Einzelobjekte

Gestern Nachmittag besuchte ich Franz in seinem Atelier. Wir sprachen über die Zwischenräume in den Bildern, in denen die Geschichten der Subtexte stattfinden. Sie verweisen auf die Räume hinter den Bildträgern.

Während der Arbeit an Rolle 9, dachte ich an das Wandobjekt aus verschweißten Stahlstäben, dessen Umsetzung im Raum steht, aber noch nicht entschieden ist. Gestern stellte ich mir verschiedene Einzelobjekte vor, die man gut handhabbar auf der Fläche platzieren könnte. Gerade entstehen solche abstrakten Figuren auf der Transparentpapierrolle, die Ornamentkonstellationen in verschiedenen Zusammenhängen wiederholen. Den ersten Umriss der gestrigen Buchmalereien übertrug ich auch, damit er die entstandenen Einzelfiguren neu einfangen soll. Das bildet die Voraussetzung für die Fortführung des Prozesses.

So werde ich auch mit einer der heute entstandenen Kompositionen verfahren, die die nun entstehenden Liniengeflechte wieder aufnehmen und fragmentieren wird. Die stetige Wiederholung dieser Arbeitsvorgänge steuert auf neu zu füllende Räume zu.

Kraftgrün

Die Langsamkeit des Morgens führt zur Streckung der Zeit. Der Moment, in dem ich Kaffee in das Sieb der Kaffeemaschine fülle, kann ein Stück Klavierspiel aufnehmen, das dem Raum mehr Größe verleiht und mir Geborgenheit.

Kraftgrün der Buchenkronen im Taunus verstreute gestern Lichtenergie. C., mit der wir unterwegs waren erzählte wieder so viele spannende Geschichten über Texte und Autorinnen, dass mir der Kopf schwirrte. Am Fuchstanz gab es Flammkuchen und Bier. Wir sprachen über einen verantwortlichen Umgang mit den alten Eltern.

Noch vor den Buchmalereien des Morgens, kümmerte ich mich erst einmal um den Wasserhaushalt des Gärtchens. In die gefüllten Bottiche stelle ich schräg Hölzer, die über die Ränder hinausragen, damit keine Tiere ertrinken. Eine Taube nutzt eine solche Holzrampe, um zu dem Wasserspiegel hinab zu steigen, um dort zu trinken. Ich verjagte eine Katze, die auf die Eidechsen aus war.

Mitbewohnerin

Am Morgen bemühte ich mich um die Spinne, die in meiner vielgewundenen Goethepflanze ein perfektes, luftiges Netzdach gebaut hat. Ich pflückte ihr kleine Blattlausfliegen von den Unterseiten meiner Ahornblätter und setzte sie in das Fanggeflecht. Sie aber sitzt, träge von der gestrigen Mahlzeit, in ihrem goldenen Schnitt und rührt sich nicht. Selbst der Wassernebel. Mit dem ich die Luftwurzeln versorge, interessiert sie kaum.

Die Linien der zweiten Malerei von gestern übertrug ich auf die Transparentpapierrolle und füllte die Umrisse mit den geschwungenen Energielinien, mit den statischen schwarzen Feldern und den Verflechtungen der vorhergehenden Tage. Durch die veränderte Kompositionsstruktur erhoffe ich mir auch einen stärkeren Impuls für Rolle 9.

Die Schüler waren gestern laut und unkonzentriert. Wir schafften kaum etwas Nennenswertes. Außerdem sind sie zu spät gekommen. Den ganzen Ateliernachmittag hätten wir uns sparen können. Am Abend trafen wir uns mit dem Künstlerpaar Laila und Vinzenz zur Pizza.

Plankton

Während die Buchmalereien trockneten, machte ich einen Spaziergang über das Gelände am Bauzaun entlang. Auf der Baustelle treten wenig alltägliche Figurationen auf. Sie sind gegossen, gebogen, gerastert und gehängt. Der Boden, auf dem alles geschieht, scheint mehrfach umgeschichtet zu sein, ausgegraben, auf Halden geschüttet, neu verteilt und mit vibrierenden Kolossen verdichtet. Rätselhafte Gerätschaften stehen am Grund der Baugruben: Hydraulik, Geologie, Kampfmittelräumdienst und Abwasserwirtschaft.

Mit den kleinen Malereien gelange ich in andere Gefilde. Die Aquarell-Linien, die ich mit der Feder zeichne, führen zu neuen Konstellationen und Herausforderungen. Manchmal wird das rechteckige Format aufgehoben, zugunsten freierer Bewegungsmöglichkeiten auf den Buchseiten.

Die entstehenden Formen kommen eher aus der Mikrobiologie oder aus der Tiefsee oder beidem. Plankton steigt auf und schwebt über der Baustelle, die eine archäologische Fundstätte am Grund des Ozeans ist. Schwertfische zwischen den Kränen, Grundhaie neben den Laboraufbauten auf dem Boden der Baugrube.

Gegensätze

Bevor die Figurenumrisse in den Farbwolken auftauchten, brach ich die Buchmalereien heute ab. Das erste Format begann ich als letztes, das zweite setzte ich an die falsche Stelle der Buchseiten. Ich habe es wieder eilig – das ist diesmal aber vielleicht ein Glücksfall, denn das kann die ganze, streng geordnete, Tagebucharbeit durcheinander wirbeln.

Ein wenig zeichnete ich gestern noch auf Rolle 9, wodurch ich den Beginn einer Videokonferenz verpasste. Einzelne kleine Umrisse sind entstanden, wie die der Scherbengerichte.

Während der Malerei blitzte wieder das Thema „Flüssigkristall“, also die Verbindung zwischen fluid und kristallin, auf. Seit einem Gespräch mit einem Mathematiker der SAP auf dem Danteplatz in Heidelberg, gehen mir dieser Gegensatz und seine Übergänge durch den Kopf.

Konzentrationsspirale

Es stellt sich die Frage, wie der Hang zu Figurenumrissen zustande kommt. Mitten in der Beschäftigung mit nichtgegenständlichen Flecken, daraus entstehenden Energielinien oder Eingrenzungssträngen, springen mir Figuren ins Auge, die aus Rokokozusammenhängen oder Märchenillustrationen stammen könnten. Vielleicht will das Hirn die Geschichten finden, die die Phänomene ordnen können.

Der Tag, Geburtstag meines Vaters, ist zerpflückt, durchsetzt mit Terminen, die nichts dem zutun haben, was mich wirklich beschäftigt. Dahin führt mich derzeit der Zusammenhang zwischen den Buchmalereien und den Transparentpapierzeichungen. Das erzeugt diese Ruhe, die ich nirgends sonst finde. Gestern löste ich Einzelfiguren aus den gefüllten Umrissen und setzte die Konzentrationsspirale in Gang.

Straßensperrungen, Baustellen und Engstellen des Verkehrs verdichten die zähen Bewegungen. Wenig Raum bleibt für einen schlendernden Gang oder schweifende Blicke. All das gewöhnt man sich auch ab, weil die Gelegenheit zur Übung fehlt. So flaniere ich durch die Bilderschnipsel meiner Erinnerungsfragmente.

Wettbewerb

Montags, wenn ich ins Atelier komme, beginnen sich die schwarzen Tuschelinien zu regen, wie Tiere, die bewegt werden wollen. Aber ich will sie beruhigen und möchte dafür eine heitere Konzentration aufbringen. Das wird zu einem Wettbewerb mit den gestrigen Wirbeln und Schwüngen auf Rolle 9. Diesen habe ich gestern, während der Buchmalereien, verloren und wurde in die Gravitation der Transparentpapierrolle gezogen. Auch jetzt muss ich mich wehren, um die Tagebucharbeit in Ruhe fertig zu machen.

Eigentlich will ich pausieren, um mich um andere Dinge kümmern zu können. Könnte ich es, würde ich den Südwestwind einrichten und mit ihm die Mauersegler herbeiholen.

Gestern wanderten wir durch die Auen des Kühkopfes. Die Insel wird von Altrheinarmen umflossen. Es ist ein Naturschutzgebiet, in dem der Wald schon wie ein Dschungel erscheint. Am Rhein trafen wir auf einen großen Kiesel-Muschelstrand.

Fremdkörper

In den Buchmalereien probierte ich heute die Aquarellfarben mit einer Schreibfeder aus. Diese Entdeckung schuf anfangs etwas inhomogene Ergebnisse. Mit etwas Übung kann mit dieser Technik eine neue Struktur genutzt werden.

Die Paarkonstellation des dritten Malereimotivs von gestern, übertrug ich auf Rolle 9 und verband sie mit den Schichten der letzten Tage. Die Übertragung der Transparentpapierzeichnungen auf die Rekonstruktionsreliefs gelang nicht so gut. Die collagierten Zeichnungsschnipsel nehmen sich auf den grundierten Formen noch wie Fremdkörper aus. Ich müsste sie mit einem spitzen Pinsel direkt auftragen.

Eine Meise hat sich ins Atelier verflogen. Sie hüpfte durch die Seitentür herein und sucht nun zwischen meinem Material nach Fressbarem. Das lenkt mich ab. Gleichzeitig versuche ich mich ruhig zu verhalten, damit sie nicht in Panik gerät und wieder hinaus findet.

Sammlung

Auf dem Weg ins Atelier hatte ich schon die Buchmalereien im Kopf. Unter dem Blätterdach der Allee wollte ich weg vom Krieg, von den Landkarten der Verluste. Indem ich ihnen meine Aufmerksamkeit entziehe, finde ich zurück zu meinen Bildern. Das ist die Antwort auf die überfallende Gewalt.

Gestern zeichnete ich nachmittags wieder weiter auf Rolle 9. Ich hoffe, diese konzentrierte Struktur auf die Bemalung der Reliefs übertragen zu können. Das geht wahrscheinlich am ehesten mit Collagen, indem ich die Transparentpapierzeichnungen mit Schellack schichtenweise aufklebe. Das ist das Projekt für den Nachmittag.

Beim Schreiben sitze ich im Gärtchen und schaue auf meine Sammlungen. Ich erinnere mich an den Flug einer kleinen verrosteten Kombizange, vor 15 Jahren, über das Dach vor meine Füße. Mit Öl wurde sie gängig und dient mir heute noch als nützliches Werkzeug. Ansonsten sammeln sich Scherben aus den Baugruben, Muscheln, hohle Aststücken, Steine, Schrauben, Samen, Tontöpfe und Befestigungsschellen.

KONTAKT

Am Nachmittag stieg ich gestern wieder auf Rolle 9 um. Zuvor stockte die Reliefarbeit, die Stabilität schlug um in ein rumorendes Unwohlsein. Mit den Federzeichnungen war das sofort beendet. Ich suchte nach spannenden neuen Umrissen und bekam sie aus der Vorarbeit geboten. Diese Vorgänge muss ich mit den Reliefbemalungen verbinden.

Die Buchmalereien sind vom Krieg durchdrungen. Strategien und ihre Opfer gehen mir durch den Kopf. In den Assymetrien verbluten die Menschen auf beiden Seiten. Es folgen festere Ländergrenzen mit neuen Schnittmengen der Militärbündnisse. Zwischen den Schraffuren irren Flüchtende durch die Korridorlabyrinthe.

Ich schließe mein Atelier fest, weil ich vielleicht ansteckend sein könnte. Ich halte mich fern von den anderen, habe meine Schüler für Morgen abbestellt und mache Verabredungen rückgängig, denn ich hatte einen KONTAKT. Ein offizieller Test am Morgen war noch NEGATIV. Die Arbeit geht weiter. Das ist POSITIV.

Stabilisation

Die Rekonstruktionsreliefs bearbeitete ich mit Schellackschichten, Tuschelinien und –wolken und schuf weitere Höhen mit Weißschichten. Erholsamerweise geht es zunächst um Handwerk. Es ist, als ob ich einem vorsichtigen Sound folge, Kompositionen, die durch meinen Körper schwingen, sich bündeln und mit den Händen übersetzt werden.

Als würde die Gesangsarbeit von Carola schon jetzt eine Energiekammer bilden, kommen plötzlich Anfragen zur Holzlagerhalle. Sie wird am Wochenende beginnen, ihr Interpretationsvideo dort einzurichten, alles zu proben, um es in den kommenden Wochen aufzunehmen.

Keine Arbeit an Rolle 9 gestern. Stattdessen stelle ich mich auf das Reliefmaterial ein. Das erzeugt auch eine andere Stimmung. Die kompakten Fragmente wirken stabilisierender, als die Transparentpapierzeichnungen und deren Flüchtigkeit.

Bündeln

Die benötigte Unterbrechung der anhaltenden Kontinuität der Arbeitsbezüge, leite ich mit einem Kaffee ein. Den gab es im Atelier, im gleichmäßigen Fluss der Bilder, lange nicht. Diese Strömungen will ich nun wieder neu bündeln. Es geht dabei um die Rekonstruktionen, die ich im Raum installieren will, um deren Liniengeflechte, die in den Wandobjekten, die mir durch den Kopf gehen, ebenfalls ihre Rolle spielen und um die Kooperationen, die ich nun wieder aktiver fortführen will.

Die Rauminstallation, die im alten Holzlager entstehen soll, geht auch in die Videoaufnahmen ein, die dort eine Gesangskomposition für zwei Stimmen und einer Interpretin, zeigen sollen. Vielleicht passen die Fragmente der Reliefs auch viel besser zu dieser Arbeit, als das kompakte Väterprojekt.

Durch die diversen Kooperationen kommt es zu leichten, aber wichtigen Richtungsänderungen innerhalb der Arbeit. Die Dominanz der Transparentrollenzeichnungen, in deren Sicherheit ich mich gerne fallen lasse, muss etwas zurücktreten, damit ich mich auf diese anderen Dinge konzentrieren kann.

Suche nach Gegenständlichem

Manchmal suche ich in den Farbflecken, Wasserverläufen und Trocknungsrändern nach gegenständlich-figürlichen Umrissen, als bräuchte ich sie zum Festhalten.

Auf Rolle 9 arbeitete ich an den freigestellten Umrissen weiter. Auch hier gibt es immer wieder eine Tendenz zum Gegenständlichen. Ich bin neugierig, was daraus noch entsteht. Diese Neugier ist der Motor des kontinuierlichen Fortschreibens der Bilder. Manchmal glaube ich zu früh, dass ich das Material, das ich von den Vortagen durchzeichne, schon verbraucht habe. Dann aber fällt mir auf, dass ich es in ganz neuen Konstellationen, in neuen Umrissen, weiter verarbeiten kann. Dafür muss ich aber ein wenig Abstand nehmen und innehalten.

Die Buchmalereien haben sich heute etwas gelockert. Der „Krampf“ in der rechten Hand hat sich gelöst. Ein paar neue Aquarellfarben, die ich gestern neben anderem Material kaufte, probierte ich mit Freude aus. Die Gesten wurden dadurch etwas ausgelassener.

Natürliches Wachstum

Was jetzt auf Rolle 9 entsteht, trennt sich formal vom gleichmäßigen Fluss der letzten Monate ab. Es begann damit, dass ich manche Umrisse nicht mehr mit dem vorausgegangenen Material anfüllte. Dann wurden die Lücken größer, und gestern traten wieder Einzelfiguren mit zunehmendem Abstand zueinander auf. Die aufeinander folgenden Phasen entsprechen dabei einem natürlichen Wachstum und sind eine Folge des Vorausgegangenen, bis zurück zum Kraftfeld.

In kriegerischer Geografie sind die Buchmalereien gefangen. Aus ihrer Starre werden sie entweder auf Rolle 9 oder in den Collagen der Scans, die mir seit einiger Zeit besonderen Elan verschaffen, gelöst.

Ich denke an kleinere geschweißte Metallfiguren, die mit anderen skulpturalen Versatzstücken kombiniert sind. Es existiert schon ein Dreiecksgitter, das eine Holzfigur durchdringt. Das kann ich mir auch mit Beton vorstellen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob mich die Übertragung der Figurationen, von Rolle 9 in Gitterskulpturen, weiter bringt.

Die zeichnende Hand verkrampft

Das Material, das ich vor etwa 2 Wochen auf Rolle 9 entwickelte, zeichnete ich in zwei Umrisse der gestrigen Buchmalereien. Die Flächen, die ich dabei ausspare, die also frei bleiben, könnte ich in der Abfolge einzeln freistellen und dann füllen.

Durch den Tod des Komponisten Harisson Birtwistle, dessen Oper „The Second Mrs. Kong“ ich in Heidelberg Mitte der Neunziger mit Videos ausstattete, erinnerte ich mich an diese erste große Videoarbeit an der Bühne. Nun bin ich weit entfernt davon und sehne mich nach Material, das ich mit meinen Händen formen kann.

Die Kriegsberichtsgeografie schleicht sich langsam in meine Buchmalereien ein. Wenn ich die sich überlagernden Umrisse schraffiere, denke ich an die Menschen, die dort sterben und leiden. Die Bildberichte bilden neue Zellen im Erinnerungstrakt. Die zeichnende Hand verkrampft.

Zeit – Energiespur

Am Morgen male ich drauflos. Körperlich reagiere ich auf Strukturen. Die Linien kommen aus dem Inneren. Denken stört dabei eher. Gestern war das noch stärker, weil dazu Musik von Wolfgang Rihm lief, die auch einem körperlichen Zustand zu entspringen schien. Ich meine weniger die Interpretation, als die Komposition. Die entstehenden Formen meiner Buchmalereien erinnern mich zumeist an etwas in der Ferne. So entsteht eine Spannung zwischen dem körperlich Nahen und der entfernten Erinnerung. Ich befinde mich dann auf einer Zeit-Energiespur. Eine andere Energie entsteht auf dem Weg der Suche. Das Material richtet sich nach diesen Linien aus, wie Kristalle, die sich nach physikalischen Mustern ordnen.

Ein solches Wachstum stelle ich mir für das Gitterobjekt vor, so es denn entstehen wird. Es kann von der Wand in den Raum wachsen, wie eine Pflanze. Die künstlerische Grundstruktur ist verinnerlicht, muss nicht mehr gedacht werden. Durch sie wächst dann eine vernetzte Kreislauflandschaft, erst auf Transparentpapier, dann mit Metallstäben.

Nach einer Pause werde ich nun wieder die Arbeit an Rolle 9 aufnehmen. Ich denke an den Zusammenhang von Linienverdichtungen in einem Umriss und an das Ausschneiden dieser Figur in der nächsten Arbeitsrunde. In dieser Leere lädt sich der Raum neu auf.

Dissonanz

In den Gesprächen mit Wolfgang Rihm las ich etwas über die Kraft der Dissonanz in der 4. Sinfonie von Sibelius, die in a-Moll steht. Ich höre sie in einer Aufnahme des Berliner Sinfonieorchesters von 1979. Kürzlich hatte ich schon einmal das Thema Disharmonien (7.4.), mit denen ich die Buchmalereien damals verstärken wollte. Die Schwester der Disharmonie scheint mir das Fragment zu sein. Das Paar tritt in den heutigen Miniaturen auf. Den Text aber, las ich nach der Malerei!

Die Ausstellung, für die mich Anna Meurer hier im Atelier fotografiert hatte, sah ich gestern in der Gründergeistvilla. Tänzerinnen, Musiker und bildende Künstler versammelte sie dort und zeigte auch die Interviews, die sie mit ihnen führte. Eine schöne kleine Ausstellung, in der mir die Anwesenden viele Fragen zu meiner Arbeit stellten. Ich verwies sie auf diese Texte.

Bei meinem Gang durch den langen Flur meiner Tagebucharbeit, schloss ich heute eine weitere Seitenkammer auf. In der Zelle schweben Linien, die ihren Zusammenhang verloren haben. Einige befreite ich aus der Haft und fügte sie ein. Dann schloss ich sie wieder. Vielleicht sollte ich die Türen beschriften.

Landschaftspflege

Absurderweise überlege ich, wie ukrainische Verteidigungsstrategien aussehen könnten. Dort, wo sich beide Kriegsparteien vermischen, befinden sich die Schnittmengen der Umrisszeichnungen meiner Buchmalereien. Da wird der Blutzoll entrichtet.

Die Nachmittage gehören der Landschaftspflege auf Teves West. Der Achtlosigkeit, mit der Müll die Umgebung verschandelt, wirke ich entgegen, indem ich neben dem Schnitt der Gesträuche und dem Brechen die vorjährigen trockenen Stauden, auch den Abfall einsammle. Das Schnittmaterial verbrenne ich, wenn es vollständig trocken ist.

So vergehen meine vorösterlichen Müßiggangnachmittage doch mit Arbeit. Diese aber erholt meine bildende Kraft. Heute, am Morgen, begann ich wieder im Gärtchen Dinge zu ordnen, die durch das Hinausstellen der frostempfindlichen Pflanzen notwendig wurden. Dadurch kam ich mit der Tagebucharbeit in Verzug.

Sog und Müßiggang

Auf dem Schotterhügel, den ich für die kleinen Eidechsen eingerichtet hatte, sah ich das erste Junge dieses Jahres, kaum 3 cm lang. Fünf der Alten lagen kreuz und quer in einer Mulde der Kräuterspirale und wärmten sich schon in der Morgensonne.

In dem Roman „Das Vorkommnis“ von Julia Schoch über seelische Verirrungen in Familienzusammenhängen, las ich einen neuen „Ost-Ton“. Kein Gejammer, keine politische Aufarbeitung – nur eine unprätentiöse, nüchterne, schnörkellose Sprache, die auf den Punkt bringt, worum es geht: formbare Erinnerung und ihre Folgen. Außerdem lese ich Gespräche mit Wolfgang Rihm. Er spricht mir oft, wenn es um die künstlerische Arbeit geht, aus der Seele. Ich bin mit dem Strömen, Strudeln und mit dem Sog meiner Arbeit nicht alleine.

Greife ich bei den Buchmalereien auch in den Aquarellkasten, dann wird die Szenerie, wie heute, etwas aufgemischt. Es ging etwas rabiat zu, aber das brachte neue Aspekte und Leben in den „Orchestergraben“. Lektüre, Gartenarbeit und Müßiggang bestimmten den gestrigen Nachmittag. Das fällt mir etwas schwer, tut aber gut!

Reduktion

Die entscheidenden Dinge für die weitere Arbeit bleiben Reduktion und Langsamkeit. Beim Pflanzengießen entdeckte ich weit oben an den Fenstern, ein Wespenartiges Insekt, das sich verflogen hatte. Ich unterbrach das Wässern, holte ein Glas, fing es ein und ließ es draußen frei, wo es in Richtung Südwesten das Weite suchte.

Für die Umrisslinien innerhalb der Buchmalereien, setze ich Farbflecken mit viel Wasser und umrunde sie mit Aquarellstiften. Ich glaube, dass ich entweder Abstand zu diesen Figuren bekommen oder näher herangehen muss, um weiter zu kommen. Dabei hat das Hineinzoomen in die Motive einen ähnlichen Effekt, als wenn ich vor ihnen Kulissenarchitekturen aufbaue, um eine andere Perspektive zu gewinnen.

Gestern hatte ich den Impuls, eine Osterpause einzulegen. Rolle 9, die mich beim Weiterzeichnen oft heftig in den Produktionsstrom reißt, müsste ich dann meiden. Am Bahndamm, wo ich die Brombeeren zurückgeschnitten, und eine Weide gepflanzt habe, entsteht so etwas, wie ein neues Gärtchen. Ich könnte mich also darum kümmern, die Tagebucharbeit machen und das andere lassen.

Lücken

Ich denke daran, die sich überlagernden Umrisse einzeln auf Rolle 9 zu zeichnen, voneinander getrennt. So kann ich mich jeder einzelnen Figur konzentrierter widmen. Das Verfahren würde den „Scherbengerichten“ von 2016 ähneln. Kleinere Serien dieser Umrisse wären so weiter zu verarbeiten, dass sie immer mehr aufgesplittert werden.

Mit Alexander besprach ich gestern, hier im Atelier, einen Herangehensweisen für unser Kreislauf – Projekt. Mir sind die Räume nun klarer, um die es geht und der Umfang der avisierten Installation wird deutlicher. Eigentlich will ich erst weiter denken, wenn das Vorhaben gesichert ist. Aber die Entwurfsmaschine rattert im Kopf.

Mit viel Ausdauer arbeitete ich gestern an Rolle 9 weiter. Dabei treten neuerdings in den dichten Liniengesträuchen Lücken auf. Manche Umrisse lasse ich einfach leer, zeichne also die durchscheinenden Strukturen nicht hinein. Das hat zur Folge, dass die Dichte der fortlaufenden Komposition aufgelockert wird. Diese Leerstellen sind in einem Gitter, das in der Form solcher Zeichnungen geschweißt wird, Räume für dessen Begrünung an einer Wand.

Strenge

Die Buchmalereien versuche ich mit Disharmonien zu verstärken. Am Morgen hatte ich den Impuls, strenger werden zu müssen. Das ist eine Reaktion auf die Kriegsberichterstattung. Kann man ihr Schönheit entgegensetzen?

Das kontinuierliche Weitermachen gerät unter einen anderen Stern. Das Überleben der Gestaltung muss sich gegen die Gravitation der Gewalt, die alles verschlingt, bewegen. Kraftspender sind die Buchmalereien und Rolle 9, die mir die Möglichkeit gibt, meditierend auszuharren und mich selbst im Lärm zu behaupten. Das stiftet auch die Kraft, die ich benötige, meinen Schülern in diesem Chaos der Seelen, ein Kompass zu sein.

Durch die Beschäftigung mit dem Kreislaufvorhaben und seiner Vorbereitung, hatte ich meine Liste von Projekten zu vervollständigen. Viele hatte ich vergessen. Indem alles noch einmal aufleuchtet, beugt es dem Nachlassen der Intensität der Arbeit vor. Es spendet Energie. Aber auch beim Nachdenken über die Kreisläufe verliere ich den spielerischen Zugang.

Rotationen

Der Leopard im Zoo läuft einen Kreis, der sein Käfig ist. Er streicht am Gitter entlang und schaut nach den Kleinen in den Kinderwagen, meint meine Tochter. Das Kreislaufgitter, das Alexander und ich an der Schule anbringen wollen, sollte mit einjährigen Kletterpflanzen bewachsen werden. Aus ihren Samen werden dann die Exemplare für das nächste Jahr gezogen.

Landgewinne und Verluste an Leben. Die Kosten sind immer zu hoch und können nur durch die vernünftige Erkenntnis dessen eingegrenzt werden. Die Voraussetzung dafür ist die Hoffnung, die Gespräche möglich macht. Aber sind das mehr als wiederkehrende Rituale, vorgefertigte Texte aus Einnerungs – Rückkopplungs – Lärm? Rotierende Panzerketten, Drohnenloopings und sich schließende Belagerungsringe.

Im Atelier laufe ich zwischen meinen Sammlungen herum. Die Mittelsäule gibt dabei den Weg um sie herum vor. Der Gedanke an Reduktion fällt schwer. Einzig ein langsam schwindender Bewegungsraum motiviert mich, einen großen, leeren Müllcontainer hereinzufahren, um ihn mit Überflüssigem zu füllen. Es gleicht einer letzten großen Arbeit, bevor sich der Kreis schließt.

Rückkopplung

Mit den Umrissen der Farbflecke suche ich nach einer neuen Möglichkeit, in den Buchmalereien Spannung zu erzeugen. Während einer Arbeitspause, sah ich im C/O Berlin Arbeiten zum Thema Wolken. Sa gab es Anklänge, die ich mir zunutze machen könnte. Es ist die Frage, ob die Überschneidung von Umrissen und die dadurch entstehenden Schnittmengen-Figuren, eine Form haben, die sich auch digital erweitern ließe. Die 3D-Programme haben Werkzeuge mit denen sich das gut machen ließe.

Ein Algorithmus für Gesichtserkennung wurde mit einer auf die Wolken ausgerichteten Kamera verbunden. Sie wurde ausgelöst, sobald ein Gesicht zu erkennen war. Meine eigene Fähigkeit, Dinge wieder zu erkennen, die ich ähnlich schon einmal gesehen habe, ist ziemlich ausgeprägt. Ich bringe Erscheinungen in Deckung, die sich nur entfernt ähnlich sind. Das führt mich manchmal in die Irre. Das wirkt sich auch auf meine Arbeit aus. Dort entsteht eine Art Rückkopplungseffekt der Erinnerungsschleifen.

Die Buchmalereien sehe ich in den letzten Tagen nur noch als ein Grundmaterial an, das für die Entwicklung weiterer Arbeitsgänge genutzt werden soll. Ihre Eigenständigkeit ist mir gerade nicht so wichtig. Für etwas Aufmunterung sorgt der Blick auf Rolle 9.

Materialität

Eine Blättersammlung im Romantikmuseum rührte mich besonders an. Es sind die Aufzeichnungen der Visionen der Anna Katharina Emmerick von Clemens Brentano. Die Materialität des Pergaments, der Tusche in der winzigen Schrift, der Zeichnungen und Collagen dieser protokollierten Jahre, hat etwas mit meiner Arbeitshaltung im Atelieralltag zutun.

Die Bleistiftdurchzeichnungen der Umrisse der Buchmalereien auf Transparentpapier, die ich dann für Rolle 9 benutze, liegen auf einem Stapel. Die durchscheinenden Linien verschlingen sich zu einem raumgreifenden Gesträuch. Das ist eine Herausforderung.

In der 1. Buchmalerei von heute drängen sich drei Figuren, die aus einem Handkantenabdruck entstanden sind, aneinander. In einer befindet sich eine Dreiecksgitterkonstruktion. Ein grünes Land verbindet sie mit einer weiteren Figur, die ebenfalls ein Dreiecksgitter führt. Die Gewänder bauschen weit in ihren kleinen angedeuteten Drehungen. Erst später entdeckte ich die zwei Figurenumrisse in der 2. Malerei und umrandete sie dann noch einmal mit Tinte. Sie haben eine direkte Beziehung zueinander. Die rechte verneigt sich höflich. Die andere, kleine blaue, spendet Beifall. Auf 3 geht es ziemlich durcheinander. Eine zerrissene Komposition, in der gleich etwas geschieht, das alles anders aussehen lässt.

Zwischenräume

Die Zwischenräume, die wieder umrissene Flächen bilden, sind ein Potential der stetigen Erfindung von Formen, die wieder Zwischenräume bilden. Windstille zwischen den Wirbeln oder Gravitationslöcher, in denen alle Anziehungskraft aufgehoben ist, bilden Aufenthaltsorte für Segelschiffe und Weltraumteleskope.

Zwischen den Umrissen der Farblachen treten Gebilde auf, die aus meinem Blick wachsen. Auf sie traf ich auch gestern im Romantikmuseum. In den Siebzigerjahren malte und zeichnete auch ich vor der Natur. Dafür wanderte ich mit den Malutensilien, bis ich die geeigneten Motive gefunden hatte, an denen ich mich ausprobieren wollte. Im Atelier hängt eine Zeichnung aus der Sächsischen Schweiz aus dem Jahr 1978. Da ging es mit einem unstet kreisenden Strich schon rasanter zu.

Noch von diesen Erfahrungen zehren die Linien, die heute in den Buchmalereien entstehen. Verdichtungen zeigen die Stellen besonderen Interesses, die dann aber auch verwischt werden können. Durch die Handkantenabdrücke werden die Linien und Formen weicher, Räume entstehen, in denen sich Szenen abspielen können.

Wunschbilder

Die „Rivere“, die Widersacher des Kristallwaldes, „kummen ab“. Die Giraffen wanken wegen des Regens zum Brandberg. Wunschbilder der Buch- und Felsenmalereien, auf die nächsten Tage ausgerichtet, auf die nächsten Schritte im Aleenstaub, Schokoeis vielleicht?

Gleichmaß auf Rolle 9 – ein dramaturgischer Blindflug, fadenscheinige Farbigkeit in den Buchmalereien, verwischt und verwaschen. Konstruktionen fehlen, aber nachträgliche Stützgitter habe ich nicht im Programm. Höchstens innerhalb der Collagen, später. Erstmal Finsternis, die ich verflüssigen kann, damit Schwere stabilisiert. Zwischen dem bewegten Lärm hat es die geneigte Aufmerksamkeit schwer. Aber sie verschwindet nicht!

Im Traum lag M. zusammengerollt in einem runden Kinderwagen und schlief. Ich träufelte warme Suppe auf seinen Kopf, damit der ruhig weiterschlafen kann. Das klappte nicht. Er wachte auf – mit mir.

Das Vorher und Nachher

Die eingefrorenen Szenen der Buchmalereien verweisen auf ein Vorher, bevor du die wirbelnde Bewegung begannst, in denen sich die Indigoverdichtungen verflüssigten. Unter Hinzufügung von flüssigem Sauerstoff kam es zur Kristallisation. Zähe Zwischenstadien bilden Flecken gewonnenen Territoriums. Es geht hin und her – fließen und gefrieren.

Entstehende Figuren verweisen auf Orientierungsräume. Ihre Existenz trägt zur Bildung von Erklärungsmustern bei. Je nach der Umgebung, in der sie ihre Umrisse wiederholen, sorgen sie für ein individuelles Vorher und Nachher. Verbindungslinien zwischen ihnen sind flexibel wie Spinnweben. Es sind Magnetlinien. Sie beeinflussen meine Entscheidungen, dem Zufall mehr Raum zu geben, oder die Gestalten, die durch den Filter meiner Erinnerung Kontur gewinnen, die Handlung vorantreiben zu lassen. Es geht hin und her Zufall und willentliches Bilden.

Die Echoschleifen des Umgebungssounds, seine Rhythmik, dumpfe Schläge, Explosionen und dazwischen Rufe, wie Orientierungsschallwellen. Ihre Übertragung in die Buchmalereien bindet das Vorher und Nachher an die szenografische Idee. Musik schafft eine eingegrenzte Sphäre. Die kristallisierten Wälder wachsen dabei weiter.

Nächster Level

Die Vergegenständlichung der Umrisse rührt scheinbar öfter von romantischen Märchenillustrationen her, wie bei Ludwig Richter etwa. Auf Rolle 9 schließen sie sich zu surrealen Gebilden zusammen, die neue Geschichten erzählen. Dabei genieße ich die Handwerklichkeit von Feder und Tusche und treibe dieses Tun soweit, bis der nächste Level erreicht ist.

In den Collagen suche ich nach dem produktiven Zusammenspiel von Buchmalerei und Federzeichnung. Durch den Abstand dieser Techniken, entsteht viel Unruhe. Ich brauche mehr Ordnung, opake Flächen, die den Blick in die Vergangenheit öfter versperren. Das Erzählerische, was durch die Schichtungen entsteht, befindet sich auch in den Friesen von Rolle 9. Zum einen durch die Aneinanderreihung von Motiven, aber auch durch die Schichten, mit denen die Umrisse gefüllt werden. Man kann beim Vorübergehen an einer Stelle stehen bleiben und mit dem Blick in die Tiefe gehen.

Das Zusammenspiel von älteren Zeichnungen und den Umrissen der gegenwärtigen Buchmalereien steigert sich auf Rolle 9 zu einer verwobenen Gestaltungstechnik. In ihr verbinden sich Szenen aus fernen Erinnerungsregionen, fragmentierten Gegenständen und Figurenumrissgesträuchen, schichten und verflechten sich.

Stille

Mit Kuben verschränkte Tanzfiguren platzierte ich in die fortlaufende Erzählung auf Rolle 9. Zu ihnen werden sich die Figurenumrisse gesellen, die ich heute, zusammen mit der Kartierung von Landverlusten, gefunden habe. All das mag kein Widerschein des Schreckens sein, der über Smartphonevideos aus den Kellern der belagerten Städte dringt. Aber er wohnt in der Zeichnungen und Träumen.

Es ist wegen eines Bombenfundes ganz still auf der Nachbarbaustelle. Ganze Wohnviertel sind leer wegen der Entschärfung. Man kann die Frühlingsgesänge der Vögel hören. In einer Aufwallung etwas sichtbar Sinnvolles zu tun, habe ich auf der Wiese und einem großen Teil der Freifläche, Papier, Plastik und Zigarettenkippen aufgelesen. Lautsprecherwagen fordern die Bevölkerung auf, sich aus den Gefährdungszonen zu begeben. Unser Gelände ist ausgenommen.

Der Fußweg am Mittag führte mich am Atelier von Franz vorbei. Wie redeten über unsere gegenwärtigen Themen und kamen auf unser gemeinsames Interesse an der Romantik zu sprechen. Ein Substanzverlust innerhalb länger anhaltender, technologisch kontinuierlicher Arbeitsphasen, kam zur Sprache. Für mich ist kein Technikwechsel notwendig, um auf etwas überraschend Neues zu stoßen. Mit den Kindern grundiere ich gleich die Kleiderschnittreliefs, die wie am vergangenen Donnerstag ausgeformt haben. Dann beginnen wir im alten Holzlager eine Installation einzurichten.

Zugehörigkeit

In den Umrissen der Buchmalereien finden sich die Landgewinne und –verluste in stetiger Verdichtung mit älteren Motiven. Automatisch führe ich das immer weiter. Ich will es unterbrechen und muss mich dazu zwingen.

Auch das Aufrufen der Vergangenheit, der Tradition meiner Arbeit, verschafft mir nicht genügend Abstand. Als fiele ich auf meine eigene Propaganda herein, finde ich die unaufhörlichen Überlagerungen weiterführend. Material, das ich schon 2020 recycelte, rufe ich wieder als Umrisse auf und fülle sie mit neuem Gesträuch.

Bei der Beschäftigung mit der Malerei der Romantik, begegnet mir meine Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Es gibt den Kreis um Friedrich und den der Nazarener. Die Kooperationen sind eine Reaktion auf dieses Gefühl. Die vielen Schichten der Zeichnungen, bereiten den Boden für die Aufnahme anderer Arbeitsweisen. Der Kleiderschnitt als Kraftfeldrelief…

Medea I Zeithorizont I Aggregatzustände

Wenn ich im Fluss meiner Arbeit aus dem Tritt gerate, innehalten muss, um keinen Schaden anzurichten, richtet sicht der ausruhende Blick auf die Suche nach dem Horizont. Gestern schaute ich dabei in die Zeit, in der ich mich mit dem Medeathema beschäftigt habe. Jeweils über 60 Zeichnungen zu „Medea Stimmen“ in der Inszenierung von Wolfgang Engel in Leipzig und zu „Medea“ von Euripides, in der Inszenierung von Uli Becker in Stuttgart. Außerdem arbeitete ich an „Medeatlantica“ in Salvador da Bahia und in Heidelberg an „Medeamaterial Verkommenes Ufer Landschaft mit Argonauten“ von Heiner Müller. Ein Bühnenbild zur Oper „Medee“ folgte später auch in Heidelberg. All das prüfe ich auf seine Eignung für die Weiterarbeit auf Rolle 9.

Wasser als Kreislaufelement gibt es fluid, kristallin und gasförmig. Wie sehen die Übergänge zu den verschiedenen Zuständen aus? Diese Frage warf sich innerhalb der Beschäftigung mit den Gitterstrukturen des „Trixel Planet“ auf.

Zwar zeichnete ich die Verdichtungen auf Rolle 9 weiter, stockte aber angesichts dieser Blicke in die Vergangenheit. Deren Horizont verläuft von hinten und links seitlich von mir bis in die Zukunft nach vorne und rechts wieder zurück – eine Kreisbewegung.

Romantik I Suche nach dem Horizont

Schon im Januar hatte ich das Gefühl, mich näher mit der deutschen Romantik beschäftigen zu müssen. Gestern Abend bekam das noch einmal einen Schub. Ein Freund ordnete uns Johann Gottlieb Fichtes Werk, mit dem er sich beschäftigt, in seine zeitliche Umgebung ein.

Ich merke, dass ich mich, durch die Arbeitsweise mit den Transparentpapierrollen, mit den Phänomenen, die um mich herum existieren, in Beziehung setzen kann. Auch das Wandern durch die Zeit öffnet viele Türen, hinter denen Versuchsanordnungen stehen, die Stoffe aus verschiedenen Zeiten vermischen. Die Reaktionen führen zu Überraschungen.

Verdichtungen, Fragmentierungen und Energieimpulse daraus, lenken meine zeichnende Hand. Später erst kann ich erkennen, was mit den Linien neu entstanden ist. 1997 war für mich ein Vogelmensch neu, dessen Binnenstruktur von kreisenden Konzentrationen in kristalline Trixelstrukturen überging. In der vergangenen Woche füllte ich seinen Umriss mit Linien aus der „Suche nach dem Horizont“, zu der auch 1997 drei Zeichnungen entstanden. Mit diesem Vorgang bin ich noch nicht fertig, weil ich nun das Transparentpapier von hinten her zusammenrolle, um die gefundenen Figurationen in die der Tage zuvor, zu transportieren. Was dort als Neubildungen entsteht, tritt dann, bei umgekehrter Roll- und Arbeitsrichtung, den Weg in die Gegenwart an. Es ist nur vage vorstellbar, was daraus wird.

Kooperation I Besuch I Reliefring

Mit den Schülern kümmerte ich mich gestern um das Kooperationsprojekt. Von dem Schnittmusterbogen für ein Kleid von Claudia, weiterbearbeitet von Maya, übertrugen wir die Umrisse auf Pappe. Dann schnitten wir sie aus, durchweichten die Formate mit Leimwasser und drückten sie in die Kraftfeldreliefform. Vorher wurden die tiefer liegenden Linien von zwei größeren Reliefs mit Tusche eingefärbt. Die entstandenen Bilder haben Energie, eine kraftvolle Ausstrahlung. In der kommenden Woche werden wir die Schnittmusterreliefs bemalen und das ganze Material im alten Holzlager aufhängen.

Besuch von Frau Kanamüller aus dem Planungsamt und Frau Hübener, der Quartiersmanagerin vom Ben-Gurion-Ring, in meinem Atelier. Sie stellten die Frage, warum ich nicht ausstelle. Ich werde ihnen den Link zu meinem Arbeitstagebuch schicken. Das ist meine Präsenz im öffentlichen Raum.

Auch Alexander schickte ich den Link zum gestrigen Kreislauf-Text. Um an diesem Thema weiter zu arbeiten, möchte ich gerne etwas weiter in die Anfänge von „Trixel Planet“ schauen. Gezeichnetes Dreiecksgittermaterial von damals, fügte ich in die heutigen Collagen ein. Außerdem stieß ich auf den Entwurf eines Reliefringes, der auf Stelzen steht und den man umrunden kann.

Kreislauf

Im Kreislauf der Transparentpapierrolle bereichern weitere Figuren von 1997/98 das Geschehen. Den Abstand von 25 Jahren zu überwinden, versuchte ich mit dem Kontrast von Überlagerungsprozess und eingefügten Reduktionen. Außerdem übertrete ich mit den durchgezeichneten Linien von den Vortagen manchmal die Figurenumrisse. Mit dieser Variation überwinde ich die Strenge des Zeichenvorgangs auf Rolle 9, der lediglich das Ausfüllen der Umrisse vorsah. So tauchen Kentauren, Giraffen und gebogene Figuren auf, die tänzerisch-blind den Raum ertasten.

Ein Gitterwerk, das diese Motive aufnimmt und miteinander verschränkt, kann auch als ein geschlossener Kreis aufgestellt werden. Somit greifen die Motive in unendlicher Folge ineinander. Aus dem „Kraftfeld“ sind dreieckige Motive entstanden, deren Anschlussfähigkeit an allen 3 Seiten gegeben war. So wuchsen die Linien zu einer flächig-ornamentalen Komposition zusammen.

Mich berühren die alten Zeichnungen, die mir manchmal wahrhaftiger vorkommen, als das was dann in den Folgejahren bis 2005 entstand. Öfter denke ich an ein Projekt, das mir erlaubt, all dieses Material der letzten 50 Jahre, zu ordnen. Wenn das in ein neues gestalterisches Vorhaben münden könnte, würde mir das leichter fallen.

1997 und 2022

Die gezeichneten Figuren von 1997 begann ich auf Rolle 9 zu übertragen. Die Zusammenführung und Schichtung mit dem gegenwärtigen Material, war etwas abrupt und gewaltsam. Das ist wie ein Zusammentreffen sehr verschiedener Welten, deren Gemeinsamkeiten und ihr Potential im Zusammenwirken erkundet werden soll. Die Begegnung der klaren, linearen Figuren mit den chaotischen Verflechtungen der Umrisskartierungen, Verdichtungsmuster, Wiederholungen, Rückverweisen und Fragmentierungen, sind mit einer Ahnung vergeblicher Anstrengungen verbunden. Also weiter, weiter, nicht anhalten, damit sich dieser Gedanke nicht noch mehr Platz verschafft.

Eine kentaurische Figur hat sich gedreht, läuft nun zurück und schaut gleichzeitig nach vorne. Was sie sieht, treibt sie in die Vergangenheit.

In der Folge der Vorgänge auf Rolle 9, tauchen in den Buchmalereien erneut Figuren auf. Auf dem Transparentpapier suche ich nach der Überbrückung der 25 Jahre. Das soll aus dem aufkeimenden Gefühl der Vergeblichkeit heraus führen. Dieser Motor darf nicht ins Stocken kommen.

Alte Zeichnungen

Eine Reihe von Figuren, die ich am 14.2. 1997 zum Thema „Auf der Suche nach dem Horizont“ zeichnete, begleiteten mich durch die Nacht. Beim Durchblättern der alten Tagebücher aus dieser Zeit, entdecke ich noch mehr Zeichnungen, die sich für eine Struktur eignen würden, die ich mit Alexander für ein gemeinsames Projekt besprochen habe. All das stapelt sich zu vielen Gestaltungsmöglichkeiten eines geschweißten Gitters an einer großen Wand, das sich auch plastisch ausstülpen kann. Eine Auswahl könnte ich auf Rolle 9, während der Überlagerung der alten Motive aus der Anfangszeit des „Trixel Planet“ erarbeiten.

Das hat nun plötzlich nichts mehr mit den Umrissüberschneidungen zutun, an denen ich innerhalb der Buchmalereien bin. Sie wurden in den letzten Tagen ungestümer, von einer Ungeduld angetrieben. Fahrige Gesten, fließende Farben und malträtiertes Papier.

Eine Ausstellung mit Künstlerinterviews und Fotografien von ihnen, wird Übermorgen eröffnet. Auch, wenn ich dort, unter vielen anderen, gezeigt werde, gehe ich nicht zu einer Eröffnung. Ich habe zu viele andere Dinge zutun. Auch Franz hat angerufen, der ebenfalls porträtiert wurde.

Schlechtes Gewissen

Die Sackgasse in Sicht, bin ich, während der Buchmalerei, 2 x links abgebogen. Zunächst traf ich auf Magnetfeldlinien, dann auf Probebühnenarchitektur, und aus einem Spiralnebel formte sich eine Gestalt. Das war das Ergebnis meiner Fluchtbewegung.

Noch augenfälliger wird die Stagnation auf Rolle 9. Dort gehen die unruhigen Umrisse aus den „Morgenminiaturen“ auf langer Strecke ineinander über. Die Füllmuster übertreffen sich von Abschnitt zu Abschnitt. Aber diese Geschäftigkeit bekommt etwas Eintöniges. Das möchte ich heute, am Freitag, unterbrechen. Den ersten Schritt dahin, habe ich am Morgen getan.

Eine Fliege, die im Atelier überwintert hatte, flog durch die offene Tür in die kalte Wintersonne. Ein fast ortsfestes Hoch drückt Polarluft, zwischen dem 20. und 40. östlichen Breitengrad, nach Süden. Bei uns kommt der Wind aus südlichen Richtungen. Das ist ungerecht! Wildbienen patrullieren vor den Lochziegeln, die ich an die Atelierwand gehängt habe. Die ersten Mauereidechsen sonnen sich unter der Acrylglaskuppel. Im Gärtchen schnitt ich Ahornbäume, um einer Feige, die ich von meinem Nachbarn Gerhard geschenkt bekommen habe, mehr Licht zu verschaffen. Heute habe ich noch keine Nachrichten gehört und fühle ein schlechtes Gewissen.

Wie Stille

An dem zerlöcherten Arbeitstag gestern, zeichnete ich weiter auf Rolle 9. Diese Umrisse, die sich dort in einer langen Reihe überlagern, erscheinen mir nun überall: auf den Landkarten der Kriege, in den Auflösungserscheinungen des Betonbodens vor dem Atelier und im Wachstum meines Gärtchens. In die Ritzen der, vor langer Zeit gegossenen, Betonplatten treiben meine Weiden ihre Wurzeln. Irgendwann sprengen sie hoffentlich die Schollen auf und verwandeln die Betonlandschaft in ein romantisches Eisgeschiebe.

Bohrfahrzeuge treiben auf der Nachbarbaustelle Löcher mit einem Durchmesser von etwa einem Meter und einer Tiefe von vielleicht 20 Metern in die Landschaft um die Baugrube. Kein Sandkorn des alten Schwemmlandes blieb auf dem anderen. Der Höllenlärm, der dabei entsteht, macht kurze Pausen, in denen mir das Stadtgeräusch wie Stille vorkommt.

Das kontinuierlich fließende Linienmaterial aus den Umrissen der Buchmalereien, reiht sich seit dem 5.3. in ein geschlossenes Band. Ich verfolge das weiter bis in die Sackgasse, deren Ende schon langsam in Sicht kommt. Im Traum der vergangenen Nacht konnte ich mit einem kleinen Strahlaggregat fliegen.

Konturen

Die Umrisse der Handkantenabdrücke bilden langsam eine neue, eigenständige Qualität innerhalb der Buchmalereien, der Collagen und auf Rolle 9. Sie sind Aufmarschzonen, Fluchtkorridore, Geländegewinne und das fragmentierte Land. Mittlerweile denke ich daran, diese Konturen, gemeinsam mit Farblasuren, die sie ausfüllen, auf die Reliefs zu übertragen.

Propagandaornamente monarchischer Macht zum Frauentag: Im Zentrum der Zar, beidseitig angehimmelt von Models. Unverschämte Rhetorik in bunter Symmetrie.

Arbeitswut schlägt sich auf Rolle 9 nieder. Als müsse ich für mich eine Gegengewalt etablieren. Ich kenne solche Arbeitsphasen, weiß, wie sie sich ankündigen und beschleunigen. Früher ließ ich das laufen. Heute bin ich vorsichtiger.

Zyklen

Auf Rolle 9 überschneiden sich schnell neue Umrisse. Sie stammen nicht mehr von den Collagen, sondern direkt aus den Buchmalereien. Dabei entwickle ich die Reduktion der Überlagerungen weiter. Ich suche noch nach einem Vorgang dafür, der direkt aus der Arbeitsweise des Zusammenrollens des Transparentpapiers und dem Durchzeichnen der vorausgegangenen Strukturen erwächst.

Dieses Vorgehen kann mit dem Grundgedanken des Kreislaufs, den Alexander für unser nächstes Projekt gefunden hat, verbunden werden. Sich wiederholende Motive verändern sich bei jeder Umdrehung. Zyklen des Wachstums und der langsamen Weiterentwicklung ließen sich reduziert verbildlichen. Damit würde der Gedanke an eine Dreiecksgitterfigur in den Hintergrund treten.

Durch das Spiel mit den Tuschezeichnungen und den Buchmalereien, kommt es bei den Collagen ebenfalls zu Reduktionen. Diese Arbeit mit den abstrakten Umrissen, die am ehesten Ländergrenzen ähneln, lässt die Entwicklung der Reliefs stocken. Ich dachte an lasierend flächige Farbigkeiten. Diese Dimension würde die Dominanz der Liniengestaltung verringern.

Schnittmengen

Schnittmengen umrandeter Handkantenabdrücke sind wie die Landkarten aus der Kriegsberichterstattung. Die unterschiedlichen Füllungen entsprechen den Überzeugungen der Kämpfer oder ihrer Verunsicherung durch die um sich greifenden Lügen. Heldentum, das hoch im Kurs steht, geht mit der Verhältnismäßigkeit von Tod und Gerechtigkeit einher.

Seit ein paar Tagen steht ein Projekt im Raum, in dessen Zusammenhang ich über eine Dreiecksgitterfigur nachdenke, die ein zu begrünendes Gerüst bildet. Da die Figur im Freien stünde, wäre im Winter die Gitterkonstruktion zu sehen. Im Sommer wäre sie in Pflanzen gekleidet. Weil es auch um Fassadenbegrünung geht, stelle ich mir das Ganze als ein Relief vor, aus dem diese Figur tritt oder schwebt. Sie würde aus der Wand wachsen. Die Initiative kommt von Alexander. Wir wollen das noch in dieser Woche besprechen.

Einen Umriss der 2. Malerei vom 4. März, zeichnete ich am Sonnabend auf Rolle 9. Er befindet sich in den heutigen Collagen. Beim weiteren ausfüllen möchte ich die Linien, mit denen ich die Figuren fülle, reduzieren, wie ich mir es in den vergangenen Tagen schon vorgenommen hatte.

Grenzen

Aus der groben Schraffur in 1, der ersten heutigen Buchmalerei, entwickelten sich, durch die Übertragungen der Struktur mit der nassen Handkante in 2 und 3, Figuren. Die Linien der Papiergravuren verbinden sich mit denen meiner Haut.

Der Umriss, den ich gestern aus der 2. Collage zunächst auf ein Einzelblatt übertrug, Ist spannender als die überlagerte Variante auf Rolle 9. Dort stoße ich mit den Schichtungen auf Grenzen und will mich weiter auf die Reduktion der entstehenden komplexen Szenen bemühen, um klarer zu sehen.

Mit meinen Schülern presste ich Pappmache in die Form. Es entstanden 3 große und 3 kleinere Reliefs. Wenn man diese Arbeit anderthalb Stunden macht, wird es wirklich anstrengend. Ich bekam den erhofften Impuls, mich nun um die weitere Bemalung der Reliefs zu kümmern. Dabei denke ich zumeist an die Kooperationen. Ein Relief mit dem Umriss des Kleiderschnittes von Claudia ist dass nächste Vorhaben. Ich denke dabei an eine Installation mit Drahtkleiderbügeln, Reliefs und Transparentpapieren in einer Kulissenarchitektur.

Reduktion

Etwas störrisch gerieten heute die Buchmalereien. Akzente eines Tuschepinsels, in der sonst zurückhaltenden Umgebung, forderten etwas kräftigere Gegenbewegungen.

Die Kulissenarchitektur der 3. Malerei, samt ihres Personals, übernahm ich gestern in die dritte Collage und übertrug dann Umrisse daraus auf Rolle 9. Indem ich einen Bogen weißes, undurchsichtiges Papier mit einrolle, verhindere ich den Durchblick auf zu viele Ebenen. So konnte ich den Umriss lediglich mit den Linienstrukturen des Vortages füllen. In dieser reduzierten Überlagerung wird der Vorgang deutlicher, die kontinuierlicher Bezüge zum Vortag sichtbarer. Diese Klärung kann der Weiterverarbeitung auf den Reliefs dienlich sein. Ich zögere diese Arbeit etwas heraus, bin noch mehr mit der Transparentpapierrolle beschäftigt. Oder ich beschäftige mich mit ihr, weil die Zeit für die Reliefs noch nicht reif ist. Vielleicht geben mir meine Schüler heute einen Impuls.

Die Konzentration inmitten der allgegenwärtigen Kriegsnachrichtenmaschinerie beizubehalten, ist ein nicht unwichtiger Teil der gegenwärtigen Arbeit. Über die Pandemie spricht niemand mehr. Ist sie vorbei?

Mehrfaches Durchzeichnen

Am Morgen bezog ich die Buchmalereien auf Glenn Goulds „Goldbergvariationen“ von 1981. Ich hörte sie während ich malte.

Umrisse aus der 2. Collage von gestern zeichnete ich auf Rolle 9 und begann sie mit den Strukturen, die ich zuvor am 4.2. auf dieser Transparentpapierrolle herstellte, zu füllen. Nun meine ich in diesen Linien sehen zu können, wie es mit der Beschichtung der Relieffelder weitergehen kann. Durch das mehrfache Durchzeichnen, was immer mit leichten Korrekturen der Größenverhältnisse einhergeht, entstehen spannungsgeladene Kompositionen. Diese würde ich gerne, auf den glatten Feldern der Reliefs, frei nachempfinden. Genügend grundierte Reliefs sind vorhanden, auf denen ich das probieren kann.

Morgen kommen neue Schüler in mein Atelier. Mit ihnen möchte ich nun ausschließlich an der Kooperation mit den anderen Gruppen arbeiten. Die Rekonstruktionsreliefs des Kraftfeldes sollen Träger der Gestaltungen werden, die in den anderen Ateliers entstehen.

Genügend Licht

Es braucht kein elektrisches Licht. Die Sonne steht südöstlich und füllt den Raum. Der Lichtvorrat, den ich in den letzten Wochen aufnehmen konnte, wird auch eine Zeit vorhalten. Etwas vorsichtig und langsam steige ich wieder in die Arbeit ein. Das tut seht gut!

Als wir gestern mit dem Taxi vom Flughafen in die Stadt kamen, hatte ich Lust sie neu zu entdecken – etwas in ihr zu schlendern. Sina fragte mich, was ich einer Spezies nach unserer, in einer Zeitkapsel hinterlassen wollte. Ich stelle mir vor, dass sie mit einem Bleistift und einem leeren Buch wenig anfangen könnten. Aber ich habe mal einen schwarzen Stein gefunden, auf dem lauter Lichtpunkte saßen, die wie unser sichtbares Universum aussahen. Man konnte ihn auf einer glatten Tischplatte lange kreiseln lassen.

Mit Blick auf die Produktion, die vor 4 Wochen zum Stillstand kam, scheint der Neubeginn darin deutlich auf. Die Tuschzeichnungen auf Rolle 9 greifen auf die Buchmalereien zurück und bilden Material für die Oberflächen der Reliefs, die für die Rekonstruktion vom Kraftfeld entstehen.

Kreistraining

Mit einem Gravurkrakel ging ich am Morgen neu in die Tagesbilder. Währen der Herstellung der kleinen Malereien kommt mir immer mehr ihre Weiterverwendung in den Sinn. Die Collagen, die mittlerweile wieder die Verdichtungen von Rolle 9 in sich aufnehmen, woraus dann wieder neue Umrisse entstehen, die sich in neuen Collagen erneut mit den Malereien verbinden, bilden einen Kreislauf – Versuchsaufbau, dessen Funktion ich konsequenter verfolgen will. Runde um Runde sollte ich die Zwischenergebnisse in den Stationen deutlicher machen.

Zwei Figuren in 2 verheddern sich in einem Dachlattenchaos. Sie wollten was bauen, wissen aber erst mal nicht weiter. Während dessen führt Jonathan Nagel seinen gestrichenen Bass in die Höhe. Der Bogen gibt dem Lattengewirr die Richtungen seiner Konstruktion vor. Rechts ist sie schon zu ahnen und in 3 bereits so stabil, dass sie Energie aus 1 duplizieren kann. Das ökologische Konzept der gestrichenen Basshöhen.

Auf Rolle 9 arbeitete ich mit der Collage 19_03 vom 26. Januar. Ihre Umrisse zeichnete ich auf ein Einzelblatt und dann, noch einmal korrigiert, auf Rolle 9. Dazu die Verdichtungen des Vortages, mit denen ich die Flächen füllte. Das scannte ich dann, brachte es in die heutigen Collagen und zeichne neue Umrisse davon…

Letzte Zeile

Die Frottagen auf den Schnittbögen hängte ich an die große Leinwand – Fahnen des Neubeginns. Dort treten sie mit kleinen Reliefteilen vom Kraftfeld in Beziehung. „…vor dreidimensionaler Haut.“ Das ist die letzte Zeile der Wörtersammlung mit der ich es in den letzten 3 Wochen zutun hatte. Heute war sie noch einmal Ausgangspunkt der Buchmalerei.

Auf Rolle 9 griff ich auf die Umrisse einer Collage zurück. Einige Figuren und Architekturfelder trennte ich voneinander und verdichtete die, auf dem Streifen vorausgegangenen, Überlagerungen innerhalb der entstandenen Flächen. Die so strukturierten Akzente unterbrechen den Fluss und erzeugen etwas mehr Spannung. Die voneinander getrennten Teile eignen sich besser für die Collagen, lassen sich einzeln einfügen, wie ich das auch heute gemacht habe.

In der zweiten Buchmalerei zieht ein Kulissenaufbau das Konglomerat aus Schrift, Abdruckgewölk und Umrisszeichnungen zu einer Szene zusammen. Die Schrägen bewegen sich wie eine Ziehharmonika, deren Töne von Westen nach Osten flach über den Boden streichen. Der Staub von Swingtanzböden wird aufgewirbelt. Schwingender Jazz des KAMA Kollektivs, in dem Jonathan Nagel Bass spielt, erinnert mich an eine Bemerkung von Franz, dass innerhalb der Kooperationen nur noch ein Musiker fehlt.

Geländesondierung

Schnittbögen versah ich gestern mit Graphitfrottagen von der Form des Kraftfeldreliefs. Mit Stecknadeln hänge ich sie an die große Leinwand. Die Rekonstruktion des Kraftfeldes fand noch keine zwingende Richtung. Die Kooperationen helfen. Alles, was ich mit diesen Strukturen mache, gleicht eher einer Geländesondierung. Ich grundierte weitere Reliefteile mit einem lasierenden Weiß. Dort kann ich nun verschiedene weitere Schichten aufbringen. All das sind Vorbereitungen.

Die Buchmalereien beendigte ich in einem frühen Stadium. „…die ihre Körper im Rhythmus bewegt haben. Also stoße ich Nadel und Faden durch die Pappe…“. Das sind Sinas Worte, von denen ich heute ausging. Ein paar Strukturen für die Collagen, die ich mit Einzelfiguren aus Rolle 9 versah, entstanden damit. Ich hatte sie in der Nacht vor Augen und dachte an die dreidimensionale Erweiterung dieser Arbeit, um die Einzelelemente in einem Raum zueinander in Beziehung stellen zu können – Szenografie.

Die Ereignisse, die ich mir zwischen den Figuren der Buchmalereien vorstellte, sind gewichen. Es gibt den Wunsch nach etwas Leere, nach einem Vakuum, das nach einer Pause wieder aufgefüllt werden kann. Vielleicht beginnt das mit Kohlepapierabdrücken von Schreibmaschinenbuchstaben auf Reliefteilen.

Mikroskopieren

Am Morgen dachte ich an das Ende der Arbeit mit dem Großmuttertext von Sina und dessen mikroskopische Untersuchung mit mittlerweile 63 Buchmalereien, der Verdichtung der Umrisse auf Rolle 9 und die folgende skulpturale Weiterentwicklung. Die Wirbel von heute stammten von der Gravitation, von einem Sturm und von den Schwingungen der Klaviersaiten, die die Großmutter für die Damen anschlug. „…geraucht hat sie nie…“

Die Schrift trat heute mit verschiedenen Verwischungen in den Hintergrund. Sie blieb teilweise dunkel und teilweise hell stehen, war in den folgenden Malereien scheinbar verschwunden. Die Worte führten aber zu den Figurenumrissen, Schriftschleifen, Flächen und Handkantenabdrücken. Noch 3 Zeilen.

Ich dachte an die anderen Kooperationen, die ich etwas vernachlässigt und nun vor der Pause nicht mehr entscheidend weiterentwickeln kann. Frottagen, aus den Mustern des Kraftfeldes, würde ich noch gerne auf die Schnittbögen von Claudia und Maya übertragen.

Energie der Stürme

Auf einer App schaue ich mir die Stürme über den Weltmeeren an. Wenn sie auf Land treffen, verlieren sie sofort Energie. Ich stelle mir ihr Toben über den aufgewühlten Wasserflächen vor und nehme sie als Inspiration für meine Verwischungen innerhalb der Buchmalereien.

Mit den Malereien habe ich mich am Morgen schwer getan. Auch jetzt existiert keine rechte Bindung zu ihnen. Sie kosteten Kraft bei der Herstellung und nun auch beim Anschauen. Ich finde keine Zusammenhänge, keine Geschichten in ihnen. Sie verweigern ihre Zugehörigkeit zu mir.

Stattdessen zeichne ich lieber mit Rohrfeder und Tusche auf Rolle 9, wie ich es in den letzten Tagen gemacht hatte – glückliche Stunden. Dort fließt die Kraft hinein, die ich während der Arbeit mit dem Text von Sina aufstaut habe. Es sind nun noch 5 Zeilen übrig, die ich in den nächsten Tagen in das Papier gravieren werde. Nun kommt es darauf an, dass die Energie noch bis auf die Oberfläche des Reliefs reicht.

Zeitschlucker

Ein Handkantenabdruck zeigt in 2 rechts, die Hautlinien im unteren Bereich hell und dann nach oben hin dunkel. Spannend ist der Übergang, die Stelle, wo die Qualität umspringt. Mit einem Scan versuchte ich ganz nah heranzukommen. Wichtig sind mir die Grenze und der Moment des Übertritts.

Die grünen Gravitationsschwünge neben der energetischen Textschichtengravur, bilden das Prinzip, das das Chaos ordnen will. Ein braunes Meer schäumt heran, das die Worte mit der anschwellenden Flut fast ganz verschluckt.

Auf 3 zeigt sich die abstrakte Komposition, die zwar auf keinen Gegenstand aus ist, aber zu klärenden Linien tendiert. Das Meer hat sich aufgelöst. Es zuckt ein kleiner Rest von Schrift und zeigt mit seinen Zacken nach unten. Die Handlung löst sich auf, die Gewalttätigkeit gerät in Vergessenheit. Der Butt ist der Zeitschlucker!

Wurzeln

Aus den Collagen vom 18.01. übertrug ich die Umrisse von 2 Buchmalereien auf Rolle 9. Ich füllte sie mit den Linien der Kraftfeldfrottage vom 22.12. 2021 und den Binnenstrukturen aus den vorausgegangenen Umrissfüllungen. Diese Motive, oder Teile davon, möchte ich nun auf die Reliefteile übertragen, die während der Kraftfeldrekonstruktion entstehen. Anders als beim Väterprojekt, will ich sie eher in die vorhandene Linienstruktur einfügen, als sie mit einer neuen Schicht zu überlagern.

Wieder versuchte ich in 2 tiefer zu wurzeln, als senkte die Demenz im Text den Grunderrinnerungspegel. Sogar der Tisch schlägt Wurzeln aus seinen Eichenfüßen. Neben Sinas Textzeilen: „…Demenz rückt die frühe Erinnerung an den Tisch heran, dass sie die Brust auf der Platte ablegen…“, setzte ich den stilisierten Verlauf meiner Handlinien in das Zentrum der Kompositionen, besonders in 3. Aus den Dopplungen, Abdrücken und Gravuren ergaben sich wieder Figuren. Auch wenn keine Klappkulissen da sind, finden Szenen zwischen ihnen statt.

Für die Kooperationsarbeiten versuche ich die 3-d Programme mit zu nutzen. Es entstanden schon Objekte, die ich verschicken kann. Die Skulpturen können von den Mitstreiterinnen mit 3-d-Betrachtern angeschaut werden.

Leberwurstbrot I Unterbühne

Wie zersplittertes Gebälk ragt Schrift aus dem Schlachtengetümmel in 1. Die Gravuren, von den Schraffuren hervorgehoben, werden den hellen Handlinien aus den Abdrücken ähnlicher, lesbar für die Zukunftsforschung. Handhaltungen verraten die nächsten Sekunden – gestützt auf eine Rüststange, ein Leberwurstbrot haltend oder mit einem Reise- Reisigbündel. Feuer anderswo. In 2 wächst das Handlinien – Wurzelgeflecht in die Unterbühne. Aus einem Filmschnipsel erscheint raschelnd Irene Kugler neben der biomechanischen Versenkungsmaschinerie und spricht einen vergessenen Satz. 2 ratlose Frauen schauen von links auf die geschmolzenen Worte: …im Alter aus NRW in den Schwabensüden…“. Bühnennebel von Trockeneis verstärkt die Erinnerungslücken.

Dynamik erscheint in 3, wo sich eine Szene aus 3 Figuren bildet. Eine geflügelte drängt von links einer bauschenden entgegen. Ihre Bewegung aufeinander zu deutet auf kein freudiges Wiedersehen. Die dritte Figur rechts wartet ab, leicht nach vorne gebeugt, wie ein Diener. Die sich auflösende Landschaft bietet kaum Halt.

Claudias Schnittbögen, die Maya, Kompositionen probierend, an die Wände ihres Malortes gehängt und mir Fotos davon zugesandt hatte, verarbeitete ich in einem 3d-Programm zu einem skulpturalen Arbeitsschritt. Dadurch erhoffe ich mir ein substanzielles Weiterkommen in der Kooperation und einen neuen Zugriff auf die analogen Arbeiten von Maya.

Sedimente I Skulptur

Um mehr Worte fressen zu können, verteilte ich die Schriftgravuren auf 1 und 2. Berlin, Pullover, Fanartikel, Lagerort. Dazwischen Schichten von Fürwörtern, überspült von Schraffuren und anschließend verweht. In 3 findet die Auferstehung aus den Sedimenten statt, die Loslösung vom Text. Keine Schrift mehr, nur eine graue Übermutter – eine Mantelmadonna, die die neuen Strukturen schützt. Koordinaten ergeben sich aus den klappbaren Kulissenwänden.

Mit Vinzenz kam ich gestern auf die virtuellen Kunstwerke, die gerade modern sind. Er zeigte mit fotografische Arbeiten von sich, die er in diesem Kontext sieht. Seit einiger Zeit denke ich darüber nach, die Experimente mit den Skulpturen wieder aufzunehmen, die ich in den letzten Jahrzehnten mit verschiedenen Programmen begonnen hatte. Für mich steht dabei zunächst die Verbindung von Buchmalereien und skulpturalen Erfindungen im Zentrum meines Interesses.

Eine Pappe von Franz Konter, die er mit einer Tuschzeichnung versah und in mein Atelier trug, versuchte ich gestern feucht in meine Form zu pressen. Das gelang leider nur ein wenig. Das Material ist zu fest, zu dick, und es macht sehr, sehr viel Arbeit. Also werde ich Reliefteile aufkleben.

2 Hoffnungsschimmer

Die Linien der Buchstaben bilden mit ihrer Rhythmik von Bögen, Anstrichen und Punkten eine weitere fließende Schicht. Mit einer gewissen Vorfreude setze ich den ersten Bogen von einem großen „S“ an. Die Schwünge setzten zwei Mikroglücksempfindungen frei, wie auf einer weit schwingenden Pass-Straße. Das große „W“ führt, trotz seiner Zacken, in den Himmel. Ich bin froh, wenn ich es hinter mir habe. So ließe sich Wort für Wort eine Wegbeschreibung anfertigen. Aber die Zeilen von Sina sind gestern und heute fast vollständig von wichtigtuerischen Farbwolken aufgegessen worden. Kein Wort mehr!

Ich bin nicht ganz bei der Sache, sehne mich nach anderen Umgebungen, anderen Prioritäten. Müdigkeit kommt in all der Kontinuität auf, Abschweifen, andere Gegenstände werden wichtig und verändern die Wahrnehmung. Die zwei dunkel leuchtenden, in der Collage bereits nicht mehr vorhandenen, senkrechten Karminlinien in 2, die die olivgrüne Wolke zerschneiden, sind zwei Hoffnungsschimmer.

Auf einem Spaziergang im Hintertaunus sahen wir gestern zwei eng beieinander stehende Eichen, deren Kronen sich nicht durchdrangen. Kein Ast ragte hinüber zur Nachbarin, als wollten sie diese Nähe meiden. In einem Redefluss trabten Reiterinnen auf zottigen Islandpferden vorüber. Einen Teil des Grundes, auf dem wir gingen, bestand aus Pferdeäppeln in unterschiedlichen Verwitterungszuständen.

Keine Überlagerung

Zwischen den Krakelwolken, in denen sich Schrift tarnt, bilden sich Linien, die zu etwas Konkretem hinwollen. Aber meistens werden sie daran gehindert und Getöse schiebt sich in die oberste Bildschicht. Dabei ist die Ausgangslage klar: „…sie steht auf und verlässt das Haus mit zwei Kindern…“. Vom Ende aber her, von 3, schiebt sich die biografische Miniatur einer Gletscherwanderung dagegen. Die Abdrücke der Gravuren beider Textschichtungen aus 1 und 3 konfrontierte ich in 2 – keine Überlagerung.

Immerhin bilden sich wieder unbekannte Zeichen aus 1 gegenüber einem unangenehmen Grün aus 3. Die Gravuren zucken im Rhythmus der Nervenbahnen unter der Haut. Eine Operation hat sie freigelegt, die Haut ist zur Seite geklappt, um die Zeichen lesen zu können. Das kostet Kraft, weil nicht klar ist, ob der Prophezeiung geglaubt wird.

Ich bin allein damit. Die Kälte steigt die Beine hoch. Es grünt in den Gletscherspalten, vom Ende her schiebt sich rückwärts der Wald zwischen die Abbruchpfeiler. Angst vor dem Sturm, dem Whiteout.

Kein Gipfel

In 1 ist es mir heute gelungen, die Schriftgravur positiv und negativ in Erscheinung treten zu lassen. „ … geholt, die zwei Jahre Hungern, die sich dann aber fängt…“ Die Alten fallen in den weißen Raum, in dem für Sekunden Erinnerungsprojektionen aufscheinen, oder an den Tisch heranrücken. Es sind, im Zusammenhang mit Sinas Text über die Großmutter, bereits 30 Buchmalereien entstanden. Wenn ich dranbleibe und die Schriftgravuren aus ihren Worten an den Anfang oder einen anderen Ort der täglichen Bildentwicklungen setze, könnten es noch einmal so viele werden.

Im Gegensatz zu gestern, ging ich heute vorsichtig heran. Anhaltspunkte für Linien fand ich erst spät. Zunächst in den Strukturen von 3. Ich schickte das Bild der Autorin. Sie reagierte und ich erinnerte mich an das Gewitter an der Roten Wand im Antholztal. Kein Gipfel, Abstieg und Schutz vor Hagel und Blitz auf Zwergrhododendren unter einer Steinplatte. Eis in den Schuhen und Jackentaschen…

In 2 gibt es einen Baum mit einer Fingerabdruckkrone. Daneben Richtantennen für Funksignale. Die Kundschafter melden Drohkulissen. Dann, innerhalb verdrahteter Kommunikation, wachsen sie über den Wald hinaus und lösen lauten Streit aus. Szenarien einer Schlacht klingen herauf. Überlagerte Chiffren bilden immer neue und fremde Zeichen.

Ohne Scheu

Mit schnellen Gesten probierte ich die verschiedenen Handkantenabdrücke – positiv und negativ. Letzteres gelang mir erst ganz am Ende in 1. Am Anfang standen zwei Zeilen des Textes von Sina. Ich denke an innen und außen, an die Adern unter der Haut. Schnell richten sich die Figuren auf, fast beiläufig, ohne Scheu. „… Nadel und Restfaden werfe ich anschließend auf einen Gla(s)tisch…“ –die zwei Zeilen von heute.

Die Malereien ergossen sich etwas mehr in die Fläche, als wollten sie den Text zurückdrängen. Etwas hält mich davor zurück, in ihre Zwischenräume zu gehen, um mich in die Geschichten, die dort stattfinden zu begeben. Es ist die Furcht vor dem Auserzählen der Malereien, worauf sie ihre Geheimnisse verlieren.

Stattdessen denke ich wieder daran, markante Figurationen auf Rolle 9 zu übertragen, um sie später auf die Reliefrekonstruktion zu schichten. Der Adaption der Buchmalereitechnik für die Reliefs möchte ich Zeit beim Experimentieren einräumen.

Kokon

„…und den Wind von den Schultern lässt…“ Die Umrisse, die um Abdrücke und andere Strukturen entstehen, sind wie ein Kokon. Die eingesponnenen Wesen sind alle lebendig, schlafen, zappeln oder sind dabei, die Hülle in eine Haut ihrer schreitenden Körper zu verwandeln. Dann können die Gewebe aber auch aufreißen, wie in 3, und stellen dann das Material für die Architekturen, die die Körper stützen und Sockel bilden. Sie können zu kleinen Gebirgen wachsen oder auch Fortsetzungen der Körper sein, die nicht vom Fleck kommen.

Das Hautliniengesträuch des Handabdrucks, ist ein innerer Rhythmus, der sich auf die Bewegungen der Schraffuren, Linienbündel und Krakelgesten auswirkt. Nehme ich diese Annahme als Richtschnur, so muss ich nur den Mustern folgen, um mit dem Entschlüsseln des Sinns meiner Bewegungen beginnen zu können. Diesen Linien mit einem spitzen Stift zu folgen, erzeugt eine geschlossene Meditationsschleife. Wenn ich die eingefärbte Handkante immer wieder mit einem feuchten Schwamm abwische, bleibt nur noch die Farbe in den vertieften Linien übrig. Auch sie kann ich auf das Papier drucken – eine Negativ der vorausgegangenen Handkantenübertragungen. Unten in 3 habe ich sie nachgezogen.

Am Vormittag war ich bei Maya in ihrem Malort. Ich wollte mehr vom Ansatz ihrer Arbeit kennen lernen. Das soll die Voraussetzungen für unsere Kooperation bereichern.

Spekulationen

„…schläft eine Nacht traumlos…“ Die Träume zuvor und danach versammeln sich als Gewisper zwischen den Kulissen. Die geschichtete Schriftgravur muss für die Spekulationen der Deutung herhalten. Nebulös bleiben auch die Abdrücke, so dass ich die Worte in 2 noch einmal übereinander schreibe und mit dunklem Indigo schraffiere. Figuren die anderswo auftreten bestimmen am ehesten die Szenerie.

Das gehörnte Wesen in 2 erscheint etwas geschmäcklerisch, was die Figur rechts davon wettmacht. In der Mitte verströmt eine Schmarotzerpflanze ihren Duft. Das verschmolzene Paar in 1 sucht innig nach dem, was ihre Verbindung ausmacht. Es manifestiert sich figürlich zwischen ihnen.

In 3 erwachen die gedoppelten Formen und beginnen ihr Eigenleben. Die Lärche rechts, die in das Morgenlicht steigt, streiche ich im Text. Weil sie immerhin einen unregelmäßigen Umriss besitzt, lasse ich sie im Bild gelten. Auch der Schatten über dem Kopf des gehörnten Wesens in 2, rettet seine Existenz. Das sind die Bilder unter dem Dach der Freundin, die über die Textzeile hinausgreifen.

Kriegsschlamm

„…Kriege während zwei Kriegen…“ Das ist die Zeile der heute geschichteten Schriftgravur. Sie ist unter den Verwischungen völlig verschwunden. Auch in 2, im Abdruck, taucht nichts mehr davon auf. Die Leerstelle füllt sich schnell, als wäre sie ein Makel des Vergessens, der die drei Buchmalereien entwerten könnte.

Aber rechts in 2 entsteht ein schickes Alienbaby. Das kommt leicht gegen den Wind von der anderen Seite an. Er wächst zwischen den senkrechten Metallstäben im Säurenebel. Sie teilen die Szene, die sich mit einem geschlossenen Umriss fortsetzt. Es ist die Aufsicht auf eine ausgegrabene Siedlung, deren Umfriedung mit zwei Ausstülpungen Quellen umschließt. – Die Quelle neben dem Haus meiner Kindheit, nannten die Mönche „Paradiesbrunnen“. Der Name hielt sich bis zum Mauerbau. – Links ist auf einer Lanze ein Schwamm aufgespießt, voll vergorenem Most.

Leicht auszumachen ist, dass die Figur zwischen den Kriegswolken in 1 aus 3 kommt. Dort balanciert sie auf einem Kästchen, das auf einem Stab steckt und spricht dynamisch durch ein Megafon. Das kleine Gesicht des Satyrs gegenüber, schaut etwas erschrocken. Er sträubt sich gegen die Lautstärke. Die Pigmentkrümel des aufgewirbelten Kriegsschlammes hinter ihm, schabe ich mit einem Messer von der Papierfläche, blase den Staub auf meinen Atelierboden.

Artikulieren!

Ich lasse schnell los. Die Bildverdichtungsverkrampfung löst sich innen und mit ihr ein ganzes Figurenensemble aus dem Nebel. Von Sinas Textzeile: „…sitzt mit gesenktem Kopf vor dem letzten Mann…“ ausgehend, schichte ich die Worte in drei Papiergravuren übereinander. Die letzte Schicht – Mann – , dann sepiagraue Schraffuren in 1 und die Umrisse der Handkantenabdrücke in 2. Die führen mich zu einer lockeren Abfolge von Szenen. In 1 rumort der verwischte, verschluckte Text und stülpt einen Kasten mit geschwungener Kante aus der verwehten Sprechergruppe nach vorn. Aufgenommen wird die Kontur vom Rücken eines aufrechten Fischleibes oder einer Seejungfrauenrobbe, die schwache Kraftschwünge aussendet und damit eine weitere Person auf die Szene ruft. Aber über ihr lastet schreiend und zappelnd der Indigomann in seiner „gewaltigen“ Art. Er brüllt Sturm gegen die Textverschlucker: Artikulieren!

In 2 finden sich noch ein paar blasse Schreibschriftzeichen, umhüllt von weiteren Handkantenlinien, die wieder in Figurenumrisse geraten. Sie treiben Wurzelansätze nach unten in den leeren Raum. Am rechten Rand greift eine Karminklaue ins Vakuum. Zwischen ihr und dem Instrument am gegenüberliegenden Rand bauschen sich wehende Kleider und eine dicke Figur, die sich ebenfalls in 1 und 3 abbildet.

In 3 trägt ein Gnu-Gott noch etwas von der Schreibschrift auf seinem Fell. Sein Blick fällt auf ein Zentrum des Bildes, eine Doppelkreuzmarkierung. Sie betrifft den Kopf der kobaltgrünen Figur mit dem finsteren Seelenleben…

Wortpaar

Zerfurcht – geädert, die beiden Seiten einer geformten Fläche, wie sie Sina sieht. Das Wortpaar in 1, als übereinander geschriebene Papiergravur, tritt auf der anderen Seite geädert hervor. Zwischen den Worten des Vortages, wölben sich die Linien nach außen oder zurück. Die Schraffuren bilden eine Herde von geflügelten Menschenschweinen, die sich auf einen Energienebel hinbewegt, um sich von ihm zu ernähren. Aber gefährliche Oberflächenschwimmer verstecken sich darin.

Eine gehörnte Mutter in 2, wippt Drillinge. All das, was in ihren Rücken rumort, wird abgeschirmt. Der ganze Verlauf und dessen Rückkopplung, das Schlagzeugsolo von gestern wabern, bereit zu übernehmen.

In einer langsam wachsenden neuen Umgebung für die Rekonstruktion des Kraftfeldes, beginne ich die Reliefteile vorsichtiger zu bearbeiten. Durch die Kooperationen treten zwischen den Linien neue Strukturen auf. Ein Gewebe aus Fäden, Farben, Begegnungen und Worten bildet Impulse für eine deutliche Innenperspektive, im Gegensatz zu den 10 Jahre alten Ansätzen. Das Architekturelement in 3 erinnert noch einmal an die Möglichkeit der Dramatisierung der Vorgänge zwischen den sichtbaren Objekten auf einer Bühne.

Pressluft

Zunächst gravierte ich die Textzeile: …der Fadenrest zuckt in der Heizungsluft…“, aus Sinas Schreibmaschinenblatt mit der Holznadel auf die linke Seite von 1 und schraffierte sofort Sepia über die geschichteten Worte. Die Gravur zitiert den Kohlepapierbogen, mit dem Sina ihre Schreibmaschinenblätter macht. Einen Abdruck davon versandte ich nach 2, worauf sich zwei Figuren nach Rechts abwendeten. Die Textwolke wird noch von einem Stab gehalten. Ich zog die Silbe –luft- mit einem Bleistift (7B) nach.

Hautlinien in 3. Adern bilden sich leider nicht ab – so weit rolle ich die Handkante nicht in Richtung der Oberseite, wenn ich Abdrücke mache. Die Energielinien, die die Textwolke in 2 nach Rechts aussendet, durchströmen die beiden angewandten Figuren. Mein Gespräch mit diesen Gesellinnen spiegelt reale Vorgänge wieder.

Eine Maschine, eine Erdverdichtungsramme, nimmt hüpfend die Kraft der vorausgegangenen Kompositionen auf, wie ein Schlagzeugsolo, das abseits des Normaldienstes, hämmert. Das gemeinsame Thema, die Textüberlagerung, wird von der Pressluft zerstäubt und neu geglättet.

Umgeben und durchdrungen

An eine Stange, ein dünnes Holz, klemmte ich ein Relieffragment. Es fliegt wie ein Vogel vor der großen leeren Leinwand. Sie wäre ein Ort für die Inszenierung verschiedener Objekte. Sie könnten auf Stangen davor stehen und an Schnüren herabhängen. Eine flächige Inszenierung.

Sina brachte ich noch ein paar Reliefteile, damit wir zu einer Erweiterung unserer Kooperation kommen. Sie gab mir einen neuen schönen Text als Reaktion auf ein Objekt von mir. In einem Webmeeting von „YOU&EYE“ versuchte ich von unseren Treffen und Zusammenarbeiten, auch mit Claudia und Maya, zu sprechen, um damit die anderen zu animieren, ähnliches zu tun. Es beginnt sich etwas aufeinander zu zu bewegen.

Abgespeckter und konsequenter sind die heutigen Buchmalereien, die etwas unter Zeitdruck entstanden. Umrisse und Verwischungen griffen ineinander und erzeugten neue Gebilde. Links in 3 schmiegt sich ein Paar aneinander, das noch von anderen Umrissen, wie von einer Familie umgeben und durchdrungen ist.

Neu geordnet

Ich las „Originale, Übersetzung 10“ und „VI“ quer. Ich sah Kara Walkers illustratives Archiv. Am Morgen krakelte ich mit der Holzhaarnadel aus dem Gelenk in 1 und setzte farbige Lasuren darüber. Keine großen Kontraste. Wiederholte später noch einmal Gravuren, diesmal auf hellem Ocker mit einer grauen Schraffur. Dazu ein paar Gravitationsschwünge mit senkrechten, die Schnittpunkte durchtrennenden, Geraden – so komme ich langsam vorwärts.

In 2 fliegen die Informationen auseinander. Unten schaut eine gebogene Unterschenkelprothese heraus. Da steht ein langbeiniger Sprinter still und schaut zurück. Es lassen sich eventuell noch Schädeldecken, Architekturgebälk, Weichteile und eine Dreieckskonstruktion erkennen. Die Geschichte, die die Einzelteile zusammenhielt, ist explodiert. Die Stücke, die im Raum schweben, können mit einem roten Faden aufgefädelt und dann durch ein Gewebe neu geordnet werden.

Das beginnt in 3 mit Umrissen. Der Abdruck des Dreiecksgitters sitzt auf einem aufrechten Körper, dessen eine Hälfte von einer Stange gestützt wird. Weitere solcher senkrechten Achsen bilden eine steife Figur. Es geht nicht gerade tänzerisch zu. Aus dem zentralen Nebel steigen vage Linien vom Rückbau des Palastes der Republik. Meine Erinnerung streift die massiven Stahlträger. In schwindelnder Höhe konnte man auf ihren, ohne jegliche Sicherung, Abkürzungen auf der Baustelle gehen. 5 Bauarbeiter sind umgekommen. Sie beginnen sich in 3 wieder zusammen zu setzen.

Ausufernd

„Originale“, „Übersetzung 8/VI“ kreuz und quer gelesen. Dabei begegne ich dem Raum zwischen Senkrecht und Waagerecht, gestern und heute – dann Papiergravuren und ein paar Gravitationsschwünge, die, nachdem ich sie mit den Geraden durchkreuzt habe, kollabieren und nur Staub hinterlassen.

Dann tauchen viele Figuren auf, die unterschiedliche Seinszustände des einen wandelbaren Gegenübers verkörpern. Diese Körperräume ufern aus, weil ich sie nicht klar begrenze. Mein Interesse gilt den Möglichkeiten, die sich im Entgrenzten aufhalten. Sie wabern in Sternennebeln und proben immer neue Konstellationen, bis es Klick macht und eine entscheidende Reaktion alle Wollmäuse vereinigt, die dann in die Gravitationsfalle fallen. Ich möchte die weichen Formen mit dünnen, schmerzenden Linien durchschneiden, die die Körper öffnen. An den Schnittflächen extrudieren sich die neuen Volumina.

Warum erschienen heute so viele Figuren in den Buchmalereien? Nachdem ich zu Fuß das Schneetreiben durchquerte, um zum Atelier zu gelangen – Jacke und Mütze weiß – ging ich beherzter vor. Ohne Konturen entstehen nur schwer Geschichten. Manchmal möchte ich sie erzählen, manchmal vermeiden. Es geht hin und her, läuft ganz selbstverständlich, ohne dass ich ein Ziel ausmachen kann. Struktur steht im Vordergrund. All das tendiert nach einer erneuten Orientierung auf Rolle 9, wie in der zweiten Phase des Väterprojektes, den 4 Scherbengerichten.

Kulissenobjekte

Am Morgen las ich in „Originale“ von Sina Ahlers „Übersetzung 5“, dann „V“ quer und begann mit den Papiergravuren in der ersten Buchmalerei – 1 – von heute. Dann setzte ich indigofarbene Pigmentabdrücke und Verwischungen darüber. Die hellen Linien, die dadurch entstanden, transportierte ich nach 3, wo sie sich durch den Handkantenabdruck mit meinen Hautlinien vermischten. Später setzte ich noch eine Papiergravur mit schwarzer Schraffur daneben, weil ich dort einen zentralen Akzent brauchte, der ein Gegengewicht zu den linken Energielinien bilden sollte. Keine Geschichte dahinter. Bis jetzt nur olivgrüne, stabilisierende Stangen. Keine konkreten Konturen. Auch nicht in 2. Linienschwünge, Faltungen und Schraffuren bauen Millisekunden-Filmschnipsel. Erst bei längerem Hinsehen führen ihre Verdichtungen zu zusammenhängenden Zeitabfolgen. So finde ich im Nachhinein die Reaktion auf den Text.

Leichter sind die Zusammenhänge im Trio der Buchmalereien auszumachen. In dem Hin und Her des Motivtransportes kooperieren sie und ergänzen einander. Aus der vagen Struktur wachsen jeweils neue Konturen. In 1 konkurrieren Figurenumrisse, die das Geschehen einrahmen, mit den Gesträuchen und Bauten im Zentrum.

Für Sina fertigte ich an den vergangenen Nachmittagen ein paar kleine Relieffragmente an, die ich ihr zur Weiterverarbeitung vorbeibringe. Außerdem grundierte und bemalte ich die Streifen, die ich senkrecht und waagerecht abformte. Weitere Kulissenobjekte entstehen nun aus dieser Arbeit, die für die weiteren Kooperationen zur Verfügung stehen.

Schlaf , Schrift

Das beste Versteck ist der Tod, aber auch lebendig gezeichnete Figuren müssen, können sich nicht zu erkennen geben. Nur halbe Umrisse oder kurze gegenüberliegende Bögen vermitteln eine Ahnung.

Eine Schreibschriftgravur in 1 – mehrere Schichten übereinander. Die Schraffuren und Verwischungen sind schwere Bettdecken, die müde machen. Mein Schlaf ist leicht. Er hebt sein Gewicht auf, für den Morgen. Dann wird die Schreibschrift schwer. Mit den Verwischungen der offenen Konturen ließen sich neue Zeichenreihen erfinden. Jedes Wischen hinterlässt an seinem Ende einen Farbsee oder eine ausgefranste Bahn parallel verlaufender Striche. Das lässt sich wieder mit einer Linie fassen und erneut verwischen. Es bleiben verschobene Ähnlichkeiten. Die eckigen Konstruktionen in 2 bleiben ein Rätsel. Die in ihnen versteckte Geschichte lässt sich nur aus der Reaktion der Umgebung ablesen.

In 3 geht es eilig zu. Die hurtige Schräglage geht nach links. Sie laufen zurück, flüchten vor dem, was auf sie zukommt. Der Umriss auf der anderen Seite weiß noch nichts von der Bedrohung. Vielleicht müssen sie keine Angst haben vor den Führern in der Zukunft, sondern vor denen, die sie wählen.

Kulissenskulpturen

Die Fotografien aus der Kindheit nahm ich unter der Glasscheibe meines Zeichentisches fort. Ich wende die Schreibmaschinentexte von Sina über den Scherben des Väterportraits. Die Musik schaltete ich ab. Sie ließ nicht locker. Bei den Buchmalereien sollte es ernst zugehen. Aber gerade entstand ein Elefant, der seinen Rüssel verliert.

Am Morgen dachte ich an eine neue Arbeitsvariante, die durch die Kooperationen entsteht. Ich warte auf die Arbeit von Maya, die Schnittbögen von Claudia weiter verarbeitete. Meine Reliefs grundiere ich mit dem Ziel, sie weiter zu geben. Die Rekonstruktion des Kraftfeldes mündet zunächst in eine weitere Dekonstruktion. Aus den Fragmenten entsteht dann etwas wie ein Raummodell oder eine Puppenbühne. Die Objekte in diesem Kasten, sind die Ergebnisse der Zusammenarbeit der „Künstlerbrigade“.

Die Texte aus dem Off werden von den Objekten übernommen. Sie spielen sie, wie Puppen. Die Bühnenmarkierungen, die in den Buchmalereien auftauchen, stützen die Kulissenskulpturen aus den gefalteten Relieffragmenten, weil sie mit ihren offenen Konturen zu instabil sind. Ihre Instabilität ist der Motor für das Zusammenwirken.

Unvollständige Umrisse

Unvollständige Umrisse bestimmen alle 3 Buchmalereien von heute. Durch die Fehlstellen finden sich Möglichkeiten der Vervielfältigung von Fortführungen der Geschichten. Ich denke etwas nicht zu Ende. Offen bleibt, wohin mich der Gang meiner Innensprache gebracht hätte. Kein Reiseziel, nur mit dem GPS fremde Linien zeichnen, die irgendwann entziffert werden können.

Am Morgen sank ich noch einmal in den Schlaf, staunte dann über das sanfte Atelierlicht und trank Leitungswasser. Die rechte Handkante ist von dunkler Sepia eingefärbt. Ich übertrage ihr Muster auf ein Relieffragment des Kraftfeldes. Magischer Vorgang: das Ritual, bevor die Jagd auf die Geschichten zwischen den Buchseiten beginnt.

Dort verliebt sich eine Soulsängerin in einen Kentauer. Sie singt nur für ihn. Endlich nicht mehr allein. Er stampft den Rhythmus mit seinen Vorderhufen und gestikuliert tänzerisch mit seinen Armen und Händen. Oder er singt und tanzt nur für seine Angebetete, die im Pelzmantel im Regen steht und sich auf seinen tierischen Gesang einlässt, einstimmt und eine Gegenlinie findet, den unvollständigen Beistrich.

Das erfinderische Gegenüber

Einen Text von Sina, den sie mir hier im Atelier gelassen hat, kann man waagerecht und senkrecht lesen. Er heißt „Originale“. I und II las ich quer und „Übersetzung 2“ senkrecht herunter. Dann begann ich mit den Holznadelgravuren in 2 Schichten und übertrug sie per Handkantenabdruck auf 2 und 3. In 3 entstand der Umriss des erfinderischen Gegenübers neu.

Abdrücke von ihm setzte ich in 2 und 1. In 2 nimmt er Kontakt zu einer weiteren, etwas ausgefransten Figur auf, die sich von ihrem Rücken her in einen zartfarbigen Nebel auflöst. Eine Schreibschriftgravur und zwei dunkle Sepiabalken versuchen zu strukturieren. Links werden die Handkantenlinien von einem dünnen Beistrich korpulent vergegenständlicht. Am Ende zeichnete ich über die Strukturen in 1 Kulissenwände, die einen Zusammenhang herstellen sollen. Auch sie werden von einem Säurenebel angefressen.

Einen Längsstreifen nahm ich von der Kraftfeldform schon ab. Gestern legte ich einen Querstreifen auf und drückte ihn in die Vertiefungen. Dabei erinnere ich mich an eine Holzschnittserie aus den Achtzigerjahren, mit der ich ein Geflecht zeigen wollte, aus dem eine Figur entsteht. Es handelte sich um ein webendes Gestaltungsprinzip, von dem Christa Wolf sprach. Unsere gegenwärtigen Text- und Bildexperimente folgen ihm.

Dialog

Die Malereien reagieren auf die Textteile von Sina Ahlers, die ich am Morgen las. Nach der langen Selbstreflexion fühle ich mich in dem entstehenden Dialog wohl. Die Figur, die ich zuvor als meinen selbst erfundenen Dialogpartner im Auge hatte, beginnt nun in den Buchmalereien den Part des erfinderischen Gegenübers auszufüllen. Sie tritt stets zufällig aus einem Schatten, einer Windhose in Zentrum stürmischen Geschehens oder aus einem See hervor.

Holznadelgravuren sind heute, wie täglich seit über einem Monat, der Ausgangspunkt der malerischen Bewegung. Zu den schriftartigen Symbolen von gestern kam ich nicht. Dafür tritt die Dialogfigur aus der Übertragung der Verwischung aus 1 in 2 hervor. Aus einem Beistrich, der auf ihre Kontur reagiert, treten Linienimpulse, die vom Abdruck aus 3 stammen. Die sitzende Figur mit dem nach hinten offenen Arm, wird von der Energie nicht erreicht.

Eine meiner alten Sukkulenten, deren große, fleischige Blätter stets in Bodennähe blieben, schickt sich plötzlich an, aus ihrem Zentrum heraus eine Blütendolde zu treiben. Das tut sie schnell und mit aller angestauten Kraft. Wenn ich sie nun kräftig gieße, wird sie vor ihrem Ableben viele Blüten austreiben können.

Begleitfigur

Meine wandelbare Begleitfigur tritt erstmals in der 3. Malerei von heute auf: olivgrüner Umriss mit orangefarbener Verwischung. Es gibt keinen Namen für sie. Heute begegnete ihr ein Dreiecksgitter aus gelblichem Erdgrün – so der Name des Herstellers des Aquarellstiftes. Ein dunkler Abdruck, links von ihr ist ein Schatten. Leicht fließt seine Gestalt, unter meinem Blick, in eine spitznasige Figur. Die anderen Gegenstände in 3 sind Trümmer, kaum zu einem Dialog fähig. Zerborstene Gegenstände sprechen eine verstümmelte Sprache.

In 1 und 2 treten keine Figuren auf, und die Umrisse umschreiben kaum Gegenstände. Gravuren, Energieschleifen und Ländergrenzen treten zueinander. Durch Abdrücke vermehren sich die Umrisse, werden immer wieder verändert und ausgebaut.

Das grüne Wesen in 2, das mit Indigo umschlossen ist, könnte leicht eine Figurengruppe werden: Verneigungen, Begrüßungen – eine höfische Szene. Es werden Landkarten gesichtet, Gebiete umrissen und in Besitz genommen: All dies Land, das mein Handabdruck umschließt, gehört mir! Würde man ihnen keine Grenzen setzen, nähmen sie vom unregierbaren Universum Besitz. Aber dort regieren die Wollmäuse. Sie strukturieren alles immer wieder neu.

Erinnerungskammer des Dreieckshandels

Von den Papiergravuren, die ich heute an den Anfang stellte, ist nichts geblieben. Die kreisenden Linien sind im Indigosee ertrunken. Ein Abdruck vom See mit den Linien meiner Handkante, ist in 3 von der Gestalt eines Möbelwesens umrissen. Es schleift eine Kontur in Richtung des nächsten Tages. Sich spiegelnde Verwandtschaften gibt es in 1. Energielinien treten aus kleinen Kraftfeldern hervor, verbinden Umrisse, die sich aneinander reiben, auf eine andere Art.

Eine afrikanische Prinzessin bewacht die Gravuren, und es wird deutlich, dass es sich dabei um eine Erscheinung der Flüchtlinge handelt, die in einer Werkstatt, der Erinnerungskammer des Dreieckshandels, Masken schnitzten. Königsgewänder schwingen und bilden dabei eigene Figuren. Vom gestrigen Sturm ist nur eine Verwehung auf 2 geblieben. In der Nacht fror die stille Kälte unsere Abwässer, die durch ein zerstörtes Rohr in die Nachbarbaugrube sickern, ein.

Es erscheint die Idee einer Figur, die mich durch die Tagebücher begleiten würde. Aus ihrer Wandlungsfähigkeit entsprängen Impulse für den Zusammenklang von Worten, Farben und Linien. Nach und nach würde ein Bühnenraum entstehen, in dem die Szenen täglich ihre Fortsetzung finden könnten. Aus den Selbstgesprächen würden zumindest Dialoge.

Wetter

Die Kulissenmarkierungen auf 2 bilden 7 Fenster. 11 ist die Quersumme des heutigen Datums. Konfettitränen bilden einen Nährnebel für die Entstehung farbiger Lebewesen.

Aus den Schwüngen und Geraden auf 1 hat sich ein Widderstab gebildet. Die verschieden lesbaren Zeichen treten in eine Zwiesprache mit den Konfettizahlen und den Umrissen ihrer Schöpfung, den Windfarben und Gravurgesträuchen. Viel Wetter ist in den Malereien unterwegs. In 3 beruhigt es sich zu einem Ockernebel mit einer Sonnentendenz. Und helles Kobaltgrün bildet den Kontrast aber auch Verwandtschaft.

Eine junge Dramatikerin interessiert sich für eine Kooperation innerhalb von YOU&EYE. In ihrem Fall wäre für mich zunächst die räumliche Erweiterung von Wortbildern von Interesse. Die Kombination mit Skulptur im weiteren Sinne.

Musterübertragungen

Die Figurenumrisse in 1 wenden sich nach Links. Sie durchbrechen das Geheck, die Grenze zum Nachbarstaat, deren Verlauf unklar ist, weil verwischt. Aber die allgemeine Richtung der Wanderungen ist deutlich. Es geht, gegen die Drehrichtung des Untergrundes, nach Westen. Die Winde über diesem Boden werden hier in Farbwerten gemessen und angezeigt. Als Fußnote erscheint eine Doppelkreuzmarkierung als schwaches Echo, von 3 zurückgeworfen.

Musterübertragungen schaffen das gemeinsame Thema, zu dem improvisiert wird. Die Liniengesträuche sind zunächst graviert und durch Schraffurenschichten hervorgehoben. Dann werden sie mit der feuchten rechten Handkante übertragen. Sie stempelt das Muster mehrfach von 1 nach 2 und 3. Dort entwickeln sich dann die Szenen. Ich bin mir nicht sicher, ob ihre Schilderung durch mich einen Mehrwert bringt. Schon die Aufzählung des Personals engt andere Geschichten ein.

Ein Umriss, ganz links auf 2, hat einen S-förmigen Schwung. Er ähnelt der 15-jährigen Schülerin, die beim Malen meist tänzelt. Rechts trifft ein Tiefseefisch auf ein rotes Dreieck mit einer Doppelkreuzmarkierung. Ein weiterer Umriss am rechten Rand, hat sich verflüchtigt.

Verbindungen

Die Szenen, die in den Buchmalereien entstehen, geben die Geschichten, die in ihnen geschehen, nur zögerlich preis. Sie stellen Fragen. Wenn man versucht, sie zu beantworten, ergeben sich die Handlungen von alleine. Die Eckpunkte der Dreiecksgitter, bei komplexeren Konstruktionen sind es Punktwolken, deren Verbindungslinien die Volumina erst entstehen lassen, sind kleine Planeten oder Zellkerne. Unter entsprechenden Bedingungen erweitern sie den Aggregatzustand, weiten sich zu faserigen Gebilden aus und spinnen neue Fäden, mit denen sie andere Verbindungen eingehen. So ziehen sie an den Füßen einer abstrahierten Figurengruppe in 1. Sie wird durch diese Verbindungen gesteuert. Die Transparente, die sie tragen, sind von meinen Handkantenabdrücken verwischt. Es sind Kernworte der Verschwörungserzählungen, die durch die gesponnenen Leitungen übertragen worden sind.

Ein Kopf linker Hand auf 2, versucht ebenfalls Verbindungslinien aufzubauen. Die Fäden aus seinem Mund werden aber nur längliche Blasen, die nirgendwo andocken. Die Indigofigur und die flammende bleiben unbeteiligt. Aber es gibt Echos dieser Energien. Sie kommen in 3 vor aber auch in 2, wo sie schmutzig-ocker eine korpulente Figur mit mehreren Heiligenscheinen krönen.

In 3 kommt alles zur Ruhe. Kompakte statische Gruppen verdichten das Geschehen: Gravuren, Handlinien, Akzente aus schwarzer Tinte, die während des Schreibens hinzugesetzt wurden. Es ist ein Abwarten: Was wird als nächstes geschehen?

Isoliert

Isoliert beschäftigen sich die Figuren in 1 mit den eigenen Energieströmen aus der Mitte ihrer Körper, die sie zusammenhalten. Das nimmt sie so in Anspruch, dass sie den anderen, jeweils neben sich, nicht sehen können und deswegen verharrend, nicht auf ihn zugehen oder davonlaufen. Die vagen Übertragungen der Kulissenarchitekturen schaffen auch keinen Zusammenhalt. Auch die Landschaft ist zerrissen. Ein karminroter Lavablock schwebt aus der Mitte, getragen von Stangen, die wie Beine nach unten und Sensoren nach oben zeigen. Die Quadrocopterdrohne beobachtet ihn von außerhalb des Formates.

Die Musterübertragungen auf 2 sind kaum noch sichtbar. Lediglich unterhalb der gelben Spielkartenköpfe zeigen sich ein paar Doppelkreuzmarkierungen, die aus der Gravur von 1 stammen. Aus der Kulisse tritt der zerklüftete Lavabrockenabdruck mit Pigmentkörnern auf deiner Oberfläche. Sie hinterlassen Farbakzente von gebranntem Karmin bis zu dunklem Indigo, an mehreren Stellen. Nicht einmal die Umrisse der Lavabrocken schaffen konkrete Anhaltspunkte für die Geschichte, die ich versuche zu erzählen. Vielleicht ragen aus der Mitte der wirbelnden Gase ein paar Figurensilhouetten heraus. Ganz Links bildet der Handkantenabdruck eine Formation, die man sich als zwei verschmolzene Figuren denken könnte – ein altes Ehepaar.

Im dritten Format treten in der Mitte ein paar Kreuzschraffuren in den Hintergrund der durchsichtigen Probenarchitektur. Mit den Strukturen meiner Hand leuchtet das dunkle Indigo hell verdünnt auf. Ganz Rechts begrenzt ein olivgrüner Schatten eine, sich in Licht auflösende Figur, die den Gegenpart zu den Architekturen bildet. Schaue ich länger auf das Bild, entdecke ich immer mehr Figuren, die ich mir versagte. Konfetti des Karnevals zerfließt – heulendes Statement einer politischen Figur auf dem Krankenbett.

Musterübertragungen

Von einer gemusterten Kugel, einem Planeten(?), geht ein Sturm aus, der sich in zwei Richtungen bewegt, konzentrisch angetrieben. Er trifft auf der linken Seite von 1 auf Zeltstangen, deren Kreuzungspunkt von Energielinien durchzogen ist. In deren Bereich und links davon, löst sich ein Kajak auf und ist nicht mehr zu gebrauchen. Es entstand aus einer Musterübertragung von 2. Die Figuren rechts stemmen sich mit ihren Mänteln gegen die Windrichtung.

Aus der Linienverbindung weniger Punkte entstand auf 2 eine bescheidene Dreiecksgitterfigur. Sie schwimmt in einem Umriss, der verschiedene Extremitäten nach links von sich steckt, beobachtet von einer Büste, deren Kopf aus einer Musterübertragung des Planeten von 1 stammt. Eine, von einem Magnetfeld zusammengeführte; Figurenversammlung befindet sich im Gespräch. Worüber reden sie? Über die Mantelfiguren und das Wetter bei ihnen, dem man mit den Boot nicht mehr entkommt? Klarer Fall von misslungener Musteraneignung.

Auf 3 scheint sich manches geklärt zu haben. Zwischen den Figuren dort, springen Doppelkreuzmarkierungen von Kopf zu Kopf. Überzeugungen gruppieren konkrete Zusammenkünfte, die gemeinsam auf Wanderschaft gehen – ein erblindender Zug. Die Freiheit im Umgang mit den Malereimotiven wurde leider durch den Gedanken an eine mögliche Geschichte beschnitten.

3 Akte

Durch ein staubiges Terrain zieht eine Herde gehörnter Tiere. Sie wirbelt so viel trockenfarbiges Steppenmaterial auf, dass aus den Wolken nur ihre Hörner herausragen. Die Hirten tragen Gewänder mit langen Stoffbändern daran, die in ihrem Lauf aus dem Brodem herausflattern. Ihre Körper und Stäbe bleiben versteckt. Es handelt sich aber um eine gestellte Szene mit durchsichtigen Kulissenwänden. Gespielt wird ein Stück postkolonialen Inhalts von einer jungen Autorin. Ihr Text soll von einem Regie – Schauspieler*innen – Kollektiv zur Aufführung gebracht werden. Mit 3 wählbaren Kamerapositionen wird der Stream interaktiv. Durch die verschiedenen Perspektiven verfolgt, verändert sich die Handlung jeweils. Somit entstehen die 3 Akte des Schauspiels:

  1. Die wilde Jagd durch die Steppe,
  2. wartende Requisiten gegenüber des Inspizientenpultes,
  3. der Zickzackkurs der Herde kann analysiert werden und die Stäbe kommen zur Ruhe.

Oder: Die Wanderung der Tiere wird von Magnetfeldern ausgelöst, wodurch sich die Stäbe mit den Hirten in Gang setzen. Sie folgen der Herde und werden zu Jägern, wofür sie von der Requisite Waffen bekommen. Über das Dreiecksgitternetz ruft der Inspizient zur Hatz auf die Gnuherde, die aus den Staubwolken heraus tritt und die Kulissen niederreißt. Das Publikum flieht.

Sog

Gestern Nachmittag, als meine Schüler weg waren, hatte ich Lust, mich schreibend zu erinnern. Das geht mit dem Bedürfnis nach Rückzug, nach einer Konzentration, die nach innen gerichtet ist, zusammen. Ähnlich, wie die Beschreibung der Malvorgänge, ist schriftliches Erinnern eine Reise. Ich verlasse die Dinge, die mich sonst beschäftigen und weiß, dass sie mir nicht folgen können, denn die Handschrift besitzt einen Sog, wie die Malerei, der ich folgen will. Aus den Farbwolken entstanden heute bauschige Figuren, deren Umrisse sich mitunter verlieren. Dort führen sie zu unbestimmten abstrakten Auswüchsen.

Die Frottagen, die die Kinder gestern von den Stegen der Kraftfeldform gemacht haben, wurden dichte Gesträuche, weil sie die Blätter immer wieder verschoben und drehten und dann weiter arbeiteten. Darin suchten sie in Folgenden Gegenstände: Haus, Hase, Vogel, Brücke, Fisch und Fischer. Dann weichten sie Papprechtecke in Tapetenkleister ein und drückten sie in die Form. In der kommenden Woche sollen sie die getrockneten Reliefs bemalen. Dabei reduziere ich die Mittel, wie immer: Wandweiß, Schellack und Tusche. Das hilft, geschlossenere Objekte zu bekommen.

Für die Collagen brauchte ich heute viel Zeit. Ich wollte die Durchlässigkeit an den wichtigen Stellen bekommen. Dabei dachte ich an Helge Leiberg, der mir mal vor 40 Jahren sagte, dass er auf einem Bild immer irgendwo die Leinwand durchscheinen lässt. Das hat sich mir eingeprägt.

Arbeitslandschaft

Gestern schaute ich bei den über 600 Collagen dieses Jahres noch einmal genauer hin. Dabei fiel mir die besondere Bedeutung und Wirkung der Schwünge auf, die von den Gravitationslinien herrühren, aber eher Magnetfelder abbilden. Sie gehen öfter von figürlichen Zentren aus. Das war der Impuls für die heutigen Malereien. Diese Kompositionen, in den kleinen Formaten flink weiterentwickeln zu können, ist derzeit für mich eine der besten Produktionsmethoden und war es wahrscheinlich über Jahrzehnte hinweg.

Die Kraftfeldform ist wie ein Arbeitstisch, der eine Landschaft trägt, die mit den Augen durchwandert, mit Pappmache abgeformt, mit Frottagen abgebildet und in Schichten verdichtet werden kann. Darüber hinaus werden die Liniengesträuche von Figuren bewohnt, die es zu entdecken gilt. Diese Arbeitsnormalität, die Selbstverständlichkeit dieser Gestaltungsvorgänge will ich den Jungen und Mädchen meiner Workshopgruppe näher bringen. Dabei soll ihr Entdeckergeist erwachen, der neugierig ist, was alles in dieser Landschaft versteckt ist. Man sieht es erst beim längeren Hinschauen, wie in der Stadt, in den Bergen oder in den Wüsten.

Die Collagen greifen wieder zunehmend auf die darunter liegenden Schichten zu. Mir fehlen die Kontraste der Federzeichnungen oder der plastischen Abformungen, die mehr Spannung erzeugen können.

Eine Testreihe

Wieder Stille während der Buchmalerei. Nur im Kopf rumorte Rede und Gegenrede: „Das ist nix – da muss ich noch was machen – oder versaue ich es dann ganz?“ Nachdem ich die hellen Linien der Holznadelgravuren mit den Farbschichten in unterschiedlicher Qualität auf 2 und 3 übertragen hatte, verwischte ich die Stelle mit der nassen Zeigefingerkuppe. So färbten sich die Linien mit dem Grau des Farbgemischs auf hellgrünem Grund ein. Um dieses Detail hervorzuheben, rahmte ich es quadratisch ein. Daneben läuft ein Trixeltier auf 3 Beinen. Im Bild 2, habe ich den Abdruck der Gravur erhalten. Manche fremde Gegenstände verformen sich im Sturm. Nicht aber die geraden Linien, die weiterhin stabilisieren. Die Pigmentwolken auf 3 übertrug ich zurück auf 2 und 1. All das ging kühler vor sich, als sonst.

In der Kraftfeldform mache ich Experimente mit eingeweichten Pappflächen, die ich in die Vertiefungen drücke und schnell mit einer Lampe trockne. Sie bilden nur Teile des Ganzen ab. Die Rekonstruktionsarbeit geht ganz anders vor sich, als ich es mir vorstellte. Die Technologie des Umgangs mit der Form spielt eine große Rolle.

Für die Bemalung der Fragmente erscheint mir die Weiterarbeit auf Rolle 9 unerlässlich. Dort will ich die Umrisse der gegenwärtigen Collagen auf ihre Eignung für diesen Arbeitsvorgang prüfen. Rechteckige Fragmente können unabhängig von den großen Motiven werden, die zum Liniengeflecht des Kraftfeldes führten. Das werden kleinere Formate – eine Testreihe.

Aus dem Tritt

Heute war ich beim Malen still. Mit der Holznadel begann ich zu kreisen, dann auch mit den Aquarellstiften über die gravierten Linien hinweg, dann wieder mit der Holznadel. Beim Übertragen der entstandenen Farbschichten und Strukturen per Handabdruck, blieb fast nur Indigo übrig. Dazu ein wenig Olivgrün, Ocker, Kobaltgrün, Venezianisch Rot und Grau – das reichte schon. Die Wolken, die aus Pigmentkörnern entstanden sind, sollen mit den Kulissenkonstruktionslinien etwas eingefangen oder zusammengehalten werden. Verbinde ich die Farbpunkte mit Linien zu einer Dreieckskonstruktion, erscheint das daraus entstehende Bild etwas banal. Setze ich aber die Deutlichkeit zurück, verwandelt sich die Gestalt zu etwas geheimnisvollerem.

Bei den Collagen setze ich in letzter Zeit in erster Linie auf die unversehrte Gestalt der Buchmalereien. Die Durchblicke auf die anderen vorausgegangenen Schichten, bleiben minimal. Dadurch erscheint alles ruhiger.

Ab und zu denke ich in letzter Zeit an Rolle 9. Die Arbeit an ihr ist auch deswegen unterbrochen, weil die große Kraftfeldform auf dem Zeichentisch liegt, auf dem ich die Transparentpapierarbeit machte. Ich müsste andere Flächen frei räumen. Durch die Dekonstruktion unserer Wohnung und ihr derzeitiges erneutes Zusammensetzen, auch das Ende der Väterarbeit, haben meinen Schaffensrhythmus etwas gestört. Ich bin aus dem Tritt gekommen.

Mehr Seele

Das Malen am Morgen habe ich mit einem Monolog begleitet, der ein, die Malerei kommentierendes, Selbstgespräch war. Das findet sonst auch statt, allerdings nur in Gedanken. Aber das Aussprechen dieser herum schwimmenden Worte, während der Arbeit an den Buchmalereien, konkretisiert dieses Tun. Das Tempo geht etwas herunter, weniger Unbewusstes passiert und die Zufälle halten sich in Grenzen. Interessant wäre Malereien mit einem laut gesprochenen Kommentar, mit denen zu vergleichen, bei denen ich still bleibe.

Manchmal hört beim Malen auch das Denken auf, vor allem, wenn die „Übertragungsgeschwindigkeit“ zunimmt. Das passiert wenn das Hin- und Hertransportieren der Motive, per Handballenabdruck, seinem eigenen Rhythmus folgt und sich somit beschleunigt. Das ist ein wenig so, wie früher Briefmarken auf Umschlägen mit der Hand abgestempelt worden sind.

Die Rekonstruktion des Kraftfeldes, die ich mit den Collagen verbinden möchte, läuft nun stetig weiter. Sie wird durch die Einbeziehung der persönlichen Motive, die alle mit dem Väterprojekt zutun haben, einen innerlicheren Charakter bekommen. Mehr Seele und weniger Politik.

Beschleunigung durch Ruhe

Heute beschleunigte ich die Geschwindigkeit der Malerei von Anfang an, weil ich den Morgen sehr langsam begonnen hatte. Mit einem Kaffee saß ich in meinem Zimmer und schaute auf die kahlen Ahornbaumkronen der Allee. Auf dem Wochenmarkt kaufte ich Käse und in der Apotheke ließ ich uns die Europäischen Impfnachweise aktualisieren.

Die Kinder haben mich gestern geschlossen versetzt. Sie sind einfach nicht gekommen. Ihre vorbereiteten Arbeitsplätze blieben leer und die Geschichten über die pakistanischen Buchmaler unerzählt. So begann ich alleine die große Kraftfeldform erneut auszufüllen. Diesmal machte ich das mit gerissenen Pappstücken, die ich in Tapetenkleister eingeweicht hatte. Nach einer Weile erinnerte mich diese Technik an die Theaterplastikerwerkstatt, in der ich Nora ausgebildet hatte. Die einfachen handwerklichen Arbeitsschritte sind es, die mich erden und mir Momente der Ruhe schenken.

Beim Anschauen der Collagen, die als Endlosschleife auf dem Bildschirm des pausierenden Rechners laufen, kam mir eine völlig andere Bemalung des Kraftfeldreliefs in den Sinn. Diese werktäglichen Collagen sind oft wilde Mixturen aus Federzeichnungen, plastischen Fragmenten und Malerei. Das möchte ich nun auf der Fläche der Reliefabgüsse kultivieren. Interessant ist, wie diese Idee, die mir gestern durch den Kopf ging, Bestand haben wird.

Fingerspitzengefühl

Fingerspitzengefühl – tupfend versuche ich es, im wahrsten Sinne des Wortes, den Malereien zugute kommen zu lassen. Oft nehme ich mit der nassen Zeigefingerkuppe allzu konkrete Merkmale einer Figur zurück, kann damit Konturen in den Hintergrund setzen, ohne sie dabei ganz verschwinden zu lassen. Die Geheimnisse der Halbschatten und Nebelbänke können Erwartungen schüren und Handlungen in Gang setzen. Ohne die Spannung, die dabei von einer konkreten Linie im Vordergrund ausgeht, kann aber nicht genügend Energie für Eigenerfindungen von Geschichten aufkommen.

Den jungen Menschen möchte ich heute etwas über die pakistanischen Buchmaler erzählen, die die Aufgabe hatten, die buddhistischen Tempel im Himalaja auszumalen. Vor da aus kommen wir dann zu meinen Buchmalereien und suchen diejenigen, die ich am Tag der Geburt der Kinder gemalt habe. Die Dateien dieser Scans kann ich ihnen dann schicken, wenn sie das wollen.

Für die Weiterarbeit mit der Form dachte ich daran, verschiedene Ausformungsprozesse zu probieren. In Tapetenkleister eingeweichte Pappschnipsel könnten die Fläche zunächst bedecken. Nachdem sie getrocknet sind, kann eine weitere Schicht gerührtes halbflüssiges Material aufgebracht werden. Das hat den Vorteil, dass die Hintergriffigkeiten nicht so stark behindern, sich das getrocknete Relief also leichter lösen lässt.

Aufleuchten

Die schwankende Vogelfütterkonstruktion füllte ich mit Sonnenblumenkindern, bevor der Westwind über die zwei neuen Seiten des Tagebuches fegt und die Malereien verwischte. Wieder habe ich mit der Holznadel begonnen, die weiß-papierene Fläche zu malträtieren. Kreisende Farbschichten stapeln sich zwischen die fortlaufenden Gravurschritte: Gelb, Grau, Karmin, Indigo und Schwarz am Ende. Aus den wolkigen, von den Linien meiner Hand durchzogenen Abdrücken, treten Figuren hervor – bauschende Kleider in der bewegten Luft. Alles dicht, keine Horizonte oder schwebend über einer imaginären Landschaft weit unten, durch die Perspektive unsichtbar.

Durch die Trocknungsränder der Wasserfarben, geben sich unbekannte Gegenstände zu erkennen. Möbelartiges geht in gewachsene Formen über. Sehr wenige Pigmentkörner verteilte ich mit der rechten Zeigefingerkuppe, die von Bild zu Bild sprang und morsend tastete, wo seismisches Geschehen hervorbrechen wird. Manches Korn, das zu laut auftrumpft wird mit einem linderndem Grau und Wasser zurückgepfiffen. Am Ende beginnen die Geschichten wie Erinnerungsfetzen aufzuleuchten und sich zu verbinden. Und wenn das Buch zusammengeklappt wird, verwirbelt alles und ordnet sich erst wieder, wenn es erneut aufgeschlagen wird.

Nach einem Materialeinkauf versiegelte ich die Kraftfeldform erneut mit Schellack. Nun habe ich auch wieder genügend Trennmittel, um die ganze Fläche damit zusätzlich zu versiegeln. Ich erwäge selber ein paar Frottagen von Teilen des Liniengeflechtes übereinander zu legen, um neue Figuren darin zu finden. Das wird der Ausgangspunkt für den Workshop morgen.

Halbwildes Pferd

Die Arbeitschritte zu den Buch-Morgen-Malereien bleiben ähnlich. Aber je mehr ich von der Beschleunigung erfasst werde, umso wilder fliegen der Strukturen im Kreis oder hin und her. Am Ende muss das Geschehen das sich verselbstständigend meiner Kontrolle entzieht, wieder eingefangen werden, wie ein halbwildes Pferd vor Finisterre. Diese Bändigung gelingt durch ein kleines Innehalten und durch klärende Mal- und Zeichenvorgänge: Architekturen, Umrisse und klare Linien. Auch Andeutungen von menschlichen Figuren und Mischwesen gehören dazu.

Gestern entfernte ich fast das gesamte Pappmache aus der Kraftfeldform. Das ist ein mühsamer Vorgang. Nun aber kann ich mit meinen Schülern und einem Mädchen Frottagen der Abgeformten Linien machen, sie miteinander vermischen, um dann neue Figuren zu finden. Für sie suchen wir dann nach deutschen Bezeichnungen, die wir dazuschreiben.

Gleich im Anschluss an die Tagebucharbeit will ich Material einkaufen gehen: Transparentpapier, Graphitstifte, Trennmittel und so weiter. Zu einer intensiven Arbeit mit Vinzenz reicht meine Konzentration derzeit nicht. Zu viel ist noch in unserer vollständig sanierten Wohnung zu tun.

Arbeitsvorgänge

Nach langer Zeit sitze ich wieder am Zeichentisch im Atelier und habe Freude an der Buchmalerei. Sie wird sich nun durch den Einfluss des Materials, das sich im ganzen Raum während der Jahrzehnte angesammelt hat, wieder verändern. Schon heute meine ich einen kraftvolleren Zugriff gespürt zu haben, durch den allerdings keine gegenständlichen Umrisse entstanden sind.

In „1“ habe ich mit Gravitationsschwüngen begonnen. Dorthinein gravierte ich mit der Holznadel ebenfalls kreisende Linien, die ich mit einer Schraffur hell sichtbar werden ließ. Diesen Vorgang wiederholte ich mehrmals mit komplementärfarbenen Schraffurschichten. Mit Handballenabdrücken stellte ich neue Farbfelder her, die die Vorgaben für die nächsten Umrisse waren. Markanten Ecken der Flächen von „2“ verband ich mit venezianisch roten, flatternden Verbindungslinien, die ich teilweise zwischen den Verwischungen immer wieder erneuerte. So treten sie aus dem Raum mehr in den Vordergrund.

Die Kulissenwand auf „3“ bekam eine Binnenstruktur aus Holznadelgravuren und Farbschraffuren. Von der linken Seite transportierte ich sie per Handballenabdruck auf die rechte Seite von „1“. Das Arbeitstempo nahm dann zu. Es ging mit dem Abdrucken von Umrissen und Flächen schnell hin und her. Von trüben Zwischenergebnissen geht dabei die Energie aus, die bis zu einem akzeptablen Ende reichen sollte.

Die Kontinuität der Collagen

Die Kontinuität der Collagen unterbrach ich gestern, zugunsten der Buchmalereien, nach 10 Jahren. Es steht die Frage im Raum, ob ich das nun eine Weile beibehalte. So kann sich der Text, der ausschließlich das Werden der Malereien behandelt, mit den drei Abbildungen leichter verbinden. Über diese Experimente sollte ich mich langsam und ernsthafter diesem Zusammenspiel widmen. Letztlich gab Vinzenz den Anstoß mit seinem Ansinnen dazu, die Malerei zu dokumentieren und mit den gesprochenen Texten zu unterlegen. Seit längerem beschreibe ich diese Vorgänge, aber nicht so konsequent und ausschließlich, wie gestern.

Beim Betrachten der Bilder von heute, meine ich feststellen zu können, dass der Gedanke an die Arbeitsschritte des Collagierens mit Arbeitsergebnissen von Rolle 9 oder den Schichten der Vortage, schon aus den Hinterkopf verschwunden ist. Das führt zu einem reichhaltigerem Motivvokabular, das zu einer längeren und intensiveren Auseinandersetzung zwingt.

Aus Gravitationsschwüngen mit 3 Geraden, die durch ihre Schnittpunkte laufen, sich selbst an einem Punkt schneiden, wuchsen in der Folge verschiedene Konstruktionen: angedeutete Architektur, ornamentale Ausflüge, die letztlich durch Pigmentnebel verworfen worden sind, Figurenumrisse, die sich in Varianten wiederholen und Punktwolken, die mit der rechten Zeigefingerkuppe verteilt wurden. Die angedeuteten Gewandfiguren stammen aus dem Arsenal von Zeichnungen der suchenden Maler aller Zeiten. Als ich mir am Ende die erste Malerei anschaute, erschien sie mir, im Gegensatz zu den anderen beiden, etwas unfertig. Deshalb verband ich ihre Punkte mit zwei Dreiecksgittern, die die wolkigen Figuren in einem Raum versammeln.

Minotaurus

Beim Vertiefen in die Buchmalereien, ging mir das anschließende Schreiben durch den Kopf. Es liegt allein an mir, ob sich daraus eine wirkliche weitere Dimension entwickeln lässt.

Zunächst fällt mir die unbeholfen wirkende Figur auf der linken Seite von 3 auf. Im Nachhinein, nachdem ich den vorigen Satz geschrieben hatte, setzte ich drei senkrechte Linien zur Stabilisierung ein. Ein Dreiecksgitter schließt die Punktwolke, die von den Pigmentkörnern an meiner linken Zeigefingerkuppe herrühren, mit der ich hüpfend über kleine Areale des Papiers taste, zu einem Objekt zusammen. Es bleibt auf der rechten Seite von 3 zweidimensional. Das Objekt auf der linken Seite von 1 täuscht mit zusätzlichen, übergreifenden Linien, eine Dreidimensionalität vor.

Am Anfang standen die Krakelgravuren, die ich mit einer afrikanischen Holzhaarnadel in 1 grub. Darüber legte ich Gravitationsschwünge, die ich mit Indigo nachzog und per Handballenabdruck auf die anderen beiden verteilte. Dabei blieb bei 3 eine Stelle auf der Haut trocken, sodass das Zentrum des Motivs nicht übertragen wurde. Dann kann ich die entsprechende Stelle auf der Hand mit einem Wasserpinsel anfeuchten und noch einmal daneben abdrucken. So entstand ein venezianisch rotes Zeichen, das ich auf 1 übertrug. Dort verlängerte ich zwei der Linien, damit es zu schweben beginnt. Aus 3 setzte ich eine olivgrüne Wolke darunter, sodass etwas Wetter entsteht, das die Nähe eines Planeten anzeigt. Etwas unentschlossen bleibt das zentrale Motiv in 2. Dort entstand aus dem Abdruck der Gravitationsschwünge und der Verbindung der Schnittpunkte durch gerade Linien zu einem weiteren Dreiecksgitter, ein Mischwesen. Das ist ein Minotaurus in dem sich Fluid und Kristallin zusammenfügt.

Nach außen

Am Morgen blieben die Buchmalereien in einer zeichenhaften Stille stehen. Die Kraft reichte nicht für die Spannung, die normalerweise den Elan für den ganzen Tag begründet. Kein Wortgesträuch, das aufgelöst werden muss, der Zugriff auf Motive, Strukturen und Farben ist zaghaft. Zu sehr bin ich verteilt auf die verschiedenen Orte, zwischen denen mein Dasein derzeit strukturiert wird. Das Atelier ist weit von unserer Interimswohnung entfernt, worunter der normale Arbeitsrhythmus leidet. Außerdem werden wir in den kommenden Wochen viel Arbeit mit der Reinigung und Einrichtung unserer sanierten Wohnung zu tun haben.

Vinzenz stellte die Idee einer filmischen Dokumentation der Buchmalereien in den Raum. Dabei sollen auch die Tagebuchtexte eine Rolle spielen, die das Vorgehen beschreiben aus dem die Bilder entstehen. Wenn die sichtbare Tätigkeit durch die Worte nur gedoppelt wird, ist das zu wenig. Bei diesem Zusammenschneiden von Film und gesprochenem Text sollte eine weiterer Raum entstehen. Das muss man probieren, ob es gelingt. Gleichzeitig wird sich das Schreiben mit einem solchen Ziel verändern.

Die Worte „nach innen“, waren die, mit denen ich mich gestern in die Malerei begab. Sie sind wie der Aufruf, das Gegenteil zu machen, nach außen zu gehen, die Worte auf Rolle 9 zu tragen, wo sie das Fliegen lernen können. Einen Auszug von da habe ich auch in die Kooperation mit Claudia und Maya eingefügt. Ich überlege, wie ich diese Form der Zusammenarbeit, meinen Schülern näher bringen kann. Begonnen haben sie ja schon, indem sie ihre Blätter untereinander austauschten, um ein Figurengesträuch zu entwickeln, um darin eigene Motive zu finden.

Kooperationen

Anstatt die Erweiterung des Raumes auf Rolle 9 zu beginnen, hatte ich mich um die Reliefform zu kümmern. Das Pappmache hatte ich mit einem falschen, stark klebenden Leim versetzt. Somit bekam ich das getrocknete Material nicht heraus, ohne dabei die Form stark zu beschädigen. Das Trennmittel konnte der Klebekraft nichts entgegensetzen. Entsprechend langwierig ist es nun, das Material mit Wasser herauszulösen. Ein frustrierender Vorgang.

Die Schüler haben die Umrisszeichnungen, die ich für sie gezeichnet habe, alle nach und nach übereinander gelegt und mit viel Mühe durchgezeichnet. Dann sollten sie im entstandenen Gesträuch eigene Figuren finden und ihre Umrisse zeichnen. Das will ich ernst nehmen und auch selber was draus machen. So begebe ich mich mit ihnen auf Augenhöhe.

Am heutigen Vormittag traf ich mich mit Claudia und Maya in der Modedesignerwerkstatt von Stitch by Stitch. Wir besprachen den Fortgang unserer Kooperation und waren von den ersten Ergebnissen sehr angetan. Wir haben etwas Spannendes begonnen, das noch viel Potential zu haben scheint.

Vinzenz beobachtet meine Arbeit mit seiner Kamera. Ich konnte mir den Zusammenschnitt von Videos anschauen, die eine ruhige Ausstrahlung haben, dem Gang meiner Tätigkeit entsprechend.

Schrift, Schall und Raum

Atem, Schall und Raum sind die Worte, die sich aus dem gestrigen Schreiben herausgefiltert haben. Ich denke diese Elemente dreidimensional. Zunächst aber nimmt sie das Echo mit in die Buchmalereien. Drei mal werden die, aus den konzentrierten und dann verwischten Worten entstandenen, Umrisszeichnungen hin und her geworfen. Dabei entstehen neue Gebilde, welche immer wieder aufgelöst werden, bis mir mein Gefühl sagt: „Jetzt ist Schluss!“.

Für die Schüler, die heute Mittag kommen, zeichnete ich gestern 6 der Figuren des Kraftfeldes auf einzelne Transparentpapierbögen. Diese sollen sie dann durchzeichnen und mehrfach übereinander gruppieren. Außerdem können wir die Motive, oder was von ihren übrig geblieben ist, auf den Resten der zerstörten Reliefs suchen.

Vinzenz war gestern wieder zu Besuch in meinem Atelier. Er filmte und fotografierte mich bei der Arbeit. Ein paar Fotos schickte er mir schon. Das unterstützt meine Rekonstruktionsarbeit. Die Dimension der Dokumentation blieb bei meiner Arbeit immer etwas unterrepräsentiert.

Durch die Beschäftigung mit den herausgefilterten Worten, stellte sich am Morgen wieder eine Empfindung der Enge ein. Die Verdichtung durch das Übereianderschreiben der Worte im Rückgriff auf den Vortag, konzentriert die Arbeit auf den Raum des Tagebuchs. Aus diesem Muster will ich einen Ausweg finden, der mich aus den enger werdenden Wänden rettet. Am einfachsten ist das auf Rolle 9. Dort kann ich den Vorgang mit Tusche wiederholen, das Wortgesträuch mit Schellack anlösen und im Zusammenrollen verwischen. Diese „Synaptische Kartierung“ bereitet den Raum vor. Es gibt Arbeiten, die ich mit den alten 3 D Programmen anfertigte, innerhalb derer diese Arbeitsstrukturen dreidimensional auftreten. Schrift und Schall im Raum. Aus ihm wird das Echo hinausgetragen.

Enger werdender Raum

Wenn ich weniger im Atelier bin, verlagert sich meine Arbeit mehr nach innen. Am Tisch in der Kaulbachstraße finden sich neue Impulse. Mit Franz sprach ich gestern, bei einem Besuch in seinem Atelier, über die Zusammenhänge von Sprache, Raum und Atem. Uns ging es um den Einfluss dieser Dinge auf die Malerei. Die Zwischenräume zwischen Wachsein und Traum und die Umsetzung ihres Spannungsverhältnisses in unserer Arbeit, scheint in meinen Buchmalereien auf.

Die Transparentpapierrollen, die ich bei ihm abholte, lagen lange Zeit in seinem Schaufenster. Dort rollte er immer neue Stellen auf der 2,5 Meter langen Strecke zur Ansicht auf. Wegen des regen Interesses der Passanten meinte Franz, dass es schade sei, sie nicht öfter ausgestellt zu finden. Ich besuchte auch Ruth kurz in ihrem Atelier und genoss die Schichtungen ihrer Malereien.

Indem ich am Morgen die Worte „Instabilität der Diagonalen“ in Erinnerung an die gestrige Auseinandersetzung mit den Tagebuchbildern, als Impuls für die Malerei in Silben übereinander auf das Papier schrieb, beschlich mich das Gefühl eines enger werdenden Raumes. Dieser Zusammenhang zwischen den geschriebenen Wörtern und dem Abbild ihres Verklingens, bezieht mein Schreiben jetzt auf die Bilder vom nächsten Tag. Dort gelangt ihr „Farbschall“ in den Raum und ändert ihren Sinn. Absichtlich kann ich jetzt kein Wort für diesen morgigen Vorgang finden. Es wird sich in 24 Stunden herausfiltern.

„X“

Suchexpeditionen, Trixel Planet und Experimentalaufbau, sind die 3 Begriffe, die ich zu Beginn der heutigen Buchmalereien, in Silben übereinander verdichtet, auf die leeren Seiten schrieb. Zunächst fällt mir das „x“ auf, das in allen dreien eine Rolle spielt. Vielleicht kulminiert es in der zweiten Malerei, in den sich schneidenden Diagonalen, die aus einer Formation von Gravitationsschwüngen hervorgegangen sind. Ihre destabilisierende Kraft irritierte mich, so dass ich sie mit Papiergravuren und Indigoschraffuren in den Hintergrund versetzte. Das ist die stärkste Konfrontation in den heutigen Buchmalereien. Die Handschrift, von der ich ausgegangen war, ist fast verschwunden. Dafür übernahmen die Handballenabdrücke, Farbwolken und die aus ihnen resultierenden Umrisse eine Hauptrolle. Die durchsichtige Kulissenarchitektur in 1 bildet eine Klammer zwischen auseinanderstrebenden Bildteilen und fügt sie gleichzeitig in einem Raum zusammen. So gleicht die Arbeit einem Frage- und Antwortspiel oder einer Diskussion, woraus Geschichten entstehen, die dann erzählt werden.

Im Atelier beschäftigte ich mich gestern mit der Entstehung des Kraftfeldes 2010. Weil ich damals dafür Projektgelder beantragt hatte, ist die Arbeit gut dokumentiert. Auch die Transparentpapierrollen geben geben ausführlichen Aufschluss über die sich verbindenden Ideen und Figuren. Das Kraftfeld 2 beschäftigte sich dann mit der Dreiecksstruktur. Eigentlich sollten aus den Reliefs, mit dem Format gleichseitiger Dreiecke, Skulpturen entstehen. Das habe ich nicht verwirklicht. Anstatt dessen sind Wandbildmodule entstanden.

Das Pappmaché der Ausformung des Kraftfeldreliefs trocknet nur langsam. Ich werde übermorgen mit den Schülern nicht daran weiterarbeiten können. Stattdessen werden sie die Umrissmotive der Entwurfszeichnungen auf Transparentpapiere übertragen. Dann können sie die verschiedenen Formate übereinander legen und eigene Umrisskombinationen entwickeln. So verstehen sie den Entwurfsvorgang für das Relief, an dem wir arbeiten.

Schriftgesträuche

Noch fast im Schlaf ging mir das alte Schottische Volkslied „Auld Lang Syne“ durch den Kopf. Ich las gerade auch eine schöne Übersetzung ins Deutsche. Nun nahm ich den Originaltext, um ihn in verschiedenen Konstellationen übereinander zu schreiben und damit die Buchmalereien dieser Woche zu beginnen. Dieses Textgesträuch verwischte ich dann, um in die entstandenen hellen, nebligen Streifen wieder dunkle, scharfe Schriftlinien einzufügen. Das wiederholte ich mehrfach gemeinsam mit den wandernden Handballenabdrücken. Nachher im Atelier will ich versuchen, diese aufgelösten Schriftstreifen mit der Entwicklungssequenz von „Kraftfeld“ aus 2010 zu kombinieren.

Diese, auf Schrift basierenden, Buchmalereien sind nun auf ihr Potential zu untersuchen, das sich für weitere Such- und Experimentalsituationen eignet. Dabei schwebt mit kein Ergebnis vor, sondern die Möglichkeit, die Tagebuchtexte selbst zu Voraussetzungen der Bilder zu machen. Die Hoffnung dabei sollte sein, dass sich die Texte über den Bildumweg verändern, sie eine andere Bedeutung und Produktivität erhalten.

Immer wieder kreisen unsere Gespräche um die diesjährige Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und die verschiedenen Ansätze der Teilhabediskussionen. Ich finde, dass es immer strikt um Qualität gehen sollte, ob in der bildenden-, der darstellenden Kunst oder der Literatur und nicht um Migrationsgeschichten und Hautfarben. Was mir bei diesen Diskussionen wichtig erscheint, ist die Verarbeitung der Kolonialgeschichte. All das aber bearbeite ich seit 1997 in meinen Wanderungsspuren – Projekten. Diese Erfahrungen lassen sich nun in der Rekonstruktion des Kraftfeldes, der neuesten Ausprägung von „Trixel Planet“, verdichten.