Saitenschläge

Im „Goldenen Adler“ gestaltete ich gestern mit sechzig Blättern drei Räume. Jetzt sind noch knapp vierzig Blätter da und zwei Räume habe ich noch vor mir. Die Art und Weise, die Formate zu installieren hat sich bewährt. Wenn man allerdings die Fenster öffnet, fliegt alles durcheinander.

Vorher hatte ich vor dem Haus eine Weile auf den Schlüssel zu warten. Wegen der Unberechenbarkeit der vor mir liegenden Arbeit, musste ich mich zwingen, ruhig zu bleiben.

Am Abend im Atelier wässerte ich die Pflanzen und spielte noch etwas Gitarre. Dabei gesellte sich das geheimnisvolle Paar Farbe und Musik zu mir. Es ist spannungsvoller als Klänge und Zeichnungen, die nur schwarzweiß sind. So versuchte ich auf der Gitarre Dinge zu produzieren, die Farbklängen entsprechen. Das Schönste dabei ist, den Tönen lange und genau nachzuhören, die aus der Box kommen. Es ist dem genauen Hinsehen bei der Arbeit vor der Natur oder einen Gegenstand ähnlich. Es gibt Saitenschläge, in die ich mich wohlig hineinlegen kann und die ich festhalten will. Wenn ich einen Klang gleich bleibend halte und mit anderen rund herum kombiniere, gleicht das den malerischen Vorgängen der Farbkompositionen in den Arbeitstagebüchern. Dort kombiniere ich das kontinuierliche dunkle Indigo mit einem kalten Chromgelb, einem lichten Grün und Violett. So kann ich mich langsam an die Zusammenhänge heranarbeiten.

Vielleicht ist das ein besserer Ansatz, als lineare Strukturen mit Musik zu verbinden.

Viel Licht

Die langen Junitage gönnen dem Körper weniger Schlaf und wollen das mit einem Überangebot an Licht wettmachen. Ich denke noch mal an den schönen Sonnenaufgang über der Sportfläche neben der A5 und an das Erwachen wie nach einem durchtanzten Schlaf. Die donnernden Laster, die Stromüberlandleitungen über den Schrebergartenanlagen, die Mütter, die sich am Morgen mit ihren Fußballkindern einfanden und ihnen am frühen Sonntagmorgen neben dem Spielfeld beistanden.

Nach den durchlaufenden Partys am Wochenende, die nur mit wenig Schlaf unterbrochen worden sind, bin ich nun reif für eine Woche schöner konzentrierter Arbeit im „Adler“.

Dabei geht mir jetzt am Anfang der Woche die Installation der Transparentformate durch den Kopf und wie ich die mit Texten aus dem Arbeitstagebuch ergänzen kann. Damit könnte ich die Beziehungen zwischen dem Bau, den Fundstücken, deren Frottagen und der Forschungsfenster des Denkmalschutzes nochmals etwas verdeutlichen. Eine Borste einer Schornsteinbürste hat mit der alten gemauerten Feuerstelle in der ersten Etage zutun, wie mit den im Keller gefundenen Kohlestücken, das Abstandskreuz der Fliesenleger mit den Modernisierungen und den Überdeckungen historischer Bauteile. Auf diese Zusammenhänge habe ich die Texte noch mal durchzugehen.

Eine ganz andere Arbeitsweise bilden die Malereien die ich donnerstags mit Maj unternehme. Der Teil der Farbuntersuchungen daran hat eher mit den täglichen Zeichnungen im Tagebuch zutun. Die Dynamik der gegenseitigen Inspiration auf einer gemeinsamen Malfläche über einen langen Zeitraum gelingt nicht selbstverständlich.

Fest

Das antirassistische Fanprojekt der Frankfurter Eintracht weihte gestern eine Fassadengestaltung mit dem Porträt des schwarzen Spielers Yeboah ein. Das eigentliche Ereignis für mich war, diese Welt der Fußballfans zu sehen und zu schauen, ob es zu meiner Arbeit irgendeinen Bezug gibt. Bis zum Auftritt des Fußballstars bin ich nicht geblieben. Das hätte zu langes Warten in einer mir fremden Welt bedeutet. Ich bin mir noch nicht sicher, ob es richtig wäre sich in diese Arbeit einzuklinken, um dort eine wirklich künstlerische Arbeit zu platzieren.

Am Abend hatte Helga zum sechzigsten Geburtstag eingeladen. Gefeiert wurde, wie könnte es auch anders sein, auf dem Sportgelände einer Regionalfußballmannschaft. Und natürlich wurde das zweite Spiel der deutschen Mannschaft in der Fußballweltmeisterschaft gemeinsam auf einer Leinwand angeschaut. Nach dem Ende machten wir die Musik laut und begannen zu tanzen. Das ging mit kleineren Pausen bis in den Morgen. Zwischendurch betrachteten wir den Sternenhimmel über der großen Kunstrasenfläche und dann stieg bald der Sonnenball rot über der Skyline auf.

Mit Aufräumen dauerte die Feier bis Acht. Ein langsamer weiter Heimweg dann durch die Wärme des Morgens mit Helga und Maj, die das ganze Fest organisiert hat. Das war ihr Geschenk – sehr sehr nett, sehr großzügig.

Nach etwas Schlaf am Vormittag verbrachte ich den Rest des Tages mit arbeiten und telefonieren.

Klangmotive

Bei den Adlertransparenten habe ich erstmals Farbe benutzt. Ich grub eine alte Tube mit Krapplack aus. Die Ölfarbe lässt sich mit Spiritus gut verdünnen und als Film auftragen. Es entstanden fünf Blätter, die mich überrascht haben. Die erste Schicht trug ich in der Rolltechnik der „Synaptischen Kartierungen“ auf und ließ sie dann trocknen.

Während dieser Zeit probierte ich Klangflächen mit der Loopfunktion und der Gitarre zu schichten. Es gelangen bisher eher heroisch – schleppende Rhythmen. Die Welt der leichten, schwebend flirrenden Töne blieb noch verschlossen.

Im Gegensatz dazu, gelang mir das auf den Blättern durchaus. Ich setzte wieder Frottagen und Fundstücke ein. Die Motive machen das vor, was ich bei den Klängen noch erreichen möchte.

Vormittags transportierte ich den Wein für Helgas sechzigstes Geburtstagsfest. Wir hatten Zeit zu sprechen, tauschten uns über die Jugendarbeit aus und hatten die Idee, heute gemeinsam eine Kunstaktion eines Fanprojektes gegen Rassismus zu besuchen.

Am Abend kamen Cordula und Nora noch zum Weinstand. Dort war unsere gemeinsame Zeit am Heidelberger Theater Thema und meine Rolle dort als Malsaalchef. Weil ich meinen Erinnerungen immer weniger traue, war es eine nette Überraschung, dass sie unsere Arbeit dort genauso hoch einschätzten, wie ich. Sie waren auch tolle Mitarbeiter Die Zeit dort gehört zu meinen besten Arbeitserfahrungen. Unser Abend war lang und nett noch bei Pietro zum Pizzaessen und dann im Atelier.

Schichten | Loop | Boxer

Glücklicher Nachmittag mit meiner Gitarre im Atelier. Die vielen Funktionen des Effektgerätes kann ich nur langsam kennen lernen. Ich hatte drei Stunden, keine Verpflichtungen oder Verabredungen, konnte jedem einzelnen Ton lange nachhören und die Schwingungen der einzelnen Saiten wahrnehmen. Mit der Loopfunktion habe ich ein Stück aus fünf Schichten hergestellt, Vielleicht gelingt mir das auch noch freier, später nur mit Geräuschen, die ich den Bildern zuordnen kann, die mit den Rhythmus der Frottagen und dem Schweben der Schelllackblasen zutun haben.

Die Boxer auf Teves luden mich zu ihrem Grillfest ein. Später kamen sie in mein Atelier. Die Erklärung, was ich dort tue dauerte fünf Minuten, dann wurden sie unruhig. Aber meine Anweisung nichts anzufassen wurde gehört und befolgt.

Mit dem Auto brachte ich B. in ein kleines Hotel in Wiesbaden, wo sie während des Theaterfestivals „Neue Stücke aus Europa“ wohnen wird. Sie leitet einen achttägigen Übersetzerworkshop, in dem es um die Arbeit an Theaterstücken geht.

Auf Teves sprach ich mit Deniz über seine Malerei, und dabei über eine Serie von Porträts. In morbiden Farbigkeiten und Strukturen zeigt er hier Tendenzen des Verfalls und des Vergehens, das lange Sterben der Gesichter. Mich erinnerte das, besonders in der Farbigkeit an Caravaggio.

Gleich bin ich mit Helga verabredet und später mit Cordula und Nora, die noch zum Weinstand kommen wollen. Danach gehen wir ins Atelier.

Humus

Nein, die Mauersegler, deren Anzahl über unserem Viertel sichtbar abgenommen hat, sind es nicht, die mich in diesem Sommer zu emotionalen Höhenflügen inspirieren. Eher sind das die schwebenden Motive auf den Transparentpapieren. Sie entstehen schnell und scheinbar leicht. Ihre durchlässigen Strukturen sind fein und sehen so aus, als würden sie gleich wieder verweht. Man kann lange hinschauen. Ich hoffe, sie verführen dazu, das zu tun.

Zwischendurch, wenn eine der Lackschichten trocknet, kann ich mich um meinen Garten kümmern und immer mehr ausgejätetes Kraut aus den Töpfen in die Erdschicht auf dem Beton pflanzen. Grashalm um Grashalm wurzelt in der humosen Matte. Den Beton begrünen! Ein Motto, das sich mittlerweile auch andere Nachbarn auf die Fahnen geschrieben haben. Ich bin nicht mehr allein.

Musikalische Strukturen für die Motivschichten zu finden, setzt einen Arbeitsprozess voraus, den ich nun erst einmal beginnen muss. Oft spiele ich ein wenig zwischendurch, so wie ich gärtnere und lande dann meistens bei einem Blueschema. Nun sollte ich aber ernsthafter daran gehen und beispielsweise den Looper nutzen. Er ist bestens geeignet, um in Ruhe mehrere Sounds neben- und übereinander zu platzieren. Kann sein, dass sich das Partiturenhafte der Blätter durch die Beschäftigung mit Sounds verstärkt.

Am Abend malte ich mit Maj. Für das erste Blatt nahmen wir uns viel Zeit, das zweite ging schon schneller und das dritte schlossen wir in Windeseile ab. Die Qualität litt darunter nicht.

Musikalische Blätter

Ein erneuter Anlauf mit den „Adlerartefakten“, Transparentpapier, Graphit und Schelllack. Es sind einige Blätter mit dem Kreuz, Faser- und Netzstrukturen hinzugekommen. Am Abend begann ich noch mal mit der Rolltechnik der „Synaptischen Kartierungen“ etwas andere Blätter anzufertigen. Damit werde ich nun auch noch weiterarbeiten.

Was derzeit entsteht, kommt mir sehr musikalisch vor, rhythmisch die entstehenden Strukturen. Das wäre eine Partitur für eine weitere Schicht oder eine räumliche Ausweitung, die mit Gitarrentönen gefüllt werden könnte. Eine Rotunde von sieben Stücken für E-Gitarre und Effektgerät.

Am Abend sahen wir im Mousonturm „tauberbach“ ein Stück von Alain Platel, gespielt von „les ballets C de la B“. Die tänzerischen Szenen wurden von einer Schauspielerin gerahmt, die im Dialog mit einem Regisseur im Off steht. Sie ist, wie auch die vier Tänzer auf der Suche nach ihrer Rolle auf dem Berg Klamotten, die die Bühne ausmachen. Taubenflattern, Bachkompositionen und das Summen einer Fliege sind die akustischen Hintergründe vor denen das hoch engagierte Spiel auf der Müllhalde stattfindet. Die außergewöhnlichste und emotionalste Tonkonserve bilden die Gesänge von Gehörlosen, die singen, wie sie sich Bach vorstellen. Später zum Ende der Vorstellung hin, versuchen das auch die Darsteller, bleiben von der existenziellen Intensität der vorausgegangenen Aufnahmen entfernt.

So ähnlich wie die Gesänge der Gehörlosen, stelle ich mir die Übersetzung meiner kleinen „Adlerblätter“ mit Gitarrenmusik vor. Schwebende zurückhaltende Klänge in einem weit hallenden Raum wechseln mit kurzem, trocken gedämpften und leisem Krachen, das das brüllende Universum, wie durch einen Riss eindringen lässt.

Splitterraum

So, wie sich die Farbmischungen innerhalb der Tagebuchzeichnungen auffächern wie prismatisches Licht, das in sehr flachem Winkel auf eine helle Fläche trifft, so bewegen sich die Strukturen der Frottagen von den „Adlerartefakten“ über das Format. Sie wechseln durch die Reibung ihre Lage, wandern gewisse Strecken und hinterlassen so die frottierten Spuren. Die Bewegungen erzählen rhythmisch ihren Raum und die Konsistenz der Materialien, mit denen sie sichtbar und haltbar gemacht und eingegossen werden.

Irgendwo auf dem Boden habe ich einen kleinen kreuzförmigen Abstandshalter aus Plastik gefunden, den man für die Gleichmäßigkeit der Fugen beim Fliesenlegen braucht. Seine zarten Dimensionen sind sehr ausgewogen und erinnern in diesem Zusammenhang sofort an christliche Symbolik. Z.B. an Reliquienkästchen zum Schutz des Daches gegen Blitzschlag mit kleinen Pergamentzetteln, auf die mit Tusche Bittgebete geschrieben wurden.

Während der Arbeit tauchen Erinnerungen auf und ordnen sich neu. In einem ehemaligen Kloster, während der kommunistisch – kulturrevolutionären Fünfzigerjahre, wurde zu hohen Festtagen die Marienfigur über dem Eingang schamhaft mit einem roten Spruchband verhüllt. So wurde sie auch geschützt.

Die Verhüllung der Figur einer Gebärenden im großen Tempel von Madurai wurde nur unterbrochen, wenn die Schürze wegen des andauernden Butterkugelbeschusses gewechselt werden musste.

Während der Arbeit mit dem Transparentpapier nähere ich mich einem meditativen Zustand splitternder Erinnerung.

Vom Ende einer Geschichte

Im Museum für Angewandte Kunst fand die letzte der siebenunddreißig Premieren dieser Spielzeit statt. Mit kindlichem Stolz erklärte uns der Intendant, dass demnach im Durchschnitt etwa alle 8 Tage eine Premiere raus kam.

Gestern also die Arbeit von unserer Freundin Lily Sykes, die einen Roman von Julian Barnes mit dem Titel „Vom Ende einer Geschichte“ dramatisiert hat. Es geht um die Lebenserinnerungen eines älteren Mannes und darum, wie sehr diese ein Ort von Umdeutungen sind, die wir zur Orientierung in der Gegenwart benötigen.

Dieses Phänomen interessiert mich besonders im Hinblick auf die Rolle, die die jeweiligen Gesellschaften den Zeitzeugen bestimmter wichtiger geschichtlicher Ereignisse zukommen lassen. Oft genug erscheinen sie als Mahner im Zusammenhang von drohenden Wiederholungen bedrohlicher Entwicklungen. Gleichzeitig fungieren sie als das Gewissen und Schuldkompensatoren kultureller Gemeinschaften.

Wir sahen ein Einpersonenstück, facettenreich und sensibel gespielt von Peter Schröder. Virtuos und gleichzeitig zurückhaltend schlüpft er in viele Rollen, spielt sie sehr verinnerlicht und seelenvoll.

Der museale Ort, für den das Stück inszeniert wurde, ist deswegen eine Herausforderung, weil das Farbspiel der Dämmerung in den lichtdurchfluteten Räumen und draußen zwischen den Bäumen so nuanciert ist, wie ein Bühnenlicht nie sein kann. Die Kulisse wird mit einer falschen Gestaltungsgeste sofort zur unechten Pappe und das Spiel leicht zu einem künstlichen Vorgang. Diese Gefahren wurden von Lily und dem Team, besonders aber von Darsteller bravourös umschifft.

Krähentheater

Am Nachmittag brachte Maj ihren Bass mit ins Atelier. Die Umsetzung dessen, was ich ihr vorher als Maßgaben meiner Spielvorstellungen mühelos formulieren konnte, erwies sich als schwer umsetzbar, weil mir einfach das Handwerk fehlt, um dem Spiel von Maj zu folgen. Ich bin allerdings auch kein Mensch, der am Tag zwei Stunden Gitarre übt. Und mein Mangel wird oft genug vom Effektgerät kompensiert. Das reicht mir auch, denn es geht mir um den Klang, so wie es mir bei den Zeichnungen derzeit um die Farbe geht, die sehr präsent und täglich neu beglückend erscheint. Diese Intensität wird bei Gitarrespiel nicht mehr zu erreichen sein.

„Gefährliche Liebschaften“ – Premiere am Abend im Schauspiel. Sparsam – schaurige Musik, reich kostümierte und gut geführte Schauspieler, ein funktionierendes Bühnenbild mit viel Kronenleuchterstrass – ein perfekter Abend. Aber die zwei Krähen, die sich auf dem Dachfirst des Nachbarhauses gegenüber sitzen, sich mit schiefen Köpfen fixieren, bis eine von beiden auffliegt und die andere den Kopf ihr nachdreht, erzählen mir mehr als der ganze pompöse Abend zusammen, der eher ins Popcorn-Kino gehört. Boulevard auf hohem Niveau. Das so etwas zunehmend auf dem Spielplan landet, sieht aus wie Sponsorentheater. Das haben wir nicht verdient!

Doch in der Panoramabar sprachen wir mit Schirin und beim Fest des Verlages der Autoren später mit Dea über Indien und das, was wir nicht beschreiben können. Das Goetheinstitut in Bangalore, soll ein reichhaltiges Künstlerprogramm haben, meinte Dea. Vielleicht sollte ich das mal ins Auge fassen, um eine große indische Hand laufen zu können.

Farbe

Die Tagebuchzeichnungen sind in letzter Zeit eher Farb- und Strukturexperimente. Die Farbe hat in meiner Arbeit fast immer eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Wichtiger war stets die Linie der Zeichnung. Nun rücken die Töne, die die Aquarellstifte hergeben durch die stetige Beschäftigung mit ihnen immer mehr in den Mittelpunkt. Sie werden genauer ausgewählt und mit breitem Strich, sich kreuzend fest aufgetragen. Diese Diagonalen bekommen eine möglichst genau berechnete Wassermenge, die mit immer demselben Pinsel, meistens überkreuz, den Linien folgend aufgestrichen wird. Wenn nun mit dem Handballen über die noch groben Farbstrukturen hinweggewischt wird, fächern sich die vielen Nuancen der Vermischungen auf. Mit weiteren Wischbewegungen, die das verbliebene Farbwasser möglich macht, kann nun die Komposition beeinflusst werden. Willentliche Gestaltung und Zufall treffen aufeinander. Manchmal wird die unterste Schicht völlig überlagert und unsichtbar. Meistens aber bleibt noch etwas von ihr übrig.

Wenn ich mit zu viel Wasser gearbeitet habe, bleiben an den Rändern dunkle Pfützen stehen, die alle eingesetzten Farben in sich haben. Falls das zu viel ist, nehme ich diese Flüssigkeit abermals mit der Handkante auf und verteile sie auf einer vorausgegangenen oder auf derselben Zeichnung noch einmal. Meisten ergeben aber diese Handkantenabdrücke die Struktur für die letzte, dritte Zeichnung des Tages. Davon kann ich gar nicht genug haben.

Gestern am Freitag dem Dreizehnten ist nix passiert. Trotz aller Aufgeklärtheit, vermeiden wir über dieses Datum zu sprechen, um das Pech nicht herbeizurufen, das an diesem Tag angeblich öfter als sonst über die Köpfe der Unglücklichen herab gegossen werden soll.

Buchstabenstempel

Es begegnen sich ein beschlipster Mann in weißem Hemd, der seine Zigarette austritt, die Kippe aufhebt und zum Papierkorb trägt und eine Chinesin im ganz und gar europäischem Gang, den man als Stolzieren auf hohen Absätzen bezeichnen könnte. Das findet im lichtdurchfluteten Marktgeschehen des Morgens statt, welches von meiner Sichtseite als angenehm flirrend erscheint.

Während ich mit den Buchstabenstempeln letzte Korrekturen an den Transparentpapierformaten einrichtete, stellte ich eine Rückkopplung zum rhythmischen Gitarrenspiel des Nachmittags fest. Der kurze, sich mehrmals wiederholende Hall, der langsam leiser wird, korrespondiert mit den blasser werdenden Buchstabenreihen auf den bewegten Untergründen.

Außerdem schließt sich die Beschäftigung mit den Buchstaben, auf verschlungenen Wegen mit der Bildungsferne oder dem Verdammen „westlicher“ Bildung von radikal muslimischen Bewegungen kurz. Einzig der Koran kann dort Recht und Naturwissenschaft begründen.

Algorithmen, die unser Handeln voraussagen und Abweichungen als beobachtenswerte Anormalitäten registrieren könnten, beginnen unsere Hirne zu verändern. Der Fluchtinstinkt davor lässt Schwärme entstehen. Anonymität wird nur noch gewährleistet, wenn vorausgesagte Verhaltensweisen auch eintreffen.

Beide Wege der Machtausübung wollen lediglich mehr Einfluss im Weltgeschehen, wobei sich Territorien auf der einen Seite auflösen und mittelalterlichen Rückfällen dort ein Vakuum bieten. Die Mechanismen und ihre Folgen sind wiederum abzusehen: Amerikaner schicken Drohnen, Türken sind in ihrem Stolz verletzt, denn Öl wird immer noch gebraucht.

Kleine Formate und Geflechte

Viele Maschinen älterer Bauart starten dröhnend über unser Quartier. Ein kleiner Schwenk der Windrichtung am Boden von Nordwest auf Nordost löst das aus. Die Bewegungen der Luftschichten schieben Wolken verschiedener Höhen über- und gegeneinander hinweg.

Die Textarbeiten und die Zeichnungen am Vormittag gehen ineinander über. Collagen, Leporello für unsere Zwangsarbeiterpräsentation und so weiter. Diese Energie des Morgens würde ich gerne nahtlos in die Atelierarbeit hinüber gleiten lassen. Das holpert oft, weil unterwegs etwas Kraft verloren geht.

Am Hang hat der Förster die Bäume angezeichnet, die demnächst geschlagen werden sollen. Demnach wird im unteren Drittel der schmale Streifen, der sich im Verlauf der letzten Jahre in eine parkähnliche Landschaft verwandelt hat, von der Holzerntemaschine verwüstet. Räume, die aufeinander abgestimmt sind, Wellen, Schwünge, Bögen werden verschwinden. Trost wird sein, dass dort neues Material zur Veränderung des Ganzen bereitgestellt wird.

Gestern beschäftigten mich kleinere Geflechte, Fotografie. Ich war schnell unterwegs.

Nach der Rückkehr im Atelier habe ich eine Befestigungsart für die kleinen Transparentpapierformate gefunden und ausprobiert. Außerdem wurden sie gesichtet und sortiert. Nun bin ich auf die Installationsarbeit sehr gespannt.

Präsentationen

Die Amseln singen immer noch ihr Revier aus. Es ist noch nicht Fünf, und das Licht tastet noch zart nach den Wolkengespinsten der Nacht, wie um sie schon freundlich zur Auflösung zu überreden. Es wird aber anders kommen, nämlich zu grellen Lichtwechseln Zusammenballungen und großtropfigem Regen.

Vormittags sind ein paar Seiten für das Leporello der Dokumentation der Zwangsarbeiterforschung entstanden, dazu ein einführender Text zu meinem Arbeitstagebuch. Das Einsetzen der Texte in die aufgehellten schwarz-weißen Bilder ist eine ungewohnte Arbeit, von der ich auch kaum weiß ob ich sie befriedigend lösen kann. Es müssen nun auch Einladungen für dem 30. 06. mit einem noch zu findenden Titel der Präsentation raus. Ausstellungsmaterial ist auch noch auszudrucken. Vielleicht kann ich mit den täglichen Collagen auch eine Animation machen.

Am frühen Nachmittag ein Treffen mit den Künstlerkollegen zum Thema unserer Initiative zur Zukunftssicherung von Teves West. Ich stellte meine Ideen noch mal vor und sie ergänzten sie mit ihren Intentionen. In der kommenden Woche können wir so konkreter werden. Nun kann das Gespräch über Geldbeschaffung geführt werden.

Minimalistische „Adlercollagen“, danach Konzentration auf die Frottagen der Borsten des Schornsteinfegerbesens. Manche Konstellationen hielt ich auf mehreren Blättern fest. Sie bekamen dadurch einen seriellen Anflug. Nun ist ernsthaft die Befestigung der Blätter an den Wänden dran, die unaufwendig gestaltet werden sollte.

Donnerräume

Nach all der Hitze kam am Abend ein Gewitter herab. Kurz vor seinem Abzug weit nach Mitternacht, blitzte es fast unaufhörlich und die Größe des Wetters wurde durch die weiten Donnerräume beschrieben. Bis zum Ende blieb ich fasziniert auf dem Balkon sitzen und schaute auf die vielen verschiedenen kurzen Lichtsituationen. Durch die Konstellationen, die durch den Ort der Entladungen und ihre Heftigkeit bestimmt wurden, wurden manchmal die Silhouetten der riesigen Dampfgebäude hervorgehoben, manchmal wie Lampions von innen beleuchtet, oder die scharfzackigen Lichtbögen blendeten direkt vor allen Wolkenkulissen. Mein vom Tag erhitzter Körper wurde vom Sprühwasser des senkrecht herabströmenden Regens lindernd eingehüllt.

Von uns war das Gewitter nicht voraussehbar, weswegen wir die Pflanzen vom Roland, von Startorante und mein Gärtchen wässerten.

Jetzt steigt die Temperatur wieder, schwere Wolken schieben sich zusammen und bereiten den nächsten Guss vor.

Außer etwas Nachtrag in der Arbeitstagebuchdatei, meinen dazugehörigen Zeichnungen und Collagen, keine weitere Arbeit am Pfingstmontag. Es wird Zeit, dass ich wieder ins Atelier komme. Dort will ich mich in den kommenden Tagen weiter mit den „Adlercollagen“ beschäftigen, so dass ein Fundus entsteht, aus dem ich beim Ausstellungsaufbau dann schöpfen kann.

Dann geht es in den nächsten Tagen noch um den Leporello, den ich gemeinsam mit Helga zum Zwangsarbeitergedenken machen werde.

Schwebende Transparenz

Auf der Autobahn zeigte das Außenthermometer unseres Autos siebenunddreißig Grad an. Über die Pfingstfeiertage erleben wir also eine satte Hitzewelle.

In Hamm besuchten wir die neuen Praxisräume der Ärzte, innerhalb eines Rehabilitationsneubaus. Durchdachter Grundriss, schöne Möbel, tolles Farbkonzept, die Blicke nach draußen gehen ins Grüne auf alte Bäume, Pferdekoppeln, den Kanal, wilde Blumenbeete und auf einen Kindergarten. Sie hatten mit der Einrichtung und mit dem Umzug viel Arbeit, sind aber nun mit einem neuen Lebensgefühl belohnt.

Am Ende der Führung gelangten wir an eine Wand, die noch eine Gestaltung braucht. Dabei schauten sie mich erwartungsvoll an. Ich könnte mir vorstellen, dass das System mit dem ich seit einiger Zeit verschiedene Themen bearbeite, sich auch in dieser Praxis harmonisch einfügen könnte. In diesem Fall würde ich mit Fundstücken arbeiten, und diese in der Umgebung des Neubaus sammeln. Ich stelle mir dann eine Art Objektrahmen vor, dessen Rückwand auch aus Glas besteht, um der Transparenz des Objektes mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Vielleicht würde ich auf zu viel Tusche verzichten, um den Bernsteincharakter mehr zu unterstreichen, der dem Ort angemessener als dunkle Wolken erscheint.

Die Präsentation der Objekte im Adler sollte auch eher einen schwebenden Charakter haben, mit etwas Abstand und im rechten Winkel zu den Wänden. Eine Weiterarbeit stelle ich mir in der Zusammenstellung verschiedener Formate zu einem größeren vor. So könnte auch ein Zwischenschritt des Fremdarbeitergedenkens aussehen.

Verständigung klappt

Hamm, unterm Nussbaum. Ein kleines Exemplar eines solchen hat mir meine Schwägerin in einen Topf gesetzt, den ich zu Hause richtig in die Erde bringen will. Das kann ich in Absprache mit Roland, der sich mittlerweile um die Flächeneinteilung auf dem Gelände kümmert, einfach auf Teves tun. Beiden Künstlerkollegen habe ich noch mal meinen erweiterten Text zur Künstlerinitiative gemailt. Am Dienstag wollen wir besprechen, wie wir damit weiter verfahren wollen.

Die Fotoarbeit mit den Adlertransparentpapieren auf Teves im Zwischenraum von Atelier und Garten, haben noch mal zum Nachdenken über ihre Präsentation angeregt, die dem Objektcharakter mehr Geltung verschaffen soll.

Während der improvisierten Reparatur unseres Staubsaugers mit einer Gardinenklammer und einem Stück festen Draht, hatte ich die Idee eines Reparaturcafes auf Teves. Die Lust am Basteln und die Aversion gegen das schnelle Wegwerfen, würden sicherlich einige Ältere zusammenführen können.

Hier in Hamm im schönen Garten haben wir lange auf den Bierbänken gesessen, gegrillt, geredet, getrunken und gegessen, haben das nachgeholt, wofür während der letzten Begegnungen nicht genug Zeit war.

Aus den Nachbargärten kommen jetzt am Morgen Kinderstimmen, Taubengurren und das kurze krächzen der Dohlen, die in Scharen durch die Gärten zwischen den Häusern treiben. Allenthalben werden Tische gedeckt, Teller klappern, kleine Löffel fallen auf Untertassen. In freudiger Stimmung wird zu Frühstück gerufen. Die Verständigung klappt –Pfingsten.

Kanon

In federleichtem Wind fächeln die Blätter mit schwenkenden Bewegungen auf und ab, wedeln gemeinsam mit dem flackernden Lichtspiel des einsetzenden Pfingstfestes der Übersetzer.

Sets kommt das Ringeltaubenpaar mit einem Zweig im Schnabel zum Nest zurück. Instandhaltung der Wohnstatt, Schutz für das Ei, das trotz der vielen Elstern, die sich herumtreiben immer noch da zu sei scheint. Auf den Satellitenschüsseln der Dachfirste sitzen sie ebenfalls gerne und stimmen in einen Kanon ein, der von vielen im weiten Raum gemeinschaftlich zum Klingen gebracht und lange gehalten wird.

Auf dem Markt ein Gespräch mit Helga über unsere gemeinsame Arbeit. Sie erzählte von Fassadenarbeiten zu politischen Themen im Rahmen von Fanprojekten der Eintracht und meinte, dass mein Trixel Planet dazu passen würde. Natürlich gibt es vor allem auf den Transparentpapierrollen eine Menge Material. Spontan fällt mir die mittelalterliche Illustration ein, die Wolfram von Eschenbach zeigt, der den Juden, Christen und Muslimen predigt, sich nicht die Köpfe einzuschlagen. Ich habe die Figurengruppe fragmentiert und dann mehrfach verschieden angeordnet.

Die „Adlertransparente“ sind gestern im Licht vor dem Atelier fotografiert worden. Die freie Umgebung lässt sie eher wir Objekte erscheinen. Das ist für die Ausstellung im Adler von Bedeutung. Vielleicht ist ein Abstand von den Wänden von Vorteil.

Noah von den Hindemithkindern hat ein Dreiecksgitterobjekt gebaut und dazu Frottagen mit Waldgras gemacht, ähnlich wie mit den Besenborsten umgegangen wird. Wenn der Schelllack und die Tusche getrocknet sind, werden die Formate in das Objekt eingebaut.

FETT STROHPUPPEN RUSS LUNGE LEHM WEIDENBÄUME

Die Öffentlichkeitsarbeiterin der Firma, die den alten „Adler“ restaurieren wird, war gestern zu einem Kurzbesuch im Atelier. Das Gespräch erreichte bald die Phase, in der wir über Möglichkeiten einer Fortführung dieser Arbeit sprachen. Die könnte mit einer Publikation zusammenhängen, die sich mit dem künstlerisch-dokumentarischen Raum beschäftigt.

Gestern ging es mir bei dieser Reihung der Arbeiten und ihrer Produktion um die Frottagespuren, die die winzigen Artefakte auslösen. Diese Vertiefung des geschichtlichen Raumes beinhaltet einen dialektischen Prozess. Er fußt auf dem ganzen Schmutz, dem Zerfall und die Verengung der Kammern durch immer neu übereinander gesetzte Schichten von Wandmaterial und führt durch die absolute Nähe zum Material zu einer Reinheit, die aus der Betrachtung entsteht. Die dokumentarische Methode verleiht dem Vorgang eine diamantene Oberfläche. Der Kunst kommt somit die Aufgabe einer Umdeutung des Raumes zu. Nicht zuletzt die Wortketten, die sowohl fragmentiert, als auch übereinander geschichtet abgebildet sind, übernehmen die Aufgabe einer Bändigung und Festlegung des Ortes der Umwandlung.

FETT  STROHPUPPEN  RUSS  LUNGE  LEHM  WEIDENBÄUME

Ich denke, dass ich in der Beschäftigung mit dem Ort den Analysen des Denkmalschutzes einen neuen Aspekt hinzufüge. Umso mehr interessiert mich der Inhalt der gesamten Analyse, die mir für meine Arbeit neue Impulse liefern würde.

Fast habe ich den Eindruck, dass ich mit dem Stand meiner jetzigen Arbeit nur einen kleinen Teil der Zeitstruktur des Ortes gerecht werden kann. Und ich frage mich ob man die Erweiterung der Arbeit ernsthaft ins Auge fassen sollte.

Frottagen

Gestern war ich nicht auf dem Pfad am Hang. Das passiert mittwochs selten. Die Projekte sind in den kommenden Wochen etwas gedrängt. Die Ausstellungen im „Goldenen Adler“ und auf Teves West zum Zwangsarbeitergedenken finden an aufeinander folgenden Tagen statt. Bis dahin entstehen noch Drucksachen, die ich auch bedienen muss.

Das führt aber im Atelier zu einer anhaltenden Produktivität. Die Beschäftigungen mit den Frottagen der Strukturen aus dem „Adler“ bringen neue Arbeitsschritte hervor, die zu überraschenden Ergebnissen führen, die auch anderweitig genutzt werden sollten, beispielsweise beim „Schattenboxen“.

Mit einem Buchstabenstempelkasten füge ich Buchstaben in Tuscheabdrücken zusammen, die Worte ergeben, die wieder fragmentiert werden. Die auf das Transparentpapier gestreuten Borsten des Schonsteinfegerbesens verrutschen zwischen jedem Frottagevorgang. Die so entstehenden nervös fächelnden kurzen Linien kontrastieren das ruhige fließen der Schelllack-Tusche-Mischung und die schweren großen Blockbuchstaben.

Mit den Möglichkeiten der Zusammenstellungen der verschiedenen Materialien bin ich noch lange nicht am Ende, muss mich aber zurückhalten, denn andere Arbeitsschritte sollten noch für die Installation des Ganzen getan werden.

Kurzer Besuch der Leiterin der neuen Altenwohnanlage auf der Frankenallee. Wir verabredeten kurz und konkret die weiteren Schritte zur Zusammenarbeit. Das passt in das Programm der Zukunftssicherung auf Teves West.

Kontrast Nolde

Unterm Dach des „Goldenen Adlers“ sind viele Frottagen entstanden, die das Holz der Balken, der Bodendielen und die Kammmuster der Lehmschichten zwischen dem Fachwerk an den Wänden abbilden. Weil die Sonne schnell höher stieg und den Raum aufheizte, wurde das Schraffieren während des Festhaltens des Papiers etwas mühselig.

Der Tag kam durch die Fahrten, um einen Schlüssel fürs Haus zu holen und wieder zurück zu bringen etwas aus seinem Rhythmus. Am Nachmittag hatten wir uns auch noch die Noldeausstellung im „Städel“ vorgenommen.

Das war ein seltsamer Kontrast zu dem gefilterten Licht, den Schlammfarben und dem Staub unter den achthundert Jahre alten Dachbalken. Nach so vielen Jahren, als wir in Seebüll waren, blieb der Nolde für mich etwas enttäuschend. Zunächst fiel mir das Umschalten von meinen archaischen, sich dem Zufall hingebenden, in feine Strukturen eintauchenden Blättern auf das Farbberserkertum etwas schwer. Hinter den müden Augen wurde so etwas wie Widerwillen geweckt. Die allzu großen Reize zwischen Gelb und Violett, leuchtendem Grün und kalt loderndem Rot störten mich in meiner Arbeitsphase. Dazu verliehen die grotesken Figuren den gewagten Farbströmen eine gewisse Harmlosigkeit: „…ist alles nicht so schlimm, ist nur ein Märchen“. In dieser Weise rückte auch die Gruppe „Das Leben Christi“ von mir ab, allzu gekonnt, wenig Zweifel und wenig existenziell.

Deswegen war ich froh, am Abend wieder in meinem Atelier zu sein, die Frottagen vom Vormittag sichten zu können, um dann die Arbeit mit ihnen zu beginnen.

Gefaltete Worte

Wortbezüge zu den Fundstücken aus dem „Goldenen Adler“ finden über den Materialeinschlüssen zwischen den Transparentpapierformaten Platz. Die Borsten eines kleinen Schonsteinfegerbesens rieseln, wenn ich ihn etwas ruckartig bewege herab und bleiben in zufälligen Konstellationen im Schelllack liegen. Falte ich dann das Papier zusammen und wieder auseinander, verrutschen sie. Die verschiedenen Stellungen kann ich mittels einer Graphitfrottage festhalten, wodurch sich die Borsten schärfer anheben. Dieser Vorgang kann mehrmals wiederholt und ihr Weg über das Format somit beschrieben werden.

Tusche kommt mit einer dicken Bambusfeder dazu ins Spiel. Buchstaben erscheinen und setzen sich zu gefalteten Worten zusammen, deren zweiter Teil sich auf der Gegenseite rückläufig und durchscheinend abbildet. Worte fallen mir ein wie: Schlot, Esse, Schornstein und Ruß, Fett, Kohle, oder  Leiter, Dach, Glück und Herd, Schamott, Ofennischen und Lunge.

Die Worte könnten aus mehreren Formaten zusammengesetzt werden. Ein Buchstabe, der ein ganzes Format füllt, überlagert sich mit dem nächsten auf der Rückseite. Dafür aber sollte ein System gefunden werden, das die Bezüge lesbar macht.

Gestern sind zwölf Formate von vielleicht sechzig entstanden. Ich muss aufpassen, weil die Arbeit auszuufern beginnt.

Die Frottagen werden einem anderen Bezugssystem ausgeliefert: Lehm. Holzschnitzer, Flussweiden, Strohpuppen…

Spannung im Zwischenraum

Die Schatten liegen still am Boden, die Blätter aber bewegen sich in kleinen Radien schnell hin und her. Beim ersten Hinschauen ist das Phänomen nicht erklärbar. Genauer hinsehen, denn die Schattenbewegungen sind nur weniger sichtbar, weil sie nicht scharf umrissen in der Flächigkeit verharren. Dann rückt die Farbe in den Vordergrund. Der Split der Gehwege ist mit organischem Material angereichert und tendiert an seinen Rändern ins Indischrot. Die schattigen Flächen daneben werden umso blauer, wie im südlichen Licht.

Sehr schnell gehend strebt ein Vater mit Businessanzug und Kinderwagen der Stadt zu. Eine junge Familie mit drei Kindern und einem ziemlich kleinen Vater mit Hipstermütze läuft in die Gegenrichtung. Eine junge Frau mit grünem Pullover und langen roten Haaren mit einem kleinen Kind an der Hand, trifft auf eine hochhackige Japanerin, ebenfalls mit Kinderwagen und eine hellblau wedelnde Frau fährt mit behelmtem Kind nach Westen. Ich könnte die ganze Zeit so weitermachen. Ständig begegnen sich sehr verschiedene Menschen und schaffen auf diese Weise eine Spannung in der Luft dazwischen. In den letzten Zwanzig Jahren haben die Verschiedenheiten zugenommen. Frankfurt ist noch internationaler geworden.

Um dem ausgelieferten Gefühl zu entgehen, muss ich mir mit den sich im Sommer zusammenballenden Projekten mal einen übersichtlichen Kalender anfertigen, der dann auf dem Schreibtisch liegt und immer sichtbar bleibt.

Es schlägt Neun und es ist still im Haus. Das Wechselspiel von Konzentration, Routine und Leere, die sich nicht alleine überlassen wird, kann beginnen. Vertiefung erwarte ich erst am Nachmittag über den Transparentpapieren

Aeronautik

Weit oben die Schrift der Mauersegler, die Worte ihrer gemeinsamen Jagd schwungvoll und unsichtbar in das Blau des Sonntagmorgens zeichnet. Kitschverdacht – aber Balkonwärme im Rücken. Ein Spinnfaden hat das Gewöll einer Samenflugmaschine gefangen, das mal hell, mal dunkel vor den verschiedenen Hintergründen hin und her tanzt. Morgenkaffee, startende Flugzeuge, eine vorüberwedelnde Krähe, Insekten über den Röhrennetstern der vor Wind schützenden, unverwüstlichen Schilfmatte.

Spät nach einem Grillabend mit den Freunden, spielte ich noch ein wenig auf meiner Gitarre. Mathilda setzte sich in den Einbaum und ließ sich von mit über den wogenden Betonozean schippern.

Ein kleiner Ballon, ein schwarzes Herz beschreibt durch die verschiedenen Luftschichten und Windrichtungen einen lang gezogenen Spiralbogen. Aeronautik heute hoch im Kurs.

Mit dem Architekten am Weinstand sprach ich am Freitag über die Kammmuster auf dem Lehm zwischen dem Dachgebälk des „Goldenen Adlers“. Er sagte, das seien keine Verzierungen sondern nur Hilfsmittel, um die nächste Putzschicht zu halten. Vielleicht spricht mich ihre ornamentale Zufälligkeit deswegen an, weil sie nichts mit Schmuck zutun hat. Auch deswegen erzählen die Muster einiges über die Beschaffenheit ihrer Urheber. Sie haben im Format des Fachwerkes alle Freiheit. Das rückt die Frottagen, die ich morgen von ihnen anfertigen will noch mal in ein anderes Licht.

Während ich das Atelier für unser kleines Grillfest einrichtete, verpackte ich die empfindlichen Fundstücke in Kartons, nahm sie alle noch mal in die Hand.

Briefträger | Bäcker | Tischler

Ein Briefträger auf einem Fahrrad, die Sonne im Rücken, in einer schwarzgelben Radleruniform mit großen gelben Taschen auf dem vorderen und auf dem hinteren Gepäckträger, tritt langsam in die Pedalen, langhaarig und nach vorne gebeugt. Ein großer Mensch.

Eine junge Frau mit roter Jacke und blonder, wippender Frisur, schließt ihr silbernes Auto auf, fährt ohne jeden Umstand sofort los, als wolle sie nur kurz zum Bäcker. Einige neue Läden, die Backwaren verkaufen, haben in der Gegend aufgemacht. Das sind aber keine Bäckereien mehr, in denen man von mit Mehlstaub überpuderten Menschen bedient wird, die mitten in der Nacht aufstehen mussten, um den Brotteig anzusetzen. Im Einzugsgebiet meiner Frühstücksbrötchenexkursionen während meiner thüringer Kindheit lagen drei Bäckereien. Die unserer Meinung nach besten Brötchen gab es in der Bäckerei Kaufmann, die doppelt so weit von der Wohnung entfernt war als die mit dem Namen Gasterstädt.

Wegen der Hindemithkinder bin ich gestern nicht zu meiner Arbeit gekommen. Das fehlt mir, weil ich mir so viel vorgenommen hatte.

Am Vormittag begann ich einen Förderantrag zu schreiben, in dem es um die Objekte geht, die ich eigentlich im vergangenen Jahr bauen wollte, die Finanzierung dafür aber fehlte. In diesem Zusammenhang dachte ich schon öfter daran, die Dreiecksgittergerüste aus Holz zu bauen. Das würde besser zu mir passen, als sie zu schweißen. Allerdings sind die Holzverbindungen und ihre Winkel eine Herausforderung.

Ein anderes Problem ergäbe sich aus der Fertigung der Reliefs mit Pappmache. Denn ich könnte die gebauten Teile nicht im Balken lagern, weil dieser Raum zu feucht ist und das Pappmache sich verformt.

Afrikanische Komödie

Mit kleinen Schritten gehen Chinesen über den Wochenmarkt, schauen neugierig hin und her. Von Westen her scheint die tief stehende Sonne nach kalter Nacht fast waagerecht durch die offene Seitentür vom Verkaufswagen des Bäckers.

Im Museum für Moderne Kunst sahen wir gestern die Ausstellung „Die Göttliche Komödie“, Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler. Viele der Arbeiten berührten mich zwiespältig, weil sie einerseits von der westlichen Kunstentwicklung angesteckt waren, in afrikanischer Gewandung und Materialität steckten und gleichzeitig oft eine Tendenz zu harmlosem Kitsch aufwiesen. Eine auf Video aufgezeichnete Performance zeigte lauter Models in weißen Brautkostümen, die die Scham frei ließen. In die langweilige Choreografie griff immer wieder die Künstlerin ein, indem sie der Akteurinnen zeigte, wie sie sich bewegen sollten. Das war laienhaft, abstoßend und ohne jede Spannung. Andere Arbeiten überzeugten mich, wie die von Nicholas Hlobo aus Kapstadt. Er nähte aus vielen Gummischläuchen von Auto und Lastwagenbereifung einen großen lang gestreckten Körper zusammen, der in einen dünnen langen Schwanz ausläuft. Es könnte ein Wal oder ein schwarzer Darm eines riesigen Tieres sein.

Die regnerischen Tage scheinen nun erst einmal vorüber zu sein. Die Zeit, die ich mit der Pflege meines nun üppig treibenden Gärtchens auf dem Beton verbringe, ist zumeist eine glückliche. Unter der Birke, die nun bald die Dachrinne erreicht haben wird, wachsen eine Eiche, eine Weide und ein Ahorn. Dazwischen habe ich drei Eidechsen beobachtet, die sich auf dem trockenen Laub sonnen.

Verlust

Beim Hanggang gestern hatte ich die riesigen Brocken wieder aufzustellen, die nach einem Jahr wieder jemand umgeworfen hat. Sonst ist im mittleren Abschnitt nichts zerstört worden. Solche hoch aufragenden Schwergewichte reizen natürlich und Vinzenz, der mit seiner jugendlichen Kraft die größten Steine aufstellte, die er finden konnte, hat mir nun die Aufgabe hinterlassen, mich stets um ihren aufrechten Stand zu kümmern. Das geht ins Kreuz…

Auf dem Rückweg mit Monika kam es zur denkwürdigen Begegnung mit dem Förster, der die zunehmenden Aktivitäten seit drei Jahren beobachtete. Der Umfang, den die Arbeit angenommen hatte, macht es nun notwendig das Ganze zu offizialisieren. Somit haben wir uns geeinigt zusammen zu arbeiten und Regeln festzulegen, die beachtet werden müssen. Ich freue mich über diese Begegnung und hoffe auf eine Zusammenarbeit, die neue Impulse aussenden kann.

Im Atelier sichtete ich noch mal die vielen Blätter, die ich vorgestern mit dem Material aus dem „Adler“ gemacht habe. Schon ist ein Produktionsprozess in Gang gekommen, der dem der „Synaptischen Kartierungen“ ähnlich ist. Diese Arbeiten sind aber von einer anderen Dichte und deswegen auch etwas aufwendiger herzustellen. Die Intensität kann allerdings in den kommenden Wochen noch zunehmen. Die Implantationen von Fundmaterial in fließende Zeichnungen haben gerade erst begonnen.

Gerade habe ich erfahren, dass Forsythe nach Los Angeles zur Glorya Kaufman School of Dance geht. So langsam hat sich sein Abschied angekündigt, dennoch bin ich schockiert, dass der Mann nun Frankfurt verlässt, der mich jahrelang mit wichtigen Inspirationen versorgt hat. Ein großer Verlust für uns.

Dramaturgie

Mein Krishnababy zeigt mit seiner bronzenen Patschhand auf das mit Tusche geschriebene Wort „TAPETENSCHICHTEN“. Es ist nach dem zweiten Drittel gefaltet und läuft von dort aus in entgegengesetzte Richtung, auf der Rückseite des gefalteten Transparentpapierbogens mit „HICHTEN“ spiegelschriftlich zurück. Diesen Schriftverlauf, der sich in seiner Transparenz mit „TAPETENS“ überlagert, kann man noch mal deutlich nachziehen, denn er verweist auf den auf dem Zeitstrahl rückwärts wandernden Blick.

Einige der vorgestern entstandenen Formate, liegen nun auf dem Schreibtisch. Aber erst im Gegenlicht der Lampe geben sie einen Teil ihrer Geheimnisse preis. Die eingeschlossenen Fundstücke bilden Archipele, kartiert inmitten des erstarrten Stromes aus Spiritus, Ruß, Tusche und Schelllack im Maßstab von eins zu einer Million. Die Tabakblätter zerflusen in hunderte von Inseln, die von hellen Atollen aus Luftblasen umgeben sind.

Ein Argument gegen die Verdeutlichung der Schrift, ist der Vorgang des Verwischens vieler Geschichten, die das Haus umwehen und nur fragmentarisch zutage treten.

Die Arbeit an den kleinen Formaten im Atelier ist deswegen anstrengend, weil die Schichten der verschiedenen Schattierungen, Formen und Durchlässigkeiten eine konzentrierte Arbeitsweise fordern. Sie soll der Dichte und Qualität all der innewohnenden Bedeutungen gerecht werden. Die Reduktion der Mittel wäre ein weiterer Schritt auf Klarheit und zugleich auf Spannung hin. Ihr minimalistischer Gestus hebt sich sowohl von der Umgebung, als auch von den reich verdichtet gestalteten vorausgegangenen Arbeiten ab. Im schwingenden Hin und Her zwischen diesen Polen, besteht die Dramaturgie der Ausstellung.

Tobacco Road

Unter dem Kellergewölbe des „Goldenen Adlers“ fand ich ein Stück Steinkohle und zeichnete im Atelier damit eine bräunliche Struktur auf Transparentpapier. Unter dem Arbeitstitel „Tobacco Road“ habe ich eine Reihe von Arbeiten begonnen, die von der Tabaktrocknungsschnur inspiriert sind, die ich unter dem Dachfirstbalken gefunden habe. Die rußig fettigen Gespinste assoziierte ich mit dem Schmutz aus dem Song und dem Romann mit dem gleich lautenden Titel. Sowohl die Texte von Erksine Caldwell aus auch die vielen Lifevarianten des Bluesrockssongs von Eric Burdon erweitern das Maß eines möglichen Gedankenwanderungsnetzes, das mit Verarmung, Maloche und Entwürdigung die letzte Nutzungsepisode der Räume mit einbezieht. Die mit Nägeln für mancherlei Schnüre gespickten Balken hat der Denkmalschutz auf ein Alter von bis zu achthundert Jahren geschätzt. Somit existierte das Dach schon vor dem Bau des Hauses. Seine Konstruktion und handwerkliche Präzision besitzt eine höhere Qualität, als die der Nachbarhäuser. Die differenzierten Winkel, engen Sägeschnittfugen, das Maß von Zierbalken und das von Andreaskreuzen, von denen eines jeweils über ein Viertel der Dachfläche reicht, wirft ein eigenes Geschichtsforschungsfeld auf.

Ich sammelte Material, das zwischen den Bergen von Taubenkot, welcher durch die Ritzen der breiten Dielen eine Etage weiter nach unten rieselt. Zertreten finden sich dort winzige Schiefer- und Glassplitter, Taubenknöchelchen, Blechstückchen und Holzspäne. Im ersten Obergeschoss fotografierte ich alle „Zeitfenster“ des Denkmalschutzes, die ich mit meinen eigenen Schichtungen kommentieren möchte.

Dieser zweite Besuch galt noch eher der Oberfläche. Die Verarbeitung des gesammelten Materials, kann erst in der Folge zu dem Raum führen, dessen Maß die universellen Prozesse aufzeigt, deren Geschichte mit dem Bau verbunden ist.

Schichten | Maß | Struktur

„Schichten | Maß | Struktur“, das ist der Titel des Projektes, das ich nun im „Goldenen Adler“ in Hoechst beginnen will. Die Hülle, die den geschichtlichen Raum umschließt, gibt das Zeitmaß schon vor, in dem wir uns bewegen, wenn wie die Beschaffenheit der Bausubstanz auf uns wirken lassen. Material, das seit Jahrhunderten geschichtet ist soll einer näheren Betrachtung unterzogen werden. In Schelllack eingegossene Artefakte liegen zwischen Transparentpapierschichten, die Grundrisse, Frottagen oder mit Tusche geschriebene Texte aufweisen. Die Worte beschreiben das, was die „Zeitfenster“ der Denkmalpflege aufgedeckt haben. Sie sind so reduziert, dass sie wie Wegzeichen für die Denkpfade sind, die angesichts der dünnen Farbreste hinter dem Gipskarton vorgeschlagen werden. Die Kleinheit der Kammern und der große Bogen des Kellergewölbes, die Umrisse der Fachwerkfüllungen, die Stärke der Balken und ihre Schwünge an Stellen im Giebel; diese Maßverhältnisse bilden eine weitere Schicht des Materials, das für diese Arbeit wichtig ist. Die Abstände der Zinken eines Kammes, mit dem Verzierungen in den frischen Lehm der Fachwerkfüllungen aus Weidengeflecht gezogen worden sind gehören dazu, wie die Linienführung der Ornamentzeichnungen selber. Sie verraten in ihrem leicht zitternden Strich etwas über den Handwerker, der weit oben, dem Himmel etwas näher seine Handschrift hinterließ. Planvoll vorgehen hieße, im Keller zu beginnen, zwischen den Ritzen des Pflasters in den Schütten an den Wänden oder im zugeschütteten Brunnen nach Nutzungsspuren zu suchen, um sich dann langsam Etage um Etage nach oben zu arbeiten. So fügen sich dann die Schichten des Baus mit denen der Transparentpapierarbeiten übereinander. Strukturen der Oberflächen werden mit Graphitschraffuren auf Papier sichtbar gemacht und überlagern sich mit den Tuschelinien der Texte. So entsteht eine künstlerische Bestandsaufnahme dessen, was Ausgangsbasis für die Sanierung des „Goldenen Adlers“ ist.

Sprachklang

Bevor an diesem klarblauen Morgen die Sonne den Balkon erreicht, sitze ich trotz der Kühle, es ist um die dreizehn Grad, draußen. Der Schatten des Hauses wandert an der hellen Nachbarwand nach rechts. Es dauert nicht mehr lange, bis mich das direkte Licht erreicht haben wird.

Ein Jagdschloss, das Tenneberg heißt liegt über der Stadt Waltershausen am westlichen Ende des Burgberges. Es beherbergt ein Puppenmuseum, in dem mein Bruder arbeitet. Der Innenhof hat einen kleinen Arkadengang, der an seinen Bögen Ornamente trägt, die schon klassizistisch anmuten, obwohl es sich um einen Barockbau handelt. Jedes Mal, wenn ich diesen Raum sehe, blicke ich mit anderen Augen auf ihn. Er ist wie ein Spiegel meines ästhetischen Empfindens, das immer neue Orientierungspunkte anpeilt. Man braucht ein paar solche Orte, die den Zustand des inneren Diskurses filtern. Sie sind wie Messpunkte an denen die Bewegung des Denkens verfolgt werden kann.

Dort war gestern ein Fest mit den bekannten Familiengesichtern. Zunehmend gewinnen Rückblicke an Bedeutung, die die Fehlstellen abgelaufener Lebenszeit einspinnen. Diese Kokons enthalten die Dinge, die man hätte tun können, solange man die Kraft dafür noch hatte. Die Schwester meiner Mutter nahm sich eine Zeit lang mein tägliches Zeichnen zum Vorbild, wollte auch Tagebuch schreiben, schrieb aber Gedichte, die jemand vom Bund der Vertriebenen absurderweise ins Schlesische übersetzen wollte. Schlesisch aber, sagt sie, sei keine tote Sprache, sondern würde noch in der ostsächsischen Lausitz gesprochen. Dort sollte man mal auf den Klang dieser Sprache hören und spüren, was er einem zu sagen hat. Außerdem schunkelte und tanzte man zu einem ärgerlichen Stehgeiger, der es besser wissen müsste, d.h. besser spielen könnte – eine andere Kultur.

Zählen

Hör auf zu zählen! Ich muss nicht bis zehn zählen, wenn der Kaffee unsere Maschine verlässt und unter Druck in den kleinen Stahlbehälter fliesst, in den gerade ein doppelter Espresso passt. Schon wieder eine Zahl. Ich muss diesen kurzen Zeitabstand nicht messen, nicht mit den interstellaren Vorgängen vergleichen, die das Maß begründeten und uns den Rhythmus des wechselnden Lichtes aufprägten. Ich stelle mir eine flexible Maßeinheit vor, die lang gezogene Momente, in denen die Wahrnehmung auf Slow Motion schaltet, stufenlos darstellen kann.

Im Moment der beschwingten Stimmung verweilten wir unter dem Licht des andauernden hellen und milden Abends auf dem Wochenmarkt bei zumeist grauem Burgunder.

– Langsam zurück –

Von Flatterbändern zerschossener Nachmittag. Keine Konzentration im Atelier möglich. Ein Politiker fragt mich, ob mich das Festival auf dem Gelände stört. Ich sagte, dass wir auf Teves West Demokratie lernen müssen, die bislang fehlt.

Mit den Hindemithkindern habe ich gegipst. Gips, Pappe, Schellack und Transparentpapier. Kiara spielte Gitarre.

Für mein Projekt in der Architektur des „Goldenen Adlers“ habe ich nun doch eine Zusage bekommen. Zur Präsentation dieser Arbeit habe ich eine ganze Etage zur Verfügung, kann dort alle Eingriffe des Denkmalschutzes einbeziehen. Am Montag werde ich die Räume noch mal besichtigen, sollte noch einen Titel dafür finden und auch einen Text machen, der das Ganze beschreibt.

Langsam weiter zurück

Es ist mir, als verginge die Zeit schneller an diesem Morgen. Deswegen versuche ich langsamer zu schreiben und dabei die Vorgänge im Rücklauf zu betrachten.

Mit Maj am Abend Rock`n Roll. Sie hat ihren eigenen Verstärker mitgebracht. Vorher malten wir gemeinsame Blätter auf nasses Papier mit Acrylfarben. Eine intensive Arbeit, kein Idyll, sondern stabile Kontinuität. Die Blätter werden besser. Man kann aber noch eine Weile dabei bleiben.

Ein Salsawochenende auf Teves West. Niemand wurde rechtzeitig informiert. Gestern eine Mail des Vermieters zu bevorstehenden Beeinträchtigungen. Ich frage mich, warum wir immer stundenlang zusammensitzen und formulieren dass so etwas abgesprochen werden muss.

Langsam weiter zurück.

Maj kommt mit Bass und Amp angeradelt, Gespräch mit den Kollegen über den Goldenen Adler. Es kam eine Ablehnung der Beteiligung an einer Ausstellung dort. Zuvor Gespräch im Architekturmuseum. Es ging um eine längerfristige Zusammenarbeit. Ich erzählte von den Zusammenhängen in der Arbeit mit den Hindemithkindern und den „Verstrickungen“ der Waldarbeit mit den Stadtproblemen: Ausgrabungen von Drahtglasscherben an der Ackermannwiese, tagtäglicher Rassismus auf dem Schulhof, salafistische Ideologie, Schönheit unserer Objekte, Rock`n Roll als antifaschistischer Reflex. Zuvor Arbeit am Rock`n Roll Thema auf Rolle 6, seitlich zum Eingang sitzend, um das Gerumpel, Getöse und Rangieren der Vorbereitung des Partywochenendes nicht dauernd im Kopf und in den Ohren zu haben. Vormittags Förderantrag für Kulturfonds und Förderzusage vom Kulturamt.

Geflechte | Zeichnungen | Drahtglas

Treffen am Vormittag in der Schule. Es ging um weitere Projekte in der Zukunft. Ich lernte die Kunsterzieherin kennen, die offen für Kooperationen ist. Die werden auch gefördert. Vielleicht kann man „Querwaldein in der Stadt“ gemeinsam machen. Mit diesem Antrag beschäftige ich mich seit einiger Zeit, so auch gestern Vormittag neben der Tagebucharbeit. Durch die Nachtarbeit nimmt die Anzahl der Arbeitsstunden zu.

Gestern am Hang stand ein Auto der hessischen Forstverwaltung auf der Kreuzung von meinem Pfad und dem ersten Querweg nach dem unteren Abschnitt. Das ist meist kein gutes Zeichen. Sicher geht es um die weiteren Holzeinschlag. Chaos also, Industrialisierung und Unruhe.

Unter meinen Füßen spürte ich die große Trockenheit an der Oberfläche, die durch den warmen Wind ausgelöst wird, „der von allen Seiten zu wehen schien“. Das verflochtene Holz schrumpft und wird instabiler, die Tannenzapfen krachen, wenn man auf sie tritt. Als wir am vergangenen Wochenende ganz oben ankamen, blieben Wanderer stehen und blickte auf mein großes Rondell. Ein Wanderer gestern mit I-Phone und Stöpseln im Ohr, bemerkte mich nicht, als ich meine Spiralen lief, schwitzte bei siebenundzwanzig Grad im Schatten. Die Fingerhüte oder Königskerzen beginnen zu wachsen, das Waldgras schießt in die Höhe und Rotkehlchen schmettern ihren Gesang, wie aus einer automatischen Waffe in den Raum. Kleine Veränderungen an den Geflechten folgen zeichnerischen Impulsen. Ich verfolge eine entstehende Linie, hänge einen trockenen Zweig an ein aus dem Baumstamm stehendes Aststück, geselle einen zweiten hinzu, probiere, was noch weiter geht und fotografiere.

Im Atelier stellte ich zwei weitere ausgegrabene Drahtglasscheiben auf die schmalen Leisten der Fenster, probiere so aus, was sie hergeben.

Geschlossener Kreis

Unter dem hochgezogenen Rolltor zeichnete ich im Atelier an der Sequenz „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“ auf Rolle 6 weiter. Die Pionierzeichnung von 1995 gewinnt nun aus den Überlagerungen an Fülle. Wie die Spuren von fünfzig Jahren auf einem Körper, legen sich die Strukturen übereinander. Die elektrischen Gitarren verbinden sich untrennbar mit der Figur und zerfetzen den stalinistischen Traum von der Gleichschaltung der Gehirne.

Indem ich mich mit der fast zwanzig Jahre alten grafischen Reihe noch einmal beschäftige, verbindet sie sich ganz natürlich, wie von selbst mit der Arbeit der Gegenwart. Der pervertierte Antifaschismus, wie ich ihn bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr in Ostdeutschland direkt erlebt habe, führt durch die heutige Beschäftigung mit dem Zwangsarbeitergedenken zu einer deutlicheren Abgrenzung mit ihm. Aus der hohlen Formel entwickelt sich etwas grundsätzlich anderes. Gleichzeitig ist dies ein Kommentar zu Verbrüderung der Rechten im „paneurasischen“ Raum mit seiner Galionsfigur Putin. Somit fügen sich die Themen auf Rolle 6 folgerichtig aneinander. Auf GPS-, Trümmer-, Zeltersequenz folgt die Elektrisierung.

Im rechten, westlichen Rolltorfenster steht eine der ausgegrabenen Drahtglasscheiben. Diese Bruchstücke sind für mich die bezugreichsten Exemplare von der Ackermannwiese. Sie führen direkt zu einem vielschichtigen Zugang in die Umgebung meines Ateliers in den Vierzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.

In der Folge der Zeichnungen spielte ich zur Entspannung am Abend noch etwas Gitarre, ging im Europaviertel spazieren, sah die Flugzeuge wie an einer Perlenschnur einschweben und verglich den westlichen Boulevard mit der Stalinallee in Berlin. So schließt sich der Kreis des Tages, als würde er sich auf das Leben hochrechnen lassen.

Gin

Sechs Uhr morgens sind nur die Spitzen der Baumkronen von zartem, direktem Sonnenlicht beleuchtet. Schon stürzen sich ein paar Mauersegler mit ihrem schrillen Geschrei zwischen unsere Wohnverschachtelungen, um gleich wieder ganz weit oben winzig vor den wenigen Wolken zu fliegen.

Vormittags schrieb ich an einem Konzept für den Goldenen Adler in Hoechst und machte einen Finanzplan dafür. Eine extra für den Anlass angefertigte Arbeit, hätte den Vorteil, dass die Dokumentation dessen später noch, nach der Sanierung genutzt werden könnte.

Im Atelier nahm ich mir die „Rock`n Roll Sequenz“ auf Rolle 6 noch mal vor, hörte dabei Partiten von Bach und pflegte daneben noch mein Tevesgärtchen. Auf der Wiese stellte ich ein paar trockene Stangen unserer wuchernden Essigbäume zusammen und lasse sie ab sofort langsam über das Gelände „laufen“. Immer, wenn ich da bin, verrücke ich die Füße langsam Stück für Stück. Das ist ein Reflex der Ergebnisse der Hanggänge. Das Material stammt aber ausschließlich vom Gelände.

Am Abend besuchten wir eine Lecture Performance des Amerikaners Chris Kondek mit dem Titel „Denken und Trinken“ im Mousonturm. Auf Rechnung des Hauses bekam man zunächst einen Cocktail der osteuropäische, südamerikanische und vor allen griechische Spirituosen mied. Das hatte mit dem Themen Euro und Europäische Zentralbank zutun. Die Basis des angebotenen Cocktails war Gin. Entsprechend milde gestimmt konnten wir dem humorvollen Vortrag folgen, der Einspielungen der monatlichen Pressekonferenzen Draghis bereit hielt, aber auch die Gegenbewegung der Bitcoins in Frankfurt beleuchtete.

Auf dem Heimweg noch ein Stündchen in einem Straßencafe im hellen, langen milden Abend.

Farbspiele

Ein sehr blondes Kind, das gerade gelernt hat Fahrrad zu fahren, fährt an der Seite seiner blonden Mutter auf dem gegenüberliegenden Gehweg westwärts. Rotweiß sind das neue Rädchen und auch alle Kleider die beide tragen. Interessant wäre es zu wissen, ob die jeweiligen Nationalfarben auch die Farbgewohnheiten im Alltag beeinflussen. Nationalismus greift ja überall in Europa um sich. Und nicht nur in Südosteuropa ist ein Rechtsruck zu beobachten, sondern auch in Frankreich, Italien, Polen und Russland gibt es gefährliche Farbspiele.

Gestern waren wir im Taunus auf dem Pfad. Es kommt sommerliche Wärme auf, die sich explosiv mit feuchter Luft mischen wird. Schon am Mittwoch, wenn ich meinen nächsten Hanggang unternehmen will, geht es los. Diesmal haben wir den Weg einfach so als Abkürzung genutzt, um dann ganz oben auf dem Forstweg nach Osten in Richtung Fuchstanz zu laufen. Ich fotografierte etwas, sammelte aber nichts auf – Sonntag.

Auf dem Satellitenfoto von Google Earth ist das große Rondell auf der oberen Lichtung sichtbar. Eine Schneise zeigt ziemlich genau die Flugbahn, die der Kampfjet in der letzten Sekunde seiner Existenz am Ende der Siebzigerjahre genommen hat, bevor er im „Siegfriedidyll“ zerschellte. Man könnte mit einigem Aufwand dort ein Zeichen installieren, das die Absturzstelle für die kommenden Aufnahmen markiert.

Eine Weile sprach gestern noch der schöne Tanzabend „Partita 2“ mit mir. Ich dachte mir, dass seine starke Wirkung von Einfachheit, Klarheit und Harmonie ausging. Das hat auch viel mit Reduktion zutun, die durch ein straffes Konzept möglich wird.

Eine politische Veranstaltung von linken Gruppen gestern Abend auf Teves West. Selbstverständlich wussten wir davon nichts, nichts von den Absperrungen und dem Lärm, der sicherlich am späteren Abend noch einsetzte.

Luther, Eisschnelllauf und Gret Palucca

Bachs „Partita Nr.2“ gab dem Tanzstücke von Anne Theresa De Keersmaekers, der belgischen Tänzerin und Choreografin, den Namen. Im Black, in Völliger Finsternis, wurde das Stück für Violine von Amadine Beyer in der Mitte der Bühne, direkt vor mir gespielt. Schon das war tänzerisch beschwingt, mit einer Hingabe, die sich auf mich übertrug. Durch die Dunkelheit konzentrierte sich die Aufmerksamkeit nur auf die Musik. Im Abgang der Musikerin, nach einem abrupten Ende des Spiels setzte Licht ein. Ein einzelner, automatisch schwenkbarer Scheinwerfer, warf ein kaltes Lichtrechteck an die Wand, das von Links nach Rechts, langsam wie ein Stundenzeiger über die Bühnenwände glitt. Zu einem Pas de deux zu der gerade gehörten Musik kamen Keersmaekers und Boris Charmatz auf die Bühne. Und nun folgte etwas, das bei mir die Assoziationen von Luther, Eisschnelllauf und Gret Palucca hervorrief. Was getanzt wurde, war ein folgerichtiger Kommentar zum kontrapunktischen Stück, das vorher zu hören war. Die Bewegungen im stillen Raum reagierten mit einer selbstverständlichen und schönen Art aufeinander, ohne dass irgendetwas Glanzvolles hervorstach. Glanz lag auf dem Gesamtabend. Dieser mittlere Teil fand ohne Musikklang statt. Die Musik fand sich nur im Tanz. Orientierung gaben lediglich auf den Bühnenboden gezeichnete Kreidekreise, deren Bahnen ineinander geschlungen die Wege der Tänzer aufzeigten. Im dritten Teil, der durch ein kurzes Black abgeteilt war, fanden nun das Musikstück mit der Violinistin und die Tänzer mit ihren Pas de deux zusammen. Alle drei wiederholten einfach das, was wir vorher schon gesehen oder gehört hatten, nur diesmal zusammen. Dadurch wurde deutlich, wie genau vorher die Musik ohne Klang getanzt wurde. Im Zusammenspiel wurde der Höhepunkt des Dreiklangs erreicht.

Erinnerungsschnüre

Fächeln der Ahornblätter im gelblichen Morgenlicht. Die westliche Seite der Baumkronen scheint dieses Hin und Her gewichtiger zu nehmen. Dieser Eindruck wird vom Schatten ausgelöst, der Ernsthaftigkeit, Melancholie und Gemessenheit vermittelt, während der helle Osten Leichtigkeit ausstrahlt. Die Ringeltauben dazwischen, bewegen sich etwas schwerfällig, wirbeln Wind auf, der nicht benötigt wird.

Im Workshop gestern setzten wir das genau um, was ich mir am Vortag überlegt hatte. Es ist nun noch ziemlich viel aufzuräumen, wie immer nach Gipsarbeit.

Im Atelier fotografierte ich die am Mittwoch ausgegrabenen Drahtglasscheiben. Das auseinander gerissene Material bezeugt den Grad von Gewalt, den Sprengbomben auslösen. In der erdigen Finsternis fand ich die Spuren der Brände, unter den Trümmern geschmolzenes Glas. Schaurige Schönheit im Gegenlicht, eigenartiges Gestein, innen Lava ähnlich porös und außen geschmolzene Glätte. Alles wusch ich in Wassereimern, machte es dadurch erst erkennbar. Es sind in sich schöne Ausstellungsstücke.

Eine neue Köchin aus den Startorante besuchte mich im Atelier und entdeckte meine „Fädel“. Als ich ihr erzählte, dass ich mich an viele der Strände, an denen ich die Steine, Muscheln und Korallen aufsammelte, gut erinnern kann, nannte sie sie Erinnerungsschnüre. Eine nette Bezeichnung, durch die das Auffädeln von löchrigen Gegenständen noch erweitern werden kann.

Muster | Restmaterial | Texte

Vormittags Besichtigung des „Goldenen Adlers“, eines sehr alten Gebäudes in der Altstadt von Höchst, das die KEG sanieren wird. Vom Denkmalschutz wurde das Haus bereits untersucht. Durch diese Arbeit, die Fenster in die Oberflächen geschnitten hat, kann man ins Innere der Wände schauen, die mit Gipsplatten verkleidet sind. Die Freilegung dieser Zeitschichten erzeugt eine besondere ästhetische Qualität. Diese kleinen Fenster in die Vergangenheit bilden mit den Zimmern zusammen einen reich gefüllten geschichtlichen Raum. Am Schluss war er voll gestopft mit Menschen, denen man Matratzen vermietet hat. Reste dieser kläglichen Existenz waren noch an den Wänden und am Boden sichtbar. Diese Spannweite von Informationen führt zu einer Raumausstrahlung, der ich künstlerisch nur mit minimalisierten Kunstäußerungen gerecht werden könnte. Dabei geht es um Materialien und Strukturen des Hauses, die Rückschlüsse auf seine Geschichte zulassen: Frottagen von Kammspuren, die zu Mustern im Lehm zwischen dem Fachwerk innen unterm Giebel gezogen worden sind, Schelllackeinschlüsse von Restmaterial aus dem Keller und Texte zu den vom Denkmalschutz geschaffenen Fenstern in den zeitlichen Raum.

Der Workshop heute Nachmittag steht unter dem Motto „Objekte aus Motiven des Zweifigurenreliefs des FRANKFURTER KRAFTFELDES“. Davor erkläre ich den Zusammenhang zwischen Hanggang im Wald und diesem Relief. Dann werden noch zu findende Figuren aus den Geflechten des Reliefs ausgeschnitten und als Grundköper für Skulpturen benutzt.

Gestern Abend beim Workshop zunächst Musik mit Majs Bass und meiner Gitarre, dann Malerei während der sechs mittlere Formate aus weichen Farbverläufen und harten Zeichnungsstrukturen entstanden. Danach noch einmal Musik, für die wir etwas mehr Zeit brauchten.

Glas

Hanggang gestern im grellen Wechsellicht des Nachmittags des Taunus. Neben der Vervollständigung der Materialien für die Schattenboxen, brachte ich ein paar Bäumchen mit, die chancenlos an dunklen Stellen unter den Tannen trieben. Das waren zumeist zweijährige Eschen. Die Buchen waren schon zu weit.

Auf meinem Rastplatz am oberen großen Rondell lagen ein paar Zwiebelringe und etwas Paprika im Gras. Diese Stelle, abseits von den Waldwegen und Forststraßen, fand also noch jemand außer mir anziehend zum Pausieren.

Ansonsten unternahm ich die allgemeine Pflege, kickte Tannenzapfen zur Seite, schichtete den Steinhügel höher, was eine mühevolle und langwierige Angelegenheit ist und vervollständigte einige Astgeflechte.

Ein überraschendes Entgegenkommen beim Telefonat über eine Förderung mit einem Kulturfonds, womit ich nicht gerechnet hatte. Deswegen begann ich ganz optimistisch mit einer Projektbeschreibung die zwischen Wald und Stadt angesiedelt ist.

Roland erzählte ich vom Skulpturvorhaben eines wandelnden Objektes aus den Stangen unserer Essigbäume. Es könnte langsam über unsere Wiese laufen.

Helga erzählte, dass auf der Ackermannwiese wieder gegraben wird. Am Abend schien die Sonne warm in die aufgeworfenen Gräben. Wieder fand ich insbesondere Keramik und Glas zwischen den Trümmern. Mir war ganz seltsam zumute, als die Bälle der Fußballer immer gegen die Bauzäune krachten. Viel Glas war geschmolzen und einiges Drahtglas fand ich, das Gedenkmaterial schlechthin.

Blick in den Raum

Die Tage sind kühl, weil die Luftströmungen über den noch winterkalten Atlantik zu uns heranziehen. Mein Atelierrolltor ist aber offen. Seit Jahren sitze ich dort an einem Zeichentisch mit Blick auf das Gelände. Dort besuchen mich manchmal Leute, die auf Teves arbeiten oder ausgebildet werden. Ich mag den direkten Kontakt mit meinen Nachbarn und fühle mich dadurch in meiner Arbeit und Konzentration nicht gestört, denn das was ich mache, hat mit ihnen zutun. Ich spüre dann, wie alles zusammengehört.

Gestern gab es beispielsweise ein längeres Gespräch mit den Ateliernachbarn über die Rolle, die wir auf dem Gelände spielen. Durch den angekündigten Abriss der Baracken sind wir etwas aufgeschreckt. Denn die Einteilung des Raumes und seine gliedernden Elemente sind zu wichtig, als das man sie mit einer Aktion, die in keiner Weise diskutiert wurde einfach wegradiert.

Ich merke, wie meine fragile Produktion sich langsam in diesen Raum vortastet. Abgesehen davon, dass dies ein normaler Frühjahrsimpuls ist, spielt es auch mit den wöchentlichen Hanggängen zusammen. Stangen und Äste, die ich auf dem Gelände finde, stelle ich zusammen, wie bei der Waldarbeit. Die Bewegungen, die die Objekte vollführen, die in ihrem Zusammenstürzen von mit gestützt werden, lassen sich auch auf unsere Wiese und auf die Betonflächen übertragen. Von den schnell wachsenden Essigbäumen kommt Materialnachschub. Man kann das Gelände auch als Experimentalraum auffassen.

Eine Zusammenarbeit der Künstler in diesem Areal hat die Schwierigkeit der großen Unterschiede der Herkunft und Ausprägungen ihrer Arbeit. Dann steht also die Suche nach den Gemeinsamkeiten zunächst im Vordergrund. Das soll unsere Rolle stärken.

Wald auf dem Beton

Ich kümmerte mich am Nachmittag weiter um die Schattenboxen. Man muss die Arbeit der Schüler ernst nehmen und den Ergebnissen weitere Gestaltungsvorschläge hinzufügen. Langsam komme ich dahin, Fundobjekte selbst mit Schelllack zu überziehen, um sie zu eigenen freistehenden Objekten zu machen, die in den Räumen der Boxen ein höheres Gewichthaben.

Vor unseren Ateliers gibt es immer wieder Anlässe zu Diskussionen über unsere, an den Wochenenden aktiven Mitmieter. Oft geht es dabei um kleine Zerstörungen. Eine schöne, mehrfach verleimte Tischplatte bekam vor Ostern ein Spraymuster, als sich eine offensichtlich irrelevante Besetzergruppe auf Einladung auf unserem Gelände einrichtete, um ihre nächsten Aktionen zu besprechen, die dann auch Ostern folgten. Auf dieselbe Platte wurde während eines Frühlingsfestes mit einem Feuer auf unserer, der Unwirtlichkeit abgetrotzten Wiese, durch einen Standgrill ein Brandfleck auf dem Holz verursacht. Gleichzeitig ist eine Fußmatte zerschnitten, oder anderweitig zerstört worden und Bierflaschen standen herum. Am Montag lagen Pappbecher rund um den Abfalleimer und Aschenbecher mitten auf unserem gemeinsamen Platz. Das sind alles lächerliche Kleinigkeiten und gleichzeitig ständige Übergriffe. Es ist zu spüren, wie der Druck dadurch wächst und das Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit weiter zurückgeht. Das ist traurig und sehr schade.

Aber ich habe noch einige Bäumchen ausgegraben und in die bereitstehenden Töpfe gepflanzt. Es kann nun auf dem Beton ein kleiner Wald wachsen. Alles Unkraut, das ich mit etwas Erde aus den anderen Blumentöpfen entferne, streue ich auf den Beton. So entstehen Vegetationsinseln, die weiter mit Erde und angewehtem Material angereichert werden.

Bewegungen

Der Ausblick aus dem Fenster vor meinem Schreibtisch ist voller verschiedener Bewegungen. Ganz langsam ziehen sehr hohe, sich verändernde weiße Schleier vorüber. Davor fliegen ganz tief und schnell Wolken, die das Licht andauernd verändern. Mauersegler zeichnen ihre Schwünge vor diesen Raum und im Wind fächeln die Blätter, die seit einigen Wochen wieder die Außenfarbigkeit beherrschen. Es handelt sich also bei genauerem Hinsehen um eine unruhige Aussicht.

Unten auf dem Grünstreifen sind wieder die Gärtner unterwegs, bei denen ich in der vergangenen Woche die Grundausstattung für meine Baumschule geschnorrt habe. Heute bekam ich noch mal fünfzig Töpfe für die vielen Platanen, die hoffentlich bald im Sand auf den Spielplätzen wachsen werden. Da die Plastikbehälter sonst weggeworfen und geschreddert würden, halte ich die nochmalige Nutzung auf meinem Beton für dreifach nützlich. Die gestrigen Regengüsse hielten uns von einem Spaziergang ab, und so waren wir gemeinsam für zwei Stunden im Atelier. Ich pflanzte die ersten fünfzehn Bäumchen ein, die nun nicht mehr im Winter ins Atelier geräumt werden müssen.

B. übersetzt ein Stück von Simon, in dem er sich mit der Persönlichkeitsveränderung von einem zu Ruhm gekommenen Rockstar beschäftigt. Im Titel greift er auf „Birdlands“ von Patti Smith zurück.

Im flackernden Morgenlicht hören wir nun oft die Radiohour mit Bob Dylan. Es sind die seltenen Gelegenheiten in denen wir Countrymusic hören. Es gibt aber auch viel Blues, Rock und alles was das amerikanische Songbook hergibt.

Der Leiter der Strafvollzugsanstalt Rockenberg schrieb mir, dass mein Konzept „Kunstrasen“ den Insassen nur schwer zu vermitteln sei. So bleibe ich also um einige Erfahrungen ärmer.

Baumschule

Im Regen grub ich Bäumchen aus, die demnächst der Mähmaschine des Grünflächenamtes zum Opfer gefallen wären. Der Boden im Park am Rebstock ist lehmig und tiefer auch steinig. Mit einer kleinen Schaufel stach ich Erdwürfel mit den Keimlingen aus und brachte sie vors Atelier. Der Kauf der Pflanzerde war eine nasse, schmuddelige Angelegenheit. Nun aber ist alles bereit dafür, die Baumschule zu gründen. Demnächst ist zu erwarten, dass die Samen der Platanen austreiben. Wenn sie aufgegangen sind werde ich einige einsammeln und sie meiner Schule hinzufügen. Vielleicht ist diese Beschäftigung die richtige für mich im Älterwerden. Auf all dem Beton auf Teves ist das der Schmuck der lindern kann. Mir fehlen noch Kiefern, die sich aber offensichtlich nicht so leicht aussäen.

Im Atelier hatte ich außerdem einiges mit den Nachbereitungen des Hindmithkinderworkshops zutun. Ein paar Formate waren zu retten, weil sie durch das Pressen zusammen klebten.

Vor ein kaltes fast waagerecht fließendes Morgenlicht, schiebt sich von Westen her eine Wolkenbank, die wieder Regen bringen wird. Das Regenradar zeigt blaue Schlieren, die über das hessische Bergland heran wabern.

Während einer Essenseinladung sprach ich mit den großen, jungen Männern, die wir alle noch als Babys kannten. Sie erklärten mir ihre Graffitis, wie sie da rangehen und die Scheu vor dem öffentlichen Raum.

Bass | Insekt | Einschlüsse

Auf dem Grünstreifen unserer Allee sind gestern neue Büsche und Bäumchen gepflanzt worden. Das war genau der richtige Tag dafür, denn es regnete wie aus Kannen. Bei den Gärtnern staubte ich mehr als hundert mittelgroße Blumentöpfe ab, die wir sonst kaufen müssten. So kann ich nun eine größere Umtopfaktion starten, noch mehr Pflanzen in mein en Garten stellen, deren Keimlinge ich nun im exotischen Rebstockgarten ausgraben kann, denn die Erde ist tief durchnässt.

Die Hindemithkinder haben gestern fleißig alle Kartons zusammengebaut und fingen danach an, weitere Transparentpapierfähnchen mit den Waldeinschlüssen und Tuschezeichnungen zu basteln. Die fertigen Exemplare wurden dann gepresst, indem wir sie unter ein Brett legten, um sie dann mit einigen schweren Pflastersteinen zu beschweren.

Auf dem Markt traf ich Tilly und ging mit ihr auf den Spielplatz. Ihre Mutter trug ein seltsames längliches Insekt mit vielen Füßen, vorne gelb und hinten schwarz. Von Mathildas Hand krabbelte es auf meine und wieder zurück.

Maj erzahlte von ihrem Bass, dem Vergnügen, ihn zu Hause zu spielen. Ich freue mich schon auf den kommenden Donnerstag, wenn wir wieder zusammen musizieren können.

Am Abend die Talheimerinszenierung „Nora“ im Schauspiel. Frau Hoppe in der Hauptrolle stand wie angewurzelt am rechten Bühnenportal. Dort bot sie trotz ihrer holzpuppenartigen Figurenzeichnung eine spannende Darstellung der Entwicklung dieser Frauenfigur. Schöner Abend überhaupt mit einem sparsamen Bühnenbild und strenger Regie.

Interview | Hangang | Musizieren

Vormittags im Atelier fragten mich gestern Hindemithkinder nach meinen Erfahrungen mit Respekt in meiner Kindheit. Ich sollte sie mit meinen heutigen Wahrnehmungen vergleichen. Es wurden auch diesbezügliche Fragen in mit Blick auf mein Künstlerdasein gestellt. Da gibt es natürlich einiges zu erzählen. Ich berichtete außerdem über den Rassismus in der DDR und über die Ausgrenzung von Ausreiseantragstellern oder dissidentischen Künstlern durch staatliche Stellen. Eine etwas schwierige Situation entstand dadurch, dass ich präzise auf unpräzise Fragen antworten wollte. Das dauerte immerhin eine Dreiviertelstunde. Sie haben alles mit ihren Smartphones aufgenommen und fügen verschiedene Interviews zu einem Projekt zusammen.

Danach zu Hause am Schreibtisch ging es um Förderanträge. Zwischen den Arbeitsphasen mit dem Architekturmuseum und auch denen um das Zwangsarbeitergedenken, sind weitere Projekte möglich.

Bei wechselndem Wetter fuhr ich dann zum Hangang in den Taunus, weil ich das am Mittwoch, durch unsere Zusammenkunft in Cafe nicht machen konnte. Das Licht forderte mich nicht gerade zum Fotografieren heraus, sondern stand oft genug als blendender Korridor den Feinheiten der Waldarbeit im Weg. Im mittleren Bereich ist der Pfad bereits soweit ausgetreten, dass das nun neu spießende Gras sich dort zurückhält. Ich bewegte keine großen Dinge, hielt mich an Kleinigkeiten und sammelte Material für den heutigen Workshop.

Am Abend brachte Maj ihren neuen Bass mit. So konnte ich erstmalig in meinem Leben mit jemandem zusammen musizieren. Außerdem entstanden drei Blätter, die wir teilweise zusammen malten. Wir reduzierten das Material auf Tusche, Graphit und Schelllack und arbeiteten auf Transparentpapier.

Die kleine Form

Mit meinen Gedanken am Schreibtisch bin ich im Atelier und gleichzeitig im Ausstellungsraum des DAM. Durch das Aufstellen der Museumsboxen auf den Tischen im Atelier, kommt ein neues Nachdenken über die Räume auf, die sie bieten. Die Transparentpapierelemente werden in ihren Formen und Inhalten erweitert.

Am Abend nach einer Zusammenkunft der Tevesanrainer im Cafepavillon gegenüber, ging ich noch mal ins Atelier, um etwas an den kleinen Figuren in meinem Garten zu arbeiten und um mich dann auf einen Hocker in die Abendsonne zu setzen.

Diese kleinen, mit Schelllack überzogenen Formen ziehen mich an. Sie entstehen aus der Lust, zunächst einmal nur bestimmte Naturformen wahrzunehmen. Bis zu einer gewissen Größe begann ich sie im nächsten Schritt zu sammeln. Zunächst beschränkte sich diese Tätigkeit auf die Zeit der Reisen. Das hat auch etwas mit den Schilderungen in den Tagebüchern zutun. Solche Sammlungen befinden sich auf vielen Regalbrettern und in Kartons, wie auch beschrieben auf den Blättern der Reisetagebücher. Oft genug finde ich einen Stein oder ein Stück Holz auf der Straße, die ich mitnehme. Und die kleinen Figuren die manchmal daraus entstehen oder entstehen wollen, üben derzeit eine große Anziehungskraft auf mich aus.

Auch das Gitarrenspiel kann mir, ganz klein, wenig kunstvoll, nur durch sein Schwingen anziehend sein. Das ist mit den täglichen Zeichnungen verbunden, in denen die Naturform der Handoberfläche mit kalkulierten Farben und dem Zufall nach dem Verwischen zusammen gehen. Der Zufall ist es, der mich täglich an diese Arbeit zurückkehren lässt.

Gegenbewegung

Die Museumsboxen habe ich im Atelier nun auf einen Tisch gestellt. Bisher wehrte ich mich eher gegen ihre Haptik und einengende Gestalt. Probeweise sind drei Installationen entstanden. Wenn genügend ansprechendes und gut zusammen passendes Material vorhanden ist, kann man schnell etwas bauen. Ich denke dabei an einfache Kompositionsübungen, wie in einem Zengarten. Die Dinge, die man bisher zusammenfügen kann, bestehen in erster Linie aus Einschlüssen von Waldfundstücken in Transparentpapier mit Tuschzeichnungen, aus Aststücken und Filzpappe. Mit der Pappe haben wir Boden und Plafonds der Kästen belegt, damit das stumpfe Weiß der Wände nicht so dominiert. Vor ein paar Jahren experimentierte ich mit ihr, mit Acrylfarben und Schellack. Daraus entstanden eher dekorative kleine Bilder, mit denen man nun aber durchaus die Wände der Boxen gestalten könnte. In diesem Zusammenhang ließen sich auch die Reliefs der Umrissfiguren nutzen, die ja aus der Sinnumgebung der Hanggänge stammen.

Mit dem bevorstehenden Abriss von historischer Industriebausubstanz in unserer direkten Tevesumgebung sollte sich eine Gegenbewegung etablieren, die sich um den historischen Raum kümmert. Die Erforschung der Zwangsarbeit auf dem Gelände erzeugt einen solchen Gegendruck, der dann ein Gleichgewicht erzeugen kann, wen das neue Wohngebiet dieser Geschichte gewidmet wird. Das ist ein Ansatzpunkt einer Kunstinitiative, die helfen kann den kulturellen Standort Teves West zu sichern.

Vor dem Atelier überziehe ich Holz und getrocknete Pflanzenteile mit Schelllack, entwerfe Miniaturwelten zwischen dem Gigantismus der städtischen Welt. Auch dies ist eine Gegenbewegung. Und in den trockenen Laubbetten vor dem Rolltor haben sich wieder die Eidechsen eingefunden, die ich ein paar Tage vermisste.

Redenreden

Erstmalig legte ich gestern Abend den Stand meiner Arbeit am Zwangsarbeitergedenken vollständig und geschlossen dar. So etwas dient auch zur eigenen Orientierung und zur Klärung dessen, durch welche Forschungen ich da angekommen bin, wo ich mich nun vorübergehend befinde. In einer Ausstellung und einer begleitenden Publikation wollen wir sowohl die Geschichtsforschung als auch das künstlerische Material zeigen, das bisher angefallen und erarbeitet worden ist. Mein Material ist durch das Blog schon für eine Veröffentlichung vorgeformt. Ich kann auf die täglichen Bildcollagen und auf meine Texte zurückgreifen. Mit der Darstellung der Geschichtsforschung steht noch mehr Arbeit ins Haus. Die Quellen sind verschiedenartig und reichhaltig, dass die Konzentration der Informationen eine schwierige Aufgabe sein wird.

In der Zeit meines laufenden Ausreiseantrages, der dann schnellen und überraschenden Übersiedlung nach Westdeutschland, habe ich acht Tafelbilder für die Stadt Coswig zu Ende gemalt und geliefert. Sie wurden durch meinen Umzug in die andere Welt nie vollständig bezahlt. Jetzt aber sollen sie in ein Museum kommen, wofür es noch einige Dinge zu regeln gibt. Ich wurde gestern deswegen angerufen. Somit kann ich in gewisser Weise auch unter diese Phase meines Lebens einen Strich ziehen.

Mit Roland redete ich über die Kunstinitiative, mit der wir das Tevesgelände in seine sich verändernde Umgebung einbetten wollen. Dabei ging es auch um künstlerische Arbeit mit älteren Menschen, was ein neues und interessantes Thema für uns wäre. Entsprechenden Kontakt hatten wir schon mit einer Dame des Frankfurter Sozialverbandes, der in der Frankenallee einen neuen Raum eröffnete. Außerdem ging es darum, das Tevesgelände und seine Umgebung als geschichtlichen Raum wahrzunehmen. Dabei kann Kunst hilfreich sein.

Extruder | Stele

Kreiselnd fielen Millionen von Ahornsamen im Ostwind auf den Boden und bedecken ihn wie Schnee. Über Mittag wird der Wind auf Süden drehen, den Fluglärm vermindern, aber die Mauersegler nun endlich mitbringen.

Dass sie so lange auf sich warten ließen, hat unsere Überzeugungen und die daraus folgenden Erwartungen völlig über den Haufen geworfen. Anstatt die Legende zu bestätigen, dass sie immer nahe beim 28.04. eintreffen, haben sie sich trotz des schönen Wetters und der vielen Insekten um eine volle Woche verspätet

Mir kam im Zusammenhang mit dem Zwangsarbeitergedenken ein Extruder in den Sinn, mit dem ich verschieden geformte Umrisslinien so miteinander verbinden kann, dass der in dieser Weise entstehende Strang diese Formen und die Übergänge zwischen ihnen in sich trägt. In einer solchen Art könnten die Schichten der Zeiten übereinander gestapelt sein und eine Stele bilden. Nur welche Umrisse inhaltlich und folgerichtig mit dem Thema zutun haben, kann verschiedenen Zusammenhängen entspringen. Da gibt es beispielsweise die Zeichen, mit denen die Gefangenen an ihrer Kleidung klassifiziert wurden. Oder die GPS-Gänge, die mit den Grundrissen verbunden sind und aus deren Liniengeflecht wiederum andere Figuren hervorgeholt werden können…

Mein Vater erzählte mir mal von Spielzeugfiguren, die Gefangene hergestellt hatte, aus Holz geschnitzt oder aus Brot(!) modelliert. Darüber habe ich nun noch eine Weile nachzudenken, oder das Ganze erst mal beiseite zu legen. Weitere Ideen kommen dann von alleine.

Schichten | Gedenken

Hotel zum Schwan in Dillenburg. Vor dem Fenster fahren wenige Autos über einen grob gepflasterten Platz mit Linden. Er ist von barocken Gebäuden umgeben, die Schieferdächer tragen und so etwas, wie die Stadtbibliothek beherbergen. Am westlichen Abschluss allerdings, befindet sich ein modernes Sparkassengebäude, das mit hellen Sandsteinplatten verkleidet ist. Nach Süden hin schließt sich eine Durchfahrt zu einem weiteren Platz an, der aber eher ein begrünter Kreisverkehr ist. In dessen Mitte steht ein finsterer Obelisk, der an seiner von hier aus nicht sichtbaren Seite bestimmt eine Bronzetafel zur Erinnerung an irgendetwas trägt. Dann aber fliegt der Blick gleich weiter in eine Landschaft, die von den blauen Hügeln begrenzt wird, die das Dilltal umschließen.

Wenn die Autobahnen nicht voll sind, genieße ich die Fahrten zwischen Frankfurt und Dillenburg. Immerhin geht es durch die weiter Wetteraulandschaften in den Westerwald hinein. Dort können Nebelbänke die Sicht auf die schwungvollen Landschaften verhüllen und schnell kann das Licht wechseln.

Morgen Abend trifft sich die Arbeitsgruppe, die sich mit dem Fremdarbeitergedenken befasst in meinem Atelier. Der Korpus einer Stele, die den Sehschlitz mit dem Acrylkristall beherbergt, kann aus Schichten bestehen, die aus verschiedenen Materialien übereinander liegen, wie am Rand einer archäologischen Ausgrabung. Eine gemauerte Abbruchziegelschicht, eine Schicht mit einem Sehschlitz und darüber vielleicht eine Betonschicht des Vergessens. Das alles existiert ziemlich deutlich in meiner Vorstellung, ist aber in noch keinem Entwurf visualisiert, was die Teilnahme anderer Menschen an diesem Nachdenken ermöglichen würde. Vielleicht könnte ich ein Modell aus Pappschichten herstellen. Das wäre eine Aufgabe für Morgen Nachmittag.

Geisterwälder

Mit den Hindemithkindern hörte ich „My Life In The Bush Of Ghosts“ von vorne bis hinten. Obwohl sie etwas abfällige Bemerkungen gemacht hatten, schien es ihnen nicht richtig langweilig zu werden, und sie drängten nicht weiter darauf, ihre eigene Musik hören zu müssen, um kreativ sein zu können.

Tilly war gestern mit ihren Seifenblasen auf dem Wochenmarkt. Es gibt schöne Aufnahmen von uns beiden vor dem Atelier, wo sie mich in der vergangenen Woche mit Anja und ihrer Mutter Silke besuchte. Sie schickte mir die Smartphonefotos als Erinnerung.

Die Hindemithkinder diskutierten gestern über den inneren Frieden und darüber, wie er zu erlangen sei. Während eines von ihnen der Meinung ist, ihn bereits gefunden zu haben, meinte Paolo, innerer Frieden sei eine Utopie und deswegen nicht zu erreichen, weil sich immer etwas in den Weg stellen würde. Dann malte er sich seine dunkelbraunen Hände mit schwarzer Tusche an und gab sich seinem Lieblingsthema, der Apokalypse hin. Die Waldgeister des Taunus, die eingegossen in den dreieckigen Transparentpapierhüllen gefangen waren, begannen sich mit denen in der Musik zu verbünden. Die finsteren und dennoch verspielten Formate, die durch die Verwendung von Tusche und Schelllack teilweise ihre Durchsichtigkeit verlieren, bekommen natürlich etwas Magisches. In der Wahl der Mittel sind die „Kinder“ radikal und gehen auch etwas rücksichtslos vor, was der Frische der Arbeiten zugute kommt.

Das Atelier wird nun auch zunehmend zu einem Ort der Musik auf verschiedenen Ebenen. Vielleicht kommen demnächst weitere Instrumente hinzu, mit denen man dann auch mal zusammen spielen kann.

Unter Dächern, Bäumen, Schirmen

Unter den verschiedenen Bäumen des künstlichen, etwas exotischen Waldes beim Rebstock ging ich mit einem Schirm während eines Stadtgewitters über die feuchten Wiesen, die manchmal stattliche Seenlandschaften bildeten. Unter den Baumkronen wachsen vielerlei Keimlinge der Bäume, die sich darüber erheben. Es würde sich lohnen, sie auszugraben und sie zwischen den Beton auf Teves zu setzen.

Die Birke, die neben einer Eiche und einem Ahorn auf den kleinen Erdhügel vor meinem Atelier wächst, neigt sich etwas von der Mauer weg. Noch stütze ich sie nicht und warte darauf, dass sie ihr Ungleichgewicht durch das eigene Wachstum ausgleicht.

Gestern sichtete ich die Fotografien, die ich am Mittwoch in dem besonderen Licht am Hang gemacht habe. Im Nebel herrschte eine verwunschene Künstlichkeit. Deutlich, wie Zeichnungen auf Transparentpapier hoben sich die Figuren und Geflechte vom milchigen Hintergrund ab.

Während des heftigsten Regengusses gestern bildeten sich unter den Dächern von Bushaltestellen, in überdachten Eingängen, unter Balkonen und in Pavillons Gruppen von wartenden Menschen, die anders als sonst durch das gemeinsame Abwarten eines Naturereignisses, miteinander ins Gespräch kamen.

Unten auf der Allee ist der Wochenmarkt im Gange. Durch die Feiertage in den letzten zwei Wochen ist die Kontinuität etwas ins Stottern gekommen. Das kann in den kommenden Wochen wieder anders werden.

Waldlicht

Am Morgen las ich einen Text von Simon über einen jungen britischen Dramatiker, in dem er die Kraft der Erneuerung beschwört. Ich weiß nicht, wie man als Künstler fortgeschrittenen Alters sein Werk und die Herangehensweisen immer neu hinterfragen und absichtlich herbeiführen kann, es vor der Erstarrung zu bewahren. In der stetigen Suche nach kleinen Neuerfindungen sollte einem das sowieso passieren und im Fluss der stetigen Arbeit erwischt es einen einfach. Wenn nicht, hat man Pech.

Gestern war ich am Vormittag am Hang und wurde von einem traumhaften Licht empfangen. So drehte ich mich im Gehen der Sonne zu, die die Nebelbänke durchleuchtete und meine Wegzeichen in eine mystische Beleuchtung tauchte. In erster Linie war ich mit Staunen und Fotografieren beschäftigt, bevor ich wieder daran ging, den Weg vorsichtig zu erweitern und anzureichern. Nach oben hin nahmen die Insekten, die Wärme und der Sonnenschein zu. Um die obere Lichtung herum dampfte der Wald. Dort baute ich die letzte Installation, die das Ende des Weges hinter dem Ritualplatz mit den Spiralwanderungen anzeigt aus. Der Ring aus rund um einen Baumstamm und in Augenhöhe flach gestapelten Stäben fing an abzurutschen. Diese Diagonalbewegung fing ich auf und stellte noch einen weiteren Stapel oben darüber. Beim Abstieg wurde der Nebel dichter und der Wald verfinsterte sich. Im Wegfahren sah ich, wie eine Frau in rotem Anorak mit einem Hund auf meinen Weg einbog.

Auf Rolle 6 beschäftigte ich mich mit dem alten Zyklus „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“. In der radikalen Verdichtung und Überlagerung nimmt er sich ganz neu aus.

Hier zu Hause nehme ich mir manchmal die akustische Gitarre und spiele Songs mit, die aus den alten großen Lautsprechern mein Zimmer und meinen Körper anfüllen.

Musikbilder

Die noch nicht eingetroffenen Mauersegler lassen den Himmel grau und leer. Es herrscht noch die Vorfreude auf die gleitenden Sommergäste.

Im Atelier räumte ich das Waldmaterial auf. Ihm muss ich mehr Platz in den großen Regalen geben. An der äußeren, westlichen Atelierecke habe ich die trockenen, im Verlauf der Jahre gesammelten Essigbaumstangen zusammengestellt, ähnlich wie ich das auf dem Pfad am Hang im Wald mache. Dazu kommen die abgestorbenen und vom Sturm herunter gefegten Äste der großen benachbarten Pappel. Ich könnte mir vorstellen, davon noch mehr auf unserer Wiese aufzustellen.

Auf Rolle 6 begann ich gestern mit dem Material der Mappe „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“ zu experimentieren. Interessant ist, dass ich schon in diesen Jahren mit den Überlagerungen gearbeitet habe. Letztlich geht es darin um die Überwindung der Mauer, wie ich es Keith Richards bei unserem Zusammentreffen gesagt habe. Später habe ich das Thema noch einmal konkreter aus einer Zusammenarbeit mit Philip Glass entwickelt. Immer Musik! Vielleicht mischt sich das Material auch mit der Ackermannwiesenarbeit. Für die kann ich das Stück „Different Trains“ von Steve Reich als Projektsong einsetzen.

Größere Äste würden auch ganz gut ins Architekturmuseum passen. Und vielleicht erzähle ich den Hindemithkindern die Geschichte vom Jungpionier bis zur „Voodoo Lounge“.

Heute habe ich den Hanggang auf den Vormittag vorgezogen, weil am Nachmittag mit Starkregen zu rechnen ist. Der Regen der letzten Tage hat die Landschaft schon etwas durchtränkt, dass das Grün nun prall wird. Hoffentlich wächst nun unsere Wiese auf Teves weiter.

Eingegossene Formen

Kleine Waldarbeiten, zwischen Transparentpapier in Schelllack eingegossen. Etwas davon, vor allem die variierende Durchsichtigkeit des Materials möchte ich noch mal auf Rolle sechs genauer einsetzen.

Die Experimente mit den unterschiedlichen Transparenzen begleiten mich auch bei der Arbeit an den täglichen Collagen. Durch die weitere Fortführung dieser Technik soll auch eine Sicherheit darin befördert werden, das Zwangsarbeitergedenken in einem Acrylblock zu installieren. Dieser Block, dessen Form noch nicht klar ist, der aber eher etwas Facettenartiges haben sollte, ist die Darstellung eines geschichtlichen Raumes. Dieser wird durch die schwebenden Dokumente, Ausgrabungsstücke von der Ackermannwiese, Zeichnungslinien und Textteile, die sich auf die Widmung des Werkes beziehen angefüllt. Ich stelle mir z.B. die Herkunftsorte, aus denen die Menschen auf die Ackermannwiese transportiert worden sind in Originalschreibweise vor.

Ich denke daran, wo ich Abbruchsteine herbekommen kann, mit denen ich jetzt schon einmal eine Sockelsituation für eine Stele simulieren kann, die den Acrylkristall aufnehmen soll. Wie muss das Innenleben einer solchen Stele beschaffen sein, damit das Licht die eingeschlossene Collage zur Geltung bringen kann. Vielleicht kann ich mal mit unbehandeltem Acrylglas experimentieren. So kann wieder ein Bezug zur Glasmalerei hergestellt werden. Das Material ist auch durchscheinend bedruckbar und eignet sich auf diese Weise für die Gewinnung von Figurationen für die Collage.

In den Medien schließen sich die Berichte um das Jubiläum des Ausbruches des ersten Weltkrieges und die um die aktuelle Krise in der Ukraine zusammen. Es scheinen Übereinstimmungen der Mechanismen auf.

Baumarktlaufsteg

Dem Datum nach wäre heute mit der Ankunft der ersten Mauersegler zu rechnen. Bisher allerdings blieb der nun wieder graue Himmel leer. Im vergangenen Jahr ist um diese Zeit die Vorhut gleich wieder zurückgeflogen. Vielleicht haben sich das die Vögel bis in diese Saison gemerkt.

Ein ruhiger Tag gestern, der viel mit lockerer, lustvoller Schreibtischarbeit zutun hatte. Ein kleiner Spaziergang bis in den Parkwald mit den vielen verschiedenen Bäumen am Rebstock. Von einer Bank aus sahen wir den Vorübergehenden zu – dicke, große Männer mit kleinen dünnen Hunden und umgekehrt.

Am Abend im Bockenheimer Depot „The Returns“ mit der Forsythecompany. Yoko Ando war die hellsichtige Maniküristin, die mit nervend schriller, unaufhörlich plappernder Stimme durch den Abend führte, der sich entlarvend slapstickartig mit Kunstklischees befasste. Am Ende wurde eine atemberaubende Laufstegnummer abgezogen, bei der die kindlich vergnügliche Erfindungskraft auch von Stephen Galloway tragend war. Ein Kostümrausch aus Alltagsmaterial aus dem Baumarkt, Müll, Erotikversatzstücken und life geplotteten Parolen. Die absurden, wunderbar improvisierten Verkleidungen nahmen sich dabei, selbst aus der Modekunstwelt stammend, nicht ernst. Folien aller Art, gewebte Schlauchrollen, Packpapierbahnen, zusammengehalten von Stricken, Draht und Tape aller Art. Eine Materialschlacht mit schnellen Umzügen als eine andere Konzentrationsherausforderung für die Tänzer, als die Choreografien, in denen das Material mit viel Ernst zusammengefügt und weiterentwickelt wird. Ein hartes Stück Arbeit für unser Vergnügen. Am Ende sah die Bühne wie ein Schlachtfeld aus.

Ateliermusik

Gestern hätte ich beinahe vergessen, mein Tagebuch fertig zu schreiben. Mir fiel es erst am Abend als ich aus dem Atelier nach Hause kam wieder ein.

Mehrere Tage habe ich die Eidechsen nicht gesehen. Vielleicht verscheuchte ich sie mit dem Wässern der Pflanzen und des Erdhügels . Das wäre schade. Im besten Falle haben sie ein Gelege mir Eiern zurückgelassen, aus den demnächst die neue Generation schlüpft.

Im Günestheater probierte gestern bis zum frühen Abend laut eine Bluesband. Ich konnte im Atelier mit ihnen spielen. Manchmal reißt mich ein doppelter Hall, der einen mittelgroßen Saal imitiert mit und ist mir Rhythmusgeber, der mich in einen lärmenden Blues führen kann. Manchmal spiele ich auch einfach den „Cold Irons Bound“ mit, entspanne mich in der Bewegung mit der Musik. Manchmal verliere ich mich im Schwingen eines Vibratos, das ich mit dem Anschlag nur eines Tones auslöse. Somit lebe ich im Atelier eine Seite aus, die ich gerade erst an mir entdeckt habe oder sie mir erst jetzt gestatte.

Die ganze Nacht hat es geregnet. Es wurde Zeit für etwas Wasser vom Himmel und von mir aus könnte es noch drei Tage so weiter regnen. Vorhin kam kurz die Sonne raus, es waren um die Siebzehn Grad und ein paar glitzernde Tropfen waren noch in der Luft- mein Lieblingswetter, wie in La Gomera.

Am Telefon sang ich meiner Freundin Irene zu ihrem sechzigsten Geburtstag zwei Zeilen aus „Forever Young“.

Gitarre

Aus einem der Atelierregale zog ich eine alte, etwas verstaubte Mappe mit den Drucken, also Radierungen Holzschnitten und Kopien zum Thema „Der Rock`n Roll höhlt einen Jungpionier aus“. Darunter sind auch Zeichnungen, anrührendes Material, fast zwanzig Jahre alt. Darunter fanden sich auch noch Zeichnungen und Aquarelle, die ich 1984 in Dresden zu „Nibelungen“ direkt in den Proben unter Engel gemacht habe. Diese sind nun ziemlich genau dreißig Jahre alt.

Die Arbeiten hätten das Potential, sie noch mal in den Transparentpapierrollen aufzunehmen. Besonders die Blätter in die ich Muster anderer Zeichnungen geschnitten habe und somit die Motive miteinander verband, interessieren mich. Die elektrische Gitarre spielt in fast allen Blättern als Zeichen einer Musikalischen Revolution eine herausragende Rolle.

Hinter mir in der Küche beginnt „Birdlands“ von Patti Smith. Erst jetzt glaube ich sie zu erkennen. Manchmal steht man einfach zu lange im Wald… Nun aber der gestimmte Raum einer Lichtung, die Stimme dieser gereiften Poetin. Pelikane an den Mülltonnen von Swakopmund fallen mir ein. Segelndes Elend weit entfernt von Heliumraben des Songs.

Auf den Tevesgelände probierte eine Bluesband so laut, dass ich in meinem Atelier mitspielen konnte. Vielleicht hätte ich auch ein Musiker werden können.

– Gitarre – Knarre an die Kandarre –

Tilli erzählte mir von der Katze, die Gitarre spielt mit dem trommelnden Hund und der Geige spielenden Ziege. Ich erzählte ihr, dass ich auch Katze genannt werde und spielte ihr dann ein wenig Blues vor.

Leicht und schwer

Die Rhythmen, die ich gestern Abend im Atelier auf der Gitarre gespielt habe, gingen mit noch in der Nacht durch den Körper. Diese entspannte Leichtigkeit schwang einerseits mit der Arbeit einher und verband sich auch in der Nacht mit Ideen, die meine Bildproduktion beeinflussen.

Im Atelier entstanden leichtfüßig mehrschichtige Transparentpapiere in Dreiecksform, in deren inneren Schichten ich ganz feines Walmaterial aus Moosen und Gräsern in Schelllack eingoss.

Im dunklen Schlafkosmos schwebte eine Musikbox vorbei, in deren Geäst Lautsprechermembranen hingen, aus denen eine Waldmusik trat. Zu den Originalgeräuschen aus Vogelstimmen, Ästeknacken und Geflüster treten Gitarrensounds hinzu. In der hallenden Basskathedrale wuseln silbern blinkende Ameisen diskant umher.

Man müsste die Boxen mit Einschnitten, die aus Wänden, Böden und Decken herausgeklappt werden können, ganz aufbrechen. Durch diese Öffnungen kann eine Gitterstruktur leicht, wie ein Gewächs, die Kiste verlassen, um Ausschau nach den Nachbarn zu halten. Das wächst zu einer einzigen Konstruktion zusammen, in der auch die Boxen vorkommen.

Bei der Beschäftigung mit dem Verein Zwischenraum, erlebe ich die kontinuierliche Arbeit an den Themen und Projekten als einen Block, dessen Gewicht zunimmt. Vielleicht schrumpft er irgendwann, wird aber trotzdem schwerer. Zunehmend interessiert mich das Eindampfen und Reduzieren, was die Konzentration ermöglichen soll, die eine Strahlung erzeugt.

Raum schaffen

Sechs Uhr am Schreibtisch. Mir ging die Lichtsituation der Boxen für das Architekturmuseum durch den Kopf. Die ist, wie sie derzeit erscheint, unbefriedigend. Deswegen wäre es hilfreich, Oberlichter in die Decken zu schneiden, die man ja dann mit Transparentpapier abdecken kann. Überhaupt stellen die Boxen eher ein einengendes Problem da, über das man sich vielleicht etwas radikaler hinwegsetzen muss. Die Objektgrößen werden dadurch vorgeschrieben und das Material ist billig aber teuer.

Ganz gegenteilig gestalten sich die Waldsituationen. Ästhetisches Material gibt es im Überfluss. Davon habe ich wieder einiges für die Atelierobjekte gesammelt. Ich bekomme einen Blick für die Bogenspannung kleiner Äste und für die verwunschenen Formen der Flechten.

Die Hauptarbeit bestand aber darin, im zweiten Abschnitt den Großteil einer Lichtung freizulegen. Sie ist durch Holzeinschlag im vergangenen Jahr in Mitleidenschaft gezogen worden. Alles Restmaterial, die Spitzen der gefällten Bäume und alle Äste sind im Gras liegengelassen worden. Die verrottenden Nadeln und Ästchen verbanden sich am feuchten Boden zu Moder, der den Wintergeruch noch in sich trug. Alles stellte ich an die breit stehende große Tanne, und schuf somit wieder den Raum, der mich vor drei Jahren zu den ersten Waldzeichen inspirierte.

Manchmal stand ich eine Weile vor den schweren Holzteilen und überlegte, wie ich die aufheben und drehen könnte, ohne am nächsten Tag das mit Rückenschmerzen büßen zu müssen. Die weitere Arbeit bestand in der Verdichtung der Wegzeichen, die den Raum auf Schritt und Tritt säumen, gestalten und definieren.

Gegensätze

Die neuesten Aktivitäten hinsichtlich der Erinnerung an die Verbrechen im deutschen Faschismus, die teilweise von offizieller Seite angestoßen und finanziert worden sind, treffen auf viel Kritik. Zwischen einer dauerhaften Konfrontation mit der Gedenkkultur und den temporären Konzepten, wie sie vom Kulturamt gefördert werden, gibt es einen Konflikt, der im Ansatz besteht und deswegen grundsätzlich ist. Temporäre Kunstwerke verwischen mit ihrer kurzen Erscheinung die Erinnerung eher, als dass sie sie vertiefen oder durch die tägliche Konfrontation im Vorübergehen, zu neuen Einsichten führen.

Im Atelier beschäftigte ich mich mit der Erscheinungsform der Füllungen der Dreiecksgitterobjekte, die teilweise von den Hindemithkindern gebaut worden sind. Jeweils drei zueinander faltbare Dreiecke bilden die Schichten, in denen die Waldfundstücke in Schellack eingegossen werden. Außerdem ist es möglich in diesen Schichten Artefakte aus der Stadt und Waldmaterial zu kombinieren.

Mit Deniz plauderte ich etwas über eine künftige konzeptionelle Ausrichtung der Weiterentwicklung der Funktion des Tevesgeländes durch die bildenden Künstler. Dabei haben wir den Aspekt der Wirkung unserer Arbeit auf den Stadtteil mit der darüber hinaus verbunden. Somit sollen sich beide Welten gegeneinander nicht ausschließen können. Während unseres letzten Treffens schien mir die Ausrichtung zu sehr auf den lokalen Aspekt ausgerichtet zu sein. Mit zunehmender Arbeit aber zeitigt unsere Arbeit Wirkungen weit über das Gallus hinaus. Die internationale Arbeit von Vinzenz ist hier ein Beispiel dafür. Sie hat aber jetzt auch Auswirkungen auf unsere gegenwärtige Arbeit. Denn die Erfahrungen, die meine Praktikanten nun in aller Welt sammeln, fallen irgendwann in verschiedenster Art auf Teves West zurück, wie das auch mit negativen Beispielen der Fall ist.

Laufrichtungen | immobile Pose

Die bevorzugten Laufrichtungen vor dem Fenster befinden sich auf der Ostwestachse der Allee. Die Schüler, die im rechten Winkel dazu unterwegs sind, bewegen sich nur bis zur Hindemithschule an der Idsteiner Straße. Erst wenn man weiter durch den neuen Park, in dessen Mitte immer noch ein riesiges Erdloch für den geplanten Verkehrstunnel klafft, in Richtung Rebstock läuft, wird eine neue Bewegungsachse deutlich spürbar, eine Nordsüdachse.

Das ehemals Trennende der Bahnanlage wird erst allmählich von den schon lange hier wohnenden Menschen vergessen. Man muss häufig mutwillig die neue Bewegungsmöglichkeit in Anspruch nehmen, um sie zur Normalität werden zu lassen. An dieser Stelle hat sich ein hermetischer Raum in der Stadt geöffnet.

Die geheimbündlerische Versammlung, die vor ein paar Tagen hinter den zusammenfallenden Baracken auf unserem Gelände stattgefunden hat, steht offensichtlich in Zusammenhang mit den erneuten Hausbesetzungen in der Stadt. Die angekommenen setzten sich als erstes auf den Boden und bildeten dadurch schon eine Besetzertraube. Dabei handelt es sich offensichtlich um eine immobile Besetzerpose linksradikaler Ausprägung. Ich musste sie, als ich mit dem Auto nach Hause wollte, weiträumig umfahren.

Bei aller drängenden Enge gibt es viel Leerstand in der Stadt, der sich sinnvoll zwischennutzen ließe. Was aber eine sinnvolle Zwischennutzung ist, bleibt eine politische Frage.

Schauen

Auf dem flachen Dach des niedrigen Nachbargebäudes kann ich von unserem Balkon aus die aneinander auffliegenden Tänze der Ringeltauben beobachten. Ihre lauten begleitenden Gesänge werden von den rundum stehenden Häuserwänden zurückgeworfen. Ein akustischer Raum im leisen Ostersonnabendmorgen. Aus dem klaren Himmel trifft Sonnenschein auf mein Gesicht. Dazu Hummeln und Amseln – wie auf dem Land.

Im Tal der Kleinen Wisper wanderten wir dreieinhalb Stunden durch den Rheingau. Vom Schiefer, den wir allenthalben in Felsformationen ansteigen sahen, sind die gebauten alten Kerne der Dörfer, die wir berührten geprägt. Gesäumt sind sie von atemberaubend schönen Wiesenschwüngen, über die das Frühlingslicht heranrauscht.

Beim langen ruhigen Schauen auf ein solches Dorf kam mir in den Sinn, dass manche Familien vielleicht schon seit Jahrhunderten dort ansässig sind. Vielleicht gibt es genauso alte Fehden, deren Gründe schon längst verwischt sind.

Am Bach flüchtete eine Hirschkuh vor uns und Schmetterlinge, die vor uns aufflogen, begleiteten uns jeweils ein Stück des Weges, manchmal gegen den Wind trudelnd. Rote Admirale, Pfauenaugen, Zitronenfalter, Kohlweißlinge und andere deren kleine Flügel orange- und cremefarben eingeteilt sind. Noch fällt es uns leicht in drei Stunden etwa zwölf Kilometer und die paar hundert Höhenmeter zu laufen.

An einem kleinen Angelsee rasteten wir und sahen zwischen den Wasserläufern kleine Fischchen springen, wie im Sommer.

Alles Farben

Manchmal genügt es mir, jeden Morgen nur die sich ändernden Farben anzuschauen. Der Split auf den Wegen geht in seinen sonnigen Abschnitten ins Orange. Weiß nicht, woher er die Rottöne nimmt, während der silberne Flugzeugrumpf an seiner östlichen Seite zitronengelb glänzt, wie ein Falter.

Krishnababy zeigt auf:

das stromnetz von detroit.

wo elektrizität ist, knistert gewalt

Das schrieb Patti Smith, die im weiterlaufenden Text auf ein Bild von Jackson Pollock eingeht. Gestern hörte ich vergleichend die Platte „Horses“ von 1975 und in einer neueren Lifeeinspielung von 2005. Die großartig gereifte Stimme wurde im Vergleich deutlich.

Krishnababy zeigt auf:

– de kooning: auflöser der weiblichen form

– gorky: erleuchteter feigling

– rothko: schwarze wahrheit

– pollock: lizensierter killer.

Bei Patti Smith kann man viel entdecken.

Verwischte Schatten

Auch die langen Schatten des Morgens sind verwischt, fallen über den ockerfarbenen, staubtrockenen Split nach Westen. Im rechten Winkel dazu starten die Flugzeuge – Ostersonnabend. Ein schwarzer Mensch in orangefarbener Signalweste und mit leuchtend hellgrünen Handschuhen sammelt mit einem Greifstab Papier, überfahrene Tauben und Flaschen in eine große graue Mülltüte.

Von Südosten her schieben sich Schleierwolken heran, die sich verdichten und übergehen in Schäfchengewölk. Somit endet der Sonnenschein noch am Morgen und Hoffnung auf Regen zieht auf.

In all dem rasenden Licht leiden die Blätter meines Ateliergärtchens, das auf dem Beton steht. Sie werden teilweise braun oder weiß. Aber die, die neu austreiben, werden mit der Sommersonne zurechtkommen.

Krishnababy hält mit seiner linken Hand das Buch offen, in das ich schreibe. Schatten fällt auch von seiner Butterkugel, die er in der rechten Hand hält auf das Papier und von der man nicht weiß, ob er sie gerade hergibt oder behalten will.

Zwei junge Männer sitzen an einem Außentisch des geschlossenen Cafes und unterhalten sich mit Zigaretten im Mund. Sie sind keine geübten Raucher, drehen sich aber lieber gleich eine nächste Zigarette, um nicht tatenlos dazusitzen. Eine Frau mit neckisch kleinem Kopftuch trägt bunte eng anliegende Hosen und kommt von ihrem Einkauf zurück. Ihr begegnet eine andere Frau mit zwei Kindern, die die Jungen Männer misstrauisch beäugt. Diese stehen auf und gehen nach Osten davon, worauf alle schnell aus meinem Blick sind. Es bleiben nur die Gegenstände im sich verändernden Licht.

Malerei

Malerei bestimmte den gestrigen Tag. Vormittags zeichnete ich noch mit Tusche auf Rolle 6. Am Nachmittag aber nahm ich mir meinen Aquarellkasten und Papier und setzte mich vor den blühenden Ginsterbusch neben Rolands Atelier. Und dann tat ich das, was ich vielleicht vor über zwanzig Jahren das letzte Mal getan hatte, ich aquarellierte vor der Natur! Das kräftige Gelb kurz vor dem Stadium des Verblühens forderte zur Gegenbewegung aus kaltem Grün und Violett. Wie immer, blieb ich bei dieser Technik mit dem Schwarz sparsam. So arbeitete ich an vier Formaten mit dem selben Motiv und befand mich umgehend wieder in der Welt der vom Papiergrund her leuchtenden Farben. Das spricht der Seele im Frühling zu und die gedämpften Töne der Projekte treten über Ostern in den Hintergrund.

Am Abend malte ich mit Maj jeweils gemeinsam auf einem Format insgesamt sechs große Blätter. Wir standen uns gegenüber und zwischen uns lag das Papier. Die Dynamik dieser Arbeitsweise ergibt sich aus den malerischen Reaktionen auf das, was der andere gegenüber gerade gemalt hat. Ich habe das Gefühl, dass das die intensivste Art bildnerischen Unterrichts ist, die ich bieten kann. Manchmal bin ich mir durch meine künstlerische Dominanz etwas unsicher, halte mich dann auch zurück, was ich aber die andere verbleibende zeit nicht tue.

Beim Durchsehen der täglichen Collagen dieses Jahres fiel mir das zunehmende Gewicht der Waldarbeit noch einmal ins Auge. Besondere Intensivierung erfährt das Dokumentarmaterial in dieser Kombination. Die Waldgeflechte haben durch ihre Stofflichkeit und ihren raumgreifenden Charakter ebenfalls einen unterstützenden Einfluss auf die Geflechte des anderen Materials.

Wechselbeziehung

Ein Abbildungsstreifen, der die Entwicklung der künstlerischen Überlegungen zu einem bildhaften Zwangsarbeitergedenken zeigen kann, richtet sich nach dem Arbeitstagebuch aus. Im oberen Drittel dieser aneinander gereihten und ineinander übergehenden Bilder, findet sich ein scharfer, farbiger Streifen der ansonsten blassen, weichen und hellgrauen Wiedergaben der täglichen Collagen. Darüber und darunter finden sich die Texte aus diesem Blog auf die verschwommenen Bildteile gesetzt. Das entspricht dem Prozesscharakter der Arbeit an den historischen Vorgängen. Auf der Rückseite könnte die Entwicklung der Recherchearbeit in einer ähnlichen Struktur gezeigt werden.

Während des Hanggangs gestern beschäftigte mich die Frage, welche Wechselwirkung zwischen der Atelierarbeit in der Stadt und dem einrichten von Räumen im Wald existiert. Geflechte aus farbigen Diagonalen sind die unterste Schicht der täglichen Zeichnungen, die ich mit Wasser und der Außenkante des rechten Handballens verwische. Die sich abbildenden Hautfalten nehmen die Struktur der Zeichnungsdiagonalen und Waldinstallationen wieder auf. Diese Verflechtungen und Unschärfen mischen sich mit dem fotografischen Dokumentarmaterial aus den Vierzigerjahren.

Die Bauten im Wald sind ein Echo der Verstrickungen in der Stadt. Somit unterstützt die Waldarbeit mit ihren Mitten die Arbeit am Gedenken. Diesen Stellenwert sollte sie zumindest in der Dokumentation behalten.

Am Hang arbeitete ich gestern insbesondere mit den Hinterlassenschaften des Holzeinschlags vom vergangenen Jahr. Große abgeschlagene und mittlerweile vertrocknete Äste stellte ich zu neuen dunklen Gebäuden zusammen. Die obere Rotunde erweiterte ich mit dem gleichen Material.

Unspektakulär

Für das Aufstellen von einem langen Tisch, auf dem ich die Transparentpapierrolle der letzten Monate ausrollen konnte, hatte ich zunächst die Installationen des vergangenen Workshops beiseite zu räumen. Mir kommen die Ergebnisse der langen Anstrengungen, die ich mit Tusche und Feder unternahm, eher unspektakulär vor. Teile der ausgegrabenen Artefakte legte ich auf eine graue Filzpappe in das Licht unter dem frei geräumten Fenster eines der Rolltore.

Mit Helga besprach ich am Abend, im Juni mit unserem Material eine Werkstattausstellung zu machen, die die Entwicklung und den Stadt unserer arbeit zeigen soll.

Die längst tot geglaubten Sowjetgespenster stehen nun gemeinsam mit der Russischen Orthodoxie wieder neu auf. Krishnababy zeigt auf einen Artikel von Svetlana Alexijewitsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Autorin fragte einen Priester, was denn die russische Spiritualität ausmache. „Alle Homosexuellen in eine Stadt deportieren und dort erschießen“, meinte der. Aus Putin – Ikonen soll Myrrhe tropfen – ein Heiliger! Die durch die Medien angestachelte Volksaggressivität verlangt nach der Annektierung der Krim weitere Siege. Der Blick geht ins Baltikum oder nach Tadschikistan. Alle Staaten, die sich von der Russischen Föderation abgespalten haben, scheinen potentiell gefährdet zu sein. Diese nationalistischen Töne bedienen sich auch noch einer antifaschistischen Geste, was die Argumentationen immer abstruser erscheinen lässt.

In den letzten Jahren dachte ich öfter nach, wie ein neues europäisches Kriegsszenario aussehen könnte. Auf die Frage, was wir eigentlich in den letzten Jahrzehnten in Europa erreicht hätten, meinte Claude Juncker, man solle sich die Soldatenfriedhöfe der letzten Weltkriege anschauen, um das zu verstehen.

Der Kristall

Da der Nachtfrost bisher ausblieb, hatte mein Gärtchen noch nicht zu leiden. Sturmböen, die vor den Schauern herfegten, haben die trockenen Äste aus den Bäumen gerüttelt.

Im Atelier sichtete ich das zeichnerische Material, das ich zum Zwangsarbeitergedenken erarbeitet habe. Ein älteres Figurenfragment gesellte sich auf Rolle 6 hinzu. Mir lief gestern nichts anderes über den Weg. Ich hielt still, was manchmal nicht so einfach ist.

Am Morgen hatte ich deutliche Bilder eines Acrylkristalls vor Augen, in den das Material, das das Gedenken auslösen soll, eingegossen ist. Damit das nicht nur in meinem Kopf sichtbar wird, sollte ich es nun beginnen im Rechner zu animieren.

In verschiedenen Szenarien entstehen nun Kombinationen von gezeichneten Strukturen mit ihren dokumentarischen Auslösern. Das kann beispielsweise eine groß abgebildete durchbrochene Barackensequenz sein, in deren Hintergrund klein das Luftbild mit dem Grundriss des Lagers erscheint.

Das Spiel mit den verschiedenen Dimensionen folgt der Dramaturgie des Spiels der emotionalen zeichnerischen und künstlerischen Reaktionen auf das Dokumentarmaterial. Die Überlagerungen bringen den auslösenden Gegenstand zum Verschwinden. Abwesenheit und Präsenz geben sich durch die Verdichtung die Hand.

In diesem Zusammenhang denke ich an die umtanzten Arabesken bei Forsythe und an die leeren Wandnischen in Indien.

Durchsichtige Zeitkapseln

Während eines Essens mit Carola und Hans erzählte ich vom derzeitigen Stand der Entwicklungen zum Zwangsarbeitergedenken.

Die drei Hauptachsen des gestalterischen Materials liegen bei dem Themen Verwischen und Verdrängen, Zertrümmerung und Gänge zwischen den Baracken. Zurzeit denke ich an die Verwendung der ausgegrabenen Trümmer, der verdichteten Barackensequenz, der täglichen Verwischungen im Arbeitstagebuch und der Fotografie der Tevesbelegschaft als geschlossene, gleichgeschaltete die Arme zum Hitlergruß empor hebende Masse.

Alles zusammen stelle ich mir derzeit in einen Acrylblock eingegossen vor, der sich in einer gemauerten Stele befindet und durch rundherum laufende Sehschlitze zu betrachten ist. Das Material, das in dieser Weise schwebend erscheint, kann in einer Weise angeordnet werden, dass darin eine Raum-Zeit-Verbindung gesehen werden kann.

Manchmal merke ich, wie die klare Unterscheidung der verschiedenen Ebenen schwierig wird. Den Bombenangriffen waren sowohl die deutsche Bevölkerung, als auch die Gefangenen ausgesetzt. Wobei erstere im nahe gelegenen, ziemlich sicheren Hochbunker und die anderen in Splittergräben und Erdbunkern die Angriffe abwarten mussten. Dennoch waren sie gemeinsam betroffen. Außerdem arbeiteten sie gemeinsam bei Teves und in den anderen angrenzenden Fabriken.

Immer mal habe ich ein Bild mit Einweckgläsern in Kellerregalen vor Augen, in denen die Geschichte verstaubt, wie in durchsichtigen Zeitkapseln.

Aquarelle | Holzschnitte | Landschaft

Die Holzschnitte zur „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz und ein paar Aquarelle aus den Siebzigerjahren nahm ich mit ins Atelier, um sie Deniz zu zeigen. Vorausgegangen war ein Gespräch mit meinen Ateliernachbarn über die Noldeausstellung im Städelmuseum. Währenddessen erzählte ich von meiner Holzschnittserie, die nach Bildbeschreibungen im Roman entstand.

Die Aquarelle malte ich damals vor der Natur. Oft war ich im Thüringer Wald unterwegs, malte dort teilweise weite Landschaften in einem realistischen Sinn. Schon in meiner Kindheit war ich mit dem Wald eng verbunden. Meistens war ich alleine unterwegs, entdeckte Quellen, fing Schlangen und bestieg Felsen. Es war ein wenig so, wie jetzt während meiner Hanggänge, wo ich frei nach meinem Sinn gestalte. Die Dimensionen, die ich schaffe, werden jetrzt von meinem Körper aufgenommen und bilden Strukturen, die wieder zu Gestaltungen im Atelier werden.

Nun stehen alle Pflanzen draußen vor den Rolltoren und bilden aus sechzig Pflanztöpfen ein Gärtchen auf dem Beton. Die Birke auf dem Erdhügel, die mittlerweile ganz grün ist, hat schon bald die Traufhöhe erreicht. Konstruktionen aus Metallgestellen und trockenen Ästen bilden einen Zaun. Es war angenehm, die warme Erde in den Händen zu haben. Fast alle Pflanzen wurden neu mit ihr versorgt.

Gerade hat Familie Schraut aus Battenberg eine neue Weinlieferung aus Chardonnay und Grauburgunder gebracht. Ich sagte, dass für mich die Landschaft rund um die Weinberge, die wir erwanderten und die man von der Höhe aus überblickt, sehr eng mit dem Genuss der Weine verbunden ist.

Pflanzen | Jone | Dogville

Eine aufglimmende Sehnsucht nach Indien beschäftigte mich gestern. Und heute frage ich mich, ob meine Psyche Farbwahrnehmungen verändern kann.

Obwohl die Wolken nach Osten ziehen, starten die Flugzeuge über unser Viertel. Offensichtlich weht der Wind in Bodennähe immer noch aus Nordosten.

Nu ist ein Teil der Pflanzen aus dem Atelier schon nach draußen geräumt. Der Olivenbaum hat, nachdem ich einigen Wurzelfilz an der Oberfläche entfernt hatte, etwas neue Erde bekommen. Auch der alte große Zitronenbaum. Gartenarbeit, vor der eine große Eidechse flüchtete. Ich lasse möglichst viel Kram vor dem Rolltor liegen – Bretter, Steine, Laub und Blumentöpfe, Verstecke für möglichst viele Ameisen, Kellerasseln, Feuerkäfer, Tausendfüßler und Eidechsen. Amseln, Meisen, Rotkehlchen und Kaninchen finden sich auch ein.

Im Theater traf ich Jone San Martin. Auf der Premierenfeier hatte ich endlich mal die Ruhe, die ich benötige, um ihr deutlich zu machen, wie sehr mich ihre Kunst über Jahrzehnte begleitet hat. Ich sagte es und sie nahm es gern.

Anlass war die Bühnenfassung des Filmes „Dogville“ von Lars von Trier in der Regie von Karin Henkel. Ich wüsste nicht, was ich gegen Regie, Schauspieler und Bühnenbild einwenden könnte. Handwerklich genau wurde die Spannung über fast zweieinhalb Stunden aufgebaut. Immer war dennoch klar, dass es sich um einen Bühnenexperimentalaufbau handelt. Dennoch blieb ein schaler Geschmack. Kaum hat man die Möglichkeit, sich mit den brutalen Figuren zu identifizieren. Das liegt aber an der Vorlage. Ein Achselzucken bleibt: Die Welt ist schlecht.

Überlagerung verschiedener Dimensionen

Der Marktzelteaufbau verläuft unter lichtem Gewölk und sommerlichen Farben. Rund um den Bäckerwagen picken jetzt schon mitten im Betrieb die Tauben Krümel auf. Eine große, schwarz gekleidete Frau schreitet zwischen den Ständen nach Osten, eine große hell gekleidete Schwarze mit Kinderwagen nach Westen.

Aus dem vorgestrigen Hanggang wird mein Blick nun auf die Stadt gelenkt. Ich überlege, mit den Hindemithkindern in den Osterferien einen Stadtgang zu machen und dabei mit ihnen Material zu sammeln. Vielleicht bleiben wir mit dem GPS-Gerät auf der Mainzer Landstrasse. Das Ganze ähnelt etwas den Handprints. Aber die Stetigkeit bringt immer wieder neue Dinge hervor. Man muss sie nur bemerken.Es geht in erster Linie um die Übereinanderlagerung verschiedener Räume. Flächen, die wir in der Stadt mit Waldmaterial markieren, übertragen wir auf den Hang und setzen dort an demselben parallelverschobenen Stellen Markierungen ein.

In einem verwandten Vorgang zeichnete ich gestern auf Rolle 6 die hellen Flächen der Barackensequenz in die Umrisse der Zinkbruchstücke aus meiner Grabungssammlung. Hier fügen sich allerdings Überlagerungen aus zwei verschiedenen Größenmaßstäben zusammen. Die 1:1 -Umzeichnung der Reste einer Dachrinne treffen auf die Verdichtung der Barackensequenz im Maßstab von etwa 1:100. Hierfür stellen sich die Dimensionen, in ihrer Verschiedenheit, der Umschreibung unterschiedlicher Situationen zur Verfügung. Ein bildliches Spannungsverhältnis entsteht.

Auch das Gitarrenspiel kann Dimensionen unterschiedlicher Räume darstellen. Der Looper mischt die lang ausklingende Soundlandschaft einer hallenden Saite mit dem Ameisengewusel nächster Nähe. Mit Paolo kann ich das heute probieren.

Abgetaucht

„My hard is in the highlands“ ist die Anfangszeile aus dem Song „Highlands“ am Ende des Albums „Time Out Of Mind“, der mich derzeit besonders interessiert. Er wurde 1997 aufgenommen, ist über sechzehn Minuten lang und besteht aus drei Gitarrenakkorden, mit denen ich umgehen kann. Mit dem Effektgerät kann ich das leichte Vibrato gut nachformen. Wie die Saiten angeschlagen werden müssen, ergibt sich während des Ausprobierens.

Zuvor war ich am Hang unterwegs, um weiteres Material zu sammeln, neue Dinge zu beginnen und alte zu pflegen und zu ergänzen. Wieder hatte ich das Gefühl, mich mit meinem Körper in den Weg zu drängen, ihn damit auszuweiten.

An der Linie des Songtextes entlang schaffen das Vibrato und ein kleiner Hall den Raum, den die Worte benötigen. Um minimale Sounds übereinander zu legen, nutzte ich gestern die Loopfunktion, auch „Looper“ genannt, begann mit sechzehn Takten und schuf die Illustration einer Topografie der Highlands oder meines Hangs für mich.

Dort beginnt nun das Freiräumen von ehemals gestalteten Flächen, die durch die Reste von Baumfällarbeiten abgedeckt wurden. Dort verschwand auch das grüne Flaschen-U-Boot, das mit seinem Rücken aus dem Nadelmeer der großen kompakten Tannen hervortrat. Außerdem gab es an dieser Stelle einen Baumkreis. All dies wird nun wieder hergestellt.

Wenn das Gras im Wald zu wachsen beginnt, wirkt sich diese Veränderung auf das Raumempfinden aus. Die wenigen Laubbäume zwischen dem eher dunklen Nadelwald, die nun ein lichtes Maigrün tragen, fallen dabei weniger ins Gewicht.

Mich führt das Erinnern des Flaschen-U-Bootes zu den Aufzeichnungen, die ich vor etwas drei Jahren machte. Ich schicke die Suchbegriffe in den schriftlichen Raum und konnte lesen, was ich zu denken glaubte.

Gewalt

Gut verpackt gegen die Kühle des Morgens streben die Menschen der Sonne entgegen nach Osten in die Büros, Läden und Werkstätten, den Werkhallen, Bildschirmwänden und Meetingsälen zu.

Durch den dichten Bewuchs der Quäkerwiese gibt es einen Durchblick auf die Schulhoftür der Hindemithschule. Die leuchtet schlammfarben im scharfen Morgenlicht.

Im Restaurant auf Teves ist eingebrochen worden. Der Tresor konnte nicht geöffnet, nur sein elektronisches Schloss zerstört werden. Anschließend wurden die Räume mit Trockenfeuerlöschern verwüstet. Mich trifft immer wieder die Ignoranz dessen, dass es sich bei uns um soziale Projekte handelt, die Menschen zugute kommen, die Hilfe nötig haben, die gewalttätige Verachtung sozialer Arbeit.

Bisher war die kulturelle Herkunft von Straftätern ein Tabuthema. Nun aber wird aber die Missachtung staatlicher Autorität durch Mitglieder archaischer Kulturkreise zum Thema. Da wegzuschauen, bedeutet einer neuen rassistischen Qualität Vorschub zu leisten.

Am Zeichentisch beendete ich gestern die Barackensequenz in einer letzten zeichnerischen Anstrengung der Definition von Bewegung in Enge und Ohnmacht. Nun muss geklärt werden, an welcher Stelle wir uns in unserer Arbeit befinden, wie ein Fernziel aussehen kann.

Auf der Gitarre schlug ich danach leise Töne an. Der Frühsommer scheint nun vorbei zu sein. Die Heizung im Atelier ist aber ausgefallen…

Looptechnologie

In jedem Frühjahr bekommen meine Pflanzen im Atelier lange Triebe und große Blätter, mit denen sie sich dem zunehmenden Licht entgegenstrecken. Regelmäßig, in kurzen Abständen, sind sie zu wässern, Leitern hinauf, Leitern hinab. Die Rhythmen dieser sehr unterschiedlichen Zeitphasen überlagern sich im Atelier.

Die Barackensequenz bekommt durch die Wiederholung der gegangenen Linien langsam schwarze Flächen. Am Grund des Glases, in das ich immer wieder die Rohrfeder eintauche, wird die Tusche langsam dickflüssiger. Die Räume zwischen den Linien werden durch immer dichter beieinander liegende Striche enger und setzen sich dann zu. Die Zwischenräume werden mit kleinen, schwarzen Aufwerfungen angefüllt. Es fällt mir auf, dass ich mich in diese kleinen Areale tiefer hineinbegeben möchte, will die Feder auf engstem Raum immer wieder hin und her fahren lassen. Die verzweifelten Widerholungen der kleinen Gänge zwischen den Baracken, das zwanghafte Ausschreiten des kleinen Raumes und sich darin verlieren zu können, schafft den Mikrokosmos, der eine meditative Überlebensstrategie der Gefangenen sein kann.

Mit dem Effektgerät der Gitarre habe ich gestern erstmalig die Loopfunktion ausprobiert. Die Bedienung ist zunächst einfach. Schnell überlagern sich mehrere Spuren zu einem Klangteppich. Somit kann ich ganz kleine, leise Sounds zusammenfügen. Es entsteht eine Welt, die die Linienarbeit auf dem Transparentpapier unterstützt und ergänzt. Ich würde mich nicht wundern, wenn die Beschäftigung mit dieser Technologie zu neuen Zeichnungsansätzen führen würde – auch im GPS-Bereich.

Die Zufallsformen der Schelllackeinschlüsse zwischen den Papierschichten interessieren mich zunehmend. Sie sollte ich mit den Hindemithkindern genauer betrachten und Planeten einrichten.

Ein Traumspiel

Fast wünsch ich mir einen stillen Montag mit der Rückkehr in die Gleichmäßigkeit eines Arbeitsalltages.

Im Schauspiel sahen wir gestern Strindbergs „Ein Traumspiel“ in der Regie von Philipp Preuss. Sein beherzter Zugriff auf den Text kommt aus einer radikalen Freiheit. Mit ihr erweitert er den experimentellen Ansatz des Autors, indem er die unausweichliche Mechanik der Wiederholungen menschlichen Leids in einen zeitgenössischen Loop überführt. In einem reizvollen Spiel tauchen Textpassagen umgeben von verschiedenen szenischen Umsetzungen immer wieder auf. Man hat den Eindruck, dass es sich bei der Inszenierung um einen Zustand des „work in progress“ handelt, der mit der Premiere eingefroren wurde. Und so ist es natürlich, dass der Text zerstückelt und wieder neu zusammengesetzt ist. Das geschieht aber durch einen konzentriert künstlerischen Prozess. Begleitet wird der Abend von einer kleinen Klaviermelodie in wenigen Takten, die fast durchgehend auf verschiedenen Tasteninstrumenten gespielt wird. Quälend trägt auch das zur Konzentration bei.

Vor dem Schauspielbesuch spazierten wir am Main. Im „botanischen Nizza“ griffen wir uns bereitstehende Liegestühle und genossen die Blüten und ihren Duft, die gut gelaunten Menschen, die mit uns diesen warmen Frühling genossen.

Am Abend sah ich mir im Netz noch eine Arte – Dokumentation zur Ausstellung „Evidence“ von Ai Weiwei im Martin-Gropius-Bau an. Ich erinnerte mich währenddessen an mein künstlerisches Leben in Ostdeutschland, an den permanenten Druck, dem ich dort ausgesetzt war, und wie mit dem Überschreiten der Grenze nach Westen eine große Last von mir genommen wurde.

Die Ziegenmelkerin wirft ihren Kopf hin und her

Jemand schreit, dass Gott der größte ist und erschießt dann die begnadete Fotografin Anja Niedringhaus. Das war seine Rache für einen Natoangriff, bei dem zwei Mitglieder seiner Familie umgekommen sind. Ein Polizist aus einem afghanischen Dorf trifft auf eine Pulitzerpreisträgerin.

Ein Hundebesitzer mit Bierflasche in der Hand, zieht mit der anderen sein Wuschelhündchen an der Leine nach Westen an den Baumschatten entlang. Es schneit grüne Ahornblüten. Die Sonne hilft den Farben beim Leuchten.

In der Nach schrieb ich den Satz: „Die Ziegenmelkerin wirft ihren Kopf hin und her.“ auf einen Zettel. Die Friedenskichenglocke läutet, während dicke, kleine, schwarzbemäntelte Kopftuchträgerinnen untergehakt nach Osten trippeln. Zwei Frauen mit weißen Lockenköpfen, ebenfalls untergehakt mit Stockschirmen und Handtaschen nach Westen, dem Geläut entgegen.

Der gestrige Nachmittag gehörte ganz der Musik. Nach einer Zeit des vorsichtigen Herumspielens, wurde ich etwas mutiger. Manche Effekte sorgen mit ihrem Hall für einen Rhythmus, der das Spiel und mit ihm den Körper zum Schwingen bringt. Der Gitarrenhals wird zu einem Ausleger, mit dem das Instrument der Schlaghand entgegen geworfen wird. Wenn diese Bewegung die Seele erfasst, geht es richtig los. Der Rest ist Entspannung.

Waldplanet

In den Aprilaufzeichnungen des letzten Jahres las ich vom stetigen Nachtfrost. Dieses Frühjahr ist der Kontrast dazu.

Am Vormittag bereitete ich den Workshop für die Hindemithkinder vor und baute unsere Experimentalstation auf. Die Produktivitätssteigerung am Nachmittag zeigte wie wichtig eine gründliche Vorbereitung des Nachmittags ist. Im Übrigen könnten wir noch locker eine Stunde dranhängen.

Paolo brachte seinen chinesischen Freund aus der gemeinsamen Band mit. Er spielte ein paar Riffs auf der neuen Gitarre, dann sangen sie alle zusammen ein „Happy Birthday“ und bastelten ein paar Geschenke mit einer 60 drauf für mich. Sehr rührend!

Noah baute eine Dreiecksgitterkugel aus Holzstäben, die später mit Transparentpapier belegt werden soll, Diese Flächen sollen mehrschichtig sein und in Schelllack eingefasstes Waldmaterial in sich tragen. So entsteht ein bernsteinfarbener Wald-Trixel-Planet.

Außerdem entstanden symmetrische Faltbilder auf denen Tusche und Schellack ineinander flossen. Manches von dem, das ich gestalten wollte, aber nicht dazu kam, kommt nun bei den Kindern zutage.

Das lichte Gewölk leuchtet zwischen dem frischen gelblichen Grün etwas blauviolett. Den Amselgesang würde ich auch gerne mit geraden und verschlungenen Schriftlinien in Farben fassen.

Offenbarung des Johannes

Zum fünfzigsten Jahrestag des Ausschwitzprozesses gab es gestern eine Gedenkveranstaltung im Haus Gallus, in dessen Saal der Prozess begann. Auf der Bühne haben Zeitzeugen erzählt. Eine vierundneunzigjährige Ausschwitzüberlebende gab routiniert ihre Geschichte preis. Dabei fragte ich mich zunächst inwiefern die abertausend Wiederholungen einer Erzählung sich verselbstständigende Form hervorbringen. Dennoch war der Bericht erhellend. Im Angesicht des rauchenden Schornsteines, während einem der vom Lagerorchester untermalten stundenlangen Stehappelle, in der Gewissheit, woher der schwarze Rauch aus dem großen Schornstein stammt, dessen Asche auf die umliegenden Kohlfelder fiel, sei ihre Seele in Ohnmacht gefallen.

Das „Quartett für das Ende der Zeit“ von Olivier Messiaen entstand zu großen Teilen im „Stalag VIII A“. Ein wohlmeinender Lagerkommandant stellte ein Klavier zur Verfügung und die Waschräume zum Probieren. Ein Klarinettist, ein Geiger und ein Cellist waren Lagerinsassen. So ist die eigenartige Instrumentierung erklärbar. Sie ist aber auch ein Zeichen der Offenbarung des Johannes, dass das Grauen mit Kultur vereinbar ist.

Ein ehemaliger Ermittler im Prozess erinnerte in einer klaren aber emotionalen Rede an die Behinderungen der deutschen Justiz, die in den Sechzigerjahren von ehemaligen Nazis getragen wurde, deren Bindung zum deutschen Faschismus anhielt. Die schikanösen Vernehmungen von ehemaligen Lagerinsassen, die davongekommen waren, warfen ein ergänzendes Bild auf die Situation in der Verdrängungsgesellschaft. Der Prozess war ein Auftakt für die Nachfragen, die in die Proteste der Achtundsechziger und dann in den „Deutschen Herbst“ führten. Als solches leben wir in einer konzentriert historischen Topografie.

Blutspur?

Der Ateliernachmittag war recht kurz. Gegen Sechs war ich mit Maj für einen Hanggang verabredet. Eine Lichtmesse, die ihre Pforten schloss, spülte abertausende Autos auf die Autobahnen, sodass wir im Stau der Dämmerung entgegen schlichen.

Die Sonne sank erstaunlich schnell, dass das direkte Sonnenlicht nicht mehr bis zum Boden durchkam. Die fehlende Helligkeit und die Wärme versetzten die Gegebenheit in einen anderen Zustand. Kam der weiche Waldboden schon unseren Füßen entgegen? Zieht sich die Blutspur von der Haustreppe bis auf die Fichtennadeldecke, bis zur halben Handtasche, die an einem der Äste hängt? Die Augen versuchten, trotz zunehmender Dunkelheit, im aufsteigenden Sommergeruch immer noch alles zu erkennen. Die Anstrengung des Sehens führte die Ansichten von Einzelheiten zu größeren Blöcken zusammen. Das Wesentliche, das uns beim Absteigen erschien, war der Weg. Er reflektierte das minimale Licht anders und etwas heller, als seine Umgebung. Und nun zeigte sich, dass er sich leuchtend markiert, wie ein helles Band. Maj ging voran und konnte ihm ohne weiteres folgen.

Danach im Atelier beschäftigten wir uns in erster Linie mit der „Fender Strat“ und dem dazugehörigen Effektgerät. Ähnlich, wie bei den Paintprogrammen der Neunzigerjahre, habe ich die Aufgabe, auch dieses technologische Hilfsmittel gegen den Strich zu bürsten. Ich möchte das verstrickte, sich rhythmisch wiederholende Liniengewirr hörbar machen. Ich denke dabei an die Sequenzen auf den Transparentpapierrollen, an die Loopfunktion und an Steve Reich.

In der täglichen Produktion

Farben in der Helligkeit draußen. Grau wird zwischen dem Grün zum Rosa. Neben den Bodenflächen in lichtem Ocker werden die Schatten blau. Alles rundherum scheint sich nach der Sonne auszurichten. Florale Explosion bis zur Unkenntlichkeit der Gegenwart – des Gegenherbstes.

Die Strenge der Lagersequenz, die sich mäandernd wiederholenden aussichtslosen Gänge, sind dennoch belegt mit etwas Hoffnung in der Lebendigkeit. Beim nachmittagelangen Zeichnen begegnen mir die Personen, ihre Stimmen, begegnen mir ihr Hunger nach Freizügigkeit und ihr Heimweh. Für die entstehende künstlerische Ausformung des Zwangsarbeitergedenkens, sind die Ergebnisse der permanenten täglichen Produktion entscheidend, wie gestern schon beschrieben.

Eine „Delegation“ der „Route der Industriekultur“, die eine Initiative im Rhein-Main-Gebiet ist, besuchte mich gestern im Atelier. Während einer Veranstaltung auf dem Gelände wollen sie einen Vortrag von mir. Als ich sie darauf hinwies, dass wir beide etwas davon haben müssen, verwiesen sie mich, wie fast schon üblich bei Künstlern, die man irgendwie einbinden will, darauf, dass ja in dieser Weise viele Menschen von mir und meiner Arbeit erfahren würden…

Welche Rolle spielt die Gitarre in meinem Atelier? Gestern, als ich beim konzentrierten Zeichnen an der Lagersequenz etwas verkrampfte, pausierte ich mit dem Instrument, indem ich bei Dylansongs mitspielte. Sehr schön dafür ist auch ein Notenheft, das ich von Anne und Markus geschenkt bekommen habe.

Sehschlitz

Derzeit sind die mittleren Temperaturen nahezu fünf Grad wärmer, als es in dieser Jahreszeit üblich ist. Es blüht vierzehn Tage früher als sonst und zum Ende der Woche hin sind sommerliche Verhältnisse angesagt.

Die Verdichtung der Ackermannwiesenlinien bekommt durch die relativ enge Phasenverschiebung einen stark rhythmischen Charakter. Eine konfliktreiche Eintönigkeit und Aufgeladenheit eines Lagerlebens. Das wird neu gebrochen, wenn ich beginne mit den Trümmerumrissen zu arbeiten.

Am Tisch sprach ich mit meinem Ateliernachbarn über diese Arbeit. Der konzeptionelle Ansatz wird bei mir immer noch mit der eigenen Handschrift umgesetzt. Wegen der Vielschichtigkeit der Materie denke ich derzeit an das Material Glas. Auf ihm können in mehreren Ebenen hintereinander Strukturen gezeigt werden, die ich innerhalb der einzelnen Arbeitsschritte entwickelt habe. Der Grundriss dieser gläsernen Wände, die nur durch einen Sehschlitz innerhalb eines Betonblocks sichtbar werden, kann aus den Umrisslinien der Zeichen bestehen, mit denen die unterschiedlichen Kriegsgefangenen kenntlich gemacht wurden. So kann eine Architektur entstehen, an deren Wänden die Emotionen alblesbar werden, die damals und auch heute Menschen entwickelt haben.

In aller Munde ist derzeit Weiweis Ausstellung im Gropiusbau, die in wenigen Tagen eröffnet wird. Vinzenz schreibt was er in Beijing lernt. Er glaubt, dass in meinen Arbeiten mehr von mit persönlich steckt, als das bei den Factorykünstlern, seinen weltberühmten Meistern ist der Fall ist. Nur mit meinen kleinen Arbeiten lässt sich kein „Staat“ machen.

Bands

Etwas spät am Schreibtisch, etwas unkonzentriert, müde und noch aufgekratzt. Während der „technischen Einrichtung“ des Festes am Sonnabend war ich noch etwas nervös. Ich befürchtete eine Lautstärkenkollision mit „Pixelkitchen“.

Am Morgen habe ich die neue elektrische Gitarre gestimmt. Und als ich es hingekriegt hatte, begann ich zu spielen. Nun habe ich wie mit dem Kajak einen Zufluss zu einem großen See gefunden, der überquert werden kann, dessen Ufer zum Verweilen einladen und dessen Tiefe gefährlich werden kann, wenn man das Gleichgewicht verliert ohne schwimmen zu können.

Als die ersten Gäste eintrudelten, begann das Fest beschaulich mit dem Entzünden des Grillfeuers und dem Öffnen der ersten Biere. Als alle Gäste da waren, wurde ich mehrmals irgendwohin geschickt mit etwas komischen Begründungen: ich müsse mal an die frische Luft und so… Und dann spielte die Band „Double Dylans“, von deren Auftritt ich nichts wusste, die plötzlich vor mir stand, „Forever Young“ und eine gute Stunde lang Dylansongs dazu. Das ging mir nahe, diese vielen gefühlvollen Songs und das Engagement, mit denen die drei auch schon nicht mehr ganz jungen Männer zeigten, wie man älter werden kann.

Vorher hatte ich mich schon gefreut, dass meine Freunde ihre Instrumente und einen Bassisten mitgebracht hatten, um etwas Unterhaltungsjazz für die Gäste zu spielen.

Was für ein Fest. Am Morgen gegen Sieben zogen wir dann langsam und gemeinsam nach Hause.

Forever

Forever Young

May God bless and keep you always,
May your wishes all come true,
May you always do for others
And let others do for you.
May you build a ladder to the stars
And climb on every rung,
May you stay forever young,
Forever young, forever young,
May you stay forever young.

May you grow up to be righteous,
May you grow up to be true,
May you always know the truth
And see the lights surrounding you.
May you always be courageous,
Stand upright and be strong,
May you stay forever young,
Forever young, forever young,
May you stay forever young.

May your hands always be busy,
May your feet always be swift,
May you have a strong foundation
When the winds of changes shift.
May your heart always be joyful,
May your song always be sung,
May you stay forever young,
Forever young, forever young,
May you stay forever young.

Bob Dylan

Highlands | Japanisch

In den letzten Tagen habe ich schon immer mal mit kleineren Räumaktionen noch mehr Raum im Atelier geschaffen, den wir heute für das Fest benötigen werden. Gestern legten wir die bestellten Getränke in eine Kühlbox, stellten die ebenfalls gelieferten Bierbänke auf und montierten überall Lampen, die eine etwas indirektere und gemütliche Lichtsituation schaffen sollten.

Ab und zu dachte ich in der letzten Zeit darüber nach, was es für mich bedeutet, sechzig Jahre alt zu werden. Alle Alter, die ich bewusst erlebt habe, sind noch in mir vorhanden. Ich merke das, wenn ich beispielsweise die zweieinhalbjährige Mathilda treffe, oder die Vierzehnjährigen, mit denen ich an den „Schattenboxen“ arbeite. Ich erinnere mich an meine Lebensalter, wenn ich mit dem fünfundzwanzigjährigen Vinzenz oder mit der vierunddreißigjährigen Anne spreche. Immer sind auch die Erfahrungen aus diesen Lebensaltern auch eine Grundlage für die Gespräche und das Verstehen. Die Fünfundvierziger und Fünfundfünfziger sind noch zu nahe. Dahin gibt es noch kein Umschalten.

Am Abend saßen wir im Zimmer und hörten „Time Out Of Mind“, eines der schönsten Alben, die Dylan gemacht hatte. Bei dem ausufernden Highlands, musste ich an meine Hanggänge denken.

Paolo hat ein japanisch – deutsches Wörterbuch mitgebracht und fand darin das Zeichen für Wald – wohlgemerkt, keine Ordnung der Wörter nach deutschem Alphabet! Dann legte er das Zeichen mit Reisern, die wir am Hang gesammelt hatten auf Transparentpapier und gab Schelllack hinzu. Langsam sammelt sich ein Fundus von Objekten für die Boxen.

Prozesskonstruktionen

Es gibt ein gedachtes Dreieck. Seine Eckpunkte sind Hang, Stadt und Atelier. Auf den Verbindungslinien dazwischen kursieren Bildinformationen, die an den Eckschaltpunkten landen, sich ablagernd schichten und schließlich verschmelzen.

Meine lückenhaften GPS-Gänge auf der Ackermannwiese in der Stadt, beginne ich nun auf Rolle 6 zu verdichten. Es ist erstmalig so, dass ich ein GPS-Zwischenergebnis zeichnerisch weiterentwickle, bevor ich daran gehe, die Wanderung fortzuführen. Die Zeichnung hat aber jetzt schon eine deutlich emotionale Komponente. Ich spüre, dass sich die Verdichtung des Liniengeflechtes wieder bewährt, um mich weit in eine Geschichte hinein zu begeben. Dann kommt noch die Verbindung zu den Trümmerumrissen…

Wenn ich bei der Veranschaulichung meiner Arbeitsprozesse bei den Dreieckskonstruktionen bleibe, kann ich fünf wichtige Eckpunkte: Rolle 6, tägliche Collagen, Hangang, Ackermannwiese und Schattenboxen zu drei Dreiecken verbinden. Das ergibt eine harmonische Komposition. Diese kann aber noch verfeinert und in den Raum erweitert werden.

Den Workshop am Abend haben wir zeichnend verbracht. Mit Maj mache ich derzeit Gemeinschaftszeichnungen, bei denen man während des direkten miteinander Arbeitens viel lernen kann.

Heute Vormittag will ich noch einiges für die Hindemithkinder vorbereiten. Ihre Vorlieben reichen von geometrischen Konstruktionen, über poetische objekthafte Arrangements bis hin zur Musik. Ich würde eine Musikbox mit Stadt- und Waldgeräuschen begrüßen.

Körperraum

Wieder sammelte ich am Hang Material für die Objekte der Hindemithkinder. Mein Auge fiel auf Äste, die bereits seit mehreren Jahren auf dem Waldboden liegen, ihre Rinde fast ganz verloren haben. So eignen sich die glatten Flächen am besten für eine Bemalung mit weißer Farbe und die Rindenreste bekommen einen Schelllacküberzug.

Wetter und Beleuchtung wechselten gestern schnell. Umso mehr Zeit nahm ich mir genauer hinzuschauen. Graupelschauer zogen durch die lichtdurchschienene Tiefe und verengten den Raum, indem sie ihn mit weißen Körnern füllten. Warm angezogen konnte ich mich auf einem Stück entrindeten Stamm niederlassen, der gleich neben meiner großen Holzrotunde liegt, um das Kommen und Gehen der Veränderungen zu beobachten.

Durch die Sichtbarkeit des Pfades entsteht ein körperliches Gefühl der Raumverdrängung. Es ist, als spürte ich die seitlichen Begrenzungen des Weges an meinem Armen, als würde ich mich mit den Schultern in den Boden hineindrängen und alles Störende beiseite schieben. An manchen Stellen entstehen einladende Kuhlen, die von Wurzeln und Moosen begrenzt sind, wie Betten für eine Rast. All diese Dimensionen haben mit meinem Körper zutun. Abseits vom Weg finde ich manchmal ältere Spuren von mir, die davon zeugen, wie die Idee dieser Linie langsam zustande gekommen ist.

Wie sich dieses Ritual nun weiter entwickeln wird, ist mir nicht klar. Manchmal denke ich an sein Ende, aber auch an sein Echo in der Stadt, im Atelier, in den Menschen, die den Weg mit mir gehen, in den Projekten, an denen ich gerade arbeite. Es sind immer strukturelle Beschaffenheiten, die sich aus den Walderfahrungen mit Zeichnungen und Objekten verbinden.

Zersplitterungen

Zwischen drei sich drehenden Tiefdruckwirbeln und einem großen Hoch im Nordosten treibt Ostwind heran, zieht die Starts der Maschinen über unser Wohngebiet.

In der Stadt streiken verschiedene öffentliche Verkehrsbetriebe, wodurch der Autoverkehr zunimmt. Mit ihm Lärm und Hysterie. Unfallzahlen steigen.

Ein großes Kranauto versperrt die Lahnstrasse. Der Zugang zum Tevesgelände ist dadurch geschlossen, dass Streumaterial, das dort im Herbst aufgeschüttet wurde, nach dem sehr milden Winter wieder abtransportiert wird.

Ich bin froh, im Atelier zu sein, um mich dort an meine Arbeitstische zurückziehen zu können. Dort verbinden sich die Strukturen der verschiedenen Sequenzen zu neuen Arbeitsmöglichkeiten.

Die Scherbensequenz, in der sich Barockklänge und Zersplitterungen begegnen, habe ich abgebrochen, bevor das, was ich aus ihr für die weiteren Überlegungen entnehmen kann, überdeckt wird. Ähnlich machte ich es mit der „Fechtersequenz“, von der ich Ragna einen Scan schickte.

Nun übertrug ich die Aufzeichnungen der „Gedenkgänge“ auf Rolle 6, um sie dort zunächst nur zeichnerisch zu verdichten. Die noch leeren Innenräume der Barackengrundrisse werden nach den Überlagerungen noch sichtbar bleiben. Es wird sich lohnen, daraus eine intensive Sequenz herzustellen. Aus ihr ergibt sich dann wiederum die logische Konsequenz, mit weiteren Bruchstücken der Ausgrabungen Umrisszeichnungen anzufertigen, die die GPS-Gangstrukturen aufnehmen können. So kann es immer weiter gehen.

Alter

Mit destilliertem Wasser verdünne ich die Tinte, mit der ich schreibe. Die Papierqualität der Bücher, in denen sich das handschriftliche Arbeitstagebuch mit den Zeichnungen befindet, hat nachgelassen. Die zarten Zeichnungen sollen nicht von den Rückseiten her in Mitleidenschaft gezogen werden.

In letzter Zeit entwickelt sich der Dienstag zu dem langen Arbeitstag, den ich ganz für mich habe. Meistens gehe ich montags früh schlafen und wache dann am nächsten Morgen entsprechen zeitig auf. So erlebe ich am Schreibtisch derzeit die vollständige Dämmerung, während sich der Raum noch in der Fensterscheibe spiegelt.

Nachdem ich im Atelier die Stein- und Muschelketten an die Mittelsäule gehängt habe, nahm ich mir die Umrisszeichnungen der Scherbe aus dem Bombardierungsschutt vor. Die zu einer Komposition zusammengefügten und mit einem Dreiecksgitternetz verbundenen Silhouetten füllte ich mit den musikalischen Mustern der Zeltersequenz, fügte dem Spreng- und Brandbombengrauen also die paradiesische Schönheit der Musik hinzu. Vielleicht könnte sich die Zeltersequenz auch zu einer brutalen Konzentration steigern. Ich brach die Arbeit aber vorher ab.

Greifbar rückt mein sechzigster Geburtstag heran. Numerisch bin ich nun endgültig alt. Dem zu folgen, was von einem in diesem Alter erwartet wird, ist manchmal nicht so leicht. Eher wandere ich in meinen Lebensaltern umher, und manchmal in der Schwere einer Müdigkeit, bin ich ihnen voraus. Mein Glück ist es, dass ich mit jungen Menschen zutun habe. Dann, wenn das Echo der reichen Naivität ihres Alters in mir widerhallt, kann ich ihr Vertrauen erwerben.

Gleichgewicht halten

Die großen, dicken Busfahrer vom Balkan warten neben ihrem weißen Reisegefährt rauchend und etwas aufgekratzt redend. Das Cafe ist noch geschlossen und die in der kalten Sonne glänzenden Aluminiummöbel sind noch zusammengestellt.

Was jetzt grünt, sind vor allem die Blüten der Ahornbäume in einem perlenden Impressionismus, an dem ich mich kaum satt sehen kann. Blicke ich in Richtung Taunus hält sich das Grün mit den Lücken dazwischen die Waage.

Vor das leuchtende Blau meiner Ateliermittelsäule habe ich lauter Muschelketten gehängt. Diejenigen, die noch etwas verloren in der Wohnung hängen, oder in Kartons liegen, werde ich auch noch mitnehmen und dazuhängen.

In letzter Zeit denke ich manchmal über eine Arbeitspause nach. Immer scheint das allmorgendliche Arbeitstagebuch notwendig zu sein. Die Gewohnheit, die sich in vierzehn Jahren tief eingeschrieben hat ist stark. Und so habe ich die Aufgabe ein Gleichgewicht zu halten zwischen der aufbauenden Quelle von Inspiration und Glück durch die Zeichnungen und das Schreiben und Überdruss.

Immer mal zeichne ich bei „moonmoonmoon“, finde meine bearbeiteten Felder auf dem Planeten schon ohne Suchfunktion. Das macht Spaß, kostet aber eben auch etwas Zeit…

Ich habe mir einen Radiobeitrag des Autorenkombinats angehört. Anne erzählt dabei von ihrem Schreiben und der bestätigenden Gemeinschaft der Gruppe von Schreibenden. Interessant, den jungen Leuten beim Arbeiten zuzuschauen. Es schafft auch Gelegenheiten, sich an die eigene Arbeit in diesem Alter zu erinnern.

Meditation | Biotop

Die ersten zwei Transparentpapierfahnen, mit den Einschlüssen der Waldfundstücke habe ich gestern im Atelier in eine Box gestellt. Wesentlich für die Präsentation im Architekturmuseum wird die Beleuchtung sein. Die Schattenboxen benötigen einzelne eigene Lichtquellen, mit denen das Transparentpapier von hinten durchleuchtet werden kann.

Außerdem sortierte ich den mitgebrachten Waldboden in seine einzelnen Bestandteile: Fichtennadeln, Ästchen, Moos, Steine, Grasfäden, Flechten, Pilze, Fichtenzapfenschuppen und etwas Erde. Das ist ein meditativer Vorgang. Der Geruch, die Beschaffenheit und das Aussehen der Einzelteile lehren mich, mit den Formen zu arbeiten, sie zu vereinzeln und dann miteinander neu zu kombinieren. Die Produktion nimmt etwas mehr Fahrt auf. Ein neuer Junge der hinzugekommen ist, interessiert sich mehr für Geometrie und kann Dreiecksgitterkonstruktionen hinzufügen.

Die Ahornschösslinge, die sich in der dünnen Humusschicht auf den Betonplatten und in deren Ritzen vor dem Atelier festkrallen, hüte ich wie meinen Augapfel. Ein heftiger Regenschauer hat gestern einige Blütenstände der großen Pappel westlich heruntergespült. Der Sturm fegte vieles davon zwischen meine Gestelle vor den Rolltoren. So entsteht zwischen ihnen langsam eine Humusschicht, die von den zähen Pflanzenwurzeln festgehalten wird. Die Eidechsen haben sich bereits während der warmen Tage gezeigt und finden mittlerweile genügend Unterschlupf, um sich vor den Angriffen aus der Luft zu schützen.

Dieses Idyll wird sich aber bald stark verändern, wenn die Häuser rundherum abgerissen und neue Wohnungen eng aneinander gebaut werden. Unsere Insellage ist dann nicht mehr zu halten, oder wird sich stark verändern.

Waldfundus | PUNK ROCK

„MY HEART IS IN THE HIGHLANDS“ Songs schwingen, draußen singen die Amseln und auch der andere Vogel Anselm. Sie schaffen eine Sommerschattierung, trügerisch genug… Lass es trotzdem gerne an mich ran.

Schon am Vormittag begann ich den Workshop mit den Hindemithkindern vorzubereiten. Ein Gipssockel mit Stäben zeigt im Kasten einen Bühnenbildmodellwald. Darein kommen die verschiedenen Versatzstücke aus Transparentpapier, etwas neblig collagiert zwischen den Baumstämmen.

Am Nachmittag ordneten wir das Material, das wir in den letzten Wochen im Wald und anderswo gesammelt hatten. Ich erklärte ihnen meinen Arbeitsansatz, die ausgegrabenen Artefakte von der Ackermannwiese betreffend.

Unsere geordnete Sammlung entspricht nun einem Fundus, aus dem man sich bedienen und so mit mehr Überblick arbeiten kann. Und gestern ging es schon mit gefaltetem Transparentpapier los, Tannennadeln, Schelllack Gräser und Ästchen.

Am Abend im Schauspiel die Premiere von Simons PUNK ROCK in Barbaras Übersetzung. Schauspielschüler mit glühenden Gesichtern spielten. Es ist fast immer rührend, diese jungen Menschen auf der Bühne zu sehen. Es spielt da so viel Hoffnung mit.

Unter Beobachtung

Ein paar Scherben meiner Ausgrabung nahm ich näher unter Beobachtung. Eine von ihnen umrandete ich mit Bleistiftlinien auf Transparentpapier. Das tat ich mehrmals, wendete die Scherbe auch und richtete sie immer neu aus zu einer Komposition. Über die Teile zeichnete ich anschließend ein Gitternetz, das sie untereinander verband. Das Ergebnis rollte ich in der bewährten Weise zusammen und wiederholte die Zeichnung auf der Rückseite der Rolle. Diese Methode kann nun auf die anderen ausgegrabenen Trümmerteile angewandt werden.

Für solche Arbeitsschritte benötige ich manchmal etwas Zeit, in der ich mich auf das Material einlassen muss. Die Artefakte liegen aber auf einer Filzpappe geordnet im Atelier. Von dort aus „sprechen“ sie zu mir, und die entstandene Zeichnung hat nun etwas von einem filigranen Mobile.

Ähnlich gehen mir die Fundstücke aus dem Wald durch den Kopf. Die Formen ihrer Bearbeitung habe ich allerdings schon einmal vor anderthalb Jahren ausgelotet. Entsprechen wählte ich auch das Material aus, das ich während meiner zwei letzten Hanggänge im Wald gesammelt habe. Gerne würde ich zu den Materialien, mit denen die Sammlung bearbeitet werden soll, Transparentpapier mit hinzunehmen, das sich zwischen den Ästen mit Tusche bemalt aufspannen kann. Vielleicht komme ich schon heute Vormittag dazu, mit solchen Objekten zu experimentieren, damit die Hindemithschüler Anschauungsmaterial haben. Ein Ateliervormittag ist für mich ist auch mal ganz gut.

Längeres Gespräch mit Monika am gestrigen Workshopabend. Das Leben spielt manchmal Kunstwerke.

Unten vor dem Fenster wir bald der Markt aufgebaut. Amseln wecken die Dämmerung. Wind kommt auf.

Echos

Der Hang ist ein Echoraum dessen, was um mich herum in der Stadt passiert. Gegen die Wirrnisse stemme ich mich dort mit Ordnung und gegen die Stadtstruktur mit den chaotischen Verdichtungen der Waldmaschine. Wenn jetzt im Frühjahr das Gras zu wachsen beginnt, wird der Pfad besonders gut sichtbar, seine Schlangenlinien, sein Abbild der Beharrlichkeit. Ragna ging in der vergangenen Woche den Weg voran und konnte jeder Wendung folgen.

Gestern ging es um die kleinen Zeichen und eine neue Betrachtung des vorhandenen Materials für das Projekt „Schattenboxen“. In meinem Rucksack sammle ich Holz, das sich besonders gut zur weiteren Gestaltung eignet. Außerdem fotografiere ich auch für die Ausstellung im Architekturmuseum und versuche zwischen den Baumstämmen das Echo der Stadt zu hören. Zwischen den Häusern lausche ich auf das Echo des Waldes. Vordergründig sind das die Stimmen der Ringeltauben, es sind die Füchse, die zerlumpt an den wilden Bahndämmen entlang streifen, die Tiere, die dem Ruf der Stadt folgen und es ist meine Sehnsucht nach der Stille.

Am Hang war ich gestern etwas zu dünn angezogen. Man muss die Temperaturunterschiede abfedern. Ich glaubte beim Anstieg mit einem wollenen Pullover genug zu haben.

Zappelnde Schüler sitzen in ihrer großen Pause im Cafe und essen Eis. Das Frühlingslicht ist gleißend. Kein Blätterdach wirft Schatten mit flirrenden Lichtpunkten am Boden. Ein Frühlingstag ist ein Aufbruch. Mich zieht es ins Atelier.

Trümmer und Kultur

Über den Luftbildern der Air Force von 1944 sitzend, entdecke ich weitere hohe Mauern, die weitere Lager umgeben gehabt könnten. Helga hat mir weiteres „entschlüsselndes“ Material geschickt. Nur von den Luftbildern auszugehen, wäre zu spekulativ. Aber weitere Hinweise, wie der Wechsel von Aufenthaltsorten, korrespondiert von Bombenangriffen in bestimmten Gegenden, lassen Rückschlüsse zu. Die unterscheiden sich sehr von dem, was bisher überliefert wurde. Deutlich wird was man verschwieg, vergaß und was sich in der Erinnerung verwischte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es nicht denkbar, dass wir nun mit der Arbeit aufhören können. Aber eine deutlichere Zielsetzung wäre notwendig.

Im Atelier habe ich die Zeltersequenz in der Weise weitergezeichnet, bei der starke Verdichtungen nur innerhalb von einer Figur stattfinden, wie in der oberen Collage abgebildet. Diese Strukturen ergeben innerhalb von Rolle 6 einen Bruch. Aus den Trümmern tritt ein Stück Kultur hervor. Alfred Teves war auch Kunstsammler.

Gestern ordnete ich die ausgegrabenen Artefakte auf einem Tisch immer neu. Man kann verschiedene Ordnungsprinzipien anwenden: Material, Größe oder Form. Es wäre auch möglich, Zeichnungen darunter zu legen, die mit unseren GPS-Gängen zutun haben. Gerne würde ich eine Ausstellung dazu auf Teves machen.

Gestern zeichnete ich auf moonmoonmoon. Ich muss erstmal das Linienwerkzeug ein wenig kennen lernen, um dann langsam aber kontinuierlich weiter zu machen. Dann muss man mal schauen, was daraus wird und sich an ein abgelegenes Ufer setzen.

Zeltersequenz | Im Dreieck springen

Die „Zeltersequenz“ ist noch nicht so stark verdichtet, dass ihre Grundstruktur zu verschwinden beginnt. Ich zeichnete gestern Nachmittag daran, um wieder in die Kreise zurück zu finden, die vom Hang und vom Atelier ausgehen, sich wie Wellen ausbreitend überschneiden und Interferenzen bilden.

Das Bild erinnert mich an eine Installation mit dem Namen „Im Dreieck springen“, die ich in Salvador da Bahia etwa 1997 gemacht habe. Auf eine Wasserfläche, die eine Videoprojektion reflektierte, tropften an drei Stellen in verschiedenen Abständen Wassertropfen. Die sich ausbreitenden Wellen schnitten sich innerhalb der reflektierten Stadtvideoaufnahmen.

An der Zeltersequenz hatte Ragnas Spiel einen entscheidenden Anteil. Wenn ich mir die Zeichnung im jetzigen Zustand anschaue, erinnert sie mich noch sehr an ihr Spiel, an die Wiederholungen und an die Bewegungen.

Nach der Atelierarbeit ging ich noch für eine halbe Stunde in die Abendsonne. Mir gingen noch mal die Diskussionen der Theaterleute um die Entlassung vom Burgtheaterdirektor Hartmann durch den Kopf, um den Umgang mit Steuergeldern und um die Wirkung dieser Vorgänge.

Mit den Hindemithkindern schnitt ich Filzpappen in, für die Boxen passende, Quadrate. Dann sammelten wir Material. Mich erinnern diese Kartons an Bühnenbildmodelle und an die konzeptionellen Konzentrationen der Theaterwelt. Sie überlagert sich nun mit der Museumswelt.

In den Betonritzen vor dem Atelier beginnen sich die Ahornschösslinge zu recken. Dabei werden sie von mir beschützt und gegossen.

Verwischt im Wald

Der Raum von Eliasson, den wir uns in der Kunsthalle angeschaut haben, war im so genannten Kinderzimmer eingerichtet. Auf einer weichen Bank sahen wir und in Ruhe ein Buch über die Werke des Künstlers an. Für sein Alter hat er schon ein riesiges Konvolut an Arbeiten geschaffen. Auch, wenn er ein „Factorykünstler“ ist, ist das sehr erstaunlich. Mich erinnert diese Art von Kunstproduktion an die beginnende Industrialisierung, oder an Dombauhütten. Wir setzten aus Bauteilen zwei kleine Skulpturen zusammen und hatten Zeit zum Spielen, nichts Wichtigeres störte.

Vinzenz hat Collagen von mir auf seine Blogs gestellt und einen sehr schönen Satz über mich dazugeschrieben, der mich sehr ehrt. Er bildet einen Ausschnitt ab, der eine Verbindung zwischen den Linien, die ich mit Ragna gegangen bin und einem Objekt am Waldboden zeigt. In diesem Zusammenhang denke ich daran, die Namen der Zwangsarbeiter in diese Linien einzuarbeiten. Ich nahm die Handabbildung von Vinzenz mit den chinesischen Buchstaben in meine heutige Collage. Das geht mit meinen Handlinienabdrücken in meinen täglichen Zeichnungen zusammen. Dahinter Ragna verwischt im Wald.

Ich schaue in den grau schattierten, bewegten Himmel, in die Bäume, die hinter meinem rechten Fensterausschnitt schon grün werden und versuche etwas zur Ruhe zu kommen. Die vergangene Woche und das Wochenende hatten dafür nur kleine Zeitstrecken übrig.

Gestern Nachmittag ein paar sehr schöne Stunden mit Irene und Keywan. Gegen die weit verbreitet zunehmende Verrohung in der Theaterwelt hatten sie einen sehr schönen, fruchtigen Roséwein auf dem Tisch.