Zwei Gesichter

Das Großvaterportrait reduzierte ich auf einen Ausschnitt zwischen Stirn und Kinn und stellte die Rastergröße so ein, dass sie mit der des Vaterportraits übereinstimmt. Dann zeichnete ich beide als Umrisszeichnungen übereinander, was die Voraussetzung für den nächsten Schritt ist. In ihm werde ich auf einem neuen Transparentpapierformat nur die sich überlagernden Flächen zeichnen und ausfüllen. So ergibt sich das nächste Portraitfragment. Auf diesen Arbeitsschritt bin ich sehr gespannt, muss ihn aber noch etwas verschieben, denn heute ist Kunstschultag, Reifenwechsel in der Autowerkstatt, Einkauf, Kochen, und am Abend gibt es eine Premiere im Bockenheimer Depot.

Oben probierte ich schon in der täglichen Collage die Wirkungen der zwei Gesichter übereinander aus. Weil aber auch noch die Wienwanderung darunter liegt, ist auch ein Teil von mir mit dabei. Die vielen Möglichkeiten, die Portraits zu vermischen und zu fragmentieren, werden die nächste Zeit bestimmen.

Manchmal denke ich, dass es Zeit wäre, den Handprint Berlin zu machen.

Das Große Format habe ich gestern so herumgedreht, dass nun die Rückseite in den Raum zeigt. So lassen sich die Tackerklammern, die ich vor zehn Jahren durch den Stoff ins Holz geschossen habe, besser abnageln. Das ist eine insgesamt sehr befriedigende Arbeit.

Eigentlich hatte ich diesen Schritt draußen auf der Freifläche unternehmen wollen. Aber die unsichere Wetterlage, und das aufwendige Freiräumen des Transportweges durch das Rolltor und den Garten, ließen mich die Arbeit im Innenraum beginnen.

Selbstportraits | Wanderungen

Weitere Zeichnungen mit dem Rasterportrait des Großvaters sind entstanden. Weil die ihm zugrunde liegende Fotografie in Grinzing bei Wien entstanden ist, stellte ich mir vor, wie damals in den Dreißigerjahren, die Brüder mit ihrem Holzmodell des Breslauer Domes auf einem Handwagen in den Gassen unterwegs waren. Ich nahm mir meine Aufzeichnungen aller Wege, die ich in Wien gegangen bin vor, meinen „Handprint Wien“ also, und zeichnete alle Linien auf ein Transparentpapierblatt durch. Darüber legte ich das Portraitraster von Oskar Pfitzner, dem Schreiner und Vater meines Vaters. Meine Erinnerungen an meine GPS – Gänge verbanden sich nun mit der Imagination der Wanderungen meines Großvaters.

In mir lösen diese Zusammenfügungen ein eigenartiges Gefühl von Übereinstimmung aus. Ich stehe von Zeichentisch auf, gehe in den Garten und die ganze Familiengeschichte, soweit sie mir bekannt ist, kommt ins Rollen. Diese Turbulenzen und Tragödien wurden eher verschwiegen. Es gibt noch eine alte Zeitzeugin, die ich in Berlin besuchen könnte, eine Großtante. Wenn ich aber mit ihr rede, werden ihre Versionen der Geschichten dominant sein.

In der Schirn sahen wir die Selbstportraitausstellung, die mehr mit meiner derzeitigen Arbeit zutun hatte, als ich ahnte. Das kam mir dann so nahe, dass mir ganz mulmig wurde. Erst als wir danach noch ein Glas Wein getrunken hatten, blätterten sich die ganzen Zusammenhänge auf. Vor ein paar Tagen schrieb ich: „Das fluide System der eigenen Veränderungen lässt sich in Selbstportraits ergründen. Das können auch die täglichen Buchmalereien sein, oder die unterschiedlichen Blicke auf die Vergangenheit.“ Nun sah ich die Bestätigung in der Schirn Kunsthalle.

Totenbuch | Großvater

Gestern zeichnete ich das gespenstische Rasterportrait von Oskar Pfitzner auf ein kleines Stück Transparentpapier. Daneben setzte ich die kleine Frottage eines Super 8 Filmschnipsels, auf dem die Mutter meines Vaters in Serie abgelichtet ist. Eine Trennungsgeschichte, denn der Vater meines Vaters reiste fort, vielleicht zunächst zurück zu seiner eigentlichen Ehefrau und ward später nie mehr gesehen. Nur eine Postkarte erinnert an ihn. Auf der ist zu lesen, dass er mit seinem Bruder zusammen mit einem Modell des Breslauer Doms auf einem Handwagen durch Europa wandern will. Dann hatten sie das Ziel Amerika ins Auge gefasst.

Auf einer weiteren Zeichnung kombinierte ich die Frottage einer Perlonschnurschleife mit dem Doppelportraitfragment von mir und meinem Vater. Das war nun der vorsichtige Einstieg in die weitere Arbeit an den Totenbüchern.

Direkt vor mir an der blauen Mittelsäule des Ateliers hängen Ketten aus Steinen, Muscheln und Seetierschalen, die ich an den Stränden der verschiedenen Meere gesammelt und aufgefädelt habe. Dafür benutzte ich immer die Perlonschnüre, die ich an Ort und Stelle finden konnte. Und weil die meistens etwas morsch vom Meerwasser, Licht und Wetter sind, kommt es hier ab und zu dazu, dass die Schnüre reißen. Meistens passiert das bei Ketten mit vielen Steinen, die besonders schwer sind. Dann zerbersten die Schalen zwischen dem herabstürzenden Gestein, und der malende Vorgang der Wellen wird nun anders fortgesetzt. Weil jeder aufgelesene Gegenstand einzigartig ist, gelingt es mir manchmal, mich an die Fund- und Fädelsituationen zu erinnern.

Selbstportraits | Totenbücher

Nach drei Atelierstunden gestern, kurzer Spaziergang am Main. Ein ruhiger Tag, der heute eine intensive Wirkung auf mich ausübt.

Lammcurry am Abend.

Erinnerungsfiguren verflüssigen sich. Sie schienen starr in Beton gegossen zu sein. Die Erinnerung an die Starre flexibilisiert die Gegenwart. Ist das feste Material verflüssigt, das Feste also abwesend, tritt an seine Stelle die Erinnerung daran. Das fluide System der eigenen Veränderungen lässt sich in Selbstportraits ergründen. Das können auch die täglichen Buchmalereien sein, oder die unterschiedlichen Blicke auf die Vergangenheit. Wie sieht die Zukunft meiner Tagebücher aus? Auf dem gebundenen Papier, befinden sich außer den täglichen Malereien auch persönliche Aufzeichnungen…

Die Zeichnungen auf dem Tisch rufen mich. Nun soll das Portrait von dem Schreiner Pfitzner aus Breslau dazukommen. Er ist der Vater meines Vaters. Sicherlich beschäftige ich mich heute mit diesen Vätertotenbüchern.

Ich möchte mir für das Atelier einen Gaskocher besorgen, damit das Zubereiten der Mahlzeiten für die Schüler mehr Spaß macht und mit den elektrischen Kochplatten nicht mehr so viel Strom vergeudet wird.

Vergessene Figuren

Zehn Meter Leinwand werden morgen an mich abgeschickt. Mit einer Breite von 3.20 m kann ich den großen Rahmen nun gut zweimal bespannen.

Vor mir auf dem Tisch liegen die Zeichnungen vom Januar bis März, mit denen ich die Totenbücher entwickelt habe. Vieles von dem Entwicklungsmaterial befindet sich auch auf Rolle 6. Ich bin nun auf den Anschluss gespannt. Mit der Lust auf die Fortführung der Arbeit erinnere ich mich an ein Gespräch mit C. Wolf, die davon sprach wie viel Freude ihr die Entwicklung von Figurencharakteren macht. Mir scheint, dass ich mit den Totenbüchern das Gegenteil mache. Ich reduziere Figurenportraits bis zur Unkenntlichkeit und lasse sie dann verschwinden, oder in einer neuen Form als Schriftinkarnation wieder ganz anders erscheinen.

Über Abwesenheit las ich kürzlich in einem Interview mit Hürlimann, in den Texten von A. Assmann und in denen über die Tanzformen von Bill Forsythe. Alle reflektieren Erinnerungsräume auf ihre Art.

In den letzten drei Malereien des Buches, dass ich vorgestern abgeschlossen, d.h. voll geschrieben und –gemalt habe, traten die drei Figuren auf, von denen ich gestern schon berichtet hatte. Sieben Jahre habe ich menschliche Figuren aus dem täglichen Arbeitstagebuch verbannt und bin zu vollständig abstrakten Buchmalereien übergegangen. Wie kommt es zu dieser erneuten Begegnung? Wie ist es mit der Präsenz der ausgelöschten und vergessenen Figuren bestellt?

Licht- und Wassersäulen

Auf der Rückfahrt von meinen Eltern stand weiße Gischt im Gegenlicht zwischen den schnell wechselnden Lichtkaskaden und finsteren Wassersäulen auf dem Autobahnasphalt. Dahinter unwirklich indigolasiertes Himmlelsblau mit der Polarluft, die vorgestern noch Gewitterwolken aufströmen ließ. Mein Garten, die Wiese, der Beton und die Gullys tranken, das Auto wurde gewaschen.

Auf den jeweiligen Enden der Welt, an denen unsere Eltern wohnen steigen silberne Flammen aus den Bergen.

Mein Rückzugsort wird von rauschenden Heizkörpern gewärmt. Ich sitze mit leerem Kopf an einem weißen Tisch, habe im Auto laute Musik gehört und mitgesungen. Jetzt schaue ich auf die gestrigen Zeichnungen, die drei ähnliche menschliche Figuren beherbergen, die per Handballenabdruck entstanden sind. Nichts fällt mir dazu ein.

Die Jugendlichen, die sich die Industriebrache auf Teves Ost teilweise als derzeitiges Revier unter die Nägel gerissen hat, standen gerade versammelt vor den verkohlten Resten des Wohnwagens. Ich hielt mit dem Auto an und versuchte in so viele Augen, wie möglich zu schauen. Sie haben sich verdrückt, großmäulig und feige.

Brände

Unter der Bahnbrücke, die den Eingang zu Teves West bildet, ist ein Brandanschlag auf den Wohnwagen des Nachbarn verübt worden. Nur ein paar verkohlte Reste blieben. Die Brücke ist an ihren Entwässerungsleitungen beschädigt worden.

Ich spüre deutlich, wie der Druck auf uns aus verschiedenen Richtungen wieder zunimmt. Investoren schauen gierig aus ihren schwarzen Großraumlimousinen auf dieses Gelände, das in ihren Augen eine Brache ist. In den Labyrinthen von Teves Ost treiben Jugendgangs ihr Unwesen, halten sich obdachlose Flüchtlinge auf und kommen mit ihnen in Konflikt. Ein Auto, das zum Schlafen genutzt worden ist, ging in Flammen auf, ein anderes wurde vollständig demoliert. Dieser Vandalismus und die Auseinandersetzungen kommen immer näher.

Immer mal werfe ich einen Blick auf die letzten Transparentpapierzeichnungen aus den Totenbüchern. Daran will ich nun in der kommenden Woche anknüpfen.

Joana hat schon begonnen das große Bild abzunageln. An der rechten drei Meter hohen Flanke zog sie alle Klammern.

Befreit

Der große Lochziegelstein im Garten wird nun als mehrstöckiges Appartementhaus von den Eidechsen genutzt. Manchmal stecken einige von ihnen die Köpfe aus den Ritzen und verharren so stundenlang.

Befreit vom großen Malereiformat tragen mich meine Beine leichtfüßig durch die Gegend, über Treppen, Straßen, Parks und Gärten hin in einen wohligen Zustand. Während ich langsam am Arbeitstagebuch arbeite, ein wenig im Garten grabe und säe, am Nachmittag die Ausstellung im Architekturmuseum abbaue, sammelt sich Kraft für etwas Neues.

Die alten Holzschnitte fallen mir als Gegenstände für Frottagen ein, die ich auch auf Leinwand platzieren könnte. Zusätzlich stelle ich mir lange Drähte vor, die jemand von hinten gegen die Leinwand pressen müsste, damit ich von vorne mit Graphit darüber schraffieren könnte.

Im Gästebuch der Ausstellung „Passend gemacht“, war ein netter Eintrag mit einer Zeichnung über zwei Seiten von Coop Himmelb(l)au. Die Ausstellung war, wie ich finde sehr besonders. Nun ist sie schon Geschichte.

Heute Kunstschüler, Holzschnitte vielleicht. Ihre schönen Umarmungsmotive könnten so vervielfältigt werden.

Abschluss

Vier Leute aus dem Planungsamt der Stadt waren zu Besuch im Atelier. Ich zeigte ihnen meine GPS-Aufzeichnungen vom Gustavsburgplatz, weil sie gerade dabei waren über die Gestaltung dieser Fläche noch mal nachzudenken. Auch die zwei Handprints von Wien und Frankfurt druckte ich aus, um sie ihnen zu zeigen. Zeigen – darauf läuft es doch manchmal hinaus. Außerdem ging es mir aber darum, ihnen anzubieten, meine Raumunternehmungen beim Nachdenken über die Flächengestaltungen mit einzubeziehen. Außerdem sprachen wir über die Bebauung in der Nachbarschaft und darüber, wie wir unsere ruhige insulare Lage trotz der Öffnung des Geländes beibehalten können. Interessant war eine Idee, ein Kunstwerk zu schaffen, das die Aufmerksamkeit der Fußgänger in bestimmte Richtungen lenkt. Wo ich immer an Abgrenzung, Zäune und trennende Elemente dachte, kommt nun dieser buddhistisch anmutende Vorschlag von Frau K. aus dem Amt.

Über zehn Jahre Stand das 3×4 Meter große Format als stete Herausforderung da. Ich habe mir gerade die erste Malerei auf dieser Leinwand angesehen, deren Komposition von einer Tagebuchzeichnung übernommen war. Daraus entwickelte sich eine barocke, in den meisten Teilen abstrakte Arbeit. Als ich ihr überdrüssig wurde, übermalte ich sie mit drei großen, weißen Mantelfiguren die aus dem Frankfurter Kraftfeld stammten. Sie wurden dann von den verhängnisvollen bunten Kreisen übermalt, derer ich schnell überdrüssig war, weil sie einen Tiefpunkt in meiner Arbeit darstellten. Nun wendete ich mich mit der weiteren, letzten Überarbeitung, vor zwei Jahren dem Biografieprojekt zu. Daher stammten das Selbstportrait als Sechsjähriger und die Verbindung zu den Felsgravuren. Sie waren Bestandteil des Trixelplaneten seit 1998. Nun ist beschlossen, dass es nun genug sein soll. Neue Leinwand für den großen Rahmen ist schon bestellt.

Das blaue Gnu

Neue Brunnen werden für die Messung der Vergiftung der Unterwelt gebohrt. Den Arbeitern am Orkus habe ich Strom und Wasser gegeben, damit zwei ihrer Aggregate aus bleiben und nicht noch mehr Lärm und Abgase in die Oberwelt blasen. Im Inneren ihres laufenden Spezialfahrzeuges, bildet sich meine gestrige Phantasie der Funktionsräume in der Tiefe ab. Pulsierende Leitungen, Messinstrumente, Monitore, aber oben vor meinem offenen Rolltor. Der Diesel rumort und stinkt. Sie geben mir etwas Geld für meine Hilfe.

Warum mische ich mich ein und ziehe mich nicht in das geschlossene Innere meines Ateliers zurück?

Wütend schwoll Farbigkeit in das große Bild. Fast ist es schon zerstört dadurch. Die weißen Begleitlinien der Verbindungsleitungen zwischen dem blauen Gnu, der Giraffe, der Antilope und mir, sind blaugrüngelb geworden. Die Kreuzungen der Linien haben rote Punkte bekommen. Alles schreit, knallt bunt heraus, dass die zweieinhalb Jahre alten Kringel noch mehr in den Hintergrund wandern. Aber so verpufft die Farbwirkung. Ich will nun aus den verwendeten Lasurfarben eine Mischung machen, mit der ich Areale eindunkle. Am liebsten wäre mir eine geometrisch anmutende Figur dafür.

Nach dem langen Arbeitstag fand ich mich im Rebstockimbiss wieder. Dort lamentierte der Witwer der Seeräuberjenny, der zu lange untätig am Spielautomaten gestanden hatte. Er dankte uns allen für unsere Hilfe, sie sei nun aber doch am gleichen Abend in der Klinik verstorben. Trotzdem: Vielen Dank!

Lichtblaue Aura

Wenn die Güterwaggons langsam über die Gleise auf dem Bahndamm laufen, ist jedes einzelnen eigenes Geräusch vernehmbar. Ein Chor zieht vorüber mit vielem Stöhnen, Quietschen, Ächzen, Knarren, Poltern, Knirschen und Röhren. Ein beweglicher Klangraum, der je nach Standort oder ob man selber in Bewegung ist, als serielle Komposition erlebt werden kann.

Eine verwandte Zusammenstellung stellt sich aus den Einflüssen der Erinnerungen und des Täglichen ein. Das alles für die Arbeit in der Waage zu halten, bedeutet die ganze Aufmerksamkeit dafür zu bündeln. Die Lektüren, wenn man Glück hat, auch die Theaterstücke, die Ausstellungen und die alltäglichen Begegnungen, die Rauschmittel und die Landschaften, das Licht und die Temperaturen, bilden sich dann ab.

Die leere Innenfläche des Gnus sah ich innerhalb der neuen großen Komposition eher als ein Fenster in die vorherigen Schichten des Bildes. Nun aber habe ich sie vollständig weiß abgedeckt und will ein lichtes Blau darauf setzen. Es kann auch die Verbindungslinien zwischen dem Gnu, der Giraffe darunter, der Antilope darüber und meinem Portrait als Sechsjähriger daneben, als Aura umgeben. Die farbigen, zweieinhalb Jahre alten Kreise sind fast vollständig abgedeckt. Es wäre möglich, heute die Arbeit daran zu beenden.

Über meine zwei neu angekommenen Eidechsen, die den warmen Steinstapel bewohnen, habe ich die Acrylglaskuppel mit einem Abstand zum Boden gestülpt, dass sie sie immer verlassen oder betreten können – ein Luxusappartement.

Unterwelt – Raum des vorläufigen Vergessens

Das ruppige Kreisen über der Orangenuhr der ersten gestrigen Zeichnung, scheint ein direktes Echo des Theaterabends zuvor zu sein. Es entstanden gewaltvolle dunkle Schwünge von ähnlicher Art, wie auf dem großen Format im Atelier. Dort rücken sie kraftvoll Schichten der zehnjährigen Arbeit in den Raum des vorläufigen Vergessens. Diese Herstellung einer Abwesenheit ist einer der der wichtigsten Arbeitsvorgänge der letzten Jahre. Er braucht und bekommt meine ganze Aufmerksamkeit.

Ein Fahrzeug der Stadtwerke mit großen Vakuumpumpen greift in die Unterwelt des Geländes. Gleich füllt der Gestank von dort den Raum des klaren Morgens. Das Rolltor ist offen – kein Entrinnen.

Sigmar Polkes „Die Vermittlung zwischen dem Oben und dem Unten“ wird vor meinen Augen durch Leitungen unterschiedlicher Stärke ergänzt, die unter den Strömungsschlägen erzittern, die die Oberwelt in Gang halten.

Auch aus der Ferne ist das Rumoren aus dem Orkus hörbar. Metallzäune auf dem Gelände östlich des Bahndamms werden für die Zufahrt von Großfahrzeugen eingerissen, die zwischen dem Sommerfliederwildwuchs Filter austauschen sollen. Sie gehören zu einem Recyclingprogramm, das den giftigen Schlamm im Grundwasser, dessen schädliche Konzentrationen sich in siebzig Jahren des vergangenen Jahrhunderts verdichtet haben, neutralisieren soll. Die Ruinen darüber sind nur kleine Fragmente der Gebeine, in deren DNA Geschichte eingelagert ist.

Clockwork Orange

Tag der Befreiung“ – so wurde drei Jahrzehnte meines Lebens dieser Tag benannt. Ein staatlich verordneter Erinnerungsraum für den Sieg der ruhmreichen Sowjetarmee über den Hitlerfaschismus.

Jetzt im offenen Tor im Atelier, zurück von der „Susebank“ im Taunus mit dem Blick über die Wiese, durch das noch zarte Grün der Waldrandbüsche in das dunkle Unterholz des ansteigenden Hanges. Suse davor als weiße Umrissfigur der vergangenen Woche, als Fehlstelle.

Im Bockenheimer Depot sahen wir gestern eine Bühnenfassung des Romans „Clockwork Orange“ von Anthony Burgess vom Anfang der Sechzigerjahre. Christopher Rüping hat die Fassung und die sehr bemerkenswerte Regie gemacht. Das Grundthema der menschlichen Wahlmöglichkeiten dominierte das Bühnengeschehen und den Umgang mit dem Publikum. Wenn Sekt und Häppchen gereicht werden, kann jeder entscheiden ob er das im Angesicht der dargebotenen Grausamkeiten eines Gewalttäters verzehren will. Als Höhepunkt wird der geschundene und blutende Körper des Mörders durch den Zuschauersaal getragen und das Publikum wird aufgefordert, ihn zu schlagen. Jemand tut es auch, nach den Häppchen. Die streng regulierten Arbeitnehmer aus den Bürotürmen finden hier ihr Gleichgewicht. Für diesen Event bekommt das Team vom verrohten, aber auch vom anderen Teil des Publikums einen herzlichen Applaus.

Mit Wut male ich mein Großformat zu. Die bedrohlichen schwarzen Verbindungslinien zwischen meinem Portrait und den wilden Tieren der Savanne, stehen vor dem blendenden Weiß des Vergessens, das notwendig in eine Wendung der Arbeit führt, die allein auf mich zielt.

Vätertotenbuch

An der Schwelle des offenen Rolltores steht ein Arbeitstisch. Der Blick geht durch mein Gärtchen in die Flucht des Weges und ist halbverstellt von Pflanzen, die ich von den Kanaren mitgebracht habe. Sie leiden nach den dunklen Wintermonaten im Atelier, nun am Übermaß an Licht.

Ein Rabe hat neben dem Kräutergarten auf der Wiese seit einigen Tagen seine Tränke entdeckt. Von dort aus kann er noch sein Nest sehen. Wenn die Elstern einfallen, sind sie schnell von ihm verscheucht. Mein ängstlicher Blick gilt der Gefahr für meine Eidechsen.

Im Grafikkabinett des Städelmuseums sahen wir gestern eine kleine Ausstellung mit frühen Druckgrafiken von Sigmar Polke. Das Blatt „Die Vermittlung zwischen dem Oberen und dem Unteren“ zeigte mir eine Struktur, die für das nächste Großformat, das „Vätertotenbuch“ möglich wäre. Ein Zusammenspiel zwischen Zeilen von Zeichen aus Fragmentierten Rasterpunkten und Rasterfotografien in mehreren Malereischichten könnten zu einer passenden Komposition und zu dem, was mir zu zeigen vorschwebt führen kann.

Als Lesezeichen steckt ein Super 8 Filmschnipsel mit Portraits meiner Großmutter väterlicherseits zwischen den Seiten von Aleida Assmann, die mir alles über Erinnerung erklärt, was ich jetzt für meine Arbeit brauchen kann.

Wächter

Aktuelle Motive, sagt Aleida Assmann, sind Wächter über das Erinnern und Vergessen. Mit meinen Einnerungsgeflechten übermale ich auf meinem großen Bild im Atelier die Schicht einer bestimmten Zeitspanne. Ich möchte einen künstlerischen Tiefpunkt tilgen und wieder in der Mitte meiner Arbeit ankommen. Noch langte ich mit der Malerei nicht bei den Totenbüchern an, bin aber mit großen Schritten unterwegs dorthin. Bald soll eine neue Leinwand aufgespannt werden, auf der ich als erstes das Väterbild anlegen werde, das Voraussetzung für die Totenbücher ist.

Gestern bin ich außen meinem Arbeitstagebuch zu nichts gekommen. Auf dem Hauptfriedhof besuchten wir die Urne unserer Freundin Heike Knoll, stellten eine Blume daneben und dachten daran, dass sie gestern sechsundfünfzig Jahre alt geworden wäre. Wir erinnerten uns an den frierenden Trauerzug vor sieben Jahren und an ihre schnatternden Werbekollegen. Dann strichen wir mit unseren Händen über die Urne, um ihrer Asche nahe zu sein. Vor der dunklen, trockenkalten Gruft empfing uns das gleißende Mittagslicht.

Was heißt das Versprechen: Wir werden nicht vergessen?

Im Gärtchen muss ich nun manchmal Kontrollrundgänge machen. Dabei verscheuche ich die Katzen und zähle die Eidechsen durch, die übrig sind. Manche haben die Katzenangriffe nur verstümmelt überlebt. Aber ihre Sollbruchstellen an den Schwänzen haben sie gerettet.

Heute Kunstschule…

Erinnerungskonstruktionen

Oh ja, ich habe Lust auf diese kraftvolle Malerei, die auf diesem großen Format von mir erzählt. Die Schwarzen Linien stechen aus dem lasierenden Weiß heraus und drängen die Farbkreise langsam immer mehr in die Ferne. Ich gebe einer gewissen Rücksichtslosigkeit Raum, die mit den letzten Jahren aufräumt. Es herrscht Malwut.

Am Morgen, in der Sonne auf dem Balkon, las ich im zweiten Erinnerungsbuch von Aleida Assmann. Jeder Satz sprach mich auf eine Weise an, als könne er sofort in neue große Malereiformate umgemünzt werden. Dabei denke ich an die Totenbücher, die aus den Überlagerungen und Fragmentierungen der Väterportraits erstanden sind.

Was nehme ich mir aus den Zwischenräumen der Generationssprünge, das für mein gegenwärtiges Überleben notwendig ist? Der konstruierten Kollektiverinnerung in der DDR steht meine eigene Erinnerungskonstruktion gegenüber. Womit verbindet sie mich innerhalb der Umgebungen, die mir wieder andere Entwürfe zueignen wollen. Die aufsteigenden Gefühle meiner Jungpionierzeit sind von einer Machtlosigkeit dominiert. Einengung, Drill, Angst, Gehorsam und Wunschverdrängung. Vor dem Aufbegehren sollte ich in der Masse aufgehen. Das führte mich logisch in das folgenreiche Individualexperiment eines Künstlerlebens.

Mirós Großformate gestern in der Schirn ließen mich kalt. Zu oft sah ich die Reproduktionen als Fehlstellen des respektvollen Umgangs mit künstlerischer Arbeit.

Rückeroberung

Nahe vor der Leinwand stehend male ich an den Motiven, die erst aus größerer Entfernung zusammenhängend sichtbar werden. Seit vielleicht zehn Jahren arbeite ich immer mal wieder an diesem Format. Natürlich sind es am ehesten die Dinge, die mich in diesen verschiedenen Phasen interessiert haben, die ich übereinander schichtete. Nun ist es meine Biografie, die dazukommt. Die weit auseinander liegenden Orte Weißenborn – Lüderode, der Ort meiner Einschulung, von der das Portrait stammt, und Twyfelfontein in Namibia treten nebeneinander auf. In den nächsten Tagen will ich dieses Bild zu Ende bringen. Leider können die Techniken meiner Buchmalereien dort keine entscheidende Rolle spielen, weil die Leinwand 4×3 Meter misst. Das spontane Wischen mit dem Handballen, mit dem ich die Aquarelle in den Büchern derzeit in vage Landschaften verwandle, müsste zu einer neuen kleinformatigen Gestaltungsschicht umgearbeitet werden, aus der sich Motive oder Farbflächen zusammensetzen.

Mit schwarzer und weißer Acrylfarbe dränge ich die banale Farbigkeit der letzten Malschicht in den Hintergrund. So hebe ich das Rasterportrait mehr hervor und werde auch die Tierumrisse und ihre Verbindungslinien damit deutlicher machen. Dieser Vorgang hat etwas mit Gründlichkeit, Wut und Rückeroberung eines gestalterischen Terrains zutun.

Gestern jagte ich eine schwarzweiße, wilde Katze aus dem Gärtchen, die sich vor dem warmen Steinstapel gesetzt hatte und in seine Ritzen starrte. Sie will meine Eidechsenpopulation dezimieren. Dass ich das nicht erlaube, habe ich ihr hoffentlich deutlich gemacht. Die Acrylkuppel fungiert jetzt, neben der Wärmespeicherung, als Schutzraum.

Kraftfelder

Die Gartennische zwischen den Regalen, in der der Korbstuhl steht, ist auch ein Leseort. Dort saß ich gestern nach der Malerei mit dem Buch „Erinnerungsräume“ von Aleida Assmann. Der Zusammenhang, in dem meine Arbeit steht, bekommt dadurch für mich eine entscheidende Erweiterung. Ich bin nun eher in der Lage, sie zu gegenwärtigen Erinnerungskulturen und zu solchen aus der weiteren Vergangenheit, in Beziehung zu setzen. Dabei habe ich das Gefühl, mich von den gegenwärtigen Strömungen absetzen zu müssen. Dazu gehört etwas Abstand, etwas mehr Raum. Ich denke dabei wieder an Susannes Text zum Kraftfeld.

Auf dem großen Bild befinden sich nun drei schwarze Felsgravurbilder aus Twyfelfontein. Eine Giraffe, ein Gnu und eine gehörnte Antilope. Ich zeichnete sie als klare Formen auf das bunte Kreisgewurschtel als ersten Akt der Befreiung von einem künstlerischen Tiefpunkt der vergangenen Jahre. Ich bin froh, dass die Malereien aus dieser Zeit nicht mehr im Atelier lagern. Nun kann das Bild wieder die Spannung bekommen, die es zuvor eingebüßt hatte, und vielleicht sogar ein neues Kraftfeld werden.

Die Verbindungslinien zwischen den Tierumrissen und den Rasterpunkten des Portraits, sollen nun auch ins Innere des Gesichtes führen, das mich als Sechsjährigen zeigt. Das Liniengeflecht soll recht dicht werden. Um es weiter hervorzuheben will ich die Linien auch hell umranden. Die Kreuzungspunkte bekommen kleine schwarze Kreise. Das ist der Fahrplan für die nächsten Tage.

Erscheinung

Im Taunus saßen wir gestern auf einer Bank und schauten in das aufbrechende, sonnenbeschienene Grün, neben einer Lichtung und vor dunklen Stämmen verschiedener Baumgruppen. Durch einige Schichten der kleinen Blätter und Zweige unterschiedlicher Farbtemperaturen, konnten wir tief in den gestaffelten Raum des Unterholzes bis zu einem ansteigenden Hang blicken. Eine Stelle, an der man lange schauen und die Zeit aus dem Auge verlieren kann.

Mitten in dieser meditativen Vertiefung tauchte S. vor uns auf dem Weg auf, die jetzt in Rostock als Rektorin arbeitet. Wir fragten uns gegenseitig, wie es uns geht. Sie plauderte gleich schnell und viel und engangiert und freundlich drauflos, wie sonst auch. Innerhalb von zehn Minuten kannten wir uns in den dortigen Theaterquerelen aus und wissen nun, wie verfahren die Situation der Häuser ist. Man konnte ihr gegenwärtiges Glück in ihrem Gesicht und an ihrer Haltung sehen. Und dann verschwand sie genau so schnell, wie sie aus dem Nichts aufgetaucht war – wie immer.

Wir sahen wieder in die Tiefe des Raumes ohne diese Erscheinung dazwischen. Ich dachte an den Text, den sie in der bitteren Kälte des Ausstellungsraumes, angesichts meines 12 Meter langen Kraftfeldes Frankfurt schrieb. Ich will ihn nun suchen.

Unter der Acrylglaskugel organisiert sich das Eidechsenleben neu. Das soll aber nicht ihr Endzweck sein. Noch suche ich nach einer besser geeigneten Stelle.

Steinhaufen mit Glaskuppel

Während der Fahrt nach Köln gestern, sah ich die Farben der grün treibenden und gleichzeitig verblühenden Bäume. Mit dem durchscheinenden Holz wurde das im Vorbeifahren zu einem verwischten Altrosa. Heute wollen wir uns das noch mal während eines Spazierganges im Taunus langsamer und genauer anschauen.

Das Gärtchen ist etwas trocken im frischen Ostwind und wird gleich von mir gegossen. Wenige Eidechsen sitzen auf den Sonnenbrettern oder den dunklen Steinen, die zuerst warm werden.

Nun habe ich eine Halbkugel aus Plexiglas, die ich als Form für meine Sonne nutzte, mit einem Durchmesser von 90 Zentimetern und einem 15 Zentimeter großen Loch darin. Gern würde ich sie als Baldachin über eine Sitzgelegenheit montieren oder irgendeine Installation im Garten damit machen.

Gerade stellte ich sie zunächst über einen Steinhaufen, auf dem eine Eidechse saß. Das führte dazu, dass sofort eine zweite dieses Revier für sich in Anspruch nahm. Ein Revierkampf in Form einer blitzschnellen Jagd entbrannte daraufhin.

Morgen also gehe ich an das große Bild…

Explosion | Sturm

Schon kurz nach Acht im Atelier. In einer guten Stunde wollen wir das Sonnenobjekt nach Köln transportieren und es dort in eine Museumsinstallation mit der Simulation der Mondphasen einbauen.

Meine Kunstschüler bekommen viel Druck von vielen Seiten. Und wenn sie dann am Freitagnachmittag hier erscheinen und spüren, wie er nachlässt, explodieren sie auf verschiedene Weisen.

Gestern begannen sie so genannte physikalische Experimente zu machen, bei denen sie Schwebekörper über Kerzenflammen fliegen lassen wollten. Mir kam das so vor, dass sie eine Lust an Flammen entwickelten, der ich so nachgab, dass wir draußen ein richtiges Feuer entzündeten, in dem wir die Gartenabfälle, die sich im Frühjahr angesammelt hatten, verbrannten.

Am Abend sah ich im Schauspiel Shakespeares „Sturm“ in einer Inszenierung von Andreas Kriegenburg. Seine Bilder cremefarbener Geisterfiguren mit schwebenden roten Sonnenschirmen ärgerten mich manchmal. Alles war sehr ästhetisch – Spiel in einer bühnengroßen, fünf Zentimeter hohen Wasserwanne, mit schönen Spiegelungen des Lichtes auf einen cremefarbenen gebauten Baum, an den lauter Zettel mit Gedichten hingen… Das war mir doch etwas zu viel. Dennoch war es ein amüsanter, nicht ganz kurzweiliger Abend.

Kontinuierlicher Monolog | Bratkartoffeln

Nachdem ich nun viele Tage mit dem Bau des Sonnenobjektes verbracht habe, entdecke ich an diesem Morgen noch einmal die Wichtigkeit der kontinuierlichen Arbeitstagebucharbeit. Sie verschafft mir die Möglichkeit, durch die Fortführung dieses inseitigen Monologes, immer sofort in meine Welt einzutauchen. Das dient der Vervollständigung meines Werkes.

Während der Bastelei an dem Objekt, bemerkte ich die Anstrengung, die es mich kostete, nicht an meinem Biografieprojekt weiterarbeiten zu können. Ich glaube, dass es mir während meiner zwölfjährigen Theaterarbeit ähnlich erging, ohne dass es mir immer bewusst war. Auch deswegen verwandelte ich meine Aufgaben dort in ein selbstbestimmteres kreatives Schaffen, das immer mehr Einfluss auf die Gesamtergebnisse des Theaters hatte. Das stieß allerdings an seine Grenzen, die mich dann die Konsequenz ziehen ließ, mich wieder ganz auf meine eigene Arbeit zu konzentrieren. Aus meiner jetzigen Sicht war das sehr richtig.

Während eines Gespräches gestern kündigte ich nun die Fertigstellung des großen Bildes in der nächsten Woche an. Es hat sich nun genügend Druck angesammelt, das Unternehmen anzugehen. Der Untergrund kann nun nur als Negativschicht dafür dienen, was nun kommen soll. Ich freue mich auf diese Arbeit, die sich zugleich mit meiner fernen und jüngeren Geschichte beschäftigen wird.

Ein paar elektronische Nachrichten an meine Schüler sollten sie erinnern, dass ich wieder da bin. Es gibt heute Bratkartoffeln mit Pilzen. Ich freue mich auf sie.

3 Zeichnungen für die Seeräuberjenny

Am Morgen, während sich die Rolltore in der Sonne aufwärmen und die Geräusche der Ausdehnung den Zeittakt geben, steifte ich das Innere der Sonnenhalbkugel aus.

Gestern Abend war Chris da und schaute sich das Ergebnis der bisherigen Arbeit am Sonnenobjekt an. Danach gingen wir auf eine Pizza bei Pietro. Geschichten unserer Arbeit tauschten wir aus. Ich möchte mit der Verrohung der Umgangsformen in der Arbeitswelt nun nichts mehr zutun haben.

Danach habe ich mir ein Montreuxkonzert von Shade aus dem Jahr 1984 angehört. Auch heute Vormittag höre ich das mit Vergnügen.

Am Abend, während eines Fußballspieles, erzählte mit Kayo im Rebstockimbiss, dass die Frau, die ich mit der Seeräuberjenny in Verbindung brachte, am Abend vor unserer Reise nach Andalusien gestorben ist. Noch an dem Tag als ich das erste und letzte Mal mit ihr gesprochen habe, beendete sie ihr Leben im Krankenhaus. Die Gründe ihres Endes bleiben im Dunkel des Todes versteckt.

Nun gibt es drei Zeichnungen für die Seeräuberjenny, deren zweite ich oben in die Collage eingefügt habe.

Sonnenkälte

Geschwind kommt von Nordwesten Polarluft und lässt die Temperaturen wieder in Richtung Gefrierpunkt fallen. Durch die Ritzen der Rolltore dringt der kalte Wind, weil ich die Isolierungen schon lange entfernt hatte.

Gestern arbeitete ich vier Stunden an dem Sonnenobjekt für das Kölner Museum. Grundierungen und Farbschichten, wie früher im Malsaal des Heidelberger Theaters.

Nach einer Reise komme ich nun, wegen dieser ablenkenden Arbeit nicht so schnell, wie ich es mir gewünscht hätte, in die Beschäftigung mit meinem Biografieprojekt. Gern würde Ich nun schnell das große Format zu Ende malen, eine neue Leinwand aufspannen und ein neues beginnen.

Mit dem Scannen der Zeichnungen der letzten zwei Wochen habe ich auch noch nicht begonnen. alles muss warten wegen dieses profanen Objektes.

Seeräuberjenny

Auch im Lied von der Seeräuberjenny geht es um die Zerstörung einer Erinnerung. Mit dem Schleifen der Stadt und der Ermordung aller Einwohner durch die Seeräuber, die unter 8 Segeln in die Bucht kamen, wird die erlittene Schmach verwischt. Das elende Dasein hat sein Ende im blutigen Vergessen gefunden. Das ist ein Grund für Rache. Die rauchenden Trümmer im Rücken, breitet die Freiheit des Meeres ihr Schweigen über die Vergangenheit.

Dass Dieser Song einen jungen Musiker, wie Dylan, der am Anfang der Sechzigerjahre in New York angekommen ist, begeistern musste, leuchtet mir ein. Filmaufnahmen von Lotte Lenya zeigen sie bei der Interpretation dieses Songs mit sehr zurückhaltenden Gesten und wenig Bewegung als eine bedrohliche Figur des besonderen Vergessens.

Manchmal erscheinen mir die Szenen im Rebstockimbiss so, als würden sie direkt aus der 3 Groschen Oper stammen. Der deformierte blutunterlaufene Kopf einer Trinkerin, die vor 3 Wochen obdachlos geworden ist, zeigt sie dem Tod näher als dem Leben. Ihr Freund steht zockend am Spielautomaten und kümmert sich nicht um sie. Der Zorn des Wirtes und aller Gäste trifft ihn. Er redet und redet, findet Ausflüchte, um nichts tun zu müssen. Seine Freundin weigert sich, Hilfe anzunehmen. Die Situation eskaliert im engen verrauchten Raum, bis er sie anschreit: Stirb! – mehrmals. Ein Gast ruft die Sanitäter, während sich die fahlblaugraue Frau immer noch weigert, Hilfe anzunehmen: Ich komm nicht mit! Die Polizei nimmt sie dann unter sanftem Druck ins Sanitätsfahrzeug.

Viele Geschichten der Seeräuberjenny sind unterwegs.

Erinnerungslücken

Die Zerstörung von Erinnerung setzte häufig nach Umwälzungen ein. Revolutionen, wechselnde Herrscherfamilien und neue Kultureinflüsse tilgten Sprachen, zerstörten Tempel und bauten auf diesen Fundamenten andere Gotteshäuser. Sammlungen und Bibliotheken wurden verbrannt, Bräuche verboten…

Nun stellt sich aber die Frage, ob die erzwungene Abwesenheit von Erinnerungsmedien, die memorierten Fakten oder Mythen ganz verschwinden lassen kann. Ist es nicht eher so, dass zunächst die sichtbare Lücke erst recht auf das Fehlende verweist? Ersteht nicht irgendwann, wenn ein Mythos gebraucht wird, eine Begebenheit wieder im Bewusstsein einer Gruppe, die lange als verschollen galt?

Auf dem Boden des Ateliers fand ich gestern beim Gitarrespielen eine große, schwarze, tote Hummel. Ich setzte sie im Regal auf eine nabatäische Scherbe, die vor der Fotografie der Pioniergruppe liegt, mit deren Portraits ich eine Weile gearbeitet habe. Dieses Ensemble fotografierte ich dann. All das zielt auf spezielle zukünftige Erinnerung, auf mein Totenbuch.

Heute kommen die Kunstschüler schon früher. Wir haben per WhatsApp diskutiert, was wir heute kochen wollen. Ich beginne gleich, wenn ich eingekauft habe, mit einem vegetarischen Curry mit Nudeln.

Kartoffelsalat im Wald

Die Emotionen, die beim Betrachten der Super 8 Filme meines Vaters aufkommen, führen in Vorgänge der Rekonstruktion von Ereignissen, die mir gerade jetzt wichtig sind. Die Gründe für deren Bedeutung sind mir oft genug verschleiert.

Die familiären sommerlichen Waldunternehmungen ließen Hitze und Trockenheit dadurch besonders wahrnehmbar werden, dass an dem anderen Ende der Freizeitskala das Schwimmbad stand, der Ort des nie enden zu scheinenden Sommerferienvergnügens. Pilze suchen war ein Schönwetterspaß meiner Mutter, zu dem die anderen Familienmitglieder mitgenommen wurden. Waldesnähe erfuhr sie offensichtlich auch während ihrer Kindheit, denn es gibt Fotos mit geblümten selbstgenähten Sommerkleidchen. Die Inszenierung des Lebens als Vision des Paradieses überdauert Generationen. Mitgenommener Kartoffelsalat galt als lecker und wurde immer wieder festigend erwähnt.

Mit fällt ein, dass die steten Wiederholungen von Erzählungen der älteren Menschen etwas mit dem Nachdruck zutun haben, mit dem sie die wichtigen Szenen ihres Lebens im Gedächtnis herausfiltern und bei den Nachgeborenen aufgehoben wissen wollen. Dazu gehören Pilzesuchen und Kartoffelsalat im Wald.

Auch mein Waldpfadprojekt hatte etwas von Paradiesinszenierung, fernab von der Stadt. Sich nah versenkend in den Anblick eines Mooskissens, dessen Dickicht einem bizarren gemäßigten Regenwald nahe kam, rückten die städtischen Herausforderungen nur als vergleichbare Strukturen in die Wahrnehmung. Was also bleibt von diesen verschiedenen verbundenen Rückschauen?

Kraftfeld Biografie

Vorgestern arbeitete ich am Totenbuch II weiter. Die 72 Umrisszeichen erhielten zusätzliche Binnenlinien. Manchmal laufen mir Figuren aus dem Kraftfeldprojekt über den Weg, die ich mit diesen Zeichen zusammenbringen möchte. Ich welcher Weise, muss sich noch herausstellen. Vielleicht verschränken sie sich mit den Binnenzeichnungen, vielleicht stehen sie aber auch nur in derselben Reihe. Sie bilden eine Gegenkraft zum Prozess des Verschwindens der Doppelportraitsplitter. Jetzt käme mir diese Kraft gelegen. Sie ist etwa wie das Grün, das nun aus den Zweigen meiner Birke im Gärtchen hervortritt.

Die tiefe Nacht wird von einem klaren Morgen weggewischt. In seiner Sonne draußen steht eine Acrylhalbkugelschale und dampft. Ich beschichtete sie gestern von innen mit Pappmache, benutze sie als Form für ein Objekt, das ich noch vor unserer Reise zu bauen habe. Das tritt zwischen meine Biografiearbeit, unterbricht sie.

Lieber würde ich jetzt mit dem dritten Totenbuch beginnen und dabei die Kraftfeldfiguren mit ins Geschehen rücken. Es entstehen ja nun neue Figuren aus den Umrissen, die die Schüler zeichnen werden. Auch sie könnte ich mit einfügen. Somit verbindet sich die Kraftfeldarbeitsweise ganz natürlich mit der Biografiearbeit.

Die Portraitsplitter sind nummeriert. Mit ihnen könnte ich zeitorientiert weiterarbeiten. Ich meine damit, dass ich die Nummern mit Jahren oder Daten und mit den damals stattfindenden Ereignissen um mich herum verknüpfen kann.

Konstruktion von Erinnerung

Die Schleier der Vergangenheit legen sich über die Projektionen der Super 8 Filme, deren historische Qualität nach fünfzig Jahren einen besonderen Reiz ausübt. Ich habe diese Zeit erlebt und gestaltete die Form dieser Erinnerung mit. Falls sich die Filmrollen und die Projektoren für dieses Format erhalten, wird der spätere Blick auf diese Bilder, wenn alle die dort abgebildet sind, nicht mehr leben, veränderte Deutungen zur Folge haben.

Vinzenz lebte damals noch nicht. Die Hochzeit seiner Eltern fand in der Kirche in Deubach bei Eisenach statt, die ich später, mit wenig Erfahrung, zu einer Hochzeitskapelle ausmalte.

Besonders eindrucksvoll sind in der Stummfilmbilderfolge die schwingenden zwei Glocken im Glockenstuhl, gleich neben der Kirche, die mit Schnüren gezogen, kräftig geläutet wurden. In dieser Vorwendezeit erscheinen sie nun im Rückblick der Gegenwart, im Zusammenklang mit den Bildern der späteren Friedensgebete und dem anschließenden Mauerfall, als ein Hinweis auf die kommenden Ereignisse. Einen Schritt weiter kann man sie zum Geschichtskitsch umfunktionieren.

So beginnt die konstruierte Erinnerung,. Sie bezieht die späteren Ereignisse, von denen wir während unserer Dissidentenzeit und den regelmäßigen Treffen zwischen Ost- und Westkirche, noch nichts wissen konnten, schon mit ein. Aus meiner jetzigen Perspektive ging ich zu dieser Zeit, mit einem Bein im Knast, auf Messers Schneide zwischen Widerstand und staatlicher Überwachung.

Wiederholungen

Immer noch lärmen die Krähen über dem Dach. Ein Regenschauer fiel an diesen milden Morgen in mein auferstandenes Gärtchen vor den Rolltoren. Ich habe es etwas großzügiger mit mehr Platz eingerichtet. Das Umtopfen und Zurückschneiden der Pflanzen muss noch etwas warten, weil die Transporte der großen Kübel so anstrengend waren und viel Zeit brauchten.

In meinem Zimmer in der Frankenallee sahen wir gestern Abend Teile der Super 8 Filme meines Vaters. Dabei fiel uns insbesondere die Großaufnahme des Gesichtes meiner Mutter in irgendeiner Gaststätte auf. Mit großer Präsenz beherrschte dieses Gesicht die Szene. Es strahlte Missbilligung, schlechte Laune und ein Leiden an der Situation aus. Niemand am Tisch konnte sich dem entziehen.

Ungefilter tritt das Morgenlicht jetzt durch die Scheiben. Wie in jedem Jahr könnte ich nun sagen:

Die Stelle, an der sie am Morgen über den Horizont steigt, wandert nun schnell nach Links, wo Osten ist. Irgendwo hinten über der Krone des Bahndamms leuchten gelb Forsythien und weiß durchsetzt ist das graue Gestänge des Winterholzes…“

Das ist ein Zitat vom 30.03. 2015.

Wiederholungen. Wie lange werde ich das noch tun? Schaffe ich es, irgendwann damit einfach aufzuhören?

Fama

Sonntagmorgen im Atelier beginnt der Sommer. Das Zeichen dafür ist, dass alle frostempfindlichen Pflanzen draußen im Gärtchen sind. Im Atelier bildet sich so mehr Raum.

Der Tempel der Fama ist auf einem Eisblock erbaut, lese ich bei Aleida Assmann. Auf seiner Südseite sind die eingemeißelten Ruhmestaten schon abgeschmolzen und machen Platz für neue erinnerungswürdige Nachrichten. Der Ort ist einer ohrenbetäubenden Stimmengewirrs und keiner Wahrheit verpflichtet.

Hand in Hand ging ich elfjährig mit meinem Bruder ein paar abgemessene Schritte vor meinen Eltern in die todlangweiligen Sonntagsspaziergänge. Das patriarchale Familiensystem ließ keinen Protest zu. Ich hatte keine Wünsche zu haben in meinen geputzten Schuhen.

Zeichnungen vom Freitag liegen noch auf meinem Tisch, wie auch eine Dreiecksgitterkonstruktion. Noah will sich ein Objekt mit fortlaufenden ornamentalen Zeichnungen schaffen. Hierfür umriss er die Figuren einer Fotografie – eine Umarmungsszene. Für die Fertigstellung benötigt er noch eine Portion Konzentration und Zeit.

Himmelsgeschehen

Mit den Kunstschülern sprach ich gestern über das Thema unserer unterschiedlichen Erinnerungspraktiken. Wir verglichen die Verläufe der familiären Entwicklungen bei ihnen und bei mir. Und wir nahmen ins Auge, dass jeder seine eigene Erinnerungspraxis erfinden muss. Die gegenwärtigen kulturellen Herkünfte der Eltern in diesem Viertel unterscheiden sich beispielsweise grundlegend von denen meiner Generation in Thüringen oder Brandenburg. Wir bemerken, was der Satz: „Ich erinnere mich.“ Für eine Lawine in Gang setzen kann.

Wir begannen Umrisse zu zeichnen, die von Fotografien unserer Leben stammen. Irgendwann werden wir verstehen, wie wir sie für unser Projekt benutzen können.

Noah erzählt von Wanderungsgeschichten seines Großvaters, davon, dass er seinen Namen geändert hat, und so weiter.

Im Gärtchen schreibend finde ich einen Bleistift, der auf dem Boden überwintert hat. Ich nehme ihn und zeichne mit ihm. Über mir kreisen die Bussarde, die in der Nachbarschaft ein Nest haben. Die Eidechsen, die in der Sonne liegen, beobachten aufmerksam das Himmelsgeschehen. Krähen und Elstern lärmen über dem Dach und fechten einen Revierstreit aus. Saharasand macht das Licht mild. Meine Pflanzen, die ich nach dem Winterdunkel rausgestellt habe, halten diese gedämpfte Strahlung gut aus und müssen erst mal nicht geschützt werden.

Filmschnipsel

Auf dem Fußboden des Ateliers liegen Filmschnipsel, Abschnitte der Super 8 Filme mit den fünfzig Jahre alten Familienszenen. Ich hebe das alles auf, weil ich auch mit den Einzelbildern der Filme was anfangen kann.

Die Schüler, die trotz Ferien heute kommen wollen, sollen eigene Familienbilder mitbringen, die wir einscannen und weiterverarbeiten können.

Bei Aleida Assmanns Büchern über Erinnerung stoße ich ständig auf Aspekte, die wir für die Biografiearbeit gebrauchen können. Es mach Spaß, da tiefer einzudringen.

Ich hatte gestern einen konzentrierten Tag und blieb bei den Arbeiten, die ich mir am Morgen überlegt hatte. In der Folge entstanden die Zeichen für das „Totenbuch II“. Es sind einundsiebzig Scherbenumrisse, die ich auf Rolle 6 in eine Reihe gebracht habe. Durch einmaliges Übereinanderrollen und Durchzeichnen füllten sich die Innenfelder mit Linien, wie das im Negativ von 11 Zeichen in der heutigen Collage sichtbar ist. Diese Kombinationen von Linien heben die Auslöschung der Portraits meines Vaters und von mir auf, der die Totenbücher eigentlich gewidmet sind. Die Partikel der geborstenen Rasterbilder setzen sich immer neu zusammen, indem sie sich überlagern und stehen somit anders wieder auf.

Auch mit der Umsetzung der skulpturalen Ideen habe ich gestern begonnen und druckte einen Versuch aus.

Dreidimensionale Totenbücher

Auf Rolle 6 habe ich mit einer neuen Totenbuchsequenz begonnen. Auf ein Stück Transparentpapier zeichnete ich zunächst eine Wolke von Gravitationsschwüngen. Mit diesen Linien zerschnitt ich dann die Rasterpunkte der Portraitmischung von meinem Vater und mir, indem ich sie darüber legte und die Kombination dieser Schichten, die Scherben also, auf Rolle 6 übertrug. Im weiteren Verlauf der Rolle verdoppelte ich das Ergebnis, indem ich es noch mal fortlaufen ließ, und konnte so durch mehrmaliges Hin- und Herrollen und immer erneutem Durchzeichnen, die Sequenz am Nachmittag starten. Oben legte ich einen Ausschnitt davon über die gestrige Collage.

Durch den Beginn der Beschäftigung mit den Texten von Aleida Assmann, rücken neue Dimensionen der Erinnerungsaufbereitung in mein Blickfeld. Die neuen technischen Möglichkeiten erlauben andere Zugriffe auf die archivierten Daten. Somit erscheinen mir beispielsweise dreidimensionale Darstellungen der Totenbücher als eine neue Art und Weise, diese Arbeit weiter zu führen. Die einzelnen Scherben könnten gestapelte Querschnitte von Strängen sein, die Figurationen bilden, die ich ausdrucken kann.

Außerdem denke ich an die Veränderungen der Erinnerungskulturen zwischen den Generationen. Wenn ich nach den Vätern innerhalb eines einheitlichen nationalkulturellen Gebildes in einer überschaubaren geografischen Situation suche, befinden sich meine Schüler innerhalb von multikulturellen Patchwork – Familienstammbäumen mit weit verstreuten Herkünften. Wir werden nicht umhin kommen, innerhalb unseres Biografieprojektes nach neuen Techniken zu suchen, um unsere Erinnerungen sichtbar zu machen.

Amerikanischer Wald

Im Buch von Aleida Assmann begegnet mir Durs Grünbein wieder. Wir waren 1983 Gäste von Wolfgang Engel, während seiner Proben zu „Nibelungen“ von Hebbel am Staatsschauspiel Dresden. Er lud gerne Künstler anderer Gattungen ein, weil das den Probenprozess belebte.

Grünbein erzählte mir damals von seinen Schriftwechseln mit den Berühmtheiten der literarischen Welt der DDR. Briefeschreiben – eine verschwundene Art des Gedankenaustauschs.

Nebenher entstand gestern oder vorgestern eine kleine Zeichnung mit Handballenabdrücken und roten Schwüngen auf einem Bogen Druckerpapier. Außerhalb der Bücher erscheint mir das Motiv reizvoll fremd.

Der Flugplatz von Bonames wurde vor seiner Renaturierung von amerikanischen Soldaten betrieben. An deren Stiefelsohlen sind Baumsamen eingewandert, die nun einen Wald gebildet haben. Die Pionierpflanzen dort sehen denen auf meinem Schotterfeld, aus dem ich eine Wiese gemacht habe, sehr ähnlich. Zwischen den aufgebrochenen Flugfeldplatten ist ein See mit Schilf entstanden. Ich erkannte den Ruf der Kraniche im Röhricht wieder, die uns vor ein paar Tagen in akustischen Formationen überflogen.

– Schreiben für die Toten, denn sie kommen als Nachwelt zurück, meint Herder. Ich zeichne meine Totenbücher für mich.

Lesezeichen

Verbummelt habe ich den Morgen zwar nicht, bin aber etwas später als sonst dran. Von schräg links hinten dringt das Sonnenlicht durch die Scheiben und durch die Pflanzen, die ich nun rauszustellen beginne.

Die Tore knacken, wenn sie am Morgen nach der Nachtkälte warm werden. Die Stimmen der Ringeltauben sind erwacht.

Die Sukkulenten aus Teneriffa, die in kleinen Bonsaischälchen stehen, habe ich beschnitten. Aus den Wunden tritt Wolfsmilch, weiß, klebrig und giftig.

Am Nachmittag wollen wir einen Ausflug nach Bonames machen, wo ein kleiner ehemaliger Flugplatz renaturiert wurde. Man pflanzte Weiden zwischen die Betonplatten, die nun von den Wurzeln angehoben und gänzlich verworfen werden.

Gestern gingen mir weitere Totenbücher durch den Kopf, mit denen ich beginnen könnte. Außerdem liegt neuer Lesestoff auf dem Zeichentisch. Darunter: „Erinnerungsräume, Formen und Wandlungen des Kulturellen Gedächtnisses“ von Aleida Assmann und „Eine winterliche Reise an die Flüsse Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“, in dem ich schon öfter herum las.

Immer noch knacken die Rolltore und im Vorwort von Aleida Assmann steckt bereits ein fragmentiertes Doppelportrait von meinem Vater und mir, als Lesezeichen.

Atmosphären ohne Bilder?

Eine geschwungene, etwas wellenförmige Verwischung innerhalb der gestrigen Buchmalereien, kam von dem veränderten Winkel, mit dem ich die Stellung der Hand über der Wasserfarbenmischung, zum Rand des Formates hin veränderte. Das mache ich öfter, damit am Ende der Wischbewegung ein senkrechter Abdruck des Handballens stehen bleibt. Lasse ich die Hand parallel zum Blattrand, so steht der Abdruck mit etwa -20° etwas schräg in meiner bewegten Landschaft. Aber ich möchte klare Bewegungen und eine geordnete Geschwindigkeit in all dem Schichtenwirrwarr. Dass aber bei der Wischbewegung eine Welle herauskommt, ist eher selten.

Während eines Osterspazierganges gestern ging das Gespräch um in uns aufsteigende Atmosphären, die aus Bilderinnerungen entstehen. Was geschieht aber mit der puren Existenz der Atmosphären ohne die Bilder. Bleibt sie abstrakt?

Umgekehrt erinnern wir uns in bestimmten Atmosphären an erlebte Bildsequenzen, die aus einem Dunkel erscheinen und wieder darin verschwinden. Die Szenen bekommen durch die Erinnerung und Wiederholung aus den scheinbaren Nichts heraus einen bedeutenderen Stellenwert.

Das Spiel von Glenn Gould ruft in mir die Erinnerung an meine Wiener Arbeitsklause im Oktober, November und Dezember 2007 hervor. Ich vergleiche die jetzige Situation am Zeichentisch mit der in der Freundgasse. Die Buchmalereien damals waren figürlich mit abstrakten Umgebungen. Auch die Farbigkeit ist mir nicht geheuer. Tief ins Papier gegrabene Linien durchkreuzen die Szenen. Oben habe ich das mit den gegenwärtigen Malereien gemischt.

Noch nicht geschrieben

Wie abwesend wollte ich gerade einen Text speichern, den ich noch nicht geschrieben hatte. Ein schöner Vorgang!

Jetzt am Ostersonntag Vormittagsregen über meiner Teveswiese. Der Spaziergang muss noch etwas warten, die Schlammpisten im Taunus.

Am Morgen sah ich die blauen Blümchen, deren Zwiebeln ich während irgendeiner Zeremonie gemeinsam mit Frau Brünner in den Boden gesteckt hatte. Manchmal spaziere ich über die Baustellen und neuen Wohngebiete, an deren Planungen ich mittelbar beteiligt war. Stationen, Tunnel, Wohnhochhäuser, Parks, Traufhöhen und Verkehrsführungen. Ein quälend langwieriger Prozess. Jetzt aber ist fast alles da.

Der Zusammenhang der Zeiträume und ihrer Themen rückt in mein Interesse. Inwiefern nämlich haben die trostlosen Fassaden, die auf den Super 8 Filmen so nebenher die Atmosphäre der Zeit dokumentieren, damit zutun, dass ich mich so vehement in die Planung eines neuen großen Stadtteils eingebracht habe?

Gleichzeitig erinnere ich mich an die Busfahrten kurz nach meiner Ankunft im Westen, im März vor 32 Jahren. Vom Notaufnahmelager Gießen nach Hofheim im Taunus, den grauen bleiernen Staub noch auf den Sachen, auf der Haut und in den Atemwegen.

Nicht so wichtig

Erstmalig sitze ich in diesem Jahr draußen im Sonnenlicht mit meinem Buch. Ich schreibe etwas schräg und unbequem und höre im Südwestwind die A5. Ein orangefarbener Schmetterling öffnet sein Flügelornament zu Sonne hin, wie ich die Seiten zum Licht hin wende, die ich beschreiben will, die noch weiß sind und vielleicht so bleiben wollen.

Ostersonntag – düstere Musik auf einem neuen Album von Iggy Pop. Am Main, während eines Spaziergangs, zerstreut das gekräuselte Wasser die projizierten Filmbilder meiner Kindheit und Jugend, die durch meinen Körper rattern. In all der Enge leuchtet da manchmal ein Strahl der Befreiung auf.

Meine Arbeit ruht derzeit. Nur die dunklen Wolken der Buchmalereien behaupten sich zwischen den Gängen, die ich im Atelier und im Gärtchen unternehme und die ich zurückschalten will. Alle Linien sollen nicht so wichtig sein, sich nicht so wichtig nehmen. Feiertage sind auch für mich.

Ich kann mich etwas um mein Gärtchen kümmern, ein paar von den Keimlingen in Töpfe setzen, die jetzt allenthalben zwischen dem alten Laub hervortreten. Mir ist es selten gelungen, eine Auszeit zu nehmen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen mir selbst gegenüber zu haben.

Bleistaub

Eine graue Zeit.

Es ist, als würde ihr Bleistaub von mir gewaschen, wenn ich mich mit dem Filmmaterial aus meiner Kindheit und Jugend beschäftige. Er sitzt tief und giftig in den Poren, dass die Reinigung schmerzt.

Gestern sah ich auf vielen kleinen Spulen Ausflüge, Verwandtenbesuche und Wintersport. Dabei die umhegten und gebietenden Großmütter. Jugendweihen, Hochzeiten und Geburtstage. Mein Cousin Christian hatte zur Jugendweihe meiner Cousine Heidi ein Plastikalbum zum Blättern mit Beatsingles dabei, die wir uns anschauten, bevor wir in einen roten Bus stiegen, in dessen Eingang wir wie John, Paul, George und Ringo posierten, um dann in das Haus des Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei in Niedergrunstedt zum Feiern zu fahren. Ganz in der Nähe, in Gelmeroda, befindet sich die Kirche, die Lionel Feininger während seiner Bauhauszeit oft malte.

Mir fällt die Verschiedenheit meiner Großmütter auf. Mütterlicherseits gibt es einen Hang zur natürlichen Eleganz und zu Manieren. Eine Schneiderin, die wusste, was Mode ist, was einem steht, Hüte trug und sich in den Sechzigerjahren von ihrem Mann trennte.

Väterlicherseits geht es proletarischer zu. Man trägt Kopftuch im Thüringer Winterwald und zu großes Gebiss. Die Gesten meines Vaters, die des Narziss, der manchmal das alles abstreifen will und sich dabei selbst filmt.

Lachfalten der Hände

Die dritte Wiederholung des Doppelportraitfragmentes hängte ich gestern an die fortlaufende Sequenz auf Rolle 6. In den Binnenfeldern hat somit die Verdichtung, wie man oben in der Collage im Vergleich zu gestern sieht, zugenommen. Im Gegensatz zur Tusche, stehen die Tintenlinien zart und durchscheinend im Licht.

Mit dem Arbeitstagebuch, den Buchmalereien und der Fortsetzung der Zeichnungssequenz verbrachte ich den gestrigen Vormittag. Innerhalb der Buchmalereien bestimmten gestern minimalistische Vorgänge den schnellen Ablauf. Eine Verwischung trägt auf ihrer rechten Seite, dem Anfang und Ende einer Hin- und Herbewegung des Handballens, winzige Bleistiftschwunglinien. Die Abdrücke der Hautfalten am Ansatz des rechten kleinen Fingers, sehen aus wie die von Lachfalten – Lachfalten der Hände.

Am Nachmittag transportierte ich den Projektor, sein Zubehör und die Filmrollen ins Atelier, und setzte ihn ohne Gebrauchsanweisung in gang. Die flimmernden Filme projizierte ich auf ein weißes Din A 4 Blatt. Aus dem Untergrund der Bilder standen dann die Stimmungen auf, die aus der Atmosphäre von Tristesse, Langeweile, Disziplin und kleinbürgerlichen Glücksinszenierungen herrührten. Nicht die Bewegungen der Figuren, das Defilé der Verwandtschaft, die teilweise schon lange tot unter der Erde liegt, rührte mich so an, sondern die dunklen Innenräume mit den kümmerlichen Zimmerpflanzen, die Spaziergänge, zu denen mein Bruder und ich uns als Kinder in Anzügen und weißen Hemden, langweilten und die von grauen Fassaden gesäumten Straßen. Mein Onkel in seiner Offiziersanwärteruniform…

Zersplittern | Schichten | Materialschlachten

Gespräche, Telefonate und der Terror in Brüssel haben meinen gestrigen Arbeitstag zersplittert.

Die Sequenz des Doppelportraitfragmentes vom 18.02. und vom 17.03. setzte ich fort. Wenn ich die sich füllenden Umrisse, ein kleiner Teil ist davon oben zu sehen, ein drittes Mal auf die fortlaufende Rolle 6 zeichnen würde, könnte ich die Füllungen mit den so entstehenden Schichten durch Zusammenrollen des Transparentpapiers und Durchzeichnen der durchscheinenden Linien, verdichten. Die zunehmende Dichte innerhalb der Felder erhöhte sich um eine Stufe.

Glücklicherweise kann ich die zwei Produktionsweisen, also die Transparentpapiersequenzen und die Buchmalereien, in den digitalen Collagen, die täglich entstehen, zusammenführen. Oben machte ich das mit einem Scan von Rollenausschnitt und Buchmalerei, dich ich übereinander auf den Scanner legte. Vom 17. bis 20. März machte ich das mit Bildbearbeitungstechniken. Das geschieht allerdings nur sporadisch, während der regelmäßigen Vormittagsarbeit.

Ich überlege, die Projektoren mit ins Atelier zu nehmen, weil ich hier anders und konzentrierter mit dem Material arbeiten kann, als in meinem kleinen Zimmer zu Hause.

Heute war ich zeitig hier. Es ist jetzt noch nicht Neun. Gefährliche Geräusche von Nutzfahrzeugen dringen von außen herein – bedrohliche Abrisse, Baugruben und Neubauten – Materialschlachten.

Handschrift

Nein, es entstehen keine großen, neuen Dinge zurzeit. Ich beschäftige mich zu sehr mit Anderem. Die Rückschau auf die Buchmalereien der letzten Tage versöhnt mich aber.

Meine Zustände in den Strukturen der Malerei wieder zu finden, gelingt mir öfter. Zwar entfernen sie sich von dem, was man herkömmlich als eine malerische Handschrift ansehen würde. Die Linien von meiner Hand werden verwischt, um dem Abdrücken meines Handballens Platz zu machen. Der persönlich geführte Strich, der etwas über mich verrät, wird vielleicht vom Temperament der Wischbewegung abgelöst und vom Rhythmus der Handballenabdrücke im Format.

Die Linien meiner Haut sind nicht von mir gezeichnet. Sie geben eine Struktur meines Körpers wieder, verbinden sich noch mit den Gravitationsschwüngen und wiederholen sie manchmal schwächer, zusammen mit den Handlinien. Was würde ein Betrachter in diesem Liniengewirr für und von sich finden?

Im Bethmannpark und hier auf dem Gelände beobachte ich die brütenden Bussarde. Sie müssen sich den geschickten Angriffen der Krähen und der Frechheit der Elstern erwehren. Das hindert sie daran, konzentriert nach Futter zu suchen.

Buchmalerei | Projektor

Eine aufmerksame Dame aus der Verwandtschaft brachte mir einen Super 8 Projektor mit. Es ist ein viel besseres Gerät, als das meines Vaters aus tschechoslowakischer Produktion. aber komplizierter zu bedienen, sodass ich eine Betriebsanleitung benötigen werde, um ihn in Gang zu setzen.

Wie ich dann aber mit dem Bildmaterial arbeiten werde, ist mir noch nicht klar. Vielleicht kann ich von den Filmprojektionen Videoaufnahmen machen.

Die schönen Buchmalereien von gestern setzten sich heute fort. Farbig sparsam, Gravitationsschwünge, teilweise mit einer afrikanischen Haarnadel nachgezogen, sodass sie vertieft nochmal entstehen, wodurch ich wieder verschiedene Möglichkeiten für den Umgang mit ihnen bekomme. Die in das weiche Papier gravierten Linien können durch Schraffuren hervorgehoben werden und sind am nächsten Tag noch mal zu nutzen, weil sie sich auf die nächste Seite durchdrücken. In die Vertiefungen kann ich die feuchte Farbe wischen, wie man das beim Druck von Radierungen macht. Reichlich kommt zwischen den Verwischungen die Oberflächenstruktur meines Handballens zur Geltung und lässt eine körperliche Atmosphäre entstehen. Tatsächlich bin ich versucht, die Abdrücke mit harten Linien zu Skulpturzeichnungen umzuarbeiten.

Wieder ein paar Gartenhandgriffe. In der Sonne saß ich am Morgen im Korbstuhl, geschützt vorm Nordwestwind.

Fest mit Darbietungen

Kalte, etwas windige Luft während der Spaziergänge im Westerwald und am Main. Man musste sich warmlaufen. Grau der gekräuselte Fluss, die Schiffe wie Windbrecher.

Ein Fest mit Darbietungen. Gesänge und Klavier, Horn, Bratsche, Cello. Ich habe keinen Darstellerberuf, kann mich zurückziehen und schauen, als sei dies das eigentliche, was zutun bleibt.

Die Bratsche mit der Spielerin fuhren wir von Frankfurt in den Wald. Den Hornisten mit seinem Instrument vom Wald nach Frankfurt, teils schlafend, in seine Wohnung in der Stadtmitte. Da war die Bratschistin schon zu einem Konzert in Heidelberg.

Die Buchmalereien sind schwer und leicht zugleich, luftig und erden. Ansonsten wegen der Reisen keine Arbeit. Ein paar Handgriffe im Garten, der wichtiger wird.

Feuer

Mit den Jungs habe ich gestern neben der Wiese auf Teves West ein Feuer gemacht. Wir begannen mit kleinen trockenen Pflanzenteilen, die wir im vergangenen Jahr geschnitten haben und die den Winter über getrocknet sind. Sie wissen, dass so ein kleines, heißes Feuer keinen Rauch macht, und dass man es langsam größer werden lassen kann und später auch frischen Pflanzenschnitt hinzutun kann, ohne dass viel Rauch entsteht. So schnitten wir die wilden Rosensträucher zurück und befreiten einen Essigbaum vom Gesträuch, das ihn zu ersticken drohte, um ihn den Sommer über pflegen zu können.

Vorher haben sich Zitronensaft gemacht und meine Tortilla gegessen, die ich am Vormittag herstellte.

Die wildfarbigen Buchmalereien gestern hatten wenig mit meiner Stimmung zutun, die heutigen schon eher, obwohl ich heute etwas wenig Zeit zu haben glaubte. Die eiligen Verwischungen und die schnellen Konzentrationen, die das Vorübergehen festhalten, verzaubern die Flüchtigkeit.

Feuergeruch von gestern, Portraitscherben der vergangenen Monate und das Totenbuch auf Rolle 6 jetzt.

Filtern

Das Doppelportraitfragment, die wenigen, in Scherben zersplittert gezeichneten Überbleibsel der Rasterpunkte vom 18.02., übertrug ich gestern auf Rolle 6. So beginnt sich nun wieder die Rollenkontinuität einzurichten, die ich ein Jahr lang unterbrochen hatte. Über weite Räume setzen sich Schockwellen von Erschütterungen fort und verformen meinen Raum.

Das Weltkulturenmuseum stellte gestern eine Arbeit vor, die es mit Flüchtlingen im Gallus gemacht hat. Mich sprach sehr die improvisierte Form an, mit der sie die Ergebnisse im Galluszentrum präsentierten. Ich würde gerne in Kontakt bleiben und schauen, ob wir zusammen etwas Neues finden können.

Jugendliche Afghanen (?) zeichneten im Museum nach afrikanischen Holzschnitten aus den Achtzigerjahren. Auf Hartschaumplatten schnitten sie die Motive in die Oberflächen und druckten sie danach auf Papier. Es ist, als seien die Sujets durch einen fremden Filter gegangen und bekämen dadurch eine noch rätselhaftere Qualität. Manche Formen verselbständigen sich und wirken, wie abstrakte Zusätze. Sieht man den Holzschnitt nicht, von dem die Figur stammt, wirken manche Konstellationen surrealistisch. Die Detailfreude der feinen Bleistiftzeichnungen passen so gar nicht zu den gröberen Holschnittstrukturen und schaffen gerade dadurch eine Erweiterung. Über diese Formen der Auseinandersetzungen könnte man nun natürlich gelehrte Monologe halten… Vielleicht kann man aber auch einfach weitermachen.

Thema im Thema | Ornament

Die Arbeit am Totenbuch auf Rolle 6 wird ornamental. In dieser Phase bekommen die fragmentierten Scherben und Muster etwas Harmloses. Vielleicht liegt das auch an der Tinte, die ich anstatt der Tusche benutze, um diesem Vorgang etwas vom Schreiben zu geben.

Ganz anders geht es mit den Buchmalereien, deren Kraft aus jetziger Sicht zunimmt. Ich merke ziemlich genau, wann ich aufhören muss, und das ist in letzter Zeit häufig sehr zeitig.

Am späteren Nachmittag ging ich noch mal ins Architekturmuseum, um mir die Präsentation des prämierten Entwurfes aus dem vergangenen Jahr anzuschauen. Es liegen einige Bücher aus, darunter Aleida Assmanns Arbeit über Erinnerung, die mit der Architekturkonzeption zutun haben. Das weckte Assoziationen hinsichtlich der Forschungsergebnisse von Jan Assmann, der die Werke seiner Frau auch zitierte, wenn es um den ägyptischen Totenkult ging.

Nun spielte mir meine eigene Erinnerung den Streich, dass ich bei oberflächlicher Betrachtung der Ausstellung, diesen prämierten Bau als eine monumentale Manifestation des Zusammenklangs verschiedener Erinnerungsweisen ansah. Die Addition meiner Arbeit mit dem Erlebnis dieser Konzeption führte zur Monumentalisierung der Rückschau. Sie illustriert das Thema im Thema. Deswegen war der Ausstellungsbesuch gestern enttäuschend.

Verwischungen, Schwünge, Scherben

Etwas zögerlich begann ich gestern auf Rolle 6 am Totenbuch weiterzuarbeiten. Diesmal nahm ich das vergrößerte Detail des Doppelportraits, das ich am 17.02. mit Gravitationsschwüngen in Scherben schnitt und zeichnete die Flächen in ihrer Originallage auf das Transparentpapier durch. Das tat ich dreimal nebeneinander, rollte dann die Motive rückwärts mit dem kleineren Rollendurchmesser übereinander und füllte die Flächen mit den Linien, die durchschienen.

Und heute fügte ich am Morgen in der Collage oben, Verwischungen, Schwünge und diese Zeichnung zusammen. Damit dokumentiere ich den Stand der Arbeit am Totenbuch innerhalb des Biografieprojektes.

Den Schülern werde ich diese Arbeitsschritte erklären, damit sie ihre Möglichkeiten, an diesem Thema zu arbeiten, erweitern können. Dann kann unser Biografiehaus solche Elemente aufnehmen. Ich denke darüber nach, ob die Dreiecksgitterkonstruktion ausreicht, um den Erinnerungen eine Form zu geben, auf denen sie ihr ornamentales Spiel treiben können. Lücken in den Füllungen würden zumindest für Abwechslung sorgen.

Mich hat der Siegerentwurf des Architekturpreises verunsichert. Hier greift sich eine strenge Denkweise überzeugend Raum. Dagegen sind die Dreiecksgitter eine historische Spielerei. Aber bleiben wir andererseits konsequent beim Spiel, ergibt sich bestimmt noch etwas Weiterführendes, etwas Neues.

Im Park

Am Morgen im Bethmannpark fotografierte ich einen Raubvogel. Er flog flach, wenige Zentimeter über dem Weg und landete elegant auf einem unteren Ast eines großen, alten Baumes. Dort schaute er sich in Ruhe, ohne sich durch mich stören zu lassen um und setzte, nach etwas zwei Minuten, seinen Flug fort. Diesmal landete er auf einer Schmucksteinspitze des Eingangsportales des Chinesischen Gartens. Von dort aus ging es dreißig Meter weiter bis zur Umfriedungsmauer und dann aus meinem Blick.

Am Boden wärmten mir die Frühblüher von innen mein Empfinden. Vorfrühling nennt man das an diesem kalten, klammen Morgen.

Gestern im Korbsessel in der Sonne las ich im Ägyptischen Totenbuchtext „Osiris“, den Jan Assmann zusammengestellt hat. Diese „Reden mit den Toten“ soll mit diesem Theatertext wieder lebendig werden, wieder hörbar, wie es vielleicht von 3000 Jahren klang.

Ich interessiere mich vor allem für die Strukturen der Verse und für die Anordnung der Schriftzeichen. Die senkrechten Kolonnen berichten formelhaft, wie unsere heutigen Totenredner vom Leben der Verstorbenen.

Die Anordnung meiner Doppelportraitsplitter stoßen allerdings noch in eine andere Erinnerungsrichtung. Sie versuchen das Tor zu den Bildern aufzustoßen, die sich wie ein fließendes Gewässer ergießen, sobald man den ersten Schritt getan hat. Die Zeichnungsüberlagerungen führen zu einer Partitur, die man in Musik verwandeln könnte. Wohin führt das?

Erinnerungsformen

Die Bezeichnungen meiner Techniken spielt zusammen mit den Titeln der Arbeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Produktion. Zunächst kann ich die Frage danach aufwerfen, warum ich beispielsweise von Buchmalereien spreche. Will ich mir da eine Tradition geben, fühle ich mich in ihr aufgehoben oder benötige ich ein Zugehörigkeitsgefühl? Miniaturen – da wird es schon komplexer. Was ist mit dieser Form der Bescheidenheit? Oder geht es eher um Effizienz. Kann ich in den kleinen Formaten mehr und schneller ausprobieren? Was ist mit dem Anspruch der digitalen Vergrößerbarkeit? Da fällt die Bescheidenheit plötzlich weg.

Aber Bezeichnungen erweitern den Bedeutungsrahmen der Arbeit, kommentieren sie oder beschreiben auch Arbeitsvorgänge. „Überlagerungssequenz“ beschreibt einen Vorgang. Kommt dann noch der Begriff Totenbuch hinzu, verweist das wieder auf die Tradition, die zumindest eine formale Voraussetzung bietet.

Während der Arbeit im Museum fiel mir die Konzeption des Siegerentwurfes des Architekturpreises 2015 auf. Bei der Rekonstruktion des Meisterhauses von Moholy-Nagy spielten verschiedenen Erinnerungsweisen eine sinngebende Rolle. So ist das Innenleben eine genaue Kopie des zerstörten Hauses. Man erinnert Gänge eines Hauses, in dem man lange gelebt hat, genau. Seine äußere Hülle aber hat man nicht begangen, sie wird verwischter oder grober erinnert. Somit haben die Architekten die Außenhülle stilisiert. In diesem Zusammenhang ist als eine Voraussetzung ein Buch von Aleida Assmann zum Thema Erinnerung angegeben und auch in der Ausstellung verfügbar. Ich las darin und wusste sofort, dass das eine Rolle beim Biografiehaus spielen wird.

Biografiehaus

Ruhe – ein Versuch. Stille im Rückzug ins Atelier mit den lärmenden Buchmalereien. Durch die kahlen Stangen der Pappeln geht ein östlicher Weberwind. In meiner Müdigkeit sehne ich mich nach einem Sonntagnachmittagsschlaf.

Die Miniaturstürme auf den letzten Seiten des fast vollen Buches, die sich winden und einen störrischen Stapel aufgeworfenen, gebundenen Papiers bilden, werden wilder. Ich schaue auf die jeweils dritten Bilder des Vormittagsarbeitswalzers. Sie sind zumeist am freiesten, aber schon kurz vor dem Abschwächen der Konzentration.

Die Totenbuchsequenz, die in der gestrigen Collage eine Rolle spielte, kommt mir heute eher kraftlos vor. Lapidare Tintenlinien, die eine weitere Schicht einer anderen Struktur mit einem neuen Rhythmus benötigt. Eine Synaptische Kartierung oder Frottagen von, sich über den Tisch bewegenden, fachen Gegenständen: Kokosfasern, Muscheln, Drahtstücken.

Mir geht die Konstruktion des Biografiehauses durch den Kopf. Dreiecke mit gleicher Kantenlänge werden zunächst zu einem Gerüst zusammengebaut. Das kann aus Metall oder Bambus sein. Ganz gerne würde ich die Stäbe zusammenbinden, wie es die indischen Bauarbeiter mit ihren Gerüsten machen.

Neustart

Reichlich erschienen meine Schüler gestern nach unserem schönen Erfolg im Museum. Gleich begannen wir uns, mit unserem neuen Thema „Biografie – ein Haus“ zu befassen. Jeder für sich startete mit kleinen Anfängen von neuen Geschichten.

Auch ich setzte mich an meine Rolle 6 und zeichnete an meiner Totenbuchsequenz weiter. Die Scherben der Portraitüberlagerungen zerteilen sich weiter. Ich zeigte den Schülern diesen Arbeitsvorgang noch einmal und wies insbesondere auf die Formen der Fragmentierung hin. In der gegenwärtigen Sequenz werden sie zu einer Landschaft, über der Gestirne schweben. Und wieder erscheint sie mir wie die Partitur, diesmal eines Totengesangs. Schon in der Küche vorhin hörte ich Steve Reich, und seine Musik folgt mir nun bis in meine Arbeit.

Für die nächste Ausstellung plane ich nun einen Raum aus Dreiecksreliefs, die die Wanderungsbiografiesplitter ornamental aufnehmen werden, die uns in den Geschichten, die von den Flüchtlingen erzählt werden, zugetragen werden sollen. Die Herangehensweise ist handwerklich-künstlerisch in den vergangenen Jahren erprobt worden.

Gestern versuchte ich den Super 8 Projektor meines Vaters in Gang zu bringen. Einerseits aber ist ein Kraftübertragungsriemen wegen der Alterung des Gummis zerbrochen und andererseits funktioniert die Stromzufuhr zur Lichtquelle nicht. Da liegt also noch ein Stück Arbeit vor mir.

Totenbuchsequenz

Nachdem sich nun die Wogen geglättet haben, und ich wieder Herr meines Ateliers geworden bin, nahm ich mir gestern am Abend in Ruhe die Rolle 6 vor. Dort arbeitete ich an einer Totenbuchsequenz, die auf meine Zeichnungen von 23.02. zurückgeht, mit denen ich die Arbeit an diesem langen Format wieder aufnahm. Die Sequenz besteht nun erst aus einer Umdrehung, ich brenne aber schon darauf, damit weiter zu arbeiten. Sie mündet nun direkt in den Neubeginn des Biografieprojektes mit den Schülern. Vielleicht sollte ich ihnen den Arbeitsvorgang des Totenbuches zeigen und erklären.

Am Morgen dachte ich daran, aus dem Dokumentationsmaterial der Ausstellung eine Broschüre zu machen. Abbildungen gibt es, Texte auch und die Praktikantinnen machen einen guten Job.

Tatsächlich glaube ich, dass die Ausstellung in der Museumslandschaft Frankfurts besonders ist. Sie wird sicher auch stark frequentiert. Somit scheint mir das der derzeit öffentlichste Teil meiner Arbeit zu sein. Sein Potential der Verbreitung meiner Herangehensweisen, bekommt durch die Schüler eine besondere Dimension in der Zukunft.

Wild kreisten heute meine Linien in den Buchmalereien und die Verwischungen zerstörten die vorangegangenen Strukturen. Manchmal stelle ich mir vor, diese Arbeiten groß auszudrucken.

Ausstellung

Im Rhythmus der Lichtwellen vibrieren die Schatten an der blauen Mittelsäule des Ateliers. Tausende von aufgefädelten Muscheln werfen ihre immer länger werden den Formen dunkel an die Wand. Ich beobachte die Bewegungen, versuche etwas davon zu beschreiben und will dabei über eine Art von Genauigkeit hinauskommen. Diese Umwandlung in Sätze kann zu einer Erinnerung führen oder Assoziationen wecken, die in der Ferne liegen.

Die Ausstellungseröffnung gestern im DAM hat mir noch mal deutlich gemacht, wie nahe mir meine Schüler auf meinem künstlerischen Weg folgen, ohne etwas in irgendeiner Weise zu kopieren. Es geht um Haltungen. Deshalb ist es auch aufregend für mich, wenn sie ausstellen. Meine Textkommentare verdeutlichen die Strecke, die wir mit jedem einzelnen Objekt, das mit anderen zu Installationen zusammengestellt ist, zurückgelegt haben. Somit gewinnt die Qualität unserer Arbeit durch diese Ausstellung noch einmal.

Dankbar bin ich über die freundliche Hilfe von der Seite des Museums her. Die Schüler, die gekommen waren, waren in aufgekratzter Stimmung und sprachen von der Einmaligkeit unserer Gruppe.

In der Dämmerung spazierten wir noch am Ufer des Mains entlang und sahen, wie sich die Farben der Dämmerung mit denen der Skyline verbanden. Die Lichtstärken von innen und außen glichen sich an. Ein Schwebezustand.

Miniaturinstallationen

Durch die Wand der Pflanzenregale trifft das Morgenlicht auf die Tische und Regale. Die Gerätschaften und der Kram auf der Hobelbank, die Zeichnungen auf dem Grafikschrank, alles bekommt dieses frische Licht und wird verdientermaßen aufgewertet.

In den letzten zwei Wochen, in denen ich vor allem mit der Ausstellung zu tun hatte, ruhte meine Biografiearbeit. Bei den Kästchen im Museum handelt es sich, wie mir heute aufging, auch um Miniaturen. Sie haben sich von alleine an die Formate meiner Buchmalereien angepasst. Mit dieser handlichen Größe lässt sich gut experimentieren. Diese Experimente füllen sich so langsam unsere Regale und werden zum Wichtigsten, was wir in die Arbeitswelt einbringen können.

Der Gestus der Schülerarbeiten entwickelt sich außerdem aus der Beschäftigung mit den verschiedenen Erscheinungsformen von Bewegung im Verhältnis zu Architektur.

Gestern Nachmittag machte ich die Titel und Texte für die Exponate fertig und schickte sie ins Museum, wo sie freundlicherweise von den Praktikantinnen ausgedruckt und in der Ausstellung platziert wurden. Am Abend druckte ich die ausgesuchten Arbeitstagebuchtexte aus, die ich heute mitnehmen will. Sie zeigen zusammen mit Fotos etwas von der Lebendigkeit der Vorgänge im Atelier.

Kinetische Energie und Gravitationsschwünge

Ganz schnell und temperamentvoll setzte ich heute die Buchmalereien zwischen die Texte. Das Wirbeln benötigte ich nach der ungewohnt vielen Textarbeit der letzten Tage und Wochen. Manchmal erzeugt das so etwas, wie eine kinetische Energie in mir, die durch eine Gravitation wieder aufgehoben, oder ins Gleichgewicht gebracht werden will.

Sofern es mir gelang, verlief der Vormittag etwas nervös und gleichzeitig entspannt. Eine komische, vielleicht aufgekratzte Stimmung, so kurz vor der Ausstellungseröffnung im Museum. Gestern war ich noch mal am Nachmittag länger dort, um weitere Texte zu entwerfen und um die letzten Handgriffe an den Boxen zu machen. Dabei stürzte mir das Barbiebeinhaus von der Wand, wodurch natürlich die ganzen Gipsabgüsse zerbrachen. Sofort aber erschienen mir die zerbrochenen Platten viel passender zum Thema, und ich legte die Bruchstücke einfach zurück in den schwarzen Kasten.

Der Widerspruch zwischen den erwachsenen Werken, die meine Schüler mittlerweile schaffen und den Erwartungen an das Jugendlich-Kindliche einer solchen Ausstellung, kann nur mit einer ernsthaften Entscheidung getilgt werden. Und die traf ich zugunsten der Ernsthaftigkeit der Beschreibung der Arbeitsvorgänge, die zu dem Ergebnis führten, das nun im Museum zu besichtigen ist. Ich kann die Schüler nicht zu erwachsenen Kunstleistungen bringen, um sie dann zu banalisieren.

Heute mache ich die Texte fertig, schicke sie zum Ausdrucken ins Museum und fahre dann dort hin, um dafür zu sorgen, dass sie gut gehängt werden.

Ausstellungstexte

Den ganzen Sonntag beschäftigte ich mich mit der Museumsausstellung „Passend gemacht“. Zunächst ordnete ich die Objekte in den Kästen noch mal in verschiedenen Konstellationen zueinander. Manche Kombinationen blieben und einige sind gestern neu entstanden. Vor die harten schwarzweißen Rasterportraits montierte ich als Kontrast weiche Transparentpapierzeichnungen mit warmen zeitbeschreibenden Verwischungen und Tuscheschwüngen.

Zu vielen der Installationen kann man längere Texte schreiben. Ich aber wollte mich auch wegen der Zeitbegrenzung, die die Museumsbesucher vorantreibt, kürzer fassen. Auf einem Hocker sitzen schrieb ich mit einem Klemmbrett auf den Knien zu jedem Kasten ein paar Zeilen. 21 schwarze Boxen hängen an der Wand und vielleicht steht eine auf einem Postament. Nun möchte ich unter jede Installation ein Blatt hängen, die alle zusammen eine mehr oder minder fortlaufende Beschreibung der Ausstellung ergeben sollen. Nachmittags im Atelier hatte ich nicht mehr so viel Zeit, um die ganzen handschriftlichen Notizen zu brauchbaren Abschnitten zusammenzufügen. Das passiert heute.

Während unserer Zusammenarbeit sind die Schüler erwachsener geworden. So sehen nun auch die Arbeiten aus, die von mir als Künstler kommentiert werden. Keine Kinderkunst mehr!

Am Abend im Theaterhaus hörte ich eine Lesung von neu übersetzten Stücken in verteilten Rollen. Das war ein Ergebnis eines Workshops des Jugendtheaterfestivals „Starke Stücke“. Erstaunlich ist, wie die Ausschnitte schon die ganzen Theatertexte repräsentieren konnten.

Nachmittagsarbeit

Die Farben und die Formen innerhalb der Buchmalereien, die Übergänge und Grenzen, die ihnen zugewiesen werden, die Figuren, die dadurch entstehen, haben für mich eine Qualität, die seelischer Nahrung gleicht. Die erste Malerei, die ich gestern, als ich gerade von der Autobahn herunter war, angefertigt habe, kommt mir an diesem Morgen stärkend zugute. Solange ich in der Lage bin, mir diese Dinge zum Geschenk zu machen, versorgt mich ein lebensbejahender Quell. Um aber die Kraft der Farben in sich aufzunehmen, bedarf es eines Codes. Der hat bei mir natürlich mit dem Impuls zutun, der dafür sorgt, dass ich eine bestimmte Farbkonstellation auftrage, um sie dann mit Wasser zu vermalen und mit der Hand zu verwischen. Das ist ein kulinarischer Vorgang, dessen tägliche Übung den Sockel für die Nachmittagsarbeit bildet. Aber auch ein kurzzeitlicher Sonnenstrahl traf mich auf meiner linken Gesichthälfte und meine Buchseiten.

In den letzten Jahren habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, zunächst die drei Textabschnitte mit dem Füller so einzurichten, dass ich drei Lücken für die darauf folgenden Malereien freihalte. Dann habe ich die drei Bilder so in einem Zug anfertigen können, dass Farbabdrücke meines Handballens von einem in das andere Formet wandern konnten. Somit bekommen die drei Abbildungen mehr miteinander zutun. In den letzten drei Tagen kam das wieder durcheinander. Manchmal machte ich zuerst die Bilder und setzte dann die Texte dazwischen usw.

Jetzt gehe ich ins Museum, um an den Installationen weiter zu arbeiten und Texte und Titel dafür zu finden – die Nachmittagsarbeit.

Wilde Akribie

Von den Autobahnen her sah ich Landschaftsbilder aus Regenfarben und Sonnenuntergang direkt in Fahrtrichtung. Prasselnder Regen ging mir unter die Haut.

Auf der Fahrt nach Thüringen gingen mir die Texte durch den Kopf, die ich noch für die Ausstellung der kleinen schwarzen Kästen mit den Installationen schreiben möchte. Eine schöne etwas aufwendige und aufregende Arbeit, die mir die Möglichkeit gibt unsere lange kontinuierliche Arbeit darzustellen. Die kleinen Installationen sind auf den ersten Blick ein Kontrast dazu. Das muss man den Leuten wohl auch sagen. Es lauert so viel Erfahrung und aufgewendete Zeit dahinter, von der ich erzählen kann.

Mein Vater packte mir alle seine Super 8 Filme ein und einen Projektor, mit dem ich sie abspielen kann. Die große Tasche mit dem ganzen Material bringe ich zunächst erst einmal in die Frankenallee. Die Biografiearbeit bekommt dadurch einen neuen Anstoß. Gerade versuchte ich mit mäßigem Erfolg einen Filmschnipsel einzuscannen. Wahrscheinlich muss ich mit diesem Material anders arbeiten.

Ich male und zeichne mit einer wilden Akribie in mein Buch und freue mich auf die Texte, die ich morgen zu schreiben beginne.

Ritual | Totenbuch | schwarze Kästen

Das morgendliche Ritual, sich an den großen Zeichentisch zu setzen, das Licht wahrzunehmen, das die Struktur des Papiers zeigt, weil es flach von der Linken Seite, von Osten, ein Kompass, der auf meinem Gesellenstück, einem Mahagonizeichenschrank herumliegt, bestätigt mir die Richtung, sichert den Tagesbeginn.

Die Buchmalereien gestern entstanden in dem Wissen, ihrer großen Bedeutung für mich. Denn ihre Farben sind die Nahrung meiner Empfindungen, wärmen meine Regungen oder frieren sie ein.

Unter dem Eindruck des allgemeinen Verschwindens meiner Arbeit, bäumte ich mich gestern doch noch mal auf und stellte einige Arbeiten, unter meinem Menü „Biografie, ein Haus“, auf meine Website. Ich zeige hier, wie sich durch die Überlagerungen meines Kinderportraits mit demjenigen meines Vaters im Alter von sechzehn Jahren das Totenbuch entwickelt. Die verschiedenen Fragmentierungsvorgänge werden vorgestellt.

Die schwarzen kleinen Kästen, Schatzschatullen oder Pixelkästen hängen nun schon teilweise an den Wänden des Museums. Wenn ich die Installationen aus den Arbeiten meiner Schüler fertig installiert habe, kann ich Titel und Texte zu den Arbeiten schreiben. Die Sprachen der Jungen und die meine müssen sich im Idealfall so mischen, dass unser Verhältnis deutlich wird.

Kästchen unter Beobachtung

Gestern hier im Atelier kümmerte ich mich um die schwarzen Kästchen für die Ausstellung „Passend gemacht“, die am 09.03. um 17 Uhr im Deutschen Architekturmuseum eröffnet wird. Die vielen Exponate, die von meinen Schülern geschaffen worden sind, müssen geordnet und ausgewählt werden. Experimentreihen kommen zutage, aus denen die exemplarischen Beispiele herausgesucht werden müssen.

Dann am Nachmittag im Museum ging es um das Probieren von Zusammenstellungen, ging es darum, zu schauen, wie die Sammlung wirken kann. Postamente stehen zur Verfügung, die ich aber wahrscheinlich nicht benötigen werde. Die Kästen hängen an den Wänden, im Bezug zu den quadratischen Öffnungen des Raumes weit oben. Der Rhythmus wird stark durch diese Architektur bestimmt.

In meiner Arbeit richtet sich die Konzentration derzeit sehr auf die Buchmalereien. Sie sind nicht aufwendiger als sonst, werden aber genauer beobachtet. Bisher glichen sie manchmal morgendlichen Aufwärmübungen oder einer zu erledigenden Pflicht. Jetzt rücken sie näher an mich heran und werden nicht so von der Biografiearbeit überdeckt. Täglich ziehe ich während ihrer Betrachtung Schlüsse für die Weiterarbeit.

Das Biografieprojekt lebt hier im Atelier eher vom Schwarzweiß, geht von Dokumentarischem aus, um dann in den Fragmentierungsschredder zu fallen. Im Zimmer in der Frankenallee hängen drei Pionierportraits. Auch sie stehen unter Beobachtung. Bisher aber haben sie bestanden, interessieren mich zunehmend.

Forsythe | Richter

Am Abend las ich das gestern von Bill Forsythe signierte Buch. Seine Gedanken zu den, mit seinen choreografischen Objekten korrespondierenden, Kunstwerken aus der Sammlung des Museums für Moderne Kunst, waren mir neu. Seinen engen Verbindungen zur Konzeptkunst und zur Minimalart erscheinen mir logisch. Aber dadurch, wie er sie durch seine kontrapunktische Sehweise mit seinem Werk und seinem Denken in Verbindung bringt, entstehen für mich weitere Möglichkeiten, mit meinen Erkenntnissen aus der Vergangenheit dazu umzugehen.

Gleichzeitig verbinden sich diese Gedanken mit denen aus einem Interview mit Gerhard Richter zu seiner Serie aus 4 abstrakten Bildern zum Vernichtungslager Birkenau. Auch er als Maler bekennt sich verbal zur Konzeptkunst des vergangenen Jahrhunderts, die seine Arbeit nachhaltig beeinflusst hat.

Auf dem Arbeitstisch liegen die Arbeiten meiner Kunstschüler, die ich für die Ausstellung aussuchen will. Das meiste davon sind die Wachsarbeiten von Joana, die auch eine besondere Intensität besitzen.

Gestern transportierte ich weitere Kästen ins Museum uns beschäftigte mich mit ihnen auch danach weiter hier im Atelier. Ich habe mir die ganze Woche dafür freigehalten und hoffe, dass diese Ruhe, die ich mir nehme, in der Ausstellung auch spürbar wird.

Lichtflut

Lichtflut – so überraschend nach dem gestrichenen, mehrschichtigen Grau der letzten Tage. So findet die Sonnenwärme direkt ihren Weg in meine Seele.

Die minimalistischen Zeichnungen von Gestern, festigen die Haltung, die für die Richtigkeit dieser Herangehensweisen nötig ist. So oft ich an ihnen zweifle, sprechen sie doch ohne große Umwege aus meinem fühlenden Leib. Die dritte gestrige Zeichnung, verdient es alleine und vergrößert zu stehen, aufgeladen mit der Bedeutung des Totenbuches. So etwas kann ich in den täglichen Collagen, so wie oben, entwickeln. Wenn auch nicht deutlich durchdacht, wird deutlich, was mir wichtig ist.

Die ersten Dinge für die Ausstellung habe ich gestern ins Museum transportiert und mir gleichzeitig noch mal gründlicher den Raum angeschaut. Die schwarzen Kästchen in all dem Weiß werden „herausleuchten“.

Am Abend war eine Buchvorstellung im Museum für Moderne Kunst. Es ging um die Publikation zur Ausstellung „The Fact of Matter“ von Bill Forsythe. Wir sprachen ihn danach kurz, während der uns das Buch signierte. Sein Name steht da wie eine choreografische Zeichnung. Er meint es sei so wunderbar in der Universität in Kalifornien zu lehren. Das kann ich gut verstehen.

Farbige Rettung

Etwas verspätet am Morgen im Atelier lösche ich erst einmal alle e-Mails auf meinem Telefon. Eine kleine Entlastungsaktion. Das Gerät fühlt sich nun leichter an.

Gestern hatte ich hier Ruhe zum Arbeiten. Die Scherbenzeilen verwandelten sich in Erinnerungsketten. Ungemütlicher Wind fegte durch die Landschaft, wie heute unter einem konturlosen, grauen Himmel. Die Rettung ist dann die farbige Welt der Buchmalereien, die über manches Grau einen zarten Schleier freundlich breiten. Erst dann wird die Arbeit wieder möglich.

In dieser Woche werde ich mit dem Ausstellungsaufbau im Museum beginnen. Die Kästen habe ich mit Joana schon schwarz gestrichen…

Gestern Abend im Bockenheimer Depot ein Ballettabend der Nachfolgecompany der wunderbaren Forsytheleute. Niederschmetternd ist es, diese vergeudeten Talente beim Auswalzen der platten Ideen des Ballettchefs zu sehen. Eine SPD-Sportveranstaltung! Das Volk kann jubeln und sich spiegeln. Schöner glatter Tanz gleich aussehender Darsteller, nicht verstörend, sondern schön.

Vielleicht hätten wir bleiben und dem Choreografen beim Künstlergespräch zuhören sollen.

Oval

Scherben, die abstrakten Erinnerungsaufrufe des Totenbuches überlagern sich in ineinander greifende, fortlaufende, im Inneren memorierte Bilderfolgen.

Die Form eines Ovals beispielsweise, das an einer Seite spitz zuläuft, löst verwaschen zartfarbene Filmschnipsel vom sonnigen Untergrund eines niedrigen Waldes, an dessen Boden verschiedene Quellen Rinnsale speisten, die in einem Areal von vielleicht 200 Quadratmetern zusammenliefen. Kleine Sedimentteilchen wirbelten an die Ränder von winzigen Kratern über der Unergründlichkeit der Wasseradern. Das Bächlein folgte einer Senke am Rand einer großen Wiese zu kleineren Fischweihern, den Ozeanen unserer Entdeckungsfahrten auf selbstgezimmerten Flößen. Aus einem dieser tiefen Teiche zog ich irgendwann um Ostern meinen kleinen, fast leblosen Bruder und machte mit ihm Wiederbelebungsübungen, die ich aus einem russischen Zeichentrickfilm kannte. Im Sommer darauf lernte ich schwimmen.

Überlagert sich nun dieses Oval mit der an einer Seite spitz zulaufenden Form mit dem nächsten, das aussieht wie die aufgespannte Haut eines Tieres, tauchen Eskimobilder auf: Eisbären, Walrosse, Kajaks und Eisberge. Als Gefühl gesellt sich ein ziehender leichter Schmerz hinzu, den ich als ein erwachendes Fernweh bezeichnen würde, von meiner heutigen Sicht aus so sehen will.

Auf Rolle 6 habe ich zurückverfolgt, seit wann ich mich mit dem Biografiethema beschäftige. Die erste gerasterte Zeichnung machte ich am 15.12. 2014.

Orangefarbener Nachmittag

Erst jetzt, am späten Nachmittag eines sehr sonnigen Tages, probiere ich im Atelier den Satz:

Ich erinnere mich…

an einen Weg durch irgendeinen Dschungel, kann in Thailand gewesen sein, irgendwo brüllten Affen lautstark, wie ihr Name es vermuten ließ.

In die bewegte Erinnerung schiebt sich ein starres Foto von mir zwischen den Lamellen eines Baumstammes, die sich an dessen Fuß in sternförmigen Querschnittformen ausbreiteten, wie die Tentakelansätze eines Tiefseetieres.

Der hohe Atelierraum ist gedankenleer. Orangefarbene Sonnenuntergangsarchitektur vor den großen Fenstern.

Zarte Wiederaufnahme der Arbeit an Rolle 6. Zwischen den wiederholten langen Zeilen der Scherbenumrisszeichnungen treten weite Lücken auf, die mit der Beschreibung der Herkunft dieser Scherben gefüllt werden könnten, dachte ich mir in der vergangenen Nacht.

Eine Erklärung – nur für wen? Ich benötige sie nicht.

Überlebenswichtig?

Durch ein Ganztagestreffen im Museum geriet meine Arbeit gestern in eine völlige Unterbrechung.

Es saßen die Pädagogen verschiedener Museen beieinander, hörten Vorträge und berieten sich darüber, wie man der Museumspädagogik mehr Gestaltungsmöglichkeiten im kuratorischen Bereich verschaffen könnte.

So blieb also einiges liegen, was heute Vormittag aufgearbeitet werden muss. Arbeitstagebuch, Aufräumen und Schülerworkshop vorbereiten, Einkaufen, Kochen…

Vie mehr aber beschäftigt mich der gestrige Gedanke zur Begründung künstlerischer Arbeit. Zunächst, am Anfang, erscheint sie klein in der Hand. Man kann sie mit sich führen, verschwinden lassen, mit ihr eine Erinnerung aufheben, die vielleicht überlebenswichtig ist.

Mein allmorgendliches Selbstverständnis schließt sich mit den drei Zeichnungen und Textabschnitten zusammen. Ich bin, wenn ich zeichne und schreibe.

WERK

Die aufgereihten Scherben, liegen wie Buchstaben eines Totenbuches auf dem Transparentpapier. Die endgültige Abwesenheit von dem, was hervorgebracht wurde, wird damit angekündigt.

Dieser vollständige Abschied bedeutete auch das Verschwinden jeglicher Abhängigkeit in der Arbeit in der Zukunft. Die Befreiung von Angst würde auch die, vor dem Absoluten bedeuten, weil es ausgelöscht ist.

Auf die Überlagerungen der langen Scherbenreihe hatte ich gewartet und erhoffe noch mehr von ihr.

Eine Form kann die Grundlage einer Existenz bilden. 3 Textabschnitte mit jeweils 12 Zeilen mit 3 Zeichnungen dazwischen beispielsweise. So ist es bei mir.

Am Morgen kam die Frage auf, wofür alle Werke entstehen, wenn nicht für Ihre Schöpfer selbst. Wenn ich das als alleinigen Zweck akzeptieren könnte, würde mich das von der Sorge um mein WERK befreien. Die wenigen Gelegenheiten, zu denen andere an meiner Arbeit teilhaben können, würden nebensächlich. Nur Bruchstücke blieben in meinen Schülern oder bei meinen wenigen Freunden.

Diese Gedanken sind nicht so fern und befreiend.

Motor | Flucht

Die Weiterarbeit am Totenbuch auf Rolle 6 folgt den Mustern der letzten Jahre. Nach wie vor geht es um Verdichtungen, gleichzeitig oder in ihrer Folge um Reduktion und um die Dinge, von denen man noch nicht weiß, die aber aus diesen Vorgängen entstehen. Weil ich aber die Mechanismen kenne, kann ich mir nun schon die nächsten Arbeitsschritte zurechtlegen und ihre Folgen in etwa abschätzen. Wie die Figuren dann im Einzelnen aussehen, ist nicht vorausschaubar.

Die Neugier darauf, welche weiteren neuen Arbeitsschritte sich ergeben werden, ist einer der Motoren, die das System am Laufen halten.

Ich flüchtete gestern aus meiner Umgebung von Kriminalität, Gewalt und der medialen Brandstiftung und widmete mich stattdessen einem zugegebenermaßen etwas angestaubten Buch.

Die Masken Gottes“ von Joseph Campbell sind vier Bände, in denen die Mythologien der verschiedenen Kulturen zusammengefasst und aufeinander bezogen sind. Ich nahm mir die „Mythologie des Ostens“ heraus und schlug die Kapitel auf, in denen es um die Kulturgeschichte Indiens geht. Ich bekomme dadurch einen Überblick über die Möglichkeiten der Entschlüsselung des Rätselhaften, was mir dort tagtäglich begegnet. Natürlich kann das nur fragmentarisch und nur an der Oberfläche geschehen. Es hilft aber, sich in den Kulturen Sikkims und Rajastans punktuell etwas besser zurechtzufinden. Es ist auch angenehm, sich mal über die mythologischen Texte hinweg, mit den wissenschaftlichen Ausgrabungen zu beschäftigen, die Entwicklungsphänomene zeitlich und global einordnen.

Arbeitsweisen

Das erste Totenbuch übertrug ich gestern auf Rolle 6, an der ich bis zum 18.02. 2015 gearbeitet hatte und nun die Arbeit mit einer Zeichnung von 18.02. 2016 wieder aufnahm. Mit der Kombination einer Umrisszeichnung meines Rasterkinderportraits und einer Zeichnung aus dem Ballettsaals der Forsythecompany hatte ich aufgehört. Mit den Umrisszeichnungen der Scherben des gerasterten Doppelportraitfragmentes führe ich nun die Arbeit fort. Die Lücke dazwischen ist gefüllt mit der einjährigen Beschäftigung mit Biografie, dem Totenbuch also.

Immer blieb ich dabei, diese Phase auf Einzelblätter zu bringen. Ich war mir sicher, dass ich die Arbeit an Rolle 6 wieder aufnehmen würde. Jetzt aber stehen die unterschiedlichen Arbeitsweisen nebeneinander und werden auch weiter nebeneinander existieren.

Überraschend habe ich Texte zum vergangenen Projekt „Dinge, die nicht zusammen passen“ zu verfassen. Überraschend auch, bin ich zu einem eintägigen Treffen verschiedener Museen eingeladen worden. Es geht um Zusammenarbeit in interkulturellen Zusammenhängen.

Die Arbeit am Sonnenobjekt für ein Kölner Museum verzögert sich etwas. Außerdem soll ich die Installation dort selber vornehmen.

Weltliche Dinge also, die mich etwas von meinem Totenbuch abhalten. Positiv dabei ist, dass ich etwas Betrachtungsabstand zu ihm bekomme.

Fußwege

Lange Fußwege, verglichen mit denen, die ich heute im Alltag gehe, spielen in meinen Erinnerungen eine Rolle. Schulwege von Gerode nach Weißenborn-Lüderrode, oder in Waltershausen von einem Ende der Stadt zum anderen.

Auch das Gummikombinat, an dem ich meine Lehre und mein Abitur machte, lag an der Grenze des Ortes. Auf diesem Weg in die Fabrik gab es zumeist eine Station bei meinem Freund Andreas. Dort bekam ich noch einen Kakao, bevor es weiter ging. Immerhin hatten wir um sieben Uhr zu erscheinen, und dann begann zumeist ein tödlich langweiliger Fachunterricht für Gummifacharbeiter.

Nein, da kam keine Lebensfreude auf, alles hatte mit Zwang zutun, nicht mit einer Lernbegeisterung. Ich erinnere mich an die Beschaffenheit der Böden, auf denen ich meine Schulwege ging. Schlechte Zensuren zogen Strafen nach sich, Verachtung, Prügel und Erniedrigung vor dem Abendbrot. Meine Eltern mögen damals vielleicht sechsundzwanzig Jahre alt gewesen sein. In der Mansarde, die ich mit meinem Bruder teilte, schlief die Angst vor dem nächsten Tag mit. Erlösung und Freiheit fand ich im Wald, in den ich alleine flüchtete.

Das Totenbuch besteht aus Erinnerungsscherben, die sich schwarz einfärben. Die Verschmelzung der Erinnerungslöcher hinterlassen Gravitationsschwünge am Küchentisch.

Zwillingsschuhe

In einem Monat tauschen Tag und Nacht ihre Zwillingsschuhe. Spürbar eilig holt das Licht auf und weckt mich trotz der dichten Vorhänge am Morgen auf.

Christian Hartmann hat mit unseren Frankfurter Schauspielern eine Premiere auf die große Bühne gestellt, die mit der Zertrümmerung der dramatischen Texte eine Form des Regietheaters fortführt, die der Bildenden Kunst näher kommt.

Aus scheinbaren Improvisationssituationen heraus, wird die Beschreibung des Stückes „Der Revisor“ von Nikolai Gogol konstruiert. Fast ist es so, als würde der Text von einem Schauspielerrudel eingekreist, um dann gejagt und gefressen zu werden. Weil die komischen Talente gefördert wurden, hatten wir viel zu lachen und waren, mit Blick auf ein sehr schönes, in sich drehendes Bühnenbild, nicht gelangweilt. Ich bin froh, diese Form des Regietheaters über die Jahre hinweg erlebt zu haben. Auch meine Arbeit hat es geformt.

Am Freitag erörterte ich mit den Kunstschülern architektonische Konzeptionen, die von Wetterphänomenen oder Strömungsverhältnissen ausgehen. Lebendige, fließende Formen werden derzeit von Joana geschaffen, die einen kristallinen Unterbau benötigen, damit so etwas, wie ein geschwungenes Dach gehalten werden kann.

Morgen werde ich noch ein paar kleine Holzkisten kaufen, die schwarz angemalt werden, um mehr Exponate im Museum zeigen zu können.

Ganga | Totenbuch

Ich erinnere mich an Varanasi, an den Strom der Hindus unter deren Füßen die täglich seit zweitausend Jahren wiederholten Rituale verdichtet werden. Der nach Gold durchsiebte Strom menschlicher Asche düngt das Ufer hinter der stromabwärtigen Biegung, auf dem die Reisfelder beginnen, die weit in die Ebene hineinreichen. Auf der gegenüberliegenden Seite lief ich eine Schleife in Form einer Hand, von meinem GPS-Gerät aufgezeichnet. Eines Nachts besuchten wir ein Sidharkonzert.

Joana erklärte ich gestern die Entstehung meines ersten Totenbuches. Sie fand das umständlich. Es reicht mir aber leider nicht, einfach eine Fotografie zu verbrennen.

Ich spekuliere, was die Ägypter zu den hinduistischen Leichenverbrennungen gesagt hätten. Wäre das in ihre Götterwelt mit Mutter Ganga gemeinsam zu integrieren gewesen?

In den Kammerspielen bemächtigten sich gestern drei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen einer Textfläche von Felicia Zeller. Eine deutsche Erstaufführung. Die monologischen Sprechfetzen schaffen Erinnerungswerte in der Qualität von Fahrten in überfüllten Straßenbahnen. Keine zusammenhängenden Handlungen sind erfahrbar keine Figuren, keine Orte die durch einen Faden verbunden wären. Alles ist zerpflückte von der stetigen Anwesenheit von allem Inneren und Äußeren.

Wieder überfiel mich das Gefühl von der Unfähigkeit des Theaters, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Scherben anordnen

Die einzelnen Formen der Rasterpunktscherben ordnete ich der Reihe nach auf einem neuen Blatt an. Dieser Schritt überraschte mich nicht, wohl aber die Form, die entstand, der ich auch nicht gleich gewahr wurde und deswegen viel zu weit oben links begonnen hatte, wie wenn ich eine Tagebuchseite beschreibe, ohne an eine Einteilung zu denken. Die in Reihen angeordneten Scherben spielten schon bei der Ausstellung der ausgegrabenen Artefakte von der Ackermannwiese eine wesentliche Rolle.

Ein Gestus der Aufklärung, die durch Anordnung, Kategorisierung und Schachtellagerung den Splittern der Welt oder ihres Scheins, Herr werden wollte.

Im Fall der Neuanordnung der Scherben des Doppelportraits handelt es sich eher um eine weitere Zerstückelung, die etwas anderem Platz machen soll.

Aietes, der zerstückelte Bruder Medeas, der über die Zedernbordwand der Argo in die Verfolgungsspur des Vaters geworfen wurde, schuf mehr Raum zwischen dem flüchtenden und dem verfolgenden Schiff, weil es Zeit brauchte, alle Einzelteile für die Bestattung zu finden und wieder zusammenzusetzen.

Die aneinander gereihten Scherben sind das erste Totenbuch für das Doppelportrait, das mehr Raum schaffen soll hinter den Zeichen. Ich kann sie nun behutsam aneinanderreihen und auf Rolle 6 probieren, was daraus werden kann.

Ohne Ablenkung

Die Sonnenflut aus Richtung der Gleisfelder des Hauptbahnhofes trifft durch meine hohen Fenster waagerecht in den angefüllten Atelierraum, als wolle sie ihn neu definieren. Es ist etwas anderes, was du da vor Augen hast. Es hätte die Kraft, deine Hirnschale zu durchleuchten, an die Wand zu projizieren, was du denkst. Plötzlich gaukelt da eine fast sommerliche Stimmung herein, so schnell, nach all dem vielschichtigen, dunklen Grau, dass man es kaum glauben mag und den ganzen Farben auch nicht traut – könnte schnell vorbei sein damit.

Verschiedene Termine, gut verteilt über den Tag, ließen gestern kaum Konzentration aufkommen. Dazu Fotos heraussuchen und Bildbearbeitung, Termine absprechen.

Mit der Biografiearbeit habe ich eine Weile pausiert. Das liegt aber nicht allein an den anderen Aufgaben, sondern daran, dass ich mich nun entscheiden muss, ob ich kompromisslos weiter am Verschwinden der Portraits arbeite, oder ob die anderen Motive, wie auch die Super 8 Filme für die Weiterarbeit zu untersuchen sind. Vielleicht lässt sich auch manches parallel betreiben. Das alles verlangt aber nach mehr Konzentration ohne Ablenkung.

Vor ein paar Tagen am Wochenende sahen wir, wie Regie- und Schauspielstudenten mit Textfragmenten von Simon Stephens umgegangen sind. Dabei minderte meine Aufmerksamkeit, dass ich immer in Gesichter von jungen Menschen schauen musste, die augenscheinlich so wenig erlebt haben in ihrem Leben, aber genau das spielen sollen. Bei manchen aber blitzte darstellerisches Talent auf.

Scheiterhaufen

In Anbetracht der wachsenden gesellschaftlichen Ignoranz gegenüber dem kulturellen Schatz der Künstlernachlässe, hatte ich am Morgen die Idee, mich nach meinem Tod auf dem Scheiterhaufen meines Werkes verbrennen zu lassen. Somit würde das Gedankenhäkeln, das während des Schreibens, Zeichnens, Malens und Modellierens stattfindet, was wohl mit dem, was ich gerade herstelle, geschehen wird, suspendiert. Der Sinn der Arbeit würde sich im Gegenwärtigen erledigen und gleichzeitig das Tun stärken.

An diesem Gedanken gefällt mir der Grad der Unabhängigkeit. Ich arbeitete für den Augenblick. Das könnte man mit dem Moment gleichsetzen, in dem man im Flugzeug kurz davor ist, über die Wolken zu kommen.

Eine Illusion,

das einfach so hinzukriegen, aus der Konditionierung auszusteigen, Jahrzehnte der Selbstmotivation zu vergessen, um die fragile Freiheit des Augenblicks zu spüren. Aber ein Weg dorthin, ist eine spannende Forschungsaufgabe innerhalb einer Arbeitsmeditation.

Gestern nur Ausstellungsvorbereitungen, Fotos raussuchen, Texte ergänzen…

Leuchten

Wenn man mit dem Flugzeug dach dem Start in den oberen Wolkenschichten das gleißende Weiß, kurz vor dem blauen Himmel sieht, erfährt man das gebündelte Licht, das jetzt in den vielen grauen Lagen von kondensiertem Wasser zersplittert und aufgesogen wird. Diese Helligkeit ähnelt der einer plötzlichen Entspannung im Inneren, nach der neutralen Farbigkeit eines neutralen Tages.

Passend zu dieser Vorstellung kommt der Zuschlag zu einem malerisch, handwerklichen Auftrag ins Atelier, ein Segment der Sonne mit Pappmache herzustellen und anschließend zu bemalen. Das wird ein Teil eines Museumsexponates.

Viel versprechende Vorbereitungen einer Reise beschäftigen uns. Es geht um buddhistische und hinduistische Tempel und spektakuläre Landschaften in Indien. Eingebettet in die Erfahrungen aus vier vorangegangenen Reisen lassen unsere Erwartungen dahin gehen, dass es wieder anders kommen wird, als wir es uns vorstellen können.

Die Arbeitsvorhaben dieser Woche sind durchaus vergnüglicher Natur. Als erstes will ich einen Text über die Zusammenarbeit mit meinen Schülern schreiben. Er soll die ganzen vergangenen Jahre umreißen und dann auf das aktuelle Projekt eingehen. Er ist gedacht für unsere kommende Ausstellung im Architekturmuseum. Mich beruhigt die Vorstellung, die gedruckten Skulpturen in den kleinen schwarzen Kästen leuchten zu sehen.

Lichter Ocker

Unter den tieffliegenden, ausgefransten Einzelgebilden der nach Osten ziehenden Wolken, spazierten wir in beiden Richtungen am Nordufer des Mains. Die Landmarken unserer Kehrtwendungen sind zumeist Brückenpfeiler aus Beton oder Natursteinen, je nach der Zeit, aus der die Bauwerke stammen, die den Fluss überspannen.

Wir trafen die fröhliche Fotografin Barbara, die ich oft sehe, wie sie mit mehreren Kameras fleißig unterwegs ist. Sie portraitierte uns beide zu verschiedenen Anlässen. Ich erzählte ihr von der deprimierenden Veranstaltung zum Thema Künstlernachlässe.

Nun fällt mir zu diesem Thema ein, dass die eingeladenen und referierenden Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung und einer Stiftung in Köln, die sich über das Wohl und Wehe eines Lebenswerkes erheben können, selbst vielleicht gerne Künstlerinnen geworden wären… Ihr hochmütiger, herablassender Ton, der auch der eines Sozialarbeiters, eines Gefängniswärters oder eines Lehrers hätte sein können, scheint es nahe zu legen.

Die verdrehte Fassade des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank warf die Geräusche der Maschinen, die sich in Parallelbewegungen, die Wolken durchstoßend, auf die Landebahnen zu bewegten, so lange zurück, wie es sich aus der Breite der Glasfront und unserer Entfernung zu ihr ergab. Der Fluss war von lichtem Ocker durchsetzt, von Schwebestoffen des lang schon anhaltenden regnerischen Wetters, das an einer Stelle mein Atelierdach zu durchweichen beginnt.

Mit den Kunstschülern

Für die kommende Ausstellung haben wir würfelförmige Holzkästen, die nach vorne offen sind und eine Kantenlänge von 14 Zentimeter besitzen, schwarz gestrichen. In ihnen sollen die Kleinskulpturen und architektonischen Experimente zur Geltung kommen. Damit wird allerdings die Kreativität der Gruppe bei weitem nicht vollständig vorgestellt. Sie besteht aus vielen, sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Talenten. Spontaneität, Humor, Ausdauer und Konzentration mischen sich spannungsvoll. Vielleicht sollte ich darüber einen Text schreiben.

Mitten am gestrigen Arbeitsnachmittag habe ich eine Lehrvorführung in der digitalen Konstruktionstechnik gegeben. Ich zeigte, wie man eine Spirale baut, die dann ausgedruckt werden kann. Das ist für die Verbindungen von Tanz und Architektur wichtig. Die architektonische Umsetzung von Tanzvorgängen bedient sich derzeit vorwiegend dieser Form. Deutlich wurde auch, wie sehr die Aufmerksamkeit von dem gleichmäßigen Informationsfluss aus Bildern und Vortrag abhängig ist.

In meinem Kopf geht immer noch die 3d – Fotografie herum. Neben den anderen Dingen sollte ich mich darum etwas mehr kümmern. Neu für mich ist dabei, dass die ganzen Flächenrückrechnungsprozesse in der Cloud stattfinden. Mein Rechner ist nur noch ein Ausgabeinstrument. Die Rechenleistung befindet sich woanders.

Nun habe ich aber alle 3d – Werkzeuge beisammen, von denen ich vor zwanzig Jahren geträumt habe.

Ausgelöschte Formen

Etwas kontinuierlicher geht nun die Arbeit an den 3d Dateien und ihren Ausdrucken voran. Sie bleiben immer Experimente, deren Sinn man erst zu verstehen glaubt, wenn man die Skulpturen in den Händen halten kann. Die meisten beschäftigen sich mit der Verflüssigung kristalliner Formen und umgekehrt.

Die Nachrichten berichteten den messbaren und hörbaren Nachweis von Gravitationswellen. Große Massen, wie schwarze Löcher hinterlassen sie bei ihrer Verschmelzung. Sie verändern den Raum, also Zeit und Form. Animationen, die diesen Vorgang illustrieren sollten, waberten gestern durch die Nachrichten.

Natürlich verbindet sich diese Neuigkeit mit meinen Gravitationsschwüngen in meinem Kopf, deren Kraft die Gegenständlichkeit der Abbildungen, die die Rasterpunkte in unsere Hirne projizieren, bis zum Verschwinden fragmentieren. Die Formen werden nicht verändert, sondern ausgelöscht, um etwas anderes entstehen lassen zu können.

Weitere Blätter dieses Inhaltes sind gestern entstanden. Manchmal dachte ich schon daran, diese Gravitationsschwünge mit den 3d Möglichkeiten zu verbinden. Skulptural ergäbe sich viel Neues.

Das Teilstück einer Spirale, das ich gestern ausdruckte, ist mit Kuben verbunden, die herausgeschnitten und ausgestülpt erscheinen. Auch hier sind kristalline in eine fließende Form eingeschoben worden.

Sprung

Das Verschwinden meiner Arbeit, die mit der Endlichkeit meines Daseins zutun hat, zog ich bislang noch nicht gründlich in Betracht. Spätestens jetzt aber, da ich dort angelangt bin, wo sich mein Portrait, zunächst im fragmentierten Doppelportrait auflöst und dann durch die Zerstückelung der übrigen Rasterpunkte gänzlich verschwinden wird, also jede Erinnerung ausgelöscht zu sein scheint, hätte ich die Chance, diesem Gedanken gründlich zu folgen.

Zehn Prozent der Produktion gehören nach Expertenmeinung zum Kernwerk eines Künstlers. Dieser brutale Satz wurde gestern, während einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie über Künstlernachlässe, von einer Mitarbeiterin des Frankfurter Kulturamtes gesagt. Alles andere sei nicht aufhebenswert.

Der Sprung von meinen frühen Prägungen, die zum Überleben notwendig waren, bis hin zum Ablegen, Aufgeben oder Vergessen dieser Verhaltensregeln, weil sie am Ende nicht mehr notwendig sind, kann innerhalb der Biografiearbeit in eine andere Dimension führen. Vielleicht ist sie es, die sich hinter der Auflösung der Portraits verbirgt. Gelernte Übereinkünfte werden mir als überwindbar gewahr. Die Abwesenheit meiner Erinnerung an sie, setzt das langsame Verschwinden in Gang.

Neuronale Plastizität ist ein Ausdruck, den Natalie, angesichts Joanas Skulptur, die ich gestern ausgedruckte, gefunden hat.

3-Dropping-Curves

Spaziergang durch Nebenstraßen in denen eine Schule renoviert wird. Der Unterricht ist in Container ausgelagert. Man kann die Langeweile in Parterre durch die Fenster sehen. Ein Passant, der stehen bleibt, ist dann schon eine Abwechslung. Ich warte, bis ich das Glück begriffen habe, mich nun einfach entfernen zu können.

Aus den „Improvisation Technologies“ von Forsythe, wählten wir die „3-Dropping Curves“ aus, um daraus ein architektonisches Element zu finden. Gestern habe ich die ersten 8 Varianten entworfen und eine davon ausgedruckt. Alles hat länger gedauert als gedacht. Manchmal ist der 3d Drucker sehr langsam, es dauert lange, wenn man abgebrochen hat, den Vorgang immer wieder neu zu starten.

Aber als beim Drucken nichts mehr schief lief, hatte ich Zeit zum Zeichnen. Ich nahm mir erneut ein Detail des fragmentierten Doppelportraits vor. Zunächst schnitt ich mir ein Format aus einem stärkeren Transparentpapier, auf dem ich frei und wild ein paar Gravitationsschwünge kreisen ließ. Die Kreuzungen markierte ich, wie immer mit Tuschepunkten, um dann die großen fragmentierten Rasterpunkte ebenfalls mit Tusche darüber zu malen.

Aber die Frage, was nun hinter den verschwundenen Portraits erscheinen wird, kann erst in der Zukunft, wenn ich weiter daran arbeite, beantwortet werden.

Spiralwirbel

Das Fauchen der Sturmböen wirft sich gegen die Atelierfenster, dass man Angst um das Dach bekommen muss. Dass allgemeine Gebrüll, dass sich an jedem festen Gegenstand verwirbelt, schluckt alle anderen Geräusche. Alles gehört nun zum Sturm.

In der Ruhe und Einsamkeit des Ateliers widmete ich mich gestern Nachmittag langsam meinen Aufzeichnungen. Die Enden greifen ineinander, die Fortführungen geschehen oft genug wie von alleine.

Die Zeichnungen der letzten Woche auf Transparentpapier, die nun vor mir hängen, scheinen schon auf ihr Mindestmaß reduziert zu sein. Es ist, als wollte ein Teil von mit in diesen leisen Äußerungen verschwinden. Die Gravitationsschwünge kreisen suchend nach den Fehlstellen, die durch die Subtraktion der sich übereinander lagernden Rasterpunkte der Väterportraits entstehen. Was kommt aber hinter den absichtlich aufgerissenen Fehlstellen zutage? Eine unbekannte Person mit anderer Energie geladen, die die entstandenen Lücken füllt?

Der Sturm folgt dem niedrigen Luftdruck, will den Unterdruck in den Fehlstellen auffüllen. Welcher Sturm verschluckt die fest hängenden Prägungen und füllt sie neu auf? In Spiralwirbeln werden die vorjährigen, braunen Blätter und anderes totes Material zusammen geblasen. Sie lassen meine Insel auf dem Beton fürs kommende Frühjahr wachsen.

Alte und neue Zeichnungen

An einer Wand in meinem Zimmer in der Frankenallee habe ich eine Perlonschnur gespannt. Daran klammerte ich einige Zeichnungen der Biografiereihe, die ich schon vor Monaten mitgenommen hatte. Das hatte ich schon seit einiger Zeit ins Auge gefasst, den Schritt aber bin ich erst heute gegangen. Nun werde ich weitere Schnüre spannen und viele Arbeiten aufhängen. In dieser Umgebung bekomme ich einen anderen Überblick über das, was ich die ganze Zeit über gemacht habe.

Gerade las ich, was ich genau heute vor zehn Jahren in den täglichen Aufzeichnungen geschrieben hatte. Viele kleine Projekte liefen damals parallel. Und während eines Regenspaziergangs kam vorhin die Frage auf, warum mir die Buchmalereien von heute emotionaler vorkommen, als die zehn Jahre alten. Das hat sicher damit zutun, dass sie mir einfach näher sind. Aber außerdem sind sie weniger diszipliniert und in den Gesten wilder. Sie entstehen auch schneller.

Der Regenspaziergang vorhin war großräumig einsam, weite Blicke ohne Menschen. Ganz anders gestern am Main – Getümmel in den sonnigen Sportanlagen am Osthafen. Wir schauten den tollkühnen Skatern zu, die uns an die Motorradartisten beim Shivafestival in einer indischen Kleinstadt erinnerten. Sie fuhren in einem kleinen Bretterrund halsbrecherisch die steilen Wände hinauf und machten kleine Kunststücke dabei mit Blick auf die Rupien, die wir in die Arena werfen sollten.

Sonnenbad

Das Mainwasser reflektiert das heutige Frühjahrslicht so, dass man auf den Bänken am Nordufer ein Sonnenbad nehmen konnte.

Mit virtuellen Skulpturen beschäftigten sich die Kunstschüler, mit Dreiecksgitterzeichnungen und Wachs-Wasser-Experimenten. Je länger wir gemeinsam arbeiteten, umso ausgelassener wurde die Stimmung.

Auch ich machte eine Dreiecksgitterzeichnung. Zunächst fertigte ich Gravitationsschwünge an, deren Kreuzungen mit Tuschepunkten markiert wurden. Diese Punktwolke war dann die Ausgangssituation für die zeichnerische Flächenrückrechnung, das Dreiecksgitternetz also.

Außerdem versuchte ich die Tanzskulptur von Bilal in ein druckbares Exemplar umzuwandeln. Das will ich mit ihm gemeinsam in der kommenden Woche komplettieren.

Erstaunt bin ich über die kleinen feinen Zeichnungen, die ich vor zehn Jahren in die Tagebücher gesetzt habe. Der Stil hat sich immer nur ganz langsam verändert.

Im Städel gestern Stille und erneut eine Begegnung mit dem Konstruktivismus von Herrmann Glöckner, der noch in Dresden gelebt hatte, als ich es verließ.

Arsenale

Auf dem Zeichentisch liegen die bescheidenen Blätter dieser Woche. Zurückhaltung, klare Tuschefelder, dünne Bleistiftlinien mit Tuschepunkten. Es sieht so aus, als würde sich die Arbeit hier langsam auflösen.

Kraftvoller hingegen zeigen sich die Buchmalereien. Sie sind von einer Sicherheit getragen, die auf dem beruht, was ich meine Tradition nennen könnte. Anknüpfung an das, was gestern in der gewohnten Umgebung gemalt wurde. Rückschau auf die Buchmalereien vor einer Woche, einem Monat, einem Jahr oder vor genau einem Jahrzehnt.

Die selbe Körperhaltung vor den leeren Seiten mit Blick auf die Schreibfeder kurz vor der ersten Linie, die einen Buchstaben zeichnet, gehalten von Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, deren Ballen leicht über die samtige Oberfläche des Papiers gleitet.

Und in den Kammern meiner Unterwelt, die leicht in den Büchern zu betreten sind, wohnen die Figuren, Arsenale von sich auflösenden Gegenständen, Menschen, Tieren, Pflanzen und Aggregatzuständen.

Opernbühnenprojektionen mit King Kong und dem Mädchen mit der Perle, vor genau zwanzig Jahren, lokalpolitische Abstimmungen über mein Projekt „Trixel Planet“ vor genau zehn Jahren. Theater, Bürgerinitiativen und Workshops habe ich absichtlich verlassen und abgestreift, um anderer Arbeit Raum zu verschaffen.

Welche Tradition?

Die Holzdruckstöcke aus dem Jahr 1987 spielten in den gestrigen Buchmalereien noch mal als Frottagen eine Rolle. In meinem Grafikschrank, meinem Tischlergesellenstück, fand ich noch einen Druck von zweien der drei Farbplatten, die den Themen „White Room“ und „Schmutzige Arbeit“ zugeordnet waren.

Im Vergleich mit den gegenwärtigen Arbeiten versuche ich eine Kontinuität zu entdecken. Was tilgt diese rückblickende Einordnung? Gibt es eine innere Verpflichtung zu gleich bleibenden Merkmalen in den sich stark verändernden Arbeiten? Was soll meine Suche nach der Bestätigung bestimmter stilistischer Prägungen? Ist das eine Vergewisserung, die sich auf eine Tradition beruft? Woraus setzt die sich zusammen?

Bei Assmann lese ich, um mich zu inspirieren, über die Entstehung von Geschichte, Religion und Erinnerung. Ihre Funktionen versuche ich immer sofort auf meine Situation zu beziehen.

Dann gelingt es mir wieder, mich in meine Arbeit zu versenken. Eine Meditation der Schwünge und Punkte, wie heute in den Buchmalereien, gestern in der Fertigstellung des zweiten Details des großen Doppelportraits. Es gelang mir, die Ersatzhandlung für wirkliches Zeichnen zu überwinden, mich wieder ganz hinein zu begeben.

Alte Holzdruckstöcke

Ein zweites Detail des großen Doppelportraits nahm ich mir vor und zeichnete es auf ein kleineres Format und begann es dann mit Gravitationsschwüngen zu umgeben. Eine Ersatzhandlung für wirkliches Zeichnen, die eher das Gemüt beruhigen sollte, das immer nach Produktivität verlangt.

Unter die täglichen Buchmalereien legte ich gestern allerdings einen kleinen Holzdruckstock, um mit ihm eine Frottage zu beginnen. Er stammt aus den Achtzigerjahren, als ich mit Hans-Joachim Schlieker, der von Heiner Müller als Bühnenbildner entdeckt worden ist, an einem Tanztheaterbühnenbild für „Mörder Woyzeck“ von Johann Kresnik arbeitete.

Auf die Rückseite eines Bühnengrundrisses des Heidelberger Theaters zeichnete ich damals zwölf Szenen, jeweils drei zu den Themen: Küche, Dolchstoß, Wiesn und White Room. Der Holzschnitt ist mit drei verschiedenfarbigen Druckplatten gedruckt, und nimmt alle vier Themen auf. Die Stapelung der Motive übernehmen hier also die verschiedenen Holzdruckstöcke.

Während der Suche nach der alten, schon recht zerfledderten Zeichnung, gingen mir viele alte Blätter durch die Hände, Akte, Portraits, Landschaften, Innenräume und viele Bühnenzeichnungen. Mit den letzteren entwickelte ich einen Stil, der mir erlaubte, das Gesehene schnell auf ein Blatt zu bringen. Das könnte ich auch jetzt noch.

Holzschnitt neu?

Das alte Selbstportrait verschwindet durch die Abwesenheit bestimmter Erinnerungsvorgänge, die es immer wieder aus der Vergangenheit heraus konturieren. Groll färbt den alten Milchnebel grau.

Vor Augen habe ich ein Holzschnittdoppelportrait, das sich durch die fortlaufenden Zustandsdrucke hindurch selber auffrisst. Eine Neubelebung der Technik, gedruckt auf dünnes Transparentpapier.

Ich erinnere mich an die Leipziger Holzstecher, die mit ziemlich edlem Birnbaumhirnholz arbeiteten, konservativ, traditionell und illustrativ.

Was könnte man heute mit dieser Technik noch anfangen? Ist sie wirklich neu zu beleben? Am ehesten vielleicht mit einem Vorhaben des Verschwindens.

Leichtes Gefühl gestern nach fünfzig Minuten Sport. Erinnerung an die Laufrunden im Park vor vielleicht drei Jahren.

Gestern beschäftigte ich mich weiter mit den 3d Programmen. Es entstand eine neue Skulptur zu „fluidkristallin“.

Schlammgraue Altersmilch

Lautes Gelächter aus dem Nachbaratelier jetzt am Morgen, während der Fernseher läuft. Ich schalte die „Theme Time Radio Hour“, Episode 56 mit dem schönen Titel „Cadillac“ein, um der morgendlichen, lauten Fröhlichkeit zu entrinnen.

Die Farbpalette der Buchmalereien hat sich etwas eingetrübt. Ich mag die ernsten, schlammigen Töne, die mit nur einem Indigo oder Violett zum Strahlen gebracht werden können.

Das Frühstück am Küchentisch dehne ich in letzter Zeit manchmal mit einem zweiten Kaffee etwas aus. Ich lasse es dann langsam angehen, weil die Gründe, aus denen ich mich ein Leben lang beeilt habe, nach und nach wegfallen. Dieser ruhige Rückzug gefällt mir. Gleichzeitig habe ich Lust, mich über längere Zeiträume auf ausgedehnte Prozesse zu konzentrieren.

Die Verbindung zwischen den Biografiearbeiten und den Buchmalereien findet, über die gemeinsame Nutzung von den Gravitationsschwüngen hinaus, in den täglichen Collagen statt, die ich für das Arbeitstagebuch anfertige. Diese Ideen fließen ohne jedes Ziel.

Gealterte, graue Milch scheint draußen ausgeschüttet worden zu sein, Altersmilch in Gebirgsgrau geronnen und verhüllt.

Stillstand | Spazierwaldmeisen | City of Abstract

Sonntagslicht, Arbeit ist vertagt. Ein neues Telefon im Atelier – bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr besaß ich gar kein Telefon. Das erste, im Westen, war glänzend grün.

BLACKSTAR, das neue Album von Davis Bowie höre ich ab und zu in einer Endlosschleife. Das langweilt nicht! Seine Asche ist verstreut. Keine Pilgerstätte.

Vier Punkte habe ich beim großen Doppelportrait zusätzlich, aus Versehen, ausgelassen. Sie fragmentieren deutlich zusätzlich. Vielleicht kann ich diese fehlenden Punktinseln noch mal neu thematisieren, indem ich sie einzeln zeichne und mit Gravitationsschwüngen umgebe. Das wäre eine weiter zu verfolgende Arbeitslinie, die das Motiv immer weiter verschwinden lässt. Die Abwesenheit des Sohnes durch den Vater. Vielfältiger werden die Möglichkeiten, das Thema „Väter-Stillstand“ weiter zu verfolgen.

Das verfremdete Bild von Natalie aus der Videoinstallation „City of Abstract“ versandte ich an die T34-Gruppe mit großem Echo. Das werde ich nutzen, um die Truppe noch mal zu vergattern (Militärsprache der Wachbefehlsausgabe).

Im Spazierwald pfiffen die Meisen. Ein neuer Frühling wird nun kommen.

Väter – Stillstand

Am Küchentisch blieb für einen Moment die Zeit stehen. Meine Arme lagen auf der Tischplatte, der Oberkörper wollte ein wenig hin und her schaukeln und ich hatte das Gefühl, den Verlauf der Zeit nun manipulieren zu können.

So nehme ich mir jetzt die Buchmalereien vor, die ich vor fünf Jahren gemacht habe. Schnell sind die hervorgeholt, ist die entsprechende Seite aufgeschlagen: 30.01. 2011.

Franz besuchte mich am frühen Abend. Er blieb eine Weile und wir sprachen über unsere Reiseerlebnisse in Indien. Bei ihm ist es vierzig Jahre her, dass er sich auf eine lange Reise über Land dorthin aufgemacht hatte.

Als ich ihm erzählte, dass ich mal wieder ausstellen müsste, nur nicht so recht weiß, wo meine Sachen, die zarten Transparentpapiere hinpassen würden, bot er mir spontan sein schönes Schaufensteratelier an. Ich bin gar nicht abgeneigt, das zu tun. Der Ausstellungstitel „Väter“ fällt mir ein, vielleicht mit einem Zusatz, wie „Stillstand“. Jedenfalls belebt mich dieser Gedanke.

Ein großer Fuhrpark einer Boxveranstaltung besetzt den Raum um mein Atelier. Das gefällt mir, weil das Boxcamp so außerordentlich gute Arbeit hier auf Teves macht.

Fremdes Gesicht

Obwohl ich eigentlich pausieren wollte, fertigte ich noch ein neues kombiniertes Rasterportrait an. Es vereinigt mich und meinen Vater, fragmentiert uns aber nicht gegenseitig, sondern fügt einfach alle Punkte und Flächen vollständig übereinander zusammen. Wieder entstand ein sehr fremdes Gesicht.

Auf dem Bahndamm stöhnen die Güterwaggons. Eine Herde in der Sonne, die über die Dächer steigt. Sie projiziert meinen vertikalen Miniaturwald auf die Atelierwände.

Mit den Kunstschülern geht es heute in die Forsytheausstellung ins Museum für Moderne Kunst. Mit den choreografischen Objekten möchte ich ihnen Möglichkeiten erschließen, wieder neu gestalterisch zu denken.

Das bedeutet, dass das 3d Capturing nun erstmal ruhen muss – morgen vielleicht. Einen Fehler, der mir unterlaufen ist, habe ich schon recherchiert.

Einen Text für die Ausstellung im März habe ich begonnen. In diesem Zusammenhang rekapituliere ich das ganze abgelaufene Kunstschuljahr.

Das Schwärmen der Erinnerungsteilchen

Das große fragmentierte Doppelportrait habe ich gestern mit den letzten Gravitationsschwüngen fertig gezeichnet. Mit dieser Art Rasterüberlagerungen könnte ich nun weiter forschen, noch tiefer in die Materie eindringen. Während des Bleistiftkreisens kann ich mich in Erinnerungen versenken, die nicht alleine von mir zu stammen scheinen. Sie sind älter, handeln von erzählten Ängsten und auch von vielleicht geerbten Gefühlen.

Für ein Detail der Zeichnung habe ich auf einem kleineren Blatt eine eigene Welt eingerichtet. Dort wird es umgeben vom Schwärmen der Masseteilchen, die mit ihrer schnellen Bewegung keine festen Konturen bilden, sondern ineinander verschiebbare Sphären. So ist es mit den eigenen, den ererbten oder erzählten Erinnerungen.

Zwischendrin versuchte ich eine 3d Aufnahme mit vierzig Fotos von Krishnababy. Das ist mir noch nicht gelungen. Irgendwelche Softwarekonstellationen stehen sich im Wege, oder ich habe einen Arbeitsschritt übersehen.

Am Abend waren wir noch mal in der Ausstellung „Sturmfrauen“ in der Schirn. Diese ganzen Arbeiten aus den ersten dreißig Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind interessant und teilweise perfekt, scheinen aber eher mit angezogener Handbremse produziert worden zu sein. Eigene herausragende Kunstleistungen gestand man Frauen nicht zu. Nur romantische Exoten, wie Walden, förderten sie und waren ihrer Arbeit zugeneigt. Sie hatten es ansonsten schwer.

Silberner Klang

In der Stille des Atelierraumes fällt mir die Qualität des Lichtes, das sich ändernd von draußen eindringt, auf. Ich interpretiere aus einer bestimmten Lichtfarbe die Beschaffenheit der Atmosphäre, den Winkel der Lichtquelle über dem Horizont und die Bewegungen entfernter und naher Schattenspender. Dann setzten Erinnerungen ein, deren äußere Gemeinsamkeit mit der gegenwärtigen Situation nur in der Lichtbeschaffenheit liegt. Luftbewegung, Temperatur und Sonnenwinkel versetzen mich kurz auf die winterlichen Kanarenberge.

Ich habe begonnen die Gravitationsschwünge zwischen die Rasterpunktfragmente der großen Mischportraits zu zeichnen. Das Quälende des Vorgangs des eigenen Gesichtsverlustes wird durch das Meditative des Zeichenvorgangs gemildert. Im suchenden Kreisen des Stiftes und den Markierung der Kreuzungspunkte der Linien mit einem Tuschepinsel, ziehe ich mich leichten Herzens in mich selbst zurück. Die Lichterscheinungen von außen scheinen abgeschaltet zu sein und der Rückzug hält über den Vorgang des Kreisens und Punktens hinaus an. Mein Impuls, raus zu gehen, ist gehemmt.

In mir forsche ich nach den Gründen meiner Sprache der Gewalt. All die stummen Verwünschungen schaffen sich im Kreisen des Stiftes Raum. Wenn ich nach oben in den Regen schaue, reiße ich die Augen auf, versuche, nicht zu blinzeln, um den Blick rein zu waschen. Über meinem Kopf hängt eine Schelle, in der der silberne Klang wohnt, der alles beschreibt.

Erinnerungsbibliotheken

Am Morgen stand ich mit dem Rücken zu einer Mauer im Bethmannpark und wartete auf die Sonne, die ich über einem der Dachfirste erwartete. Die Wärme des Lichtes war noch klein, aber sie erfüllte mich kurz mit einer Ahnung.

Auf dem Zeichentisch arbeitete ich an einer größeren Variante des Sohn – Vater – Fragmentes. Ich baute mir eine stabilere Konstruktion für eine Rückprojektion des Rastermotives. Die Zwischenräume will ich nun mit den Gravitationsschwüngen aus meiner emotionalen Erinnerungsbibliothek beleben.

Ich sehe und spreche wenige Menschen. Das begünstigt die Konzentration auf die vergangenen Schlachtfelder der Sprache und anderer Gewalten.

Mein Geruchssinn hat sich in den letzten Wochen verfeinert. Damit setzen nun auch vermehrt reichhaltigere Erinnerungen ein, die bislang verschlüsselt, nur zu Empfindungen werden konnten. Jetzt kann es mir gelingen, sie in Gravitationsschwünge oder andere Strukturen zu übersetzen, mit denen ich die Portraitfragmente vervollständigen will.

Mein Vater hat alle Super 8  Filme aus den Sechziger- und Siebzigerjahren mit dem Projektor zusammen verpackt. Ich muss das nur noch abholen.

Näher heran

An diesem Morgen im Atelier denke ich zunächst an die Abbildungen ungestümer Malereivorgänge und ihre Entstehung in den Büchern. Die Arbeit greift im Fall der Buchmalerei direkt auf meinen inneren Zustand zu, bedient sich der Bruchstücke gegenwärtiger Gefühle und entwickelt sich aus der weiteren Nutzung der Veränderungen des gerade Gefundenen, was wieder neue Stimmungen auslöst usw.

Mit fünf Farben kreiste ich gestern über drei Wassertropfen, die ich aufs Papier setzte. Beim Verwischen mit dem Handballen ließ ich dann Teile dieser kreisenden Figuren stehen. Diese Vorgänge greifen auf die Bibliothek meiner gestapelten Empfindungen zu. Gleichzeitig werden die entstandenen Bilder auf ihre Tauglichkeit überprüft, mich in diesem Moment weiter zu bringen. Was das auch immer heißen mag.

Emotionsgeladenes Handwerk und Erinnern drehen sich beispielsweise um die fragmentierten Rasterportraits und lassen die Sprache der Gewalt auferstehen. Die Vervollständigung der Portraitfragmente kann jetzt durch die nähere Betrachtung der Figuren vorangetrieben werden, die sich aus der Ferne zu den verschiedenen Portraits ineinander zusammensetzen. Das Spiel der Blickentfernungen auf Geschichte und Zeichnungen regt zu neuen Arbeitssvorgängen an. Probieren, verwerfen, aufheben und wieder verwenden der neu entdeckten Figuren und Erinnerungsbilder. Dann noch näher heran…

Close, Glass, Serra, Forsythe

Kleine Atelierzeit am Sonntag. Die Buchmalereien erinnern sich und mich, mutieren, berappeln und verpuppen sich wieder. Wie senkrecht gestaffelte Gesträuche stehen manchmal die Abdrucklinien des rechten Handballens in den Landschaften.

Ich denke an Chuck Close, der mit Fingerabdrücken ein Portrait von Philipp Glass angefertigt hat. Erinnere mich an Philipp Glass, der mir von seiner Assistenz bei Richard Serra erzählt hat, als ich ihm einen Stapel von Kopien der Zeichnungen in die Hand gedrückt habe, die ich zu seinem Klavierkonzert gemacht habe. Mir geht die Videoarbeit von Richard Serra durch den Kopf, die der Forsytheausstellung im MMK zugeordnet wurde…

Wieder glaube ich, dass ich die letzten Portraits der „Männerteufel“, so nenne ich die Kind -Vater – Großvater – Portraitfragmente, vergrößern sollte. Diesmal werden es Querformate auf denen ich Gravitationsschwünge und Landschaften, Fundstücke und Schrift hinzufügen kann.

Mir geht das szenografische Vorhaben des Museums durch den Kopf. Aktuell dehnen sich die Theaterräume mit den Möglichkeiten der Videoarbeit über die Bühne hinaus und in kleine gebaute Räume hinein aus. Die Welt wird zur Bühne, oft genug beliebig.