Sprache der Gewalt

Die Vertragssprache der Assyrischen Könige, wie sie dann, nachdem sie gestürzt waren, in das Alte Testament übernommen wurden und Gott zugesprochen ein Machtvakuum füllten, springt für mich in die Sechzigerjahre über, in die Zeit des 11. Plenums des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.

Ich war elf Jahre alt. Die Folgen der kulturpolitischen Entscheidungen prägten meine frühesten politischen Erfahrungen. Ein Jahr zuvor noch galten die Beatles als ein Teil des progressiven Musikschaffens der unterdrückten Arbeiterklasse im Mutterland des Kapitalismus. Nach dem Plenum aber waren die Hoffnungen auf eine offenere Gesellschaft dahin. Ostdeutschland schottete sich stärker ab. Zensur, Drangsale, Veröffentlichungsverbote formulierten die Sprache der Gewalt.

Wie erinnere ich?

Ich beschäftigte mich gestern noch mal mit dem Kind- Vaterportrait, zeichnete es größer und vollständiger mit Haaransätzen und den Koordinaten, die den Zusammenhang leichter erkennen lassen.

Bilal beschäftigte sich mit Skulpturprogrammen, um seine Ballettskulptur für den 3d Drucker bauen zu können. Wir wollen probieren das im Museum in einen szenografischen Zusammenhang zu stellen.

Black Star“ von David Bowie höre ich gegen die Echos der Drohungen der Assyrischen Könige gegen die, die ihnen nicht folgen wollten.

Mischgesichter

Kalter, heller Morgen. Die vollen Wasserbehälter im Gärtchen sind vollständig fest durchgefroren. Die Wasserpflanzen werden im Frühjahr wahrscheinlich nicht mehr aufwachen. Natürlich liegt nun auch die Kapuzinerkresse danieder. Nur in einem Topf, treibt sie noch auf dem Atelierregal ihre runden Blätter. Um Ostern werde ich beginnen, die Pflanzen wieder hinauszustellen.

Wie übrig gebliebene Schatten schauen mich an diesem Morgen die fragmentierten Rasterportraits an. Als hätte ein Blitz ihre Umgebung ausgeblichen, blieben nur die fragmentierten, gespenstischen Mischgesichter, die ihrer selbst nicht sicher aus der Vergangenheit heraufschauen.

Kind-Vaterportrait und Vater-Großvaterportrait sind entstanden. Ersteres habe ich noch mal verkleinert mit Gravitationsschwüngen gezeichnet und Punkte auf ihre Kreuzungen gesetzt. Ein wenig Konfetti, das den schmerzlichen Vorgang erträglicher machen soll.

Immer, wenn ich eines dieser kleinen Formate fertig gezeichnet hatte, überfiel mich eine abgründige Müdigkeit. Der Prozess, den ich lang verweigert hatte, verlagert sich nun durch die Leichtigkeit der Materialien in eine Sphäre außerhalb von mir, bleibt transparent und kann mit anderen kombiniert und entschärft werden.

Gespenster | Fluchtraum

Noah sandte uns eine Ornamentzeichnung. Ich antwortete mit einer Buchmalerei.

Bilal könnte seine Tanzfigur im Museum zeigen und vielleicht dazu ein größeres Objekt bauen. Ist aber noch nicht ganz geklärt.

Die Gespenster, die mich anschauen, stammen aus den Kindheiten meiner Generation. Die Bruchstücke der alten Empfindungen tauchen in den fragmentierten Rasterportraits auf. Die erste Erinnerung widmet sich dem Verwinden von Ungerechtigkeiten, Gewalt und der Fluchtgedanken. Später wurde das Wirklichkeit – eine Genugtuung.

Schutzraum und Gefängnis treten zusammen auf. Kinderheim und Jugendwerkhof sind überspannt vom Himmel, dem einzigen Fluchtraum. Hinauf in die Berge, um sich in den Wolken zu verbergen, oder über ihnen zu den Sternen zu fliehen, in den Schlaf.

Jetzt führen mich die Gespensterportraits aus den Rasterüberlagerungen dahin, wo ich mit ihnen Möglichkeiten finden kann, gegenwärtige Emotionen, die mit Biografie zutun haben, zeichnerisch zu zeigen. Die Schnittmengen der Rasterpunkte landen auf kleinen Formaten, informieren mich nur über den Fortgang der Beschäftigungen mit den Vätern, nicht wissend, wohin das führen soll.

Männerteufel

Vom gerasterten Portrait meines Großvaters fällt ein gespenstischer Blick auf mich. Sein Gegenüber am Tisch ist, wie mir mein Vater erklärte, sein Bruder. Gemeinsam wollten sie nach Amerika auswandern. Was daraus geworden ist, weiß niemand.

Genauso unheimlich sind die Rasterüberlagerungen der verschiedenen anderen Männergesichter. Die Fragmente werden zur Quintessenz der vererbten Charaktere. Männerteufel.

Die Abendteuer- und Reiselust der jungen Männer in allen Generationen, hat sich offensichtlich vererbt. Sie wollten unabhängig und frei durch die Welt ziehen, und manche setzen das auch durch. An dieser Stelle treffen sich Vinzenz und sein Urgroßvater.

Diese Freiheit hat auch schnell mit der Kunst zutun, die als Vehikel gelten kann, sie durchzusetzen. Ist man der Kunst zugehörig, scheint es leichter, frei zu werden, weil man es täglich trainieren muss.

Im Museum besprachen wir die nächsten Projekte und planten vage bis zum Jahresende. Darüber müssen wir noch weiter reden und konkretere Ziele setzen. Schritt für Schritt.

Portraitüberlagerungen

Der Blick auf die Buchmalereien der letzten Tage zeigt mir, die emotionale Seite der Beschäftigung mit dem Thema „Biografie“. Vielleicht ist das Ganze auch erst vollständig, wenn ich diese Arbeiten mit in die Reihen von Portraits und Fragmentierungen einbringe. Auf alle Fälle, wäre das eine weitere Schicht, die mir schon während der Performance von Meg Stuart durch den Kopf ging.

Auf einem kleinen Bildschirm laufen etwa tausend Collagen der letzten drei Jahre Arbeitstagebucharbeit. Die unterschiedlichen Phasen der Arbeit laufen in dieser Weise immer wieder an meinen Augen vorbei und erinnern mich an meine anderen Möglichkeiten.

Die Portraitüberlagerungen der Gesichter meines Vaters und von mir als Kind, die ich gestern fertig zeichnete, scannte ich, um sie nacharbeiten zu können. Verschiedene Dunkelheiten und Kontraststufen, lassen unterschiedliche Wirkungen zu. In jedem Fall aber fragmentieren sich beide Schichten gegenseitig, wie man es oben in der Collage sehen kann. Nun begann ich diese Motive mit verdünnter Tusche auf Schelllackgrund zu zeichnen.

Besuch bei Franz. Zwei weitere Künstler waren da und bildeten eine freundliche und fragile Gesprächsrunde.

Super 8

Gestern habe ich erfahren, dass es noch die Super 8 Filme gibt, die mein Vater aufgenommen und geschnitten hat. Das Material interessiert mich wegen der Biografiearbeit. Auch der alte Projektor ist noch da. Vielleicht kann ich diese Bilder auf irgendeine Weise mit einbinden.

Noch mal Tanz gestern. Aber diesmal wieder im Museum für Moderne Kunst innerhalb der choreografischen Objekte von Forsythe. Die Führung, zu der man sich anmelden musste, wurde wieder von einem der Tänzer gemacht, einem langjährigen Mitglied des Ensembles. Im vergangenen Jahr haben wir schon mal an einer solchen Führung mit einem jüngeren Mitglied der ehemaligen Forsythe Company teilgenommen. Beide Blickwinkel auf die Ausstellung waren sehr verschieden. Das unterstrich noch einmal, wie sehr das Ensemble von der Unterschiedlichkeit seiner Mitglieder lebte. Es ist etwas Besonderes zu erleben, wie sehr diese Menschen nach wie vor dem Bewegungkosmos des Forsythewerkes folgen und ihn verinnerlicht haben.

Auch auf die Besucher der Ausstellung geht das Formenvokabular abgeschwächter über, indem sie sich innerhalb der Installationen bewegen.

In einem Traum betreute ich ein Kind aus einer fremden Familie. Gleichzeitig geriet ich in den chaotischen Umzug eines Museums, währenddessen ich einen Gewehrschaft mit Einlegearbeiten durch das Labyrinth einer Stadt trug, die Gotha und Brügge ähnelte.

„Hunter“

Der erste Schnee, etwas Frost und Sonnenschein jetzt um die Mittagszeit. Wie immer an den Wochenenden führe ich hier im Atelier nur die täglichen Aufzeichnungen fort, damit der Faden nicht abreißt.

Vorgestern zeichnete ich vorsichtig mit einem harten Bleistift mein Rasterportrait und das meines Vaters übereinander. Ich im Alter von 6, er im Alter von 16. In den Schichten der zwei Gesichter finde ich mich schon ganz gut zurecht. Die Steigerung wäre nun, auch noch das Gesicht meines Großvaters hinzuzufügen. Aber all das eilt nicht, kann nun langsam wachsen, denn ich habe Zeit.

Im Zusammenhang mit autobiografischer Arbeit stand auch der gestrige Performanceabend von Meg Stuart im Mousonturm mit dem Titel „Hunter“. Bei der Suche nach Erfahrungen ihres Lebens wird sie in ihrem Körper fündig. Diese Erinnerungen stülpt sie wieder nach außen und erstellt somit Erinnerungsportraits, deren Aneinanderreihung eine Empfindung davon vermittelt, wie sie sich im Verlauf ihres Lebens gefühlt hat.

Ich konnte dabei lernen, welche emotionalen Erinnerungsgestalten noch auf ihre Erweckung warten, um mein autobiografisches Material zu vervollständigen.

Das war eine Soloperformance, die mich keine Sekunde gelangweilt und weitergebracht hat.

Wasser,Wachs, Draht, Video

Es entstehen bemerkenswerte Wachsfiguren, deren Herstellung Joana übernommen hat. in längeren Experimentreihen fand sie Technologien, die nun zu erstaunlichen Ergebnissen führen. Die letzten Architekturen, sehen aus wie die Bauten von Bakterienkulturen einer fernen Galaxie. Die Formungen entstehen durch die Gegensätze von flüssigem Wachs und kaltem Wasser. Damit lässt sich noch weiter experimentieren. Die bisherigen Ergebnisse begeistern uns jedenfalls alle sehr.

Bilal hat mit der Skulptur „Complex-Operations-3-Dropping Curves“ begonnen. Er bog einen Draht, der in einem unserer Holzwürfel den Anfang einer Spirale beschreibt. Die Figur fand er in den „Improvisation Technologies“ von Bill Forsythe. Zunächst tanzte er die Figur nach, um dann die Bögen, die sie beschreibt zu biegen. Tanz und Architektur beginnen nun zusammen zu wachsen. Mit den 3d Programmen werden wir den Prozess noch weiter unterstützen können.

Noah hat ein Videowerkzeug auf seinem Smartphone installiert, mit dem er unsere Dokumentation in abstrahierenden Stilen erstellen kann. Er muss nur dranbleiben. Und wir müssen eine Möglichkeit finden, das zu präsentieren.

Im Schauspiel Frankfurt sahen wir eine Dramatisierung von „Schuld und Sühne“ von Dostojewski. Mit den Formen von dokumentarischem Theater und den Dramatisierungen bekannter literarischer oder filmischer Stoffe, entfernen sich die Theatermacher vom dramatischen Schreiben der Gegenwartsautoren. Sie stellen ihre eigene kreative Schöpferkraft konsequent in den Mittelpunkt. Das entspricht der Eigenverliebtheit dieser Generation.

Gescheitert

Dass die Techniken, mit denen ich die kleineren Blätter bisher bearbeitet habe, nicht direkt auf größere Formate übertragbar sind, war eigentlich klar. Dennoch bin ich überrascht, dass ich genau diesen Fehler nicht vermeiden konnte und so mit dem ersten Versuch gescheitert bin. Es lässt sich nun nur abwarten, wie mir das Blatt, an dem ich zwei Tage gearbeitet habe, in einiger Zeit vorkommt, ob ich es später mit neuem Schwung retten kann. Zunächst aber ziehe ich mich wieder etwas zurück, rolle das Blatt zusammen und widme mich einem anderen Thema innerhalb der „Biografie“.

Eine ganze Zeit hing eine zarte Bleistiftzeichnung im Raum, die bei längerem und näherem Hinsehen immer stärker wurde. Es handelt sich um zwei übereinander gezeichnete Portraits. Gerne würde ich erst einmal diesem Ansatz weiter folgen, um dann damit vielleicht auf ein größeres Format zu wechseln. Diese Zeichnungsstrukturen lassen sich für ein größeres Blatt einfacher gefügig machen. Mit den Frottagen im größeren Format bin ich zunächst gescheitert.

Bei den Buchmalereien tritt die Dominanz der Verwischungen langsam zurück. Konkrete Formen werden wichtiger, so wie klare Erinnerungen, oder die scharfen Bilder, die man von ihnen im Kopf hat.

Kunstschule heute – dafür möchte ich was einfacheres Kochen, damit wir mehr Zeit zum Arbeiten haben.

Vergrößerung

Am Vormittag bin ich mit viel Schwung aus dem Klang des Außen, wie ich ihn durch die offenen Fenster hineinwehen hörte, an ein größeres Format im Atelier gegangen. Das etwa zweiundsiebzig Zentimeter breit liegende, etwas stärkere Transparentpapier schnitt ich auf einen Meter Länge. Per Rückprojektion zeichnete ich das jugendliche Portrait meines Vaters darauf. Dazu stellte ich eine Linie aus der 35. Zeichnung vom 19.06. 1997, die quer nun über die Stirnpartie verläuft. Die weitere Arbeit verlief nach dem Muster der vorangegangenen Blätter. Das derzeitige Stadium zeigt nun eine Variante des Themas, die noch unbefriedigend erscheint und deswegen auf eine Weiterarbeit daran wartet.

Die Vergrößerung der gefundenen Arbeitsschritte gelingt kaum 1:1. Bei der Vervollständigung muss ich mir also etwas Neues einfallen lassen. Vielleicht kann ich die Frottagen in mehreren Schichten mit unterschiedlichen Materialien auftragen und die Tuschesegmente von der Rückseite her noch mal verstärken. Eine längere, ruhige Beschäftigung damit wäre mir angenehm.

In der Schirn sahen wir eine Reihe von neuen Bildern des Malers Daniel Richter, der die Reihe „Hello, I Love You“ nannte. Kompositionell sicher stellt er die flächigen Elemente routiniert in die gleichen, serienhaften Formate. Das kommt bunt, groß und laut daher, geht mir nicht unter die Haut. Wir blieben etwas über eine halbe Stunde inmitten der vielleicht fünfundzwanzig Bilder. Aber hinter dem Marktschreierischen interessierte mich der Schritt von der Körperlichkeit zur Abstraktion.

Klang des Außen

Die Auflösung der Rasterportraits durch die Einbeziehung von Strukturen wie die Synaptischen Kartierung oder die Freistellung und Überlagerung älterer Zeichnungslinien, spendet der Arbeit eine neue Atmosphäre. Die Abwendung vom Gegenstand schafft durch seine Abwesenheit die Existenz einer neuen Realität. Das Abstrakte wird real.

Die Existenz der Synaptischen Kartierung auf dem Blatt auf das ich das Rasterportrait meines siebzehnjährigen Vaters zeichnen werde, gibt die Grenze vor, bis zu der ich die Rasterpunkte ausfüllen will. Eine klare Linie, die nirgendwo anders auf dem Blatt gezogen werden kann. Ein natürlicher Vorgang der Fragmentierung.

Ein Äquivalent zu dem Gefühl, dass da etwas geschieht, das seine natürliche Richtigkeit hat, finde ich in dem Zitat einer Aussage von Bob Dylan in Erinnerung an die Produktion des Albums „Highway 61“:

Es ist der Klang der Straße mit den Sonnenstrahlen, wenn die Sonne zu einer bestimmten Zeit auf eine bestimmte Gebäudeform scheint. Ein bestimmter Typ Mensch läuft auf einer bestimmten Art von Straße entlang. Es ist der Klang des Außen, wie du ihn durch die offenen Fenster hereinwehen hörst.“

In dieser Weise zerfallen die Rasterstrukturen, Frottagen, Linien und Verwischungen und bilden eine neue Form.

Spur der Väter

Auf den Spuren der Väter blieb ich gestern an der Textzeile hängen, die sagt, dass wir Helden sein können für nur einen Tag. Ich zeichnete das Portrait meines Vaters im Alter von 16 Jahren von der Fotografie inmitten der Lehrlinge, die vorhatten Zimmerleute zu werden. Quer über sein Gesicht verlief die freigestellte Linie der 65. Zeichnung der Serie „Medea Stimmen“, die dann wie auch vieles der Tuschezeichnung von der folgenden Synaptischen Kartierung wieder verwischt wurde.

In diesen komplizierten Arbeitsschritten werden die konkreten Dinge immer wieder zugunsten eines fragmentierenden Zweifels ins Vage versetzt. Zu vieles verflechtet sich zu einem dichten Netz, als dass es klare Aussagen geben könnte.

Als zweite Zeichnung entstand mein Kinderportrait mit einer Linie aus der 35. Medeazeichnung vom 19.06. 1997. Mir scheint es nun logisch, die drei Portraits der Männer der drei Generationen übereinander zu legen. Vielleicht finde ich Bilder in ähnlichen Lebensaltern.

Die Förster wissen, dass die Waldböden trotz der wochenlangen Regenfälle noch nicht genügend durchtränkt sind, dass der Grundwasserspiegel das gewohnte Niveau noch nicht erreicht hat.

Fingers are crossed

An diesem Morgen sehen die neuen Videos von David Bowie gespenstischer aus, als sie bei ihrem Erscheinen gewirkt haben müssen. Sein Tod heute rückt dies alles in ein anderes Licht.

Das Surrealistische wirkt real.

Lange hat mich sein Werk begleitet. Das etwas nostalgische Album „The Next Day“ war mir wegen seiner Berlinbezüge nahe. Hab ich oft gehört: „Fingers are crossed, just in case“, ein Handlung aus einem Gefühl, das ich auch immer noch habe, wenn ich die ehemalige Grenze überquere. Dass seine neue Platte vor drei Tagen, zu seinem neunundsechzigsten Geburtstag erschienen ist, mutet wie eine letzte Inszenierung an. Die Musik ist mit Jazzelementen verbunden und wird sicherlich als sein Vermächtnis gedeutet.

Man kann nun nur zu seiner Arbeit zurückkehren und weitermachen.

In einer Ausstellung des Archäologischen Museums sind mir wieder Felsgravuren über den Weg gelaufen. Sie erzählen von Jagdpraktiken und Bärenkult im Schamanismus animistischer Nordvölker. Von Gletschern glatt geschliffene Felsen oder plane Flächen von Felsabbrüchen ziehen solche Abbildungen oft nach sich. Es handelt sich meist um die Aufzeichnungen von gelebten Weltbildern nomadisierender Völker.

Routine

Im Atelier ein sonniger Sonntagmorgen. Die vorvergangene Nacht, als die Temperatur auf um die Null sank, hat die Kapuzinerkresse im Gärtchen vor der Tür gerade so überlebt. Die Blätter stellten sich senkrecht auf, um auf irgendeine Art dem drohenden Frost zu widerstehen. Nun wenden sich wieder dem Licht zu. In der nächsten Zeit aber, werden sie im Frost in sich zusammenfallen. Dann bleibt nur, auf das nächste Frühjahr zu warten, wenn die Samen neu aufgehen.

Nach wie vor interessieren mich die kleinen Transparentpapierblätter mit den Frottagen, Rasterpunkten und den alten durchgezeichneten Zeichnungsfragmenten. Im Umgang mit diesen Elementen entwickelt sich langsam eine gefährliche Routine. Dagegen hilft, sich mit neuen Techniken um diese Motive zu bemühen.

Durch ein Glas mit stark verdünnter Tusche, das auf dem Zeichentisch steht, hat sich die Farbigkeit der aktuellen Buchmalereien verändert, weil ich die Aquarellstiftzeichnungen mit diesem eingefärbten Wasser verwische.

Am Morgen dachte ich darüber nach, die Rastermotive in Reliefs umzusetzen. Die Punkte würden als Vertiefungen erscheinen und erst bei Streiflicht voll sichtbar werden.

Schritt nach außen

Mit Klammern an einem Regalbrett befestigt, hängen meine Radierung „Selbst mit Medea“ und das Rasterportrait meines fünfzehnjährigen Vaters nebeneinander. Zwei etwas über dreißigjährige Abschnitte bis heute. 1951, 1983 und 2016.

Die Abformung des Kreuzstabträgerreliefs, die schon weiß grundiert war, habe ich nun mit meinem Kinderrasterportrait übermalt. Die Linien des Reliefs habe ich dabei freigelassen. Um ein Gleichgewicht zwischen den Rasterpunkten und den vertieften Linien hinzubekommen, hatte ich Stück für Stück den ganzen Nachmittag zutun.

Nun steht es im augenblicklichen Zustand in einem meiner Fenster, damit ich es aus großer Ferne betrachten kann. Im Abstand von fünfzig Metern stellt sich ein vages Portrait her, das sich im Näherkommen langsam auflöst. Das liegt an den Relieflinien, die dann langsam in den Vordergrund treten und die Gegenständlichkeit immer mehr beeinträchtigen.

Soweit ist erstmal alles gut. Aber spätestens am Montag will ich die vertieften Relieflinien auf den hellen Flächen auch eindunkeln, sodass sie auch aus der Ferne gegen die Rasterpunkte eine Chance haben. Somit bewegt sich die Arbeit langsam aus dem Atelierraum heraus, um schon eine Wirksamkeit zu probieren, die mir jetzt noch nicht ganz klar ist. Ein selbstverständlicher Schritt nach außen.

Neue Verbindungen

Neuerlich tauchen wieder vermehrt Dreiecksgitterkonstruktionen in meinen täglichen Buchmalereien auf. Sie sind räumlicher, mit sich kreuzenden Linien gezeichnet und sehen aus wie die Schatten meiner geschweißten Gitterobjekte. Die Zeichnungen reflektieren das Nachdenken über die Konstruktionen, die ich für das Biografieprojekt geplant habe. Gerade stellt sich eine Gedanke ein, der sich in der Nacht mit der Verbindung von Rasterportraits und Dreiecksreliefs beschäftigte. Was passiert, wenn ich ein Rasterportrait auf ein abgeformtes Reliefdreieck projiziere? Gleich könnte ich beginnen, das auszuprobieren, denn Reliefs sind genügend vorhanden.

Ein weiterer Schritt wären Ornamente, die sich in Reliefs aus den Wanderungslinien einzelner Migranten zusammensetzen, über die man dann ihre Rasterportraits legen kann. Etwas simpel vielleicht, illustrativ, ausgedacht. Dazu gehört noch eine Portion Ungewissheit mit Zufällen und handwerkliche Entdeckungen.

Die sechs hochformatigen Rechtecke, in die ich gestern mein Kinderportrait geteilt zeichnete, hängen jetzt in den Scheiben meiner Oberlichter. Von außen wirken sie besonders gut aus der Entfernung, wenn die Sonne untergegangen ist und sie von hinten beleuchtet sind. Jetzt aber steigt die Sonne über die Dächer und stellt die umgekehrte Situation her.

Penthesilea

Michael Thalheimer hat aus Kleists „Penthesilea“ am Schauspiel Frankfurt ein Dreipersonenstück gemacht. Diese Konzentration geht auf, weil er in Constanze Becker eine hervorragende Hauptdarstellerin hat, weil das Bühnenbild mit seiner nach hinten perspektivisch spitz zulaufenden extremen Bühnenschräge Dreieckskonstellationen möglich macht, die punktuell genau ausgeleuchtet, zu dramatisch zugespitzten Konstellationen in Bildern führt. Penthesilea wird in vielen Facetten ihrer Widersprüchlichkeit gezeigt, wodurch sie eine Spannung aufbaut, die weit in den Zuschauerraum hineinwirken kann. Am oberen Ende der Rampe hockt am Anfang halbnackt und blutverschmiert die Hauptfigur, wie ein mythologisches Echo matriarchalischer Gesellschaften.

Auf dem Zeichentisch liegt meine Kaltnadelradierung „Selbst mit Medea“ aus dem Jahr 1983. Ich beschäftigte mich damals mit den starken Frauenfiguren der Antike – Medea, Kassandra und Penthesilea.

Nach langem Anlauf begann ich nun mit der Vergrößerung meines Kinderportraits. Zunächst zeichnete ich die Rasterumrisse mit Bleistift auf sechs rechteckige Hochformate, die ich aus stärkerem Transparentpapier geschnitten habe. Dafür richtete ich die Projektion so darauf aus, dass sie alle sechs Rechtecke ausfüllt. Sie passen genau in die Scheiben meiner Oberlichter. So werde ich das Motiv bald aus großer Entfernung von draußen aus sehen können.

Gruppenfoto

Aus dem Gruppenfoto der Zimmermannslehrlinge von 1951 habe ich das Portrait meines Vaters herausgelöst, stark vergrößert und gerastert. Durch fehlende Druckertinte kam es beim Ausdruck auf A4 zu weißen Querlinien, die bei näherer Betrachtung wie ein Barcode aussehen. Und bei genauerem Hinsehen, entpuppt sich die Baskenmütze als eine ausladende Haartolle des Sechzehnjährigen. Mit den Ausbildern zusammen, sind dreiundzwanzig Personen abgebildet. Sie stehen auf einer Freifläche mit einem Schotter- oder Kiesboden, auf dem hinter ihnen, wie Gleise ausgerichtet, lange Balken liegen. Die Bäume weit hinten, am Rand der Fläche sind unbelaubt. Die jungen Männer waren am Ende des zweiten Weltkrieges für den regulären Militärdienst zu jung. Sie sind noch einmal davongekommen.

Ihre Kleidung besteht aus spitzkragigen Hemden, gemusterten Pullundern, weiten Hosen und klobigen Sakkos. Der Himmel ist weiß. Entwickelt wurde die Fotografie bei Wego-Foto in der Kurstraße 73, wahrscheinlich in Brandenburg. Die Adresse fand ich auch auf Google Earth.

Die Menschen, die mich aus diesem Bild heraus anschauen, machen einen stabilen Eindruck. Die Gruppe aus dem Jahr 1962, zwischen der ich als Jungpionier stand und mit der ich mich zuvor beschäftigte, schaut eher unsicher, verängstigt und etwas getrieben drein.

Siebzig Meter Abstand

Etwas spät aber entspannt im Atelier. Die Tagebucharbeiten, d.h. Datei und Blog sind zu aktualisieren. Indem ich das auf den neuesten Stand bringe, arbeite ich mich langsam wieder ein.

Kann mich nun wieder der Biografiearbeit zuwenden und dabei meinem Verlangen nach größeren Formaten nachgehen. Gerne würde ich die Rasterportraits in einer Auflösung zeichnen, die erst in einem Abstand von zwanzig Metern erkennen lassen, was hier dargestellt ist. Ich könnte das in den Oberlichtscheiben des Ateliers realisieren, auf die ich aus einem Abstand bis zu siebzig Metern schauen kann. In diesen groben Auflösungen kann auch eine Chance für die kleineren Formate liegen,

Schon vor etwa sechsunddreißig Jahren habe ich versucht mit einem Holzschnittraster etwas zu entwickeln, das ich als erzählerische Methode bei Christa Wolf entdeckt hatte. Dabei ging es um nicht linear erzählte Geschichten. Ich wollte eine Serie von Holzschnitten anfertigen, die alle einzeln ihre Motive haben und zu einer Bildergeschichte gehören, aber zusammengesetzt ein größeres zusammenhängendes Bild zeigen. Es wäre nun sicher möglich, ein großes Rasterportrait aus verschiedenen Blättern zusammenzusetzen, die in sich eigene Verbindungen zu anderen kleineren Zeichnungen besitzen.

Außerdem kann sich das auch mit den Dreiecksgitterarchitekturen fürs Museum verbinden…

Dieselaggregate | Blutrausch | Eno

Die Dieselaggregate der großen Netzknoten in der nächsten Nachbarschaft laufen beruhigend gleichmäßig. Manchmal treten in den Schichten der tiefen Tonrhythmen Interferenzen auf, die mich an meine Überlagerungssequenzen auf den Transparentpapierrollen erinnern und an die beharrliche Arbeit an diesen unveräußerlichen Konvoluten. Die Unveräußerlichkeit schaffte eine Unabhängigkeit.

In einem Blutrausch tötete ich gestern fast alle Winterfliegen mit sicherem Killerinstinkt, die aus meinen Pflanztöpfen krochen und mir auf die Nerven gingen. Manche Jahre ließ ich die eine, die sich in mein Atelier gerettet hatte, in Ruhe überwintern. Woher kommt diese Vermehrung?

Im Museum für Angewandte Kunst sahen wir gestern eine Ausstellung von Lichtobjekten von Brian Eno. Er kombinierte die Bilder mit sparsamer Musik, ohne die die ganze Installation nicht funktioniert hätte. In Lichtkästen waren Linien angeordnet, die Grenzen zu verschiedenen Farbfeldern markierten. Diese Flächen veränderten ihre Farben sehr langsam und nuancenreich. Auf großen Sitzkissen konnte man diesem Geschehen folgen, hören und sich darin entspannen.

Zwei Etagen weiter oben, wo es um das Verbergen ging, kam der Kurator schon eher zur Sache, d. h. kam schneller auf den Punkt. Gegenstände und ihre wahren oder gemutmaßten Geschichten waren zu einer schönen Schau geordnet.

Genauere Betrachtung

Endlich wieder im Atelier. Schon träumte ich davon in der Nacht, wieder hier zu sein, um die skulpturale Arbeit fortsetzen zu können.

Gestern war ich nur kurz hier, um die Pflanzen zu wässern, die sich mit großen Blättern dem spärlichen Licht entgegenstrecken. Schon da sahen mich die Blätter mit ihren Selbstportraitaugen an, die durchbrochen werden von freigestellten Linien der vielen verschiedenen Zeichnungen der Vergangenheit.

Zunächst aber verändern sich wieder kontinuierlich die Miniaturmalereien in dem aktuellen Aufzeichnungsbuch. Frottagen, Umrisslinien und Schleifenschwünge treffen sich auf den zwei Seiten, die jeweils für einen Tag reserviert sind. Vielleicht könnte ich auch schon diese Linien in die Rasterportraits mit einfügen.

Für die Biografiearbeit ist nun wieder neues Material im Atelier neben mir auf dem Bücherregal aufgestellt. Es gibt da eine Fotografie meines Vaters in einer Gruppe von jungen Männern, die zu Zimmerleuten ausgebildet werden. Er trägt eine Baskenmütze schräg auf seiner Frisur. Der einzige mit einer Kopfbedeckung, in einer Künstlerpose. Seht, ich bin eigentlich ein Holzbildhauer. Das ist ein neuer Aspekt, der genauere Betrachtung benötigt.

Dünne Tinte

Für diesen Jahreswechsel habe ich mir die Tinte zu stark verdünnt. Eigentlich mache ich das nur, damit die Schrift nicht hinter den Zeichnungen von der anderen Seite her durchschlägt, was das Scannen etwas schwieriger macht.

Ich frage mich in diesem Zusammenhang, wie lange diese Schrift, die ich gerade schreibe und die in den hundert anderen Büchern, lesbar bleiben wird. Wann wird man verlernt haben, sie zu entziffern?

Die Reihe von Selbstportraits werde ich fortsetzen. Immer mal beschleicht mich ein ungutes Gefühl, was diese ganzen Arten von Selbstdarstellung betreffen. Aber aus ihnen hoffe ich mehr zu erfahren, wie ich mich im Verlauf der Zeit verändere.

Oh Fortuna

Das Rad der Fortuna rhythmisierte die letzte Nacht des Jahres. Und jetzt am ersten Morgen des neuen geht es unaufhörlich seinem Kreis in Fließrichtung des Baches. Ab und zu leuchtet die Sonne durch die Nebel, als wolle sie zu einem Neujahrsspaziergang verleiten.

Zwischen den schrägen, aus Brettern getischlerten Holzkanälen der alten Mühle, stehe ich manchmal etwas unsicher auf meinen Beinen. Die vielen Diagonalen drängen den verlässlichen waagerechten Horizont in eine ungewisse Ferne. Der Raum strahlt Betriebsamkeit aus, ja Unruhe.

Nachhausekommen

Die gestellte Fotografie meines Großvaters mit seinem Gegenüber, bündelt viel Energie in den Blicken auf die Linse der Kamera. Die längere Belichtungszeit machte eine gewisse Konzentration auf das Stillhalten notwendig. Um spärliche Spalierleisten ist papierenes Weinlaub gerankt. Auf dem Tisch fremde Gläser mit keinem landesüblichen Inhalt – Berliner Weiße in Grinzing?

Direkt vor dem Fenster, durch das ich schaue, dreht sich das Mühlrad der Kaisermühle. Ein Rückzug in die Stille, Flucht vorm Geknalle der Stadtmenschen, die ihre bösen Geister durch Lautstärke loswerden wollen. Das Wasser, das auf die Lamellen fließt, erzeugt ziemlich genau den vorantreibenden Rhythmus von „Oh Fortuna“ aus der „Carmina Burana“ von Carl Orff.

Ich denke an einige Anwesen wie dieses, die ich öfter besuchte und die bei wiederholtem Besuch, in unterschiedlicher Intensität, das Gefühl eines Nachhausekommens zu erzeugen in der Lage waren. Das gilt für Warften auf Nordseeinseln oder für Bergbauernhöfe in Südtirol. Wesentlich trug aber immer ein Familienkontakt dazu bei, der in der Regel mit den Wirtsleuten geknüpft wurde.

Hier im Pfälzerwald kann man nett unterwegs sein. Felsen, Ruinen oder Aussichtstürme sind die Wanderziele, deren Wege von den Gasthütten mit großen Weinschorlen und deftigem Essen gesäumt sind.

Kurze Zeitspanne

Es ist, als sei zwischen dem vorletzten Tag des vergangenen Jahres und dem heutigen nur eine kleine Zeitspanne verstrichen.

Jetzt schaue ich auf die kahlen Bäume der Frankenallee. Wo früher die Horizontlinie des Taunus hindurchschimmerte, sind nun die oberen Geschosse der Häuser, die sich stufenweise mit ihrer Traufhöhe zu denen auf der Idsteiner Straße senken, zu sehen. Diese Abstufungen sind Ergebnis unserer Anträge einer Bürgerinitiative zur Ergänzung des Bebauungsplanes des neuen benachbarten Viertels vor fünfzehn Jahren. Ein quälender, basisdemokratischer Prozess war das. Es hat sich aber gelohnt, weil noch viele andere Eckdaten, die wir durchgesetzt haben, das Zusammenwachsen des alten und neuen Stadtteiles nun begünstigen.

Ein weiteres Foto, das ich gestern aus Haina mitgebracht habe, zeigt mich, neben einer Picknicktischdecke im Gras auf einer Waldlichtung liegend. Nach meinem Alter und Aussehen zu schätzen, war das während eines Urlaubs von meiner Militärzeit. In der rechten Hand halte ich ein Glas und schaue im selben Winkel in die Linse, wie mein Großvater auf dem älteren Bild. Ich glaube sogar eine Ähnlichkeit zu erkennen.

Der Großvater

Die Sonne durchdrang schöne Nebellandschaften auf einer widerspenstigen Fahrt nach Thüringen. Auf der Rückfahrt Dunkelheit, hohe Geschwindigkeiten um mich herum, blendende Scheinwerfer, Lärm, Jagd, Lebensgefahr.

Gestern ließ ich hier Im Atelier los, arbeitete nur am Arbeitstagebuch und am Blog.

Heute bin ich erst am Abend hier. Auf dem dreieckigen kleinen Tisch liegt eine Fotografie meines Großvaters väterlicherseits. Der leibliche Vater meines Vaters. Das Bild ist bei einem Fotografen aufgenommen. Zwei Männer sitzen sich an einem Gasthaustisch gegenüber. Sie tragen große grobe Anzüge und haben sonnenverbrannte Gesichter.

Der Mann war unterwegs und ward nie wieder gesehen. Er zog mit einem Handwagen, auf dem sich ein Modell des Kölner Domes befand, durch die europäischen Länder. Auf den Märkten erzählte er den Menschen der Städte etwas über das deutsche Bauwerk.

Hinter dem Tisch hängt auf der Fotografie ein Prospekt des Wienerwaldes und auf einer schrägen einkopierten Banderole steht „Grinzing bleibt Grinzing“. Es lohnt sich, sich etwas genauer mit der Fotografie zu beschäftigen.

Sonntag | Eisenach

Eine Theatervorstellung, die 18 Uhr anfängt, ist nicht wirklich wichtig. Sie ist mit dem abendlichen Ausgehen am Sonntag arrangierbar. Ein Drink nach der Vorstellung Reicht nicht mehr. Es muss opulenter zugehen. Die Vergnügungen werden ausgeweitet, weil das Geld locker sitzt. Die letzten Stunden der Flucht vor dem Arbeitsalltag der neuen Woche werden hysterischer. Dafür braucht man mehr Zeit.

Dabei geht es beim Theaterpublikum sicherlich noch zurückhaltender zu, als bei denen, die sich das ganze Wochenende in einer einzigen Party befinden, die sie aufgeputscht überstehen, ohne dabei an den Montag zu denken. Die eigene Mittelmäßigkeit zu überwinden, ist Grund zum Feiern genug. Die barocken Formen der selbstbezogenen Inszenierungen in den sozialen Netzen befeuern das Ganze.

Ab 18 Uhr sahen wir in den Kammerspielen der Schauspiels Frankfurt das Stück „George Kaplan“ des französischen Dramatikers Frédéric Sonntag in der Regie von Alexander Eisenach. (Erinnerung an einen Sonntag in Eisenach während eines Kurzurlaubes von den Grenztruppen der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Hotel an einem Platz mit hohen alten Bäumen und einem funktionslos gewordenen Stadttor. Ragout Fin und Kadarka zum Abendessen.) Die surrealistische Inszenierung rettete den Text mit Klamauk vor der Peinlichkeit. Sehr nahe Videolaufnahmen schafften die notwendige Ferne zum Inhalt und somit einen vergnüglichen Theaterabend.

Größere Blätter

Im Inneren des Ateliers, hinter den Scheiben der Rolltore, treibt der Dschungel größere Blätter in das wenige Licht der Jahreszeit, die das Geflecht des Wintergartens verdichten. Eine Winterfliege summt zwischendrin herum. Ich zerstäube Wasser, gieße die Erde in den Töpfen, zupfe Unkraut heraus und hätte gerne etwas mehr Zeit für die Pflanzen. Ihre Pflege macht ruhig.

Auf der einen Seite werden die Buchmalereien derzeit durch die Benutzung der großen Graphitstifte wilder und gestischer, soweit man das Wort für so kleine Formate in Anspruch nehmen kann. Mit der Reduzierung der Farbpalette auf zwei Ockertöne, Karmesin, Olivgrün und Indigo, tritt gleichzeitig ein ruhigeres Temperament auf. Dadurch entsteht zwischen den Linien und den Farben eine neue Spannung. Die frottierten Ringe der Muscheln korrespondieren mit den Gravitationsschwüngen, die ich mit den Aquarellstiften zeichne. An den Kreuzungen der Bögen treten manchmal Punkte auf, die sie markieren und betonen. Alle Strukturen werden aber, zumindest teilweise, auch verwischt.

Gestern Abend sah ich vom Grünstreifen der Frankenallee aus mein gerastertes Kinderportrait aus einem Abstand von vielleicht zwanzig Metern im erleuchteten Zimmer hängen. Es sah gestochen scharf aus. Das macht mir nun Mut, wieder mit größeren Blättern zu beginnen, um zu schauen, was in ihnen steckt.

Scharfkantige Ringmuscheln

Wilde Malereien Gestern. Vielleicht kann ich ihnen in den Büchern mehr Platz einräumen. Dafür sollten die Texte schrumpfen, was mir entgegen käme.

Nach den Nebeln und den Regengüssen gestern, ist der Himmel an diesem Morgen klar. Ich könnte den Tisch rausstellen, um neben der Eisentür zu arbeiten, die von den Sonnenstrahlen ganz heiß geworden ist.

Seit einiger Zeit schon arbeite ich auch mit Frottagen in den Büchern. Das bringt in das wabernde Farbwasser etwas mehr Konkretion. Gleichzeitig aber wird das Papier malträtiert. Wenn ich unter die feuchten Seiten scharfkantige Ringmuscheln lege und mit einem festen Graphitstrang darüber schraffiere, stoßen die Reißfestigkeit und Oberflächengeschlossenheit der Bögen an ihre Grenzen. Aber in diesen Grenzbereichen fühle ich mich deshalb wohl, weil in ihnen eine Weiterentwicklung der Ideen möglich ist.

Im Gärtchen wächst und blüht noch die Kapuzinerkresse. Insekten fliegen herum wie in den Subtropen.

Rufe der Eisenbahnsaurier

Neblige Berge, regnerische Autobahnen durch das seltsame Ruhrgebiet. Weihnachtsbesuche in den Landschaften nordwestlich. Etwas benommen sitze ich nun im Atelier und versuche mich zu konzentrieren – nur worauf? Auf mich? Mein brüllendes Kopfgeräuschuniversum? Mein körperlicher Zustand nach sechsunddreißig Stunden Sitzen und Essen und mein geistiger Zustand sind keine beschreibenswerten Gegenstände. Ich sinke auf den einarmigen Bürostuhl, schenke mir einen Weißwein ein und lausche den Rufen der Eisenbahnsaurier in ihrem Gleisdschungel.

Ich habe nicht das Gefühl arbeiten zu müssen, denn es arbeitet. Dieses Neutrum in mir versucht Bewegungen zu kombinieren, die summend unter der Haut ihre Bahnen erhitzen, Gelenke spürbar mit Sehnen verdrehen. Der Puls sitzt hinter den Augen und verbindet sich mit dem Technosoundcheck für eine afrikanische Weihnachtstanzparty in der kommenden lauten Nacht. Die Bässe wandern durch meinen Körper, über Teves West und das Wohngebiet der Lahnstraße.

Nun bin ich nicht mehr auf Gedeih und Verderb diesem Lärm ausgesetzt, sondern kann, wenn ich meine Texte und Buchmalereien gemacht habe, nach Hause gehen.

Dschungel

Am Morgen des Heiligen Abends sitze ich etwas spät an meinem Tagebuch und blicke dabei in meinen Dschungel, den ich nachher noch wässern muss. Es herrscht ein schönes mildes Licht, wie von Goldstaub durchsetzt, dessen Farbe von den Transparentpapieren an den Scheiben herausgefiltert wird.

In der gestrigen Zeichnung, deren vorläufige Gestalt am Vormittag entstanden ist, finden sich die gestern beschriebene Linie aus der Serie von Zeichnungen zu „Medea Stimmen“ und mein Rasterselbstportrait als Kind zusammen. Die Spannung der Zeichnung rührt von verschiedenen Elementen her. Einerseits gibt es die spielerische, leichthin schwingende, freigestellte Linie in dem starren Fotoraster. Und außerdem steht das strenge, kontrastreiche Punktraster im Gegensatz zu dem Inhalt, das es zeigt, nämlich ein weiches, verlegen glühendes Kindergesicht.

Ich werde mich beim weiteren Durchblättern der Zeichnungen nach solchen Linien umschauen, die ich gerne verdichten würde, indem ich sie in andere inhaltliche und zeitliche Zusammenhänge stelle.

Heute kommen mir die Zeichnungen wieder stärker vor, als gestern. Nummer 63 ist beispielsweise eine ziemlich dichte, dynamische Komposition, bei der die aufscheinende Gegenständlichkeit von Figuren und eines Bäumchens auf der linken Seite nicht stören.

Zeitschluchten | neun vage Blätter

Viele Zeichnungen sind gestern entstanden. Oben sieht man ein Rasterportrait über der New York Frottage, deren Linien ich beim Zeichnen des Rasters frei gelassen habe. Zwischen den Schichten tun sich so die Zeitschluchten auf, die sie verbinden. Die gravierten Linien sind Canyons, in denen das Schichtholz die abgelagerten Jahre illustriert.

Aus dem Zyklus der Zeichnungen zu „Medea Stimmen“, suchte ich die allerletzte mit der Nummer 65 heraus. Sie besteht aus nur einer Linie, die sich wie Schrift von links nach rechts bewegt. Dabei umschreibt sie verschiedene Figurationen als Negativ- und Positivform und endet in einem kleinen zackigen Gewusel. Wahrscheinlich ist das die beste Zeichnung, weil ich sie nicht zu Ende bekommen habe. Nun im Atelier verwendete ich die Linie mehrfach, wodurch sie ihr Eigenleben beginnt. Sie tritt aus dem engen Bühnenkasten heraus, vervielfältigt sich zwischen den Frottagen der Jutefäden, führt zu einer Sequenz von Überlagerungen, wie auf den Transparentpapierrollen und entwickelt so das Potential, zwischen den Zeitebenen des Biografieprojektes zu vermitteln.

Beim Sichten der anderen Zeichnungen, musste ich meine Einschätzung von der Eigenständigkeit der Reihe revidieren. Immer, wenn die Motive einen bestimmten Grad der figürlichen Konkretheit überschreiten, schwächen sie, aus meiner jetzigen Perspektive, die Kompositionen. Neun dieser vagen Blätter, mit denen ich weiterarbeiten kann, notierte ich mir. So versuche ich das Material zu verbessern.

Eigenständigkeit

Die Sommerblätter des alten Zitronenbaumes aus Skoutari fallen auf den Betonboden, und nach oben hin treibt er, wie in jeden Jahr neue große Blätter, die im Frühjahr, wenn ich ihn wieder hinausstelle, schnell gelb werde und abfallen.

Die Malereien gingen heute sehr schnell. Sie kommen dann meistens sehr kompromisslos daher, und ich habe Skrupel, sie in die täglichen Collagen einzufügen. Das tat ich aber mit dem Rasterportrait, das ich noch mal kleiner ausgedruckt hatte, um es in die Frottage der New York Gravur einzufügen.

Vielleicht kann ich heute diese Frottage mit einer Felsgravur aus Twyfelfontein kombinieren, deren Ort in der Nähe der Hügel von Khorixas, den anderen Pol meiner Landschaftserfahrungen bildet.

Am Morgen blätterte ich in den alten Mappen. Dabei fielen mir Kopien der Zeichnungen zur Bühnenfassung von „Medea Stimmen“, 65 Blätter von 1997, in die Hände. Diese Arbeit, die ich damals eher als ein Anhängsel der Arbeit von Christa Wolf und Wolfgang Engel betrachtete, hat im Abstand eine Eigenständigkeit erlangt. Diese rührt von den Lahrzehnten her, die ich auf Probebühnen zeichnend zugebracht habe. „Figur im Raum“ ist aber mittlerweile ein Biografiethema geworden.

Genau vor drei Jahren

Genau vor drei Jahren, das konnte ich gerade nachlesen, wurde ich durch ein Bühnenstück am Schauspiel Frankfurt an meine Kindheit als Pionier erinnert. Damals fügte sich langsam das Biografiethema als Vorhaben zusammen. Gleichzeitig spürt man bei diesen Aufzeichnungen, dass sie am Schreibtisch in der Frankenallee entstanden. Das Fensterformat war gefüllt von den Geschehnissen in den Bäumen und darunter.

Auch jetzt kann ich den kleinen dreieckigen Tisch zu den Atelierfenstern hin drehen. Nahe steht er an dem Bürostuhl, der nur noch die eine Armlehne hat, auf der der Schreibarm ruht. Auf der linken Seite kann der Tisch ganz nahe an mich herangezogen werden, sodass ich eine ideale Schreib- und Zeichensituation für ein Buchformat habe.

Vor drei Jahren füllte enge Schrift mit geringen Zeilenabständen die Blätter des handschriftlichen Tagebuches. Die Buchmalereien jener Zeit erinnern an die, die ich in den letzten Tagen gemacht habe. Keine Gravitationsschwünge, nur Handballenabdrücke, Andreaskreuze verschiedener Farben, Verwischungen oder wildes Gekreisel.

Damals beschäftigten mich die Frankfurter Kraftfelder. Ihre Kombination mit dem Biografiethema geht mir derzeit durch den Kopf. Umrisse von Erinnerungsbildern und Rasterportraits gehen eine Verbindung ein und fügen sich zu Ornamenten zusammen, die über Dreiecksgitterarchitekturen laufen können.

Alter Wein

Zurückgezogen im Atelier, komme ich wieder zu mir. Die vertrauten Stadtgeräusche verschaffen Sicherheit und Gelassenheit. Von dem alten Weinlager im Keller der Frankenalleewohnung habe ich nun den letzten Schluck der vorletzten Flasche im Glas. Es ist ein Rotwein aus dem Jahr 1992, der immer noch ganz passabel schmeckt. Die Qualitäten waren durchaus unterschiedlich, aber alle trinkbar. Die letzte Flasche ist immerhin 30 Jahre alt.

Ich las gerade, was ich vor einem Jahr aufgeschrieben hatte. Die Atmosphäre war aufgeregter, einsamer und gleichzeitig ruhiger. Wie das geht? Die Stille der Einsamkeit kann auch aufgeregte Phasen in sich einschließen. Ich erinnere mich nun an das große Stadtgeläut, an die milden Temperaturen, wie jetzt und an das Winterblühen bestimmter Bäume.

Intensiv strapazierte ich gestern das Papier unter meinen Buchmalereien. Es wird, wenn es getrocknet ist dadurch steifer und scheinbar kräftiger, mit einer höheren Stabilität. Wild kreiste ich mit den Aquarellstiften in der feuchten Oberfläche unter ihnen, wischte sie immer wieder zusammen, um dann wieder zu kreisen.

Morgen, montags, wird mir die Arbeit wieder gut tun. Ich freue mich schon auf die Zeit nach den Feiertagen im neuen Jahr. Alles läuft derzeit etwas geordneter und gelassener ab.

Hinter den Augen Zikaden

Nun probierte ich den gestrigen Einfall, zwei Rasterportraits übereinander zu legen, vorsichtig aus. Zaghaft kreisende Bleistiftbewegungen, sind tastende Schritte in ein neues Areal. Schön langsam, vorsichtig und ruhig. Weil die Weihnachtsfeiern warteten, mit der Panzerbesatzung Waffeln gebacken werden mussten, kam ich noch nicht sehr weit und kann mich auf die Fortschritte in der kommenden Woche freuen. Aber einiges gelang schon leise.

Im Museum schöne Gespräche mit den Kolleginnen während der Weihnachtsfeier dort. Es gab Wein, Selbstgekochtes und Gebackenes.

Tieffliegender Hochnebel, flatternde Hubschrauber, Finsternis, Licht nur im Inneren des Ateliers und hinter den Augen, Zikaden im Kopf.

In der Frankenallee bauten wir an einer Lampe, die aus einem großmaschigen Metallgitter besteht, das etwa zehn Zentimeter unter der Decke hängt. Löcher in die Betondecke bohren ist eine Übung in Demut. Brauchte ich aber um Haken einschrauben zu können, die das Gitter halten. An ihm können nun allerlei geschliffene Glasbingelbongs aufgehängt werden, die wir schon gesammelt haben und in Zukunft auch noch sammeln werden. Das wird also ein etwas unkonventioneller Kronleuchter mit allerlei Glitzergetier.

Abwesenheit des Konkreten

Auch in den gestrigen Buchmalereien spielte die Holzgravur der NYC – Zeichnung eine Rolle. Teile des Motivs boten die Struktur für Frottagen, die ich mit den Aquarellstiften anfertigte. In mehreren Farbschichten schoben sich die Strahlen der Licht-, Wärme und Lärmquellen übereinander. Diese deutliche Konkretheit der Linien wurde dann von einer verwischten Wasserspur zurückgenommen. Deutliche Umrisse werden auf diese Weise immer wieder zugunsten des Vagen in den Hintergrund verlagert. Dieser Vorgang wiederholt sich täglich, findet aber auch in anderen Techniken seine Entsprechungen. Lineare Tuschzeichnungen die immer wieder leicht versetzt übereinander gezeichnet werden, verzehren sich irgendwann selbst. Die Schwärze, die sie aufnimmt ist aber nicht opak. Und beim genauen Hinsehen erscheinen die ursprünglichen Umrisse wieder. Der Haken dabei ist nur, dass niemand außer mir, genau hinschaut. Sollte ich dafür doch sorgen müssen?

Konsequent wäre, das ganze Werk verschwinden zu lassen, so wie ich im Frühjahr von 1984 tausend Zeichnungen mitsamt dem Tisch, auf dem sie lagen, verbrannte. Anne hat mir die Geschichte, die sie sehr geprägt hat, vor kurzem wieder erzählt.

Die Unwiederbringlichkeit dieser Arbeit, wertet aber die Blätter, die übrig geblieben sind auf. Größere Bereiche der Theaterzeichnungen haben die damalige Ausreise aus der DDR überstanden. Vieles, was ich in den Proben zu „Woyzeck“, „Dantons Tod“ oder während der Nibelungenproben gezeichnet habe, existiert noch in meinen Schubläden.

Hell, ruhig und sanft

Selbstportraits haben mitunter eine beruhigende Wirkung. Vor mir auf dem Tisch liegt eines, das ich gestern auf Transparentpapier gezeichnet habe. Zunächst legte ich einen Jutefaden, den ich aus einem Gewebe herausgelöst hatte, unter und frottierte das sich bewegende Fadenstück über die Mitte des Blattes hinweg. Das Raster eines Portraitausschnittes von 1960 habe ich dann über die ganze Fläche gezeichnet und mit einer weiteren Frottagenstruktur gefüllt. Dafür benutzte ich die CNC-Gravur einer Zeichnung in eine mehrfach verleimte Holzplatte. Die Vorlage selbst entstand 1999 in New York City. Strahlende Linien kommen von Licht-, Lärm, und Wärmequellen, während eine laufende Figur von rechts mit einer rätselhaften, wie von außen heranschwebenden Hand, den Raum betritt. Am rechten Ende des gestern entstandenen Blattes, strebt ein Fries von übereinander gezeichneten Antilopenumrissen aus Twyfelfontein die Bildkante hinauf. Als die danach aufgerollte Schelllackschicht getrocknet war, belegte ich von hinten, mit Aussparung der frottierten Gravurlinien und nur innerhalb des Rasters, die so übrig gebliebenen Felder mit schwarzer Tusche. Je nach Dicke der Lackschicht, treten die Graphitstrukturen mal stärker, mal weniger stark hervor. Dieses Selbstportrait beinhaltet nun einige Lebensschichten, die ich auf meine Weise reflektierte. Das beruhigt, wie etwas, was man erzählend los wird.

In dem Text, der im damaligen Tagebuch unter dieser Zeichnung steht, tut sich eine Polarisierung zwischen dem Times Square und den Hügeln von Khorixas in Namibia auf. Gleichzeitig beschwor ich die Flexibilität der eigenen Langsamkeit gegen das Tempo der Stadt. Das Thema behält seine Aktualität.

Gerade schrieb ich in mein Smartphone: Alles hell, ruhig und sanft.

Verwilderte Buchmalereien

Vor mir auf dem Tisch liegt eine kleine unscharfe Fotografie aus den Fünfzigerjahren. Sie zeigt mich in einer kurzen Trachtenstrickhose, ein Bäumchen schüttelnd, das nicht mehr als doppelt so groß war, wie ich. Der Ort ist mir unbekannt. Hinter einem großen Baum schaut, den Raum abschließend, eine gotische Fassade hervor. Ich möchte das Bild vergrößern und vielleicht rastern, um mich überraschen zu lassen, was daraus wird.

Die morgendlichen Buchmalereien verwildern etwas. Nichts ist auf Harmonie bedacht. Alles kreischt in den Fugen, oder springt aus der Gravitation. Die Farben sind von kaltem Feuer, die Strukturen unruhig.

Zwölf kleine Holzboxen, die ich gestern am anderen Ende der Stadt gekauft hatte, sollen die Grundstruktur für die nächste Ausstellung bilden. Ich möchte sie in eine Linie an die drei Wände der oberen Etage des Hauses im Haus hängen. Der Rhythmus ihrer Abstände soll sich auf Musik beziehen.

Der Einkauf dieser Boxen führte mich in den Feierabendverkehr auf eine der Ausfallstraßen der Stadt. Mehrere unvorhergesehene Dinge führten zu Verzögerungen, die den Zeitplan zum Kippen brachten, sodass ich für diese Aktion mehr als drei Stunden brauchte.

Ansonsten nichts

Manchmal, wenn ich nicht viel arbeite, greift die Stille nach mir. Und oft ist es angenehm, im Halbdunkel zu sitzen, von dem es jetzt so viel gibt, nur den Atem zu hören und zu spüren, dass mir das jetzt genügt. Aber es ist eine Anstrengung, das zu halten.

Die Gedankenwolkenfetzen des Jahresendes beginnen zu ziehen. Die ersetzen das unentschlossene Wettergeschehen. Die Tage sind zerfasert. Von Arbeitsvorhaben bleibt derzeit nicht viel.

Die Malereien von heute wirbeln wild. Dazwischen verblasen geradlinige Stürme die Konturen der Andreaskreuze.

Ansonsten nichts als Steuer, Materialeinkauf usw..

Kühles Wasserlicht

Montag.

Das Atelier nimmt mich auf. Die Tür öffnet sich in den stillen Raum meiner Arbeit. Die Bedeutung, die er für mich hat, lässt sich von mir nicht vollständig erkennen. Ich misstraue meinem Denken, glaube sie am ehesten in meiner Bilderarbeit auftauchen zu sehen. Sie eilt dem Denken voraus. Das Fühlen bildet sich konkret ab.

Transparentpapier hängt in einer der Fensterscheiben und verteilt die Himmelsfarben gleichmäßig und matt auf seiner Fläche. Meine Malereien konzentrieren Farben, indem ich sie mit dem Werkzeug der Haut meines Handballens zusammenschieben, druckend vervielfältigen und auffächernd auseinander ziehen kann.

Ein Glas Wasser am Morgen. Die Schattierungen des Vortages werden geklärt. Sonnenlicht strahlt direkt hinein. Ich kann es trinken, kühles Wasserlicht.

Im Städel schaute ich mir lange ein Bild von Courbet an. Eine weite Winterlandschaft hinter den Häusern einer Dorfstrasse. Auf den Hügeln unter dem Horizont ist der Schnee bereits von den Bäumen gefallen. Im Vordergrund wird er schon zu Matsch. Ein ganz und gar unaufgeregtes Meisterwerk.

Eigenleben der Farbe

Meine Produktion habe ich etwas verlangsamt, weil ich Zeit für andere Dinge benötige: Materialeinkäufe, Steuerunterlagen zusammenstellen… Dabei schaue ich zwischendrin auf ältere Zeichnungen zurück. Manche Phasen sind mir fremd. Aber schon 2006 werden Handlinienabdrücke sichtbar, Farbigkeiten beginnen sich zusammenzuziehen, werden mehrschichtiger und kompakter. Farbe beginnt dort ihr Eigenleben. Vorher war sie nur Illustration.

Am 21.03. 2000 entstanden acht figürliche Zeichnungen zwischen den Texten, die erstmalig farbige Linien aufwiesen. Die Feste Struktur mit drei Textabschnitten und drei Zeichnungen kam erst später. Die damaligen Texte reflektieren meine Bemühungen, Trixel Planet als Projekt in der Stadt zu etablieren. Das ist weniger spannend – aber die Zeichnungen sind es.

Am Montag wird das Filament geliefert, mit dem ich nun weitere Ausdrucke für die Ausstellung machen kann.

Der Besatzung des Kunstkettenfahrzeuges habe ich „Herzstück“ von Heiner Müller vorgelesen. Das will ich in der kommenden Zeit verstärken, um die Arbeit damit mehr zu konzentrieren. In den vergangenen Monaten habe ich manchen Leerlauf zugelassen, auch damit sich Beschäftigungen finden lassen, die zu den verschiedenen Charakteren passen. Das ist gelungen.

World Trade Figur

Ein Blick in die Dateien mit den fünfzehntausend Scans, führte mich sechzehn Jahre zurück nach New York. Damals waren wir noch auf der Dachterrasse des World Trade Centers. Zuvor zeichnete ich eine Figur, die von einem Flugzeug durchbohrt wird, oder zumindest eine verhängnisvolle Verbindung mit ihm eingeht. Viele exaltierte Figurationen, teilweise mit Architekturen verbunden treten da im Oktober 1999 auf.

Im kommenden Biografieprojekt werde ich nun auf die Technologien des Frankfurter Kraftfeldes zurückgreifen können. Das ist gestern besprochen worden. Das ermöglicht mir nun, das Projekt so zu Ende zu führen, wie ich das vor etwa drei Jahren geplant hatte. Nun werden die Ornamente tatsächlich zu dreidimensionalen Objekten zusammenwachsen.

Die nächste Ausstellung im Museum wird ab Ende Februar stattfinden können. Dann geht es um die kleinen Dinge, die passend gemacht worden sind.

Das Exkrement im Raum von Noah haben wir gestern noch mal größer ausgedruckt. Und Natalie hat sich erstmalig mit den 3d Programmen beschäftigt. Dabei entstand ein stachliger Hase oder ein Hasenigel. Joana stellte sehr poetische Formen her, indem sie mit flüssigem Wachs und kaltem Wasser arbeitete. Ihre Wachsfiguren sehen nun ganz anders aus, wie ich mir das vorgestellt hatte, vielleicht sogar besser. Die Produktion von Bauelementen für das Barbiebeinhaus läuft weiter.

Inseln | Kraftfelder

Selbstportraits gestern im Atelier. Die Blätter sind Monologe am Tisch, perforiert und fragmentiert, wie alles. Versunkene Inseln werden an die Meeresoberfläche gehoben, bewohnt von Würmern, Schnecken und Krebsen. Es braucht Zeit, bis der weiche Regen das Salz ausgewaschen hat und das Licht für Grün sorgt, das die schlammige Blöße bedeckt.

Die Frottagen liegen nun entweder auf der obersten oder einer mit Schelllack abgedeckten durchsichtigen Schicht der Bografieblätter, die ich gestern abgefertigt habe. Tusche auf der Rückseite lässt das Graphit fast negativ erscheinen.

Beim Nachdenken über die Biografiearbeit drängt sich immer wieder das Frankfurter Kraftfeld in seinen zwei verschiedenen Gestalten in den Vordergrund. In beiden Fällen geht es um Erinnerungsfiguren, die sich miteinander verbinden. Die Arbeitsweisen, die das Transparentpapier ermöglicht, führt zu den Überlagerungen, mit denen ich seit sehr vielen Jahren arbeite. Für ein Projekt aber, das mit dem Architekturmuseum zutun hat, eignet sich die zweite Variante des Kraftfeldes, die auf gleichseitigen Dreiecken verschiedene Motive zu sich überlagernden Ornamenten zusammensetzt. Da die Seiten der Dreiecke immer Anschlüsse an die Ornamente bilden, somit also ein dreiseitiger Rapport entsteht, können große Wände, aber auch Dreiecksgitterobjekte gebaut werden. Somit würde die Entwicklung, die vor ein paar Jahren unterbrochen worden ist, fortgeführt.

Kettenfahrzeug | Improvisationsarchitektur

Die Besatzung des Kunstkettenfahrzeuges meldet sich auf meine Morsezeichen zaghaft aus den Weiten seiner anderen Welten. Mit Bilal und Noah möchte ich die „Improvisation Technologies“ näher auf ihr architektonisches Potential hin prüfen. Das geht nur, wenn sie sich Figuren einprägen, indem sie sie tanzend kopieren. Danach sollen dann skulpturale Dinge gefunden werden, die damit zutun haben.

Die Biografiearbeit intensiviert sich nun durch die Beschränkung der Mittel, die aber zielgerichteter eingesetzt werden sollen. Die Schicht der Borkenkäfer-Stammbaum-Frottage soll möglichst auf der obersten Ebene bleiben, also nicht durch Tusche abgedeckt werden. Es sind stilisierte Bilder von Stammbäumen. An die Raster der Portraits möchte ich näher heran. Ihre Nutzung für abstrakte Bildbewegungsvorgänge entspricht dem derzeitigen Arbeitsmodus genau.

Diese Arbeitsschritte bereiten auch das Biografieprojekt vor, das ich im kommenden Jahr mit jüngeren Menschen machen möchte. Je mehr Gestaltungstechnologien jetzt herausgefunden werden, umso leichter wird es, das Projekt dann wachsen zu lassen.

Wir müssen unsere Arbeit mit Flüchtlingsjugendlichen überdenken. Ich möchte möglichst wenig Wind machen, will einfach loslegen und nicht so viel darüber reden. Sonst läuft sich das schon vorher tot.

Fünfzehntausend Scans

Gestern brachte ich das Arbeitstagebuch wieder auf den aktuellen Stand. Dazu gehörte, dass ich die 12 Buchmalereien, die ich in Berlin angefertigt habe, scannte und in den Ordner ablegte, in dem sich die Zeichnungen seit dem Jahr 2000 befinden. Das sind jetzt über fünfzehntausend Scans. Die zwölf Malereien aus den letzten vier Tagen nutzte ich darüber hinaus dafür, dass ich vier Collagen anfertigte, die in der Tagebuchdatei und über den Blogeinträgen auf meiner Website stehen. Dann veränderte ich die handschriftlichen Eintragungen in der Textdatei so, dass sie ins Netz gestellt werden können.

Die Arbeiten aus Berlin haben einen anderen Charakter als die, die im Atelier entstehen. Oft nehme ich mir hier mehr Zeit, um Schicht um Schicht übereinander zu legen. In Annes Zimmer war ich schneller, ließ manche Linie stehen, die ich hier vielleicht verwischt hätte. Dieser Mut tat aber den Malereien ganz gut.

In Annes Rechner schaute ich mir die Datei ihres Romans an, rollte die stattliche Anzahl von Seiten herauf und herab, las ein wenig in der Anfangskapiteln, die ich schon kannte und sehr schön finde.

Auch die Arbeit von Vinzenz habe ich nun wieder näher kennen gelernt. Die Bedingungen seiner Arbeit interessieren mich aber auch. Ich stelle mir vor, dass sein Vorhaben, das mit den Schlagworten um die Flüchtlingsproblematik zutun hat und die Aussage, die dann aus der Auswertung folgt, spannend sein kann.

Zwischen den Spiegeln

Frankfurt.

Neue Rituale, wenn ich zurück ins Atelier komme. Die transportablen elektronischen Geräte müssen an die verschiedenen Netze. Elektronischer Müll muss weggeworfen werden. Listen erscheinen und fordern gleichzeitig auf, sie zu erledigen.

Dann aber sind die Pflanzen dran, die dürsten. Auf den Leitern balancierend, bekommen sie von mir alle genug.

Im Bethmannpark stand ich in den Strahlen der über die Dächer scheinenden Sonne. Sie wurden von dampfenden Menschen gekreuzt. Ihr wehender Atem machte den geradlinigen Verlauf des Lichtes sichtbar.

Ein Erinnerungsbild verweilt zwischen den Spiegeln eines Saales in dem ersten Stock eines uralten Tanzvergnügungshauses. Dort wird es hin und her geworfen, bis ihm vom Drehen schwindlig wird. Nun schläft es im Archiv seinen Rausch aus, zeichnet noch Gravitationsschwünge in die Traumnacht.

Himmel zinnfarben

Berlin.

Immer, wenn ich in dieser Stadt bin, zieht es mich ins Zentrum, wo ich vor gut vierzig Jahren als Soldat den Palast der Republik mitgebaut habe. Die Großbaustellen haben alles vertilgt. Noch halb steht das wieder aufgebaute Schloss in Beton da, in der Nacktheit seines Sinns. Aber schon wird es mit einer Backsteinhülle, die den wahren Kern verstecken soll, entstellt.

Auch rund um den Schinkelplatz schafft sich Historizität Raum. Um alles herum, wie Zuckerwatte, die endlosen Weihnachtsmärkte. Und später glühte die Kuppel der Synagoge im Sonnenuntergang, als wir uns noch mal mit Vinz verabredeten.

Die Spaziergänge mit Anne durch die Stadt, führen mich in Gegenden, fernab der Pfade, die ich sonst gegangen bin. Neue Bilder sammeln sich in meinen Erinnerungsschachteln.

Am Morgen steht der Himmel zinnfarben über den roten Dächern, die den Kranoldplatz umgeben. Der Stadtwind tanzt ernst zwischen den entfärbten Fassaden.

Abgeschliffene Geschichten

Berlin.

Ein Interview mit meiner Mutter im Netz. Sie berichtet von ihrer Flucht von Schlesien nach Thüringen am Ende des zweiten Weltkrieges. Ich kenne diese alten Geschichten, von der Zeit abgeschliffen, die Pointen den jeweiligen Situationen angepasst. Der Hunger stand in ihnen immer wie eine Schuldwegmarke in der Landschaft, die auf den Überfluss der kommenden Generationen zeigte. Die kollektiven Verwischungen jeglicher Art werden nicht nachlassen, bis es die Zeitzeugen nicht mehr gibt. Und auch danach im Weitererzählen, werden die Anekdoten immer der Gegenwart dienlich gemacht.

Es streichen wieder die Katzen um meine Füße. Sie springen aufs Fensterbrett und lauschen den Straßengeräuschen, spüren die Wärme der Bettfedern, besichtigen die Kissenlandschaften, um irgendwann zwischen ihnen, den uns fremden Schlaf zu finden.

Vinzenz erzählte in einem Pub von einer Sprachforschungsarbeit, die er mit Ai bespricht. Dabei geht es um Pressetexte zur gegenwärtigen Flüchtlingsproblematik.

Schwarzer Strom

Berlin.

Katzen streichen unter Annes Tisch um meine Füße. Im Fenster steht ein großer Rahmen, in den eine kleine Zeichnung von mir eingespannt ist, die ich vor etwa drei Monaten gemacht habe. Es gibt in diesen Räumen Arbeiten aus ganz verschiedenen Arbeitsphasen. Aquarelle, Drucke von Tagebuchzeichnungen und ein Ölportrait aus dem Anfang der Achtzigerjahre.

Die Bahnfahrt rollte ruhig an mir vorbei. Ich fotografierte mich in dem dunklen Zugfenster und hörte die Goldbergvariationen in der Fassung von Glenn Gould aus dem Jahr 1954. Die Situation verdichtete das ungestüm Perfektionistische über die Virtuosität hinaus.

Die emotionale Wirkung dieser Stadt lässt nach. Ich wurde mit dem Auto mitten in der Nacht abgeholt. Anonym glitten die Lichter an mir vorbei. Aus den Kanaldeckeln quoll die Dunkelheit und richtete ihren klebrig schwarzen Strom gegen das Vergangene.

Langes Sprechen am Küchentisch.

Passend gemacht

Zufällig traf ich beim Anschauen eines Laurie Anderson Konzertes auf den, per Videokonferenz zugeschalteten, Ai Weiwei. Als ich das Bild meiner Arbeitssituation mit dem Bildschirm und der entsprechenden Szene mit dem eingeblendeten Skypeportrait zu Vinzenz schickte, wusste ich noch nicht, dass es sich um ihn handelt, ahnte es aber vielleicht. Er hat sich seit 2011, dem Jahr des Konzertes, bis heute sehr verändert. Der Vortrag der Gedichte seines Vaters wurde von der Musikerin mit in die Improvisationen life eingebaut.

Per Zufall bin ich vor etwa zehn Jahren auf die chinesischen Tierkreiszeichen am Karatay Han gestoßen. Draus ist eine längere Arbeitsphase gewachsen.

Wir druckten die kristallin_fluid Skulptur von Paulo aus – ein weiteres Exponat für die nächste Ausstellung. Nachdem wir eine Weile mit unseren Smartphones über die Beschaffung von Barbiepuppenteilen diskutiert hatten, erinnerte ich mich an solche Teile im Sammelsurium von Roland. Ich bat ihn, uns welche auszuleihen, was er auch tat.

Mir gehen Ausstellungstitel durch den Kopf. Darunter: „Passend gemacht“. Ich werde heute vor der „Besatzung“ über Beinhäuser sprechen. Ein solches habe ich ja mit Barbara gemeinsam in Frankreich fotografiert. In diesem Zusammenhang kann man über Sinn und Zweck von Objektnamen sprechen. Paulo zeichnete „City of A.“ nach Bill Forsythe. Die Umsetzung von Dingen in Objekte, die über unsere Gedankengänge hinausgehen, bildet unseren derzeitigen Arbeitsschritt.

Trisha Brown

Gestern zeichnete ich das dritte der abstrakten Portraits. Die zweidimensionalen Gravitationsschwünge mit den platten Planeten an ihren Kreuzungen führen auf dem Blatt ein Eigenleben. Die Borkenkäferstammbaumfrottagen liegen ganz oben auf, weil ich die Tuscheinseln von der anderen Seite her, also von hinten anlegte. Nun wäre es noch möglich, da ich alle Schnittmengen von Schelllack, Rasterpunkten und Borkenkäferspuren schwarz gemalt habe, die Stellen, wo sich mehrere Schellackschichten von vorne und von hinten mit dem Raster übereinander legen, eine weitere schwarze Schicht von vorne aufzulegen. Die würde dann an wenigen Stellen die Frottagen überdecken. Es wäre ein weiterer Schritt für ein neues Blatt.

In dieser Weise kommen immer neue Gesten nacheinander zusammen, wie bei den Choreografien von Trisha Brown, die wir gestern im Mousonturm gesehen haben. Es war ein historischer Abend, weil sich die Company zum Ende des Jahres auflösen wird. Somit werden auch keine Werke mehr im Original von ihr aufgeführt. Eine weitere Ära geht zu Ende. Mir kamen die Arbeiten sehr entspannt vor. Niemand wollte mich da mit einer unaufgeregten Freude und Lässigkeit belehren. Die Übertragung dieser Haltungen und Gefühle hatte eine sehr unterhaltende Komponente. Manchmal fühlte ich mich etwas unterfordert, aber glücklich.

Ich dachte wieder an Jasper Johns, Cunningham und Cage, aber auch an Laurie Anderson.

Verlangsamung | Winterblüher

Zwei Blätter zeichnete ich gestern mit Tuscheinseln fertig. Sie sollten die Portraitfragmente verstärken. Dennoch bleibt dem Betrachter die Möglichkeit weitgehend verwehrt, die Gegenständlichkeit herauszulesen, die den Impuls oder die Vorlage gegeben hat. Die Aufklärung des Gegenstandes könnte durch ein drittes Blatt geschehen, das sich hinzugesellt. Das würde aber den konsequenten Schritt der Verweigerung verhindern. Das abstrakte Bild scheint mir, zumindest an dieser Stelle, folgerichtig.

Den ganzen Berufspraktikumstag arbeitete Paulo gestern an den skulpturalen Experimenten zum Thema „fluid-kristallin“. Dabei schmolz er unter anderem Kuben zu weichen Formen ab. Jetzt besteht meine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass die weichen und kristallinen Formen in einem Objekt reduziert zusammentreffen. Scheinbare Gegensätze verschmelzen hier zu Dingen, die viel miteinander zutun haben und deswegen zusammenpassen. Dafür möchte ich erneut den 3d Drucker aufstellen, um Objekte, die es virtuell schon gibt, handgreiflich zu machen.

Mit meiner Fahndung nach Barbiepuppenteilen hatte ich bisher keinen Erfolg.

Meine Biografiearbeit hat sich verlangsamt. Sie gewinnt durch die Pause an neuen Möglichkeiten, die Reihe fortzusetzen. Es ist Winterzeit. Alles kann langsamer vor sich gehen, das Wachsen in Dunkelheit, Verzögerung der Reaktion durch Kühle. Aber im Bethmannpark gibt es kleine, duftende Winterblüher.

Puppen als Projektile

Vor mir hängen Schichten von Transparentpapierzeichnungen vor dem Kopf eines schreitenden Buddha aus dem 13. Jahrhundert, der halb verdeckt hervorschaut. Hier hinten in meiner Arbeitstagebuchecke habe ich keinen Blick nach draußen, fast kein Tageslicht, bin ganz zurückgeworfen auf den Bildschirm und meine Arbeit.

Noah hat mir gestern über WhatsApp gezeigt, wie man Barbies als Munition verwenden kann. Ich möchte, dass er am kommenden Freitag welche mitbringt, mit denen wir dann skulpturale Experimente anstellen können. Puppen als Projektile der T 34 Panzer, mit denen wir auf die Betonbauten des Brutalismus schießen wollen.

Oder wir ziehen ein Barbiebein über feuchten Ton, erzeugen ein Relief, das dann mit Wachs abgegossen werden kann. Einzelteile der Puppenkörper können in verschiedenen Reihenfolgen als Halbreliefs erscheinen und Bausteine für Baukörper werden.

Leichtigkeit am Morgen, weil ich gestern die Abrechnungen fürs Museum zusammengestellt habe. Dafür blieb ich bis in den späteren Abend hier. Es fiel leichter als gedacht.

Paulo experimentiert nun mit den 3d Programmen und mit dem Thema „fluid und kristallin“.

Vergessene Bilder bleiben

Tage voll Regen verwischen den vergangenen trockenen Sommer, in dem ich die Pflanzen und die Wiese gewässert habe. Verdorrte Gewächse werden zu Schlamm, zusammengetragene Erde auf dem Beton wird weggeschwemmt, wenn sie nicht von den Wurzeln der vielen Schlingpflanzen gehalten wird, die sich um meine trockenen Gesträuche gewunden hatten.

Aufnahmen von der Forsytheausstellung habe ich soweit verändert und fragmentarisiert, dass ihre Herkunft nicht nachvollzogen werden kann. Ein Video, das ich gestern während der Führung gemacht habe, ließ ich auf dem Smartphone laufen und scannte es währenddessen. So entstehen Momentaufnahmen einzelner Körperteile in Aktion voneinander losgelöst. Das ähnelt dem technischen Vorgang bei „City of Abstracts“.

Eine große Gruppe von Flüchtlingsjugendlichen tanzte gestern zu ohrenbetäubenden orientalischen Klängen aus ihren Heimaten (problematischer Plural) im Theaterraum. Zwischen all dem Getrommel kommen Geschrei, Erinnerungen und Trauer auf. Es sind fast nur junge Männer, die hier alleine ankommen.

Während einer Einladung am vergangenen Freitag sah ich eine schöne Zeichnung auf Transparentpapier, transparent gerahmt. Ich hatte sie vergessen. Auch eine ehemalige Kommilitonin hat ein gemaltes Selbstportrait von mir, das sie die vierzig Jahre lang, bis jetzt begleitet hat. Die Bilder bleiben doch eine Weile in der Welt.

Bewegungsminiaturen | Wachsfiguren

Sonntag, Regen, „The Fact of Matter“ im MMK.

Wir hatten eine Führung durch einen Tänzer der ehemaligen Forsythecompany durch die Choreografischen Objekte im Museum für Moderne Kunst.

Unter der Maßgabe der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Meister, entwickelte sich eine lebendige Beschreibung der Arbeitsweisen. Statements, die die Tänzer immer wieder aus dem Kompositionsgleichgewicht zwischen Körper und Bewegung werfen sollten, begleiteten den sehr persönlichen Vortrag. Eigentlich sollte die Führung eine Stunde dauern, war aber nach zwei Stunden noch nicht ganz zu Ende. Es war so viel Mitteilungsstau und Begeisterung unterwegs, dass es ein Vergnügen war zuzuhören und zuzuschauen, denn immer wieder legte Tilmann Bewegungsminiaturen oder groteske Hängefiguren zwischen dem Objekt mit Sportringen ein, die die Beschreibungen ergänzten. Das war zusammengenommen beglückend.

Verschiedene Ideen für eine Museumsausstellung reifen weiter heran. Paulo sollte aus seiner Zeichnung vor „City of Abstracts“ einen Transparentpapierturm bauen, eine Zeichnungsarchitektur. Außerdem gibt es schon die Objekte „Filzwachs“, „Exkrement im Raum“ und die neuen Wachsfiguren von Joana.

T 34 Besatzung

Durch eine Kommunikationsumstellung hat die Kunstschule als Gruppe einen neuen Namen bekommen. Die WhatsApp Gruppe heißt nun „T 34“. Die Besatzung zeichnete gestern in den Stilen des Biografieprojektes, des choreografischen Objekts „City of Abstracts“ und Joana hat begonnen, Wachsfiguren herzustellen. Dafür taucht sie ein Trägermaterial, wie Draht, solange abwechselnd in flüssiges Wachs und in kaltes Wasser, bis sich Schicht für Schicht skulpturale Formen entwickeln.

Noah zeigte ich die Improvisationstechnologien von Bill Forsythe und danach den gesamten Film „One Flat Thing, Reproduced“. Er beschäftigt sich viel mit Tanz. Es wäre gut, wenn er für solchen Einflüsse empfangsbereit bleibt und das in architektonische Ideen umsetzen kann.

Nachdem wir unsere Kommunikationsgruppierung in WhatsApp abgeschlossen hatten, kochten und aßen wir wieder gemeinsam. Das Foto mit dem Hühnergeschnetzelten ging an die fehlenden Kunstschüler.

Auch mit Anne und Vinzenz tauschte ich Nachrichten und Bilder. Anne hält sich eine Motorradmaske vors Gesicht und schickt mir ein Katzenfoto. Und von Vinzenz bekam ich ein Bild mit seinem Sohn Alexej, der Mit Ai Lao spielt, dem Sohn von Ai Weiwei spielt. All das ist lustig und nicht wichtig, aber macht ein neues Verbundenheitsgefühl.

Borkenkäferspuren

Mit Graphitfrottagen von den Fresskanälen der Borkenkäfer, die wie Stammbäume oder Landkarten von Straßendörfern aussehen, zeichnete ich gestern Rasterportraits. Das ist eine neue Verbindung, deren Potential ich noch gerne erweitern würde.

Wenn die Synaptischen Kartierungen mit Schelllack und Tusche die Punkte transparent überdecken, verschwindet die Gegenständlichkeit. Steht das Portrait aber, wie oben neben den Verwischungen bleibt es deutlich sichtbar. Das Raster hinter der Lasur müsste mit Tusche verstärkt werden. Auch die Entscheidung dagegen hat was für sich. Tue ich beides entscheidet der Betrachter, was für ihn besser erscheint. Den aber gibt es nicht. Oder doch?

Aus der Wohnung in der Frankenallee stieg ich heute in eine Nebelwanne, die wie ein Transparentpapierrund wirkte. Nur das Smartphone zeigte klar an, wo ich mich befinde. Ich erwarte nun, dass sich mein Alltag durch die Gegenwart dieses Gerätes verändert. Mein Kommunikationsverhalten ist ja eher zurückhaltend. Jetzt leuchten bislang nur E-Mails auf. Aber ich befürchte mehr Ablenkung.

Heute ist wieder offener Ateliertag. Die Produktion dieser vergangenen Tage hat sich verlangsamt. Besorgungen, Einkäufe, Gespräche, Rückblenden. Alles fordert Aufmerksamkeit, auch mein Praktikant.

Wie in jedem Jahr

Die Pflanzen brauchen im Winter etwas Ruhe, meint mein Nachbar, der Holzbildhauer, der mich gestern besucht hat. Sie sollen nicht zu sehr gegossen werden, Zunächst aber trauern sie, wie in jedem Jahr, über den Lichtverlust durch den Standortwechsel nach innen. Manche der Sukkulenten treiben sehr große Blüten, wodurch sie so viel Energie für sie aufwenden müssen, dass sie danach eingehen.

Der Holzbildhauer kommt eher selten zu mir. Umso mehr freute mich gestern sein Besuch. Normalerweise bin ich derjenige, der sich in die Nachbarateliers aufmacht, um über die Arbeit oder anderes zu reden. Im direkten Nachbaratelier war ich allerdings lang nicht. Stolz und glücklich berichtete ich da oft von den Sprüngen die Vinzenz in Berlin und in der Welt macht. Allerdings erntete ich dort eher abfällige Kommentare über seinen Weg und seine Mentoren Olafur Eliasson und Ai Weiwei.

Am Abend haben wir uns nun Smartphones gekauft. Lange weigerten wir uns, angesichts der auf Kleinbildschirme starrenden Bevölkerung. Aber meine Kunstschüler haben mich quasi unter Druck gesetzt. Nun haben wir die Möglichkeit uns anders und schneller zu verabreden und zu besprechen.

Mit Paulo war ich gestern im MMK in der Forsytheausstellung. Er schätzte an ihr, dass er durch die Installationen weniger zum Denken als zur Bewegung aufgefordert wurde. Vor dem großen Screen von „Abstract City“ zeichnete er verschlungene Figuren.

Bewegungen der Besucher

Auf den fünf neuen Blättern, die ich gestern gezeichnet habe, befinden sich Frottagen von Holzwurmfraßkanälen, die durch die Platzierungen der Eiablagen, wie Stammbäume aussehen. Die heftigen Graphitschraffuren fügen einen Widerspruch in das ruhige Fließen und Kreisen der anderen Strukturen ein. Das ist wichtig für die Spannung und den Gesamtklang der Zeichnungen.

Mit Paulo möchte ich heute in die Forsytheausstellung im Museum für Moderne Kunst gehen. Nun beschäftige ich mich schon eine ganze Zeit mit diesen choreografischen Objekten. Die angestrebte Arbeit, die aus dieser Hinwendung erwachsen sollte, hat aber nicht so funktioniert, wie ich mir das gedacht hatte. Während für mich am Anfang die räumlichen Gegebenheiten und die eingebauten Strukturen im Vordergrund standen, erschienen mir langsam die Besucher wichtiger. Ihr Umgang mit den Objekten und die daraus entstehenden Bewegungen bilden die Vervollständigung der Installationen. Alleine sind sie teilweise eindimensional und schnell zu durchschauen. Die zeichnerische Ausbeute muss aus einem Gestus kommen, der sich zunächst über das Dargebotene hinwegsetzt und es erweitert. Im nächsten Schritt sind dann tatsächlich die Menschen wichtig, die Formen und Dynamiken ihrer Bewegungen.

Außerdem weiß ich nun, dass die Choreografien, die Forsythe mit seiner Company gemacht hat, sein stärkeres Hauptwerk darstellen.

Karger, kahler, farbloser, gelassener

Sieben oder acht Blätter gestern. Die Arbeiten werden ruppiger. Die Poesie tritt in den Hintergrund oder bekommt den Charakter eines Axthiebes.

Eine der von der Brandung abgeschliffenen Muscheln eignet sich für die Frottage von Körperumrissfragmenten. Eine plastische Linienführung wie von Bildhauerzeichnungen. Alles läuft auf eine Holzskulptur hinaus, mit einem Beil gehauen und in ein Gitternetz eingesperrt.

Mittlerweile schütte ich den Schelllack auf das Papier und lasse die Tuschetropfen in den entstehenden Seen verschwimmen. Erst dann beginne ich das für die Synaptische Kartierung unerlässliche Zusammenrollen des feuchten Formates.

Auch die Zeichnung im Chinesischen Garten fiel etwas wilder aus. Keine Musik erklingt vom Licht her, kein Klang wird von Farben erzeugt. Alles wird karger, kahler und farbloser. Aber eine Gelassenheit ruht auf all dem, auch auf den unruhigen Buchmalereien des Vormittages.

Wellenlängen

Die Stadtbahnen rollen ruhig über den Bahndamm, kein Geratter, wie in Berlin, das Iggy Pop zu einem durchgehenden Rhythmus für eine Songstruktur inspirierte. Das summende Rollen hier, führt eher zu einer schwebenden Soundfläche. Gerne würde ich mich wieder mit solchen fliegenden Klangteppichen beschäftigen, mit solchen Schwebezuständen wie im Siegfriedidyll. Sie entsprächen den Zeichnungen, die ich am vergangenen Freitag gemacht habe. Die Frottagen wandern schnarrend durch den Klangraum. Unter ihnen ziehen Ströme fließender Streicher quer über das Format, die von Bläserausrufungszeichen kurzzeitig gestaut werden. Die Gravitationsschwünge mit ihren Kreuzungen, die mit Punkten markiert sind, werden von der Harfe gespielt. Kommt aber eine Portraitrasterstruktur dazu, führt ihre Dominanz von dieser schwebenden Musikalität fort.

In diesem Zusammenhang denke ich an Assmanns Beschreibung der sechs Solostimmen in Schönbergs Oper „Moses und Aron“, die schon hinter dem geschlossenen Vorhang vier Akkorde als sprachlich unartikulierte Gegenwart Gottes singen.

Es hat geschneit. Pflanzen ziehen sich zurück. Der äußere Ausdruck dieser von mir nachgefühlten Verinnerlichung, ist der Blick in die Tiefe der blattlosen Gesträuche, sind die Schichten meiner gegenwärtigen Blätter und ihre Beziehung zu den täglichen Malereiminiaturen in den Büchern.

Und nun scheinen sich die Wellenlängen, der flach durch dünne Wolkenschichten dringenden Sonne, in Töne zu verwandeln.

Erinnerungstechnik tief im Gesträuch

Jan Assmann hielt gestern einen Vortrag über die Exoduserzählung und damit über sein neues Buch, das ihre Wirkung auf Gesellschaften bis in unsere Gegenwart beschreibt. Immer wieder rückt das Thema Gewalt mit dem Hinweis, wie dünn die Decke der Zivilisation ist, in seinen Focus. Dabei geht von seiner Stimme, seinem Sprechrhythmus und von seinen Worten ein tieferer Eindruck aus, als wenn ich in seinen Büchern lese. Er ist halt auch ein guter Performer. Bestätigungen seiner Erkenntnisse liefert der Alltag auf der Straße und in den Nachrichten.

Als ich ihm vor ein paar Jahren, während er seinen schönen kleinen Inselband „Osiris – Mit den Toten reden“, in dem er aus altägyptischen Quellen etwas wie ein Theaterstück zusammenstellte, erzählte, dass seine Bücher aufgeschlagen in meinem Atelier liegen und viel Inspiration für meine Arbeit davon ausgeht, war er drauf und dran, das zu besichtigen. Wahrscheinlich hätte ich ihm die Transparentpapierrollen gezeigt, auf denen Teile meines Lebens wie in einem Totenbuch festgehalten sind.

Auch die Biografiereihe folgt einem Impuls, der Erinnerungstechniken, die in seinen Büchern beschrieben sind, aufnimmt.

Ein Nordwind kommt mit harten, kalten Lichtwechseln an. Sein westlicher Bruder hat nun alle Blätter von den Ästen gefegt und der Blick dringt wieder tief in die Gesträuche, was eine besondere Art von Konzentration fördert.

Schlafende Katzen

Elf Uhr im Atelier, in das das Morgenlicht nun durch den katzenbesetzten Dschungel dringt. Ein grüner Filter mit floralem Gobo und Schattenspielfiguren. Keine Folie kann das.

Ich nehme mir die vier Blätter vor, die ich gestern gezeichnet habe, lege sie auf den großen Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem ein Spiegel liegt. Er täuscht den Raum vor, den es benötigt, um die unterschiedlich durchsichtigen Felder der Zeichnungen zu erkennen. Die Gravitationsschwünge sind großzügiger als zuvor. An zwei Stellen ist das Papier durch das Frottieren aufgerissen. Die Zähne der Muscheln, die bei diesem Arbeitsgang unter den Bögen liegen, haben scharfe Zähne. Etwas zuviel Druck auf dem Graphitstift, und schon ist es passiert.

Aber, wenn die Löcher schon mal da sind, sollte ich was damit anfangen. Es wäre ja möglich, dass aus diesem Fehler ein neues Schichtungsprinzip erwächst. Blicke ich durch die Öffnung einer Fläche in den Raum dahinter, bekommt alles an der Oberfläche eine andere Wertigkeit.

Die Katzen im Dschungel halten still, liegen in den Astgabeln und schlafen in kleinen gebauten Nestern. Bevor sie sich wieder in Regenbogenvögel verwandeln können, müssen sie Ruhe haben. Sie können sehr lange schlafen.

Eigenleben | Dschungel

In die Maskengirlande schräg hinter meinem Kopf habe ich eine kleine ältere Dreiecksgitterkonstruktion mit winzigen Abbildungen von Tagebuchzeichnungen aus dem Jahr 2006 gehängt. Das ist kein Zufall und hat vielleicht schon mit der nächsten Ausstellung zutun.

Ich denke über die Bedeutung der Bilder innerhalb von Gesprächen nach. Sie haben ein Eigenleben, das weicher interpretierbar bleibt, als ein harter Begriff oder ein Ja und ein Nein. Gleichzeitig genieße ich es, Worte schreiben zu können.

Nun steht wieder der Dschungel vor den Fenstern. Die Zifferblätter beschlagen und Katzen wohnen in den verschlungenen Ästen. Es sind Raubtiere, die mich anspringen wollen. Aber während sie ihre Muskeln anspannen und zum Sprung ansetzen, sammle ich meine Energie zu einer Geste, die sie in der Luft zu farbigen Vögeln aus dem Regenwald verwandeln, die flügelschlagend von mir ablassen.

Laubbläser verwalten lärmend die Verhinderung humoser Weichheit. Meine Gänge über den Waldboden waren federnd. Der Hang und sein Weg, sind nun von mir verlassen. Ich frage mich, ob ich einen neuen, unkomplizierten Trampelpfad gleich in der Nähe anlegen sollte. Vielleicht auf dem kleinen Stück Wiese vor dem Atelier.

Trotz der Anstrengungen um die Einrichtung der Orangerie, ist auf einem Blatt, an dem ich bereits an drei Tagen arbeitete, ein fragmentiertes Rasterportrait hinzugekommen.

Gruppenfoto

In der Biografiereihe taucht wieder das Portrait meines Vaters, als etwa Fünfundzwanzigjähriger auf. In diesem Alter befindet sich jetzt Vinzenz. Hinter der Pioniergruppe, die mir die Portraits liefert, die ich in die verschiedenen Konstellationen stelle, steht er, soweit man es erkennen kann, in einem Blauhemd, der Uniform der Freien Deutschen Jugend. Auf meinem Einschulungsfoto trägt er das Abzeichen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am Revers. Sein Blick geht geradeaus, die Linse des Fotografen missachtend. Ein Mädchen hält eine Urkunde unbekannten Inhalts vor seinen Oberkörper, ein Junge präsentiert den Speer, der neben seinem Fuß steckt, mit dem Pionierwimpel schräg von sich fort, eine Dreieckskonstruktion. Die Pionierleiterin, nicht viel älter als achtzehn Jahre, steht ebenfalls in Uniform zwischen ihnen. Sie trägt dieselbe Einheitsfrisur, wie alle Mädchen, die Hände hinter dem Rücken. Das alles erscheint, wie eine Szene, die einen etwas abgemilderten Stalinismus illustriert, der sagt: „Wir sind im Recht!“.

Chaos im Atelier, denn die Pflanzen müssen hereingeholt werden. Nordwind ist angesagt mit einer Kaltfront, die die Temperatur über zehn Grad sinken lassen wird. Paulo hat die Regale draußen schon leer geräumt. Jetzt müssen sie noch von innen an die Fenster der Rolltore gestellt werden, um die vielen Pflanztöpfe aufzunehmen. Jedes Jahr im Herbst findet dieses Ritual auf den drei Leitern aus Holz und Aluminium statt. Viele Pflanzen habe ich vor dem Hereinräumen stark zurück geschnitten, wie eine Duftgeranie, deren Blätter ich in ein offenes Gefäß gelegt habe, um zu erleben, welchen Duft sie während des Verrottens verströmen.

Kühl geleuchtete Szene

Eine Apsaratänzerin, Griff eines Glöckchens aus Bronze, steht vor dem fotografierten Gesicht von Uschi Obermayer, die neben Keith Richards sitzt. Gefiltertes, kaltes Licht von draußen kühlt die Szene auf dem Regal.

Ab und an übernachte ich noch mal hier im Atelier, probiere mitten in meiner Arbeit zu schlafen. Das gelingt weniger gut. Das Alleinsein erinnert mich aber an mich selbst.

Gestern arbeitete ich an sehr vielen Zeichnungen weiter, habe manche begonnen und andere abgeschlossen. So entstehen lange Reihen von Blättern, die aufeinander verweisen. Ohne groß nachzudenken produziere ich eines ums andere.

Im Rebstockimbiss, als ich auf die Übertragung eines Fußballspieles wartete, zeichnete ich die Biertrinker. Die Wiederaufnahme dieser Tradition ist nicht wichtig, bereichert aber meine Arbeit. Außerdem sichtete ich die „Auf – Zeichnungen“ auf Rolle 6 und nähere mich einem Moment, an dem ich die Arbeit daran wieder aufnehmen kann. Die Unterbrechung hatte ganz praktische Gründe. Ich wollte einfach wieder Blätter herstellen, die ich in unterschiedlichen Konstellationen nebeneinander aufhängen kann, damit unterschiedliche Bezüge deutlich werden.

Das Fußballspiel, auf das ich bei Kayo gewartet hatte, wurde wegen sich verdichtender Terrorismuswarnungen abgesagt.

Netze | Übergänge

Die Zeichnung zu Bebenhausen und den Kreuzzügen, die ich vor einem Jahr in die Rolle 6 einfügte, stammt vom 18.08. 1984 und von der Rückseite einer Monotypie – also keine eigentliche Zeichnung, sondern nur ein nebensächlicher Abdruck. Im handschriftlichen Text hielt ich das vor einem Jahr fest, genau wie heute wieder, nur noch mal aus anderer Perspektive und durch sie ergänzt. So versuche ich Denkschritte zu wiederholen und fortzuführen.

Bei den Transparentpapierzeichnungen setzte ich derzeit oft das Rasterportrait meiner Mutter aus dem Jahr 1961 ein. Ich kombinierte es mit der Graphitfrottage eines islamisch- maghrebinischen Kachelreliefs. Ein zweites entstand unter Zusammenfügung von Bleistiftschraffuren, Tusche- Schelllackverwischungen und Gravitationsschwüngen, deren Kreuzungen mit Tintenpunkten markiert sind. Ich habe es oben in die Collage eingefügt. Die Bleistiftschraffuren sind manchmal von dem Relief der Kachel beeinflusst. So flechte ich die Netze aus verschiedenen Elementen.

Außerdem habe ich versucht, die farbige Verwischungstechnik aus den Tagebuchmalereien auf die Transparentpapierzeichnungen zu übertragen, was mir nicht befriedigend gelang. Die Entwicklung dahin muss langsamer, unter Zuhilfenahme der bewährten Materialien passieren. Es bilden sich Übergänge zwischen Malerei, Collage und Zeichnung.

Lichtzerstörungsakt

Montagslicht, kalt, weißgrau, sehr hell, bei immer noch milden Lufttemperaturen. Der feuchte Westwind bringt schnelle Lichtwechsel, als zöge der Himmel immer neue Kostüme an, schwere große Kleider oder leichte kleine Stoffe.

Vor genau einem Jahr war Sonntag. Es regnete, künstlerische Produktion war eingeschränkt, auf Rolle 6 begann die Beschäftigung mit älteren Arbeiten. Eine Zeichnung mit einer schreitenden Figur und dem Sonnensymbol einer Felsgravur aus Twyfelfontein, wurde zu einer tiefschwarzen Tuscheliniensequenz. Eine Verdichtungswut, ein Vernichtungswerk, ein Lichtzerstörungsakt. Dann anschließend folgte auf der Rolle eine Kreuzrittersequenz. Grundlage hierfür eine Monotypie aus einer Reihe, die sich dem achthundertsten Jubiläum des Klosters Bebenhausen widmete: Rüstung, Schwert, Tod. Das beschäftigt uns nun wieder oder immer noch.

Die Fortsetzung der täglichen Malereien, die Überführung der malerischen Gesten in die Zeichnungen zum Biografiethema steht im Raum. Ich frage mich nach Möglichkeiten der Umsetzung von Farbigkeiten meiner Buchmalereien auf Transparentpapier.

Die Einrichtung der Orangerie in den Regalen vor den Fenstern rückt mit dem Temperaturrückgang näher. Paulo, mein Praktikant, wird mir dabei helfen.

Alles ist alles

Gleich die ersten Malereien im neuen Arbeitstagebuch sind expressiver, dichter und vielschichtiger als die vorangegangenen. Ich arbeitete schnell, um sie fertig zu bekommen, und dennoch dauerte es länger als sonst. Diese Konzentration auf alles, was mit den Arbeitstagebüchern zutun hat, auf den handschriftlichen Text, auf die danach erstellte abgespeckte und anderweitig veränderte Datei, auf die Malereien und ihre Scans und schließlich auf die Collagen, die oben eingefügt werden, gleicht einem lang anhaltenden Lauf. Immer weiter und weiter. Ich könnte mir vorstellen, alle am Tag folgenden Arbeitsvorgänge als Fortsetzung dieser Beschäftigung zu betrachten. Und in Wirklichkeit ist es so, dass dieser Vorgang schon begonnen hat. Oft kann ich gleich nach diesen ersten Stunden am Tag nahtlos an den Transparentpapieren der Biografie weitermachen. Durch die Gravitationsschwünge und die Verwischungen, gleichen sich sogar die Arbeitsvorgänge. Auch jetzt merke ich, wie ich hier ruhig werde, wie ich den täglichen Rückzug für mein Gleichgewicht benötige und in die Produktion nun leicht eintauchen kann.

Andererseits bemerke ich eine wachsende Nähe zum Museum, zu seinen aktuellen Themen und zur Definition: Alles ist Architektur – alles ist Pädagogik.

Da fällt mir ein, dass Daniel Libeskind ein musikalisch- architektonisches Projekt, unter dem Titel: ONE DAY IN LIFE, in Frankfurt angekündigt hat. Vielleicht sollten wir uns mal näher darum kümmern.

Super 8 | Wachsfiguren

Immer noch spielen die Tagebucheintragungen, die ich vor einem Jahr gemacht habe eine Rolle beim aktuellen Schreiben. In deutlicherer Erinnerung entstehen dadurch aber auch die Arbeiten zum Biografiethema. Während der Kunstschule zeichnete ich drei Pionierportraits auf die vorbereiteten Blätter. Immer deutlicher wird, dass die Methode, mich intensiv mit den einzelnen Portraits zu befassen, greift und mich weiter bringt. Legt man die Blätter übereinander, vervollständigen sich die Rasterabbildungen.

Joana hat nun ihr Wachsobjekt, an dem sie monatelang gearbeitet hat, beendet. Wie wäre es nun als nächstes mit gegossenen Wachsfiguren?

In meinem Ansatz der Biografiearbeit bin ich gestern von dem polnischen Künstler Janek Turkowski aus Szczecin bestärkt worden. Im Jahr 2005 entdeckte er auf einem Flohmarkt in Wolgast mehrere Rollen Super 8 Filmmaterial mit einem entsprechenden Projektor. Auf den flackernden Bildern war immer wieder dieselbe Frau zu sehen, nach der er dann zu forschen begann. Er fand sie hundertjährig in einem Altenheim auf der Insel Usedom und stellte ihr angesichts des Materials, das er ihr vorspielte die Fragen, die sich ihm, während der häufigen Sichtung und Bearbeitung der Filme, stellten. Das hartnäckige aber behutsame Vorgehen, der vorsichtige Umgang mit dem privaten Dokumentarmaterial, berührte mich stark. Und richtigerweise fand die Performance im Rahmen einer Privatwohnung statt. Die Parallelität, zu meinem Vorhaben, die aktuellen zarten Blätter in dem neu einzurichtenden Zimmer in der Frankenallee zu zeigen, verblüffte mich.

Danach hörten wir von den Anschlägen in Paris.

Kann sein

Das dritte zarte Triptychon ist nun fast fertig. Es fehlen noch vielleicht zwei Frottagen, die ich so anlegen will, dass sie einen Verweis auf die benachbarten Blätter bilden. In dieser Weise wird auch die Reihenfolge der drei Blätter bestimmt. Der Variantenreichtum ist bei weitem nicht ausgeschöpft, und es ist zu überprüfen, bis zu welchem Punkt das überhaupt sinnvoll sein wird, weiter zu machen. Ich bin gespannt, wann ich wieder zu größeren Formaten komme.

Das Zeichnen habe ich am Vormittag schnell hinbekommen. Die Geschwindigkeit strengt zwar an, ist aber manchmal auch befreiend. Nachmittags Selbstportraitsitzung, Einkauf und Vorbereitung auf meinen Vortrag im Museum. Dort beschlich mich im Angesicht des Publikums, nach sehr langer Zeit, eine Art Prüfungsgefühl. Dass sich die Unruhe im Rahmen hält, sind Vorteile des Alters und der Arbeitserfahrungen. Ich habe aber auch meinen Spaß dabei!

Wenig Licht an diesem Morgen. Die Trübnis mehrerer Wolkenschichten scheint auch die Geräusche zu dämmen. Die Signalhörner der Rangierloks erscheinen deutlich melancholischer. Ihre Töne klingen, wie von Lebewesen gerufen.

Die Produktion läuft derzeit von einer gut geölten Maschinerie in Gang gehalten. Niemand bekommt sie bislang zu Gesicht. Es kann auch sein, dass dieses Arbeitsthema auch noch lange nicht vorbei ist. Kann sein.

Gangskizzen | Geben und Nehmen

Vor einigen Jahren unternahm ich im Gustavsburgpark einen GPS-Gang, den ich als choreografische Skizze bezeichnete. Mehrere solcher Gangskizzen habe ich beispielsweise auch auf dem Abgeräumten Güterbahnhof unternommen. Sicherlich lassen sich aus den GPS-Datenaufzeichnungen und den Tagebucheintragungen Rückschlüsse auf die Zusammenhänge ziehen, in deren Kontext diese Arbeit steht.

Gegenwärtige Zusammenhänge sehe ich zwischen diesen Gängen und den Gravitationsschwüngen, wie sie auf den Transparentpapieren und in den Arbeitstagebüchern auftauchen.

Vor mir liegen sieben Zeichnungen, die ich gestern begonnen habe. Zunächst gehören sie nicht unmittelbar zur Biografiereihe, denn zu sehr hatte ich den Kompositionszusammenhalt von Synaptischen Kartierungen, Frottagen wandernder Gegenstände und Gravitationsschwüngen vor Augen. Ob dies, was ich nur als Vorarbeiten oder Grund für die Jungpionierportraits betrachtete, eigenständige Blätter sein könnten, mag dahingestellt bleiben. Die Zeit wird das beantworten.

Am Abend waren wir in der Schrin und sahen die Ausstellung „Sturm – Frauen“. Teilweise ihrer Zeit voraus, irritierten mich die Werke, weil sie größtenteils vollständig unbekannt sind. Diese Diskrepanz förderte in mir den Gedanken, dass die Ähnlichkeit dieser Malereien und Holzschnitte mit denen, der ihnen nahe stehenden Männer, womöglich mit der Prägung der weiblichen Arbeiten auf die der allseits bekannten männlichen überging. Ein Geben und Nehmen zumindest.

Zwischen zwei Zeichnungen

Beim Zusammenstellen der Collage, die ich oben eingefügt habe, überfiel mich eine Art von Überforderung wegen der Verschiedenheit der Arbeiten, die ich zusammenfüge. Diese Anstrengung verbindet sich mit den Rückblicken in die unterschiedlichen Arbeitsphasen meines Lebens.

So zeichnete ich gestern nach siebenunddreißig Jahren wieder in einer Kneipe, wie ich das zuletzt in einer „Ritterklause“ am 8.2. 1977 tat. Die Fähigkeit das Verhalten der Richtungen der Körper im Raum zueinander zu beobachten, um dann eine Szene zusammenzustellen, habe ich in der Zeit zwischen den beiden Zeichnungen nicht verloren, vielmehr noch weiter ausgebildet.

Die Sammlungen der Dokumentationsfotos der letzten Jahre suchte ich nach Bildern für meinen Auftritt im Museum ab. Die Herstellung des Einbaums im Zusammenhang mit dem „Handprint Frankfurt“ im Jahr 2008 ist besonders ausführlich mit Fotografien begleitet worden.

Ich schaue auf die gestrigen Gravitationsschwünge hier im Buch und auf die des neuen Triptychons von Vorgestern. Die Zartheit auf dem Transparentpapier ist so intim und verletzlich, dass sie nur unter besonderen Bedingungen gezeigt werden kann. Deswegen möchte ich in dem Zimmer, das neu in der Frankenallee für mich entsteht, so etwas wie eine kleine Galerie meiner Arbeit einrichten, in der ich diese zarten Blätter zeigen kann.

Ententeich leer

Krishnababy sucht im Text von „Desolation Row“ herum. Seine Fingerzeige interessieren mich nicht, und ich stelle lieber das Rauschen ab, das mir das Licht kollabieren lässt.

In einem Arbeitskrampf begann ich gestern mit einem neuen Triptychon. Die Arbeitswut hielt, bis mir die Augen zufielen. Bin nicht sicher ob das zu etwas geworden ist, das mir weiter hilft, ob eine neue Runde eingeläutet wird.

Handfeste Widersprüche in der Liebe zum regulierten Prügelspiel, dem Boxsport.

Im Gummikombinat Thüringen wurde ein Lehrling belobigt, weil er einen flüchtigen Soldaten der Sowjetarmee aufgespürt hat. Soviel ich weiß, wurden Fahnenflüchtige der Roten Armee hingerichtet.

Am Morgen zeichnete ich im Chinesischen Garten. Die Enten auf dem Teich sind fort. Vor drei Wochen sah ich dort einen großen Greifvogel, einen Bussard und dachte an Vinzenz bei Ai.

Am Nachmittag werde ich in Bilddateien kramen und die letzten vier Jahre der Kunstschule an mit vorüberziehen lassen. Im Museum will ich einen kleinen Vortrag darüber halten.

Lichtwechsel | Bohnerwachs | Bühnenkampf

In der Einsiedelei im Atelier wächst zunächst, nach den Erinnerungen der letzten Tage, Stille in mich hinein. Aus dem morgendlichen Wolkengeschiebe treten Lichtwechsel in den Raum.

Das Triptychon der vergangenen Woche führt mich zurück in die Zeit, in der meine Schule nach Bohnerwachs roch. In den Pausen polterte ein Dauerfeuer schlechter Schuhe auf die ausgetretenen Dielen des Holztreppenhauses. Die Finsternis der, mit altem Schweiß gefirnissten Turnhalle trat aus den Gitterfenstern hinaus auf den staubigen Platz zwischen den Fassaden der Gründerzeitschulgebäude. Der Schulhof einer Untertanenfabrik ganz in Backstein.

Stefan Kimmig hat „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ im Schauspiel Frankfurt inszeniert. Die Premiere haben wir gestern gesehen. Ein begnadeter Text traf auf einen geduldigen Regisseur, der eine reduzierte und schlüssige Arbeit abgeliefert hat. Die Ausweglosigkeit eines sich zyklisch aufschwingenden Ehekampfes, dessen Brutalität das gesellschaftliche Leben des Amerikas der Sechzigerjahre spiegelt. Diese Art von Gesellschaftskritik erinnert mich an die aufkeimenden Gefühle meiner Jugend in der Atmosphäre von Kreidestaub und Angstschweiß in Reih und Glied.

Vielleicht ist es nun richtig noch ein paar dieser Triptychen von Pionierportraits zu zeichnen. Sie treffen den Nerv der Erinnerung genau. Warum sie das tun, will ich nicht erforschen, will nur weiter zeichnen.

Novembersommer

Sommerliche Stille vor dem Atelier. Das Thermometer zeigt fast zwanzig Grad im Schatten. Im Gärtchen setzt sich aus dem Licht, den Blüten und den Bienen zwischen ihnen, eine kanarische Atmosphäre zusammen und erinnert an das Fluidum unserer Winterreisen auf die Inseln. Ein seltener Moment, an dem sich die mitgebrachten Sukkulenten, Oliven- und Zitronenbäume im richtigen Klima befinden. Mit der Einrichtung meiner Orangerie habe ich in diesem Herbst lange gewartet. Dafür hätte ich gerne in der kommenden Zeit ein richtiges Gewächshaus.

Vor dem fernen Donner des Flughafens läutet es sonntäglich. Auf der anderen Seite klingen die Schienenstöße des grollenden Bahndamms.

Sieben Meter vor mir hängt das Pionierportrait – Triptychon und spricht mit mir. Ich stelle mir eine etwa fünffache Vergrößerung vor und weiß, dass ich sie nicht umsetzen werde. So bleibt es bei diesem konzeptionellen Objekt.

Weiter, weiter, weiter.

In der Frankenallee liegt ein neues Dylanbuch, das sich nur mit dem Album „Highway 61 Revisted“ beschäftigt. Darin wird vorgeschlagen, dass man es mehrmals hintereinander hören soll, was ich auch tat. Belohnt wurde ich mit der Entdeckung vieler musikalischer Schichten.

Zeitbehälter

Schon jetzt gegen Fünf wird es dunkel. Gerade erst bin ich im Atelier angekommen und werde auch nicht lange bleiben.

Im Frankfurt LAB trafen wir gestern alte Theaterfreundinnen. Erinnerung an einen Text, den Susanne im kalten „Balken“ über mein Frankfurter Kraftfeld geschrieben hat, ein kraftvoll rohes Gebilde expressiver Auseinandersetzung mit den Bildern aus der Perspektive einer jahrelangen Ost-Erfahrung in Weimar.

Sabine, mit der wir uns in Heidelberg angefreundet hatten, kam noch mit zu uns. Sie erzählte von ihrem autobiografischen Theater. Manches klang vertraut, wie auch der Ton zwischen uns sich nach zwanzig Jahren nicht verändert hatte.

In der Kunstschule kochten wir gestern Mittag und sprachen dann über die Zeit, die wir aufwenden, um uns zu treffen. Wir tun sie in einen gemeinsamen Behälter, aus dem wir uns mit Erinnerungen bedienen können. Das lenkt auf unser nächstes Thema, das „Biografie“ heißen wird.

An der Tankstelle habe ich uns ein Sixpack gekauft und noch eine einzelne Flasche für mich. Ich höre die erste Zeile von „Desolation Row“ auf „Highway 61 Revisted“ und sinke nun in mich zurück, nachdem wir in der lauten Stadt waren.

Triptychon

Drei Varianten desselben Rasterportraits sind entstanden. Mit dieser weiteren Vertiefung der Beschäftigung mit den Pioniermotiven werden unterschiedliche Fragmentierungen sichtbar. Die Verschiedenen Beeinflussungen von Erinnerung, wie Abspaltung, Verwischung und Ausschnittsvergrößerungen, stehen innerhalb der Biografiearbeit parallel zu diesem Triptychon. Es steht durchaus in der Tradition von Erzählungen mythischer Inhalte, die Zusammengehörigkeit stiften und immer wieder, unter verschiedenen Gesichtspunkten, erneuern.

Nun besteht in dieser Arbeit kein Zweck, der sich aus einem Sendungsbewusstsein speist. Ich beobachte nur die scheinbar gleich bleibenden handwerklichen Vorgänge, die zu Veränderungen durch Perspektivwechsel führen und versuche das nicht weiter zu denken, sondern jetzt den Erkenntnisgewinn der Zeichnung zu überlassen.

Auf diese Aspekte meiner Arbeit konnte ich währen der anderthalb Stunden des Vortrages und Gesprächs mit meiner Besuchergruppe gestern nicht eingehen. Potential weiterer Gesprächsrunden wäre durchaus gegeben. Vielleicht ließe sich so etwas in Regelmäßigkeit einrichten.

Wind kommt auf. Er transportiert warme Luft vom Mittelmeer in unsere herbstlichen Breiten. Dazu wird die Luft nun auch feucht, so dass man meint, alles Pflanzliche müsse nun wachsen. Aber das schwindende Licht lässt die inneren Uhren langsamer ticken.

Routine | Überblendung | Impulse

Die Zeichnungen von Gestern zeigen unter anderem auch wieder Pionierportraits. Offensichtlich bin ich mit diesem Thema noch nicht fertig. Die Fragmentierung der Rasterzeichnungen geschieht unter Zuhilfenahme der Flächen, die durch die beidseitige Beschichtung des Transparentpapiers mit Schelllack, besonders durchsichtig werden. An diesen Stellen setze ich die Tusche ausfüllend in den entsprechenden Feldern ein. In anderen Bereichen zeichne ich nur Konturen mit Tinte, Tusche oder Bleistift. Das Prinzip ließe sich auch umkehren. Das hieße aber dass die Peripherie eher dicht und Kompakt bliebe, um nach innen hin brüchiger und fragmentierter zu werden. Diese handwerklichen Varianten halten mich bei der Stange. Ich kann da nicht viel falsch machen, weil es routiniert abläuft. Dennoch ergeben sich immer variantenreiche Neuigkeiten.

Als ich gestern auf dem Rechner eine Diashow mit den täglichen Collagen einrichtete, hatte ich beim Überblendungseffekt im Auge, dass immer ein Motiv aus dem des vorherigen Tages entsteht. Für mich ist es eine Gelegenheit, mich noch mal mit der Arbeit von diesem Jahr zu beschäftigen.

In der Gruppe von Führungskräften, die gerade mein Atelier verlassen hat, kam die Frage auf, wo ich denn gerne, nach meinem Ableben, meine Arbeit sehen würde. Sicher entstand der Gedanke auch im Angesicht der Diashow, die hinter mir lief und in Anbetracht der über hundert Tagebücher, die im Regal stehen. Ich hoffe, dass das Gespräch Impulse für den Arbeitsalltag dieser Gruppe lieferte, der sicherlich grauer ist, als meiner.

Unaufgeräumt

Weitere Zeichnungen mit den bewährten Materialien und Motiven. Es ist, als erwartete ich eine Neuerung aus dem Fluss der gleich bleibenden Arbeit, als würde sich von alleine etwas einstellen, was ich vorher nicht denken konnte, was nur über die sich wiederholende Tätigkeit an die Oberfläche kommt.

Ich bemerke, dass mein Atelier vollgestellt ist. Jeder Rest von einem Arbeitsvorgang will ein Objekt sein, erheischt Aufmerksamkeit und soll in entsprechender Umgebung zur Wirkung kommen. Das ist wie ein Prinzip. Nun habe ich am Nachmittag in diesem Chaos einen Fototermin für eine neue Broschüre unserer Projekte fürs Kultusministerium.

Morgen bekomme ich Besuch von einigen Führungskräften aus unterschiedlichen Unternehmen. Ich stehe vor der Frage, ob ich jetzt aufräume oder die Unaufgeräumtheit ausstelle, sie zur Ausgangsposition des Gesprächs mache. Einerseits sieht das wie eine Pose aus, andererseits ist es die wahrhaftige Situation.

Am Montag hatte ich das Gefühl, eine freie Arbeitswoche vor mir zu haben. Aber nun vergrößern sich alle Störungen in meiner Wahrnehmung, und es kommen welche hinzu, die ich gerne in kauf nehme, weil sie mich von den Dingen fernhalten, die ich mir nicht leicht von der Hand gehen.

Materialien und Motive

Am Morgen machte ich eine Zeichnung im Chinesischen Garten an der Berger Straße. Die Blätter auf der Oberfläche des geschwungenen Teiches zeigen die Richtung der Spiegelfläche. Ich betätigte mich mit einem impressionistischen Duktus und trotzte der feuchten Kälte mit einem flotten Strich.

Vinzenz schickt viel Material über seine Zusammenarbeit mit Ai Weiwei. Er brannte darauf, loszulegen. Auf einer viel beachteten Podiumssitzung hatte er seinen Videoauftritt im Gespräch mit seinem jetzigen Meister. In einem Cafe las ich eine Besprechung dieser Veranstaltung.

Rechts neben meinem Buch liegt eine Zeichnung auf Transparentpapier. Die Materialien Tinte, Tusche, Schelllack und Graphit vereinigen einen Schattenriss aus der Installation „You Made Me a Monster“, eine Frottage eines wandernden Muschelringes, die Aufzeichnung der Stadtwanderung in Wolfenbüttel, eine Synaptische Kartierung und Gravitationsschwünge. Für die eigentlich unaufwendige Arbeit benötigte ich die ganze Kraft des Tages.

Nach einem trüben Vormittag hellt sich nun das Wolken- und Nebelgeschehen auf, und die Temperatur beginnt langsam etwas zu steigen.

Kontrapunktische Arbeitsimpulse

In einem flachen Winkel fällt das Licht durch die Atelierfenster. Es dringt zwischen die Sammelsurien und rückt sie in meine Aufmerksamkeit. Die mit ihnen verbundenen Geschichten und Arbeitsvorgänge bewegen sich miteinander. Das ist wie ein kontrapunktischer Tanz, der mit meinen Arbeitsimpulsen spielt.

Die Nachttemperaturen sinken langsam. Noch lasse ich die empfindlichen Pflanzen aus den subtropischen Regionen vor dem Atelier stehen. Sie sollen ihr Licht so lange wie möglich im Gärtchen bekommen. Und vielleicht kann ich die alljährliche Herbstaktion des Pflanzenumzugs noch so lange hinauszögern, bis Paulo sein zweites Praktikum bei mir antritt. Er könnte mir dann beim Transportieren der großen Pflanzkübel helfen.

Nach dem langen Wochenende bin ich froh, wieder bei meiner Arbeit zu sein und für sie genug Zeit zu haben. Die Tagebücher liegen ja an den Wochenenden nicht brach, bewohnen zu Recht dann aber nur eine Nische im Ablauf des Tages.

Ich überlege, ein größeres Querformat aus Transparentpapier für die Wohnung in der Frankenallee herzustellen. Motive könnten Rasterstilisierungen des Elbeisgangs, eines Kinderportraits und in Schellack eingegossene Fundstücke sein.

Eine Landschaft zwischen Steppe und Savanne

In den letzten Tagen war wenig Zeit für mich und meine Arbeit. Das ist nicht so schlimm. Seit einiger Zeit nehme sind solche Situationen leichter, bin da zurzeit nicht so rigoros. Ich lese in den ein Jahr alten Tagebuchaufzeichnungen über meinen Rückzug ins Atelier, in meine Winterhöhle.

Gestern habe ich eine meiner lang gezogenen Körperbewegungen, die ich in der Videoinstallation „City of Abstract“ fotografierte, bearbeitet und in die tägliche Collage eingefügt. Manchmal erscheinen jetzt auch Handschriftfragmente auf den gescannten Zeichnungen, weil ich sie nicht, wenn sie über ihren im Buch zugewiesenen Raum hinausgehen, beschneiden will.

In der Dünenlandschaft südlich des Mains bei Höchst, spazierten wir im warmen Herbstlicht. Auf Hinweisschildern steht, dass diese Landschaft vor über zehntausend Jahren, nach der letzten Eiszeit entstanden ist. Im reichlichen Schmelzwasser brachte der Main viele Sedimente mit. Während Trockenphasen wurden diese aus dem Flussbett herausgeweht und dort bis zu zwanzig Meter aufgetürmt. Nun ist dies eine „Landschaft zwischen Steppe und Savanne“, teilweise mit kleinen Kiefern bewachsen, wie an einer sandigen Küste.

Wir sahen Eichelhäher, die gemäß ihrem Namen ganze Eicheln mit ihren Schalen verschlangen.

Ausscheren

Ruhig schere ich aus dem selbst auferlegten, permanenten Produktionsdruck aus, um andere Dinge um mich herum deutlicher und gründlicher wahrnehmen zu können.

Die Rückverlagerung vieler Perspektivpunkte in die Frankenallee, zieht eine leichte Vernachlässigung des Ateliers nach sich. Aber es entstehen auch neue Räume, um beispielsweise die alten Holzdruckstöcke hierher zu transportieren, um sie gegebenenfalls in der aktuellen Arbeit zu benutzen.

Farbholzschnittdruckstöcke von Ernst Ludwig Kirchner sah ich gestern im Städelmuseum. Bei ihrer Betrachtung wird deutlich, wie weit man sich in diese Technik hineinbegeben kann, um in sie stetiger Vervollkommnung auszureizen. Diese alten grafischen Techniken müssen den jungen Künstlern, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, seltsam vorkommen.

Im MMK fotografierte ich ein auf dem Bauch liegendes Baby in einem grüngestreiften Strampelanzug. Es befand sich unter dem niedrigen Plafond einer choreografischen Installation, die die Kinder als den Raum entdeckt hatten, in den ihnen die Erwachsenen nur mit einiger Mühe folgen können. Und wenn man das trotzdem tut, kommt man sich mit den jungen Ausstellungsbesuchern ein wenig verschworen vor.

Archäologie | Handschrift | schon gescannt

Spät, erst gegen Zehn bin ich im Atelier und genieße mit etwas Musik das ungestörte Arbeiten. Es liegen Bücher zu den Choreografien und den choreografischen Objekten von Forsythe herum. Jetzt, wo er fort ist, kommt mir die Arbeit mit seiner Formensprache gleich vor wie Archäologie.

Die Fotoausbeute des gestrigen Ausstellungsbesuches habe ich gesichtet und auf eine Festplatte überspielt. Gleichzeitig bin ich auf der Suche nach meinen Arbeiten zu „You Made Me a Monster“ oder nach dem, was da auch schon gescannt ist.

Das Donnerstagsgespräch um die Annäherung an das Selbstportrait braucht einige Zeit, bis ich an einen Ort gelange, der eine Perspektive herstellt, die einen Blick in die Tiefe erlaubt. Das ist wie beim Fotografieren eine Gitterobjektes.

Im Netz bei Vinzenz entdecke ich erfreut Ausschnitte meiner täglichen Collagen. In der sonstigen Umgebung seiner Bildproduktion nehmen sie sich etwas konservativ zurückhaltend aus. Es handelt sich aber um meine persönliche Handschrift und somit um etwas selten werdendes.

Wir haben Lust einen Blindengang im Rebstockpark zu machen, wie ich ihn in Wolfenbüttel erlebt habe. Diese Gänge möchte ich auch aufzeichnen.

City of Abstracts | Leonce und Lena

Heute habe ich den täglich regelmäßigen Arbeitsablauf gedreht, um noch mal am Vormittag in das MMK zu gehen. Ab zehn Uhr besteht die Chance, dass man die choreografischen Installationen von Forsythe für sich alleine hat. Gerade vor dem großen Screen von „ City of Abstracts“ hatte ich Gelegenheit, meine, von der Videotechnik lang gezogenen Bewegungen, in Ruhe zu verfolgen und dann auch zu fotografieren.

Wieder bewegte ich mich zwischen den für diese Ausstellung ausgewählten Werken der Museumssammlung und den Installationen des Choreografen. Manches, was ich beim letzten Mal gezeichnet habe, fotografierte ich nun.

Gespannt, die Fotografien auf dem Bildschirm zu sehen, sie zu bearbeiten und dann auszudrucken, setze ich auf die analoge Arbeitsphase, in der ich Elemente auf Transparentpapier übertrage, miteinander kombiniere und weiter verdichte.

Am gestrigen Abend sahen wir „Leonce und Lena“ in einer Regie von Jürgen Kruse. Viel direktes, radikales synaptisches Chaos war zu sehen. Das war konsequent persönlich und mit schönen Bildern durchsetzt. Eine etwas gleich bleibende Lautstärke hat den Klamauk nicht kleiner gemacht. Nur ein mal sah ich auf meine Taschenuhr.

Tiefenschärfe

In der gestrigen Morgensonne warf die große Dreiecksgitterkonstruktion ihre kristallinen Schatten auf den Boden und in den Raum. Wenn ich durch ihre Längsachse schaue, und der Spiegel dahinter das große Bild mit meinem Portrait als Siebenjähriger einfängt, reizt diese Tiefe der Bildkomposition. Das fotografierte ich gerade tiefenscharf und stelle es vielleicht morgen mit in die tägliche Collage, die heute schon mit der Überlagerung einer weiteren Tagebuchzeichnung gemacht ist, in meinen täglichen Arbeitsbericht.

Am Abend hat Carola einen Vortrag über die Gruppe 47 gehalten. Das fand in einer schönen Penthousewohnung statt, von deren Terrasse man einen wunderbaren Blick auf die von leichtem Dunst eingehüllte und leuchtende Skyline hatte. An Ausschnitten eines älteren ZDF-Beitrages entlang, hörten wir einen kurzweiligen und sehr informativen Abend. Dann beim Wein Gespräche mit lauter Menschen, die ich noch nie gesehen hatte.

Meine Tochter berichtete von ihrem Roman und vom Interesse eines Verlages. Nun drücke ich ihr die Daumen für ihr Debüt.

Meine Gedanken fahren immer noch mal durch die das Gehen im Wolfenbüttel. Keith Richards spielt einen akustischen Blues mit dem Titel „Crosseyed Heart“, die Heizung rauscht im Chor mit den Stadtbahnen auf dem Damm und eine fast durchsichtige Spinne sucht sich ihren Weg über meinen Schreibtisch.

Nice | Verweigerung

Mit fällt ein, dass ich mal Selbstportraits zeichnen könnte, die gegenwärtig sind und nichts mit meiner Zeit als Jungpionier zutun haben.

Vinzenz schickte mir ein Link zu einer Pressekonferenz mit Ai Weiwei. Dort berichtete er, wie er seine Studentengruppe zusammengestellt hat. Aus einhundert Bewerbungen wählte er sechzehn aus, darunter Vinzenz. Sie kommen mit ganz verschiedenen Fähigkeiten zusammen. Es geht um neue Medien, um Design und Mode, um Philosophie und Kochen. Der Ansatz gefällt mir, weil er endlich das nutzt, was die UdK so auszeichnet, nämlich den Mix der verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten von Kunstgattungen und ihren Verwandtschaften.

Per elektronischer Post zeigte Vinzenz Ai Weiwei eine meiner Arbeiten und eine Ansicht meines Ateliers. Er antwortete mit seinem Logo und einem „nice“. Mein Neffe…

In der letzten Performance in der Bundesakademie ging es um einen Stadtgang mit verschiedenen choreografischen Zusammenstellungen, die sich alle aus dem Gehen entwickeln sollten. Die ballettösen Ausdrucksmittel meiner vier Mitstreiterinnen hatten nichts mit mir als Person und Künstler zutun. So kamen wir auf die Idee, meine Verweigerung und unseren Dissens zu inszenieren. Ich löste mich aus der „scrambelnden“ Gruppe heraus und begann einen ganz normalen Kreisgang, dem sich dann die anderen anschlossen und der, nach verschiedenen Variationen, die Arbeit langsam zu Ende gehen ließ. Das fand bei den anderen Teilnehmern Anklang.

Durchgewärmt

Atelier, Frankfurt.

Martin Nachbar ist also der nächste Choreograf, dessen Arbeit mich sehr interessiert. Besonders sein Ansatz, das alltägliche Gehen in eine Kunstform zu verwandeln, und diese dann wieder in den Alltag des Stadtraumes zu integrieren, hat für mich das meiste Potential, meine eigene Arbeit weiter zu entwickeln.

In der Kunstschule könnten die Techniken zum Tragen kommen. Meine Aufgabe ist es nun, die Übungen zu erinnern, um sie für die Stadterforschungsprojekte zu nutzen.

Etwas erneuert und durchgewärmt, etwas beweglicher und inspirierter bin ich nun wieder in meiner Arbeitsumgebung angekommen. Nun erscheinen die letzten Arbeiten wie eine ganz natürliche Vorbereitung für diese Erweiterung meiner Arbeitsmöglichkeiten.

Mal sehen ob sich beispielsweise das Hochhausprojekt, das mit Aussichten auf Landmarken beschäftigt, eine Erweiterung im performativen Bereich bekommen kann.

Dichte Gruppe

Zugabfahrt in Braunschweig kurz vor Vier. Eingefärbt liegt die Sonne unter Wolkenbänken eine Handbreit über dem Horizont.

Fast immer arbeite ich allein, außer in meiner Kunstschule. Diesmal sollte ich also in einer Gruppe aufgehen. Skeptisch begab ich mich in diese Situation. Und langsam stellte sich ein Wohlgefühl ein, das ich zunächst noch nicht so recht einordnen konnte.

Deutlicher wurde das bei Unternehmungen, die wir im Stadtraum probierten. Zunächst gingen wir als Pulk sehr langsam und schweigend durch die Straßen und in einen Park. Das fiel den Menschen, die dort unterwegs waren zwar auf, erregte aber kaum Widerstand, eher nur belustigtes Interesse an einem Vorgang, den man nicht so recht versteht.

Als dieselbe dichte Gruppe gingen wir dann in einer schnurgeraden Fußgängerzone rückwärts an all den vielen Fachwerksfassaden vorbei. Hier kam es schon eher zu heftigeren Reaktionen der zufälligen Zuschauer. Auch Aggression machte sich Luft.

Am Abend sahen wir verschiedene Tanzvideos. Unter anderem den Dokumentarfilm „The Walk“ über ein Projekt von Martin Nachbar in Berlin.

Schärfen der Sinne

Wolfenbüttel, Schünemanns Mühle.

In einer Probebühne im Erdgeschoss des alten, umgebauten Mühlengebäudes beschäftigen wir uns mit darstellender Kunst, die aus dem Gehen heraus stattfindet. Die Kunstgattungen sind nicht mehr so leicht zu trennen. So treffen sich Autorinnen, Performerinnen, Choreografinnen und bildende Künstler.

Der Workshop wird von Martin Nachbar aus Berlin geleitet. Für ihn ist das Gehen der Ausgang dessen, was für seine Performances im Stadtraum oder in Innenräumen geschieht. So choreographiert er in einer sehr fundierten, aber leicht daherkommenden Weise seine Arbeiten.

Die erste, sehr eindrückliche Übung für mich war mein Gang als Blinder mit geschlossenen Augen, unter der Führung einer mir ganz fremden Person. Nach anfänglichem Zögern kam ich zu einem Freiheitsgefühl, das sich auf die Leichtigkeit meines Körpers auswirkte. Gleichzeitig kehrt das Kindheitsgefühl zurück, kaum etwas entscheiden zu müssen. Und es schärfen sich die anderen Sinne. Deutlich wird der Kaffeegeruch in einer Fußgängerzone, Geräusche kommen, wie sichtbar näher und entfernen sich wieder. Der Körper spürt Erinnerungen nach, die sich mit einem Bodenbelag oder einer Steigung verknüpfen.

In der Stille tickt die Wanduhr

Am Küchentisch in der Frankenallee. Ungewohnter Blick aus dem Fenster beim Schreiben. Die gelben Blätter des Ahornbaumes leuchten in den hellen Morgen. Flugzeuge landen nach Westen.

Meine Siebensachen habe ich für einen Workshop an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung gepackt. Es dreht sich um das Gehen als künstlerische Praxis. Weiß nicht so recht, was mich da erwartet, ob es meiner Praxis, Städte und Landschaften zu kartieren, weitere Impulse geben kann. Bisher bin ich ja nur normal meine Wege gelaufen.

Scheinbar wenig Aufwand machten gestern drei Blätter, die auf eine minimalistische Weise schnell und leicht entstanden sind. Mit Gravitationsschwüngen verband ich Frottagen sich bewegender Gegenstände.

Schluck Mineralwasser, in der Stille tickt die Wanduhr, summt der Kühlschrank, plätschert die Dusche.

The Fact of Matter | Abkürzungen

Noch am Vormittag, nach meiner täglichen Morgenarbeit, fertigte ich ein Portrait meiner Mutter an. Dazu eine Ölfarben-Schelllack-Wolke und Gravitationsschwünge, die sich mit einer „wandernden“ Frottage und dem Portrait verbanden. Teilweise ist das oben in der Collage zu sehen.

Nach der Mittagspause in der Frankenallee fuhr ich mit etwas Zeichenmaterial in die Ausstellung „The Fact of Matter“ ins Museum für Moderne Kunst. Dort begann ich mich zeichnend mit den choreografischen Objekten und ihren Verbindungen zu ausgewählten Werken aus der Sammlung des Museums zu beschäftigen. Das geht langsam tastend vor sich.

Am Abend in der ARD ein eigenartiger Film von Niki Stein. Eine fiktiv-trashige Dokumentar-Spielfilmcollage zum Untergang der DDR (Beim Schreiben dieser Abkürzung erinnert sich meine rechte Hand an die vielen Male, bei denen ich diese sperrige Buchstabenkombination niederschrieb.). Nikis Idee war es, dass der BND (Diese Abkürzung schreibe ich zum ersten Mal.) Schabowski die Notiz zuspielte, auf der stand, dass das ZK der SED (schrieb ich auch oft) beschlossen hatte, die Grenze zur BRD (…) zu öffnen.

Über dem Horizont steht eine Lichtluke auf, aus der ein großer Theaterscheinwerfer mit einer matten Folie davor sein Licht auf die miteinander verflochtenen Szenen schickt.

Ensemble | Skizzenbücher

Aus unserem Ausstellungsraum Balken transportierte ich eine Dreiecksgitterkonstruktion ins Atelier. Die würde ich gerne in der Wohnung in der Frankenallee aufhängen und als Grundelement für einen Kronleuchter benutzen. In welchem Zimmer er hängen wird, ist noch nicht klar.

Gestern ist ein weiteres Biografieblatt entstanden, das ich oben auch teilweise in die heutige Collage eingesetzt habe. Über eine Ölfarben-Schellack-Wolke setzte ich ein Selbstportrait, eine Felsgravur aus Twyfelfontein und Gravitationslinien, die beide Elemente verbinden. Die Wolken des vorgestrigen und des gestrigen Blattes sind Zwillinge und entstanden dadurch, dass ich beide Blätter im feuchten Zustand aufeinander presste. Somit gehören sie zusammen. Wenn ich nun noch zwei Masken mit denselben Portraits hinzufüge, entsteht ein Ensemble.

Anne schenkte mir immer mal Skizzenbücher. Nun habe ich eines von ihnen genommen und begann im Chinesischen Garte da hinein zu zeichnen. Eine gegenständliche Zeichnung vor der Natur, wie früher. Dann zeichnete ich abstrakt in der U-Bahn weiter.

In dieser Weise möchte ich nun auch in der Forsytheausstellung arbeiten. Fotografie, Zeichnung und Bewegung. Auch zum Workshop in Wolfenbüttel will ich so ein Heft mitnehmen, wie auch mein GPS-Gerät.

Schatten des Drachens

Wenn man einen Drachen im Gegenwind steigen lässt, ihn im Gehen mit sich über das abgeerntete Feld führt, ist sein Schatten immer dabei. Er lässt die Songs düsterer klingen und färbt das Licht in der Vorwärtsbewegung.

Zu dritt greifen die neuen Skulpturen aus Draht und Pappmache gegenseitig in ihre Räume – ein Tanz. Dahinter hängen zwei neue Arbeiten, die das gestrige Datum tragen. Fragmentierte Rasterportraits mit Ölfarben-Schelllack-Wolken, Graphitfrottagen und Gravitationsschwüngen. Daran lässt sich gut weiterarbeiten.

Außerdem habe ich Masken abgeformt, die noch mit Portraits bemalt werden sollen. Vielleicht kann ich sie in Beziehung zu den Blättern setzen. Es bildet einen sichtbaren Produktionsvorteil, dass diese Arbeiten schnell von der Hand gehen. Somit bekomme ich Lust, die Formate wieder zu vergrößern.

Das Tanzthema manifestiert sich in den Arbeiten der Kunstschüler. Bewegungsreaktionen auf den Atelierraum und Raumexperimente mit Vinzenz schaffen eine weitere Schicht, mit der gearbeitet wird.

Nebel

Ein Nebel wie von Transparentpapierlagen vor dem Fenster. Er fällt herab und öffnet einen helleren Himmel. So sieht von innen betrachtet der Wochenbeginn aus.

Der Arbeitsrhythmus ist immer noch, wie in meiner Lehrzeit eingeteilt. An Sonntagen arbeite ich ungern. Das Tagebuch aber lässt auch an ihnen die Kontinuität der Beschäftigung mit dem, was sich in meiner Umgebung auf die Zeichnungen auswirkt, nicht abbrechen. Das ist etwas, wie ein Selbstportrait, an dem immer weitergemalt wird.

Krishnababy hält mir mit seinem Gewicht die steife, mit Fadenbindung befestigte Tagebuchseite unten, damit ich besser schreiben kann. Dabei fällt sein Schatten aufs Blatt, was mich an die Schattenwürfe auf den Tischen der Installation „You Made Me a Monster“ erinnert.

Den Platz am Dreieckstisch auf der anderen Seite des Ateliers habe ich jetzt verlassen und sitze wieder auf meiner Truhe an der rauschenden Heizung. Das Thermometer zeigt fast zwanzig Grad an. Das ist bequem.

Vor einer guten Woche habe ich aufgehört zu zeichnen. Daran möchte ich nun wieder anknüpfen. Zwischendrin sind ein paar skulpturale Versuche mit Gitterdraht und Pappmache entstanden. Blätter sichten, ordnen und dann beginnen zu zeichnen. Es liegt eine freie Arbeitswoche vor mir.

Der Meister

18.10. 2015

Die Arbeit von Forsythe ist meistens von gebauten Räumen umgeben. Ihr ist nicht die Freiheit des Himmels oder weiter Landschaften gegeben.

Zwischen den hängenden und pendelnden Loten haben wir uns gerne bewegt, ohne sie zu berühren. Das ist eine Herausforderung. Mich erinnert es an meine Stadtgänge mit dem GPS, wo ich auch Hindernissen ausweichen musste. Allerdings hatte ich viel Zeit dafür. Eis war wie eine räumlich und zeitlich gedehnte Choreografie.

Jone traf ich und berichtete ihr, dass der Energietransfer über unsere angenäherten Handflächen und Augensichtlinien immer noch wirkt.

Gestern Nachmittag sind wir nach Saarbrücken gefahren, zu einem weiteren Konzert mit Bob Dylan und seiner Band. Fast waren die Bühne, die fünf Musiker und der Meister schon ein gewohnter Anblick. Aber es hat sich verändert, dass ich seine Art der Interpretationen, besonders seiner eigenen Songs, nun viel besser verstehe. Der vertraute Gesangsstil deckt die verschiedenen Sicht- und Interpretationsmöglichkeiten auf. Das ist mir nahe und verändert sein Werk.

Vinzenz ist wieder in Berlin. Wir hatten hier in der vergangenen Woche viele schöne Momente miteinander.

Raumexperimente

Die Kunstschüler waren gestern eingeladen, mit Vinzenz etwas choreografisch zu arbeiten. Sie schufen mit ihrem Gegenüber eine Skulptur ihrer Vorstellung, indem sie die Körper in Haltungen versetzten, die ihren Intensionen entsprachen. Dabei sollten die Figuren aus verschiedenen Materialien bestehen, aus Marmor, Metall oder Ton.

Von dieser Übung aus setzte sich die Arbeit mit Drainagedrahtgeflechten, Wachs, Transparentpapier und Pappmache fort. Die Eigenerfindungen aus den Materialkombinationen gewannen an Dynamik.

Vorher machten wir Bratkartoffeln für unsere Schützlinge, Joana steuerte Rührei bei und ich ließ noch etwas Speck warm werden. Dann saßen wir alle um einen der Arbeitstische und teilten uns alles.

Am Abend gingen wir zur Eröffnung von „The Fact of Matter“, der Forsytheretrospektive im MMK. Der eigene Körper wurde zum Bestandteil der Ausstellung, weil nur durch die eigene Bewegung in den Installationen dieselben verständlich wurden. Auch die choreografischen Arbeiten, bei denen ich selber gefordert war, mit zu produzieren, sind mir am meisten präsent geblieben. Wir bewegten uns mit Freude und sahen den anderen Gästen, bei ihrer Freude damit, gerne zu.

Verheißung

Die leeren Tagebücher stehen im Regal wie ein Block Verheißung. Eines von ihnen gab ich weiter an Vinzenz. Er erzählt von seiner Freundin, die diesen Raum mit seiner eigenen Geschichte ausgestellte, dass sie sich gestern in einem Laden einen Gegenstand auf den Kopf gestellt hat, worauf sie gemeinsam mit Vinzenz einen Tanz aufgeführte.

Wenig Arbeit zurzeit – Gespräche, Treffen und Abendveranstaltungen, wie immer in der Buchmessenwoche. Beim Fischerverlagsempfang erzählte mir jemand von seinen Segeltörns in der Arktis vor Grönland. Die Farben und bedrohlichen Bewegungen der Eisberge, wie man ihnen entkommt, sich in Sicherheit bringt, manchmal von ihnen gefangen gehalten wird. Ich lauschte begeistert.

Am Tisch vor mir sitzt Vinzenz und schreibt in sein Tagebuch. Er bleibt, wenn die Kunstschüler nachher kommen. Sie kennen ihn aus Berlin.

Ein Glas Wasser und mein Blick auf Rolle 6. Die Frische draußen, 6 Grad und feuchte Luft. Das stählerne Licht des Sommers wird nun egalisiert. Alles gut.

Heute die Eröffnung von „The Fact of Matter“ im MMK, die ihre dunklen Schatten voraus wirft durch einem Nebel aus Wasser, mit dem Leichen gewaschen worden sind. Bill Forsythe – alles geht.