, dass dann ein etwas anderer Geist hier einzieht – eine Erneuerung… Vielleicht arbeitet er auch mit den Kunstschülern.

Scherben | Wanderung

Scherben um mich herum. Die auf der Transparentpapierrolle 6 und die auf den Blättern 3,6 und 9, die gestern zum Scherbengericht entstanden sind. Für die Buchmalereien hatte ich mir Ruhe verordnet, kein Blick auf die Uhr sondern einfache Konzentration auf diese neuen konkreten Linien unter den Verwischungen. Auch an der gestrigen Collage hatte ich länger probiert. Wegen eines anderthalbstündigen Gesprächs am Nachmittag ist gestern auch kein Relief entstanden. Außerdem arbeitete ich auch an der Wandzeichnung nicht weiter. Den Zeitdruck drosselte ich also deutlich.

Zeit hatte ich deswegen für ein Telefonat mit dem Historischen Museum, um mich nach meinem Entwurf für „TRIXEL PLANET“ auf der Frankenallee und auf dem Bahnhofsvorplatz zu erkundigen. Bei dieser Gelegenheit erkannte ich, dass es von 1997 bis in die Gegenwart eine lückenlose Kontinuität der Beschäftigung mit menschlicher Wanderung gibt. Das geht deutlich bis in das Projekt „Biografie“.

Der Diskussion über Erinnern und Gedenken im Historischen Museum sehe ich mit Gespanntheit entgegen. Es wäre ein Anlass, wieder Aleida Assmann zu lesen.

Gerade habe ich noch mal die Stimmigkeit der Linien des Reliefs überprüft, dass nun in 15 Exemplare vervielfältigt ist. Wir werden heute, während des Biografieworkshops mal ausprobieren, wie die Dreiecke mit den Ornamenten an ihren Kanten zusammenpassen.

TRIXEL PLANET | Kraftfeld

Trotz eines Tagesbesuchs sind ein Relief, drei Blätter zum Scherbengericht und ein gutes Stück Wandmalerei entstanden. Ein Paar hat eine Beziehung zueinander aufgenommen. Ein Dritter versinkt in grauem Hintergrund, eine Umkehrung von Munchs Eifersuchtsthema, bei dem der Betroffene im Vordergrund steht. Solcherlei Zuordnungen gab es vorher noch nicht. Sie sind nur zufällig entstanden. Ich weiß auch nicht, ob es der richtige Weg wäre, diese Linie weiter zu verfolgen.

Zu einer Diskussion um das Gastarbeiterdenkmal bin ich in das Historische Museum eingeladen worden. Das ist sehr freundlich. Allerdings sind Teile meiner Entwürfe, die ich allesamt dorthin gebracht habe, nicht da. Da muss man noch mal genauer nachschauen. Nach einer Umarbeitung des Materials für ein kreisrundes Bodenmosaik auf dem Bahnhofsvorplatz, habe ich, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, alles wieder zurück ins Museum gebracht.

Bei der Gelegenheit habe ich mal in meinen Dateien zum „TRIXEL PLANET“ nachgeschaut und so viel Material entdeckt, dass es sich tatsächlich lohnen würde, daraus mal eine Ausstellung zu machen. Das Gesamtprojekt hat sich ja dann zum Frankfurter Kraftfeld weiterentwickelt, an dessen Struktur ich ja auch mit dem Projekt „Biografie – ein Haus“ weiterarbeite.

Herr Bruni, der Initiator des Gastarbeiterdenkmals, hat mir damals deutlich zu verstehen gegeben, wie sehr er sich dafür einsetzen würde, dass mein Projekt nicht umgesetzt wird. Er hat es als „Machwerk“ bezeichnet.

Parallele Stile

Am Wandbild zeichne ich nun schon seit Anfang dieses Monats. Am Beginn waren das noch ganz zaghafte Versuche. Die Zeichnungen waren klein und mit dünnen Strichen gezeichnet. Jetzt steht mir wieder ein größeres Arsenal an Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ich habe mich in eine Mischung von alter Hochschulkonvention und Theatermalerei eingearbeitet. Die Mittel sind also eher konservativ und haben nichts mit dem gemein, was ich in den letzten Jahren an Bildsprachen entwickelt habe.

Folgerichtig existieren das „Scherbengericht“, die Buchmalereien und „Biografie, ein Haus“ dazu parallel.

Zum Scherbengericht sind gestern die Blätter mit den Nummern 21, 24 und 27 entstanden. In die Collagen eingesetzt wirken sie zusammen mit den Verwischungen der Buchmalereien fremd. Die Buchmalereien sind aber derzeit auch einer Wandlung unterworfen. Durch die konkreten Strukturen, werden die weichen Farbübergänge gestört. Daraus entsteht wieder die Spannung, die auf den ersten Blick funktioniert. Das kommt von der Wandzeichnung.

Mit der Vehemenz des Wandzeichnungsvorganges scheine ich an eine Grenze zu stoßen. Die Reaktionen der Insassen der Trinkeranstalt sind zwar euphorisch, manche verstummen aber schon vor der Lawine an Charakteren, Figuren und Tieren. Die Körper sind wie bemalt und tätowiert. Ein Übermaß an Information. Ich lasse es aber einfach laufen und frage nicht danach, ob weniger vielleicht mehr wäre. Mein Spaß steht im Vordergrund.

Geflecht

Das bildnerische Pensum gestern strapazierte. Die Buchmalereien nehmen neue konkretere Strukturen auf, die von der Wandzeichnung beeinflusst sind. In der Flut der gegenständlichen Formen, insbesondere Gesichter, entdecke ich eine lange vernachlässigte Freude am Erfinden von Charakteren. Vielleicht hat das mit einem Vorgang der Reinkarnation zutun, den ich beim Scherbengericht anstrebe. Seine neuen Splitter folgten einer Bestandsaufnahme der gesamten Nummerierung, die stimmig sein muss, wenn ich die Scherben wieder zusammensetzen will.

Am Abend zwei Stunden Wandzeichnung gegen den Lärm der Baustellen und der Trinker. Eine Herausforderung für das konzentrierte Zeichnen der ineinander greifenden Motive. Erstmals habe ich eine größere Figur mit Gesichtern eingekleidet. Dazwischen formte ich über Mittag noch ein Relief aus. Es wird den ganzen Tag benötigen, um zu trocknen. So kann ich mich, anstatt ein weiteres Exemplar anzufertigen, nun um das Einmontieren der Dreiecke in die Gitterkonstruktionen kümmern. Dafür fiel mir in der Nacht eine Lösung ein, die ich heute ausprobieren will.

Die Heldenbilder von Baselitz sprechen immer noch mit mir. Ihre sich auflösenden Konturen haben mit meinem bildnerischen Denken zutun.

Die Tagebücher sind eng mit meinem entstandenen Werk verbunden. Es wird durch sie katalogisiert und die einzelnen Arbeiten werden in einen Zusammenhang gebracht oder eingeordnet. Somit sind beide Stränge der Arbeit nicht getrennt voneinander zu sehen, verlieren Informationsgehalt und Wert, wenn sie getrennt werden.

Lärm im Wimmelbild

In die stagnierenden Buchmalereien ist nun frischen Wind gekommen. Der weht von der Wand mit den vielen Gesichtern und Figuren her. Ich zeichne konkretere Formen, die von Gegenständen, Figuren und Köpfen herkommen, und verwische sie dann.

Gestern Abend arbeitete ich eine Stunde an dem Wandbild, und es entstand viel. Unter anderem ein Beethovenkopf. Mir gehen große Figuren durch den Kopf, die aus vielen Gesichtern bestehen. Das wäre auch nur eine Fingerübung. Sie findet aber in der Öffentlichkeit statt, hinter einer Panoramascheibe auf der Mainzer Landstraße. Nachts, wenn der Laden offen ist leuchtet das Wimmelbild in die Dunkelheit. Autos, Straßenbahnen, Fußgänger, Radfahrer treiben vorüber. Die Situation ähnelt der im Schaufenster des Ladens an der Galluswarte, wo ich eine Transparentpapierrolle zeichnete mit dem Gewusel auf dem Verkehrsknotenpunkt.

Ich frage mich nach dem Antrieb, in dieser Situation zu arbeiten. Ist es ein Ankämpfen gegen den Lärm der Baustellenstadt, ein Ringen um Öffentlichkeit oder ein pädagogischer Ansatz, der zum Ziel hat, das Miteinander in diesem unwirtlichen Raum anders zu gestalten, neue, andere Gäste anzulocken, den ganzen Laden umzukrempeln? Da wäre Vorsicht geboten!

Die großen Figuren, die aus lauter Gesichtern bestehen, sind eine weitere Stufe des Raumexperimentes.

Baselitz

Junge Flüchtlinge reden leise miteinander in fremden Dialekten in der Sonne auf unserer Wiese. Warme Töne, warmes Licht, spätsommerlich.

Im Städelmuseum sahen wie die Heldenbilder von Baselitz. Ich sah die kräftige Malerei in direkter Seelenzwiesprache. Mir kam der Rilketext “Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ in den Kopf, den das Keersmaeker Ensemble bearbeitet hat. Manchmal erschienen mir die Gestalten längs aufgetrennt, zerrissen oder sich in löchrigen Steppdecken auflösend. Wattierte Umrisse in denen noch weitere Figuren zu hausen schienen. Die Gesichter zart und verletzlich.

Auf dem Eisernen Steg traf ich David – bis bald!

Gleich zeichne ich noch etwas in der Kaschemme, mein Arbeitspensum ist gerade so zu schaffen. Ich sollte es reduzieren. Für alles ist zu wenig Zeit.

Dennoch – Sonntag.

Kulturarbeit

Die Wandzeichnung bei Kayo strengt mich immer mehr an, als würde sich irgendein Ungleichgewicht vergrößern. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht lange an einer solchen Fingerübung bleiben kann, ohne ernsthafter werden zu wollen. So ein unendlicher Spaß ist nicht so sehr meine Sache. Manchmal zieht mich auch das Gequatsche der alten, alkoholisierten Männer runter, die sich im Satz dreimal widersprechen, um wieder am Anfang anzugelangen. Dann wird es schwieriger, konzentriert und erfindungsreich zu bleiben. Aber die Leute dort sind meine Modelle.

Wieder wurde ich zu einer Arbeit im Kulturleben der Stadt eingeladen. Das zuständige Dezernat scheint nun die Prioritäten abzustecken. Wenn ich dabei eine Aufgabe bekomme, bei der ich meine Erfahrungen in die Waagschale werfen kann, sage ich gerne zu. Es soll um längerfristigere Zusammenarbeit zwischen Künstlern und benachteiligten Jugendlichen gehen. Da bin ich Experte. Mittel werden sowohl für die Jugendlichen, die Stipendiaten werden sollen, als auch für ihre Begleiter zur Verfügung gestellt.

Mit Noah verbrannte ich gestern etwa die Hälfte des getrockneten Gartenschnitts des vergangenen Sommers. Wir redeten lange über die Fragen, die uns gerade besonders interessieren. Am meisten beschäftigt ihn derzeit der US-Wahlkampf. Nicht schlecht für einen Sechzehnjährigen…

Ich lese in alten Tagebücher über die DDR-Zeit, wodurch es mir manchmal kalt den Rücken runter läuft.

Nährflüssigkeit und Licht

4 neue Splitter des Scherbengerichts und ein trocknendes Relief sind die Ausbeute von gestern, wenn ich von den Buchmalereien und von der täglichen Collage absehe. In dieser finden sich Scherben, Buchmalereien und Wandzeichnungen zusammen. Das war gestern,

Jetzt liegt rolle 6 vor mir mit dem ganzen Material zum Scherbengericht. Die Sonne kommt quer rein, das Rolltor ist oben, trotz des kühlen Morgens. Fürs heutige Essen habe ich schon eingekauft.

Keine Wandzeichnung gestern. Monologe und Pizza bei Pietro. Danach der Dokumentarfilm „Eight Days a Week – The Touring Years“ über die frühen Jahre der Beatles bis 1966. Da war ich zwölf Jahre alt. Die späteren Jahre hätten mich mehr interessiert, der Einfluss von George Martin insbesondere. Im Abschluss war ein restaurierter Film eines Stadionkonzertes mit 56.000 Zuschauern in Amerika zu sehen. Alles sehr nett und amüsant…

Wenn ich die gestrigen Blätter des Scherbengerichtes mit ihrer schwarzen Nährflüssigkeit um die Splitter stapele und gegen die Sonne halte, verschmelzen sie mit dem Universum und beginnen den Inkarnationsvorgang. Vielleicht nehme ich ein paar Blätter mit in den Himalaja, um sie noch ein Stück näher zu dem Leuchten zu bringen, das die notwendige Energie liefert, damit die Arbeit weitergeht.

Keine Kunst

Nein, die Wandzeichnung ist keine Kunst. Es ist eine spaßige Fingerübung, von der die Trinker glauben, dass sie Kunst ist. Wenn ich daran weiterarbeite kann es irgendwann dazu kommen, dass künstlerische Elemente auftauchen. Jetzt schon werden Hilfslinien zu Kompositionsbestandteilen. Das stammt aus meiner Dresdner Zeit. Derzeit kommen immer mehr Ganzfiguren dazu, die aber kaum in Beziehung zueinander stehen, abgesehen davon dass sie nahe beieinander abgebildet sind. Es kommen mehr Gäste, als vorher. Das hat zur Folge, dass ich immer weniger Ruhe habe, um mich zu konzentrieren. Es kostet mehr Kraft. Sie kommen, weil sie jemandem beim Zeichnen zuschauen können, um zu beobachten, wie das Bild wächst und dichter wird. Und die vier Baustellen, die direkt an den Gustavsburgpark stoßen, entfachen einen Lärm, den die Trinker nicht überbieten können. Jemand bot mir an, mit dieser Art Zeichnungen Mode zu machen. Da hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Für so etwas eignen sie sich.

Gerade hatte ich Besuch von jemandem, der in der Sächsischen Schweiz wandern war. Ich zeigte ihm die gerahmte Zeichnung sächsischer Felsen von 1976, die hier im Atelier an der Wand hängt.

Der Rückzug ins stille Atelier ist ein Seelensegen. Gerade zählte ich fünf Eidechsen in meinem Gärtchen. Sie finden sich im Lochziegel langsam zu einer Wohngemeinschaft zusammen.

Drei weitere Blätter sind zum Scherbengericht entstanden und das dreizehnte Relief steht zum Trocknen in der Morgensonne.

Fleißig, fleißig.

Fingerübung

Die Gesichter und Figuren, die ich bei Kayo zeichne, gehen mir nach. Erwache ich nachts, stehen sie vor meinen Augen. Gestern zeichnete ich insgesamt 4 Stunden auf diese Wand, bis spät in den Abend. Neben dem Gewusel der vielen Köpfe, habe ich begonnen Figuren zu zeichnen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, mit den Armen und Händen gestikulieren oder tänzerische Haltungen einnehmen. Davon hätte ich nun gerne mehr. Vor allen würde mich Tanz interessieren.

Immer mal höre ich die Gesangsschleife von Forsythes Quintett. Im Gegensatz zu meiner Erinnerung, ist die Stimme von einem reichen Instrumentalensemble begleitet. Manchmal singe ich es tagsüber leise vor mich hin.

Am Nachmittag stellte ich Pappmache her und formte ein Reliefexemplar aus, das zwölfte. Kein Scherbengericht gestern. Alles schiebt sich dicht zusammen. Wenig emotional gehe ich mit den Buchmalereien um. Sie sind die derzeitigen Stiefkinder.

Oben habe ich nun etwas von der Wand in die Collage gesetzt. Ich überarbeitete diese Partie schon wieder, so dass es diesen Bildausschnitt nicht mehr in dieser Form gibt. Über den Stellenwert dieser Fingerübung in der Kaschemme, bin ich mir noch nicht so recht klar. Aber es macht Spaß.

Quintett

Das Forsythestück, zu dem die Melodie gehört, die mir gestern immer deutlicher in der Erinnerung erschien, heißt „Quintett“ und stammt aus dem Jahr 1993. Gestern sah ich mir einige Videos dazu an. Es sollte der letzte Liebesbrief an seine Frau sein, die ihn aber mit 33 Jahren todkrank, nicht mehr sehen konnte. Auch ohne diese Information fand ich das Stück immer herzzerreißend, auch wegen seines Gesangs.

Drei Einzelblätter, die gestern zum „Scherbengericht III“ entstanden, liegen auf dem Tisch. Sie tragen die Nummern 67, 70 und 73 und sind noch nicht beschriftet. Ihr quadratisches Format besitzt eine Kantenlänge von 16,5 cm. Die Blätter sind schnell gemacht, was für eine Kontinuität sorgt, die auch in Situationen gewährleistet bleibt, in denen sich andere Dinge in den Vordergrund drängen. Ich variierte den Vorgang, den Schelllack aufzutragen, lockerte das Ganze etwas.

Das scheint der Einfluss der Tuschezeichnungen zu sein, die derzeit beginnen, die Innenwand der Kaschemme immer dichter zu bedecken. Rundherum ist die Hölle los. Die drei Grußbaustellen, die sich seit Monaten dort treffen, stoßen nun auf Gleisbauarbeiten, genau vor den großen Panoramafenstern. Lärm und Gewalt rundherum. Manchmal bin ich nur ein Stündchen dort, trinke eine Limonade und zeichne ein paar Gesichter. Dabei kommt es immer häufiger vor, dass ich ältere Zeichnungen überarbeite, um sie dem neuen Strich anzugleichen.

Anna Teresa De Keeresmaeker

Anna Teresa De Keeresmaeker zeigte gestern im Mousonturm eine Performance mit dem Text: “Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ von Rainer Maria Rilke. Dabei waren die Flötistin Chryssi Dimitriou und der Tänzer Michael Pomero. Gegangen, Gespielt und Getanzt wurde auf einem, mit Schlämmkreide beschichteten und getrockneten Tanzboden, wodurch von Anfang an alle Bewegungen am Boden sichtbar wurden. Am Ende schien an wenigen Stellen das Schwarz des Tanzbodens durch. Man kann sich alleine mit diesem Gestaltungsmittel eine Weile beschäftigen, den es haftete im Verlauf des Abends an den Kostümen, den Haaren und an der Haut der Darsteller. Und mit fortschreitender Zeit des gut einstündigen Abends, hatte man das Gefühl, dass die Luft schwer wurde vom Staub der Bühne. Es kam eine Sehnsucht nach Farbe auf im allgemeinen Grau der Gesamtausstattung. Die kam dann auch am Schluss. Rote Beleuchtungsfolie besiegelte das Ende, den blutigen Tod des Soldaten. Die Klarheit, mit der der Abend geformt war, die nachdrückliche Konzentration und Ernsthaftigkeit hatte einen hohen Grad von Schönheit.

Am gestrigen, frühen Nachmittag zeichnete ich noch in der Kaschemme Gesichter an deren Wand. Immer wieder komme ich währenddessen mit den Gästen darüber ins Gespräch. Der Strich lockert sich immer weiter, was der Arbeit gut tut. Manche schauen mir beim Zeichnen zu, als würden sie mitlesen oder fernsehen.

Stück für Stück nähere ich mich in meinem Kopf der Melodie einer Gesangsschleife, die in einem Forsytheballettabend ablief. Anstoß zu dieser Erinnerung war mir der Gesang von Nick Cave.

Revierverhalten

Jemand schreibt seinen Namen und „…was here“ unter meine Zeichnungen an meiner Kaschemmenwand. Ich habe ihn schon zur Rede gestellt. Ein respektloser Mensch und der Bruder des Betreibers. Mit Wut im Bauch übermalte ich gestern mit groben Strichen seine ungelenken Schmierereien. Dies ist die Schattenseite des Raumexperimentes, aber der erste Widerstand, der sich dort regt, ein Revierverhalten. Gleichzeitig bedeutet es auch eine gestalterische und emotionale Herausforderung…

Eine anregende Ausstellungseröffnung von Collagen, die Franz zusammen mit einem Wiesbadener Künstler gemacht hat, der sich Brandstifter nennt. Es handelt sich um 70 zusammengeklebte Zeitungsausschnitte, die teilweise überzeichnet sind.

In der Mitte auf einem schwarzen Postament steht ein kleiner schwarzer Phonowürfel, aus dem ein vierstündiges improvisiertes Stück der beiden Künstler tönt, das sie mit einem alten Kassettenrecorder aufgenommen haben. Wir fühlten uns wohl.

Schwungvoll gingen mir gestern die Buchmalereien von der Hand, bevor ich mich der Wand von Kayo zuwandte. Vielleicht gehe ich gleich noch mal kurz rüber, um ein wenig zu fotografieren und weiter zu zeichnen.

Pensum

Im Spalt zwischen meiner Stahlateliertür und ihrem Stahlrahmen steckte ein etwas knittriger Zettel von Franz, der sich mal wieder aufgemacht hatte, um auf Verdacht bei mir vorbei zu kommen. Aber wenn wir uns zunächst auch verpasst haben, sehe ich nachher eine Vernissage von ihm und einem befreundeten Künstler, mit dem er manchmal zusammenarbeitet.

Ein größeres Pensum an Gesichtern leistete ich gestern wieder mit meinem Tuschepinsel in Kayos Spelunke ab. Langsam wird das Ganze lockerer. Die Gesichter entstehen aus einer schnellen Pinselstruktur, die zunächst abstrakt ist und dann den Eingebungen der Gegenständlichkeit folgt.

Ich dachte, ich könnte ein großes Gesicht, das jetzt schon in den Benutzungsspuren der Wand vorhanden ist, aus vielen kleinen Gesichtern zusammensetzen.

Mit Joana sprach ich gestern, dass wir Dreieckgittermodelle als Schmuck für ihren Kopf bauen sollten. Dort hinein könnte sie dann Möbiusbänder mit ihrer Geheimschrift einmontieren. Das würden wir dann mit verschiedenen Ansichten ihres Kopfes fotografieren. Ich greife damit auf die Idee eines äthiopischen Künstlers zurück, auf dessen Kopfskulpturen mich Vinzenz aufmerksam gemacht hatte.

Nathalie modelliert an ihrem Relief, dessen 12 Abgüsse für das zweite Objekt bestimmt sind.

Raumexperiment

Der Morgen ist sanft, kein hartes Licht, wolkig, niedrigere Temperaturen. Meine Augen trinken die Farben der gestrigen Buchmalereien. Ich lasse das Rolltor unten. Das macht geschütztere und konzentriertere Arbeit möglich. Alles soll etwas reibungsloser laufen an diesem Morgen, denn nachher kommen die Kunstschüler mit den Flüchtlingen. Ich überlege ein vegetarisches Essen. Kartoffeln mit Frühlingszwiebeln und Kichererbsen. Und ich überlege, wie ich die alte zusammengeschweißte Truppe mit den Neuankömmlingen zusammenbringen kann.

Jemand interessierte sich für meine Arbeit, für meine Herkunft und dafür, wie die Gemeinschaft auf Teves entstanden ist. Während eines Festivals soll es eine Stadtbegehung geben, die sich mit Gruppen beschäftigt, die für ihre Umgebung arbeiten.

Am Abend schauten wir uns bei Kayo meine Zeichnungen an den Wänden an. Mein Antrieb sind dabei nicht nur meine Erzählfreude und das Feedback, das sofort und ungefiltert kommt, sondern der Ehrgeiz, diesen besonderen Ort besonders auszustatten, ihn dadurch zu erhalten – gegen die Investitionswut und das Diktat des Geldes. Ich spüre rund um meine dortige Tätigkeit eine Verbesserung der Stimmung. Vielleicht ist es auch möglich, sich dort mal mit anderen Leuten zu treffen. Die Wertschätzung aber, die ich den an diesem unwirtlichen Ort beheimateten Menschen entgegenbringe, bekomme ich sofort zurück. Gleichzeitig wird der Raum auch emotional verändert. Er füllt sich mit all den Schicksalen, die sich hinter den gezeichneten Gesichtern befinden. Ich kann die Freude, die ich bei dieser Arbeit empfinde, durch das Zeichnen sofort weitergeben. Das ist alles, was ich gegen die zunehmende urbane Aggressivität tun kann.

Mimik

Langsam komme ich mit dem neuen, von mir zusammengestellten Aquarellstiftsortiment, für die Buchmalereien, aus neun Farben besser zurecht. Die Unausgewogenheit der Auswahl stellt mich vor Farbkompositionsprobleme, die ich nur mit Mühe beheben kann.

Das Scherbengericht läuft unaufgeregt weiter. Zwischendrin kann ich schnell drei Blätter zeichnen. Ich entferne mich etwas davon, weil sich die Bemalung der Wand als Erlebnis in den Vordergrund schiebt.

Mittlerweile geht es da insbesondere um Gesichter, die teilweise drastisch ihre Geschichten erzählen, bzw. von den Betrachtern, also den Kaschemmenbewohnern verlangen, sich die Geschichten hinter den Zeichnungen auszudenken. Mimik hat mich in der letzten Zeit nie beschäftigt.

Die Wut

Das Pokerface

Die Trauer

Die kleine Freude

Der Hochmut

Die Angst

Der Ernst

Die Frage

Das Forschen

Das Staunen

Die Skepsis

Der Spott

Die Wand der Kaschemme

Nun wechselte ich die Farbpalette für die Buchmalereien. Gestern, wie auch heute, kam ich mit ihr noch nicht zurecht. Zu groß ist der Sprung von der vorhergehenden gedeckten Farbigkeit in diese lauten Töne.

Den Vormittag beendete ich in Kayos Kaschemme. Dort zeichnete ich die Bäume mit dem Vogelschwarm auf die Wand. Zwischen den Baumstämmen erstreckt sich nun eine weite Landschaft, über deren Horizont sich ferne dunkle Bergspitzen erheben. Sie treffen mit den, von den unteren Ästen nach unten zeigenden Schnabelspitzen zusammen.

Nachmittags formte ich das neunte Relief aus, das sicherlich am Nachmittag schon soweit getrocknet ist, dass es Platz für Nummer Zehn macht.

Am Abend zeichnete ich wieder an Kayos Wand. Manchmal schaue ich dort in etwa zehn Jahre alte Tagebuchtzeichnungen, um vielleicht Ideen von dort herauszutransportieren. Aber ich merke, dass die Wand eine andere Dynamik hat. Sie ist vielmehr mit der dortigen Atmosphäre verbunden. Die Tagebuchzeichnungen kämen mir da eher fremd vor. Vielleicht aber wird es sich ergeben, dass diese vielen Figuren in ein Geflecht geraten, das den Strukturen meiner älteren Zeichnungen ähnelt. Dann nehme ich die Besatzung der Kaschemme mit auf diese Reise. Von außen schaut man nun in der Nacht von der Mainzer Landstraße aus auf diese beleuchtete Menagerie. Sie besteht aus mondänen Damen, Halunken, DJ`s, Serviererinnen, Matrosen, Folkloreköniginnen, Liebepaaren und Mischwesen. Etliche Gesichter verstecken sich in den Wirbeln der Pinselschwünge. Sie bilden die hoffnungsvolle Struktur, die das ganze weiterentwickeln kann.

Wände voll Zeichnungen

Draußen, im heißen Morgenlicht trocknet das achte Exemplar des ersten Umarmungsornamentes in seiner Form. Die Hälfte der zwanzig benötigten Reliefs sollte in dieser Woche fertig werden. Das ist eher eine Pflichtübung zur Vervollständigung der Verwirklichung der konzeptionellen Vorgabe.

Nachdem ich das Rolltor hochgezogen und die Stahltür, die nach Westen hinaus führt, geöffnet habe, sinkt die Temperatur des lichtgefluteten Raumes auf 24 °. Am Nachmittag dann, verflüssigen sich die Gedanken und der Orientierungssinn schwindet. Gläser werden umfallen, Möbel angerempelt und Zeichnungen werden verwackeln. Die Umrisse der Splitter des Scherbengerichtes verschwimmen zwischen den Tuschsee und dem Schelllackmeer. Die drei Scherben von gestern liegen in ihrer „Nährflüssigkeit“ auf dem Zeichentisch, der nun auch von der Sonne erreicht wurde. Sie sind mit Titeln und Datum versehen, nummeriert und signiert. Jetzt kommen sie in die „Wartekiste“.

Ganz anders als ein Pflichtprogramm, erweist sich das abendliche Zeichnen bei Kayo in der Kaschemme. Neben einer Giraffe zeichnete ich gestern noch weitere 14 andere Figuren und Gesichter. Ich will nach wie vor kein Bildprogramm, will zeichnen, was mir gerade in den Kopf kommt. Mir fallen Bäume voller Vögel ein, die sich in Schwärmen in den Himmel auflösen. Ich denke an bemalte Masken, die ich zwischen die Gesichter montiere und muss aufpassen, dass ich die Aktion vor lauter Freude nicht übertreibe. Es macht ja Spaß, zwischen den vielen Leuten die Wände voll zu zeichnen…

Der Verlust der Forsythe Company

Jacopo Godani hat mit seiner Tanzcompany „One Flat Thing – Reproduced“ auf siebzehn Minuten verkürzt und den Takt beschleunigt. Der schnelleren Gangart fiel die konkrete Körperarbeit der Forsythechoreografie zum Opfer. Vielleicht dachte er, dass man das bei höherer Geschwindigkeit nicht so merkt. Das Bewegungsvokabular, das Forsythe mit seiner Company jahrzehntelang entwickelt hat, ist aber eine Voraussetzung, das zu tanzen.

Am Nachmittag sahen wir uns noch mal den Film aus dem Jahr 2006 an, mit „unseren“ Tänzern, den Einzelpersönlichkeiten. Mit den Szenen arbeitete ich lang und komme auch jetzt immer wieder auf das zurück, was ich in den 25 Jahren zuschauend, im Bewusstsein, eine besondere Ära zu erleben, gelernt habe. Nun kann ich mir noch mal die Form des Reliefs heraussuchen, in dem ich eine besondere Haltung von Georg Reischel festgehalten und mit anderen Linien verknüpft habe.

Manchmal spüre ich den Impuls nach Los Angeles zu fahren, um dieser Arbeit wieder nahe sein zu können. Diese Nähe des Ballettsaales und der Arbeit im Frankfurt LAB fehlt mir nun sehr. Aber ich nahm mit meiner Arbeit an den Bewegungen teil.

Als kleinen Trost bestellte ich mir den Newsletter der „USC Glorya Kaufman School of Dance“, um noch ein wenig mit dabei zu sein und zu sehen, wie die Lehre nun mit Forsythe geht. Darin liegt nun die Hoffnung, dass sich diese Tanzsprache in der Welt verteilt und nicht verloren geht.

Lear als Königin

In der zweiten Schauspielpremiere der Spielzeit wurde der „Lear“ von einer Königin gegeben, einer Finanzmagnatin in ihrem Alterszerfall. Das Shakespearestück ist von einem belgischen Autor überschrieben worden. Warum man das Stück braucht, wenn es den Shakespearetext gibt? – Diese Frage steht im Raum.

Auf der Premierenfeier blieben wir nur kurz, weil der Abend so lau war. Die Straßen waren voll von Menschen mit Gläsern und Flaschen in ihren Händen. Sie verschmelzen zu einer zusammenhängenden klingelnden Pflanze, die ihre Tentakeln regt und fortwährend brabbelt.

In das Gärtchen vor dem Atelier pflanzte ich noch eine Hortensie. Das flache Erdreich ist von vielen Wurzeln verfilzt und lässt sich deswegen nur schwer aufgraben. So kommt mit neuen Pflanzen auch neue Erde oben drauf. Ich versuche in der Hitze dieser Wochen, immer eine feuchte Atmosphäre zu schaffen. Das lockt die durstigen Bienen, die ich oft, an den Rändern der vielen Wasserbehälter zugast habe.

Bei Kayo arbeite ich meist eher im vorübergehen, auf meinem Weg ins Atelier oder nach Hause. Das zeichnerische Mittel, die kleinen Tuschepinsel, sind noch nicht das optimale Material, mit dem ich die poröse Wand bearbeiten könnte. Die Figuren sind noch etwas steif. Sicherlich wäre es von Vorteil, wenn ich mich von alten Tagebuchzeichnungen inspirieren lassen würde.

Psychopool

Mit den jungen Flüchtlingen habe ich nun mit den ersten Produktionsschritten zu ihrem „Biografiehaus“ begonnen. Handyumrissbilder zeichneten sie auf Transparentpapier und fügten sie schon ornamental in Dreiecksformate ein. Das Prinzip des dreidimensional umlaufenden Ornamentrapports ist begriffen. Außerdem baute einer von ihnen ein erstes Modell von einem Dreiecksgitterobjekt, das nun am kommenden Freitag geschweißt werden kann. Ein Relief haben sie auch schon ausgeformt. Und das alles in einer guten Stunde. Nathalie war schon am Vormittag da und half beim Kochen. Sie begann mit dem Modellieren ihres Umarmungsmotives. Joana schreibt in einer Geheimschrift in ein Buch. Ich bin gespannt, wie das in unserer Ausstellung sichtbar werden kann.

Als Spielzeiteröffnung sahen wir gestern im Kleinen Haus eine Performance zu „Iphigenie“. Ein lackroter Pool war der Ort der meist wortlosen Psychoplanschspiele. Ein junges Regieteam, barbusige Schauspielerinnen, griechische Texthappen und faschistoide Arno-Breker-Posen waren Zutaten zu den Denkspielen, die man vom Publikum forderte.

Diese erste Premiere war ein wenig wie der erste Schultag nach den Ferien. Alle Bekannten aus diesem Zusammenhang waren da und begrüßten sich. Wir trafen nach langer Zeit auch David wieder mit seiner netten Frau und Karlheinz Braun. Mit ihm zu sprechen ist fast immer eine sehr schöne Sache. Während der Premierenfeier saßen wir an einem Tisch und sprachen über das Stück und Nachlässe.

Skeleton Tree

Nach den Aufzeichnungen und Buchmalereien, zeichnete ich gestern noch drei Scherben des Vater-Großvater-Doppelportraits auf einzelne Blätter. Dann war es 11 Uhr und ich hatte noch eine gute Stunde für 5 Figuren an den Wänden von Kayos Kaschemme. Nebenher begannen wir uns über eine Vergütung zu einigen. Es ist nicht so leicht, wie am Abend zu zeichnen, beschwingt von Bier und den Kommentaren der Gäste. Am Nachmittag hatte ich noch zwei Stunden für das zweite Dreiecksgitterobjekt, das ich nun tatsächlich, nach mehreren Anläufen fertig schweißte. Das Relief von Vorgestern konnte ich trocken aus der Form entfernen.

Im Kino sahen wir am Abend den Dokumentarfilm „One More Time with Feeling“ zu den Aufnahmen des Albums „Skeleton Tree“ von Nick Cave. Die grundsätzliche Veränderung in einem Leben, das mit dem Verlust eines eigenen Kindes traumatisiert weiterläuft, war das musikalische Hauptthema. Alle Texte und Interviews spielten direkt und indirekt darauf an. Für mich entstand in meinem Kopf sofort die Beziehung zu „See Wall“ von Simon Stephens.

Heimweg durch das Licht der Baustellennacht. Auf dem S-Bahnsteig warfen uns zwei junge Männer aus Versehen eine riesige, hässliche Keramik eines Delphins vor die Füße…

Ein paar wenige Wolken jetzt am Morgen, die etwas Linderung bringen. Alle Türen und Tore sind offen, Windstille und Ruhe auf dem Gelände. Nach dem Einkaufen werde ich ein vegetarisches Curry kochen. Heute erwarte ich noch vier Flüchtlingsjungs, die sich ohne Eltern oder Verwandte auf den Weg nach Europa gemacht haben. Ihre Biografien werden in unser Projekt eingespeist.